Die vier buddhistischen Lehrsysteme bezüglich Leerheit

Leerheit, auch Leere genannt, ist offensichtlich sehr schwer zu verstehen. Sie zu verstehen erfordert eine Menge positive Kraft, Konzentration, Vorbereitung und die starke Motivation, sie wirklich verstehen zu wollen, beruhend auf der Erkenntnis, wie absolut wesentlich dies ist. Am Anfang erlangen wir vielleicht bloß eine allgemeine Vorstellung davon, tatsächlich verstehen wir möglicherweise nicht allzu viel, aber das ist in Ordnung, so fängt jeder an. Aber mit der Zeit, ganz allmählich und indem wir uns ausführlich damit befassen, wird das Ganze langsam immer klarer. Die Art und Weise, wie das Thema bei den Tibetern studiert wird, führt über mehrere aufeinanderfolgende Verständnisebenen.

Verschiedene buddhistische Traditionen bieten verschiedene Interpretationen

Wir gehen hier die sogenannten indisch-buddhistischen Lehrsysteme durch, d.h. die philosophischen Systeme, die auf buddhistischen Lehren basieren. Buddha lehrte sie, um verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Veranlagungen und auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen zu helfen. Wie Atisha es treffend ausdrückte, ist alles, was Buddha lehrte, für unsere allmähliche, stufenweise Entwicklung gedacht – nicht nur für die dummen Leute woanders drüben, sondern auch für uns selbst. Wie der große indische Meister Shantideva hervorhob: Wenn wir uns mit bestimmten allgemeinen Themen befassen, die in all diesen Systemen vorkommen, und ein Verständnis davon in einem einfachen System gewinnen können, können wir dieselbe Analogie verwenden, um zu einem tieferen Verständnis zu gelangen. Die Analogie, die Shantideva verwendete und die auch die häufigste und wohl wichtigste ist, ist diejenige, dass alles wie eine Illusion ist und dennoch funktioniert. Das grundlegende Beispiel dafür ist, dass von einem Gesichtspunkt aus die Dinge Festigkeit besitzen – ein Körper, ein Stuhl usw. –, dass dies aber tatsächlich nur die oberflächliche Erscheinung ist, denn, wenn wir die Sache tiefer gehend betrachten, stellt sich heraus, dass alles aus winzigen Atomen besteht. Es ist also wie eine Illusion, dass unser Körper fest und der Stuhl solide ist, aber nichtsdestotrotz fallen wir nicht durch die Sitzfläche des Stuhls hindurch, obwohl beides, Körper wie Stuhl, zwei Anhäufungen von Atomen mit jeder Menge innerem Zwischenraum sind. Und wir wollen es hier nicht dabei belassen, bloß zu sagen: „Nun, da ist es ja geradezu ein Wunder, dass ich nicht durch den Stuhl hindurchfalle!“ Wir müssen versuchen zu verstehen, was hier mit „Realität“ und der Aussage „wie eine Illusion“ gemeint ist. Wir sollten diese anfängliche Ebene nicht herabmindern oder banalisieren, denn um diese Tatsache tatsächlich gefühlsmäßig zu verdauen und unser Leben mit diesem Verständnis zu handhaben ist schon etwas sehr Fortgeschrittenes.

Es gibt in der indisch-buddhistischen Philosophie vier Lehrsysteme. Zwei davon sind Hinayana-Schulen, zwei sind Mahayana. Die zwei Hinayana-Schulen heißen Vaibashika und Sautrantika; sie stammen aus einer anderen Art von Hinayana als die Theravada Schule, verwechselt sie also nicht mit den Lehren des Theravada, die man in Südostasien findet, denn dabei handelt es sich um einen anderen Zweig des Hinayana-Buddhismus. Es gibt 18 Schulen des Hinayana, und Theravada war nur eine davon. Die zwei oben Genannten sind Unterarten einer anderen, nämlich Sarvastivada, die überwiegend in Nordindien verblieb. Die beiden Mahayana-Schulen heißen Chittamatra – das bedeutet „nur Geist“ – und Madhyamaka, was „mittlerer Weg“ bedeutet. Innerhalb des Madhyamaka gibt es zwei Unterteilungen: Svatantrika und Prasangika.

Und um das Ganze noch schön kompliziert zu machen, hat jede Tradition des tibetischen Buddhismus eine unterschiedliche Interpretation dieser Schulen. Heute Abend werden wir lediglich über die Tradition der Gelugpa sprechen. Und innerhalb der Gelugpa gibt es – leider oder zum Glück, damit es noch hilfreicher für die Entwicklung des Geistes ist – verschiedene Lehrbücher, die in den unterschiedlichen Klöstern benutzt werden, und auch sie beinhalten in vielen Punkten jeweils leicht unterschiedliche Interpretationen. Ich werde hier nur einer davon folgen – derjenigen der meisten meiner Lehrer –, nämlich der Lehrbuch-Tradition namens Jetsünpa. Es ist diejenige, die von den Geshes in den Klöstern Sera Je und Ganden Jangtse angewendet wird.

Ich weise hier explizit darauf hin, damit ihr euch wirklich darüber im Klaren seid. Geshe Söpa kommt aus Sera Je, eben dieser Lehrbuch-Tradition, ebenso Serkong Rinpoche, mein Lehrer. Der Geshe Im buddhistischen Zentrum Loseling in Mexico City zum Beispiel verwendet ein anderes Lehrbuchsystem, nämlich Panchen. Es kann also sein, dass ihr manchmal von Geshes aus verschiedenen Klöstern unterschiedliche Erklärungen hört. Davon solltet ihr euch nicht verwirren lassen; versucht einfach, alles in dem jeweils passenden Rahmen zu belassen. Es ist nur ein klein wenig anders, nicht allzu viel; es gibt eben kleine Unterschiede in Bezug auf manche Punkte. Insgesamt gibt es vier verschiedene Lehrbuch-Traditionen bei den Gelugpas. Die Bücher von Jeffrey Hopkins folgen wieder einer anderen davon, namens Künkyen, und Michael Roach noch einer anderen: Tendarma. Seid euch also dieser Unterschiede bewusst. Wie gesagt sind sie eigentlich sehr nützlich, denn wenn es nur eine einzige Erklärung gebe, dann wäre sie Dogma, und man würde nicht wirklich lernen, man wäre nicht herausgefordert zu dem Versuch, herauszufinden: „Warum sagten sie denn das, was sie hier behaupten? Warum gibt es diese Unterschiede?“ und so weiter.

Leerheit ist die Abwesenheit unmöglicher Arten zu existieren

Während wir über unser mangelndes Gewahrsein oder unsere Ignoranz sprechen, erzeugen wir ständig geistige Hologramme von etwas; das ist die Art und Weise, wie wir etwas verstehen. Oft gibt es unter diesen Hologrammen Erscheinungen von etwas, das unmöglich ist. Und unsere Unwissenheit ist entweder: „Ich wusste nicht, dass es unmöglich war“ oder „ich dachte, es wäre möglich“. Das ist wie zum Beispiel der Unterschied zwischen: „Ich wusste nicht, dass da keine Äpfel auf dem Tisch waren“ und „Ich dachte, da wären Äpfel auf dem Tisch“. Das Tiefere, dass wir loswerden müssen, ist also, zu denken, dass es Äpfel auf dem Tisch gäbe, wenn keine da sind – zu denken, dass die Erscheinung von etwas, das gar nicht da ist, sich tatsächlich auf etwas Reales bezieht. Das ist es, was wir wirklich loswerden müssen.

Leerheit besagt, dass es etwas, was dieser irrigen Erscheinung entspricht, in der Realität nicht gibt. Das ist es, worum es bei der Leerheit geht – eine totale Abwesenheit. Es gibt keinerlei tatsächlichen, realen Bezugspunkt für die Erscheinung von etwas Unmöglichem. Es geht also um – in westlicher Terminologie ausgedrückt – Projektionen der Fantasie. In noch anderer Begrifflichkeit ausgedrückt, ist das, was unmöglich ist, eine Art „Seele“, die es unmöglich geben kann. Unter einer unmöglichen „Seele“ wird in den verschiedenen philosophischen Schulen jeweils etwas leicht Unterschiedliches verstanden, wobei dieses Verständnis zunehmend tiefgründiger wird. Wir müssen also erkennen, dass etwas unmöglich sein kann, obwohl es erscheint – dass diese Erscheinung sich nicht auf irgendetwas Reales bezieht. Dies gilt es mit dem Verständnis der Leerheit zu negieren. Die Bedeutung ist, dass es etwas Bestimmtes nicht gibt, auch wenn es erscheint.

In den Hinayana-Schulen ist lediglich die Rede von einer unmöglichen „Seele“ von Personen: von uns selbst und allen anderen. Die Mahayana-Schulen sprechen zusätzlich von einer unmöglichen „Seele“ aller Phänomene. In den Hinayana-Schulen heißt es, dass man, um Befreiung bzw. Erleuchtung zu erlangen, nur diesen Glauben an eine unmögliche „Seele“ der Personen loswerden muss. Der einzige wirkliche Unterschied zu einem Buddha bestehe darin, dass man für die Erleuchtung jegliche Phänomene kennen muss. Aber es ist nicht davon die Rede, dass man irgendeine unmögliche „Seele“ bzw. die Fiktion von etwas Unmöglichem bezüglich der Phänomene aufgeben muss. Im Hinayana wird gesagt, dass ein Buddha sich von jeglichen falschen Vorstellungen befreien muss, die er hat, aber die genaue Art der falschen Vorstellungen wird im Zusammenhang mit der Leerheit nicht auf dieselbe Weise dargestellt wie im Mahayana.

Die Aussage in den Mahayana-Schulen lautet, dass man, um Befreiung zu erreichen, das Greifen nach der unmöglichen „Seele“ der Personen loswerden muss; um jedoch Erleuchtung zu erreichen, muss man auch das Greifen nach einer unmöglichen „Seele“ aller Phänomene loswerden. Und die Prasangika-Philosophie besagt: Ja, im Grunde muss man beides, das Greifen sowohl nach einer unmöglichen „Seele“ von Personen als auch nach einer solchen von Phänomenen, schon loswerden, um Befreiung zu erreichen, und das, was bezüglich beidem unmöglich ist, ist in Wirklichkeit ein und dasselbe ist. Die anderen Mahayana-Schulen sagen, es sei nicht ein und dasselbe. Ihre Aussage lautet also, dass dasjenige, was bezüglich der Personen unmöglich ist, und das, was bezüglich aller Phänomene unmöglich ist, etwas Verschiedenes sei. Nun sind natürlich Personen ein Teil aller Phänomene, und folglich muss man Letzteres dann schließlich auch in Bezug auf Personen verstehen. Aber um Befreiung zu erreichen, muss man nur etwas verstehen, was bezüglich Personen unmöglich ist, und das ist weniger tiefgründig. Um Erleuchtung zu erreichen, muss man sich laut Prasangika-Philosophie von den Gewohnheiten der Unwissenheit befreien, die diese unmöglichen Erscheinungen hervorbringen – und das gelingt erst, nachdem man sich von dem Greifen danach befreit hat. Die anderen Mahayana-Schulen hingegen vertreten, dass man sich von beidem zusammen befreien kann, und zwar schrittweise und vollständig.

Die grobe unmögliche „Seele“ von Personen

Lasst uns zuerst über die unmögliche „Seele“ von Personen sprechen. Als „Person“ (tib. gang-zag, Skt. pudgala) können wir jedes individuelle Geisteskontinuum bezeichnen. Dieses Geisteskontinuum ist mit den körperlichen Elementen einer bestimmten Lebensform verbunden. Im Geisteskontinuum gibt es nichts ihm Innewohnendes, dass es immer zu einem Menschen oder Tier oder männlich oder weiblich oder sonst irgend so etwas machen würde. Wir können auch ein Insekt „eine Person“ nennen. Es ist nicht inhärent ein Insekt – es ist ein Geisteskontinuum das in diesem speziellen Leben gerade die Aggregate eines Insekt hat. Das ist, wenn man es sich genau überlegt, eine sehr tiefgründige Aussage im Zusammenhang mit der Wiedergeburt. Allerdings ist es natürlich nicht so, dass Alex, der Mensch, dann als Fifi, der Pudel, wiedergeboren wird. Aber dieses Geisteskontinuum ist eine Lebenszeit lang als Alex ein Mensch und möglicherweise in eine andere Lebenszeit lang als Fifi ein Pudel. Das ist ein großer Unterschied im Hinblick darauf, wie man Wiedergeburt versteht.

Es gibt zwei Verständnisebenen einer unmöglichen „Seele“ von Personen: eine grobe und eine subtile. In der Prasangika-Philosophie gibt es sogar noch eine dritte. Die erste dieser Ebenen, die grobe Ebene dessen, was man „Greifen nach einer unmöglichen ‚Seele‘“ nennt, ist etwas, das doktrinär bedingt ist. Es ist also auf ganz spezielle Weise bestimmt. Es beruht darauf, dass man bestimmte Lehrmeinungen gelernt und akzeptiert hat, die in einer nicht-buddhistischen indischen Philosophie gelehrt werden, und daran glaubt. Von den acht Schulen nicht-buddhistischer indischer Philosophie akzeptieren sieben, wie der Buddhismus, die Wiedergeburt. Man nimmt an, dass Wiedergeburt immer weitergeht, immer und immer wieder und zwar auf der Grundlage von Karma. Es gibt nur eine indische Schule, so etwas wie Hedonisten, die Karma und Wiedergeburt nicht akzeptieren; sie werden in diesem Kontext auch Nihilisten genannt – „Lasst uns einfach möglichst viel Vergnügungen genießen, denn am Ende dieses Lebens ist alles vorbei“.

Die Frage, die sich nun stellt, ist: Was ist es denn eigentlich, das unter der Macht des Karma von einem Leben zum anderen weitergeht? Oder was ist es, das nur in diesem Leben weitergeht? Jene anderen Schulen vertreten eine unmögliche „Seele“, die weitergeht, aber der Buddhismus sagt: Nein, eine solche unmögliche „Seele“ gibt es nicht. Wenn man mit der Theorie einer unmögliche „Seele“ befasst ist, sie übernimmt und daran glaubt – das ist es, was mit der Art von Greifen nach einer unmöglichen „Seele“ gemeint ist, das auf Lehrmeinungen beruht. Und das ist es, was es abzulegen gilt.

Was sind die Eigenschaften einer solchen unmöglichen „Seele“? All diese indischen philosophischen Schulen sind sich über drei Qualitäten einig, die sie übereinstimmend akzeptieren. Abgesehen von diesen drei Qualitäten weisen sie Unterschiede auf, aber sie alle sagen, dass die „Seele“ drei Qualitäten hat. Eine behauptet allerdings, dass sie nur in diesem Leben besteht. Die erste Eigenschaft ist, dass die Seele statisch ist, sich nicht verändert; sie ist von nichts beeinflusst. Zweitens: Sie hat keine Teile, sie ist etwas Unteilbares. Demgemäß ist sie also entweder eins mit dem Universum, teilelos –es handelt sich somit um eine Art prähinduistischen brahmanischen Glauben: Atman ist Brahman. Oder sie ist eine kleine Monade, etwa so wie ein Lichtfunke oder etwas Ähnliches. Diese zweite Eigenschaft wird meistens als „eins und beständig“ übersetzt.

Die dritte Qualität besteht darin, dass sie getrennt von Körper, Geist und Emotionen (den Aggregaten) existiert. Diese Art von Seele besitzt entweder Körper, Geist und Emotionen oder sie beherrscht diese – sie ist quasi der Chef, beherrscht sozusagen eine Maschine – oder sie bewohnt Körper, Geist und Emotionen: Natürlich gibt es auch Kombinationen dieser drei Annahmen, etwa „Jetzt befinde ich, die Seele, mich in diesem Körper; ich besitze Körper und Geist, ich benutze und beherrsche diese, und ich wohne im Kopf (oder im Herzen)“. Und irgendwann löst sich dieses gesonderte „Ich“, diese getrennte „Seele“ von Körper und Geist und fliegt davon und wird danach eine andere Körper-Geist-Kombination  bewohnen, die sie dann als die ihrige besitzen, benutzen und beherrschen – also quasi die inneren Schalter bedienen – wird.

Einen Teil dessen, was da beschrieben wird, denken oder fühlen wir vielleicht automatisch auch. Aber die Gesamtheit dessen – und das ist es, worum es hier geht – ist etwas, das man nicht einfach automatisch so denkt. Ein Tier würde jedenfalls ganz bestimmt nicht so denken. Man bekommt das von einem Lehrsystem beigebracht. Deswegen heißt es „doktrinär bedingt“. Und das ist es, was wir zuerst loswerden müssen. Diese Art von Seele ist etwas, das gemäß den genannten sieben Schulen –nicht den Hedonisten – von Wiedergeburt befreit werden kann. Sie wird dann von der Illusion befreit, dass sie etwas Getrenntes wäre, und wird dann, gemäß hinduistischer und humanistischer Auffassung, eins mit dem Universum. Beruhend auf diesem Glauben entwickelt man das, was „doktrinär bedingte störende Emotionen und Geisteshaltungen“ genannt wird. Man hängt sehr fest an seiner Ansicht, an seiner Religion, und verteidigt diese vehement; man wird ärgerlich auf jeden, der nicht damit übereinstimmt oder sie anzweifelt – daraus können sogar Kriege entstehen –, man wird überheblich in Bezug darauf und entwickelt vielerlei störende Einstellungen, die auf diesem Glauben beruhen. Dazu gehört zum Beispiel auch das Ergreifen dieses Körpers als „meiner“ oder von etwas an diesem Körper oder Geist als „ich“ – „dies ist mein Auto“ und dergleichen mehr. So etwas ist typisch für den Glauben an eine solche Art von unmöglicher „Seele“:“ „Dies ist meine Religion, meine Kirche, mein … was auch immer.“ Außerdem gibt es auch die störende Einstellung, dass diese Seele ewig ist, oder man klammert sich an asketische Praktiken in der Meinung, das sei der Pfad zu Befreiung, etwa indem man sich quält und kasteit, ein Jahr lang auf einem Bein steht – in der Annahme, dass das zur Befreiung führen würde.

Wir selbst mögen vielleicht nicht die komplette indische Version davon haben, aber wenn man sich einige der westlichen Religionen und Glaubensvorstellungen anschaut, stößt man auf allerlei Parallelen, nicht wahr? Entweder man ist ein totaler Hedonist – lebt nur für dieses Leben, amüsiert sich so viel wie möglich, verdient möglichst viel Geld usw. Oder – auch wenn man nicht an sich unaufhörlich wiederholende Wiedergeburt glaubt – man nimmt doch eine Art Wiedergeburt im Himmel oder in der Hölle an, und zwar gemäß etwas anderen Versionen von Karma, nämlich in Form von Belohnung und Bestrafung aufgrund bestimmter Handlungen. Und es gibt eine ewige „Seele“, die gesondert von Körper und Geist ist und eines Tages Richtung Himmel oder Hölle davonfliegen wird. Und wenn wir uns quälen und kasteien, wird uns das vielleicht helfen, schneller Erlösung im Himmel zu erreichen. Und wir entwickeln beruhend auf solchen Glaubensvorstellungen natürlich störende Emotionen – etwa dass unser Glaube der beste und allen anderen überlegen ist, wir zetteln Kriege an, die voller Hass und Wut gegen jeden geführt werden, der dem nicht zustimmt. Eine andere Version von Hedonismus ist: „Mein Leben wird nicht enden, es ist nicht abhängig von diesem Körper, ich werde nicht alt, und ich vergnüge mich soviel ich nur kann.“

Wenn wir begreifen, dass all dies unmöglich ist, dass es so etwas wie diese Art von Seele nicht gibt – dass dies nicht das ist, was ich bin; ich bin nicht diese grobe Art von unmöglicher „Seele“ – was wissen wir dann? Das ist sehr wichtig im Zusammenhang mit dem Verständnis der Leerheit. Man muss immer darauf achten: Was wissen wir denn, nachdem etwas Bestimmtes verneint worden ist? Es handelt sich um eine Person, das ist ein „Ich“, das ist das „Ich“, welches in unserer Person, im individuellen Geisteskontinuum existiert. Es gibt also eine Person, „mich“ – mit einem Namen, den man hier geben kann – und jeder benutzt diese Art von Vorstellung, ob man nun ein Wort dafür benutzt oder nicht. Also was ist dieses „Ich“‘? „Ich“ ist etwas, das einer Kombination von Aggregaten – dem Körper, dem Geist und den Emotionen – zugeschrieben wird. Die fünf Aggregate, ganz kurz zusammengefasst, sind Körper und Geist. Diese werden als „ich“ bezeichnet, es wird ihnen zugeschrieben – was das bedeutet, erkläre ich gleich noch. Wenn nun diese Grundlage – das, was wir als „ich“ bezeichnen – nicht statisch ist (wir haben festgestellt, dass die Aggregate sich ständig verändern), muss das, was ihr zugeschrieben wird, ebenfalls nicht statisch sein; es kann nichts Statisches sein. Und da die Grundlage aus Teilen besteht, kann das, was ihr zugeschrieben wird („ich“), keine teilelose Monade sein, es muss ebenfalls Teile haben. Und weil es den Aggregaten zugeschrieben wird, bedeutet das, dass es nicht unabhängig von Körper und Geist ist. Nicht- buddhistische Schulen vertreten, dass es unabhängig davon ist und davon getrennt werden kann.

Geistiges Bezeichnen

Es ist sehr wichtig, zu verstehen, was mit „Zuschreibung“ bzw. „geistigem Bezeichnen“ gemeint ist. Dazu gehört dreierlei: die Grundlage für die Zuschreibung – das sind in diesem Fall Körper, Geist und Emotionen (die fünf Aggregate); dann die geistige Bezeichnung – das ist hier das Wort oder die Kategorie oder der Begriff „ich“. Ich bin natürlich nicht die geistige Bezeichnung; sie ist vielmehr ein Wort oder ein Begriff, wie eine Art Etikett. Und das dritte Element ist das Objekt, das mit diesem Etikett bezeichnet wird. Es ist dasjenige, auf das sich das Wort oder der Begriff „ich“ bezieht; das Objekt, welches durch das Etikett bezeichnet wird, ist das, was „ich“ bin.

Mit all dem müssen wir uns natürlich näher beschäftigen; ich skizzieren das jetzt nur kurz. Zur Veranschaulichung mag ein einfaches Beispiel dienen: Die Sammlung von 365 Tagen ist die Grundlage für eine Bezeichnung, eine Zuschreibung. Das geistige Etikett, unter dem wir sie zusammenfassen und anordnen, damit wir über sie als Gesamtheit sprechen können, ist die Bezeichnung „Jahr“. Doch „Jahr“ – das ist nur eine Kategorie, das ist bloß ein Wort. Ein tatsächliches Jahr ist hingegen keine Kategorie, kein bloßes Wort. Ein Jahr ist ja etwas, nicht wahr? Was bezeichnet also das Etikett „Jahr“? Was damit bezeichnet wird, ist ein wirkliches Jahr. Es ist gleichbedeutend mit den 365 Tagen; so nennt man sie, um mit ihnen als Ganzes umgehen zu können. Aber es handelt sich nicht nur um das Wort, sondern es ist das, was das Wort bedeutet. Es gibt also die Grundlage, des Weiteren ein Wort (die geistige Bezeichnung) und schließlich das, worauf sich die geistige Bezeichnung bezieht – im obigen Fall „ich“. Ja, und das ist dann wie eine Illusion. Es scheint statisch zu sein, ohne Teile und unabhängig usw. – aber das ist wie eine Illusion. Eine ganz irrige Illusion. Und lediglich etwas, das geistig bezeichnet wurde und eben das ist, was mit einem Wort bezeichnet wurde – es ist wie eine Illusion, nicht wahr? Und doch funktioniert es – ich sehe, ich höre, ich erkenne, ich laufe herum, ich tue etwas – es funktioniert.

Um es noch anders auszudrücken und vielleicht klarer zu formulieren: Das grobe unmögliche „Ich“, die grobe „Seele“ – das ist eine Illusion. Sie funktioniert ganz und gar nicht. Aber das tatsächliche Ich, das auf der Grundlage von Körper und Geist mit dem Etikett „ich“ bezeichnet wird, das ist wie eine Illusion. Hier haben wir es also mit einer anderen Art von Phänomenen zu tun – mit etwas, das wie eine Illusion ist. Das Phänomen „ich“ ist wie eine Illusion und dennoch funktioniere ich, ich agiere. Achtet also hier genau auf die Formulierung. Das falsche „Ich“, das unmögliche „Ich“ – das ist eine Illusion. Das tatsächliche Ich – das ist wie eine Illusion, und dennoch tut es etwas. Ein weiterer wichtiger Punkt, den man hinsichtlich des geistigen Bezeichnens wissen muss, ist: Das Bezeichnen erschafft nicht das Objekt, das mit dem Etikett bezeichnet wird. Es spielt keine Rolle, ob man es „ich“ nennt oder nicht; das tatsächliche Ich gibt es. Man braucht das Etikett nicht. Es wird nicht durch das Etikett geschaffen. Um das vorige Beispiel verwenden: Die Bezeichnung erschafft nicht das Jahr. Gab es Jahre, bevor es das Wort oder den Begriff „Jahr“ gab? Ja. Sie wurden nicht durch das Wort „Jahr“ erschaffen. Die Erde drehte sich um die Sonne, und einen Umlauf kann man „Jahr“ nennen. „Jahr“ ist dafür verwendbar, aber es erschafft kein Jahr.

Die subtile unmögliche „Seele“ von Personen

Kommen wir jetzt zum subtilen unmöglichen „Ich“. [Die Ausdrücke „subtile unmögliche Seele von Personen“ und „subtiles unmögliches ‚Ich‘ werden in diesem Kontext weitgehend gleichbedeutend verwendet. Anm.d.Ü] Dies ist etwas, das automatisch aufkommt. Man braucht es nicht zu lernen; auch Tiere haben das. Ob wir wissen, dass das Selbst den Aggregaten zugeschrieben wird, oder nicht, spielt hier keine Rolle. Auch ob wir denken, dass es diese unmögliche „Seele“ gibt, oder ob wir wissen, dass es so etwas nicht gibt, ist nicht von Belang, denn das hier ist subtiler. Es erscheint uns so, als könne eine Person eigenständig erkannt werden. „Eigenständig erkennbar“ bedeutet, dass es erkannt werden kann, ohne dass dabei gleichzeitig etwas anderes erscheint, in diesem Fall also: ohne dass gleichzeitig der Körper, der Geist, die Emotionen oder irgendetwas erscheint.

Versuchen wir, dies im Zusammenhang mit der Vorstellung und dem Begriff eines geistigen Hologramms auszudrücken. Es taucht automatisch auf, nur das geistige Hologramm von „ich“ – oder zumindest meinen wir das. Es fühlt sich so an, als gäbe es ein Hologramm von einfach nur „ich“, ohne dass zugleich auch ein Hologramm von Körper, Geist, Emotionen oder etwas anderem erscheinen würde und „ich“ etwas ist, dass dem zugeschrieben wird. Es erscheint so, und das ist es, was wir glauben. Lasst mich ein paar Beispiele geben: „Ich kenne mich selbst nicht mehr“ oder „Oh, ich kenne mich ziemlich gut“ – als ob „mich“ etwas wäre, das ich unabhängig davon wahrnehmen könnte, dass ich gleichzeitig meinen Körper, meinen Geist, meine Emotionen wahrnehme und in Bezug darauf „mich“. Das ist ziemlich subtil, aber tatsächlich sehr tiefgründig.

„Kennst du Maria?“ „Ja, ich kenne Maria“ – als wäre Maria etwas, das man kennen könnte. Wir sagen jedoch nicht: „Ich kenne den Körper von Maria“ – außer vielleicht, wenn die Beziehung zu ihr sehr eng ist –, aber worum es hier geht, ist Folgendes: Wenn wir denken: „Ich kenne jemanden“, meinen wir einfach, wir würden die Person kennen. Was ist es, dass wir da kennen? Es scheint so, als könnten wir Maria als etwas Eigenständiges erkennen, ohne dass gleichzeitig ein geistiges Hologramm zumindest ihres Namens auftaucht. Man kann nicht an Maria denken, ohne dass zugleich noch irgendetwas erscheint. Wie denkt man an Maria? Entweder muss es in Verbindung mit einem geistigen Hologramm sein, wie sie aussieht, dem Klang ihrer Stimme, des Namens – irgendetwas. Man kann nicht an Maria denken oder einfach nur Maria sehen und erkennen – ausschließlich eigenständig Maria –, ohne dass irgendeine Grundlage dafür erscheint.

Selbst wenn ich weiß, dass „ich“ den Aggregaten zugeschrieben ist, erscheint es doch automatisch so, als würde ich „mich“ ganz isoliert erkennen können. Ich kann „mich“ erkennen. Ich kann „mich“ im Spiegel sehen. Siehst du dich im Spiegel? Klar ich sehe mich im Spiegel. Das ist mein Körper. Ich sehe jetzt mich im Spiegel, aber ich sehe mich basierend auf der Grundlage des Körpers, der im Spiegel erscheint – doch wir haben das Gefühl, das bin „ich“, nicht, dass das bloß der Körper ist.

Es gibt also viele Ausdrucksweisen, die diese automatische Denkweise entlarven: „Ich hab das Gefühl, ich bin heute nicht ich selbst“, „ich bin nicht im Kontakt mit mir“, „ich suche mein wahres Selbst“, „sei einfach du selbst!“ Und das ist die Art und Weise, wie wir denken und wie wir fühlen. Wir glauben, diese Erscheinung einer subtilen unmöglichen „Seele“ würde der Realität entsprechen, und darauf beruhend haben wir automatisch auftauchende störende Emotionen: Anhaftung (in Bezug auf mich selbst und andere), Ärger usw. – So viel also zur automatisch auftauchenden Art von unmöglichen „Ich“. Auch Tiere haben das.

Das tatsächliche Ich ist wie eine Illusion. Es ist nicht nur etwas, das zugeschrieben ist, es ist auch nur auf zugeschriebene Weise erkennbar [nämlich dadurch, das gleichzeitig eine Grundlage dafür erscheint]. Es ist zugeschrieben, aber noch mehr als das: zugeschrieben erkennbar. Die Grundlage, der es zugeschrieben wird, sind die Aggregate (Körper und Geist). Und es ist auch nur zugeschrieben erkennbar: Irgendetwas anderes, eine Grundlage, erscheint. Das ist nicht wie beim Körper; es geht hier nicht um die Beziehung zwischen einem Ganzen und seinen Teilen – das ist noch eine andere Geschichte. Das Erkennen eines „Ich“ ist nicht das Gleiche wie das Erkennen des Körpers, bei dem man nur den Körper sehen kann. Es ist wie eine Illusion; nichtsdestotrotz funktioniert und agiert es. Und wir sehen uns im Spiegel; es ist ja nicht so, dass wir dort jemand anderen oder einen toten Gegenstand sehen würden.

Diese Angelegenheit ist subtiler als beim groben unmöglichen „Ich“ – es ist wie eine Illusion, aber es funktioniert. Alle buddhistischen Schulen außer der Prasangika-Schule sagen: Wenn man nur dies versteht – dass es so etwas wie die oben erklärte subtile unmögliche „Seele“ nicht geben kann – und dies frei von Begrifflichkeit erkennt und tiefe Vertrautheit mit dieser Erkenntnis entwickelt hat, sodass sie einem in jedem Augenblick präsent ist, dann erlangt man Befreiung. Befreiung erlangt man noch nicht, wenn man diese Erkenntnis, frei von Begrifflichkeit, mal für fünf Minuten oder ein paar Stunden lang hat. Das reicht nicht. Man muss sie ständig haben. Wenn sie einem immer gegenwärtig ist, dann ist man befreit.

Wodurch wird begründet, dass etwas existiert?

Das ist natürlich schon schwer genug zu verstehen. Nun stellt sich die Frage: Ja, was für ein tatsächliches Selbst haben wir denn gemäß diesem Verständnis? Wer ist dieses „Ich“? Was ist denn „Ich“? Jetzt kommen wir zu dem Thema, „wie die Dinge existieren“ – so wird es normalerweise formuliert. Das ist jedoch eine irreführende Übersetzung. Denn das ist nicht eigentlich der Punkt. Das Problem ist viel subtiler als das. Das Problem, um das es hier geht, ist: Was begründet oder beweist denn, dass etwas existiert? Woher wissen wir, dass etwas existiert? Wir reden hier nicht davon, wer oder was dafür verantwortlich ist, dass es existiert. Es geht darum, wodurch erwiesen ist, wodurch begründet wird, wie bestätigt wird, dass es existiert. Das Wort für „begründen“ (engl. establish, tib. sgrub) ist im tibetischen dasselbe Wort wie für „beweisen“ und „Bestätigung“ (sogenanntes Bestätigungs-Phänomen). „Existieren“ bedeutet, dass etwas gültig erkennbar ist. Wodurch wird begründet, dass etwas gültig erkennbar ist, dass es nicht bloß Unsinn oder eine Illusion ist? Das ist es, wovon im Mahayana im Zusammenhang mit der Leerheit die Rede ist. Es wird gesagt: Nun ja, es gibt gewisse Dinge, von denen man glauben mag, dass sie die Existenz von etwas beweisen oder begründen, aber das ist nicht möglich, dadurch wird sie nicht bewiesen. Leerheit bezüglich der Phänomene ist die totale Abwesenheit eines gegenständlichen Etwas, von dem man behaupten könnte, dass dies dasjenige wäre, was beweist, dass etwas existiert – so etwas ist nicht vorhanden. Das ist nicht nur die Sichtweise der Prasangika-Schule sondern im ganzen Mahayana Buddhismus. Aber was dabei verneint wird, wird zunehmend subtiler. Die Art und Weise der Begründung, dass etwas existiert, wird immer subtiler – beziehungsweise, genauer gesagt, die unmögliche Art und Weise, welche widerlegt wird. Damit muss man sich eine ganze Weile beschäftigen. Aber das ist es, genau genommen, worum sich bei der Leerheit alles dreht. Das ist es der Punkt, um den es dabei geht. Der Ausdruck „die Art und Weise, wie etwas existiert“ präzisiert das nicht ausreichend.

Kommen wir jetzt auf den Hinayana-Buddhismus zurück. In der Vaibashika- und der Sautrantika-Schule ist davon die Rede, was begründet, dass bestimmte Dinge existieren. Alle außer der Prasangika-Schule sagen: Dass etwas gültig erkennbar ist, ist dadurch begründet, dass es auf Seiten des Objekts etwas gibt, dass es zu einem gültig erkennbaren Objekt macht. Ich habe das oft als eine Art feste Umrandungslinie beschrieben, die es zu etwas Bestimmtem – und nicht etwas anderem – macht, die es zu einem bestimmten, gültig erkennbaren Objekt macht, etwa so, als hätte es eine feste Linie um sich herum. Der Tisch zerfließt eben nicht mit dem Hintergrund zu einem Einheitsbrei. Was beweist, dass er existiert, ist, dass auf seiner Seite eine Art Linie um ihn herum vorhanden ist, die ihn von allem anderen abhebt. Das gilt allgemein – jedes existierende Phänomen, alles, was wir gültig erkennen können, hat so etwas. Es ist das elementarste charakteristische Merkmal eines jeden: eben dass es ein individuelles gültig erkennbares Objekt ist. Es fließt nicht ineinander mit etwas anderem. Das gilt auch für „ich“ – es hat eine Linie um sich herum. Und man kann ein Bezugsobjekt für das Etikett finden; man kann auf Seiten des Objekts etwas finden, auf das sich das Wort dafür bezieht. Da ist der Tisch! Er hat eine feste Linie um sich herum! Und da ist „ich“. Es gibt eine Linie um mich herum – ich zerfließe nicht in die Wand, ich werde nicht du. Das, worauf sich das Wort „ich“ bezieht, kann man auf der Seite des Objekts finden. Das wird im Allgemeinen von allen außer den Prasangikas akzeptiert.

Vaibashika

Die Vaibashika-Schule sagt nun: „Wir wollen das noch genauer bestimmen.“ Das, was da gerade erklärt wurde, begründet natürlich, dass etwas existiert. Aber was wirklich beweist, dass etwas existiert, ist, dass es funktioniert, dass es eine Funktion erfüllt. Und das Elementarste, das in diesem Sinne für alles gilt, was existiert, selbst für statische Phänomene, ist: Es dient als Objekt dafür, dass es gültig erkannt werden kann. Dass es funktioniert, beweist also, dass es existiert. Ein existierendes Objekt funktioniert, sodass ich es gültig erkennen kann. Das beweist, dass es existiert.

Das ergibt durchaus Sinn – all diese Standpunkte ergeben Sinn. Auch das tatsächliche „ich“ ist so: Es hat eine Linie um sich herum, die dafür sorgt, dass es von allem anderen getrennt ist, und diese macht es zu einem erkennbaren Objekt, und es funktioniert. Das beweist, dass ich existiere. Ich tue etwas, ich sehe etwas, ich sehe euch – das beweist, dass ich existiere. Und dieses „ich“ kann man finden. Wo? In den Aggregaten, irgendwo in den Aggregaten, in der Sammlung all der Aggregate – ja, das bin „ich“. Sie sind zwar eigentlich seine Grundlage, aber nichtsdestotrotz kann man es finden. Die Grundlage dient als das jeweils Exempel dafür; sie ist das, worauf man zeigen kann.

Sautrantika

Im Sautrantika-System heißt es, dass wir zwischen objektiven Phänomenen (tib. rang-mtshan) und metaphysischen Phänomenen (tib. pyi-mtshan) unterscheiden müssen. Was wir im Zusammenhang mit der Vaibashika-Schule verstanden haben – da geht es nur um die objektive Realität: was funktioniert, was wir unter „real“ verstehen würden. Körper, Geist, Personen – dies ist real. Das ist objektive Realität. Und was sind nun metaphysische Phänomene? Hier geht es um statische Kategorien. Klar, die Kategorien, so heißt es im Sautrantika, haben eine Abgrenzungslinie um sich herum. Die Kategorie „Tisch“ ist nicht die Kategorie „Stuhl“. Hier beginnt sich nun ein Berührungspunkt zum Prasangika-System anzudeuten, aber anschließend treten alle gleich wieder davon zurück. Hinsichtlich der Kategorien wird allerdings gesagt, dass man dafür kein Bezugsobjekt findet. Zum Beispiel für die Kategorie „Tische“: Was begründet dann, dass es die Kategorie „Tische“ gibt? Was beweist, dass sie existiert, ist, dass sie verwendbar ist; sie kann geistig angewendet werden; sie kann geistig als Bezeichnung jeweils einzelner Tische verwendet werden. Und diese sind objektiv real. Individuelle „Ichs“ sind objektiv real. Das tatsächliche „Ich“ ist laut Sautrantika real, es funktioniert. Ich führe Handlungen aus, ich tue etwas – das beweist, dass ich existiere, auch wenn „ich“ wie eine Illusion ist, das heißt: obwohl das „ich“ den Aggregaten zugeschrieben wird und obwohl es nicht eigenständig erkennbar ist. Doch wenn wir von der Kategorie „ich“, der Kategorie „Personen“ reden – da handelt es sich um eine Kategorie. Und was beweist, dass diese existiert, ist, dass sie auf viele verschiedene tatsächliche Personen angewendet werden kann, viele verschiedene „Ichs“; jeder empfindet sich selbst als „ich“. Ob jemand dieses Etikett verwendet oder nicht, spielt keine Rolle.

Noch ein weiterer Punkt ist kennzeichnend für das Sautrantika-System. Dort wird gesagt: Es kann nicht angehen, dass man die Ansammlung der Aggregate als das angibt, was man finden kann, das, worauf man zeigen kann, die Grundlage für die Bezeichnung „ich“. Man kann dafür lediglich das geistige Bewusstsein angeben, denn das geistige Bewusstsein ist das, was sich von einem Leben zum anderen fortsetzt. Man muss nämlich etwas finden, das immer da ist als Grundlage für die Bezeichnung. Und was immer vorhanden ist, ist das geistige Bewusstsein; da kann man also das „Ich“ finden. Da kann man auf das Objekt zeigen, auf das sich das Wort „ich“ bezieht.

Kommen wir nun zu den Mahayana-Schulen. Jetzt fangen wir an, über unmögliche Arten und Weisen zu sprechen, die angeblich beweisen, dass etwas existiert. Obwohl es so erscheinen mag, dass dem so sei, ist es nicht möglich. Wir kommen jetzt zu der unmöglichen „Seele von Personen“.

Chittamatra

Im Mahayana-Buddhismus besprechen wir als Erstes die Chittamatra-Schule. Dort wird gesagt: Ja, wir stimmen dem zu – wovon man sich befreien muss, ist die unmögliche grobe und subtile Art „Seele“, wie sie im Hinayana definiert wird. Wird man diese Art von Greifen nach etwas los, so ist man befreit. Aber um Erleuchtung zu erreichen, muss man die Leerheit aller Phänomene verstehen. Im Chittamatra-System heißt es: Es gibt hier zwei Ebenen. Was ist eine unmögliche Art, zu beweisen, dass gültig erkennbare Phänomene existieren? Unmöglich ist, dass beim Erkennen von etwas – wobei der Geist ja ein mentales Hologramm davon hervorbringt –, das erscheinende Objekt aus seiner eigenen unabhängigen äußeren Quelle stammt.

Was beweist, dass etwas existiert? Der Hinayana-Buddhismus vertritt den Standpunkt vertreten: „Das Ding existiert objektiv da draußen, bevor ich es sehe und auch ohne dass es jemand erkennt.“ Die Quelle des mentalen Hologramms kommt also von dem Ding, das bereits da war, und zusätzlich von meinem Karma. Im Chittamatra stellt man sich die Frage: „Woher weiß man das?“ Woher weiß man, dass in einem Zimmer, in dem niemand ist, Möbel sind, ein Bett zum Beispiel? Was beweist denn, dass es da ist? Das Einzige, was beweisen würde, dass es da ist, wäre, dass jemand die Tür aufmacht und es sieht. Nur wenn ich tatsächlich ein geistiges Hologramm davon habe oder jemand anderes, der in das Zimmer geht, kann bewiesen werden, dass es existiert. Man kann nicht beweisen, dass es existiert, indem man sagt: „Nun, es ist objektiv da, bevor irgendjemand es weiß.“ Es ist also keine objektive Realität vorhanden.

Nehmen wir einmal an, dass mitten im Zimmer ein Esel steht und wir im Kreis um ihn herum sitzen, und jeder macht mit einer Polaroid-Kamera ein Foto. Jedes Foto ist anders. Und wie sieht der Esel wirklich aus? Es ist nicht objektiv. Es ist nicht so, dass er auf eine bestimmte Weise aussieht, die getrennt davon wäre, dass irgendjemand ihn sieht. Das ist unmöglich. Alles, was man sagen kann, ist, dass die Quelle der Erscheinung von etwas aus karmischen Tendenzen herrührt. Das ist also laut Chittamatra die Quelle des Objekts, das im Geist erscheint – das ist im Grunde die Quelle des Hologramms. Und das Erkennen des Hologramms stammt aus einer karmischen Tendenz. Das ist alles, was man darüber sagen kann, wo es herkommt. Natürlich haben wir auch gemeinsames Karma, sogenanntes kollektives Karma. Wir sind alle im selben Zimmer, aber was wir sehen, ist nicht dasselbe, keiner sieht dasselbe wie jemand anders. Aber wir sagen – und das ist wie eine Illusion –, dass wir alle im selben Zimmer sind. Kollektiv sind wir alle im selben Zimmer, aber was wir erfahren, was wir sehen, was wir hören – das sind alles ganz individuelle geistige Hologramme.

Hier wird die Sache also sehr viel subtiler. Alle sehen mich, aber jeder sieht etwas anderes. Was erscheint, kommt von der jeweils eigenen Seite: von der Seite des Geistes. Aber man kann nicht sagen, dass ich nur im Geist einer jeden Person existiere. Das, was erscheint, kommt aus ihrem Geist. Aber wenn ich nur in ihren Köpfen existieren würde, dann gäbe es so viele Alexe, wie Leute im Zimmer sind – das ist absurd. Es ist also wie eine Illusion, dass ihr alle dieselbe Person seht, die hier sitzt. Dennoch könnt ihr mich alle sehen. Ich rede mit euch – jeder hört etwas anderes und behält etwas anderes im Gedächtnis. Es ist wie eine Illusion. Das muss man erstmal verkraften!

Aber es wird trotzdem gesagt, dass es eine feste Linie um mich herum gibt und man mich finden kann. Das, als was man die Person oder sich selbst finden kann, ist das sogenannte Alayavijnana: das Speicherbewusstsein, das Grundlagenbewusstsein, so heißt es in diesem System. Ich werde nicht näher darauf eingehen, was das ist, denn das ist eine lange Diskussion, aber es ist etwas noch Subtileres als das geistige Bewusstsein. Es ist das, was die karmischen Tendenzen weiterträgt, und deswegen ist es so wichtig. Das ist es, was hier angeführt wird.

Das Chittamatra-System beinhaltet noch einen anderen Punkt, der auch ein kleines bisschen in Richtung Prasangika weist. Dabei geht es um die zweite, die subtilere Art von unmöglicher „Seele“. Im Hinayana-Buddhismus sagt man: Dasjenige, was begründet, dass etwas existiert, ist ein charakteristisches Merkmal auf Seiten des Objekts, das es zu einem erkennbaren Ding macht, etwa so wie eine feste Umrandungslinie. Zur Veranschaulichung verwende ich das Bild, dass auf Seiten des Objekts quasi Haken vorhanden sind, charakteristische Merkmale, für jeden Namen, den man dafür gültig verwenden kann. So als gäbe es irgendwo in mir einen Haken für das Wort oder Etikett „Alex“ oder (einen anderer Haken) für „Alexander“, noch einen anderen Haken für „Alejandro“, einen weiteren Haken für „Berzin“, einen anderen Haken für „Fiffi, der Hund“, einen Haken für „Person“, einen Haken für eine Farbe – einen Haken für jede Eigenschaft und jeden Namen in jeder Sprache, der dafür sorgt, dass ich Alex bin oder dass ich Alejandro bin oder ein netter Mensch oder eine Person, und durch welchen das begründet ist. Die Chittamatra-Schule aber sagt: „Ach was, das kann nicht sein! Die Dinge wären dann ja gesteckt voll mit Haken. Nein, es gibt keine Haken auf Seiten des Objekts. Die Namen und Eigenschaften usw. sind eben einfach anwendbar. Es ist nicht so, dass da auf Seiten des Objekts einen Aufhänger gibt, der es ermöglicht, dort einen Namen anzubringen.“

Der Hinayana-Standpunkt ist eigentlich gar nicht so weit hergeholt. Ich meine, wie kommt es denn, dass man den Dingen verschiedene Namen geben kann, und dann auch noch in verschiedenen Sprachen? Dies ist ein „Tisch“, ein „mesa“; es ist „ein Stück Sperrmüll“, es ist eine „Antiquität“, es ist „schön“, es ist „hässlich“. Wie kommt es, dass man all diese Wörter dafür verwenden kann und sie alle gültig sind? Das ist nicht bloß willkürlich. Könnte man auch sagen: Das ist ein „Hund“? – Nein, ein Hund ist es nicht. Also müssen passende Haken daran sein. Man kann relative Beurteilungen abgeben: es ist ein „Stück Sperrmüll“ oder eine „schöne Antiquität“ – beides ist darauf anwendbar, aber nicht „Hund“. Was ist es also? Ist dies ein Tisch oder ist dies ein mesa? Das ist eine interessante Frage. Und auf welcher Seite ist es ein Tisch oder ein mesa – auf Seiten des Objekts oder auf Seiten des Geistes, der es benennt? Was beweist, dass es ein Tisch ist? Was beweist, dass es ein mesa ist? Um zu begreifen, worum es im Buddhismus bei der Leerheit eigentlich geht, muss man wirklich dieses Konzept verstehen, wodurch begründet wird, dass etwas als dies oder jenes existiert. Was beweist, dass es überhaupt existiert? Im Chittamatra-System heißt es: Klar, es gibt eine Linie um das Objekt, auf Seiten des Objekts, die es erkennbar macht, aber was begründet, dass es ein Tisch oder ein mesa ist, das hat mit dem geistigen Benennen zu tun. Doch es ist nicht bloß ein geistiges Etikett, denn es funktioniert ja tatsächlich. Es ist nicht so, dass wir etwas geistig benennen und zu einem erkennbaren Objekt machen – gemäß Chittamatra ist es nicht nur etwas geistig Benanntes. Es gibt irgendetwas auf Seiten des Objekts, das dies begründet; es ist nicht bloß so, dass es geistig als ein erkennbares Objekt benannt werden kann. Es ist ein erkennbares Objekt – von seiner eigenen Seite aus –, auch wenn seine Erscheinung auf Karma beruht.

Fassen wir den Chittamatra-Standpunkt zusammen: Wir haben karmische Tendenzen, oft auch „karmische Samen“ genannt. Karmische Tendenzen bringen ein mentales Hologramm hervor. Und was das Objekt betrifft, das hervorgebracht wurde, also die Erscheinung, so kommt sie von Seiten des Geistes. Was da erschienen ist, hat eine feste Linie um sich herum. Doch wie ich es nenne, das ist etwas anderes. Auf Seiten des Objekts ist nichts vorhanden, an das man die Wörter hängen kann. Unabhängig davon, ob ich es kenne oder nicht, es taucht immer mit einer Linie drumherum auf. Und es funktioniert. Das begründet auch, dass es real ist – nicht so wie eine Kategorie. Wenn ich ein Stück Papier auf den Tisch lege, fällt es nicht hindurch.

All diese Erklärungen brauchen ein bisschen Zeit, aber ich denke, es ist gut, sie vollständig darzulegen, sodass ihr ein Gesamtbild habt, mit dem ihr arbeiten könnt. Dieses Chittamatra-System ist wirklich überaus tiefgründig. Und seine eigentliche Bedeutung im Zusammenhang mit unserem Vorgehen hier besteht darin, dass wir nun anhand der Chittamatra-Aussagen verstehen, dass die Erscheinung der Dinge nur von Seiten des Geistes kommt. Es ist also wie eine Illusion, dass das von außen kommt. Wenn wir damit klarkommen, bereitet uns das auf die Prasangika-Sichtweise vor, in der es dann heißt: „Das ist noch nicht ganz richtig“. Im Chittamatra-System wird gesagt, dass die Erscheinung nicht von Seiten des Objekts erwiesen oder begründet ist, sondern nur von der Seite des Geistes her. Wenn wir das verstehen und uns damit beschäftigen, dann ebnet das den Weg für das Verständnis, dass dasjenige, was die Existenz von etwas beweist, gar nicht auf Seiten des Objekts besteht, sondern ganz von Seiten des Geistes kommt. Es bereitet uns darauf vor. Es ist dann leichter zu verstehen.

Svatantrika-Madhyamaka

Nun zum Svatantrika-Madhyamaka. Zuvor hatten alle anderen Schulen den Standpunkt vertreten: „Nur einige Phänomene sind zugeschrieben.“ Dann entstand die Madhyamaka-Philosophie, und beide Unterarten davon sagen: „Oh nein – was begründet, dass alles existiert, ist, dass es zugeschrieben ist, man kann es zuschreiben, es kann bezeichnet werden.“ Dass es zugeschrieben werden kann, trifft also auf jedes Phänomen zu. Was unmöglich ist, ist, dass es eine Existenz hat, die nicht zugeschrieben ist. Was unmöglich ist, ist, dass es objektiv existiert: es funktioniert und das beweist, dass es existiert, unabhängig davon, dass es geistig benannt werden kann. Beide Unterarten des Madhyamaka aber sagen: „Nein nein, es ist alles seinen Teilen usw. zugeschrieben. Alles – auch ein Tisch zum Beispiel wird seinen Teilen und Ursachen usw. zugeschrieben.“

Hier wird also der Zuschreibung eine viel größere Bedeutung beigemessen. Nicht nur, dass Namen und Kategorien zugeschrieben werden, sondern: Alles ist zugeschrieben. Die anderen Schulen hatten behauptet, dass die Linie, die etwas von allem anderen abhebt, nichts Zugeschriebenes ist. Im Chittamatra-System hieß es: „Nur die Namen, die Kategorien, sind zugeschrieben, aber die Linie, die etwas kennzeichnet, also die ist vorhanden, und zwar auf Seiten des Objekts.“

Im Madhyamaka hingegen heißt es nun: Das, was beweist, dass etwas existiert, ist, dass es bezeichnet werden kann, mit einem Namen benannt werden kann. Ein erkennbares Objekt. Alle anderen Schulen außer Madhyamaka sagen: „Ob man etwas nun einen Namen gibt oder so etwas, das begründet nicht, dass es existiert. Die Dinge existieren. Nur die Kategorien, die sind zuschreibbar. Der tatsächliche Tisch, dieser Tisch, ist nichts, das zuzuschreiben wäre. Die Kategorie ‚Tisch‘, ja, die ist etwas Zugeschriebenes. Woher weiß ich, dass es einen Tisch gibt? Doch nicht nur, weil ich ihn ‚Tisch‘ nennen kann. Da ist ein Tisch vorhanden, er funktioniert. Bei Kategorien ist das etwas anderes, sie funktionieren nicht, sondern es ist nur so, dass sie sich auf etwas beziehen und dafür verwendet werden können.“ Doch die Madhyamaka-Schulen betonten: „Man kann nicht begründen, dass etwas existiert, unabhängig von einem Namen oder einem Begriff. Ich weiß, dass es Tische gibt, weil ich Tische benennen kann; sie sind das, worauf sich der Name, der Begriff bezieht.

Das Svatantrika-System, die eine der beiden Unterart des Madhyamaka, vertritt dabei folgende Position: Was begründet, dass Dinge existieren, ist, dass man ihnen Namen geben kann – aber es gibt dennoch eine Linie um die Dinge herum, und es gibt sogar etwas an den Dingen, das weiter oben als eine Art Haken beschrieben wurde. Dinge existieren nicht unabhängig von den Begriffen – wie könnte man denn begründen, dass Tische existieren, unabhängig von dem Begriff „Tisch“? Das kann man nicht. Die früheren Schulen behaupten, man könne begründen, dass Tische existieren, unabhängig von dem Begriff „Tisch“. Aber das ist unmöglich. Wovon redet ihr denn? Was begründet ihr? Es kann nur im Zusammenhang mit Wörtern begründet werden. Woher weiß ich, dass diese Tische existieren? Nun, weil es das Wort „Tisch“ gibt. Was sind Tische? Das, worauf sich das Wort bezieht. Wenn es das Wort „Tisch“ nicht gäbe, wie würde ich dann wissen, dass es Tische gibt? Es ist wie eine Illusion, dass Dinge unabhängig existieren – dass das, was die Dinge begründet, unabhängig von Benennungen wäre.

Das Svatantrika-System vertritt also die Ansicht, dass es nicht nur das allein sein könne und dass es auch noch etwas auf Seiten des Objekts geben müsse. Eine Linie um das Objekt herum und ein Haken für die Bezeichnung „Tisch“ usw. Beides wirkt zusammen, in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander: Es gibt das Wort“ Tisch“ und es gibt etwas auf Seiten des Objekts, das es zu einem Tisch macht. Es gibt etwas an mir, das mich zu „mir“ macht und nicht zu „dir“. Etwas auf meiner eigenen Seite. Es gibt etwas auf Seiten jener Person, die ein Auto fährt und hupt und versucht, mich auf der Straße zu überholen, das diese Person zu einem Idioten macht. Natürlich ist sie ein Idiot im Sinne des Begriffs „Idiot“, aber auf jeden Fall ist da auch etwas auf Seiten dieser Person, das mit ihr nicht in Ordnung ist, das sie zu einem Idioten macht – sodass ich sie tatsächlich „Idiot“ nennen kann, weil sie fährt wie ein Idiot.

Im Madhyamaka gilt die Auffassung: „Es geht ja nur im Sinne des Begriffs, dass du sagen kannst, er sei ein ‚Idiot‘.“ Im Svatantrika wird allerdings gesagt, dass es auf Seiten des Objekts auch noch etwas geben muss, das dazugehört. Und was „mich“ betrifft – man kann mich tatsächlich finden. Was macht mich speziell „mich“? Irgendetwas Besonderes – was für eine Art besonderes Ding in mir macht mich einzigartig? Hier kommen die Vertreter des Svatantrika zurück auf das geistige Bewusstsein; das ist also die Grundlage – das kann man immer finden und darauf zeigen – das ist „ich“. Das Bezugsobjekt für die Bezeichnung kann man finden, man kann darauf zeigen. Es befindet sich auf Seiten des Objekts. Man kann auf das geistige Bewusstsein zeigen als auffindbare Grundlage, die das charakteristische Merkmal für „mich“ hat.

Prasangika-Madhamaka

Nur wenn wir mit unserem Verständnis Schritt für Schritt bis an diesen Punkt gekommen sind, können wir weitergehen zum Prasangika. Wir haben bereits verstanden, dass das „Ich“ etwas Zugeschriebenes ist und nicht allein für sich selbst erkannt werden kann. Wir wissen etwas über Erscheinungen. Wir haben einiges über Kategorien erfahren. Wir haben etwas allgemeine Kenntnis von geistigem Bezeichnen erlangt. Und wir haben von jenen Haken usw. gehört. Im Prasangika-System wird nun die Ansicht vertreten, dass auch im Zusammenhang mit geistigem Bezeichnen nichts auf Seiten des Objekts vorhanden ist, das es begründen, das beweisen würde, dass es existiert. Was begründet, dass es einen Tisch gibt? Nun, die Tatsache, dass es einen Begriff von „Tisch“ gibt, die Tatsache, dass es das Wort „Tisch“ gibt und dass es anwendbar ist. Nicht von der Seite des Objekts her wissen wir, dass es gültig anwendbar ist – nur von der Seite des Geistes aus wissen wir, ob es eine gültige Bedeutung hat oder nicht. Ob es also korrekt ist oder nicht, gültig oder nicht, ist begründet durch verschiedene Kriterien seitens des Geistes. wir gehen jetzt hier nicht weiter darauf ein.

Wenn wir dies korrekt verstanden haben, dann wissen wir, dass die Bezeichnung „ich“ mich nicht erschafft. Und ich kann mich erkennen – natürlich muss ich den Körper oder so etwas erkennen, um mich zu erkennen. Und wir können etwas erkennen, ohne ihm einen Namen zu geben, wir können etwas auch ohne Begriffe erkennen. Aber das, was begründet, was beweist, dass Dinge existieren, ist, dass es Namen und Begriffe dafür gibt – die Dinge sind das, worauf sich diese Namen unter Begriffe beziehen. Doch das, worauf sie sich beziehen – das Bezugsobjekt des Namens oder des Begriffs – kann man nicht finden. Alle anderen haben gesagt, dass man es auf Seiten der Grundlage für die Bezeichnung finden kann – man findet es als das geistige Bewusstsein oder etwas Ähnliches, etwa die Ansammlung der Teile; jedenfalls findet man es. Nun kommen die Vertreter der Prasangika-Schule und sagen: „Nein, nein – man kann kein Bezugsobjekt finden. Es geht nur mit Namen und Begriffen. Man kann es auf Seiten des Objekts nicht finden.“

Hier geht die Prasangika-Schule wirklich in die Tiefe. Dass es gefunden werden könnte, ist also eine Illusion. Es erscheint so, aber es ist eine Illusion, dass das, was mit dem Namen bezeichnet wird, tatsächlich aufgezeigt werden und als Grundlage gefunden werden kann. Denn auch die Grundlage ist, basierend auf ihren Teilen, benannt und diese wiederum basierend auf ihren Teilen, und so geht es endlos weiter, und dennoch funktioniert alles – wie eine Illusion.

Ich erwarte nicht, und das solltet ihr auch nicht tun, dass ihr all das verstanden habt, was hier zur Sprache kam. Aber ich habe versucht, euch eine ganze Menge Material zu geben, mit etwas genaueren Erklärungen, sodass ihr vielleicht allerhand Denkanstöße erhalten habt. Anhand dieses Materials haben wir auch eine gewisse Vorstellung davon bekommen, dass die Prasangika-Sichtweise überaus tiefgründig ist – nicht bloß die häufig angeführte banale Fragerei: „Könnt ihr denn das „Ich“ in der Nase oder in der Achselhöhle finden?“, sondern einen Eindruck, wie tiefschürfend diese Sichtweise ist.

Lasst uns zum Schluss eine Widmung anfügen: Möge jegliches Verständnis, das wir gewonnen haben, sich immer weiter vertiefen und sich weiterentwickeln und als Ursache dafür wirken, zum Wohle aller Lebewesen Erleuchtung zu erlangen.

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