Shambhala: Mythos und Realität

Die ersten Aufzeichnungen zu Shambhala 

Wenn man das Wort „Shambhala“ hört, bringt das bei vielen Menschen alle möglichen romantischen Bilder und Assoziationen hervor. Ursprünglich entstammt es sowohl hinduistischen als auch buddhistischen Quellen. Die ersten Aufzeichnungen dazu kann man in einem frühen Hindu-Werk, dem „Vishnu Purana“ aus dem 4. Jahrhundert finden. Dort ist von den verschiedenen Zeitaltern die Rede, den vier Zeitaltern des Weltsystems, das mit dem „Kaliyuga“ (dem „Zeitalter des Streites“) endet. Es wird gesagt, dass der achte Avatar, oder die achte Inkarnation Vishnus, in einer Stadt namens Shambhala geboren wird. Er trägt den Namen „Kalki“ und wird ein eindringendes Heer vernichten, das auf Zerstörung aus ist. Nachdem er es vernichtet hat, wird es ein neues goldenes Zeitalter geben und das wird das Ende des Kaliyugas sein.

Einige Jahrhunderte später finden wir Shambalha wieder, diesmal in der buddhistischen Literatur, genauer gesagt, in einer Reihe von Texten, die als die Kalachakra-Schriften bekannt sind. Der Begriff „Kalachakra“ bedeutet „Rad der Zeit“ oder „Zyklen der Zeit“ und in diesen Schriften finden wir eine Variante dessen, was auch in den Hindu-Quellen erwähnt wird. Hier bezieht sich Shambhala auf ein ganzes Land, nicht nur auf ein Dorf, und dort wird es einen König geben, der von dort nach Indien kommt, vom Buddha die Kalachakra-Lehren erhält und sie zurück nach Shambhala bringt. Nach sieben Generationen von Königen wird es dann einen neuen König geben, der alle Kasten des indischen Kastensystems vereinen wird und er wird den Namen „Kalki“, diesen Namen des Vishnu-Avatars, tragen. Er prophezeit, dass es in der Zukunft, also einige Jahrhunderte später, eine Invasion geben wird und alle zusammenhalten müssen, um diese Invasion abzuwehren. Dann gibt es eine wechselnde Abfolge dieser Kalki-Herrscher und der 25. von ihnen – das bezieht sich auf die heutige Zeit, in der diese Invasion durch die Kräfte stattfindet, die darauf aus sind, jegliche spirituelle Praxis zu zerstören – wird durch die Macht Shambhalas diese Eindringlinge bekämpfen und dann wird es wiederum ein neues goldenes Zeitalter geben. Es ähnelt also der anderen Quelle und handelt sich lediglich um eine etwas unterschiedliche Variante dieser Thematik.

Shambhala in den Lehren der Theosophischen Gesellschaft 

Etwas später werden wir einen tieferen Blick auf weitere Ebenen der Bedeutung von „Shambhala“ in den buddhistischen Lehren werfen. Zunächst gilt es jedoch sich vor Augen zu halten, wie es für die frühen Europäer war, die nach Indien kamen und an Fragmente hinduistischer und buddhistischer Literatur herangeführt wurden. Wie war es ihnen möglich, all das zu verstehen? Sie verfügten nicht über die Vorteile, die wir heutzutage in Form von übersetzten Schriften und Werken haben. Im Grunde waren es diese Menschen, welche die ersten Wörterbücher für Sanskrit und die tibetische Sprache erstellten und es waren wirklich große Pioniere. Sie versuchten aus dem Wenigen, das sie hörten und schließlich übersetzten, einen Sinn zu machen, aber ihnen stand nicht das Gesamtbild zur Verfügung.

In einer europäischen Sprache wurde also erstmals etwas über Shambhala im Jahre 1833 geschrieben, und zwar von dem großen ungarischen Gelehrten Csoma de Körös. Er ist derjenige, der das erste tibetisch-englische Wörterbuch zusammengestellt hat. Er hatte einen Artikel über Kalachakra verfasst, in dem Shambhala erwähnt wurde und damit konnte jemand in Europa das erste Mal etwas über Shambhala hören. In den folgenden Jahrzehnten finden wir dann etwas mehr darüber. Im Jahr 1863 kam ein Buch von einem Deutschen, Schlagintweit, mit dem Titel „Buddhism in Tibet“ heraus, und darin geht es ebenfalls um Shambhala. Außerdem wurde das „Vishnu Purana“, mit der hinduistischen Version dieser Geschichte, ins Englische übersetzt.

In dieser Zeit ging auch Madame Blavatsky nach Indien. Diese Bücher waren die einzigen europäischen Informationsquellen, die ihr über Shambhala zur Verfügung standen und man muss versuchen, die Situation zu verstehen oder zu schätzen, in der sie sich in Indien wiederfand: Da gab es das Sprachproblem, und es war auch nicht wirklich klar, was nun zum Hinduismus und was zum Buddhismus gehörte. Aber sie war ein großer Pionier und sie versuchte, einige dieser Dinge, die sie gehört hatte, in Begriffen und Konzepten zu erklären, die einer europäischen Zuhörerschaft vertrauter war. In dieser Zeit gab es ein großes Interesse an okkulten Themen und so übersetzte sie Dinge, die sie in der buddhistischen und hinduistischen Literatur fand, auf diese okkulte Weise. Im Grunde war es recht intelligent, diese Themen in Europa mit Konzepten und Ideen vorzustellen, mit denen die Menschen bereits ein wenig vertraut waren.

Was nun die Entwicklung der europäischen Vorstellungen über Shambhala betrifft, können wir sehen, dass es zwei wichtige Linien gab, die sich entwickelten. In der einen ging es darum, Shambhala als eine Art Paradies, ein spirituelles Paradies, darzustellen und in der anderen um die Vorstellung, dass die Mächte Shambhalas die schädlichen Eindringlinge vernichten würden, die versuchten, jegliche spirituelle Praxis zu beseitigen. Das war ein eher destruktiver Aspekt Shambhalas, mit dem die Welt von allem so genannten Bösen gründlich gereinigt werden würde.

Blavatsky betonte hier den ersten Aspekt, in dem Shambhala ein großartiges spirituelles Land darstellt und sie beschrieb es in Bezug auf die gewöhnliche Geografie, die man im Buddhismus und Hinduismus findet – mit dem Berg Meru im Zentrum und den ihn umgebenden vier Kontinente. Auch bringt sie dies mit der Beschreibung der vier verschiedenen Arten der Geburt in Verbindung, die es im Buddhismus gibt: die Geburt durch einen Mutterleib, durch ein Ei, durch Hitze und Feuchte, und durch eine Art der Emanation oder Ausstrahlung. Diese Vorstellung verband sie mit den vier Kontinenten und gab ihnen die Namen der verschiedenen Orte, die man in der okkulten Literatur im Westen kennt, wobei nicht klar ist, welche Literatur ihr dabei genau zur Verfügung stand. Wenn einer dieser Kontinente (Lemuria) sank, zogen die Bewohner laut ihr zu einem anderen Kontinent, den sie Atlantis nannte. Die spirituell Entwickelten begaben sich jedoch an einen anderen Ort, dem so genannten Shambhala. Auf diese Weise ordnete sie Shambhala ein und sagte, es wäre eine heilige Insel in der Wüste von Gobi. Sie behauptete nicht, Shambhala sei die Quelle ihrer Lehren „The Secret Doctrine“, aber ihre Anhänger, insbesondere Alice Bailey und Helena Roerich sagten, die geheimen Lehren kämen von den Meistern in Shambhala. Wir sollten nicht vergessen, dass ihnen in der Zeit keine anderen Informationen aus buddhistischen oder hinduistischen Quellen zur Verfügung stand, sodass sie die Vorstellung von Shambhala im Rahmen ihrer eigenen Herkunft weiterentwickelten.

Shambhala in Bezug auf Russland 

Auf der tibetischen Seite war man natürlich mit Shambhala durch die Kalachakra-Literatur vertraut, und in diesen Werken ist auch davon die Rede, wo sich Shambhala befindet: es ist ein Land im Norden. Der 13. Dalai Lama hatte einen burjatischen Ratgeber – sein Name war Agvan Dorjiev – und es war die Zeit (Anfang des 20. Jahrhunderts), als die Russen, die Briten und die Chinesen um die Kontrolle von Zentralasien, einschließlich Tibet, kämpften. Dorjiev versuchte den 13. Dalai Lama zu überzeugen, dass sein bester Schutz Russland war und so sagte er diesem damaligen Dalai Lama, Russland wäre Shambhala, Zar Nikolas II. wäre die Reinkarnation Tsongkhapas, des großen tibetischen Meister des Buddhismus und die Romanow-Dynastie wären Nachkommen der Herrscher Shambhalas. Und obwohl der 13. Dalai Lama große Hoffnungen in den Schutz durch Russland hegte, willigte der Zar niemals wirklich ein. Dennoch wurde aufgrund aller Bemühungen Dorjievs ein Tempel in Sankt Petersburg gebaut.

Shambhala und Agharti 

Gehen wir etwas weiter in der Geschichte zu der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und hier kommt eine weiter okkulte Besonderheit hinzu. In zwei französischen Romanen aus dem 19. Jahrhundert wurde über einen Ort namens Agharti gesprochen und dabei handelte es sich um ein unterirdisches Reich, in dem okkultes Wissen bewahrt wurde, aus dem Wesen kamen, die der Welt in einem Krieg halfen, Materialismus und Zerstörung zu überwinden. 

Kurz nach der Revolution überzeugte ein polnischer Kapitän names Ossendowski in der Mongolei den Baron von Ungern-Sternberg, der in der Mongolei versuchte, jede Menge Schaden anzurichten, in der Mongolei nach Agharti zu suchen. Wie gesagt, befand sich Shambhala laut Madame Blavatsky in der Mongolei, in der Gobi. Das war dann der Beginn dieser Expeditionen, um entweder Shambhala oder Agharti – diese beiden wurden aus irgendeinem Grund in einen Topf geworfen – in der Mongolei oder irgendwo in Zentralasien zu finden.

Die Roerichs, Shambhala und Agni-Yoga 

Der nächste, der sich auf eine Expedition machte, war ein Russe, Nikolai Roerich (seine Frau, Helena Roerich, hatte das Buch „The Secret Doctrine“ von Blavatsky ins Russische übersetzt). Von 1925 bis 1928 leitete er eine Expedition in das Altai-Gebirge, um Shambhala zu finden. Er schaffte ein spirituelles System namens „Agni-Yoga“ (Agni ist das Sankrit-Wort für Feuer). Und er sagte, Shambhala wäre die Quelle aller indischen spirituellen Lehren und richtete sich besonders auf die in den „Veden“, der frühsten hinduistischen spirituellen Tradition Indiens, erwähnten Kraft des Feuers (Agni) zur Reinigung. Er gründete also dieses spirituelle System und stellte Gebete zur Reinigung und für den Frieden in den Vordergrund, in denen man entweder Jesus, Mohammed oder Buddha als spirituellen Anführer wählen konnte. Shambhala repräsentiert in alledem die vollkommene Verkörperung eines Landes des Friedens und der spirituellen Praxis.

Steiner, Anthroposophie und Shambhala 

Dann haben wir Rudolf Steiner, einen Deutschen, der die theosophische Bewegung verließ, weil er nicht mit Krishnamurti als neuen Messias einverstanden war. Laut ihm würde Christus das Land Shamballa (Shambhala) mit der zweiten Wiederkunft offenbaren und Maitreya wäre dann die spirituelle Autorität Shamballas. Im Buddhismus ist Maitreya der zukünftige Buddha und er bezeichnet Maitreya als Antichristen und bringt ihn mit Luzifer in Zusammenhang. Luzifer ist einer der Namen des Teufels.

... und er [Maitreya] wird die Welt des Missverständnisses der christlichen Lehren reinigen und die wahre Botschaft Christi lehren. Steiners Anhänger gründeten die so genannte Anthroposophische Gesellschaft.

Hier sehen wir eine kleine Bewegung, hin zu dem anderen Aspekt der Vorstellung Shambhalas in Bezug auf die Zerstörung, in diesem Falle sogar durch Luzifer, der falsche Ansichten vernichten und die wahren Lehren zurückbringen wird. Hier darf man wiederum nicht vergessen, dass sich all diese Bewegungen in einer Zeit entwickelten, in der den Menschen kaum andere Informationen zur Verfügung standen, und so versuchten sie, die wenigen Dinge, die sie in den Traditionen des Hinduismus und des Buddhismus gelernt hatten, anzupassen, um den Menschen in dieser Zeit zwischen den Weltkriegen zu helfen, mit all den Schwierigkeiten klarzukommen.

Alice Bailey und die „Shamballa-Kraft“ 

Kommen wir als nächstes zu Alice Bailey. Alice Bailey war eine Person, die versuchte, eine Anführerin der Theosophischen Bewegung zu werden, aber sie musste sich gegen Annie Besant geschlagen geben und gründete daraufhin in Amerika den „Lucifer Trust“. Durch Steiner gab es ja eine Verbindung zwischen Luzifer und Shamballa (Shambhala). Sie hatte also den Lucifer Trust gegründet und sagte, Shamballa wäre die Quelle „kosmischen Feuers“, die sie als „Shamballa-Kraft“ bezeichnete. Sie verband diese Kraft mit Luzifer und sagte, es wäre eine zerstörerische Kraft, die einem ermöglichte, degenerierte Lehren zu beseitigen und das neue Zeitalter zu etablieren. Durch sie kam diese Vorstellung des neuen Zeitalters (New Age, das Wassermann-Zeitalter) zustande und diese ganze New-Age-Bewegung ist durch ihre Vorstellungen entstanden. Was wirklich interessant ist: laut ihr konnte man die Shamballa-Kraft entweder für das Gute oder für das Böse nutzen und das bringt uns zu unserem Film „Star Wars“, in dem die Kraft für die gute oder die böse und dunkle Seite genutzt werden kann. Diese Ideen hatten ihren Ursprung in Alice Bailey. Nach dem Zweiten Weltkrieg behauptete Alice Bailey, Hitler hätte die Shamballa-Kraft als Werkzeug für die dunkle Seite genutzt.

Das Interesse der Nazis an Shambhala 

Dann gab es jede Menge Leute (ich will sie gar nicht alle aufzählen), die versucht haben die Faszination der Nazis mit dem Okkulten und der Suche nach einer besonderen Kraft, die sie „Vril“ nannten, mit Shambhala in Verbindung zu bringen. Dazu gibt es jede Menge Literatur und einige schrieben über Vorstellungen, die sie über Agharti hatten – ein unterirdisches Shambhala – und schließlich gab es auch das Konzept fliegender Untertassen, die sich im unterirdischen Shambhala befanden und nach oben kamen, um die Kräfte des Bösen zu besiegen. Und natürlich schickten die Nazis in den späten Dreißigern eine Expedition nach Tibet. Das war, als sie damit begannen, die Größe des Kopfes der Menschen in Zentralasien zu messen, um zu versuchen, einen gemeinsamen Ursprung der arischen Rasse zu beweisen. Laut ihnen gab es einen Zweig in Deutschland und einen anderen in Japan, und somit eine Art Bündnis zwischen den Deutschen und den Japanern. Natürlich gab es dann manche Menschen, die spekulierten, diese Expedition hätte die geheime Mission zu versuchen, Shambhala in Tibet ausfindig zu machen.

Wir können sehen, dass sich mannigfaltige Ideen um die Geschichte Shambhalas in unserer westlichen, in unserer europäischen Literatur entwickelten. In vielen okkulten spirituellen Traditionen des Westens wurde Shambhala fast als Rechtfertigung für die Reinheit ihrer Lehren benutzt, indem man behauptete, sie hätten ihren Ursprung in Shambhala. Wie gesagt betonten manche die Seite des großartigen spirituellen Paradieses und andere diese destruktive Natur Shambhalas, mit der degenerative Vorstellungen vernichtet und das neue goldene Zeitalter herbeigeführt werden würde. Es gab also diese Entwicklung des so genannten „Shambhala-Mythos“. Ich glaube jedoch, es ist sehr wichtig sich darüber bewusst zu sein, dass es sich bei den spirituellen Traditionen, die Shambhala als ihre Quelle betrachten, nicht um etwas Nutzloses handelt, nur weil wir hier im Zusammenhang mit dem Bild von Shambhala, das wir durch diese verschiedenen okkulten Bewegungen des Westens bekommen, das Wort „Mythos“ benutzen. Versuchen wir allerdings dieses Konzept von Shambhala – diese verschiedenen Bilder, die wir durch all diese westlichen okkulten Bewegungen bekommen – für sich selbst zu betrachten, können wir erkennen, dass es sich von der ursprünglichen Vorstellung des Hinduismus und des Buddhismus unterscheidet, obwohl es natürlich auch ein paar Ähnlichkeiten gibt.

Buddhistische Berichte über Shambhala 

Lasst mich nun ein wenig dazu sagen, wie Shambhala in der buddhistischen Literatur in Erscheinung tritt und welchen Platz es dort einnimmt. Diese Literatur gehört, wie bereits erwähnt, zum „Kalachakra-System“ (Zyklen der Zeit). Dieses System tauchte in Indien, vom Blickwinkel der buddhistischen Geschichte, erst ziemlich spät auf. Es ist schwer, dies genau zu datieren, aber ich würde sagen es war so in der Zeit des 9. oder 10. Jahrhunderts. Und obwohl man nicht wirklich sagen kann, wo es genau in Erscheinung trat, denke ich, dass es sich um diese Region des heutigen östlichen Teils von Afghanistan, Nord-Pakistan, bis hin nach Kaschmir handelt.

Wollen wir es geschichtlich betrachten, gibt es natürlich die buddhistische Version der Geschichte und die eher wissenschaftliche, buddhologische Sichtweise. In der buddhistischen Geschichte ist davon die Rede, dass Buddha selbst die Kalachakra-Schrift gelehrt hat, und das war vor einer sehr langen Zeit. Die Datierung des Buddhas im Kalachakra-System unterscheidet sich von der Datierung, die wir sonst finden: rechnen wir nach, kommen wir auf 880 v. u. Z., was sehr lange her ist. Zu dieser Zeit war Shambhala ein Land im Norden und der König von Shambhala kam, wie bereits erwähnt, nach Indien, wo Buddha die Lehren erteilte und brachte sie zurück nach Shambhala, wo sie sich entfalteten.

Und wie zuvor erwähnt, gab es nach sieben Generationen von Königen eine Linie von Königen, dessen erster den Namen Kalki trug. Kalki bedeutet „Einiger (oder Bewahrer) der Kasten“. Er lebte in einem Königreich, in dem es Menschen gab, die vielen verschiedenen Religionen folgten – Hinduismus, Buddhismus, und es gab auch Muslime. Aus diesem Grund kann man es aus buddhologischer Sicht mit diesem Gebiet (Afghanistan/Pakistan/Kaschmir) in Verbindung bringen, denn die Bevölkerung bestand aus diesen Gruppen und das Gebiet befindet sich nördlich von Zentralindien.

In dieser Zeit warnte der König – der erste Kalki – davor, dass es in der Zukunft eine Invasion geben würde. Und wenn die ganze Gesellschaft in Kasten aufgeteilt wäre – die Menschen nicht einmal zusammen essen und erst recht nicht miteinander kooperieren – würde man keine Chance gegen diese destruktiven Kräfte haben. Um also Frieden im Land zu bewahren, müssten alle in einer Kaste zusammen leben. Er brachte sie also im Kalachakra-Meditationssystem, in einer so genannten Initiation oder Ermächtigung, zusammen, denn alle, die eine Ermächtigung (oder Initiation) zusammen empfangen, werden zu „Vajra-Brüdern und -Schwestern“ und auf diese Weise zu einer Familie. Daraufhin entfalteten sich die Lehren, denn zu diesem Krieg und der Invasion kam es erst 25 Generationen später, in der Zukunft. All das fand in der entfernten Vergangenheit statt, sieben Generationen nachdem Buddha erschienen war, also noch immer in der Zeit vor unserer Zeitrechnung. Wir haben also diese Kontinuität der Linie dieser Kalki-Könige und es gab 25 von ihnen.

Irgendwie hörten die buddhistischen Meister in Indien davon, von Shambhala und diesen Kalachakra-Lehren, und so begaben sich zwei indische Meister auf den Weg, um Shambhala zu finden. Diese Tradition von Roerich und den Leuten, die auf der Suche nach Shambhala waren, ist also nichts Neues. Was aber interessant ist: diese zwei Expeditionen mit den buddhistischen Meistern aus Indien kamen nie in Shambhala an. Der erste gelangte bis zu den Bergen des Himalaya, woraufhin einer der Kalki-Herrscher eine Ausstrahlung Manjushris – einer anderen buddhistischen Figur, die Weisheit, das unterscheidende Gewahrsein Buddhas, verkörpert – entsandte und Manjushri offenbarte die Kalachakra-Lehren dem indischen Meister namens Chilupa. Zwei Generationen später gab es einen weiteren Meister in Indien, dessen Name Kalachakra-pada der Ältere war und auch er machte sich auf, um Shambhala zu finden. Ihm erschien ebenfalls in der Himalaya-Region eine Vision, die von einem anderen dieser Kalki-Könige entsandt wurde und ihm wurden auch die Kalachakra-Lehren offenbart. Der erste dieser Meister, Chilupa, gab sie seinem Schüler namens Pindo weiter, und Kalachakra-Pada der Ältere schloss sich ebenfalls dieser Übertragungslinie an und so wurden sie vereint und die Überlieferungen in Indien entwickelten sich daraus. Schließlich kamen die Lehren dann nach Tibet und von Tibet gingen sie bis in die Mongolei, nach Burjatien, Kalmückien usw. Lesen wir also, dass Blavatsky geheime Lehren offenbart wurden, ist das nichts Neues in den indischen Traditionen.

Aber das ist die traditionelle buddhistische Erklärung der Geschichte, die von Buddhologen natürlich infrage gestellt wird. Wie dem auch sei, sie scheinen sich in Bezug auf die geschichtliche Zeit einig zu sein, in der diese Literatur erstmals in geschriebener Form erschienen ist. Es gibt also zwei Arten der Erklärung, wobei es bei der einen lediglich um die geschichtliche Darstellung geht.

Drohende Invasion der Fatimiden 

Was den historischen Zeitraum betrifft, in der diese Entwicklungen stattfanden, ist es interessant zu bemerken, dass es sich dabei um den Teil eines großen islamischen Reiches, eines arabisch-muslimischen Reiches, dem so genannten Abbasid-Reich, handelte, dessen Herrscher die Anführer der islamischen Welt waren. In dieser Zeit gab es auch noch eine andere Dynastie, die sich in Ägypten entwickelte, und das waren die Fatimiden, die einen Vasallenstaat hatten, der ihnen auf die andere Seite der Abbasiden in Pakistan (einem Gebiet namens Multan) folgte. Sie wollten die Herrschaft über die islamische Welt übernehmen und befanden sich auf beiden Seiten des Abbasid-Reiches, was zu der großen Angst einer drohenden Invasion führte.

In dieser geschichtlichen Situation hat sich diese Literatur in dem Gebiet entwickelt oder entfaltet. Die Vorstellung von einer Invasion und das Zusammenkommen der Menschen, um sich gemeinsam zur Wehr zu setzen – wovon bereits früher in den hinduistischen Schriften und ebenso in der Kalachakra-Literatur gesprochen wurde – war eine wirklich gute Lehre dieser Zeit. Wenn die Menschen in der Lage sein wollen, einer Invasion gegenüberzutreten und sich gegen sie zu wehren, müssen sie miteinander kooperieren und können keine unterschiedlichen Kasten und Vorstellungen haben, die sie entzweien würden. Es ging nicht darum, alle zum Buddhismus zu bekehren, sondern einfach darum zusammenzuhalten. Diese europäische Vorstellung von Shambhala als ein Land des Friedens und der Eintracht, das zu einer friedlicheren Welt führen kann, hat sogar historisch gesehen seinen Ursprung im 10. Jahrhundert in diesem Gebiet Asiens.

Shambhala auf einer äußeren, inneren und spirituellen Ebene 

In den Kalachakra-Lehren gibt es eine Aufteilung in drei Bereiche. Wie bereits erwähnt, bedeutet Kalachakra „Zyklen der Zeit“ und dabei geht es um äußere, innere und alternative (also spirituelle) Zyklen. Zu allem, was im Kalachakra-System beschrieben wird, gibt es auf jeder dieser drei Ebene Entsprechungen und das bezieht sich auch auf Shambhala. Es gibt also die äußere Ebene Shambhalas, einen Ort, den wir gerade beschrieben haben, an dem die Kalachakra-Lehren bewahrt wurden und sich entfaltet haben, und der sich im Norden befindet. Und was diesen Ort betrifft, da gibt es eine spezifische Position in den geografischen Lehren, denn bei den äußeren Zyklen geht es um astronomische Zeitzyklen, um die Bewegung der Planeten und so gibt es viele Lehren darüber, wie man den Kalender und die Position der Planeten berechnet, und wie alles in Zyklen abläuft. Auch die Geschichte geht Zyklen durch und diese Vorstellung eines Kaliyugas, eines Krieges zum Überwinden dieser destruktiven Kräfte und der Beginn eines neuen, goldenen Zeitalters – all das können wir darin finden.

Shambhala ist der Ort, an dem besondere, spirituelle Lehren bewahrt werden und von dem die Kräfte kommen, um diese Eindringlinge zu bewältigen. In gewissem Sinne handelt es sich um einen reinen Bereich innerhalb des menschlichen Daseinsbereiches. Die Wesen, die dort leben, sind Menschen und befinden sich nicht auf einer übermenschlichen Ebene. Nun stellt sich jedoch die Frage: Handelt es sich um einen tatsächlichen physischen Bereich, zu dem man reisen könnte? Betrachten wir die buddhistische Version der Geschichte, scheint niemand je dort angekommen zu sein, der versucht hatte, dorthin zu gelangen und so kommen die meisten zu der Schlussfolgerung, dass es wohl eher eine Art spirituelles Reich ist, und kein tatsächlicher physischer Ort auf dieser Erde.

Aber manche Menschen waren wirklich dort und das ist nicht so einfach zu verstehen. Mein eigener Lehrer war einer der Lehrer Seiner Heiligkeit des Dalai Lama – sein Name war Tsenshap Serkong Rinpoche – und sein Vater [Serkong Dorjechang] war der berühmteste buddhistische Yogi seiner Zeit und befand sich in der Übertragungslinie der Kalachakra-Lehren; es war eines seiner Fachgebiete. Serkong Rinpoche sagte: „Mein Vater ging dorthin und brachte eine Frucht aus Shambhala, die sich in unserem Haus auf dem Altar befand.“ Wie kann man das verstehen? Auch wenn er sagt, sein Vater brachte eine Frucht aus Shambhala – und ich glaube nicht, dass er lügt – beweist das nicht zwangsläufig, dass es sich bei Shambhala um einen physischen Ort handelt, zu dem man gehen könnte, denn ich glaube nicht, sein Vater reiste mit einer Karawane außerhalb Tibets, um nach Shambhala zu gelangen, sondern tat es offenbar in seiner Meditation.

Normalerweise wird der physische Ort Shambhalas so erklärt, dass es sich dabei um eine Art reinen menschlichen Bereich handelt, der sich nicht in unserer Dimension befindet, es aber Orte auf unserer Erde gibt, die ihn repräsentieren könnten. Denn beispielsweise gibt es auch viele andere heilige buddhistische Orte, wie den „Five Peak Mountain“, an dem Manjushri lebt, der durch einen echten „Five Peak Mountain“ [Wutai Shan] in China repräsentiert wird. Ist das nun der eigentliche Ort, an dem Manjushri lebt? Nein, aber er repräsentiert ihn und es ist ein ganz besonderer Ort.

Betrachten wir nun also die geographischen Lehren im Kalachakra, ist von verschiedenen Regionen weiter nördlich die Rede und die Position wird als Teil der Astrologie und Astronomie in Bezug auf die Messung des kürzesten Tages im Winter angegeben. Wenn man es nachrechnet, kommt man laut den Texten auf einen Breitengrad für Shambhala, der der geographischen Breite des Kailash entspricht, einem Berg, der sowohl für Hindus als auch für Buddhisten heilig ist und das würde einen Sinn ergeben. In den Schriften gibt es auch eine Beschreibung dazu, wie Shambhala geographisch aussieht: es ist ein Tal, das auf allen Seiten von Bergen umgeben ist; und es gibt zwei kleine Seen, mit einem Stück Land in der Mitte, auf dem sich der Palast des Königs befand. Interessanterweise ähnelt das Srinagar-Tal dieser Beschreibung, wenn man sich einmal die Karten von Kaschmir ansieht, und wahrscheinlich war es eine Vorlage. Srinagar ist die Hauptstadt Kaschmirs. Es scheint, als wären verschiedene Teile hinsichtlich der Geographie in Bezug auf den Meru und den Kailash zusammengefügt worden, was schließlich zu dieser Vorstellung geworden ist, die wir von Shambhala haben. Und die Lehren des Zusammenfügens der Menschen in eine Kaste passen sehr in diese Gegend zu der Zeit, denn sie sahen sich tatsächlich mit der Möglichkeit einer Invasion und eines Krieges konfrontiert.

Der Name „Shambhala“ bedeutet „Land der Glückseligkeit“ und diese Bedeutung wird zuweilen auch mit dem Kailash, der Heimat Shivas verbunden, denn Shiva repräsentiert ebenfalls Glückseligkeit. Versuchen wir nun auf der inneren Ebene eine Parallele zu finden, repräsentiert Shambhala das Herz-Chakra, das in manchen Systemen auch mit dem Ort der Glückseligkeit in Zusammenhang gebracht wird. In den inneren Lehren geht es um die Zyklen der Zeit hinsichtlich der Atemzyklen, der Bewegung der Winde oder Energien im Körper; da gibt es eine ausführliche Beschreibung der Chakren, Energiekanäle und Winde. Das wichtigste Chakra ist natürlich das Herz-Chakra, und es wird auf einer inneren Ebene durch Shambhala repräsentiert.

Und dann haben wir noch eine alternative Ebene und sie bezieht sich, wie schon gesagt, auf die Ebene der spirituellen Praxis – insbesondere auf die buddhistische Praxis. Betrachten wir die äußeren und inneren Zyklen, können wir sehen, dass sie sozusagen durch die Kräfte des Karmas gesteuert werden, also durch die Gewohnheiten, Instinkte und Bräuche, die durch Menschen entstanden sind, die in hohem Maße verwirrt sind, was die Wirklichkeit betrifft. Und weil sie verwirrt in Bezug darauf sind, wie sie, wie andere Menschen und wie die Welt existiert, sind sie voller störender Emotionen – Gier, Anhaftung, Wut, Eifersucht usw. – denn sie erkennen nicht, wie alle miteinander verbunden sind. So sind sie egoistisch und denken: „ich muss mir all diese Dinge besorgen“ und „jene Dinge muss ich vermeiden“; wütend und voller Hass meinen sie: „dies bedroht mich“. Aufgrund dessen handeln die Menschen dann destruktiv, sie kämpfen gegeneinander, verletzen sich gegenseitig und dadurch wird das so genannte Karma erschaffen.

Es werden Gewohnheiten und Tendenzen geformt, und so wiederholt sich alles in einem Zyklus. Es geht einfach immer weiter, sowohl äußerlich (in der Welt) als auch innerlich (mit Krankheiten in unserem Körper) – alles ist aus der Balance geraten und es gibt keine Harmonie. All die Leiden und Probleme, die wir sowohl äußerlich (in der Welt) als auch innerlich (in unseren Körpern) haben, werden durch die so genannten „karmischen Winde“, die Energien des Karmas gesteuert, die alle auf Verwirrung beruhen und auf Wut, Hass, Gier usw. zurückzuführen sind. Das Ziel der buddhistischen Praxis, der Kalachakra-Praxis, besteht darin, all diese Energien des Karmas zu überwinden. Das ist der wahre Kampf und die Eindringlinge sind die karmischen Winde, diese Energien des Karmas. Um sich nun von alledem zu befreien und Frieden zu erlangen, muss man es zunächst innerlich angehen und dann wird es sich äußerlich ausbreiten. Wie tun wir das?

Um die Kräfte des Karmas – diese Winde und Energien – zu überwinden, die wie wild durch den Körper strömen, muss man sie alle zusammenbringen. Durch die verschiedenartigen Yoga-Praktiken, die in der Tantra-Praxis ausgeführt werden, arbeitet man daran, all diese Winde und Energien im Herz-Chakra zusammenzubringen, indem man ein korrektes Verständnis der Wirklichkeit, eine korrekte Motivation, eine vollkommene Konzentration und ethische Disziplin entwickelt. Es handelt sich um eine ziemlich fortgeschrittene Praxis, aber es ist die gleiche Vorstellung, die wir von Kalki als Bewahrer (oder Einiger) der Kasten hatten. All diese verschiedenen karmischen Winde, diese Energien des Karmas, die sich im Körper wild durcheinander bewegen, sind wie die unterschiedlichen Kasten, die nicht miteinander kooperieren und in Shambhala bringt man sie alle in einer Kaste zusammen. Im Herz-Chakra geht es nun darum, all diese Winde zusammenzubringen, zu vereinen und in diesem Fall aufzulösen. Wenn man das tut und erfolgreich dabei ist, kommt man zur so genannten subtilsten Ebene des Geistes, die als Geist des klaren Lichts bekannt ist. Dieser Geist des klaren Lichts ist die tiefste, letztendliche Bedeutung Shambhalas, denn mit diesem Geist ist man in der Lage, das vollkommene nicht-begriffliche Verständnis der Wirklichkeit, sowie tatsächlich Befreiung und Erleuchtung zu erlangen. Das ist die letztendliche Ebene dessen, was Shambhala repräsentiert und im Grunde ist dies das „Land des Friedens“.

Schlussfolgerung 

Durch diese kurze Darlegung können wir sehen, dass es zahlreiche Bestandteile in den eigentlichen Lehren über Shambhala im buddhistischen Kontext gibt und man dadurch verschiedene Aspekte dieser Kalachakra- und Shambhala-Lehren bekommt. Es gibt viele verschiedene Ebenen und die frühen europäischen Pioniere, die nach Indien kamen, konnten nur winzige Teilchen davon zusammentragen. In dieser Zeit standen ihnen ganz einfach nicht die Übersetzungen des Gesamtbildes zu Verfügung und es war nicht ihre Schuld. Sie bekamen eine allgemeine Vorstellung davon, einerseits mit der Darstellung von Shambhala als spirituelles Paradies, als Land des Friedens, was dann auch zu dem Bild von Shangrila führte, das man in dem Roman „Der verlorene Horizont“ von James Hilton finden kann, und andererseits mit dem Konzept von Shambhala als Ursprung des Überwindens der Kräfte der Unwissenheit, im Sinne eines zerstörerischen Krieges, und des Nicht-Spirituellen, sowie der Verbindung zu einem neuen goldenen Zeitalter, entweder im Bezug zur Erleuchtung, zum Ende des Kaliyuga oder was auch immer. All das gab es in den Versionen, die sich im Westen entwickelt haben. Auf diese Weise können wir erkennen, dass Shambhala als Symbol sehr hilfreich und nützlich gewesen ist, sowohl im ursprünglichen indischen Kontext, im Hinduismus und im Buddhismus, als auch in den verschiedenen okkulten Traditionen des Westens, die es beruhend auf diesen frühen Informationen genutzt haben, die ihnen zur Verfügung standen. Es war also in zweierlei Hinsicht hilfreich. Fragen wir uns jedoch, was Shambhala nun wirklich ist, wäre die buddhistische Antwort darauf: „es ist all diese Dinge“, was für einige von uns, mit unserer westlichen Sichtweise, nicht so einfach zu akzeptieren ist, aber all diese Vorstellungen haben eine gewisse Gültigkeit.

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