Die zehn destruktiven Handlungen im Detail

Die zehn destruktiven Handlungen im Detail

Ist es hilfreich für euch, wenn ich weiterhin auf diese Weise zu euch spreche? Man kann den Dharma kann auf viele verschiedene Weisen lehren, deshalb frage ich.

Dr. Berzin: Rinpoche bittet um Rückmeldung. War es für euch bisher angemessen, wie er die Inhalte präsentiert hat?

Wenn ihr damit gut zurechtkommt, würde ich weiter so vorgehen, da es in erster Linie darum geht, euch Dinge zu erklären, die euch von Nutzen sind, um dies insgesamt zu einer nützlichen Erfahrung für euch zu machen. Welche Art von Belehrung auch immer ihr hört, was auch immer ihr über jene vorbeugenden Maßnahmen lernt – hört zunächst zu, denn dann wisst ihr, basierend darauf, was ihr gehört habt, darüber Bescheid und kennt jene Maßnahmen. Weiß man über sie Bescheid, sollte man versuchen, sie alle in die Praxis umzusetzen – damit beschäftigen wir uns hier und heute.

Jene vorbeugenden Maßnahmen lediglich zu kennen, ohne auch nur irgendeine umzusetzen, ist keine große Leistung. Selbst wenn man vorbeugende Maßnahmen ergreifen und praktizieren möchte, kann man dies nicht tun, wenn man nicht weiß, welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Deshalb ist es wichtig, sie sowohl zu lernen und zu kennen, als auch sie in die Praxis umzusetzen. Man muss den Unterweisungen und Erklärungen über jene Maßnahmen zuhören, etwas über sie lernen und sie in die Praxis umsetzen. All dies muss zusammen geschehen: Es ist ein Prozess.

Die drei destruktiven Handlungen des Körpers (Fortsetzung)

Töten unterlassen - Rückblick

Ich habe euch bereits erklärt, was diese destruktive Handlung, das Töten irgendeines Lebewesens, alles beinhaltet. Nach meiner Erklärung wisst ihr also, basierend darauf, was ihr gehört habt, darüber Bescheid. Was habt ihr nun gehört? Alle Nachteile und Probleme, die sich aus dem Töten ergeben, und alle Vorteile und Nutzen, die daraus folgen, wenn man es unterlässt, das Leben eines Lebewesens zu nehmen – darüber wisst ihr jetzt also Bescheid. Und es jetzt, da ihr Bescheid wisst, in die Praxis umzusetzen, würde bedeuten, ein festes Versprechen oder Gelübde abzulegen und zu sagen: ,,Von nun an werde ich nie mehr irgendeinem Lebewesen das Leben nehmen, nicht einmal das eines winzigen Käfers.”

Sich in dieser Weise von dieser Art der destruktiven Handlung zurückzuhalten, würde tatsächlich bedeuten, zu praktizieren. Aber im alltäglichen Leben ist man viel unterwegs und tritt so zwangsläufig auf kleine Insekten auf dem Boden. In diesem Fall geschieht es unabsichtlich, ohne dass man sich dessen wirklich bewusst ist. Man hat doch nicht die Motivation, nach draußen zu gehen, um Insekten zu zertreten. Es geschieht unbeabsichtigt und all jene Faktoren, die eine Handlung des Tötens vervollständigen würden, sind nicht vorhanden. Es ist also etwas anderes.

Es gab einmal einen Schlachter, der zur Zeit des hoch entwickelten Aryas Katyayana lebte. Als er Katyayana traf, legte er ein Gelübde der Zurückhaltung ab und sagte: ,,Ich kann nicht damit aufhören, tagsüber Tiere zu schlachten, aber ich kann das Gelübde nehmen, dies nicht in der Nacht zu tun.” Er versprach also, nie wieder ein Tier nach der Abenddämmerung zu töten, während er am Tag weiterhin schlachtete. Das Resultat dessen war dann, dass er in seinem nächsten Leben während der Nacht – jene Zeit, in welcher er sich vom Töten zurückhielt – alles äußerst gut ging. Er hatte genug zu essen und zu trinken; alles war angenehm und nett. Allerdings attackierten ihn während des Tages die Tiere um ihn herum und alle möglichen wilden Kreaturen versuchten, ihn anzugreifen und zu verletzen – es war einfach schrecklich.

Würde man ein Beispiel wählen, in dem es genau umgekehrt wäre – Töten in der Nacht und Zurückhaltung am Tag – so wäre es während des Tages sehr annehmlich. Man hätte dann viel zu essen und zu trinken; alles wäre sehr angenehm und um einen herum würde sich jeder harmonisch verhalten. Es gab einmal einen Mönch, der eine Person traf, die eine solche Situation erfahren hatte: Am Tag war alles in Ordnung, aber in der Nacht griffen ihn Tiere an. Er fragte den Buddha, was die Ursache dafür sei, und dieser erklärte ihm, dass es das Resultat davon sei, dass er in seinem vorherigen Leben ein Schlachter gewesen war und sich tagsüber davon zurückgehalten hatte, Tiere zu schlachten; nicht jedoch in der Nacht.

Stehlen

Die nächste Art der destruktiven Handlung des Körpers ist das Stehlen – Dinge zu nehmen, die einem nicht gegeben wurden. Dies bezieht sich auf alle Objekte, die einem nicht gehören. Etwas zu nehmen, das einem nicht gegeben wurde, beinhaltet nicht nur den eigentlichen Akt des Stehlens, sondern zum Beispiel auch, ohne zu bezahlen auf einer gebührenpflichtigen Straße durch eine Mautstelle zu fahren. Auch hier nimmt man etwas, das einem nicht gegeben wurde: Es handelt sich also um Stehlen.

Das Resultat bezüglich der Wiedergeburt, die daraus heranreifen wird, ist natürlich genauso wie bei den anderen destruktiven Handlungen: eine Wiedergeburt in einem der schlimmen Wiedergeburtszustände als Höllenwesen, Hungergeist oder Tier. Wenn man dann wieder als Mensch geboren wird, wäre das Resultat, dass man während jenes Lebens extrem arm wäre und man überhaupt nichts besitzen würde. Das wäre die Wirkung, die der Ursache entspricht bezüglich der Erfahrung: Man wäre sehr arm. Das Resultat, das der Ursache entspricht bezüglich späteren unwillkürlichen Verhaltens wäre, dass man sich dann – egal wie reich, gebildet oder geschickt man auch ist – dazu hingezogen fühlen würde, zu stehlen. Bezüglich des übergreifenden Resultats würde man an einem sehr armen Ort wiedergeboren werden, an dem es nie zu passender Zeit regnet und Nahrung und Wasser sehr knapp sind.

Amerika ist zum Beispiel ein sehr reiches Land; es gibt reichlich zu essen und zu trinken. Das ist das Resultat dessen, dass die Menschen, die jetzt dort leben, in ihrer eigenen Vergangenheit nicht gestohlen haben. Wenn ihr also weiterhin in einer reichen Umgebung in einem reichen Land wiedergeboren werden möchtet, müsst ihr euch deshalb vom Stehlen zurückhalten – es unterlassen, etwas zu nehmen, das jemand anderem und nicht euch selbst gehört. Als Resultat dessen, sich vom Stehlen zurückzuhalten, wird man an einem reichen Ort wie diesem wiedergeboren. Das Resultat, das der Ursache entspricht bezüglich der Erfahrung wird sein, dass man sehr wohlhabend sein und alles besitzen wird, was man wollte. Das übergreifende Resultat wird sein, dass auch die Umgebung, in der man wiedergeboren wird, reich und wohlhabend sein wird. Man sollte sich deshalb der Nachteile und Kehrseiten des Stehlens und dessen, ein Dieb zu sein, bewusst sein und über die guten Resultate nachdenken, die es hat, sich davon zurückzuhalten. Wenn man dann ein Gelübde der Zurückhaltung ablegt und verspricht, nie wieder zu stehlen, so wird dies sehr förderlich sein und positive Resultate werden dem folgen.

Der Dharma ist eine spirituelle Praxis, in der es um vorbeugende Maßnahmen bezüglich zukünftiger Leben geht – also ab dem nächsten Leben. Es geht zum Beispiel darum, sich zu überlegen, dass man im nächsten Leben ein langes Leben ohne Krankheit möchte und deswegen vorbeugende Maßnahmen ergreift und sich davon zurückhält, zu töten. Möchte man in zukünftigen Leben reich und wohlhabend sein, wird man deshalb die vorbeugende Maßnahme ergreifen, sich davon zurückzuhalten, zu stehlen und somit etwas zu nehmen, das einem nicht gegeben wurde. Das ist es, worum es geht, wenn wir über die Anwendung der vorbeugenden Maßnahmen des Dharma sprechen.

Unangemessenes Sexualverhalten

Die nächste destruktive Handlung des Körpers ist unangemessenes Sexualverhalten. Dieses schließt beispielsweise Fremdgehen – also sexuelle Beziehungen mit jemand anderem als dem eigenen Partner – mit ein. Das Resultat einer solchen Art des sexuellen Fehlverhaltens wird bezüglich der Wiedergeburt, die heranreifen wird,  sein, dass man beispielsweise als erbärmliche Kreatur in einer schmutzigen Umgebung wiedergeboren wird. Man schaue sich zum Beispiel etliche Insekten und Fliegen an und alles, was ansonsten in Klärgruben und anderen fürchterlich verschmutzten Sümpfen kreucht und fleucht. Solche Lebensumstände wären ein Resultat, welches aus unangemessenem Sexualverhalten heranreift. Das Resultat bezüglich der Erfahrung wird sein, dass, sobald man erneut als Mensch wiedergeboren wird, der eigene Partner untreu ist, man nicht in der Lage sein wird, auf längere Zeit einen Ehepartner zu haben, und man einen unangenehmen Körpergeruch haben wird. Wenn man allerdings unangemessenes Sexualverhalten unterlässt, so wird man einen angenehmen Körpergeruch und eine gute Ausstrahlung haben und eine harmonische Partnerschaft führen.

Wenn wir von Stehlen – etwas zu nehmen, das einem nicht gegeben wurde – sprechen, erinnert euch aus der Analyse der Handlung, dass auch hier vier Dinge zusammenkommen müssen, damit die Handlung vollständig ist. Die Handlung des Stehlens wird vervollständigt, indem man die geistige Einstellung hat bzw. empfindet, dass der gestohlene Gegenstand nun einem selbst gehört. Um die Handlung des unangemessenen Sexualverhaltens zu vervollständigen, wäre es nötig, die Handlung mit dem Erreichen der Glückseligkeit des Orgasmus abzuschließen.

Damit sind die drei destruktiven Handlungen des Körpers abgeschlossen.

Die vier destruktiven Handlungen der Rede

Lügen

Mit der vierten destruktiven Handlung beginnen wir die Kategorie der destruktiven Handlungen der Rede. Es sind vier an der Zahl und die erste ist das Lügen. Die beteiligte Grundlage dessen, worauf sich die Lüge bezieht, ist eine dieser vier: etwas, das man gesehen oder gehört hat; etwas, das man erlebt hat oder etwas, von dem man weiß. Ebenso könnten es die Gegenteile dieser genannten vier sein: etwas, das man nicht gesehen oder gehört hat; etwas, das man nicht erlebt hat und etwas, von dem man nichts wusste.

Beteiligt sein muss ein auseinanderhaltendes Gewahrsein, das das Gegenteil von dem beinhaltet, was man erlebt hat. Das heißt: Es muss einem bewusst sein, dass man etwas gesehen oder gehört hat, aber dann sagt man, dass man dies nicht gesehen bzw. gehört hat. Oder das Gegenteil: Es ist einem bewusst, dass man nichts gesehen hat, aber dann sagt man fälschlicherweise, dass man etwas gesehen hat. Diese Art von Erkenntnis muss vorhanden sein. 

Jegliche Art von Motivation aus den Kategorien Verlangen, Ärger oder Unwissenheit könnte am Lügen beteiligt sein. Dasselbe gilt für alle destruktiven Handlungen; sie können von irgendeinem der drei Geistesgifte – Verlangen, Anhaftung und Unwissenheit - kommen.

Der motivierende Faktor, der das Lügen verursacht, ist die eigene Gewohnheit, zu lügen. Anders gesagt, wenn man andere immer hintergeht und irgendwelche Geschichten erfindet, wird man kraft dessen irgendwann automatisch lügen und so ein zwanghafter Lügner werden. Das Sprechen an sich ist die an der Lüge beteiligte Handlung. Man muss allerdings nicht einmal unbedingt etwas sagen; es könnte genauso gut auch eine Geste, Körperhaltung oder irgendein verbales oder körperliches Zeichen sein.

Abgeschlossen ist die Handlung, wenn die Person gegenüber die Aussage der Lüge versteht, egal ob sie mit Worten, Gesten oder Gesichtsausdrücken übermittelt wurde, und sich dessen bewusst ist, was man selbst zu kommunizieren versucht. Dann ist die Handlung vollständig.

Wenn ich sage, dass die andere Person das versteht, worüber man gelogen hat, bedeutet das nicht, dass sie verstehen muss, dass man gelogen hat. Es bedeutet, dass die andere Person  versteht, was man gesagt hat und einem glaubt, nämlich in folgendem Sinne: Man selbst behauptet, etwas gesehen zu haben, obwohl man dies nicht tat, und die andere Person versteht das und denkt deshalb, dass der Gesprächspartner etwas gesehen hat, obwohl das eigentlich nicht stimmt. Das heißt nicht, dass die andere Person durchschaut, dass man gelogen hat, sondern lediglich, dass man mit einer anderen Person kommuniziert und diese versteht, was man zu kommunizieren versucht.

Dann wiederholt doch mal, was ich gerade gesagt habe. Wann ist eine Lüge abgeschlossen? Was muss geschehen, damit die Handlung vollständig ist?

Zu dem Zeitpunkt, an dem die andere Person – wenn du sie  hinters Licht geführt hast – dich versteht?

Was bedeutet es, ,,zu verstehen”?

Wenn die andere Person die Bedeutung dessen versteht, was man mitteilen wollte?

Es bedeutet eben nicht, dass die andere Person durchschaut, dass man gelogen hat. Es bedeutet lediglich, dass sie versteht, was man gesagt hat, oder die Geste begreift, die man gemacht hat. Wenn die Person nicht durchschaut, dass man gelogen hat, bedeutet das, dass sie das Gesagte bzw. Gezeigte als der Wahrheit entsprechend wahrnimmt.

Entzweiende Rede

Die nächste destruktive Handlung – die fünfte von zehn insgesamt oder die zweite der vier verbal destruktiven oder nichttugendhaften Handlungen – ist entzweiende Rede: andere durch das, was man sagt, zu trennen. Die Grundlage der Handlung sind zwei Parteien, die harmonisch miteinander umgehen oder dies nicht tun. Wie zuvor beinhaltet die Absicht sowohl ein auseinanderhaltendes Gewahrsein der beiden Parteien als auch  eine Motivation. Das auseinanderhaltende Gewahrsein besteht beispielsweise darin, dass man zwei Personen bzw. Parteien sieht und erkennt, dass dies die beiden sind, zwischen denen man eine Spaltung hervorrufen will. Man möchte, dass sie feindselig zueinander sind. Die Motivation ist eine der beiden folgenden: Wenn sie Freunde sind, versucht man, sie gegeneinander aufzubringen, sodass sie Feinde werden, oder wenn sie bereits Feinde sind, versucht man, es noch schlimmer zu machen.

Die beteiligte Handlung könnte zum Beispiel sein, dass man etwas sagt – es spielt keine Rolle, ob es wahr ist oder nicht, oder ob man es vorher gehört hat oder nicht. Es geht also darum, etwas zu sagen, dass zwei Parteien auseinanderbringt oder – falls sie bereits getrennt sind - sie noch weiter entzweit. Abgeschlossen ist die Handlung, wenn beide Parteien verstanden haben, was man gesagt hat – jene Worte, welche deren harmonisches Miteinander beenden. Auch hier bedeutet dies nicht, dass die Parteien durchschauen, dass man jene Worte aus dem Grund gesagt hat, Zwietracht zwischen ihnen zu schaffen.

Bezüglich der beteiligten Handlung müssen neben der eigenen Aussage mit entzweiender Rede zumindest zwei Parteien – abgesehen von einem selbst ­– oder auch mehr involviert sein. Jemand könnte zum Beispiel versuchen, ein ganzes Land oder Gebiet zu spalten, sodass alle einander feindlich gesinnt sind.

Harsche und beleidigende Sprache

Die nächste destruktive Handlung – die sechste von zehn insgesamt oder die dritte der vier destruktiven Handlungen der Rede – ist der Gebrauch harscher und beleidigender Sprache. Die an der Handlung beteiligte Partei – abgesehen von einem selbst – kann irgendeine Person sein – ein Feind, Freund oder Verwandter –, die einem selbst in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft Schaden zufügt oder einen einfach verärgert. Bezüglich der Motivation und des auseinanderhaltenden Gewahrseins verhält es sich ähnlich wie bei den vorhergehenden destruktiven Handlungen, und die beteiligte Intention wäre, in harschem Ton zur involvierten Person oder Kreatur sprechen zu wollen, sie anschreien oder etwas Beleidigendes sagen zu wollen.

Die tatsächliche beteiligte Handlung wäre der Akt des Anschreiens und der Gebrauch harscher und beleidigender Sprache selbst, zum Beispiel bezüglich der sozialen Herkunft einer Person, ihres Vermögens, äußeren Erscheinungsbildes, ihrer moralischen Grundsätze oder was auch immer etwas sehr Grobes oder Grausames zu sagen – egal ob das Gesagte wahr ist oder nicht.

Im ersten Fall – jemandem mit einem gemeinen Namen hinsichtlich dessen Gesellschaftsschicht oder gesellschaftlicher Stellung zu bezeichnen –, könnte das zum Beispiel im Deutschen sein, jemanden einen Bastard oder so etwas in der Art zu nennen. In Indien gehören kastrierte Transvestiten, die zu gewissen Festivitäten Trommeln spielen, Straßenkehrer oder Hausmeister einer sehr niedrigen Kaste an. Deshalb ist es dort sehr anstößig, jemanden einen Straßenkehrer oder Hausmeister zu nennen. In Tibet zum Beispiel haben Schmiede, Schlachter oder Leichenbestatter eine sehr niedrige gesellschaftliche Stellung. Dort jemandem diese Namen zu geben, ist vergleichbar damit, jemanden hier einen Bastard zu nennen.

Bezüglich des äußeren Erscheinungsbildes könnten die groben Worte zum Beispiel sein, jemanden als Krüppel zu bezeichnen oder zu sagen ,,Du bist blind!”, ,,Du bist taub!” oder ,,Du bist hässlich!”. Gleichermaßen kann man jemanden aufgrund seines Verhaltens beleidigen, indem man ihn Idiot, Esel, Straßenköter oder so etwas in der Art nennt. Zusammengefasst ist es also jegliche Art von verbaler Beleidigung gegenüber jemand anderem. Abgeschlossen ist die Handlung, wenn derjenige versteht, was man gesagt hat.

Nutzloses Geschwätz

Die nächste destruktive Handlung – die siebte von zehn insgesamt oder die letzte der vier destruktiven Handlungen der Rede – ist nutzloses Geschwätz. Die Grundlage der Handlung muss etwas vollkommen Bedeutungsloses und Banales sein, über das man selbst spricht.  Man muss dabei das belanglose Zeug, über das man spricht, für etwas Sinnvolles halten. Die Motivation wäre der Drang, diese nutzlosen und banalen Dinge tatsächlich zu sagen und zum Ausdruck zu bringen. Es genügt, sie einfach vor sich hin zu murmeln, damit die Handlung abgeschlossen ist. Es ist hier nicht notwendig, dass jemand tatsächlich versteht, was man sagt. 

Schließt das auch diskursive Gedanken während der Meditation mit ein?

Nein. Diskursive Gedanken, die an der Meditation beteiligt sind, laut zu äußern – wenn man zum Beispiel versucht, das ,,Ich” zu finden und herauszufinden, ob es in unserem Kopf oder Fuß ist – ist kein nutzloses Geschwätz. Damit es sich um nutzloses Geschwätz handelt, muss die Grundlage der Handlung etwas vollkommen Bedeutungsloses und Banales sein. Selbst wenn man diskursive Gedanken, die während der Meditation aufkommen, laut äußert, ist das kein nutzloses Geschwätz, da der Vorgang der Meditation weder bedeutungslos noch blödsinnig ist, auch wenn die daran beteiligten diskursiven Gedanken dies sein mögen.

Meinten Sie so etwas wie beliebige Gedanken, die während der Meditation aufkommen könnten?

Dr. Berzin: Was ich meinte, sind beliebige Gedanken.

Das, was ich für nutzloses Geschwätz halte, wenn ich bemerke, dass ich geistig abschweife?

Dr. Berzin: Wie zum Beispiel?

Einfach irgendein aufkommender Gedanke, zum Beispiel was wir nach der Meditation machen werden.

Dr. Berzin: Und dass man es dann laut sagt?

Nein, nur in Gedanken.

Dr. Berzin: Das wäre keine Handlung der Rede, aber ich frage Rinpoche in Bezug darauf, dass man es laut äußern würde.

Serkong Rinpoche: In erster Linie muss es laut geäußert werden, um nutzloses Geschwätz zu sein; geistiges nutzloses Geschwätz ist etwas anderes. Das, worüber wir vorher gesprochen haben, ist eine völlig bedeutungslose und blödsinnige Handlung, die verbal ist. Wenn man meditiert, dabei Hunger bekommt und dann laut sagt: ,,Ich habe Hunger – was könnte ich mir zum Mittagessen machen?”, wäre das kein nutzloses Geschwätz, da es zumindest eine gewisse Bedeutung hat. Lediglich etwas, das vollkommen blödsinnig und bedeutungslos ist und keinen Zweck erfüllt, wäre nutzloses Geschwätz.

Die drei destruktiven Handlungen des Geistes

Begehrendes Denken

Als Nächstes sprechen wir über die achte destruktive Handlung, mit der wir beginnen, die destruktiven Handlungen des Geistes zu behandeln, deren erste es ist, begehrende Gedanken zu haben: Gedanken, in denen man begehrt, Dinge, die anderen gehören, zu besitzen. Die Grundlage der Handlung sind das Vermögen oder der Besitz anderer. Für die beteiligte Motivation ist ein auseinanderhaltendes Gewahrsein dessen erforderlich, was man begehrt und für sich selbst haben möchte. Sieht man zum Beispiel jemandes Haus, dann wäre dieses Haus das an der Handlung beteiligte Objekt und der Gedanke ,,Oh, ich möchte, dass es mir gehört!” ist das beteiligte auseinanderhaltende Gewahrsein, welches genau erkennt, was man begehrt. Die beteiligte Motivation ist die ständige Gewohnheit, immerzu etwas haben zu wollen, zu begehren. Die eigentliche beteiligte Handlung ist der Gedanke, etwas haben zu wollen, und das Entscheiden, etwas zu tun, um das Begehrte zu bekommen. Die Handlung ist also das Denken, dass man etwas tun wird, um das begehrte Objekt zu bekommen, und der Abschluss der Handlung ist, tatsächlich die Entscheidung zu treffen, dass man versuchen wird, es zu bekommen.

Böswilliges Denken

Die nächste destruktive Handlung des Geistes ist es, boshafte oder böswillige Gedanken gegenüber anderen zu haben. Die Grundlage dessen ist ähnlich dem Gebrauch gemeiner und harscher beleidigender Sprache. Es könnte zum Beispiel ein Feind sein oder jemand, den man nicht mag, und der einem in der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft Leid zufügt. Gleichfalls könnte es ein Freund oder Verwandter sein, der etwas getan hat, um einem zu schaden oder einen zu verärgern, dies jetzt tut oder vielleicht in der Zukunft tun wird. Es kann also jedes Wesen Objekt der böswilligen Gedanken sein. Die Motivation oder die Intention wäre, an jene Person zu denken und den Wunsch zu haben, denjenigen zu prügeln, zu schlagen oder ihm etwas Übles anzutun. Der motivierende Gedanke wäre, den Akt weiterzudenken; also beispielsweise tatsächlich zu jemandem zu gehen und ihn zu schlagen. Die beteiligte Handlung wäre der Gedanke an sich, zu jemandem zu gehen und den böswilligen Gedanken, jemandem zu schaden, nicht nur zu haben, sondern tatsächlich danach zu streben, ihn in der Praxis auszuagieren. Der Abschluss findet statt, indem man tatsächlich den festen Entschluss trifft und denkt: ,,Sobald ich diesen fetten Knüppel dorthin gebracht habe, werde ich denjenigen so richtig damit verschlagen.” Hat man den festen Entschluss getroffen, den böswilligen Gedanken auszuagieren, ist die Handlung des böswilligen Gedanken vollständig.

Verzerrte und feindselige Geisteshaltung

Was die verzerrte und feindselige Geisteshaltung betrifft, muss die Grundlage der Handlung etwas sein, das der Wirklichkeit entspricht. Das auseinanderhaltende Gewahrsein wäre dann, zu glauben, was unwahr ist und es für wahr zu halten. Die Motivation oder Intention wäre, zu leugnen, dass etwas wahr ist. Die eigentliche Handlung wäre, zu denken, dass man anderen mitteilen will, was man denkt, beispielsweise dass es keine zukünftigen Leben gibt, obwohl es sie in der Tat gibt, oder dass es keinen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung gibt oder dass Glück nicht aus positiven und konstruktiven Handlungen folgt. Der Abschluss ist, wenn man fest entschlossen ist, die eigenen verzerrten Sichtweisen zu verbreiten.

Zusammenfassung

Es ist sehr wichtig, über diese Dinge Bescheid zu wissen und nicht nur die verschiedenen destruktiven Handlungen zu kennen, sondern diese Lehren auch in die Praxis umzusetzen, indem man sich davor zurückhält, destruktiv zu handeln. Das ist wirklich der wichtigste Punkt, über den man überhaupt sprechen kann. Als der großartige Atisha nach Tibet eingeladen wurde, sagte ihm der König, der ihn eingeladen hatte: ,,Bitte sprich zuerst über Karma; lehre uns die Gesetze des Verhaltens und dessen Wirkungen. Lehre uns nicht sofort die fortgeschrittenen Praktiken des Tantra.” Als Atisha diese Bitte hörte, war er sehr glücklich.

Die verschiedenen Belehrungen des Lojong, das Trainieren oder Bereinigen unserer Geisteshaltungen, und des Mahamudra, das große Siegel der Realität – sie alle beinhalten als ihre vorbereitende Übungen die Lehren des Karma über Verhalten und dessen Wirkungen. Es gibt keinen richtigen Weg, zu diesen Lehren zu kommen, ohne die Lehren des Karma zu verstehen, da dies der Hintergrund und Zusammenhang dafür ist.

Nun kommen wir zu dem Punkt zurück, von dem aus die Diskussion startete: zur ursprünglichen Frage, was Dharma überhaupt ist und was eine vorbeugende Maßnahme oder eine spirituelle Praxis ist. Auf der ersten Ebene beinhaltet eine spirituelle Praxis des Dharma, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, um schlimme Wiedergeburten zu vermeiden. Mit anderen Worten, sie bezieht sich darauf, etwas für spätere Leben zu tun. Wenn man deshalb das eigene Verhalten überprüft und darüber nachdenkt, was die Wirkung des betreffenden Verhaltens in zukünftigen Leben sein könnte, und man sich dann von destruktiven Handlungen, die zukünftige Leben elend und schrecklich machen würden, zurückhält, dann ist das eine spirituelle Praxis des Dharma.

Die vier Gesetzmäßigkeiten des Karma

Man könnte beispielsweise sehr ignorant sein und denken, dass ein Blutopfer – das Opfern eines Tieres – Glück in der Zukunft bringen wird. Menschen, die solche Dinge tun, liegen falsch, da durch eine solche destruktive Handlung – das Töten von Lebewesen – die Auswirkung in der Zukunft für sie auf keinen Fall positiv ausfallen kann. Die einzige Auswirkung, die dem Töten im Rahmen eines Blutopfers folgt, ist Unglücklichsein und Leiden. Das ist die erste Gesetzmäßigkeit des Karma: Erlebt man Unglücklichsein, so ist dies definitiv die Auswirkung vorhergehender destruktiver Handlungen.

Der nächste Aspekt der Gesetzmäßigkeiten des Verhaltens und dessen Auswirkungen ist der Zuwachsfaktor. Das kann man mithilfe eines äußeren Beispiels verstehen: Pflanzt man einen Pfirsichkern, so wird es ein großer Pfirsichbaum sein, der daraus wächst. Pflanzt man einen kleinen Apfelsamen, so wächst ein großer Apfelbaum daraus. Gleichermaßen, wenn man eine noch so kleine positive Handlung als Ursache aussät, kann die Auswirkung, die daraus folgt, beträchtlich und unerschöpflich sein.

Wenn man beispielsweise einen wirklich echten und positiven Gedanken hat und mit dieser äußerst positiven Intention eine Niederwerfung in voller Körperlänge macht, kann man so das Potenzial dafür schaffen, so oft als Weltenherrscher wiedergeboren zu werden, wie es Sandkörner unter dem eigenen ausgestreckten Körper gibt. Dasselbe gilt für destruktive Handlungen: Probleme und Leiden, die selbst auf eine geringfügige destruktive Handlung folgen, können sehr beträchtlich sein. Es gibt da ein Beispiel von jemandem, der einen Mönch beschimpfte, indem er sagte: ,,Deine Stimme klingt wie die eines Straßenköters!” Die Auswirkung dessen war, dass diese Person fünfhundertmal als Hund wiedergeboren wurde. Es besteht also eine große Gefahr im Gebrauch beleidigender Sprache und darin, jemanden anzuschreien. Wenn man jemanden anschreit und als Köter bezeichnet, hat das nicht die Kraft, denjenigen tatsächlich in einen Hund zu verwandeln, aber es besteht die Gefahr, dass man selbst als solcher wiedergeboren wird.

Unter den direkten Schülern des Buddha war es Shariputra, der bekannt dafür war, von größter Weisheit zu sein. Unter allen Schülern hatte er das größte Außmaß an geistiger Klarheit und unterscheidendem Gewahrsein. Grund dafür war, dass er in einem vorherigen Leben ein Briefträger war, und einmal war er auf einer Reise unterwegs, um Nachrichten und Briefe zu überbringen, und hielt an einem alten, verlassenen Tempel an, um dort die Nacht zu verbringen. In jenem Tempel waren Wandmalereien mit vielen Gemälden, die Körper, Rede und Geist von Buddhas repräsentierten. Als Shariputra nachts in jenem Tempel war, zündete er eine Lampe an, um seine Schuhe zu reparieren und die Lampe erhellte alle Wandmalereien, welche die Qualitäten des Buddha repräsentierten. Als Auswirkung davon, dass er alle diese Bilder in der Nacht klar gemacht und erhellt hatte, besaß Shariputra später selbst den größten Umfang an Klarheit des Geistes und an unterscheidendem Gewahrsein. In welchem Zimmer auch immer man also Abbildungen erleuchteter Wesen, Buddhas und so weiter hat – erhellt man sie, macht man eine Opfergabe in Form von Kerzen oder dem Anschalten elektrischen Lichts, ist der Nutzen daraus beträchtlich. Natürlich muss man dabei vorsichtig sein und gesunden Menschenverstand walten lassen, da sonst beim Anzünden von Kerzen und Räucherstäbchen die Gefahr besteht, das ganze Haus abzubrennen. Man sollte also vorsichtig sein, wie man solche Opfergaben macht.

Bezüglich der dritten Gesetzmäßigkeit des Karma gab es unter den älteren Schülern des Buddha eine Gruppe von sechzehn - manchmal ,,die sechzehn Arhats” genannt – von denen einer Kanakavatsa hieß. Er lebte in einem vorherigen Leben zur Zeit des ersten Buddhas dieser Ära. Dieser Buddha ritt gewöhnlich auf einem sehr prächtigen Elefanten und Kanakavatsa machte dem Elefanten mit großem Vertrauen und Respekt eine Opfergabe in Form eines goldenen Blattschmucks. Als Auswirkung dessen erhielt der Haushalt, in welchem er zur Zeit des Buddha Shakyamuni wiedergeboren wurde, einen goldenen Elefanten, dessen Hinterlassenschaften echtes Gold waren; und das genau zur selben Zeit, als Kanakavatsa in jenem Haushalt wiedergeboren wurde. In dem Land, in welchem er wiedergeboren wurde, befahl der mächtige König Ajatashatru, dass jener prächtige goldene Elefant zu seinem Palast gebracht werde. Als seine Beamte jedoch versuchten, den Elefanten vom besagten Haushalt zu des Königs Quartier zu bringen, verschwand der Elefant jedes Mal unter dem Erdboden und tauchte anschließend wieder in jenem Haus auf. Sie versuchten dreimal, den Elefanten mitzunehmen, aber er verschwand jedes Mal, nur um danach wieder aufzutauchen. Dies geschah, da der König nicht das positive Potenzial aufgebaut hatte, den Elefanten zu besitzen, ganz im Gegenteil zu dem Kind aus jenem Haushalt. Dies war ein Beispiel dafür, dass, wenn man nicht das Potenzial durch eine gewisse Handlung aufbaut , man die Auswirkung dieser Handlungen nicht erfahren wird.

Was die vierte Gesetzmäßigkeit betrifft: Hat man eine Handlung ausagiert, so wird das Potenzial niemals vergebens sein oder verloren gehen, sondern tatsächlich heranreifen, wie es auch bei dem Kind geschah, welches das Potenzial für den Elefanten hatte. Der Jüngling wendete sich letztendlich vom Familienleben ab, um sich von Buddha ordinieren zu lassen, welcher ihm darauf sagte: ,,Für dich ist es momentan nicht nötig, diesen Elefanten zu besitzen”, und durch des Buddhas Kraft verschwand der Elefant. Jene Person machte große Anstrengungen und erlangte die Ebene eines Arhats - ein befreites Wesen - und war von da an bekannt als der Arhat Kanakavatsa.

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