Freie Wiedergabe von "Rat eines erfahrenen alten Mannes"

Diese Lehren über das Leiden stammen aus dem Werk „Rat eines erfahrenen alten Mannes” (tib. Nyams-myong rgan-po'i 'bel-gtam yid-'byung dmar-khrid), geschrieben vom ehrwürdigen Meister Gungtang Rinpoche (tib. Gung-thang-tshang dKon-mchog bstan-pa’i sgron-me) (1762-1823). Basierend auf Manuskripten enthalten sie viele Parabeln und entfalten ihre Geschichte in Versform. Die Lehren sollen uns in erster Linie helfen, Entsagung zu üben und die Entschlossenheit frei zu sein zu entwickeln Und allgemein die Grundlagen für das Bodhichitta zu legen, um die Erleuchtung zum Wohle aller zu erlangen.

Ehre dem tadellosen Buddha, der die Saat der Wiedergeburt, die durch die Kraft des Karmas und durch störende Emotionen unkontrolliert wiederkehrt, aufgegeben hat und dadurch nicht die Leiden des Alters, der Krankheit und des Todes erfährt. 

Inmitten der weiten, einsamen, wilden Ebene von Samsara lebt ein alter Mann. Ein junger Mann, stolz auf seine Jugend und Gesundheit, besucht ihn. Sie führen das folgende Gespräch.
“He, alter Mann, warum handelst und sprichst du anders als die anderen und warum siehst du so anders aus?”
Darauf erwidert der alte Mann: „Wenn du sagst, dass ich anders handle und gehe, mich anders bewege und spreche, dann glaube nicht, dass du weit oben im Himmel fliegst. Komm zurück auf dieselbe Erde, auf der auch ich stehe und höre mir zu.“

Manche junge Menschen glauben, dass das Alter nur den Alten gehört und dass es sie nie erreichen wird. Sie sind sehr arrogant und haben keine Geduld dafür, sich mit alten Menschen zu beschäftigen.

Der alte Mann fährt fort: “Vor einigen Jahren war ich viel stärker, attraktiver und energievoller als du. So wie ich heute bin, wurde ich nicht geboren. Wenn ich rannte, konnte ich es sogar mit fliegenden Pferden aufnehmen.“

Die meisten alten Menschen sprechen so. Die Gegenwart ist nie so gut wie vergangene Tage.

„Bei der Jagd konnte ich sogar mit bloßen Händen die Yak-Rinder der Nomadenländer fangen. Mein Körper war so beweglich, dass ich mich wie ein Vogel am Himmel bewegen könnte. Mein Körper war so gesund und kraftvoll, dass ich aussah wie ein junger Gott. Ich trug die farbenfroheste Kleidung und viel Schmuck aus Gold und Silber, ich aß Tonnen köstlicher Speisen und Süßigkeiten und ritt mächtige Rösser. Ich war so gut wie nie alleine und war ständig am spielen, am lachen und am Freude haben. Es gibt kaum eine Freude, die ich nicht erfahren hätte.“
„Zu dieser Zeit dachte ich nie an die Endlichkeit meines Lebens oder an meinen Tod. Ich glaubte auch nicht, einmal das Leiden des Alters durchleben zu müssen, so wie ich es jetzt tue.“

In der Gegend, in der ich lebte, gab es einmal einen jungen Menschen, der ein luxuriöses Leben führte und immer irgendwelchen Vergnügen nachging. Nach und nach wurde er alt, sein Körper wurde krumm und sein Einkommen weniger. Er sagt zu seinen Freunden „Ich hätte nie gedacht, dass das Alter so plötzlich kommt.“

„Wenn man ein Leben voller Ablenkung durch Freunde, Partys und ‚gute Zeiten’ führt, taucht das Alter plötzlich auf und überwältigt dich inmitten deines Gelächters.“

Der Geshe Kamapa sagte: „Wir sollten dankbar dafür sein, dass das Alter langsam kommt. Würde es auf einmal auftauchen, wäre es unerträglich. Wenn wir im Alter von dreißig Jahren zu Bett gingen und beim Aufwachen wie achtzig aussehen würden, könnten wir unseren Anblick nicht ertragen. Wir begreifen unser Alter nicht. Wie wir alt geworden sind stellt für uns ein vollkommenes Mysterium dar. Wenn wir dann plötzlich begreifen, dass wir alt sind, brauchen wir eine Weile, um das zu akzeptieren. Dann ist es zu spät. Es heißt zwar, dass Dharmapraxis wenige Stunden vor dem Tod hilfreich sind, um jedoch Tantra zu praktizieren, müssen wir körperlich fit sein. Deshalb ist es wichtig, die tantrische Praxis schon im jungen Alter zu beginnen.”

„Wenn wir sehr alt werden, können wir uns beim Blick in den Spiegel selbst nicht mehr ausstehen. Zu diesem Zeitpunkt werden unser Körper und unser Geist schwach. Unsere Körper beginnen von Kopf bis Fuß zu verfallen. Unsere Köpfe sind gebeugt als würden wir unentwegt eine Vasen Initiation empfangen.“
„Das weiße Haar auf meinem Kopf ist kein Zeichen der Reinigung. Es ist der Pfeil der Kälte aus dem Mund des Meisters des Todes, der auf meinem Kopf gelandet ist. Die Linien auf meiner Stirn sind nicht die Falten eines rundlichen Kleinkindes, das von seiner Mutter gestillt wird. Sie sind die Boten des Meisters des Todes, die meine schon gelebten Jahre zählen. Wenn ich blinzele, dann tue ich das nicht, weil Rauch in meine Augen steigt. Es ist ein Zeichen meiner Hilflosigkeit angesichts des Verfalls meiner Sinneskräfte. Wenn ich mich bemühe, mit einer Hand an meinem Ohr etwas zu hören, dann liegt das nicht daran, dass ich an geheimer Kommunikation teilnehme. Es ist ein Zeichen des Verfalles meines Gehörs.“
„Wenn ich sabbere und Rotz aus meiner Nase läuft, so ist das keine Perlenzierde in meinem Gesicht. Es zeigt, dass die Sonne des Alters das Eis meiner jugendlichen Kraft zum Schmelzen bringt. Der Verlust meiner Zähne bedeutet nicht, dass, wie bei einem Kind, neue Zähne nachkommen werden. Es ist ein Zeichen der Abnutzung meiner Esswerkzeuge, die der Meister des Todes wegwirft. Wenn ich die Spucke nicht mehr halten kann und ich beim Sprechen spucken muss, so hat das nichts mit sprudelndem Wasser zu tun, das die Erde reinigt. Es ist ein Zeichen dafür, dass die Wörter, die ich sagen werde, zur Neige gehen. Wenn ich zusammenhangslos lalle und über Wörter stolpere, bedeutet das nicht, dass ich eine seltsame fremde Sprache spreche. Es ist ein Zeichen dafür, dass meine Zunge ermüdet durch das unnütze Gerede eines ganzen Lebens ist.“
„Wenn meine Erscheinung hässlich wird, ist das nicht der Versuch, mich hinter der Maske eines Affen zu verstecken. Es ist Zeichen des totalen Verfalls des mir geliehenen Körpers. Wenn ich oft den Kopf schüttele, bedeutet das nicht, dass ich nicht deiner Meinung bin. Es zeigt nur, dass die unbändige Kraft des Stabes des Meisters des Todes, meinen Kopf getroffen hat. Wenn ich gebückt gehe, so heißt das nicht, dass ich eine verlorene Nadel suche. Es ist ein klarer Hinweis auf den Verfall des Erdelements in meinem Körper.“
„Wenn ich mich beim Aufstehen auf meinen Händen und Knien abstütze, bedeutet das nicht, dass ich ein vierbeiniges Tier imitiere. Es bedeutet, dass der Halt meiner Füße nicht mehr ausreicht. Wenn ich mich setze, wirkt es, als würde man achtlos eine Tasche fallen lassen. Ich bin jedoch nicht wütend auf meine Freunde. Es zeigt nur den Kontrollverlust meines Körpers. Wenn ich langsam gehe, bedeutet es nicht, dass ich versuche, wie ein großer Staatsmann zu gehen. Ich gehe langsam, weil ich meinen Gleichgewichtssinn vollständig verloren habe. Wenn meine Hände zittern, heißt das nicht, dass ich mit den Händen winke, weil ich gierig etwas haben möchte. Es ist Zeichen meiner Angst, alles vom Meister des Todes genommen zu bekommen. Wenn ich nur wenig essen und trinken kann, heißt das nicht, dass ich geizig oder knauserig bin. Es ist ein Zeichen des Verfalles der Verdauungshitze um meinen Nabel. Trage ich leichte Kleidung, so versuche ich damit nicht Athleten zu imitieren. Die Schwäche meines Körpers macht aus jedem Kleidungsstück eine schwere Last.
„Wenn meine Atmung schwerer wird und ich leicht außer Atem gerate, bedeutet das nicht, dass ich jemanden durch ein Mantra heile. Es ist ein Zeichen der Schwäche und der Erschöpfung der Energien meines Körpers. Wenn ich sehr wenig mache und kaum etwas unternehme, versuche ich damit nicht absichtlich meine Aktivitäten zu kontrollieren. Es zeigt nur die Grenzen dessen, was ein alter Mensch tun kann. Wenn ich vergesslich bin, heißt das nicht, dass mir andere Menschen nicht wichtig sind oder ich auf sie herab blicke. Es zeigt lediglich den Verfall meines Gedächtnisses.“
„Oh, junger Mann, mache dich nicht über mich lustig oder ärgere mich. Was ich gerade erlebe, widerfährt nicht nur mir. Jeder erlebt dies. Warte es ab und du wirst sehen, dass in drei Jahren die ersten Boten des Alters auch zu dir kommen werden. Was ich sage, wirst du nicht glauben und es wird dir nicht gefallen, aber du wirst aus der Erfahrung lernen. In diesen Zeiten des fünffachen Verfalls, wirst du froh sein zu leben und so alt zu sein wie ich. Selbst wenn du so lange leben solltest wie ich, wirst du nicht mehr so viel sprechen können wie ich.“
Der junge Mann antwortet: „Lieber sterbe ich, als so lange zu leben wie du und so hässlich, missachtet und wie ein Hund behandelt zu werden.“
Der alte Mann lacht. „Junger Mann, du bist sehr ignorant und dumm weil du dir wünschst lange und glücklich zu leben, ohne je zu altern. Der Tod erscheint einfach, doch so leicht ist er nicht. Um friedlich und glücklich zu sterben, muss man jemand sein, der keine zu Unrecht erhaltene Opfergaben akzeptiert oder die Ethik der zehn positiven Handlungen gebrochen hat. Man muss jemand sein, der konsequent den Dharma befolgte und sich intensiv der Versenkung und der Meditation gewidmet hat. Dann ist der Tod einfach.“
„Ich empfinde aber nicht auf diese Weise. Ich glaube nicht, irgendetwas Konstruktives geleistet zu haben. Ich fürchte mich vor dem Tod und bin dankbar für jeden Tag den ich weiterleben kann. Es ist mein großer Wunsch, jeden Tag weiterzuleben.“
Der junge Mann ändert seine Meinung und sagt: „Alter Mann, alles was du sagst, ist wahr. Was mir andere über das Leid im Alter erzählten, stimmt mit dem überein, was ich an dir gesehen habe. Deine Veranschaulichung des Alters war sehr förderlich für meinen Geist. Ich bin erstaunt über die Leiden des Alters. Oh, weiser Mann, wenn du irgendwelche Methoden kennst, dem Alter zu entrinnen, dann halte sie nicht geheim, lass mich daran teilhaben und sag mir die Wahrheit.“
Der alte Mann erwidert erfreut: “ Es gibt einen Weg. Kennt man ihn, ist er leicht zu befolgen. Mit ein wenig Anstrengung können wir uns leicht von dem Leid befreien. Obwohl jeder Mensch, der geboren wurde, stirbt, sterben jedoch nur wenige, nachdem sie alt wurden. Viele sterben jung, ohne die Chance zu bekommen das hohe Alter zu erreichen. Die Methoden finden sich in den Lehren Buddhas. Sie enthalten viele Methoden um zur Befreiung und Erleuchtung zu gelangen. Also um, anders ausgedrückt, nicht wiedergeboren, alt und krank zu werden oder zu sterben. Wir haben sie jedoch nicht geübt.“

In einem Kloster gab es einmal einen Menschen der durch eigene Kraft zum Lama wurde. Er zählte zu den jungen Mitgliedern des Klosters und die Mönche schenkten ihm keine Aufmerksamkeit. Sie hielten ein Treffen ab um über die Zukunft des Klosters zu diskutieren. Er forderte sie dazu auf, Seile und Tücher bereitzustellen, um Leichen einzuwickeln. Alle betrachteten dies als schlechtes Omen und waren wütend auf ihn. Dann sprachen sie darüber, was jeder Einzelne tun könnte um dem Kloster zu helfen. Er riet über die Vergänglichkeit zu meditieren. Mit seinen Ratschlägen erteilte er ihnen eine große Lehre. Viele spätere Dalai Lamas haben ihn dafür gelobt. Um sich auf die Zukunft vorzubereiten, muss man sich auf den Tod vorbereiten.

„Jeder strebt nach Unsterblichkeit und nach den Methoden, sie zu erlangen. Es ist jedoch unmöglich, geboren zu werden und nicht zu sterben. Selbst Tausende vollkommen erleuchteter Wesen, einschließlich des Buddha Shakyamuni, sind verstorben. Auch von den Bodhisattvas und großen Gurus der Vergangenheit sind nur die Namen übrig geblieben. Dasselbe gilt für die Geschichte der Welt. Alle großen historischen Gestalten sind gestorben und geblieben sind nur Ruinen. Deshalb dürfen wir nicht die Realität unseres bevorstehenden Todes vergessen. Sogar die großen Gurus der Gegenwart werden sterben. Babys, die heute geboren wurden, werden in hundert Jahren tot sein. Also wie kannst du, junger Mann, erwarten, dass nur du für immer leben wirst? Darum ist es ratsam, dass du dich geistig auf den Tod vorbereitest.“
„Ein langes Leben kann nicht mit Geld oder durch materielle Annehmlichkeiten erworben werden. Wenn du über spirituelles Vertrauen verfügst und weißt, was du vom Leben erwartest, dann wirst du mit zunehmendem physischem Alter glücklicher und geistig jünger. Wenn du große materielle Annehmlichkeiten genießt, aber ein leeres Leben geführt hast, dann wirst du mit zunehmendem Alter immer unglücklicher werden und musst als Tourist auf Reisen gehen, um deinen Geist von der Angst vor dem Tod abzulenken. Wenn du jedoch spirituelles Vertrauen besitzt, und sei es noch so gering, wirst du dich, je mehr du dich dem Tod näherst, fühlen wie ein Sohn, der in ein glückliches Zuhause zurückkehrt. Du bist vom Tod nicht abgestoßen, sondern freust dich auf kommende Leben voller Freude.“

Ein spiritueller Meister sagte einmal: „Da ich vollkommenes Vertrauen in meine zukünftigen Geburten habe, sorge ich mich nicht. Der Tod kann jederzeit kommen und ich werde ihn willkommen heißen.“

„Da der Tod unvermeidbar ist, müssen wir etwas tun. Wir können nicht nur herumsitzen und deprimiert sein. Als Menschen verfügen wir über die Weisheit, viele Methoden auszuprobieren. Selbst Buddha kann dir keine klareren Lehren erteilen, junger Mann. Ich habe aus meinem ganzen Herzen gesprochen. Aber auch wenn mein Rat aufrichtig und von Herzen kommt, solltest du nicht allein auf meine Worte vertrauen, prüfe sie für dich selbst. Übe selber Praktiken über Vergänglichkeit. Es gibt ein Sprichwort: ‚Frage andere nach ihrer Meinung, treffe deine Entscheidung jedoch selbst.’ Wenn du zulässt, dass viele Menschen für dich Entscheidungen treffen, werden dir viele unterschiedliche Ratschläge geben.“
Der junge Mann sagt: „Alles was du sagst ist wahr und sehr nützlich. In den nächsten paar Jahren kann ich diese Dinge jedoch nicht befolgen. Ich habe anderes zu tun. Ich habe große Besitztümer, Wohlstand usw. Ich muss mich intensiv um meine Geschäfte kümmern und meine Besitztümer hüten. Ich muss dich in ein paar Jahren noch einmal treffen und dann werde ich mich der Praxis widmen.“
Der alte Mann wird sehr unglücklich und sagt: „Alles was du mir gesagt hast, zeigt sich nun, dass es leer und bedeutungslos ist. Auch ich wollte es so machen, auch ich hatte den Wunsch nach einigen Jahren etwas Sinnvolles zu tun. Ich habe jedoch nie etwas unternommen und bin nun alt geworden. Ich weiß wie vergeblich deine Worte sind. Die Dinge, die in einigen Jahren zu tun sind, werden nie aufhören. Du wirst sie immer aufschieben. Dinge die man in den Jahren zu tun hat, sind wie der Bart eines alten Mannes, rasierst du dich heute, wächst der Bart morgen umso stärker nach. Wenn du immer alles auf morgen verschiebst, wirst du irgendwann merken, dass dein Leben vorbei ist. Dieses Aufschieben der Dharma-Praxis hat jeden getäuscht. Ich glaube nicht daran, dass du jemals den Dharma praktizieren wirst. Deshalb ist dieses Gespräch vollkommen überflüssig. Geh nach Hause und tu was immer du möchtest und lass mich einige Manis (Mantras) sprechen.“
Der junge Mann ist sehr überrascht und ein wenig verletzt. Er sagt: „Wie kannst du nur solche Dinge zu mir sagen? Sag mir, wie schnell können materielle Dinge in diesem Leben vollbracht werden?“
Der alte Mann lacht, „Du stellst mir diese Fragen, also muss ich dir wohl sagen, wie lange es dauert, etwas zu vollbringen. Richtung Süden lebt der Meister des Todes, der sich nicht darum kümmert, ob du deine Arbeit beendet hast oder nicht. Er tut was immer er möchte. Wenn du es schaffst, dich mit ihm gut zu stellen und seine Erlaubnis bekommst, etwas im Leben zu vollbringen, dann kannst du dich ausruhen. Wenn nicht, dann kannst du dich nie entspannen. Menschen sterben inmitten des Genusses einer Tasse Tee, während das Essen auf dem Tisch steht, beim Spazierengehen oder bevor sie damit fertig sind, eine Prise Schnupftabak zu nehmen.
„So ergeht es allen, sogar den großen Meistern. Viele ihrer Lehren sind unvollständig weil sie vor ihrer Fertigstellung starben. Wenn also der Meister des Todes zu dir kommt, kannst du nicht sagen ‚Ich habe große Besitztümer und viel Arbeit zu tun.’ Du kannst mit nichts vor ihm prahlen, du musst alles hinter dir lassen. In dieser Hinsicht sind wir vollkommen machtlos. Wir können unsere Lebensspanne nicht bestimmen. Darum fange jetzt mit dem Praktizieren an, wenn du in der Lagre bist, etwas zu tun. Das wäre sinnvoll, deine Besitztümer alleine sind bedeutungslos. Es gibt heutzutage nur wenige Menschen, die dir die Wahrheit darüber sagen, was nützlich ist. Aber noch seltener sind jene, die auf ehrliche Ratschläge hören.“
Der junge Mann ist tief bewegt und da er großen Respekt vor dem alten Mann bekommen hat, tritt er einen Schritt zurück und kniet vor ihm nieder. Er sagt: „Kein anderer, von goldenen Fahnen umringter Lama, Geshe oder Yogi hat tiefgründigere Lehren als das, was du gesagt hast. Du besitzt die Erscheinung eines gewöhnlichen Mannes, aber in Wahrheit bist du ein großer spiritueller Freund. Ich gebe dir mein Ehrenwort alles zu nach bestem Vermögen zu praktizieren, was du gesagt hast. Und bitte erteile mir in Zukunft noch weitere Lehren.“
Der alte Mann ist einverstanden und stimmt zu. Er sagt: „Ich weiß zwar nicht viel, doch habe ich viel Erfahrung. Auf ihr basierend kann ich dich unterrichten. Am schwersten ist es, einen Anfang zu machen und sich im Dharma zu festigen. Es ist schwieriger mit der Dharmapraxis zu beginnen, wenn man schon alt ist. Deshalb ist es wichtig, damit zu beginnen wenn man jung ist.
„Sind wir jung, ist unser Gedächtnis noch frisch; man verfügt über dynamische Intelligenz und körperliche Kraft, die helfen, durch Niederwerfungen positive Kräfte aufzubauen. Aus tantrischer Perspektive betrachtet, sind deine Energiekanäle voller Kraft und Vitalität, wenn du jung bist. Es ist sehr wertvoll, wenn man es im jungen Alter schafft, die Barrieren der Habgier und des materiellen Besitzdenkens zu durchbrechen und sich spirituellen Aktivitäten hinzugeben. Wenn du den Dharma einmal angenommen hast, seine grundlegenden Aspekte verstanden hast und sein Wesen begriffen hast, dann ist alles was du tust, sagst und denkst der Dharma.

Milarepa und Ra Lotsawa sagten dasselbe: „Ob ich esse, schlafe, sitze oder schlafe – alles ist Dharmapraxis.“

„Im Dharma gibt es keine strengen Regeln. Versuche also, dir nicht zu viele Gedanken zu machen und keinen unruhigen Geist zu haben. Fang jetzt an und halte dein Interesse am Dharma aufrecht. Ändere nicht alle paar Minuten deine Meinung. Widme von diesem Moment an dein Leben – Körper, Sprache und Geist – der Dharmapraxis.“
Dann erzählt der alte Mann dem jungen Mann, was der Dharma beinhaltet. „Finde zunächst einen gut ausgebildeten spirituellen Mentor und gib dich ihm vollständig hin, mit deinen Gedanken und Handlungen. Wie sehr du anderen von Nutzen sein kannst, hängt stark davon ab, einen persönlichen spirituellen Mentor zu finden und eine ernsthafte sich verpflichtende (engl. committed, sich anvertrauend) Verbindung mit ihm einzugehen.“

Atisha hat diesen Aspekt stark betont. Er erzählte oft, dass er zu all seinen 155 Gurus gleichermaßen ernsthafte Verpflichtung hatte.

„Dann musst du deine Ehrenworte und Gelübde befolgen um die zehn konstruktiven Handlungen zu üben. Hüte sie wie deinen Augapfel. Sprenge deine Anhaftung an dieses Leben, wie ein wilder Elefant seine Ketten sprengt. Dann sammle Zuhören, Kontemplation und Meditation an und praktiziere alle drei gemeinsam. Unterstütze all dies mit der siebengliedrigen Praxis. Auf diese Weise baut man positive Kraft auf, um Verdienste zu sammeln. Ist dies getan, ist die Buddhaschaft zum Greifen nahe.“

Der Fünfte Dalai Lama sagte, dass die Buddhaschaft aus den eigenen Händen geformt werden kann, wenn ein qualifizierter Mentor einen qualifizierten Schüler leitet. Milarepa sagte auch, dass die Buddhaschaft hat man einen qualifizierten Mentor und einen qualifizierten Schüler, der diese qualifizierten Lehren praktiziert nicht außerhalb von dir, sondern in dir liegt. Es muss jedoch immer betont werden, dass der Guru richtig qualifiziert sein muss.

„Das ist Glück; das ist Freude. Oh, lieber Sohn, wenn du auf diese Weise übst, werden all deine Wünsche erfüllt werden.“

Diese Lehren sind sehr hilfreich um den Geist zu bändigen. Sie besänftigen einen groben Geist. Ein Sprichwort sagt: „Sei nicht wie eine Ledertasche voller Butter. Sei nicht wie ein Stein im Strom.“ Eine Ledertasche wird nicht weich, egal wie viel Butter sich in ihr befindet und egal wie lange sich ein Stein im Strom befindet, er wird dadurch nicht weicher.

Von diesem Tag an übte der junge Mann den reinen Dharma, ohne die acht weltlichen, kindischen Gefühle.

Wir müssen versuchen, dasselbe zu tun. Je mehr Lehren wir gehört haben, desto mehr müssen wir praktizieren und uns mit ihrer Hilfe weiterbilden. Wir dürfen nicht wie Steine sein, die in einem Strom nie weich werden.

Der alte Mann sagt: „Ich habe diese Lehren bei meinen spirituellen Mentoren gehört, sie basieren aber auch auf meiner eigenen Erfahrung. Mögen sie fühlenden Wesen, um ihres Glückes Willen, uneingeschränkt nützen.“

Der Autor kommt zum Ende: 

Auch wenn ich nur wenig geübt habe und kaum Erfahrung im Dharma habe, schon aufgrund der Vielfältigkeit der Anlagen fühlender Wesen, werden diese Lehren vielleicht doch manchen von Nutzen sein. Ich schrieb dies voller Aufrichtigkeit und Motivation und in der Hoffnung, dass dies dem Geist begrenzter Wesen von Nutzen sein wird. Diese Lehren der Vergänglichkeit stellen keine interessante Geschichte dar, die ich mir ausgedacht habe, sondern basieren auf den „Vierhundert Versen“ Aryadevas.
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