Letzte 5 Punkte des Geistestrainings, tiefstes Bodhichitta

Liebe und Mitgefühl entwickeln

Selbst in der materiellen Welt funktioniert es nicht, wenn wir auf Biegen und Brechen schnelle Ergebnisse erzielen wollen. Wir müssen vielmehr stufenweise arbeiten. Das gilt auch für die Arbeit an unserem Geist und an unseren Geisteshaltungen. Um unsere Geisteshaltungen zu verbessern, müssen wir schrittweise, in Stufen, arbeiten. Wenn wir zum Beispiel viel Ärger haben, dann sollten wir zuerst versuchen, unseren Ärger zu erkennen; dann müssen wir versuchen, alle Nachteile zu erkennen, die damit einhergehen um festzustellen, dass – von welchem Gesichtspunkt aus auch betrachtet – der Ärger nachteilig ist.

Wenn wir viel Ärger in uns haben und nicht richtig geschult sind, kann Folgendes passieren:, Wenn wir zu stark versuchen, die vier Gegenkräfte anzuwenden, dann können wir damit nicht umgehen. Die westlichen Psychologen und Psychiater sagen, dass es zu frustrierter Energie und Schäden führen kann, wenn man versucht, seinen Ärger zu unterdrücken. Stattdessen empfehlen sie, Ärger in einer entspannteren Weise auszuleben um dadurch die Probleme zu vermeiden, die sich ergeben, wenn man aufgestauten Ärger in sich hat.

Ich denke, dass sie in einem gewissen Umfang Recht haben. Unter bestimmten Umständen müssen wir unseren Ärger auf friedliche Weise ausdrücken, wenn wir noch nicht dazu in der Lage sind, die Gegenmittel anzuwenden, um uns von ihm zu befreien. Wir müssen allerdings zwei verschiedene Fälle des Empfindens von Ärger oder von Arroganz unterscheiden. Der eine Fall ist einfach, dass wir, wenn wir unseren Ärger nicht ausdrücken und die Energie nicht herauslassen, viele Probleme bekommen. Dann gibt es andere Situationen, in dem das Ausdrücken des Ärgers nur dazu führt, dass sich die schlechten Gewohnheiten in uns verstärken; dass wir uns gehen lassen und immer zulassen, dass wir wütend werden. Ich denke, wir müssen die Umstände unterscheiden, die zu diesen jeweiligen Fällen führen; und natürlich ist es immer am besten, unseren Ärger und unsere Arroganz zu kontrollieren. Wir müssen Folgendes lernen: dass es für uns nicht mehr nötig ist, ihn überhaupt ausdrücken zu müssen, sondern dass wir uns innerlich darum kümmern (können), ohne uns selbst weitere Schwierigkeiten zu bereiten.

Eine der Hauptmethoden, die man benutzen kann, ist, an das entgegengesetzte Gefühl zu denken – also an das Gefühl, das der Emotion entgegensteht, die uns Schwierigkeiten bereitet. Zum Beispiel: wenn wir Ärger in uns haben ist das entsprechende Gegenteil, den anderen gegenüber Liebe zu empfinden. Wenn wir uns also dabei erwischen, wie wir auf jemanden wütend werden, dann können wir versuchen, dieser Person gegenüber Liebe und eine ehrliche Fürsorge zu verspüren. Zunehmend werden uns so die Vorteile einer liebenden Geisteshaltung und die Nachteile des Wütendwerdens klar und wir sind so in der Lage, diese Gegenkraft anzuwenden.

Möglicherweise werden wir nicht dazu in der Lage sind, das entgegen gesetzte Gefühl – in diesem Fall, die Liebe – in der Situation anzuwenden. Doch wir werden feststellen: in dem Maße, in dem wir uns mit den Nachteilen des Ärgers befassen, wird seine Kraft in verschiedenen Trigger-Situationen schrittweise immer mehr abnehmen. So durchlaufen wir verschiedene Stadien und sind immer besser dazu in der Lage, mit Ärger umzugehen und uns von ihm zu befreien.

Dasselbe gilt für das Entwickeln von Mitgefühl in Bezug auf die anderen. Bevor wir anderen gegenüber Mitgefühl verspüren und ihnen wünschen können, frei von ihren Problemen zu sein, müssen wir zuerst an unsere eigenen Probleme denken – dass wir sie nicht wollen und dass wir uns gerne davon befreien würden. Dann werden wir auf der Grundlage unserer eigenen Gefühle und unserer eigenen Erfahrung den anderen gegenüber Sympathie und Mitgefühl entwickeln können. All diese positiven Geisteszustände sind etwas, das wir schrittweise, stufenweise aufbauen.

Wenn wir einerseits sagen, dass wir einer anderen Person wünschen, frei von ihren Problemen und Leiden zu sein, andererseits aber die Schwierigkeiten nicht erkennen, die uns unsere eigenen Probleme und Leiden verschaffen, wie können wir dann den ehrlichen Wunsch entwickeln, dass die anderen von ihrem Problemen frei sein mögen? Wenn man jemanden beobachtet, der glücklich und zufrieden ist, dann wird es eher schwierig sein, ein Gefühl des Mitgefühls zu entwickeln, den Wunsch, dass dieser Mensch frei von seinen Problemen sein möge. Wenn man dagegen jemanden sieht, der offensichtlich Schwierigkeiten hat, ist es viel leichter, für diese Person Sympathie und diesen Wunsch zu entwickeln. Dies basiert natürlich auf unserem eigenen Verständnis dessen, was ein Problem ist, was wiederum auf unserer eigenen Erfahrung mit Problemen basiert.

Wenn man Mitgefühl mit jemandem hat, dann kann diese Geisteshaltung eigentlich in zwei Weisen gesehen werden. Wenn die Geisteshaltung auf jemand anderes gerichtet ist, dann handelt es sich um Sympathie und Mitgefühl; wenn sie auf uns selbst gerichtet ist, dann ist es das, was wir als „Entschlossenheit, frei von unseren Problemen zu sein“ oder als „Entsagung“ bezeichnen. Es ist der Wunsch, von Leiden und Problemen getrennt zu sein, der entweder auf uns selbst gerichtet sein kann (dann ist es Entsagung) oder auf andere (dann ist es Mitgefühl).

Wenn wir an das Leiden denken, das man beispielsweise erlebt, wenn man in einem der schlechten Wiedergeburtszustände geboren wird – den freudlosen Bereichen und so weiter – dann können wir nicht davon ausgehen, dass dies etwas Weitentferntes ist, etwas Weithergeholtes, das mit uns nichts zu tun hat, oder dass wir uns nicht damit nicht auseinandersetzen müssen. Wir sollten uns klar machen, dass die Ursachen dafür, in den schlechten Wiedergeburtszuständen geboren zu werden – all die verschiedenen Arten negativer Potentiale – in unserem geistigen Kontinuum angesammelt und gespeichert sind. Abhängig von den negativen Potentialen in unserem eigenen Geist ist es sehr gut möglich, dass wir jederzeit in einen der schlechten Wiedergeburtszustände fallen können. Daher ist es sehr wichtig, sich über verhaltensbedingte Ursachen und Wirkungen Gedanken zu machen.

Wir sollten darüber nachdenken, wie viel Glück wir alle haben, eine kostbare menschliche Wiedergeburt zu haben, ein kostbares menschliches Leben mit viel Freiheit und freier Zeit, um uns spirituell zu entwickeln. Jetzt, wo wir diese goldene Gelegenheit haben, ist es sehr wichtig, sie nicht zu verschwenden. Wir denken also zuerst an unser kostbares menschliches Leben, daran, wie schwer es zu erlangen ist und daran, wie leicht wir ein solches Leben verlieren können. Dies führt uns zum Gedanken an den Tod und die Vergänglichkeit, da wir jederzeit sterben können und nicht wissen, wann. Wir bleiben uns daher der Vier Edlen Wahrheiten sehr deutlich bewusst: die Natur wahrer Leiden; ihre wahren Ursprünge; die Möglichkeit, eine wahre Beendigung dieser Leiden zu verwirklichen und die wahren Ebenen von Pfadgeist, die wir entwickeln können, um dies zu verwirklichen. In dieser Weise nutzen wir dieses kostbare menschliche Leben, indem wir uns in all diesen Geisteszuständen schulen und sie aufbauen.

Zusammenfassung

Der Grund dafür, dass dieser Text „Geistestraining in sieben Punkten“ genannt wird, ist, dass wir uns darin üben, diese Geisteshaltungen aufzubauen. Die sieben Punkte sind:

  • die Vorbereitenden Übungen
  • die Methode, um sich in den zwei Bodhichittas zu üben
  • die Umwandlung widriger Umstände in einen Pfad zur Erleuchtung
  • die verdichtete Praxis in einem Leben
  • Ermessen, inwieweit wir uns geschult haben
  • die Übungen für enge Bindung mit dem Geistestraining
  • die  Punkte für das Geistestraining, das es zu üben gilt.

Wir haben die vorbereitenden Übungen zu Ende besprochen und beschäftigen uns jetzt mit der Entwicklung von Bodhichitta. Fassen wir die gestrigen Punkte zusammen: bis jetzt haben wir unter dem starken Einfluss der Selbstsucht gestanden und haben uns nur um das eigene Wohl gekümmert. Dieses selbstsüchtige Interesse beinhaltet auch ein Greifen nach einem wahrhaft begründeten Selbst. Es ist die Ursache aller Probleme, die wir seit anfangsloser Zeit erlebt haben. All diese Probleme wurden durch unsere eigene Selbstsucht geschaffen. Wenn jemand in Bezug auf andere extrem egoistisch ist, dann ist es egal, wie viel Zeit und Energie diese Person für religiöse Handlungen aufwendet – sie wird weiterhin als egoistische Person angesehen werden und wird nicht dazu in der Lage sein, irgendeinen spirituellen Fortschritt zu erzielen. Wenn jemand, der sehr selbstsüchtig war, stirbt, dann sind alle anderen erleichtert, dass dieser Mensch sie verlassen hat, da er eine so schrecklich egoistische Person war. Also sogar wenn man nur in Bezug auf dieses Lebens denkt, gilt Folgendes: Wenn wir ein selbstsüchtiger Mensch sind, werden wir von allen für grob gehalten und niemand wird uns schätzen; wenn wir dagegen selbstlos sind und uns immer um die anderen kümmern, dann wird man uns als guten Mensch ansehen.

Wenn wir in einen der schlechten Wiedergeburtszustände gefallen sind – d.h. als Tier und so weiter wiedergeboren wurden – dann können wir nur unserem selbstsüchtigen Interesse die Schuld dafür geben. Alle schwierigen Situationen, die es gibt, können letztlich auf die Ursachen des selbstsüchtigen Interesses und darauf, dass wir uns nur um unser Wohl kümmern, zurückgeführt werden. Das gilt sogar für hoch verwirklichte Wesen, die wegen ihres selbstsüchtigen, eigennützigen Interesses die Erleuchtung nicht verwirklichen können. Alle nutzbringenden und konstruktiven Potentiale – bis hin zum Verwirklichen der Befreiung oder der Erleuchtung – kommen daher, dass man eine menschliche oder göttliche Wiedergeburt erlangt. Und all das kommt daher, dass man sich um das Wohl der anderen sorgt.

Auch wenn wir nur dieses Leben betrachten, können alle guten Dinge darauf zurückgeführt werden, dass wir ein gütiges und warmes Herz haben. Wenn man ein entgegenkommender Mensch ist, der sich ehrlich um das Wohl der anderen sorgt, dann klappt auch in diesem Leben alles gut. Daher ist es wichtig, in welcher Situation wir uns auch immer befinden mögen, dass wir uns nicht mit selbstsüchtigem Interesse beschäftigen. Wir sollten vielmehr an alle denken. Das wird im Text erwähnt: die Sorge für das Wohl der anderen ist die Grundlage und das Fundament aller guten Eigenschaften.

Fassen wir die wichtigsten Punkte zusammen: indem wir über die Nachteile der Selbstbezogenheit und der Selbstsucht und über die Vorteile der Sorge um das Wohl der anderen nachdenken, zielen wir darauf, die herzerwärmende Liebe zu entwickeln, mit der wir uns das Schicksal aller anderen zu Herzen nehmen und uns ihr Wohl zutiefst am Herzen liegt. Auf dieser Grundlage üben wir uns einerseits darin, unser Glücklichsein den anderen mit liebevoller Fürsorge zu schenken, damit sie glücklich sein können und üben uns darin, all ihre Probleme und Leiden auf uns zu nehmen, mit einem mitfühlenden Herzen und voller Sympathie. Es ist sehr schwierig, die Probleme der Menschen tatsächlich auf sich zu nehmen und sie davon zu befreien. Doch wenn wir diese Geisteshaltungen mit Visualisierungen, die wir mit dem Atem kombinieren, entwickeln, werden wir diese Potentiale schließlich aufbauen, so dass wir letztendlich tatsächlich dazu fähig werden, die Probleme anderer Menschen auf uns zu nehmen und zu heilen. Das ist die Praxis, die „Geben und Nehmen“ genannt wird, „Tonglen“ – die Probleme der anderen nehmen und ihnen Glück geben.

Umwandlung widriger Umstände in einen Pfad zur Erleuchtung

Wir alle sind damit konfrontiert, dass schwieriger Umstände entstehen – sowohl äußerlich als auch innerlich. Zum Beispiel sind wir Tibeter ganz eindeutig mit vielen schwierigen Umständen konfrontiert worden. Das gilt jetzt vor allem für diejenigen von uns, die in Tibet sind, da sie immer in Gefahr schweben und mit der Angst leben, verhaftet und exekutiert zu werden.

Der erste Punkt besagt Folgendes: in Situationen, in denen wir Geisteshaltungen der Feindseligkeit oder der Anhaftung haben oder auch wenn wir uns einfach abschotten und engstirnig werden, ist es nötig, dass wir Geisteshaltungen entwickeln, die es möglich machen, die Situation in eine Gelegenheit zum spirituellen Fortschritt zu verwandeln. Eine Methode ist, die Feinseligkeit, Anhaftung und engstirnige Naivität der anderen auf uns zu nehmen, damit umzugehen, und (so) für alle davon frei zu werden. So verwandeln wir widrige Umstände in günstige Umstände.

[Namkapals Erklärung ist hier lediglich ein Kommentar zu folgender Zeile aus Togme Zangpos Version, „Wenn die Umgebung und ihre Bewohner voller negativer Kräfte sind, dann verwandele widrige Umstände in einen Pfad zur Erleuchtung.“ Namkapal versetzt den zweiten Teil dieser Zeile in Togme Zangpos Version „Indem du eine Sache als alle Schuld (tragend) verbannst und allen Wesen gegenüber mit großer Güte meditierst“ in den vorangehenden Abschnitt, der die Nachteile der Selbstbezogenheit und die Vorteile des sich das Wohl-der-anderen-zu-Herzen-Nehmens bespricht. Die Pabongka-Version folgt der Version von Namkapal.]

Was auch immer wir an Schwierigkeiten haben mögen, seien sie körperlich oder geistig, es ist hilfreich, die Probleme aller, die diese spezifische Art von Schwierigkeiten haben, auf sich zu nehmen und zu denken: „Möge es dadurch für alle erledigt sein; möge aufgrund meiner Leiden niemand anderes mehr Leiden müssen.“ Wir können unsere Schwierigkeiten als Ergebnis unserer negativen Potentiale ansehen, die wir selbst in der Vergangenheit aufgebaut haben – und nicht so ansehen, als ob sie von einer äußeren Quelle kämen. Jetzt, wo unsere negativen Potentiale reifen, können wir glücklich sein, dass wir sie somit loswerden. Und wir können uns wünschen, dass auch die negative Potentiale aller anderen in uns reifen mögen. So werden alle von der möglichen Gefahr befreit, dieses Leiden als ein Ergebnis des negativen Potentials zu erleben.

Wenn wir glückliche Bedingungen und Umstände erleben, können wir feststellen, dass sie das Ergebnis der positiven Potentiale sind, die wir in der Vergangenheit aufgebaut haben. Hierüber können wir uns freuen und denken: „Ich muss sogar noch mehr positive Potentiale aufbauen, damit es in Zukunft für mich und die anderen noch mehr hilfreiche Umstände gibt.“ Es ist wichtig, nicht in Stolz oder Arroganz zu verfallen, oder anzugeben, wenn die Dinge für uns gut laufen. Stattdessen kann es uns ermutigen, sogar noch mehr positive Potentiale aufzubauen, damit wir unseren Vorrat nicht aufbrauchen. So verwandeln wir durch unser Denken negative Bedingungen in positive.

[Namkapals Text lässt die nächste Zeile von Togme Zangpo Version aus. Diese betrifft das Verwandeln widriger Umstände mit unserem Denken in Bezug auf unsere Sicht: „Leerheit, (die erkannt wird, indem man) trügerische Erscheinungen in der Meditation als die vier Körper eines Buddhas sieht, ist die unübertroffene Beschützerin.“ Auch Pabongka lässt diese Zeile aus. Stattdessen fügen Namkapal und Pabongka folgende Zeile ein: „Und wende was auch immer dir begegnen mag sofort auf die Meditation an.“ Sie fügen sie ein am Ende der Besprechung der Zeile: „Wenn die Umgebung und ihre Bewohner voller negativer Kräfte sind, dann verwandele widrige Umstände in einen Pfad zur Erleuchtung,“ In der Version von Togme Zangpo folgt die Zeile „Und wende was auch immer dir begegnen mag sofort auf die Meditation an“ auf die Zeile, die in den Versionen von Namkapal und Pabongka als nächstes kommt: „Diese überragende Methode beinhaltet vier Handlungen, die zu nutzen sind.“]

Der zweite Punkt zeigt uns, wie man widrige Umstände in positive umwandeln kann, indem man vier Arten von Handlungen benutzt:

  • Die erste Handlung ist, dass man weitere positive Kraft aufbaut. Egal was für schwierige und negative Umstände auftauchen, sie inspirieren uns, mehr positive Potentiale aufzubauen, damit weder wir noch sonst irgendjemand anderes solche schwierigen Umstände erleben muss. Wir bringen Opfergaben „nach oben“ dar, an die Buddhas und die erleuchteten Wesen und „nach unten“, an alle begrenzten Wesen – wir geben ihnen was auch immer wir können. So bauen wir weitere positive Kraft auf. Diese erste Handlung zum Verwandeln negativer Umstände in positive ist, dass wir sie als Inspiration benutzen, um etwas Positives zu tun.
  • Die zweite Handlung ist, dass wir uns von unserem negativen Potential befreien. Wir tun dies, indem wir unsere eigenen Fehltritte offen zugeben und die verschiedenen Gegenkräfte anwenden – insbesondere das Empfinden von großem Bedauern und Reue. Sogar wenn wir ein enormes negatives Potential aufgebaut haben, so wie Milarepa es getan hat, können wir diese negativen Potentiale bereinigen, wenn wir diesbezüglich großes Bedauern und Reue verspüren, wenn wir offen zugeben, dass die eigenen Handlungen falsch waren und die geeigneten Gegenmittel anwenden.
  • Die dritte Handlung ist, dass man den schädlichen Geistern Opfer darbringt. Wenn uns Schlechtes widerfährt und wir glauben, dass es von schädlichen Geistern kommt, dann bringen wir ihnen Opfergaben der Liebe und des Mitgefühls dar. Manchmal können unsere Probleme aufgrund dieser schädlichen Geister entstehen. Wir nehmen all die Probleme der schädlichen Geister auf uns, da sie sich sicher in einer erbärmlichen Situation befinden. So verwandeln wir eine negative Situation in eine positive.
  • Die vierte Handlung ist, dass man die Dharma-Schützer um ihren erleuchtenden Einfluss bittet. Wir erkennen, dass die verschiedenen Probleme, die auftauchen, einfach die Natur des Samsaras sind. Daher bitten wir die verschiedenen Beschützer um ihren erleuchtenden Einfluss, um mit diesen Situationen umgehen zu können und sie in Situationen umwandeln zu können, die für unser spirituelles Wachstum dienlich sind. Wir bitten sie ehrlich, aus ganzem Herzen, dass sie uns inspirieren mögen, damit wir unsere Bemühungen zur Schulung unserer Geisteshaltungen verstärken können.

Kurz, was uns auch immer an inneren oder äußeren negativen Umständen begegnen mag, wenn wir diese verschiedenen Methoden anwenden, werden wir sie in Umstände verwandeln können, die positiv für unser Wachstum sind.

Diese Punkte können auch im Text „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ gefunden werden. Sie finden sich implizit im Gebet am Ende des Textes, wo man betet: „Solange es Raum gibt und so lange es wandernde Wesen gibt, möge auch ich bleiben, um das Leiden der wandernden Wesen zu beseitigen.“

Verdichtete Praxis in einem Leben: Die fünf Kräfte

[Als nächstes kommt die Zeile „Kurz gesagt: die Essenz der Quintessenz-Lehren ist das Anwenden der fünf Kräfte.“Diese Zeile erscheint auch in den Versionen von Togme Zangpo und Pabongka als nächstes.]

Es gibt fünf Kräfte, um die Praxis in einem Leben – nämlich in diesem Leben – zu kondensieren. Die erste Kraft ist die Absicht, die man nach vorne projiziert. Man wünscht sich: „Möge ich immer dazu in der Lage sein, eine Bodhichitta-Absicht zu entwickeln; möge ich immer dazu in der Lage sein, die Schulung der Geisteshaltungen zu üben; möge ich immer dazu in der Lage sein, die guten Eigenschaften zu entwickeln, die mir erlauben werden, den anderen wirklich zu dienen.“ Die Kraft unserer Absicht nach vorne zu projizieren ist wie wenn man sich darauf vorbereitet, diese Wünsche zu erfüllen. Daher projizieren wir folgende Absicht: „Ich werde mich in diese gute Richtung entwickeln. Jetzt, wo ich diese Gelegenheit habe, diese Schulungen des umfassenden Geistesfahrzeugs des Mahayanas zu üben, werde ich meine ganze Kraft und meine ganze Energie in diese Richtung investieren.“

Um dies jeden Tag zu tun, sagen wir, wenn wir aufwachen „Ich habe so viel Glück, heute aufgewacht zu sein. Ich bin am Leben! Ich habe ein kostbares menschliches Leben. Ich werde es nicht verschwenden. Ich werde vielmehr alle Energien dieses kostbaren Lebens nutzen, um eine Bodhichitta-Absicht zu entwickeln und die Erleuchtung zu erlangen, damit ich den anderen so viel nutzen kann wie möglich. Daher werde ich allen gegenüber liebevolle Gedanken haben. Ich werde nicht wütend werden und werde keine schlechten Gedanken haben. So sehr ich kann, werde ich all meine Energien benutzen, um den anderen zu helfen, um ihnen zu nützen.“

Es ist sehr wichtig, unsere Absicht morgens in dieser äußerst praxisnahen Weise auszurichten. In ähnlicher Weise können wir abends unsere Handlungen untersuchen: „Was habe ich heute getan? Was für eine Art Mensch war ich heute: habe ich den anderen geholfen oder habe ich die anderen nur für meine eigenen selbstsüchtigen Zwecke ausgenutzt? Bin ich wütend geworden? Habe ich Anhaftung entwickelt?“ Wir müssen unseren Tag ehrlich untersuchen, um zu sehen, wie wir uns tatsächlich verhalten haben und was für Arten von Geisteshaltungen wir während dieses Tages entwickelt haben. Wenn wir feststellen, dass wir während des Tages ein gütiger und warmherziger Mensch gewesen sind, dann können wir uns darüber freuen und uns glücklich und ermutigt fühlen. Doch wenn wir in einer sehr störenden Weise gehandelt haben, sollten wir dies bedauern, sollten anerkennen, dass wir uns falsch verhalten haben und sollten den starken Entschluss fassen: „Morgen werde ich mich nicht mehr in einer so negativen Weise verhalten.“

Wenn wir dies jeden Tag tun, werden wir uns schrittweise verbessern. Wir werden lernen, diese Absicht aufrecht zu halten, indem wir uns entschließen, uns während des nächsten Tages, des nächsten Monats und des nächsten Jahres „gut zu verhalten“. Es ist beispielsweise auch ist es für uns aufbauend, zu Belehrungen wie zu diesen zu kommen. Man kann einen starken Entschluss fassen, indem man denkt: „Nun werde ich diese Belehrung über die Schulung der Geisteshaltungen anhören und werde ihre Inhalte so gut ich kann anwenden.“

Die zweite Kraft ist die Kraft des weißen Samens, den wir mit folgendem Gebet schaffen: „Möge ich die Erleuchtung zum Wohl aller Wesen verwirklichen.“ Dies bestärkt unseren Einsatz, für unsere eigene Erleuchtung und die aller anderen zu arbeiten.

Die dritte Kraft ist die Kraft, die alles auf einmal eliminiert. Das bedeutet, dass wir alles auf einmal aufgeben, was wir aufgeben wollen: unsere Selbstsucht, unsere störenden Geisteshaltungen, unsere Beschäftigung mit uns selbst, unser Greifen nach einem wahrhaft begründetem Selbst und so weiter. Indem wir uns entscheiden, dass wir nicht unter den Einfluss dieser Geisteshaltungen kommen wollen, sagen wir: „Ich werde nicht zulassen, dass ich stolz, arrogant oder selbstsüchtig werde; und wenn sich eine Situation ergibt, in der ich feststelle, dass ich mich so verhalte, dann werde ich sofort die Gegenkräfte anwenden.“

Die vierte Kraft ist die Kraft des Gebets. Man betet: „Möge ich immer dazu in der Lage sein, eine Bodhichitta-Absicht zu entwickeln; und wenn ich bereits eine entwickelt habe, dann möge ich sie immer weiter ausdehnen.“ Es ist bekannt, dass es einen Unterschied gibt zwischen einem Gebet der Aspiration und einem Widmungsgebet. Ein Gebet der Aspiration ist, wenn wir uns einfach etwas wünschen, wie es hier der Fall ist; ein Widmungsgebet liegt vor, wenn man irgendein materielles Objekt als Grundlage benutzt und die positive Kraft, die sich aus dem Darbringen des Objekts ergibt, dem Erreichen des Zieles widmet.

Die fünfte Kraft ist die Kraft der Gewöhnung. Wir müssen so sehr wir können die Gewohnheit in uns aufbauen, immer auf diese positive Weise zu denken. Im Umgang mit jeder Art von spiritueller Schulung ist es wichtig, dass wir versuchen, sie als eine hilfreiche Angewohnheit in uns aufzubauen. Die Dinge geschehen nicht sofort; es geht darum, eine zunehmende Gewohnheit aufzubauen, so dass wir schrittweise feststellen werden, wie unser Geist und unser Herz in eine gute Richtung gehen. Es ist wichtig, unsere Bemühungen extrem lange aufrechtzuerhalten; es geht nicht bloß um Wochen oder Monate intensiver Praxis; so funktioniert es nicht. Stattdessen müssen wir uns Lebenspanne um Lebensspanne vorstellen, in denen wir diese positiven Gewohnheiten über eine erhebliche Zeit hinweg aufbauen und uns so graduell verbessern. Da wir seit anfangsloser Zeit unter dem Einfluss störender Geisteshaltungen gehandelt haben und wir uns in einer ungebärdigen Weise, ohne Selbstkontrolle, verhalten haben, wird es nicht leicht sein, diese negativen Gewohnheiten zu beseitigen. Es werden lang anhaltende Bemühungen nötig sein, um die Art, in der unser Geist und unser Herzen funktionieren, umzupolen und sie in eine positive Richtung zu orientieren. Daher ist es nötig, geduldig zu sein, langfristig zu denken, um unserem Herz und unserem Geist positive Gewohnheiten anzutrainieren.

Wenn wir unsere Anstrengungen nur auf eine Woche oder einen Monat intensiven Übens konzentrieren und dann keinen Fortschritt erzielen, dann werden wir sehr entmutigt. Langfristig gesehen wird dies unserer Entwicklung, die über mehrere Leben geht, schaden, Wenn wir uns dagegen in einer praxisnahen Weise vorstellen, uns von Leben zu Leben zu verbessern, dann werden wir nicht entmutigt und haben keine unvernünftig hohen Erwartungen; somit werden wir uns in einer Weise entwickeln, die wir aufrecht erhalten können.

Wie Geshe Chekawa sagte: „Dieser Geist, der voller Fehler ist, hat eine große Qualität: wie man ihn übt, so wird er.“ Mit anderen Worten, es ist möglich, unseren Geist zu trainieren, so dass wir unsere Gewohnheiten verändern und ein besserer Mensch werden können. Das ist die große Qualität des Geistes.

Die Anwendung der fünf Kräfte zur Zeit des Todes

Der nächste Punkt erklärt, wie man die fünf Kräfte zur Zeit des Todes anwendet.

[Dies ist ein Kommentar zu den Zeilen: „Die Quintessenz-Lehren für die Übertragung des Bewusstseins im Mahayana sind die fünf Kräfte selbst, während ich meinem Pfad des Verhaltens Gewicht verleihe.“]

Hier ist die Reihenfolge leicht anders. Mit dem wichtigen Hinweis, dass man die Anhaftung für den eigenen Körper aufgeben muss, kommt als erstes die Kraft des weißen Samens. Dies bezieht sich darauf, dass man zur Zeit des Todes denkt: „Nun, zur Zeit meines Todes, reinige ich mich von all den negativen Dingen, die ich während meinem Leben getan habe; ich gebe alle Fehler, die ich gemacht habe, zu; und ich gebe all meinen Besitz weg.“

Im Text findet sich ein Zitat aus „Eintritt in das Verhalten der Bodhisattvas“ über die Schrecken, die man angesichts des Todes erleben kann, wenn man mit viel Bedauern und schlechtem Gewissen sterben muss, da man sich nicht um die eigenen Angelegenheiten gekümmert hat. Da es sein kann, dass wir zur Zeit des Todes viel Angst erleben, ist der erste Punkt der weiße Samen: zu versuchen, zur Zeit des Todes Vergegenwärtigung zu haben und alle Gegenkräfte anzuwenden, um die negativen Potentiale, die wir aufgebaut haben, zu reinigen. Wenn wir Tantra praktiziert haben, dann nehmen wir die Selbst-Initiation und erneuern unsere Gelübde. Wir kümmern uns um unseren gesamten Besitz, indem wir ihn voller Großzügigkeit verschenken – und wir tun dies ohne Anhaftung, in einer sehr reine Art und Weise. Das ist die Kraft des weißen Samens.

Die nächste Kraft ist die Kraft unserer Absicht. Wenn wir sterben, denken wir: „Egal wie viele Augenblicke ich noch haben mag – ich werde sie voll ausnutzen und mich vollständig vorbereiten auf den Tod, damit es in Zukunft besser gehen möge.“

Als nächstes kommt die Kraft, die alles auf einmal eliminiert: es handelt sich um den Entschluss, in zukünftigen Leben keine negative karmische Kraft mehr aufzubauen und um die Entscheidung, in allen zukünftigen Leben nur noch positiven Verhaltensweisen auszuüben.

Die nächste Kraft ist die Kraft des Gebetes. Man betet darum, dass man in der Zukunft dazu in der Lage sein wird, diese Praxis der Schulung der Geisteshaltungen fortzuführen.

Die Kraft der Gewöhnung besteht darin, während wir sterben unser gewohntes Denken mit einer Bodhichitta-Absicht zu verstärken, Zusätzlich sollten wir versuchen, uns beim Sterben wie Buddha zu verhalten. Als Buddha in Kushinagar starb, lag er auf der rechten Seite, in der Position des Löwens. Während wir sterben, erzeugen wir die feste Überzeugung und eine große Bewunderung für Bodhichitta und denken „Möge ich in all meinen Leben immer eine Bodhichitta-Absicht entwickeln, um die Erleuchtung zum Wohle aller zu erreichen“ und wir projizieren diese Absicht in all unsere zukünftigen Leben, während wir sterben.

Die beste Weise, zu sterben ist sich vorzustellen, wie man in Verbindung mit dem Atem das Leiden der anderen auf sich nimmt und all unser Glücklichsein weggibt. Sich auf Powa bzw. die Übertragung des Bewusstseins beziehend, sagt Geshe Chekawa: „Es gibt viele glorreiche Quintessenz-Lehren für die Übertragung des Bewusstseins, doch von ihnen allen ist keine wunderbarer als diese (Praxis des Gebens und Nehmens).“

Es ist von größter Bedeutung, mit einem konstruktiven und positiven Geisteszustand zu sterben. Einige von uns werden in dem Augenblick möglicherweise viele Schmerzen empfinden und Schmerzmittel nehmen, die den Geist unklar sein lassen. Wenn wir das vermeiden können ist es viel besser, mit einem klaren Geisteszustand zu sterben. Wenn wir es nicht vermeiden können, dann ist es etwas anderes, aber es ist am besten, nicht mit einem durch Medikamente vernebeltem Geist zu sterben.

Ermessen, inwieweit wir die eigene Geisteshaltungen geschult haben

[In den Versionen von Namkapal und Pabongka lautet dieser Abschnitt: „Bringe alle Dharma-Praxis zu einer Absicht zusammen Von den zwei Zeugen nimm dich als den Maßgeblichen; und verlasse dich fortwährend nur auf geistiges Glück. Aber der (eigentliche) Maßstab dafür, geschult zu sein, ist (dass deine Geisteshaltung) umgekehrt wird. Es gibt fünf große Zeichen dafür, dass man sich geschult hat und wenn du, selbst wenn du abgelenkt bist, noch fähig bist, dann hast du dein Übungsziel erreicht.“ In der älteren Version von Togme Zangpo kommen die Zeilen „Aber der (eigentliche) Maßstab dafür, geschult zu sein, ist (dass deine Geisteshaltung) umgekehrt wird. Es gibt fünf große Zeichen dafür, dass man sich geschult hat“ nicht vor; und die ersten drei Zeilen und die letzte Zeile sind beinhaltet in demMaßstab dafür, wie man die eigene Geisteshaltungen geschult hat.]

Der Kommentar zum Text sagt Folgendes: wenn wir die eigenen Geisteshaltungen dem Leben gegenüber mit Gedanken an die Unbeständigkeit geschult haben, dann können wir im Leben mit allem Möglichen konfrontiert werden und werden immer erkennen, dass es unbeständig ist, dass es vorbeigehen wird. Ähnliches gilt, wenn wir unseren Geist trainiert haben, indem wir über die Nachteile der Selbstsucht nachgedacht haben. Die Wirkung dieser Schulung zeigt sich daran, dass wir in jedem Buch, das wir lesen und bei jeder Handlung, bei der wir mit den verschiedenen beschriebenen Fehlern konfrontiert werden, uns selber mit diesen Fehlern identifizieren werden und denken, dass sie aufgrund unserer eigenen Selbstsucht entstanden sind. Wenn wir immer dazu in der Lage sind, die negative Dinge, mit denen wir konfrontiert werden, als Produkte unserer eigenen Selbstsucht anzusehen, dann ist dies ein Zeichen dafür, dass wir unseren Geist mit diesen Methoden erfolgreich geschult haben.

Wie das „Geistestraining in sieben Punkten“ uns sagt, müssen wir uns selbst zum Hauptzeugen machen. Was das Funktionieren unseres eigenen Geistes angeht, sind wir selbst der beste Zeuge, nicht die anderen, die beobachten und beurteilen, was wir tun. Wenn andere Menschen als Zeugen fungieren müssen, um Aussagen über die spirituellen oder religiösen Dinge, die wir tun, zu machen, dann besteht die große Gefahr, dass wir nur eine große Show machen, damit die anderen denken, dass wir ein toller spiritueller Übender sind. Es geht vielmehr darum, dass wir diese ganzen Schulungen innerlich üben; wir sind der Hauptzeuge, ob wir ein gütigerer und besserer Mensch werden oder nicht.

Man kann hier einige Zitate hinzufügen, die vor allem von den Kadam-Geshes kommen: „Wenn wir irgend einen Fehler sehen, sollten wir ihn als unseren eigenen Fehler ansehen.“ „Wenn wir alle negativen Umstände, die uns begegnen, als Produkt unserer eigenen Selbstsucht ansehen, dann ist dies ein Zeichen dafür, dass wir unsere Geisteshaltung erfolgreich geschult haben.“ „Der wichtigste Punkt ist, dass man sich immer Folgendes vergegenwärtigt: die Vorteile, sich um das Wohl der anderen zu sorgen und die Nachteile des selbstsüchtigen Interesses.“

Das wahre Maß, dafür, unsere Geisteshaltungen geschult zu haben, ist, dass wir früher immer die anderen ignoriert und an uns selbst gedacht haben; doch wenn wir nun feststellen, dass sich diese Haltung vollkommen umgekehrt hat, dass wir immer unsere selbstsüchtigen Zwecke ignorieren während wir an andere denken, dann ist dies das wahres Zeichen unseres Erfolges.

Es gibt fünf Arten von „großen Wesen“, und als Zeuge müssen wir feststellen, dass wir so geworden sind:

  • ein großherziges Wesen – jemand, der all seine Bemühungen darauf richtet, immer an die anderen zu denken und Bodhichitta zu entwickeln,
  • ein großes Wesen, das in konstruktivem Verhalten geschult ist – jemand, der immer seine Bemühungen auf die zehn weitreichenden Geisteshaltungen und auf konstruktives Verhalten richtet,
  • ein großes Wesen mit der Fähigkeit, Schwierigkeiten zu ertragen – jemand, der dazu in der Lage ist, alle Schwierigkeiten auszuhalten und den Kampf gegen seine verschiedenen störenden Geisteshaltungen und Emotionen zu gewinnen,
  • ein großer Einhalter der Disziplin – jemand, der alle gelobten Enthaltungen einhält, die in Verbindung zu seiner Schulung der Geisteshaltungen stehen,
  • ein großer Yogi – jemand, der an die eigentliche Sache – nämlich an Bodhichitta – angeschirrt ist.

Die zehn weitreichenden Geisteshaltungen oder Vollkommenheiten sind: Großzügigkeit, ethische Selbstdisziplin, Geduld, freudige Ausdauer, geistige Stabilität (Konzentration), unterscheidendes Gewahrsein (Weisheit), Geschick bezüglich der Mittel, Gebet der Aspiration, Stärken, tiefes Gewahrsein.

Wenn wir prüfen wollen, ob wir unsere Geisteshaltungen tatsächlich geschult haben, dann können wir uns nicht darauf beschränken, dass wir für die anderen große Liebe empfinden, wenn wir auf unserem Kissen sitzen und über diese Themen meditieren. Sondern wenn uns jemand im alltäglichen Leben kritisiert oder etwas tut, das uns wehtut und so weiter, dann können wir unsere Reaktionen beobachten und anhand dessen prüfen, welche Fortschritte wir wirklich erzielt haben.

Übungen für enge Bindung mit dem Geistestraining

Es gibt verschiedene Traditionen, die den sechsten der sieben Punkte unterschiedlich darstellen. Die von mir benutzte Version von Namkapals Text hat sechzehn Übungen für enge Bindung, während andere Versionen bis zu achtzehn haben.

[Wenn in der Kommentar-Tradition von Namkapals Text, der Seine Heiligkeit folgt, die erste Übung für enge Bindung „übe dich stets in den drei allgemeinen Punkten“ als drei Übungengezählt wird, dann kommt die Gesamtliste ebenfalls auf dreizehn Übungen. Diese Liste, die Seine Heiligkeit erklärt, folgt der Liste der achtzehn Übungen für enge Bindung, die sich in den Togme Zangpo- und Pabongka-Versionen von Geshe Chekawas Text finden.]

In einigen anderen Ausgaben von Namkapals Text, die achtzehn Übungen auflisten, kommt es aber zu folgenden Variationen:

Die erste Übung wird nur als eine Übung gezählt.

Eine Übung für enge Bindung wird in der Liste ausgelassen, wird aber in der von Seiner Heiligkeit erklärten Version als Punkt angeführt, um unsere Geisteshaltungen zu reinigen:

  • Reinige dich als erstes von der störenden Emotion, die in dir am stärksten ist. In jener Liste von zu übenden Punkten heißt dies: „reinige dich zuerst von dem, was am Gröbsten ist.“

Eine Übung für enge Bindung wird vollkommen ausgelassen:

  • Drehe das Amulett nicht um.

Zwei weitere Übungen für enge Bindung werden dazu addiert, die in der von Seiner Heiligkeit erklärten Version als Punkte angeführt werden, um unsere Geisteshaltungen zu reinigen:

  • Meditiere immer über die, die hervorgehoben wurden.
  • Sei nicht abhängig von anderen Bedingungen.

Zwei Übungen für enge Bindung werden hinzugefügt, die in den anderen Versionen weder als Übungen für enge Bindung noch als zu übende Punkte erscheinen:

  • Sei energisch, dich (von störenden Geisteshaltungen und Emotionen) zu befreien und (positive Geisteshaltungen und Emotionen) anzunehmen, indem du (deine störenden Geisteshaltungen) kraftvoll unterwirfst.
  • Zerstöre alle Gründe (dafür, dass Anhaftung und Abneigung anderen gegenüber in mir aufkommen.]

(1) Übe dich stets in den drei allgemeinen Punkten. Der erste allgemeine Punkt ist: „Widersprich nicht dem, was du in Bezug auf das Schulen deiner Geisteshaltungen versprochen hast.“ Wir tun dies, indem wir ethischer Selbstdisziplin folgen, uns von den zehn destruktiven Handlungen zurückhalten und so weiter. Ein solches Verhalten nämlich der ethischen Selbstdisziplin nicht zu folgen würde dem Schulen unserer Geisteshaltungen widersprechen. Vom Anfang der Praxis bis hinauf zum großen Guhyasamaja-Tantra werden wir keine dieser Praktiken verwerfen, da dies den Verpflichtungen widersprechen würde, die wir eingegangen sind.

Der zweite der drei allgemeinen Punkte ist: „Verhalte dich nicht in einer total schockierenden Weise, wenn du deine Geisteshaltungen schulst“, was sich beispielsweise darauf bezieht, dass man der Umwelt nicht schaden sollte. Der dritte ist: „Werde nicht parteiisch, wenn du deine Geisteshaltungenschulst“ sondern wende die Schulung in gleicher Weise allen gegenüber an, einschließlich der Tiere und Insekten.

(2) Verwandle deine Absichten, doch bleibe normal. Mit anderen Worten: wir bleiben in unserer Erscheinungsweise normal und verhalten uns in einer für die Gesellschaft geeigneten Weise, doch wir ändern unsere Geisteshaltungen. Mit anderen Worten, wir sollten keine merkwürdigen Vorstellungen über uns selbst haben. Wenn wir zum Beispiel unsere Geisteshaltungen schulen und diese Art von Praxis ausführen, dann sollten wir nicht einfach alles tun, was uns durch den Kopf geht. Wie es immer gesagt wird: innerlich sollten wir den spirituellen Praktiken folgen, doch äußerlich sollten wir uns in einer Weise verhalten, die mit der Umwelt und der Gesellschaft, in denen wir leben, im Einklang steht und damit harmonisch ist. Wir können uns nicht in einer total schockierenden Weise verhalten. Viele Menschen haben dies gesagt, einschließlich der großen Lamas Tsongkhapa und Gungtangzang.

(3) Sprich nicht von den Mängeln oder den schlechten Seiten (anderer). Mit anderen Worten sollten wir andere nicht kritisieren und uns nicht um die Stufe der Verwirklichung kümmern, die sie erreicht haben. Wir sind normalerweise unfähig dazu, irgendwelche guten Eigenschaften bei anderen Menschen zu sehen, doch ihre kleinsten Fehler erspähen wir wie ein Falke. Das ist der Punkt, bei dem es darum geht, dass wir nicht über die schlechten Seiten der anderen sprechen sollten.

(4) Denke dir nichts bei den (Fehlern) anderer. Wir sollten uns abgewöhnen, über die Fehler der anderen nachzugrübeln oder nachzudenken.

Es ist nützlich, diese ersten fünf Punkte besonders in Beziehung zu den fünf Arten von Person zu üben, die hervorgehoben werden, da man mit ihnen besonders vorsichtig sein muss:

  • Die, die uns gegenüber am gütigsten gewesen sind. Es ist ausgesprochen wichtig, nicht ärgerlich auf diejenigen zu werden, die uns gegenüber am gütigsten gewesen sind und die den größten Respekt verdienen: die drei Juwelen, unsere spirituellen Mentoren, unsere Eltern und so weiter, da dies sehr schwerwiegend wäre.
  • Mitglieder unseres Haushaltes und Menschen, mit denen wir täglich zu tun haben. Das bezieht sich darauf, dass man besonders vorsichtig sein sollte im Umgang mit der eigenen Familie und mit den Menschen, mit denen man lebt. Wir sagen sehr oft: „Mögen alle fühlenden Wesen glücklich sein; möge ich für das Wohl aller fühlenden Wesen arbeiten.“ Doch wir tendieren dazu, zu denken, dass diese Wesen sehr weit von uns entfernt sind; und wenn es um diejenigen geht, mit denen wir tatsächlich leben – um die Familie oder enge Kontakte – dann sind wir dazu unfähig, dieses altruistische Streben praktisch anzuwenden. Das ist vollkommen falsch. Wir müssen unsere Energien nicht bloß theoretisch vagen „fühlende Wesen“ widmen, sondern auch Menschen, mit denen wir täglich im Kontakt stehen, einschließlich unserer Nachbarn und der Menschen, die wir eher nervig finden. Unsere Gebete sollten ausgesprochen praktisch sein; sie sollten in bodenständiger Weise mit den Situationen, in denen wir uns befinden, umgehen. „Alle fühlenden Wesen“ sind keine weit entfernten Konzepte; es ist wichtig, dass wir uns direkt engagieren.
  • Die, die mit uns im Wettstreit stehen, seien es Laien oder ordinierte Menschen. Wir müssen uns besonders bemühen, wenn wir mit denen umgehen, die mit uns im Wettstreit stehen oder eifersüchtig auf uns sind. Denn es besteht eine große Gefahr, dass wir ihnen gegenüber Feindseligkeit und uns gegenüber Selbstbezogenheit entwickeln. Daher ist es wichtig, sich besonders zu bemühen, in Bezug auf diese Menschen unsere Geisteshaltungen zu schulen.
  • Die, die schlecht über uns reden, obwohl wir nichts getan haben, um es zu verdienen. Dies bezieht sich auf Menschen, die es uns nicht danken, wenn wir ihnen etwas Gutes getan haben, sondern vielmehr böswillig sind und hässliche Dinge über uns sagen. Normalerweise werden wir darüber sehr ärgerlich. Wir denken, dass diese Menschen sich uns gegenüber in einer wertschätzenden Weise verhalten sollten. Und gerade da müssen wir uns besonders anstrengen, um nicht ärgerlich zu werden und weiterhin unsere Geisteshaltungen zu schulen.
  • Diejenigen, die wir nicht mögen oder die uns unsympathisch sind, sobald wir sie sehen oder auch nur ihren Namen hören. Wir müssen besonders vorsichtig sein im Umgang mit Menschen, die uns sehr unsympathisch sind und – was wir hier auch mit einschließen können – mit Menschen, zu denen wir uns stark hingezogen fühlen. Zum Beispiel kann es gelegentlich passieren, dass wir Menschen begegnen, von denen wir uns entweder stark abgestoßen oder zu denen wir uns stark hingezogen fühlen. In diesen Situationen ist es wichtig, sehr achtsam zu sein, um nicht unter den Einfluss des sehnsüchtigen Verlangens, der Feindseligkeit oder der Abneigung zu geraten.

Diese Erklärung der fünf Arten von Menschen, die ausgesondert werden, ist in der Liste der Textversion, der Seine Heiligkeit folgt, die gewöhnliche Interpretation des zwölften Punktes, den man trainiert, um die eigenen Geisteshaltungen zu reinigen: „Meditiere immer über die, die hervorgehoben wurden”.

Einige von uns verhalten sich, solange die Dinge gut laufen, wie religiöse Menschen. Doch wenn es schlecht geht, kehren sie zu weltlichen Verhaltensweisen zurück. Wie Sie wissen, ist es bei uns die Sitte, einen Stupa oder ein religiöses Gebäude zu umschreiten, wobei man einen Mala-Rosenkranz oder eine Gebetsmühle mit sich trägt. Einmal umschritt jemand in dieser Weise einen Stupa mit einer Gebetsmühle in der Hand. Ein anderer kam vorbei und fragte ihn: „Was machst du da?“ Der Mann sagte „Ich übe den Dharma.“ Als er gefragt wurde „Was genau tust du?“ antwortete er: „Ich baue die Gewohnheit der Geduld in mir auf.“ Der andere schrie ihn an: „Friss Scheiße!” und der Mann, der behauptete, er meditiere über Geduld, wurde wütend! Er tat nur äußerlich so, als sei er religiös, indem er den Stupa umschritt. Doch in seinem Herzen hatte er sich überhaupt nicht verändert.

(5) Befreie dich zuerst von der negativen Emotion, die bei dir am stärksten ist. Wir müssen uns um unsere Geisteshaltungen kümmern, die am meisten störend sind. Wir sollten allerdings nicht einseitig sein, indem wir uns nur mit manchen Geisteshaltungen und nicht mit den anderen befassen. Wenn wir uns um unsere störenden Geisteshaltungen kümmern, müssen wir uns von allen emotionalen Hindernissen befreien, die die Befreiung verhindern. Um das zu bewerkstelligen, muss man sich von allen störenden Geisteshaltungen befreien und nicht nur von einigen.

Wie es in diesem Text heißt, müssen wir uns kraftvoll bemühen, um uns von unseren störenden Geisteshaltungen und schlechten Gewohnheit zu befreien und uns immer das Wohl der anderen zu Herzen nehmen. Wir bewerkstelligen dies, indem wir über diese Maßnahmen hören, nachdenken und meditieren und positive Geistesgewohnheiten aufbauen. Und wir müssen uns kraftvoll bemühen, um das Greifen nach unserem Selbst und unsere Selbstbezogenheit aufzugeben und nicht entmutigt zu sein. Wir müssen also wirklich einen sehr festen Entschluss fassen: wir werden nicht zulassen, dass wir unter den Einfluss der störenden Geisteshaltungen geraten, die uns in der Vergangenheit beherrscht haben. Und wir werden nicht zulassen, dass uns die Umstände von diesem Entschluss abbringen.

(6) Befreie dich von der Hoffnung auf Früchte. Wir schulen unseren Geist und verändern unsere Geisteshaltungen nicht, damit uns alle lieben. Ebenso wenig versuchen wir, berühmt zu werden oder einen Preis zu gewinnen, weil wir ein so wunderbar religiös-spiritueller Mensch sind. Wir ändern unsere Geisteshaltungen vielmehr ausschließlich mit dem Ziel, den anderen helfen zu können. Wir wollen die Erleuchtung zum Wohl der anderen verwirklichen und nicht zu unserem eigenen Wohl.

(7) Gib vergiftete Nahrung auf. Dies bedeutet, dass wir unsere Praxis leicht mit Gedanken der Selbstsucht und der Selbstbezogenheit vergiften. Wir üben verschiedene Praktiken aus, sagen Gebete, lesen und studieren Texte und sagen, dass wir es zum Wohl aller begrenzten Wesen tun. Doch es ist möglich, diese ganze Praxis zu vergiften, indem wir zum Beispiel dadurch als großer Gelehrter berühmt werden wollen. Wenn wir die Praktiken ausüben, um dadurch in diesem Leben Gewinn erzielen wollen, Freiheit von Krankheit, einem langen Leben und so weiter – dann ist das falsch. Es ist wie wenn wir giftige Nahrung essen: es lässt nur unsere Selbstbezogenheit wachsen.

(8) Verlasse dich nicht (auf deine störenden Gedanken) als deine hervorragende Hauptstütze. Diese Zeile hat zwei verschiedene Interpretationen. In einigen Kommentaren bedeutet sie, dass man nicht zulassen sollte, dass die Hauptstraße in unserem Geist in die Richtung der störenden Geisteshaltungen führt. Nach Ansicht anderer Kommentare bedeutet es folgendes: wenn wir jemand sehen, richtet sich unser Geist direkt auf diese Person, wie auf einer großen Schnellstraße. Die zweite Interpretation, wie sie in diesen Kommentaren erklärt wird, ist, dass wir, wenn uns z.B. eine Person aufregt, wir unseren Geist nicht direkt mit wütenden Gedanken auf diese Person richten sollten. Ich denke, die erste Interpretation ist vermutlich etwas leichter zu verstehen: wir müssen verhindern, dass die Hauptrichtung unseres Geistes zu den störenden Geisteshaltungen führt.

(9) Lass dich nicht zu schlechtem Spiel verleiten. Das zu tun würde bedeuten, dass wir Vergeltung üben, also wenn uns jemand beschimpft, dass wir zurückbeschimpfen, oder dass wir zurückschlagen.

(10) Liege nicht im Hinterhalt. Banditen liegen am Straßenrand, um einer Karawane einen Hinterhalt zu bereiten; wir sollten nicht in ähnlicher Weise im Hinterhalt liegen, indem wir darauf warten, dass jemand einen Fehler macht oder sich in unpassender Weise verhält, damit wir auf ihm herumhacken oder ihn anklagen können. Wenn wir gute Menschen sind, dann ist es leicht, gut zu netten Menschen zu sein. Doch es sind die Schwierigen, die der wahre Test sind.

(11) Demütige (niemanden) aufgrund seines Schwachpunktes. Dies erinnert uns daran, dass wir die Fehler eines Menschen nicht vor anderen ansprechen sollten.

(12) Belade einen Ochsen nicht mit der Last eines Dzo. Ein Dzo ist ein sehr großes Tier – eine Kreuzung zwischen einem Yak und einer Kuh. Dies bedeutet also mit anderen Worten, dass wir nicht den anderen die Schuld für etwas geben sollen, dass wir möglicherweise selbst hätten tun können. Statt einer anderen Person die Last aufzubürden, können wir selbst die volle Verantwortung tragen.

(13) Mache keine Wettrennen. Das bedeutet, dass wir uns nicht immer nach vorne drängeln sollten und nicht versuchen sollten, so zu tun, als geschähe alles Positive Dank uns.

(14) Dreh das Amulett nicht um. Wenn man ein Amulett oder einen Talisman hochhält, um Geister zu vertreiben, dann hält man es mit der Vorderseite nach außen. Und wenn wir unseren Geist schulen, dann (tun wir das) damit uns das Wohl der anderen am Herzen liegt. Wenn wir es tun, um ein Gefühl der Selbstwichtigkeit zu entwickeln, ist es, wie wenn man ein Amulett verkehrt herum hält.

(15) Veranlasse nicht, dass ein Gott sich in einen Dämon verwandelt. Dies bedeutet, die Dinge nicht bloß zu tun, um unserer Selbstbezogenheit zu entsprechen. Beispielsweise kritisieren manchmal Menschen andere zum Beispiel nur, um selbst gelobt zu werden oder um einen Vorteil zu erhaschen. Wenn man sich so verhält, dann schlägt man damit wirklich die falsche Richtung ein.

(16) Erstrebe nicht das Leiden (anderer) als Element (deines) Glücks. Kurz, es ist sehr wichtig, die richtige Absicht zu haben, bevor man irgendetwas tut – damit man sicher ist, dass es zum Wohl der anderen ist. Deshalb richten wir am Anfang unserer Rezitationen und Gebete immer unsere Absicht aus und am Ende widmen wir die positive Kraft.

Punkte für das Geistestraining, das es zu üben gilt

Dies ist der letzte Punkt des „Geistestrainings in Sieben Punkten“.

[In der Kommentar-Tradition von Namkapals Text, die Seine Heiligkeit erklärt, gibt es zweiundzwanzig Punkte, die zu üben sind. Dieselbe Zweiundzwanzig-Punkte-Liste erscheint auch in der Togme Zangpo- und in der Pabongka-Edition von Geshe Chekawas Wurzeltext.

Einige andere Versionen von Namkapals Text zählen vierundzwanzig zu übende Punkte auf. In diesen Versionen kommt es zu folgenden Varianten:

Ein zu übender Punkt wird in dieser Liste ausgelassen, doch er findet sich in der Version, die Seine Heiligkeit erklärt, als zu übender Punkt:

  • Unterwirf alles, was verzerrt ist, mit einem.

Zwei zu übende Punkte werden von dieser Liste ausgelassen, aber in der Version, die Seine Heiligkeit erklärt, als eine Übung für enge Bindung mit dem Geistestraining hinzugefügt:

  • Meditiere immer über die, die hervorgehoben wurden.
  • Sei nicht abhängig von anderen Bedingungen.

Fünf zu übende Punkte werden hinzugefügt, die nicht in den anderen Versionen erscheinen – weder als Übungen für enge Bindung noch als zu übende Punkte:

  • Übe dich in leichteren Praktiken.
  • Verwandle alles in einen Mahayana-Pfadgeist.
  • Praktiziere, was effektiver ist – so wie ethische Selbstdisziplin effektiver als Großzügigkeit ist – und übe Bodhichitta unter allen Umständen.
  • Wenn du dich abwendest (von der Schulung deiner Geisteshaltungen), dann meditiere darüber als Gegenmittel – mit anderen Worten, meditiere, dass dein dich Abwenden eine Störung ist, die von schädlichen Geistern verursacht wurde, und übe Geben und Nehmen (Tonglen) für andere, die von ähnlichen Schwierigkeiten betroffen sind.
  • Schütze dich in Zukunft immer (mit Bodhichitta).

Ein Punkt, „handle rein, ohne den Objekten gegenüber parteiisch zu sein“, wird als Teil eines anderen Punktes eingefügt: „Pflege (das Anwenden) einer weiten und tiefen Schulung bei allem.“]

(1) Übe alle Yogas mit einem. Dieser Punkt gibt uns den Ratschlag, all unsere Aktivitäten mit dem Wunsch auszuführen, allen zu nutzen.

(2) Unterwirf alles, was verzerrt ist, mit einem. In anderen Worten: wir müssen versuchen, uns von unseren störenden Geisteshaltungen und Emotionen mit einer Praxis zu befreien – mit dem Geben und Nehmen.

(3) Führe am Anfang und am Ende die zwei Handlungen aus. Dies bezieht sich auf das, was wir bereits besprochen haben. Es bedeutet (a) dass wir am Anfang jeden Tages eine starke Absicht in uns erzeugen und (b) die positive Kraft am Ende widmen.

Das ist eines der Dinge, die ich selbst täglich übe. Ich entwickle die starke Absicht, dass alles was ich tue, allen Wesen nutzen möge. Spezifischer widme ich mich in Weise vollkommen den Tibetern in unserem Land Tibet, die so viele Schwierigkeiten erleben. Am Ende des Tages widme ich dann alle positive Kraft, die durch meine Handlungen geschaffen wurde der Erfüllung dieses Gebets.

(4) Welche der beiden auch immer erscheint, handle geduldig bezieht sich auf Folgendes: (a) darauf, dass wir den anderen unser Glück schenken, wenn die Dinge gut für uns stehen und (b) dass wir ihr Leiden auf uns nehmen, wenn die Dinge für uns nicht gut laufen, ohne entmutigt zu sein. Es ist wichtig, bei dieser Praxis großen Mut zu haben, wenn man übt, das eigene Glück wegzugeben und die Probleme der anderen auf sich zu nehmen. Wenn wir glücklich sind, können wir denken, „Das ist das Ergebnis der positiven Potentiale, die ich in der Vergangenheit aufgebaut habe.“ Wir sollten, wenn wir dieses Glücklichsein erleben, nicht einfach denken „Wie wundervoll ich bin!“, sondern wir sollten vielmehr beten, dass alle dasselbe Glück erleben mögen, das wir verspüren; dass alle die gute Situation erleben dürfen, die wir erleben.

Es ist ausgesprochen wichtig, sich besonders darum zu bemühen, in der Lage zu sein, schwierige Situationen aushalten zu können. Shantideva sagt in seinem Text „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“: besonders wenn wir krank sind oder uns in Situationen befinden, die extrem schwierig oder schmerzhaft sind, müssen wir uns besonders anstrengen, um die Umstände auszuhalten und in einen Pfad zu verwandeln. Auch in Situationen, in denen wir erfolgreich sind und die Dinge besonders gut laufen, ist es sehr wichtig, äußerst vorsichtig zu sein, damit wir keinen Stolz entwickeln.

(5) Beschütze die zwei auf Kosten deines Lebens. Diese beiden sind (a) die Anweisungen für die Dharma-Praxis im Allgemeinen und spezifisch (b) die eng bindenden Praktiken für die Schulung unserer Geisteshaltungen.

(6) Übe dich in den drei schwierigen Dingen bezieht sich darauf, (a) dass wir uns vergegenwärtigen, was die Gegenkräfte sind, um die störenden Geisteshaltungen zu überwinden, (b) dass wir gegenwärtig in Bezug darauf sind, diese Gegenkräfte anzuwenden und (c) dass wir gegenwärtig in Bezug darauf sind, sie beizubehalten. Sobald also die störenden Geisteshaltungen oder Emotionen aufsteigen, müssen wir uns daran erinnern, was die Gegenkräfte sind, um sie zurückzuschlagen. Doch wir müssen uns nicht nur daran erinnern, was diese Gegenkräfte sind, wir müssen sie auch sofort anwenden und müssen dann weiter gegenwärtigen bleiben, sie anzuwenden, damit die Kontinuität der störenden Geisteshaltung abgeschnitten werden kann.

Wie in den Worten von Dromtönpas erklärt ist, gibt es noch eine andere Übungsmethode, wenn etwas Schwieriges geschieht: sich klar zu machen, dass man noch einmal gut davongekommen ist oder sehr viel Glück gehabt hat: etwas noch Schlimmeres hätte passieren können. Wenn uns jemand beschimpft, fühlen wir, dass wir glimpflich davongekommen sind – wir haben das Karma aufgebraucht, mit dem uns eine ganze Menschenmenge hätte kritisieren können. Wenn wir krank sind haben wir Glück gehabt, da wir einen viel schlimmeren Unfall oder eine Katastrophe hätten erleben können. Dasselbe gilt, wenn wir ins Gefängnis kommen oder auf andere Art bestraft werden – dadurch ersparen wir uns in einer so leichten Weise ein ansonsten viel schwereres Schicksal, wie den Fall in eine schlechtere Wiedergeburt.

Wir sollten diese Dinge nicht als etwas ansehen, das wir nur während der Meditationssitzungen üben, wenn alles gut geht und uns nichts irritiert. Wir müssen all diese Schulungen unserer Geisteshaltungen in schwierigeren Situationen anwenden. Wenn wir uns bemühen, unser Herz allen anderen – allen Wesen – zu widmen, indem wir eine Bodhichitta-Absicht entwickeln, die Bodhisattva-Gelübde annehmen und so weiter, dann wird bei allen Aktivitäten, beim Essen, Schlafen oder Trinken, die positive Kraft, unsere Bodhichitta-Absicht aufrechtzuerhalten, stets wachsen. Wenn wir uns so üben, verwandeln wir alles in Ursachen, um weitere Fortschritte zu machen und zu lernen, den anderen effektiver zu helfen.

Einer der Kadam-Geshes, Geshe Chekawa, wurde sehr unglücklich, als sein Tod nahte. Er bat seine Schüler, besondere Opfergaben darzubringen. Die Schüler waren neugierig und fragten ihn: „Du hast dein ganzes Leben lang gut praktiziert. Warum bist du jetzt, wo du sterben wirst traurig?“ Er antwortete: „Ich bin traurig, weil ich mein ganzes Leben lang intensiv darum gebetet habe, in den freudlosen Reichen wiedergeboren zu werden, damit ich das Leiden aller Wesen auf mich nehmen kann. Doch jetzt, im Angesicht des Todes, sehe ich die Zeichen, dass ich nicht in der Hölle wiedergeboren werde, wie ich gehofft und gebetet hatte. Ich werde vielmehr in einem göttlichen reinen Land wiedergeboren. Deshalb bin ich jetzt vor dem Tod so traurig.“

(7) Nimm die drei Hauptursachen. Diese sind (a) einen spirituellen Lehrer zu treffen, (b) seine Lehren zu praktizieren und (c) die günstigen Umstände zu erhalten, mit einer bescheidenen Wohnstätte und bescheidenem Essen zufrieden zu sein, so dass man all seine Energien der Praxis widmen kann. Wir wünschen uns und beten darum, dass wir diese drei Hauptursachen für einen Erfolg unserer spirituellen Praxis erhalten mögen.

In einigen anderen Versionen von Namkapals Text werden drei leicht unterschiedliche Hauptursachen genannt: einen kostbaren menschlichen Körper zu haben als die innere Bedingung für eine erfolgreiche Dharma-Praxis; einen qualifizierten spirituellen Mentor zu haben als die äußere Bedingung sowie in Maßen Zugang zu Essen und Bekleidung zu haben.

(8) Meditiere über die drei nicht-abnehmenden Dinge. Diese sind, dass man (a) einen nicht-abnehmenden Glauben an seinen spirituellen Mentor hat und seine Güte wertschätzt, (b) eine nicht-abnehmende Bereitschaft besitzt, seine Ratschläge in die Tat umzusetzen und (3) sich in nicht-abnehmender Weise all den verschiedenen Schulungen widmet. Unser vertrauensvoller Glaube und unsere Wertschätzung darf nicht bloß ein Lippenbekenntnis sein. Er muss stark und ehrlich sein und muss vom Herzen kommen. Wir sollten große Bewunderung für und großes Vertrauen in die spirituellen Mentoren haben, die uns unterweisen, an die Lehren über die Schulungen unserer Geisteshaltungen sowie an die Punkte, durch die wir dies verwirklichen können.

In einigen anderen Versionen von Namkapals Text werden die drei nicht-abnehmenden Dinge folgendermaßen erklärt: (a) nicht-abnehmender vertrauensvoller Glaube an unseren spirituellen Mentor und Wertschätzung seiner Güte, (b) nicht-abnehmende Sicherstellung, dass wir unsere ethische Schulung stabil halten und (c) nicht-abnehmende Sicherstellung, dass die Freunde an der Schulung unserer Geisteshaltungen nicht abnimmt.

(9) Besitze die drei Untrennbaren. Die drei sind unser (a) Körper, (b) Rede und (c) Geist, die untrennbar mit den Praktiken verbunden sein sollten. Wir müssen auf allen Ebenen ehrlich sein was die Art angeht, wie wir handeln, sprechen und denken. Wir sollten alles entsprechend der Schulung der Geisteshaltungen tun.

(10) Handle rein, ohne Parteilichkeit gegenüber Objekten. Es ist wichtig, sich in Bezug auf alle begrenzten Wesen zu schulen – nicht nur mit unseren Freunden – und die Gifte der Anziehung, der Ablehnung und der Indifferenz zu vermeiden.

(11) Pflege (das Anwenden) einer weiten und tiefen Schulung allem gegenüber. Es ist nötig, dass wir uns umfassend und tief schulen, sowohl in Bezug auf lebende Wesen als auch in Bezug auf unbeseelte Gegenstände. Mit anderen Worten: die Praxis der Schulung unserer Geisteshaltungen muss weitreichend, allesumfassend und vollkommen aufrichtig sein. Zum Beispiel: wenn wir Problemen begegnen, können wir denken „Wenn ich diese Probleme nicht hätte, würde ich keine Entsagung entwickeln; und wenn ich nicht die Entschlossenheit hätte, mich von meinen Problemen zu befreien, dann würde ich auch nicht das Mitgefühl entwickeln, die anderen von ihren Problemen zu befreien. Ich wäre nicht vollständig dazu in der Lage, eine Bodhichitta-Absicht zu entwickeln.“ Wir können alle schwierigen Situationen umdrehen, indem wir den Wert erkennen, die sie für uns haben.

(12) Meditiere stets über die, die hervorgehoben wurde. Was zum Beispiel ein kleines Insekt angeht sollten wir uns nicht überlegen fühlen, wenn wir diesen kleinen Käfer auf dem Boden sehen. Stattdessen können wir denken: „Wie unglücklich dieses Wesen ist, das in diese Form geboren wurde, in der es sich weder Nutzen bringen noch verbessern kann.“ In der gleichen Weise können wir immer, wenn wir auf andere eifersüchtig sind, daran denken, dass wir dasselbe wie diese Person erreichen könnten, wenn wir all unsere Bemühungen darauf richten würden. Wir dürfen also nicht zulassen, dass wir unter den Einfluss störender Geisteshaltungen kommen. Wenn wir krank sind und die Beschwerden der Krankheit nicht erleben wollen, dann würden wir sofort Medizin nehmen. Dasselbe gilt, wenn störende Geisteshaltungen in unserem Geist auftauchen – wir müssen Gegenmittel anwenden, genau wie wir Medizin nehmen, wenn wir krank sind.

In einer vollständigeren Erklärung bezieht sich „die, die hervorgehoben wurden“ auf die fünf Arten von Personen, die hervorgehoben werden, da man besonders vorsichtig mit ihnen sein muss. Seine Heiligkeit hat dies bereits in der Darstellung der eng-bindenden Praktiken zur Schulung unserer Geisteshaltungen erklärt.

(13) Sei nicht abhängig von anderen Bedingungen. Es kann passieren, dass wir krank werden oder dass verschiedene Dinge nicht gut laufen, während wir an unseren Geisteshaltungen arbeiten. Wir sollten nicht entmutigt werden und sagen: „Ich habe versucht, ein guter Mensch zu sein und meine Geisteshaltungen zu schulen, doch alles, was ich bekomme, sind Schwierigkeiten. Wenn bloß die Bedingungen für mein Übungen anders währen!“ Wir sollten vielmehr weiterhin alle Punkte und Methoden anwenden, die in den Lehren erklärt werden, egal, was für Bedingungen auftauchen. Wir müssen die negativen Umstände, die auftauchen, als Situationen ansehen, die von der Vergangenheit reifen, damit wir nicht entmutigt werden. Wenn sich verschiedene schwierige Umstände und Situationen ergeben, sollten wir glücklich sein, dass sie zur Oberfläche kommen und dass wir uns jetzt davon befreien können.

(14) Übe vor allem jetzt. Wir haben einen kostbaren menschlichen Körper und ein kostbares menschliches Leben mit allen kostbaren Gelegenheiten, der Freiheit und der Freizeit, um tatsächlich unsere Geisteshaltungen zu schulen, um ein besserer Mensch zu werden. Wenn wir es jetzt nicht tun, wann dann? Wann werden wir eine bessere Gelegenheit haben?

(15) Verstehe die Dinge nicht in einer verkehrten Weise. Es gibt sechs Arten von verkehrtem Verständnis:

  • Verkehrtes Mitgefühl – wenn man armen Buddhismus-Praktizierenden gegenüber Mitgefühl hat, aber nicht reichen weltlichen Menschen gegenüber. Das ist völlig verkehrt herum. Es ist wie in einem Beispiel aus der Biographie Milarepas, der wie ein Bettler am Straßenrand lag, als drei reiche Schwestern vorbeikamen, denen er leid tat. Milarepa sagte: „Ich sollte euch nicht leid tun, denn tatsächlich bin ich es, der Mitgefühl für euch hat – ihr seid in einem viel schlimmeren Zustand als ich.“
  • Verkehrte Absicht – statt die Absicht zu haben, die vorbeugenden Maßnahmen des Dharmas anzuwenden, um die Erleuchtung zum Wohl aller Wesen zu erreichen, haben wir die feste Absicht, in weltlichen Dingen erfolgreich zu sein.
  • Verkehrtes Interesse – statt in anderen das Interesse an spirituellen Angelegenheiten zu wecken, wecken wir in ihnen das Interesse an weltlichen Angelegenheiten. In anderen Versionen von Namkapals Text wird verkehrtes Interesse folgendermaßen erklärt: man beschäftigt sich mit dem Besitz und den Angelegenheiten der drei Juwelen im Allgemeinen und der Sangha-Gemeinschaft im Speziellen, weil man Freunde gewinnen möchte und nicht, weil man alle Wesen in den Zustand der Buddhaschaft versetzen möchte.
  • Verkehrte Freude – anstatt uns über alle guten Eigenschaften von Buddha, Dharma und Sangha zu freuen, freuen wir uns, wenn Menschen, die wir nicht mögen, Schwierigkeiten haben. Unser Feind fällt hin und wir sagen: „Gut, er hat es verdient!“
  • Verkehrte Geduld – anstatt in spirituellen Angelegenheiten geduldig zu sein sind wir bei negativen Aktivitäten geduldig. Wir sind dazu bereit, Schwierigkeiten auf uns zu nehmen, um in einer negativen Weise voranzukommen, doch wir haben keine Geduld, wenn es darum geht, mit den Schwierigkeiten umzugehen, die sich in unserem spirituellen Training ergeben. In anderen Versionen von Namkapals Text wird verkehrte Geduld spezifischer damit erklärt, dass man geduldig mit seinen störenden Geisteshaltungen und Emotionen ist und nicht mit denen, die auf uns wütend werden.
  • Verkehrter Geschmack – anstatt uns nach dem Geschmack der Dharma-Lehren zu sehnen, wollen wir alle möglichen weltlichen Dinge kosten, die eine vergängliche Basis haben und überhaupt nicht anhaltend sind.

(16) Setze nicht (zeitweilig) aus. Nicht nur wenn wir unsere Geisteshaltungen schulen, sollten wir es vermeiden, einen Tag zu üben, am nächsten Tag nicht zu üben und dann die Praxis wiederaufzunehmen. Sogar auf der weltlichen Ebene werden wir nichts erreichen, wenn wir zeitweilig aussetzen und nicht mit anhaltender Bemühung üben.

(17) Übe entschlossen. Es ist nötig, dass wir direkt ins Herz der Schulung unserer Geisteshaltungen gehen und uns nicht am Rande herumtreiben, oder uns halbherzig in die Praxis begeben. Wir sollten ohne Umschweife daran gehen, an unseren Geisteshaltungen zu arbeiten und sie zu verbessern. Beim Training der Geisteshaltungen sollten wir nicht zögern „ins Ganze“ zu gehen.

(18) Befreie dich selbst sowohl durch Untersuchung als auch durch genaue Prüfung. Wir befreien uns, indem wir die wichtigsten Gegenmittel zu unseren störenden Geisteshaltungen anwenden sobald sie auftauchen. Wenn wir beispielsweise sehr viel Anhaftung für jemanden oder etwas haben, dann besteht das Gegenmittel darin, das Objekt unserer Anhaftung als etwas Hässliches zu sehen, das keine guten Eigenschaften hat. Wenn wir ärgerlich sind, wenden wir Liebe an; wenn wir naiv sind, denken wir an das abhängige Entstehen. Und wenn wir stolz sind – zum Beispiel, weil wir sehr gebildet sind und unser Umfeld nicht dazu in der Lage ist, manche Dinge zu verstehen – sollten wir nicht denken, wie wundervoll wir sind. Stattdessen sollten wir denken: „Diese Menschen waren nicht dazu in der Lage, all ihre Kräfte einzusetzen; sie haben nicht die Umstände, um ihr volles Potential nutzen zu können!“ Auf diese Weise sind wir unseren eigenen störenden Geisteshaltungen nicht unterworfen. Vielmehr befreien wir uns durch Mitgefühl für die anderen.

(19) Meditiere nicht mit einem Gefühl des Verlustes. Diese Zeile besagt, dass wir kein Gefühl des Verlustes empfinden sollten, wenn es zu Schwierigkeiten kommt oder andere etwas von uns wollen.

(20) Lasse dich durch Überempfindlichkeit nicht einschränken. Wir sollten nicht überempfindlich reagieren, wenn etwas schief geht und wir sollten nicht bei der kleinsten Provokation wütend werden.

(21) Handle nicht nur über einen kurzen Zeitraum hinweg bedeutet, dass es ein Fehler ist, dem Maß, zu welchem wir an unseren Geisteshaltungen arbeiten oder den anderen helfen wollen, Grenzen zu setzen. Anstatt uns am Anfang enorm anzustrengen und dann nichts mehr zu tun, sollten wir in unseren Bemühungen beständig sein.

(22) Wünsche dir nicht (irgendeinen) Dank bedeutet, dass wir für die Hilfe, die wir leisten, keine Belohnung erwarten können. Wenn wir helfen oder Spenden geben und erwarten, wir würden deshalb „Verdienst“ ernten, dann wäre das wie eine Geschäftstransaktion. Wir sollten positive Taten nicht einfach ausführen, um etwas zurückzubekommen – sei es etwas Materielles oder „Verdienst“.

Das tiefste Bodhichitta erzeugen: Geeignete Gefäße, um die Lehren über die Leerheit zu erhalten

Wir haben die Diskussion über die Erzeugung des konventionellen Bodhichittas abgeschlossen und – was ihre konventionelle Wahrheit anbelangt – unser Herz der Erleuchtung und den anderen geöffnet. Der nächste Punkt betrifft das Öffnen unseres Herzens in Bezug auf ihre tiefste Wahrheit – mit anderen Worten, die Entwicklung des tiefsten Bodhichittas. Das tiefste Bodhichitta wird hier bloß in einem kurzen Vers erwähnt, der mit den Kapiteln über Vipassana, einem außergewöhnlich wahrnehmungsfähigen Geisteszustand aus Tsongkhapas Texten „Große und kleine Darstellung der aufeinander folgenden Stufen des Pfades“ergänzt werden muss. Anhand dieser Texte wird man seine Bedeutung verstehen.

Die Darstellung hat hier zwei Teile: der erste beschäftigt sich mit der Frage, wer die geeigneten Gefäße sind, denen man die Leerheit lehren kann; der zweite stellt die eigentlichen Lehren über die Leerheit dar. Wenn wir nicht geeigneten Gefäßen Unterweisungen geben, werden viele Menschen die Dinge missverstehen. Manche Menschen denken zum Beispiel, wenn im Buddhismus Leerheit erörtert wird, dass es sich um eine Erörterung des Nichts handele. Sie denken, es handele sich um Nihilismus und dass der Buddhismus überhaupt nichts gelten lässt. Das ist gefährlich, denn auf dieser Grundlage denken sie, dass alles egal sei – es sei egal, was man tue, da alles nichts sei. Diese Art von Person ist ein ungeeignetes Gefäß. Sie ist nicht bereit, die Leerheit zu verstehen.

Ein korrektes Verständnis der Leerheit würde uns anspornen, auf positive Weise zu handeln. Jemand, der die Dinge so verstehen kann, ist ein geeignetes Gefäß. Sie nehmen die Lehren über die Leerheit nicht als Entschuldigung, für alle erdenklichen Verhaltensweisen, wie andere, die sie falsch verstehen und denken, es sei nichts wichtig. Sie verstehen vielmehr, dass Leerheit die Abwesenheit von unmöglichen Existenzweisen bedeutet. Sie sehen die wirkliche Weise, in der die Dinge existieren, im Sinne von Ursache und Wirkung, und implementieren dies in ihr Verhalten. Sie sind sogar noch zuversichtlicher, da sie in der angemessenen Weise handeln, in Einklang mit den Gesetzen, was zu positiven Ergebnissen führt.

Wenn wir verstehen, dass die Lehren über die Leerheit bedeuten, dass sich unmögliche Existenzweisen auf nichts Reelles beziehen, und dass daher alles vermittels des abhängigen Entstehens funktioniert, dann ist das ein korrektes Verständnis. Eine Person, die dazu fähig ist, ist ein geeignetes Gefäß.

Die Verse, welche die eigentliche Schulung im tiefsten Bodhichitta erklären

Für manche Menschen, die sehr empfänglich sind, ist es hilfreich, sich zuerst in tiefstem Bodhichitta zu üben. Wenn sie die Realität erst einmal verstehen, erhöht es ihre Fähigkeit, tatsächlich daran zu arbeiten, die Erleuchtung zu erlangen und allen anderen zu helfen. Für die Mehrheit der Menschen ist es allerdings anders herum. Sie üben sich zuerst im konventionellen Bodhichitta; und wenn dieses stabil ist, üben sie sich im tiefsten Bodhichitta in Bezug auf das, was schwerer zu verstehen und verborgen ist, nämlich die Leerheit.

Aufgrund dieser Reihenfolge, in der sich die meisten Menschen üben, erklärt Namkapal den Vers „Reflektiere darüber, dass die Phänomene wie ein Traum sind. Erkenne die grundlegende Natur des Gewahrseins, das kein Entstehen hat. Das Gegenmittel selbst befreit sich selbst an seinem eigenen Ort. Die essentielle Natur des Pfades ist, in einem Zustand der allumfassenden Grundlage zur Ruhe zu gelangen. Handle zwischen den Sitzungen wie eine illusionsgleiche Person.“

Pabongka platziert diesen Vers mit der vorangestellten Zeile „Was versteckt ist, sollte gezeigt werden, nachdem du (in diesem) Stabilität erlangt hast“ direkt nach dem Vers über das Entwickeln des konventionellen Bodhichittas, der im Wurzeltext in Bezug auf den zweiten der sieben Punkte zur Schulung der Geisteshaltungen erscheint: der Schulung in den beiden Bodhichittas. In Togme Zangpos Edition steht dieser Vers vor dem Vers zum Entwickeln des konventionellen Bodhichittas, während die Zeile, „Was verborgen ist, sollte gezeigt werden, nachdem du (in diesem) Stabilität erlangt hast“ überhaupt nicht erscheint.

Wir wollen den vierzeiligen Vers im Wurzeltext der „Schulung der Geisteshaltungen in sieben Punkten“ kommentieren.

Reflektiere darüber, dass alle Phänomene wie ein Traum sind. Alle Dinge sind wie ein Traum, in dem Sinne, dass ihnen eine wahrhaft begründete Existenz fehlt – mit anderen Worten, eine Existenz, die wahrhaft oder als „wahre Existenz“ begründet ist – genauso wie es in einem Traum recht offensichtlich ist, dass die Dinge nicht in wirklicher Weise existieren.

Erkenne die grundlegende Natur des Gewahrseins, das kein Entstehen hat. Hier geht es um das Analysieren des Bewusstseins und des Objekts des Bewusstseins und ferner um das Erkennen, das keines von beiden wahrhaft begründet existiert. Das erinnert an die Vorgehensweise des Yogachara-Svatantrika-Madhyamakas, welcher die Wiederlegung äußerer Phänomene behandelt. Diese Schule vertritt den Standpunkt, dass äußere Phänomene nicht unabhängig von Geist existieren. So scheint es hier ausgedrückt zu werden, in Bezug auf die nicht wahrhaft begründete Existenz des Bewusstseins und der Objekte des Bewusstseins.

Das Gegenmittel selbst befreit sich an seinem eigenen Ort. Dies bezieht sich darauf, dass die Leerheit selbst leer von einer wahrhaft begründeten Existenz ist. Dieser Punkt kann in den Aufzählungen der verschiedenen Arten von Leerheit gefunden werden – den sechszehn Arten von Leerheit und so weiter, welche die „Leerheit der Leerheit selbst“ miteinschließen. Zusätzlich ist das reflexive Gewahrsein (tib. rang-rig), welches sich hier auf das Gewahrsein der Leerheit bezieht, ebenfalls leer von einer wahrhaft begründeten Existenz.

Die essentielle Natur der Ebenen von Pfadgeist ist es, in einem Zustand alles umfassender Grundlage zur Ruhe zu gelangen. Man kann diese Zeile auch folgendermaßen übersetzen und verstehen: „Bringe die essentielle Natur der Ebenen von Pfadgeist in einem Zustand der allumfassenden Grundlage zur Ruhe“oder „Komme in einem Zustand der allumfassenden Grundlage, der essentielle Natur der Ebenen von Pfadgeist zur Ruhe.“ Wenn wir die beiden Extreme des Nihilismus und des Absolutismus (der Behauptung der wahrhaft begründeten Existenz) abgeschnitten haben, müssen alle Dinge, denen wir begegnen, in den Kontext eines Geistes gesetzt werden, der die Leerheit versteht. Mit anderen Worten: wir wenden den Geist, der die Leerheit versteht, auf jede Begegnung an, bei allen Objekten und in allen Situationen an.

Es gibt zwei Weisen, den Begriff all-umfassende Grundlage (tib. kun-gzhi, Skt. alaya; Grundlage von allem) in dieser Zeile zu erklären. In beiden Fällen bezieht sich „Ebenen von Pfadgeist“ auf die Ebenen von Pfadgeist eines Aryas, eines hoch verwirklichten Wesens; der Begriff „all-umfassende Grundlage“ bezieht sich auf ein unspezifiziertes Phänomen – ein Phänomen, von dem Buddha nicht spezifisch sagte, es sei konstruktiv oder destruktiv.

  • Eine Erklärungsmöglichkeit dieser Zeile ist, dass ein Arya-Geist in dem Zustand zur Ruhe kommt, durch welchen er vollkommen nichtkünstlich ist, was sich auf den Zustand bezieht, in dem der Geist durch keinerlei der flüchtige Makel befleckt ist. Eine Möglichkeit, zu erklären, dass „all-umfassende Basis“ ein unspezifiziertes Phänomen ist, ist, dass es sich auf den nichtkünstlichen Zustand des unbefleckten Geistes bezieht.
  • Eine andere Erklärungsmöglichkeit ist, dass sich „Grundlage von allem“ auf die Leerheit bezieht. Wir müssen also nicht nur unseren Geist, sondern auch all unsere Verwirklichungen in den Kontext des Verständnisses der Leerheit setzen.

In der Tradition der tibetischen Kommentare gibt es verschiedene Weisen, in denen die tiefste Wahrheit von allem besprochen werden kann. Eine Weise ist, sie als ein Objekt zu verstehen – wobei das Objekt die Leerheit ist, die leere Natur aller Phänomene. Alternativ kann sich die tiefste Wahrheit aus einer tantrischen Perspektive auf den Geist beziehen, der die Leerheit zum Objekt nimmt; dies bezieht sich auf die feinste Ebene von Bewusstsein, die die Leerheit versteht, wie sie in den Begriffen des Tantras erklärt werden. Es gibt also eine tiefste Wahrheit aus dem Gesichtspunkt des Objekts, der Leerheit, oder aus dem Gesichtspunkt des Geistes, der die Leerheit zu seinem Objekt nimmt.

Zum Beispiel, finden wir in der Sakya-Tradition, die Unterweisung über „die Untrennbarkeit von Samsara und Nirvana.“ Dies bezieht sich auf den ursprünglichen, gleichzeitig auftretenden Geist und darauf, wie dieser ursprüngliche Geist das Fundament oder die Basis von Samsara und Nirvana ist, da die Erscheinungen aller Phänomene das Spiel dieses Geistes sind. In ähnlicher Weise erklärt die Nyingma-Tradition, dass alle Phänomene schon immer rein sind und dass ihre funktionelle Natur darin besteht, dass sie spontan alle Erscheinungen begründet; „spontan begründet“ bezieht sich darauf, dass alle Erscheinungen durch den ursprünglichen Geist des klaren Lichtes begründet sind. In ähnlicher Weise spricht die Kagyü-Tradition des Mahamudras davon, dass alles einen Geschmack hat: „In der Sphäre des gleichzeitig auftretenden klaren Lichts hat alles einen Geschmack.“ Das ist einer der Kernpunkte, die wir in den Kagyü-Mahamudra-Lehren finden.

Ob es das Nyingma-System der alten Übersetzungsperiode ist, das von dem ursprünglichen Geist spricht, der von Anfang an rein ist und spontan alle Erscheinungen hervorbringt, oder die neue Übersetzungsperiode mit der Sakya-Tradition der „untrennbaren Leerheit und Glückseligkeit“ oder mit der Kagyü-Tradition des Mahamudras – alle sprechen von der tiefsten Wahrheit, der tatsächlichen Natur von allem, aus der Perspektive des Bewusstseins, das die Leerheit als ihr Objekt nimmt. In der Gelug-Tradition von Tsongkhapa und anderen gibt es eine ähnliche Darstellung, wie z.B. in Tsongkhapas Kommentar zum Guhyasamaja-Tantra, in dem er von dem gleichzeitig auftretenden Zustand des großen glückseligen Gewahrseins, das Leerheit zu seinem Objekt nimmt, spricht. Das entspricht in direkter Weise der Diskussion hier in den anderen tibetischen Traditionen. Wenn wir über die tatsächliche Natur von allem bzw. der Leerheit aus der Perspektive dieses Verses sprechen, bezieht es sich darauf, wie man zum Objekt der Leerheit gelangt und wie man die Makel vom Bewusstsein entfernen kann, das ohne diese Makel die Leerheit verstehen würde.

Der Kommentar zum Text, der meiner Unterweisung zugrunde liegt, verweist auf die größeren und kleineren Versionen des Abschnittes über Vipassana – den Geisteszustand von außergewöhnlicher Wahrnehmungsfähigkeit – in Tsongkhapas Lam-rim-Stufenpfad-Texten, die der Tradition Nagarjunas und Aryadevas folgen. Das impliziert, dass man als den Hauptpunkt nicht die tatsächlichen Meditationserfahrungen aus den tantrischen Praktiken der tibetischen Lamas nimmt; sondern als Hauptquelle nimmt man die Schriften und die logischen Diskussionen, die von den großen indischen Pandits kommen. Das Hauptmerkmal von Tsongkhapas Tradition ist, dass er zu den indischen Quellen zurückkehrt und seine Interpretationen von ihnen ableitet. Doch ob wir unser Verständnis von den indischen Quellen und ihren logischen Diskussionen oder von den tatsächlichen Erfahrungen der Meditations-Meister ableiten, ist egal, denn wenn man beide untersucht, dann stellt man fest, dass beide zu demselben beabsichtigten Punkt kommen.

In Namkapals Text wird erklärt, dass sich die Zeile „Reflektiere darüber, dass die Phänomene wie ein Traum sind“ auf die Leerheit aller Objekte der Wahrnehmung bezieht, die geistig aufgenommen werden. „Erkenne die grundlegende Natur des Gewahrseins, das kein Entstehen hat“ bezieht sich auf die Leerheit alle Formen von Geist, die Objekte kognitiv aufnehmen. „Das Gegenmittel selbst befreit sich an seinem eigenen Ort“ bezieht sich auf die Leerheit der Person, die über Leerheit meditiert. „Die essentielle Natur des Pfades ist, in einem Zustand der allumfassenden Grundlage zur Ruhe zu gelangen“ bezieht sich darauf, wie man während der vollkommenen Vertiefung in die Leerheit meditiert. Die letzte Zeile: „Handle zwischen den Sitzungen wie eine illusionsgleiche Person“ bezieht sich darauf, wie man in der nachfolgende Phase des Erlangen üben soll, die auf die Perioden der vollkommenen Vertiefung in die Leerheit folgt. Der Kommentar, den Seine Heiligkeit erklärt, folgt Namkapal, indem er mehr zu dieser Zeile sagt, nachdem er die Leerheit voll diskutiert hat.

Die Unwissenheit erkennen, welche die Wurzel des Samsaras ist

In diesem Text gliedert sich die Darstellung des tiefsten Bodhichittas in drei Teile:

  • die Unwissenheit erkennen, welche die Wurzel von Samsara ist,
  • die Notwendigkeit, das Fehlen einer wahrhaft begründeten Identität oder „Seele“ als Methode, um diese Unwissenheit zu beenden, festzustellen,
  • die tatsächlichen Methoden, um dies zu bewerkstelligen.

Unwissenheit oder Ignoranz ist das genaue Gegenteil des Gewahrseins oder der richtigen Kenntnis von etwas. Hier sprechen wir von der Kenntnis der tatsächlichen Natur der Realität oder aber von der Unwissenheit, in Bezug auf die Natur der Realität – Unwissenheit in dem Sinne, dass man die Natur der Realität in einer verzerrten Weise wahrnimmt. Wir sind in Bezug auf die tatsächliche Natur der Realität unwissend. Daher entspricht unsere Art, die Dinge wahrzunehmen bzw. nach ihnen zu greifen nicht der Realität. Die tatsächliche Existenzweise der Dinge ist für uns verschleiert. Das meinen wir mit Unwissenheit oder Ignoranz.

Die Realität ist für uns verschleiert und wir nehmen sie falsch wahr. Das hat folgendes Ergebnis: wir greifen nach den Dingen, als hätten sie eine wahrhaft begründete Identität oder „Seele“. Das bedeutet, dass wir nach den Dingen greifen, als hätten sie eine Existenz, die von ihrer eigenen Seite her begründet ist. Wenn wir über diesen Mangel an einer wahrhaft begründeten Existenz sprechen, sprechen wir darüber im Kontext der Tatsache, dass alle glücklich sein wollen und niemand unglücklich sein will. Wir untersuchen, wer tatsächlich das Glück oder das Unglück erlebt und was es tatsächlich ist, das die Wesen haben oder beseitigen wollen. Mit anderen Worten, wir analysieren die Person, welche die Dinge erlebt und die tatsächlichen Dinge, welche eine Person erlebt. Wir entdecken, dass sowohl die Person als auch die Dinge eine Identität oder Existenz haben – doch keine wahrhaft begründete. Das liegt daran, dass es so etwas wie eine wahrhaft begründeten Existenz von irgendwem oder irgendetwas nicht gibt

Wenn wir den Geist, der die Realität falsch wahrnimmt und nach den Dingen greift, als existierten sie in einer verzerrten, unmöglichen Weise, loswerden wollen ist Folgendes nötig: Wir müssen das tatsächlich implizierte Objekt der verzerrten Erkenntnisweise dieses Geistes unterscheiden und erkennen. Das ist, was widerlegt werden muss, um den Geist zu beseitigen, der nach den Dingen greift, als existierten sie in einer wahrhaft begründeten Weise. Das implizierte Objekt dieses greifenden Geistes sind Dinge, die tatsächlich in einer wahrhaft begründeten Weise existieren. Mit anderen Worten: die selbst-begründete Existenz ist das zu widerlegende Objekt.

In dieser Diskussion müssen wir gewisse Feinheiten verstehen, um zwei Extreme zu vermeiden. Diese Extreme bestehen darin, dass man das zu widerlegende Objekt zu stark oder zu schwach widerlegt:

  • Wenn man es zu stark widerlegt, dann sagen wir, dass das zu widerlegende Objekt zu umfassend ist. Das bedeutet, dass unsere Widerlegung dann nicht nur die wahrhaft begründete Existenz negiert, sondern alle Existenzweisen. In diesem Fall ist das zu widerlegende Objekt zu umfassend – es umfasst oder umschließt zu viel.
  • Wenn man zu schwach widerlegt und das zu widerlegende Objekt zu wenig umfassend macht, dann widerlegt man zu wenig. Unsere Widerlegung widerlegt dann nicht die Existenz, die durch die Kraft von etwas auf der Seite des Objekts Auffindbaren wahrhaft begründet ist. Sie widerlegt nur einige, aber nicht alle, Ebenen der unmöglichen Existenzweisen.

Das sind die Gefahren, die damit einhergehen, dass man das zu widerlegende Objekt zu stark oder zu schwach widerlegt. Tsongkhapa betont wie wichtig es ist, diese Gefahren zu erkennen. Damit unterstreicht er die Wichtigkeit, das zu widerlegende Objekt korrekt zu verstehen und zu identifizieren.

Außerdem ist es notwendig, eine Vereinigung von Methode und Weisheit zu haben – mit anderen Worten, eine Vereinigung von Methode und unterscheidendem Gewahrsein – wenn wir versuchen, die Realität zu verstehen, so dass wir auf jeder Ebene mit beiden Aspekten gemeinsam umgehen. Zum Beispiel: wenn wir annehmen, dass als Ergebnis unseres Verstehens der Leerheit alles vollkommen nichtexistent und absurd ist, dann wäre alles wie die „Hörner eines Kaninchens“ und wir würden kein wahres Verständnis der Methodenseite haben, was Ursachen und Wirkungen angeht. Wir würden nicht dazu in der Lage sein, festzustellen, wie Glücklichsein aus konstruktiven Handlungen und Unglücklichsein aus destruktiven Handlungen entsteht. Aufgrund dieser falschen Wahrnehmung der Realität würden wir keine Praktiken zum Wohl der anderen ausüben.

Daher ist es notwendig, das harmonische Verhältnis zwischen der tiefsten und der konventionellen Wahrheit von allem völlig zu verstehen. Das bedeutet, dass unser Verstehen der tatsächlichen Natur der Realität unser Verstehen des abhängigen Entstehens verstärken muss. Ein Beispiel für letzteres wäre zum Beispiel unser Verständnis der Tatsache, dass wir aufgrund dieser Ursache und jener Argumentation dieses Ergebnis erhalten. Das korrekte Verstehen der Realität wird dann unsere konstruktiven Handlungen verstärken, was wiederum eine positive Kraft aufbauen wird, die für uns selbst und alle anderen zu Glück führen wird und letztendlich als Ergebnis dazu führen wird, dass wir Erleuchtung erreichen.

Wenn wir korrekt feststellen, was die beiden Wahrheiten sind und wie sie zusammenpassen, dann werden wir dazu in der Lage sein, die beiden reichhaltigen Vorräte bzw. die Netzwerke der positiven Kraft und des tiefen Gewahrseins gleichzeitig aufzubauen. Dadurch werden wir in der Lage sein, gleichzeitig einen Dharmakaya und einen Rupakaya zu verwirklichen – mit anderen Worten, gemeinsam den Körper und den Geist eines Buddhas. Somit sind auf allen Ebenen, vom Anfang bis zum Ende, beide Wahrheiten gleichzeitig nötig. Wenn wir kein korrektes Verstehen haben, wird es nicht vollständig sein – und das ist ein großer Fehler. Wir brauchen beides: die Methode in Verbindung zur konventionellen Wahrheit der Dinge und die Weisheit bzw. das unterscheidende Gewahrsein in Verbindung zur tiefsten Wahrheit der Dinge. Wir können nicht bloß den Geist eines Buddhas verwirklichen, ohne auch den Körper eines Buddhas zu verwirklichen.

Der Text sagt uns auch, dass wir dieses Verstehen des Nichtvorhandenseins einer unmöglichen Identität oder „Seele“ nicht nur auf Personen anwenden sollen. Wir müssen es auch auf die Phänomene anwenden, die von den Personen erlebt werden. Die Vaibhashika-Tradition der Shravakas zum Beispiel widerlegt nur die unmögliche Identität einer Person; und auch dabei befasst sie sich nicht mit der tiefsten Ebene dessen, was unmöglich ist. Sie widerlegt lediglich, dass Personen mit einer statischen, monolithischen, unabhängig existierenden Identität oder „Seele“ existieren. Wir können die Widerlegung unmöglicher Existenzweisen nicht bloß dabei belassen. Ebensowenig können wir sie auf der Sautrantika-Ebene belassen; diese Schule widerlegt in Beziehungen zu Personen auch, dass Personen eigenständig erkennbar sind.

Wir können uns auch nicht mit der Widerlegung unmöglicher Existenzweisen auf der Chittamatra-Ebene begnügen. Diese Schule widerlegt bezogen auf Personen auch nur, dass sie als eigenständig erkennbaren Entitäten existieren. Im Gegensatz zu den Hinayana-Schulen des Vaibhashikas und des Sautrantikas nimmt das Chittamatra aber auch an, dass allen Phänomenen eine unmögliche Identität oder „Seele“ fehlt. Doch das Chittamatra stellt dieses Fehlen lediglich dar, indem es sagt, dass es sowohl dem Bewusstsein als auch den Objekten dieses Bewusstseins an einer Existenz fehlt, die von verschiedenen Ursprungsquellen begründet wird. Die Vertreter des Chittamatras nehmen an, dass diese Existenzweise eine unmögliche Existenzweise der Phänomene sei und widerlegen sie. All diese Standpunkte sind zu schwache Widerlegungen.

Die Chittamatra-Schule stellt die letztendlichen Phänomene in zwei Weisen dar. Sie vertritt den Standpunkt, dass etwas als ein letztendliches Phänomen begründet ist, wenn es von einer gültigen Wahrnehmung gefunden wird, die gründlich untersucht (analysiert) was letztendlich ist oder aber wenn es der Kraft der Analyse durch eine korrekte Wahrnehmung widerstehen kann, die gründlich untersucht, was letztendlich ist. Daher vertritt das Chittamatra folgenden Standpunkt: wenn etwas nicht gefunden wird, wenn es der letztendlichen Analyse unterworfen wird, dann existiert es überhaupt nicht. Das ist das exakte Gegenteil der Prasangika-Madhyamaka-Sicht wonach auf der Seite eines Objekts nichts auffindbar ist, wenn es durch eine gültige Wahrnehmung analysiert wird, die entweder die tiefste oder die konventionelle Wahrheit gründlich untersucht. Die Sicht des Chittamatras ist also der Standpunkt, wonach die Dinge eine selbstbegründete Existenz haben und für sich selbst stehen als das, was durch die letztendliche Analyse gefunden werden kann. Das ist die Sicht des „nur Geist“ des Chittamatras.

Indem sie widerlegt, was nicht gefunden werden kann, wenn man das Letztendliche untersucht, widerlegt dieses Chittamatra-Lehrsystem ein falsches Objekt der Widerlegung. Die Vertreter dieser Schule sagen, dass Dinge, die in einer letztendlichen Analyse nicht gefunden werden können, überhaupt nicht existieren. Das ist ein falsches Objekt der Widerlegung. Und dies scheint eine allgemeine Behauptung aller Schulen von der Svatantrika-Schule abwärts zu sein – nämlich, dass man, wenn man das Letztendliche untersucht, etwas auf der Seite des Objekts finden könne, das seine Existenz begründet. Wenn wir diese verkehrten Schulsysteme vertreten und an sie glauben würden, dann würden wir tatsächlich Dinge vertreten, die in einer vollkommen eingebildeten, unmöglichen Weise existieren. Wir würden nach etwas greifen, das vollkommen nicht-existent ist – nach etwas, das auf der Seite der Objekte durch eine letztendliche Analyse findbar wäre – und das wäre ein Zustand großer Unwissenheit.

Unsere eigene Tradition, die Prasangika-Madhyamaka, sagt, dass die eigentliche Ursache für das Samsara die automatisch auftretende Unwissenheit ist. Nehmen wir an, wir würden bloß auf der Definitions-Ebene in Bezug auf Unwissenheit an das glauben, was von den anderen buddhistischen Lehrsystemen angenommen wird. Dann würden wir, wenn wir diese Ebene der Unwissenheit widerlegen, nur die doktrinär bedingte Unwissenheit widerlegen – eine Unwissenheit, die nach den Dingen greift, als existierten sie in einer Weise, die auf einer falschen doktrinären Grundlage basiert. Die eigentliche Wurzel von Samsara ist jedoch nicht die doktrinär bedingte Unwissenheit, sondern eine natürliche, automatisch auftauchende Art von Unwissenheit. Das ist die Ebene von Unwissenheit, mit der jedes Wesen, von den Tieren aufwärts, nach der Existenz der Dinge greift, als seien sie durch etwas begründet, das auf der Seite dieser Dinge findbar ist. Als Wurzel von Samsara müssen wir eine natürlich auftauchende Erscheinung widerlegen, die normalerweise das Bewusstsein jeden Wesens begleitet. Sie ist nicht bloß etwas, das auf irgendeiner Doktrin basiert, die uns beigebracht wurde und an die wir deshalb glauben – und von der manche noch nicht einmal gehört haben.

Das ist ein Teil der Diskussion des Standpunktes der Prasangikas, wonach die Existenz von allem, was gültig erkennbar ist, nur vermittels geistigen Zuschreibens begründet werden kann – vermittels dessen, worauf sich die geistige Zuschreibung bezieht. Wenn die Existenz eines Objekts tatsächlich von der Seite des Bezugsobjekts der Bezeichnung oder von der Seite der Basis für das Bezeichnen dieses Objekts existieren würde, dann wäre dieses Objekt auffindbar. Wenn es auffindbar wäre, dann würde dies selbstbegründete Existenz (inhärente Existenz) beweisen und das ist, was hier von der Prasangika-Schule widerlegt wird. Das ist die Absicht von Nagarjuna und Aryadeva.

Ein Zitat von Nagarjuna spricht davon, wie die Leerheit vermittels des abhängigen Entstehens verstanden werden muss und das abhängige Entstehen vermittels der Leerheit. Wenn die Dinge nicht leer von unmöglichen Existenzweisen wären, könnten Ursache und Wirkung nicht funktionieren. Ursache und Wirkung funktionieren nur, weil alle Dinge leer von unmöglichen Existenzweisen sind. Das bedeutet, dass eine selbst-begründete Existenz bzw. eine Existenz, die von der eigenen Seite von etwas her begründet ist und in der Analyse über die tiefste Wahrheit der Dinge gefunden werden kann – wie oben in Bezug zum Chittamatra besprochen wurde – ungültig ist. Das Zitat sagt, dass es nichts Herrlicheres oder Unglaublicheres gibt, als die Leerheit vermittels des abhängigen Entstehens zu verstehen.

Wie greift die automatisch auftauchende Unwissenheit danach, dass die Dinge existieren? Sie stellt sich vor, dass die Existenz der Dinge nicht bloß dadurch begründet wird, dass sie die Bezugsobjekte der geistigen Bezeichnung sind. Sie nimmt an, dass ihre Existenz von ihrer eigenen Seite her wahrhaft begründet sei, unabhängig vom geistigen Bezeichnen. Diese Unwissenheit schließt mit ein, dass man das Nichtvorhandensein einer wahrhaft begründeten Identität oder „Seele“ der Personen und aller Phänomene missversteht. Es gibt nichts, dessen Existenz durch etwas begründet wird, das auf seiner eigenen Seite auffindbar ist, unabhängig von den Konzepten, Namen, Bezeichnungen und so weiter, die dafür stehen. Die vollkommene Abwesenheit dieser unmöglichen Art und Weise, die Existenz von etwas gültig Erkennbarem zu begründen, ist, was als die Leerheit dieses Objekts bezeichnet wird.

Die Darstellung hier ist recht ähnlich zu der Darstellung, die sich im kürzeren Lam-rim von Tsongkhapa und in seinem Kommentar zu Nagarjunas Text „Wurzelverse zum Mittleren Weg, namens ,unterscheidendes Gewahrsein’“ (Skt. Prajna-nama-Mulamadhyamakakarika) findet. Auch Chandrakirti sagt uns folgendes: wenn es ein Objekt gäbe, auf das sich kein Konzept beziehen könnte, dann könnte dieses Objekt unmöglich existieren; wenn es dagegen ein Konzept gibt, das sich auf ein Objekt bezieht, dann kann die Existenz dieses Objekts vermittels dieses Konzeptes begründet werden. Die Dinge können also nur vermittels der Konzepte, mit denen man sich auf sie bezieht, begründet werden; sie können durch nichts auf ihrer eigenen Seite begründet werden da sie leer sind von irgendetwas, das auf ihrer eigenen Seite gefunden werden könnte, das ihre Existenz begründen würde.

Wir können die Frage stellen: „existieren die Dinge, wie sie sind, bloß vermittels meiner eigenen individuellen Konzepte für sie?“ Nein, so ist es nicht. Das ist eine solipsistische Weise, die Dinge zu betrachten. Wenn etwas durch die Gesellschaft im Allgemeinen als weiß angesehen wird, dann wird unser Insistieren, es sei gelb, es nicht zu etwas Gelbem machen. Die Dinge existieren also nicht in einer solipsistischen Weise bloß entsprechend der Bezeichnung, die wir ihnen geben. Wenn das der Fall wäre, würde dies nämlich auch für konstruktive und destruktive Handlungen gelten. Wenn durch die Kraft unserer vorurteilsbeladenen Denkweise das Ergebnis einer bestimmten Handlung genau unseren Wünschen entspräche, dann würde das alles recht chaotisch machen. Das ist aber sicherlich nicht der Fall. Die Dinge werden vielmehr durch allgemeine Konvention begründet, durch die Art, in der alle die Dinge gültig wahrnehmen.

Wir werden nun ein Zitat betrachten aus dem Text „Vollkommene Klärung der Absichten“ (tib. dGong-pa rab-gsal), Tsongkhapas Kommentar zu Chandrakirtis Werk „Ergänzung zu (Nagarjunas, Wurzelverse über) den mittleren Weg’“(Skt.Madhyamakavatara). Dieses Zitat bezieht sich auf das Beispiel einer Schlange – tatsächlich ist es ein zusammengerolltes Seil, das als „Schlange“ bezeichnet wird. Es gibt keine Grundlage dafür, dass das Seil in einer gültigen Weise als Schlange bezeichnet werden kann. Diese falsche Bezeichnung ist ähnlich dazu, dass wir die Aggregate als ein wahrhaft existierendes „Ich“ ansehen. Lassen Sie uns aber nicht irrigerweise annehmen, dass es falsch sei, eine Vase und einen Pfeiler als eine „Vase“ und einen „Pfeiler“ zu bezeichnen.

Tatsächlich gibt es drei Arten, mit denen man Dinge kognitiv aufnehmen kann. Wir können ein Seil für eine Schlange halten, ein Seil für ein wahrhaft existierendes Seil halten und ein Seil als ein konventionell existierendes Seil ansehen. Nach den Aggregaten zu greifen, als handle sich um ein wahrhaft existierendes „Ich“ wäre dasselbe, wie wenn man ein zusammengerolltes Seil für eine Schlange hält. Es wäre eine falsche Weise, etwas kognitiv aufzunehmen. Diese Art von Unwissenheit oder Ignoranz ist also etwas anderes, als wenn man ein Seil als „Seil“ bezeichnet, oder eine Vase als „Vase“.

Ferner: das Greifen nach der Existenz der Dinge, als seien sie in einer falschen, unmöglichen Weise begründet, kann entweder doktrinär, auf irgendeiner falschen Sicht basierend, sein oder aber automatisch auftretend sein. Was hier als die Hauptursache von Samsara bezeichnet wird ist das automatisch auftretende Greifen nach der Existenz der Dinge, als seien sie wahrhaft von ihrer eigenen Seite her begründet. Ein automatisch auftretendes Greifen nach den Aggregaten als existierten sie als ein wahrhaft existierendes „Ich“, wäre dann, wie wenn man ein zusammengerolltes Seil so auffast, als existiere es als Schlange. Ein solches Greifen gehört nicht zu der Art, die auf dem Glauben an ein philosophisches System beruht, das wir gelernt haben, sondern es ist nur ein automatisch auftauchendes Greifen, zu dem es natürlicherweise bei jedem kommt. Ein solches automatisch auftretendes Greifen führt zu allen Arten störender Emotionen und Geisteshaltungen, die verursachen, dass wir verschiedene negative Potentiale aufbauen, die ihrerseits verschiedene karmische Impulse auftreten lassen, die dann dazu führen, dass wir weiterhin in Samsara eingetaucht sind.

Es gibt das „Ich“, das glücklich sein will und das „Ich“, dass in nicht leiden möchte und natürlich gibt es das „Ich“, das hungrig wird und eine Tasse Tee trinken oder ein Stück Brot essen will. Diese Art von „Ich“ ist gültig erkennbar – einfach als das, worauf sich das Wort „Ich“ bezieht, wenn es in gültiger Weise einer Grundlage der Bezeichnung zugesprochen wird. Diese Art von „Ich“ existiert konventionell tatsächlich. Doch die Dinge erscheinen uns nicht in dieser Weise. Das „Ich“, das die Dinge erlebt und die Dinge benutzt, erscheint uns nicht nur als das, worauf sich das Wort „Ich“ bezieht. Stattdessen erscheint es uns als etwas, dessen Existenz von seiner eigenen Seite her begründet ist, auf der Seite der Grundlage für das Bezeichnen von „Ich“. Das Greifen danach, dass diese täuschende Erscheinungsweise sich auf etwas tatsächlich Existierendes bezieht, schafft in uns ein sehr starkes Gefühl eines „Ichs“, das unabhängig existiert. Auf der Grundlage dessen, dass wir nach einem solchen „Ich“ greifen, greifen wir auch danach, dass die Dinge von ihrer eigenen Seite her als „mein“ existieren.

Von diesem Konzept des „mein“ ausgehend, denken wir dann in den Begriffen von „mein Feind“, „mein Freund“, und so weiter. Auf dieser Grundlage entwickeln wir dann Anhaftung und Abneigung; und auf dieser Grundlage wiederum begehen wir alle möglichen destruktiven Handlungen, die negative karmische Kraft aufbauen. Daher ist diese Art, nach den Dingen zu greifen, als seien sie von ihrer eigenen Seite her begründet – nicht bloß als das, worauf sich die Worte beziehen – die Ursache für alle Probleme, die wir haben.

Wir können anfangen zu erkennen, wie der Geist die Dinge hier tatsächlich verfälscht, indem er der Realität der Dinge etwas hinzufügt, das nicht wirklich existiert. Das ist der Grund dafür, dass wir jemanden sehr attraktiv finden. Der Geist fügt der Person fälschlich eine Erscheinung hinzu, die so absolut wunderschön ist – so attraktiv oder sexuell begehrenswert, oder was auch immer. Solche fälschlichen Hinzufügungen projizieren auf die Person etwas vollkommen Irreales. Und darauf basierend fühlen wir große Anhaftung und Anziehung. Oder, im gegenteiligen Fall, projiziert unser Geist auf jemanden, den wir als unseren Feind ansehen, etwas extrem Hässliches oder Abstoßendes; und wir reagieren auf die Projektion, die wir dieser Person übergestülpt haben. Darauf basierend werden wir feindselig; wir führen der Person gegenüber alle möglichen destruktiven Handlungen aus und schaffen negative karmische Kraft. Und als Ergebnis dieses negativen Potentials und der destruktiven Impulse, die auf seiner Grundlage entstehen, wandern wir in unkontrollierbar in Samsara umher. Wenn wir die Abwesenheit dieser unmöglichen Existenzweise verstehen können, die wir auf die Objekte projizieren und die wir ihnen in verfälschender Weise hinzufügen, dann werden wir frei von allen unkontrollierbar wiederkehrenden Problemen Samsaras.

Aufgrund dieses starken Greifens nach einem wahrhaft existierenden „Ich“ unterteilen wir die Welt in „Ich“ und „alle anderen“ und auf dieser Grundlage bauen wir alle möglichen negativen Geisteshaltungen auf. Doch wenn wir zum Beispiel auf jemanden, der Tashi heißt, sehr wütend würden, könnten wir anhalten und analysieren: „Wer ist dieser Tashi auf den ich wütend werde? Ist es sein Körper? Ist es sein Geist? Wenn es sein Körper ist, ist es sein Kopf, oder sind es seine Füße, oder seine Arme, oder seine Nase?“ Wenn wir beginnen, die Dinge in dieser Weise zu untersuchen, werden wir plötzlich sehr überrascht. Wir gewinnen Abstand, da wir entdecken, dass wir diesen Tashi, auf den wir so wütend sind, nicht wirklich finden können! Dann können wir uns fragen, worauf wir tatsächlich so wütend sind. Das ist eine sehr effektive Methode, um zu untersuchen, warum genau wir so wütend sind. Wenn wir also die Geistesgegenwart haben, in einer derartigen Situation eine solche Analyse durchzuführen, dann kann es sehr hilfreich sein.

Die Notwendigkeit, das Fehlen einer wahrhaft begründeten Identität oder „Seele“ festzustellen als die Methode, um diese Unwissenheit zu beenden

Der Text beschreibt, wie wir dadurch, dass wir an uns selbst als einem „Ich“ haften, vollkommen von der selbstsüchtigen Jagd nach dem Glücklichsein gefangen sind und wie wir deshalb weiterhin im Samsara kreisen. Die Objekte unserer Anhaftung und unserer Abneigung erscheinen uns, als existierten sie nicht bloß im Sinne dessen, worauf sich die für sie stehenden Namen oder Bezeichnungen beziehen. Deshalb reagieren wir mit Anhaftung und Abneigung auf Dinge die – so sind wir überzeugt – tatsächlich in ihrer Existenz von ihrer eigenen Seite her begründet sind, in der täuschenden Weise, in der sie zu existieren scheinen.

Wir müssen dieses Greifen nach einer wahrhaft begründeten Existenz sehr klar erkennen, da es die Quelle all unserer Probleme ist. Es ist dringend notwendig, sich davon zu befreien, es mit der Wurzel aus unserem geistigen Kontinuum auszureißen und zu erkennen, dass das implizierte Objekt, nach dem wir greifen, überhaupt nicht existiert. Die Wurzel von Samsara ist die automatisch erscheinende Unwissenheit, mit der wir nach den Dingen greifen, als existierten sie in einer vollkommen falschen Weise. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir uns von ihr befreien und anfangen, in genau der entgegen gesetzten Weise zu denken.

Wir greifen nach den Dingen, als wäre ihre Existenz von ihrer eigenen Seite her begründet, doch wenn wir das implizierte Objekt unseres Greifens analysieren, gibt es dann irgendetwas, worauf sich dieses Greifen nach wahrhaft begründeter Existenz bezieht? Gibt es tatsächlich ein wahrhaft existierendes Objekt da draußen, dessen Existenz von seiner eigenen Seite her begründet ist? Wir stellen fest, dass dieses Greifen nach wahrhaft begründeter Existenz sich auf etwas bezieht, das überhaupt nicht existiert; und daher hören wir schließlich auf, in dieser Weise zu denken, indem wir feststellen, dass es sich auf nichts Reales bezieht. Mit anderen Worten: die tatsächliche Existenzweise der Dinge ist, dass sie in der letztendlichen Analyse nicht gefunden werden können.

Auf der Seite der Objekte gibt es keinen unterstützenden Rückhalt, wenn unser Geist auf die Dinge gerichtet ist und den Eindruck projiziert, als gäbe es auf ihrer Seite etwas, das ihre Existenz begründet. Nehmen wir als Beispiel an, wir säßen hier mit der beängstigenden Vorstellung, dass es im Wald hinter uns einen wilden Tiger gibt. Wenn wir nichts tun und einfach versuchen würden, nicht mehr daran zu denken, dann würde dies die Vorstellung nicht beseitigen, dass da ein Tiger ist. Was wir tatsächlich tun müssten ist, zu untersuchen, ob es da einen Tiger gibt oder nicht. Nur indem wir nachforschen, ob es da einen Tiger gibt oder nicht, können wir uns von der Vorstellung befreien. Nachdem wir die Sache untersucht haben, würden wir feststellen, dass in dem Wald da hinten tatsächlich kein Tiger existiert. Auf dieser Grundlage würden wir uns von der Vorstellung befreien. Wenn wir überhaupt keine Nachforschungen angestellt hätten, wenn wir nichts getan hätten und versucht hätten, alles zu vergessen, dann wäre dieser verängstigende Gedanke einfach irgendwann leise in unser Bewusstsein zurückgekehrt. Daher ist es sehr wichtig, zu untersuchen, ob es auf der Seite der Objekte etwas gibt oder nicht, das einen unterstützenden Rückhalt gibt, wenn unser Geist sich auf diese Objekte richtet, als hätten sie eine selbst-begründete Existenz.

Wenn wir uns andererseits vorstellen, dass alle konzeptuellen Gedanken vollkommen falsch sind, dass sie alle etwas Unmögliches projizieren und dass wir uns daher von ihnen allen befreien müssen, da sie alle falsch sind, dann fallen wir in die falsche Position des chinesischen Mönchs Hoshang. Wichtig ist, dass man erkennt, was das Objekt der Widerlegung ist und dass man es dann widerlegt und sich davon befreit – nicht, dass man sich von allen wie auch immer gearteten Gedanken befreit. Es stimmt zwar, dass wir ein nichtkonzeptuelles Verständnis und eine nichtkonzeptuelle Wahrnehmung der Realität haben müssen. Dennoch muss dieses nichtkonzeptuelle Verständnis auf dem basieren, was wir durch den konzeptuellen Prozess der Analyse feststellen. Wir versuchen nicht, einen allgemeinen nichtkonzeptuellen Zustand zu erlangen, der sehr vage wäre. Zuerst müssen wir das Objekt betrachten, das wir analysieren und durch einen analytischen Prozess feststellen, dass die Art, in der wir nach ihm gegriffen haben, sich auf etwas bezieht, das überhaupt nicht existiert. So widerlegen wir das eigentliche Objekt, das hier widerlegt werden muss. Auf dieser Grundlage erlangen wir ein nichtkonzeptuelles Verständnis, indem wir zuerst in einem konzeptuellen Prozess erforscht haben.

Wie man über den Mangel an einer wahrhaft begründeten Identität oder „Seele“ meditiert

Aus dem Gesichtspunkt der Prasangikas gibt es, was Personen und Phänomene angeht, in Bezug auf die der Nichtauffindbarkeit einer wahrhaft begründeten Identität oder „Seele“ keinen Unterschied im Subtilitätsgrad. Es wird nicht differenziert, welche der beiden (Nichtauffindbarkeit der Personen oder der Phänomene) tiefer oder weniger tief ist. Doch wenn wir die korrekte Sicht auf die Realität feststellen wollen, gibt es dann eine Reihenfolge in der wir die Dinge zuerst untersuchen? Ja, es gibt eine solche Reihenfolge. Obwohl es keinen Unterschied in Bezug auf die Nichtauffindbarkeit einer wahrhaft begründeten Existenz gibt, gibt es einen Unterschied bezüglich dessen, was schwieriger und was leichter zu verstehen ist. Zuerst verwirklichen wir ein Verständnis der Abwesenheit einer wahrhaft begründeten Identität von Personen, da dies eine leichter zu untersuchende Grundlage der Leerheit ist; dann betrachten wir die Abwesenheit einer wahrhaft begründeten Identität aller Phänomene.

All dies erklärt, wie man über tiefstes Bodhichitta meditieren kann, über den Geist, der sich ausdehnt hin zu der tiefsten Wahrheit von allem. „Tiefstes“ bezieht sich auf den letztendlichen oder tatsächlichen Stand der Dinge – auf das Verstehen der tatsächlichen Natur der Realität in Bezug auf die Handlung, die Grundlage der Handlung, die Person, welche die Handlung ausführt, und so weiter. Zum Beispiel: wenn wir eine Blume betrachten und sie analysieren, dann entstand die Blume natürlich aus Samen; ferner brauchte sie Wasser und Sonnenlicht, um zu wachsen. Doch wenn wir plötzlich in ein Zimmer kommen würden und die Blume da sehen würden, dann würde es so aussehen, als stehe sie da von sich aus, ohne durch diesen ganzen Prozess gegangen zu sein. Doch wenn die Blume verblüht und beginnt, auseinanderzufallen, dann ist das eine klare Demonstration dafür, dass die Existenz der Blume überhaupt nicht von ihrer eigenen Seite her begründet war – obwohl es so aussah – und dass sie tatsächlich das Produkt eines Prozesses von Ursachen und so weiter war, von denen sie abhing, um ihre Existenz zu begründen, Aufgrund der Natur ihres abhängigen Entstehens ist sie alt geworden, ist auseinandergefallen und verwittert.

Die tiefste Natur der Blume ist, dass sie von ihrer eigenen Seite her nicht gefunden werden kann als wäre ihre Existenz in einer gewissen Weise begründet. Mit anderen Worten: die tiefste Wahrheit ist nicht die oberflächliche Erscheinung der Blume, sondern die tiefste Tatsache der Realität, die sie betrifft. Wenn wir über die konventionelle oder oberflächliche Wahrheit von etwas sprechen, dann bezieht sich der Begriff auf die Wahrheit über etwas, die trotzdem etwas Tieferes verbirgt. Die konventionelle Wahrheit der Dinge – die Erscheinung all der verschiedenen Wesen und Dinge, die problematisch sind und so weiter – ist, was ihre tiefste Wahrheit verbirgt. Wenn sich unser Herz zur konventionellen Wahrheit all dieser so genannten „konventionell existierenden Dinge“ oder Objekte, die etwas Tieferes verbergen, hin ausdehnt, dann wird dies „konventionelles Bodhichitta“ genannt. Wenn sich unser Herz zum Letztendlichen hin ausdehnt, was sich auf die tiefste Wahrheit von allem bezieht, dann wird dies „tiefstes Bodhichitta“ genannt.

Ebenso, wenn wir unseren Geist zum Dharmakaya ausdehnen zum Körper der alles umfasst, der die tatsächliche Realität aller Phänomene ist – und wenn wir über den Dharmakaya in dieser Weise nachdenken – dann können wir alle Makel beseitigen, welche die wahre Natur der Realität verschleiern. Indem wir sie beseitigen, kommen wir zum wahren Dharmakaya. Somit haben wir eine kombinierte Praxis, bei der wir unseren Geist zum Konventionellen und zum Tiefsten ausdehnen – eine gemeinsame Praxis des konventionellen und tiefsten Bodhichittas. Unser Geist zielt auf alle Wesen und durch die Kraft, die dadurch aufgebaut wird, beseitigen wir die verschiedenen Makel und sind dazu in der Lage, die tatsächliche Natur der Realität zu sehen.

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