Eine gesunde Gesellschaft entwickeln

29:28

Einführung

Eines der wichtigsten Prinzipien im tibetischen Buddhismus ist das abhängige Entstehen. Nichts existiert für sich allein oder kann für sich allein geschehen, ohne mit anderen Faktoren in Beziehung zu stehen und darauf angewiesen zu sein. Zudem entsteht alles aus einem komplexen Gefüge vieler Ursachen und Umstände; nichts entsteht, indem es nur auf einer einzigen Ursache beruht oder aus gar keiner Ursache. Ein gesunder Körper z.B. kommt, was sein Inneres betrifft, in Abhängigkeit davon zustande, dass all seine Organe und Systeme auf richtige Weise und im Einklang miteinander funktionieren. Äußerlich ist Gesundheit auch abhängig von Medizin, Ernährung, freundlicher Fürsorge seitens anderer, der Umgebung usw. Ganz ähnlich kommt auch eine gesunde Gesellschaft im Inneren in Abhängigkeit davon zustande, dass alle Gruppen ihrer Mitglieder zusammenwirken und harmonisch miteinander zusammenarbeiten. Äußerlich hängt gesellschaftliche Gesundheit auch von ökonomischen, politischen und Umwelt-Faktoren ab sowie auch von der Situation der Welt im Allgemeinen.

Auch Ethik spielt eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, sowohl die Gesundheit des Einzelnen als auch der Gesellschaft herbeizuführen. Wenn die Menschen keine ethische Selbstdisziplin üben, um von einem ungesunden Lebensstil und Verhalten Abstand zu nehmen und stattdessen gesunde Alternativen zu entwickeln, werden sie krank. Ähnlich gilt auch: Wenn die verschiedenen Gruppen in einer Gesellschaft nicht ethische Prinzipien wahren, die sie gemeinsam haben, wird die Gesellschaft krank. Am wichtigsten von diesen ethischen Prinzipien ist es, von selbstsüchtigen Verhalten Abstand zu nehmen und stattdessen altruistische Verhaltensweisen zu entwickeln, in denen einem das Wohlergehen anderer ein aufrichtiges Anliegen ist.

In multikulturellen Gesellschaften hat jede Gruppe der Mitglieder ihre eigene Religion oder Philosophie, die ihr ethisches Verhalten prägt und lenkt, und einige Mitglieder der Gesellschaft folgen gar keiner Religion oder speziellen Philosophie. Die Methoden, Selbstsucht zu vermindern und Altruismus zu entwickeln, mögen in jeder Gruppe unterschiedlich sein, aber wenn sie dasselbe Ziel haben – nämlich eine harmonische und glückliche multikulturelle Gesellschaft zu schaffen -, dann wird solch eine Gesellschaft in Abhängigkeit von gegenseitigem Verständnis, Respekt und Zusammenarbeit aller Gruppen ihrer Mitglieder zustande kommen.

Um diesen Punkt zu veranschaulichen, können wir uns vorstellen, wir wären einer der Mitreisenden auf dem Forschungsschiff, das im Dezember 2013 vor der antarktischen Küste im Eis steckenblieb. 52 Wissenschaftler und Touristen steckten dort zehn Tage lang fest, und die Mannschaft des Schiffs saß noch viel länger fest, nachdem die Passagiere bereits mit Hilfe eines chinesisches Schiffes, das zu ihrer Rettung kam, auf dem Luftweg in Sicherheit gebracht worden waren. Die einzige Möglichkeit für die Gruppe, in der lebensfeindlichen Umgebung und mit den begrenzten Nahrungsvorräten zu überleben, bestand darin, miteinander zusammenzuarbeiten. Wenn jede Person sich auf selbstsüchtige Weise nur um sich gekümmert hätte, wäre das eine Katastrophe gewesen. Der Schlüssel zu ihrem Überleben war, dass ein jeder grundlegende ethische Prinzipien einhielt, obwohl die Mitglieder unterschiedliche religiöse und kulturelle Hintergründe hatten.

Stellen wir uns vor, dass sich unter den Passagieren spirituelle Leiter aus tibetisch-buddhistischen, muslimischen, christlichen und konfuzianischen Gemeinden sowie auch eine leitende weltliche Persönlichkeit befänden, die von allen an Bord respektiert würde, einschließlich derjenigen die keiner organisierten Religion oder Philosophie folgten. Wie wären diese führenden Persönlichkeiten mit der Herausforderung umgegangen? Wie wäre ihre jeweilige Denkweise gewesen und was hätte jede von ihnen den anderen in der Gruppe geraten? Jeder war ja besorgt und verängstigt, und einige der Passagiere waren sogar verärgert über das, was passiert war, oder hatten begonnen, sich zu streiten, und die meisten waren sehr niedergeschlagen.

Methoden für die Entwicklung von Ethik, die auf dem tibetischen Buddhismus beruhen

Der tibetisch-buddhistische Leiter hätte die anderen Buddhisten in der Gruppe vielleicht an die Worte des großen indisch-buddhistischen Meisters Shantideva über Geduld erinnert: „Wenn ich etwas ändern kann, warum sollte ich dann schlechter Laune sein? Und wenn ich es nicht ändern kann, was nützt dann die schlechte Laune?“ Mit anderen Worten: Wenn es etwas gibt, das man tun kann, um aus einer schwierigen Lage herauszukommen, dann hat es keinen Sinn, sich aufzuregen – man ergreift eben die entsprechenden Maßnahmen. Aber wenn es nichts gibt, was man tun kann – wozu sich dann aufregen? Das wird nichts nützen. Es wird nur bewirken, dass man sich noch schlechter fühlt. Es gibt also keinen Grund, ärgerlich oder deprimiert zu sein. Vielmehr ist es erforderlich, Geduld und Mut zu entwickeln, um mit der Herausforderung fertigzuwerden.

Nun, was in einer schwierigen Situation wie dieser, in der das Schiff im Eis steckengeblieben ist, von Nutzen sein wird, ist eine realistische Einstellung. Zuerst einmal ist die Situation in Abhängigkeit von vielerlei Faktoren entstanden; man kann nicht einer einzelnen Person oder einem einzigen Faktor die Schuld geben, über die bzw. den man sich dann ärgern kann. Die Tatsache, dass sich all diese Teilnehmer auf dem Schiff befinden, beruht auf zahlreichen Faktoren. Es gab für jeden davon unterschiedliche Gründe, an der Expedition teilzunehmen, und diese Gründe hingen damit zusammen, dass jeder von ihnen Fachkenntnisse in einem bestimmten Bereich hatte oder genügend Interesse, Geld und Zeit hatte, um mitzufahren. Zudem gibt es karmische Ursachen aus früheren Leben, die dazu herangereift sind, dass man sich im gegenwärtigen Leben in diesen Umständen befindet. Auch andere hatten Einfluss darauf – nicht nur darauf, dass jemand an der Expedition teilnahm, sondern auch darauf, dass es ihm überhaupt möglich war, etwa dadurch, dass die Familie oder der Arbeitgeber keine Einwände hatten. Dazu kommen die Gründe, aus denen die wissenschaftliche Expedition unternommen wurde, die Gründe, warum dafür dieses spezielle Datum ausgewählt wurde, sowie der Zustand des Schiffes und die Gründe, warum dieses dafür ausgewählt wurde, überdies die geographische Lage der Antarktis, das Wetter usw. Dass das Schiff im Eis steckenblieb, ergab sich in Abhängigkeit von all diesen Faktoren. Das ist die Realität. Wenn einer dieser Faktoren gefehlt hätte, wäre man nicht in diese missliche Lage geraten. Wo gibt es in diesem riesigen Netzwerk von Ursachen und Bedingungen etwas Bestimmtes, dem man die Schuld geben kann und auf das man ärgerlich sein kann? Wenn Sie merken, dass Sie anfangen, ärgerlich zu werden oder sich aufzuregen oder eine Menge verstörende Gedanken und Sorgen haben, dann versuchen Sie sich zu beruhigen, indem Sie sich auf Ihren Atem konzentrieren, langsam durch die Nase atmen und, wenn Sie möchten, die Atemzüge jeweils bis elf zählen.

Erinnern Sie sich daran, dass es, solange das Wetter nicht aufklart und solange es dauert, bis ein Rettungsschiff uns erreichen kann, nichts gibt, was irgendjemand tun kann, um die Rettung zu beschleunigen. Es ist eine Fiktion zu glauben, dass irgendjemand von uns die Situation in der Hand hat, denn was geschieht und die Art und Weise, wie wir alle mit dieser Situation umgehen, ergibt sich aus einer riesigen Anzahl von Faktoren. Die Realität ist außerdem, dass wir uns alle gemeinsam in dieser Situation befinden. Es handelt sich nicht nur um mein Problem oder um Ihr Problem. Die Notwendigkeit zu überleben ist das Problem eines jeden hier, und wir müssen den Blick über unsere selbstsüchtige Sicht hinaus richten, um zu überlegen, wie wir alle mit dieser schwierigen Situation umgehen können. Wir können weder das Wetter noch die Ankunft eines Rettungsschiffes bestimmen, aber was wir beeinflussen können, ist unser Geisteszustand, insbesondere in Bezug darauf, wie wir einander betrachten.

Eine Art, die selbstsüchtige Sichtweise zu überwinden, besteht darin, zu erkennen, dass ein jeder hier in irgendeinem früheren Leben Ihre Mutter oder Ihr Vater gewesen ist und sie mit Liebe und Güte behandelt hat. Betrachten Sie daher jeden Menschen hier als Ihre lang verschollene Mutter oder Ihren Vater, den Sie viele Leben lang nicht gesehen haben. Mit tiefer Wertschätzung der Güte, die Sie in der Vergangenheit von jedem Menschen an Bord empfangen haben, werden sie ganz natürlich ein warmherziges Gefühl entwickeln, wann immer Sie einen davon sehen. Weiten Sie dieses warmherzige Gefühl aus und wünschen Sie jedem von ihnen, dass er oder sie glücklich sein möge und nicht leidet, denn jeder hat schließlich denselben Wunsch. Genauso wie Sie möchte jeder glücklich sein und niemand möchte unglücklich sein. In dieser Hinsicht sind wir alle gleich. Und jeder hat das gleiche Recht, glücklich zu sein und nicht zu leiden. Etwa im Hinblick auf unsere begrenzten Nahrungsvorräte – jeder möchte und muss etwas essen. Sie wollen selbst keinen Hunger leiden, und jeder andere auch nicht. Mit dieser inneren Haltung von Liebe und Mitgefühl, die darauf beruht, dass sie ihre Einstellung gegenüber sich selbst und anderen angleichen, versuchen Sie dann, für jeden Glück zu bewirken und allen ihr Leid zu erleichtern. Das bedeutet, sich in dieser schwierigen Situation um das Wohlergehen der gesamten Gruppe zu kümmern und sich so hilfreich wie möglich zu verhalten, so, wie man es für die eigenen Eltern in diesem Leben tun würde.

Der buddhistische Leiter hätte den anderen Buddhisten in der Gruppe vielleicht auch geraten, den Mut und die Stärke aufzubringen, den anderen zu helfen, indem man das so genannte „Geben und Nehmen“ übt: „Setzen Sie sich mehrmals am Tag still zur Meditation hin“, hätte er ihnen empfohlen, „und beginnen sie damit, zur Ruhe zu kommen, indem Sie sich auf Ihren Atem konzentrieren und ihre Motivation von Liebe und Mitgefühl stärken. Mit dem starken, mitfühlenden Wunsch, dass andere frei von ihrem Leiden sein mögen, stellen Sie sich vor, dass die Angst und Sorge eines jeden ihn in Form von schwarzem Licht verlässt und, während Sie langsam einige Male durch die Nase einatmen, in Sie hineingelangt. Stellen Sie sich vor, dass es hinunter in ihr Herz gelangt und sich dort in der Stille und Klarheit ihres eigenen Geistes auflöst. Verweilen sie einen Augenblick in diesem Zustand von Stille und Klarheit.

Daraus, dass Sie ihre früheren Mütter und Väter von ihrem geistigen Aufgewühltsein befreit haben, entsteht auf natürliche Weise ein stilles Glück. Dann stellen Sie sich vor, dass das ruhige Gefühl von Glück, Wärme und Liebe in Form von weißem Licht von ihrem Herzen ausgeht und in jeden eintritt und seinen Körper erfüllt. Nun stellen Sie sich vor, dass ein jeder diesen inneren Frieden empfindet und eine heitere, positive Einstellung erlangt. Wenn Sie bei all dem das Mantra des Mitgefühls, „Om mani padme hum“, rezitieren, wird Ihnen das helfen, einen ruhigen und konzentrierten Geist zu bewahren und sich Mitgefühl zu vergegenwärtigen.

Auch wenn es sich vielleicht nicht direkt auf die anderen an Bord des Schiffes auswirkt, wenn Sie auf diese Weise meditieren, wird es Ihnen die Stärke, den Mut und das Selbstvertrauen verleihen, mit der Situation umzugehen, und Sie selbst werden natürlich auch geistigen Frieden empfinden und eine gelassenere, positive Einstellung entwickeln. Die Übung wird jedoch eine indirekte Wirkung auf andere haben, denn die Art und Weise, wie Sie sich aufgrund ihrer Meditation ihnen gegenüber verhalten und mit ihnen umgehen, wird ein gutes Beispiel abgeben, das andere inspirieren kann.

Methoden, die auf dem Islam beruhen

Der muslimische spirituelle Leiter wird inzwischen wohl zu den Muslimen an Bord gesprochen haben. Er hätte erklärt, dass es Gottes Wille ist, dass wir alle hier im Eis stecken geblieben sind. „Wir haben keine Macht darüber, was geschehen wird, und ob wir gerettet werden oder sterben, liegt nun in Gottes Hand. Doch denken Sie daran: Gott ist von Natur aus durch und durch barmherzig, und insbesondere erbarmt er sich derer, die ihre Fehler bereuen. Falls Sie den Glauben an Gott verloren haben und angefangen haben zu zweifeln – bereuen Sie und bitten Sie Gott um Vergebung. Im vollständigen Vertrauen auf die göttliche Gerechtigkeit gibt es keinen Grund zur Sorge.“

Möglicherweise hätte er ihnen geraten, an die drei Dimensionen der islamischen Religion zu denken: Unterwerfung bzw. Hingabe an Gott und Seinen Willen, Glaube an Gott, beruhend auf Demut angesichts all seiner Schöpfung, und Vortrefflichkeit in Charakter und Handlungen, mit denen man all den Geschöpfen Gottes dient. Er hätte sie vielleicht ermutigt, indem er sie daran erinnerte, dass man, wenn man fest im Glauben an Gottes Wille ruht, ganz von Frieden erfüllt sein wird. Es gibt keinen Grund zu zweifeln oder zur Sorge.

Des Weiteren mag er ihnen gesagt haben, dass Gott sie alle geschaffen hat, indem er Seinen Geist in ihre Herzen legte, im Zustand ursprünglicher Reinheit, und einen jeden von ihnen mit seinen jeweiligen guten Qualitäten ausgestattet hat, z.B. mit Liebe. „Gottes Liebe für uns alle ist Sein Empfinden der Nähe zu all dem Vortrefflichen, das er geschaffen hat. Die beste Art, die Liebe Gottes zu erwidern und zum Ausdruck zu bringen, sind die vortrefflichen Handlungen, mit denen Sie seinen Geschöpfen dienen, insbesondere durch Ihre Handlungen der Güte und indem Sie all ihren Mitreisenden helfen. Schließlich lehrt uns der Koran, dass Gott diejenigen liebt, die gut und tugendhaft handeln, diejenigen, die ihre Reinheit bewahren, diejenigen, die sich korrekt verhalten, indem sie im Einklang mit dem Gesetz handeln und sich an die Verpflichtungen halten, indem sie z.B. fünf Mal am Tag beten, und diejenigen, die gerecht und redlich sind.

Denken Sie daran: Wenn Sie die Liebe für andere in ihrer reinsten Weise entwickeln, ist es eine Liebe, die sich nicht auf diese Menschen selbst richtet, sondern es ist die Liebe zu Gott, die die Vortrefflichkeit und die guten Eigenschaften in Ihnen allen geschaffen hat. Kämpfen Sie gegen Ihre Ängste, Zweifel und selbstsüchtigen Gedanken an. Der höchste Kampf ist schließlich derjenige gegen die negativen Anwandlungen Ihres verwirrten Herzens, die Sie veranlassen, Gott zu vergessen und Sie zu destruktiven Gedanken und Verhaltensweisen anstiften.“

Methoden, die auf dem Christentum basieren

Als nächstes hätte vielleicht der christliche Geistliche die Christen an Bord angesprochen. Auch er mag sie daran erinnert haben, dass Gott, unser Vater, uns alle aus Liebe erschaffen hat. „Je mehr man sich dieser Liebe bewusst ist, desto näher wird man sich Gott fühlen. Die beste Art, diese Nähe zu Gott zu erfahren, besteht darin, sich an die Ethik und die Werte zu halten, die in der Liebe wurzeln, mit der Er uns geschaffen hat. Gott schuf uns alle nach Seinem Bilde, mit dem Funken Seiner Liebe in uns allen. Aufgrund dessen haben wir alle das Potenzial, diese Liebe zum Ausdruck zu bringen.

Denken Sie an Jesus, der um unserer aller willen gelitten hat, um uns von unseren Sünden zu erlösen. Er dachte dabei nicht an sein eigenes Wohlergehen oder seine Sicherheit, starb am Kreuz und ist von den Toten auferstanden. Wenn Sie an Jesus glauben, folgen Sie seinem selbstlosen Beispiel und kümmern Sie sich mit der uneigennützigen Liebe von Jesus Christus um die Kranken, Armen und Bedürftigen. Gott hat auch sie erschaffen und einen Sinn darin gesehen, sie zu erschaffen. Man muss sie daher alle als die Kinder Gottes respektieren, insbesondere die Bedürftigen. Gott hat uns diese Situation, in der wir hier im Eis feststecken, als Prüfung für unseren Glauben geschickt. Es wird viele an Bord geben, die von Angst und Niedergeschlagenheit erfüllt sind. Bekräftigen sie Ihren Glauben, indem sie sich um diese bedürftigen Geschöpfe Gottes kümmern, so wie Jesus sich um sie gekümmert hätte: voller Liebe und Zuneigung.

Methoden, die auf konfuzianischen Prinzipien beruhen

Auch der konfuzianische spirituelle Leiter wird wohl zu den Passagieren gesprochen haben, die seine religiösen Anschauungen teilen. Auch er wird ihnen geraten haben, sich nicht zu sorgen. „Sie müssen mit yi (义), Fairness gegenüber allen, handeln,“ hätte er vielleicht gesagt, „in Übereinstimmung mit li (礼), dem, was korrekt und angemessen ist, wenn man schwierige Zeiten durchzustehen hat. Ob Sie überleben oder sterben, wird das Resultat von ming (命), Schicksal, sein, aber solange Sie tun, was angemessen ist, werden Sie nichts zu bedauern haben. Zu tun, was angemessen ist, heißt, allen offiziellen Richtlinien zu folgen, die auf dem Schiff für Notfälle gelten. In Übereinstimmung mit den Prinzipien von zhengming (正名), der korrekten Rechtfertigung von Namen, gilt: Wenn der Kapitän handelt, wie ein Kapitän handeln sollte, und die Passagiere so handeln, wie Passagiere es tun sollten, und die Mitreisenden sich einander gegenüber so verhalten, wie es Mitreisenden zusteht, dann werden sie im Einklang mit dem stehen, was die Situation erfordert.

Sie alle besitzen ren (仁), die innere Fähigkeit, zu tun, was gut ist und was in Beziehung zu anderen richtig ist. Ren ist die Quelle aller wohltuenden Qualitäten wie Liebe, Weisheit, Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit im Umgang mit jedem. Sie müssen diese innere Fähigkeit zur Tugend kultivieren, denn ohne sie werden Sie nicht imstande sein, Schwierigkeiten auszuhalten, und nicht tun können, was angemessen ist.“

Als Konfuzius gefragt wurde, was diese innere Fähigkeit ist, sagte er: 

Wenn erst Schwierigkeiten auftreten, dann damit umgehen – das nennt man ren

Mit anderen Worten: Wenn man in eine schwierige Lage gerät, so wie diejenige, in der wir uns jetzt befinden, werden Sie imstande sein, die Situation in den Griff zu bekommen und damit auf angemessene, wohltätige Weise und gerecht gegenüber allen umzugehen, indem Sie ihre innere Fähigkeit, das Angemessene zu tun, kultivieren. Eine andere Art, diese Aussage von Konfuzius zu verstehen, ist: 

Der Erste sein, wenn Schwierigkeiten auftreten, und der Letzte beim Ergreifen von Gewinn, das nennt man ren.

Das bedeutet: In schwierigen Situationen tut man das Richtige einfach deswegen, weil es richtig ist, ohne jeden Gedanken daran, Anerkennung zu gewinnen oder dafür irgendetwas zurückzubekommen.

Sie können lernen, wie man diese innere Fähigkeit entwickelt, indem Sie sich Beispiele aus der Geschichte erhabener Menschen anschauen, die sich im Falle gesellschaftlicher Katastrophen ethisch korrekt verhalten haben. Konfuzius sagte: 

Jemand, der seine innere Fähigkeit der Tugend entwickelt hat handelt folgendermaßen: Wenn er wünscht, dass es ihm wohl ergehe, sorgt er dafür, dass es den Menschen wohl ergeht; wenn er wünscht, dass er erfolgreich sei, sorgt er dafür, dass die Menschen erfolgreich sind.

Konfuzius sagte auch: 

Selbstsucht überwinden und sich an das halten, was angemessen ist – das ist die innere Fähigkeit der Tugend. Wenn man für einen Tag die Selbstsucht überwinden kann und dem folgt, was angemessen ist, werden alle unter dem Himmel zum ren zurückkehren. 

Wiederum befragt, was ren sei, antwortete Konfuzius, dass es die Liebe zu den Menschen ist. „Diejenigen mit ren“, so erklärte er, „sind mutig und unerschrocken. Entwickeln Sie deshalb Ihre innere Fähigkeit zu tun, was angemessen ist, so, wie es korrekten Passagieren zusteht, folgen Sie den Richtlinien, die der Kapitän aufzeigt – dann wird es nie etwas geben, dessen Sie sich zu schämen haben.“ 

Methoden, die auf elementaren Werten menschlicher Ethik beruhen

Die führende weltliche Persönlichkeit mag sich dann an die gesamte Gruppe der Passagiere gewendet haben. Sie wird sie daran erinnert haben, dass es, obwohl sich unter ihnen Anhänger des Buddhismus, des Islams, des Christentums und des Konfuzianismus befinden, auch viele gibt, die keiner organisierten Religion oder Philosophie angehören. „Wir alle müssen uns einander gegenüber auf ethische Weise verhalten, um diese qualvolle Lage zu überstehen. Das schließt auch diejenigen mit ein, die keinen speziellen Glauben haben. Wenn wir einander bekämpfen, werden wir nie überleben. Diejenigen unter Ihnen, die einer Religion oder einem philosophischen System folgen, haben ihren Glauben und vertrauen auf die Lehren ihres jeweiligen Systems als Leitlinie für ihr ethisches Verhalten, und das ist wundervoll. Obwohl die Gründe dafür, ethisch zu handeln, unterschiedlich sein mögen, gibt Ihnen Ihre Überzeugung die innere Kraft, die erforderlich ist, um sich anderen gegenüber warmherzig zu verhalten. All diese Religionen und philosophischen Systeme lehren uns, liebevoll und mitfühlend zu sein. Sie lehren uns Vergebung, Genügsamkeit und dass wir unser selbstsüchtiges, zerstörerisches Verhalten mindern müssen. Und das sind Werte, die auch diejenigen, die keinen Glauben an ein bestimmtes religiöses System haben, ebenfalls akzeptieren und für erstrebenswert halten. Wir können sie ‚elementare Werte menschlicher Ethik‘ nennen.

Wenn wir unter dem Gesichtspunkt dieser elementaren menschlichen Werte denken, dann haben wir alle eine gemeinsame Basis für unser ethisches Verhalten, und das wird der Schlüssel für unser Überleben als Gruppe sein. Wir müssen Frieden unter uns wahren und Eintracht und Zusammenarbeit gewährleisten, doch äußerer Frieden hängt von innerem Frieden ab. Mit anderen Worten: Der äußere Frieden wird davon abhängen, dass jeder von uns einen ruhigen und friedlichen Geist bewahrt. Wenn Sie missliebige Gedanken gegeneinander hegen und immer nur an sich selbst denken und daran, wie Sie sich durchsetzen können, dann werden Sie im Umgang mit anderen fürchten, dass sie Ihnen irgendwie schaden und in die Quere kommen werden. Sie trauen ihnen nicht und sind daher voller Furcht und Misstrauen. Die anderen werden das spüren und Ihnen folglich auch nicht trauen. Das schafft eine Mauer zwischen Ihnen und anderen; es wird zum Hindernis für jede wirkliche Kommunikation miteinander. Diese Distanz und Barriere bewirkt, dass man sich unsicher und allein fühlt. Wenn man sich unsicher fühlt, traut man sich nicht zu, die Herausforderungen unserer schwierigen Situation zu bewältigen. Man wird deprimiert. Andererseits ist es so, dass Sie, je näher sie sich den anderen in der Gruppe fühlen, umso mehr empfinden werden, dass Sie Teil einer Gemeinschaft sind. Sie spüren, dass Sie zu einer Gruppe gehören, und das wird dazu führen, dass Sie sich sicherer fühlen. Und wenn Sie sich sicherer fühlen, werden Sie natürlicherweise mehr Zuversicht gewinnen.

Wir Menschen sind soziale Geschöpfe. Wenn ein Tier, das ein soziales Wesen ist, z.B. ein Schaf, von den anderen getrennt wird, fühlt es sich unwohl und verängstigt, und wenn es zu den anderen zurückkehrt, fühlt es sich wieder glücklich. Ähnlich leiden auch wir, wenn wir von anderen isoliert werden. Doch oft ist es so, dass unsere Einstellung uns selbst in Gesellschaft anderer isoliert und es unmöglich macht, Unterstützung und Trost seitens der Gruppe zu empfangen, wenn unser Geist von Misstrauen und Argwohn erfüllt ist. Bitte machen Sie sich klar, dass Ihr grundlegendes geistiges Wohlbefinden und die Fähigkeit, die Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang des Geschehnisses zu bewahren, von ihrer Einstellung gegenüber den anderen in der Gruppe abhängt. Wenn Sie ein Gefühl der Nähe zu all den anderen hier entwickeln, gibt Ihnen dieses Gefühl innere Kraft und Zuversicht. Ihr Selbstvertrauen und das Gefühl von Sicherheit befähigt sie, einander zu vertrauen, und aus Vertrauen kann echte Freundschaft entstehen.

Manche Menschen denken, sie würden mehr Freunde gewinnen, wenn sie Geld oder Macht haben. Doch wenn ihnen ihr Geld und ihre Macht abhanden kommt, verschwinden auch die Freunde. Wahre Freunde sind anders. Aufrichtige Freundschaften, die einem Glück und Freude bringen, bauen auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens auf. Wenn man offen und ehrlich miteinander ist, fühlt man sich nicht nur sicherer und selbstbewusster, sondern auch geistig entspannter. In solch einem Zustand kann man mit vereinten Kräften an die Schwierigkeiten herangehen, in denen wir alle uns gegenwärtig als Gruppe befinden. Es ist schließlich nicht so, dass nur ich hier im Eis feststecke oder nur Sie hier im Eis feststecken, sondern wir stecken alle hier fest.

Wenn wir diese positive, offene Einstellung gegenüber anderen auch dann aufrechterhalten, wenn wir aus dieser misslichen Lage wieder herauskommen, werden Sie weiterhin warmherzige, vertrauensvolle Freundschaften erleben. Es wird immer Schwierigkeiten im Leben geben. Es ist naiv, sich einzubilden, dass man in Zukunft nie wieder mit Problemen konfrontiert sein wird. Aber mit Offenheit, Aufrichtigkeit, Zuversicht und Vertrauen wird man gut darauf vorbereitet sein, sich mit anderen zusammenzutun, und andere werden sich bereitwilliger mit einem zusammentun, um zu bewältigen, was immer auch geschehen mag, sei es gut oder schlecht.

Wenn Sie fragen, was der Grund dafür ist, sich ethisch zu verhalten – er besteht einfach darin, dass wir menschliche Wesen sind. Wir müssen ethisch sein, weil wir miteinander zusammenleben und voneinander abhängig sind, um zu überleben. Wenn Sie sich nicht um das Glück und Wohlergehen anderer kümmern und stattdessen Ärger bereiten, werden Sie schließlich selbst darunter leiden, indem sie sich von den anderen isoliert haben und sich selbst ihrer Fürsorge und ihres Interesse berauben.

Es gibt zwei Arten von Fürsorge und Interesse füreinander. Die eine beruht auf Emotionen und ist mehr an uns selbst ausgerichtet sowie daran, was wir von anderen bekommen. Solange die anderen nett zu uns sind oder sich allgemein umgänglich verhalten, mögen wir sie und möchten, dass es ihnen gutgeht. Doch sobald sie sich misslich verhalten oder auch nur nicht mit uns übereinstimmen, ändert sich unsere Haltung ihnen gegenüber. Nun mögen wir sie nicht mehr und es kümmert uns nicht, ob sie glücklich sind oder nicht. Wir lehnen sie aufgrund ihres Verhaltens ab. Das sind auf Emotionen basierende Liebe und Mitgefühl, und sie sind nie eine stabile Basis für echte Freundschaft.

Die andere Art von Fürsorge und Interesse für andere hängt nicht von deren Verhaltensweisen oder Gesinnungen ab. Sie beruht einfach auf die Tatsache, dass sie menschliche Wesen sind, genau wie wir selbst auch. Wir möchten ja selbst auch glücklich sein, egal wie wir uns verhalten oder wie unser Geisteszustand gerade ist. Und einfach beruhend auf dieser Tatsache, dass wir glücklich sein möchten, sorgen wir für uns, wir achten auf unser Wohlergehen. Doch dasselbe gilt auch für alle anderen, einschließlich derer, die wir aufgrund ihrer Verhaltensweise oder Gesinnung vielleicht nicht mögen. Dennoch möchten auch sie glücklich sein; auch sie blühen durch Liebe und Fürsorge auf. In Hinsicht auf den Wunsch, glücklich zu sein, sind wir alle gleich. Jeder möchte glücklich sein. Und nicht nur das gilt für alle gleichermaßen; sondern wir alle haben auch gleichermaßen ein Anrecht auf ein glückliches Leben. Und es führt zu einem glücklichen Leben, wenn man aufrichtiges Interesse an anderen hat und dafür sorgt, dass sie ebenfalls glücklich sind. Es basiert darauf, jedem gegenüber aufrichtige Freundschaft zu entwickeln, ganz gleich, mit wem man zusammen ist.

Nur Menschen haben die Fähigkeit, sich um das Wohl der anderen zu kümmern, die sich misslich verhalten. Denn Menschen haben die Fähigkeit, für deren Wohlergehen zu sorgen. Diese Fähigkeit kann entweder aus der menschlichen Intelligenz erwachsen oder aus dem Glauben an religiöse oder philosophische Anschauungen. Tiere haben beides nicht – sie haben weder menschliche Intelligenz noch Glauben. Wenn ein anderes Tier sie bedroht oder ihnen schadet, greifen sie einfach an. Als Menschen jedoch, auch wenn nicht alle von uns an ein religiöses oder philosophisches System glauben, besitzen wir alle die grundlegende menschliche Intelligenz. Wir müssen diese Intelligenz einsetzen, um die Gründe zu verstehen warum das Interesse am Glück und Wohlergehen der anderen der Schlüssel zu unserem eigenen Glück ist.

Ganz gleich, ob wir nun an einen Schöpfer oder an vergangene Leben oder einen starken Einfluss unserer Ahnen glauben – niemand kann abstreiten, dass wir von einer Mutter stammen. Ohne die Zuneigung und Fürsorge unserer Mutter oder von jemandem, der sich wie eine Mutter um uns gekümmert hat, als wir ein hilfloses Baby waren, hätten wir nicht überlebt. Wissenschaftler haben gezeigt, dass Menschen, die als Baby ein hohes Ausmaß an Liebe und Zuneigung bekamen, sich ihr Leben lang sicherer, selbstbewusster und glücklicher fühlen, während diejenigen, die als Baby vernachlässigt oder misshandelt wurden, sich unsicher fühlen, egal, was ihnen geschieht. Sie fühlen sich immer unwohl. Tief im Innern haben Sie das Gefühl, dass irgendetwas in ihrem Leben fehlt, und deswegen sind sie im Grunde unglücklich. Ärzte haben auch gezeigt, dass liebevolle körperliche Berührung seitens der Mutter eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung des kindlichen Gehirns spielt. Und es ist medizinisch dokumentiert, dass ständiger Ärger, Angst und Abscheu am Immunsystem zehren.

Jeder kümmert sich darum, dass sein Körper gesund ist. Und um einen gesunden Körper zu haben, ist es erforderlich, die Aufmerksamkeit mehr darauf zu richten, dass man einen gesunden, ruhigen Geist hat. Die wesentliche Frage ist, wie man es anstellt, einen gesunden, ruhigen Geist zu haben. Selbst wenn man als Einzelkind aufgewachsen ist, mit ausgesprochen viel Zuneigung und Fürsorge, war man dennoch einer Menge Druck ausgesetzt, um in einer Wettbewerbsgesellschaft bestehen zu können, sei es in der Schule oder am Arbeitsplatz, und trotz guter Ausgangsbedingungen kann man sich unsicher und überfordert fühlen. Aber wenn man das Gefühl hat, man müsse die anderen besiegen, um erfolgreich zu sein, und der Geist daher voller Misstrauen, Angst und Neid ist, dann wird das Ergebnis sein, dass der Geist verstört und instabil ist. Dieser unbehagliche Geisteszustand wird nicht nur die Aussicht auf Erfolg mindern, sondern auch die Gesundheit beeinträchtigen.

Wenn Ihnen andererseits auch das Wohl der anderen am Herzen liegt, während Sie versuchen, Ihr Bestes zu tun, werden Sie feststellen: Genauso, wie Sie selbst sich Ermutigung, Hilfe und freundliche, herzliche Unterstützung von ihnen wünschen, wünschen sich auch die anderen, dasselbe von Ihnen zu empfangen. Wenn Sie aufrichtiges Mitgefühl mit ihnen entwickeln – den Wunsch, dass sie nicht scheitern, sondern ebenfalls erfolgreich sind -, gibt Ihnen das die innere Stärke und das Selbstvertrauen, sich voll und ganz der Aufgabe zu widmen, für den Erfolg aller zu arbeiten. Interesse an anderen und Mitgefühl mit ihnen zu zeigen ist ein Zeichen von Stärke, nicht von Schwäche. Tatsächlich ist es eine Quelle der Stärke und der geistigen Ruhe.

Dieser Gedankengang trifft auch auf unsere Situation zu, während wir hier im Eis festsitzen. Wenn Sie sich gegenseitig misstrauen, miteinander streiten und um die begrenzten Nahrungsressourcen konkurrieren, werden wir alle leiden. Das wird uns alle schwächen. Wenn Sie hingegen aufrichtige Rücksichtnahme auf die anderen entwickeln und sich gegenseitig trösten, wenn jemand von Ihnen in Verzweiflung gerät, dann wird es so sein wie wenn eine Mutter ein weinendes Kind tröstet: Beide, sowohl die Mutter als auch das Kind, werden sich gleich viel besser fühlen. Mit einem ruhigen Geist und dem Gefühl, zu einer warmherzigen Gruppe aufrichtiger Freunde zu gehören, werden wir alle die Kraft haben, zu überleben.

Setzen Sie also ihre menschliche Intelligenz ein. Wenn jemand anfängt, Sie zu ärgern, und Sie beginnen, ärgerlich zu werden, wenn Ihnen danach ist, ihn oder sie anzuschreien, erinnern Sie sich daran, dass dadurch alles nur noch schlimmer wird. So etwas wird den eigenen Geist aufwühlen sowie auch die allgemeine Stimmung der ganzen Gruppe. Jeder ist besorgt und hat Angst, und wenn jemand sich danebenbenimmt, dann ist es deshalb, weil diese Person unsicher und verängstigt ist. Bitte versuchen Sie dazu beizutragen, dass solche Personen sich sicherer fühlen und nicht die Hoffnung verlieren, zeigen Sie Verständnis für sie und gehen Sie fürsorglich mit ihnen um.

Glück rührt daher, dass man Hoffnung auf eine bessere Zukunft hat, und Hoffnung entsteht mit Unterstützung gleich gesinnter, warmherziger Freunde. Kurz gesagt, auf der Grundlage dieser elementaren, gemeinsamen menschlichen Werte werden wir uns alle ethisch verhalten können. Wenn Ihr religiöser Glaube oder Ihre philosophische Anschauung diese ethischen Werte stärkt, dann ist das wirklich hervorragend. Wenn Sie keinen solchen Glauben haben, verlassen Sie sich ganz auf Ihre menschliche Intelligenz und diese elementaren menschlichen Werte. Wenn unter uns religiöse Eintracht herrscht und jeder diese elementaren menschlichen Werte fördert, werden wir alle diese Prüfung überleben und aufgrund dieser gemeinsamen Erfahrung als bessere Menschen daraus hervorgehen.“

Zusammenfassung

Aus diesen Gedankengängen wird ersichtlich: Alle diese Religionen, philosophischen Anschauungen und weltlichen Sichtweisen führen zu der Schlussfolgerung, dass in einer schwierigen gesellschaftlichen Situation ethische Selbstdisziplin der Schlüssel zum Überleben ist. Sie bedeutet, Selbstsucht, Angst und Niedergeschlagenheit zu überwinden und mit anderen auf der Basis von Liebe, Mitgefühl, Güte und Respekt zusammenzuarbeiten. Jede dieser fünf Sichtweisen – die tibetisch-buddhistische, die muslimische, die christliche, die konfuzianische und die nicht religiöse – hat ihre eigenen Methoden, diese guten Qualitäten zu entwickeln:

  • Der Blickpunkt der tibetischen Buddhisten ist, dass schwierige Situationen in Abhängigkeit von einer riesigen Anzahl von Ursachen und Bedingungen entstehen. Der Ausgang der Situation liegt nicht in der Macht einer einzelnen Person oder eines einzigen Faktors, doch jeder kann etwas Positives dazu beitragen, das beeinflussen wird, was sich entwickelt. Sie betrachten alle Wesen als gleich, sowohl im Hinblick darauf, dass sie alle in früheren Leben unsere Väter und Mütter waren, als auch in der Hinsicht, dass sie alle glücklich sein möchten und nicht unglücklich.
  • Der Blickpunkt der Muslime ist, dass Schwierigkeiten auf Gottes Wille beruhen und die Lösung der Probleme in Gottes Hand liegt. Sie geben sich Gottes Willen hin und ehren Gott durch vortreffliche Handlungen, die allen seinen Geschöpfen dienen.
  • Die Christen sehen schwierige Situationen als Herausforderungen an, von Gott gesandt, um uns zu prüfen, und folgen dem Vorbild von Jesus Christus im Dienst an Armen und Bedürftigen.
  • Diejenigen, die den konfuzianischen Grundsätzen folgen, sehen Schwierigkeiten als etwas an, das von Zeit zu Zeit unvermeidlich auftritt. Was geschieht, liegt an unserem Schicksal. Um mit Schwierigkeiten umzugehen, folgen sie den angemessenen Richtlinien entsprechend den Instruktionen des Kapitäns und kultivieren ihren inneren Sinn für Tugend und Güte, um jeden gerecht, anständig und liebevoll zu behandeln.
  • Diejenigen, die sich lediglich an die elementaren Werte menschlicher Ethik halten, verstehen, dass ein jeder Liebe und von Zuneigung geprägte Fürsorge hoch schätzt. Da wir soziale Wesen sind, müssen wir miteinander kooperieren, um zu überleben, und wenn wir uns umeinander kümmern, gewinnen wir die Stärke und das Selbstvertrauen, jegliche Schwierigkeiten zu bewältigen.

Jede dieser fünf Gruppen besitzt also ihr eigenes ethisches System, und dennoch würden alle, die den Lehren und dem Rat ihres jeweiligen Systems folgen, zu demselben Ergebnis kommen. Sie wären imstande, die Situation anzunehmen, ohne ärgerlich zu werden. Selbst wenn sie merken, dass einer der Passagiere sich auf eine Art und Weise verhält, die das Wohlergehen der gesamten Gruppe bedroht, etwa indem er Nahrung beiseite schafft, und deswegen Disziplinierungsmaßnahmen erforderlich werden, um das Problem zu bereinigen, hilft ihnen ihr jeweiliges System ethischer Werte, dies nicht aus Ärger zu tun, sondern weil ihnen die ganze Gruppe der steckengebliebenen Passagiere am Herzen liegt. Sie würden ihren inneren Frieden bewahren und auf positive Weise zum Wohlergehen eines jeden an Bord beitragen. Als Resultat dessen würde die Gemeinschaft nicht nur die Strapazen überstehen, sondern die Mitglieder würden aufgrund ihrer gemeinsamen Erfahrung gegenseitiger Verantwortung für ihr Wohlergehen einander näherkommen als zuvor.

Fazit

Das Beispiel des Schiffes, das im antarktischen Eis steckenblieb, ist eine hilfreiche Analogie, um zu verstehen, wie eine multikulturelle Gesellschaft die Herausforderungen und Schwierigkeiten, die im Leben unweigerlich auftreten, am besten und auf gesunde Weise bewältigen kann. Um das zu bewerkstelligen, müssen die Menschen die Kulturen und Glaubensanschauungen aller wesentlichen Gruppen in ihrer Gesellschaft kennenlernen. Angst und Misstrauen gegenüber anderen rührt aus mangelnder Kenntnis ihrer Glaubensanschauungen. Durch angemessene Bildung können wir lernen, dass alle Religionen und Philosophien ein ethisches System haben und dass das, was diesen ethischen Systemen gemeinsam ist, auch im Einklang mit elementaren menschlichen Werten steht, die jeder akzeptieren kann, auch diejenigen, die keinem festen Glaubenssystem angehören. Es handelt sich um die Werte von Liebe, Mitgefühl und warmherziger Fürsorge für andere mit tiefer Anteilnahme an ihrem Wohlergehen.

Wenn diese elementaren menschlichen Werte aufrichtig zum Ausdruck kommen, ganz gleich aufgrund welchen Glaubenssystems die Menschen der verschiedenen Gruppen dahin kommen, dann funktioniert die Gesellschaft auf harmonische Weise in guten und auch in schlechten Zeiten. Der Grund dafür ist, dass alle Gruppen einander respektieren, und zwar auf der Grundlage gegenseitigen Verständnisses. Und aus gegenseitigem Respekt, der in gegenseitigem Verständnis wurzelt, entsteht gegenseitiges Vertrauen. Wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturen sich gegenseitig respektieren und vertrauen, leben sie ohne Angst voreinander. Das macht eine gesunde, harmonische Gesellschaft aus, und es beruht auf den elementaren ethischen Grundsätzen, die allen gemeinsam sind.

Da eine gesunde Gesellschaft also in Abhängigkeit von vielen Faktoren entsteht – von der Ökonomie, von der Umwelt, vom Sozial-, Gesetzes- und Bildungssystem sowie, wie wir gesehen haben, von Ethik und religiöser Eintracht -, wird sie nicht gedeihen, wenn einer dieser Faktoren schwach ausgeprägt ist. Wir müssen im individuellen Bereich beginnen, insbesondere im Bereich unserer Ethik und unseres Respekts für andere und deren Glaubensanschauungen. Wenn wir einen ruhigen Geist und eine mitfühlende Einstellung zu anderen entwickeln und diese Einstellung auf unsere Familie, unsere Freunde und unsere unmittelbare Umgebung ausdehnen, bauen wir allmählich eine gesunde Gesellschaft auf. Die Gesundheit der gesamten Gesellschaft wird in Abhängigkeit davon entstehen, dass jedes ihrer Mitglieder einen gesunden Geist und einen Sinn für Ethik entwickelt. Das gilt im Speziellen für multikulturelle Gesellschaften und insgesamt für die Welt als Ganzes mit all ihren verschiedenen Kulturen.

Wie wir im Falle des tibetischen Buddhismus, des Islams, des Christentums und des Konfuzianismus gesehen haben, gibt es eine Reihe von elementaren Werten menschlicher Ethik, denen auch diejenigen zustimmen können, die keiner festen Religion oder Philosophie angehören. Wir müssen unsere Kinder in diesen elementaren Werten menschlicher Ethik schulen, sodass allmählich die ganze Welt zu einem gesünderen Ort wird – zum Wohle aller.

Top