Entsagung, Selbstbezogenheit versus Wertschätzung anderer

Allgemeine Einführung und Übersicht

Die Lehren sind unendlich in ihrer Ausdehnung; sie richten sich an Wesen mit unzähligen Arten von Veranlagungen; und sie können alle in den drei Fahrzeugen des Geistes zusammengefasst werden: Hinayana, Mahayana-Sutra und Mahayana-Tantra. All diese Fahrzeuge des Geistes und die sie betreffenden Lehren sind in Tibet erhalten geblieben. Und unter den Übertragungslinien, die in Tibet weitergegeben wurden, kann man die alte von der neuen Übersetzungstradition unterscheiden: Nyingma und Sarma. In den Sarma- bzw. den neuen Übersetzungstraditionen gibt es die Sakya, Kagyü und Kadam. Letztere, die Kadam, die sich von Atisha herleitet, wurde später zur Gelug-Tradition.

Die Kadam-Tradition war stark von den verschiedenen Bodhichitta-Lehren beeinflusst. Die Gelug-Tradition hat sich darauf spezialisiert, all die umfassenden Lehren über dieses Thema weiterzuführen, welche direkt auf die Übertragungslinie des großen Nagarjunas und seiner spirituellen Nachkommen in Indien zurückgehen.

Wie bereits gesagt ist es ausgesprochen wichtig, dass unser Geist und alles in uns vollkommen mit den Lehren übereinstimmt. Wir dürfen die Lehren nicht nur auf unseren Lippen tragen. Sie müssen in unseren Geist integriert werden, im Einklang mit der Veranlagung jedes Übenden. Es ist sehr wichtig, nicht ein das Extrem der Parteinahme zu fallen und zu denken, dass nur eine der buddhistischen Traditionen die wahren Lehren hat. Wie es der große Vierte Panchen Lama, Losang Chökyi Gyaltsen in seiner Schrift „Ein Wurzeltext für die Mahamudra“ (tib. Phyag-chen rtsa-ba) sagt: „Aus der Sicht individuell zugeschriebener Namen gibt es zahlreiche Traditionen … Doch wenn diese von einem Yogi untersucht werden, der die Schriften und die Logik kennt und Erfahrung (in der Meditation) hat, dann konvergieren ihre letztendlichen Bedeutungen alle in demselben beabsichtigten Punkt.“ Es ist daher ausgesprochen wichtig, sich den Lehren in einer unparteiischen, vorurteilsfreien Weise zu nähern.

Wir haben an einem Text von Namkapal gearbeitet, der ein Schüler des großen Tsongkhapas war. Der Text heißt „Geistestraining, das den Sonnenstrahlen gleicht“. Es handelt sich um einen Kommentar zur „Geistestrainng in sieben Punkten“ von Geshe Chekawa. Die sieben Punkte sind:

  • die Vorbereitenden Übungen
  • die Methode, um sich in den zwei Bodhichittas zu üben
  • die Umwandlung widriger Umstände in einen Pfad zur Erleuchtung
  • die verdichtete Praxis in einem Leben
  • Ermessen, inwieweit wir uns geschult haben
  • die Übungen für enge Bindung mit dem Geistestraining
  • die  Punkte für das Geistestraining, das es zu üben gilt.

Abschluss der vorbereitenden Übungen

Bis jetzt haben wir über die vorbereitende Übungen gesprochen. Indem wir uns aus ganzem Herzen einem spirituellen Mentor anvertrauen, üben wir die verschiedenen Punkte des Stufenpfades. Wenn wir an dieses kostbare menschliche Leben denken, müssen wir uns alle Freiheiten und Ruhepausen, sowie die Bereicherungen, die wir haben, vor Augen führen. Wenn wir diese erkennen, können wir sie tatsächlich ausnutzen. Denn wenn wir wertschätzen, was wir haben, werden wir es natürlich nutzen wollen.

Wenn wir darüber nachdenken, wie leicht wir diese Gelegenheit verlieren könnten, vergegenwärtigen wir uns den Tod und die Unbeständigkeit. Es wird uns bewusst, dass uns außer dem Dharma und den verschiedenen vorbeugenden Maßnahmen, die wir auf unserem geistigen Kontinuum aufgebaut haben, zur Zeit unseres Todes nichts helfen wird. Um die verschiedenen spirituellen Maßnahmen und Praktiken wirklich in unserem Geist zu integrieren, brauchen wir dieses Gewahrsein des Todes. Ansonsten werden unsere Bemühungen nicht wirklich ernsthaft sein. Wir können an all die großen tibetischen Meister der Vergangenheit und an die großen Meister Indiens denken. Auch heute gibt es sehr viele Übende, die ihre gesamtes Leben dem Praktizieren widmen – einige in Mysore, andere in den Höhlen hier in Dharamsala, andere in Ladakh und an anderen Orten hier in Indien – doch keiner von ihnen hat die Unsterblichkeit erlangt; keiner wird ewig leben.

Was auch immer unsere Situation sein mag – es ist extrem wichtig, zu planen, wie wir sie am besten nutzen, um spirituelle Fortschritte zu erzielen. Wir können an die verschiedenen Gemeinschaften denken, denen wir beitreten könnten, im Sinne von Sangha und so weiter. Doch unabhängig von der Ebene, der wir uns verpflichten: es ist wichtig, unseren gesamten Geist und unser gesamtes Herz den Lehren zuzuwenden. Es ist äußerst wichtig, dass auch Laien kultiviert und gut geschult sind. Wir können feststellen, dass dies wahr ist, von welchem Gesichtspunkt auch immer wir es betrachten. Jemand, der arrogant und aufgeblasen ist, jemand, der die anderen ausnutzt und übervorteilt, erweckt bei allen nur Ablehnung und Unwohlsein. Auch wenn wir nicht besonders religiös sind, ist es äußerst wichtig, dass wir uns selbst kultivieren, damit wir gute Menschen werden. Wenn wir dann tatsächlich eine spirituelle Person werden, werden wir nicht nur in Bezug auf dieses Lebens denken. Wir werden auch an alle zukünftigen Leben denken und daran, wie wir (diesen Leben) nutzen können.

Auf welcher Ebene auch immer wir arbeiten – sei es nur für dieses Leben oder für zukünftige Leben – wir müssen all unsere Bemühungen darauf ausrichten, uns zu verbessern, an uns selbst zu arbeiten, zu wachsen, bessere und freundlichere Menschen zu werden. So wird unser Leben glücklicher und auch die Gesellschaft, in der wir leben, wird glücklicher. Wenn wir dieses ganze Leben daran gearbeitet haben, ein besserer Mensch zu werden und verschiedene positive Potentiale entwickelt haben, dann werden wir zur Zeit des Todes nicht mit einem großen Gefühl des Bedauerns, das wir unser Leben verschwendet haben, sterben. Es ist sehr wichtig, daran zu arbeiten, damit wir kein Bedauern verspüren, wenn wir sterben. Und die beste Methode, um mit einem friedlichen Geist zu sterben ist, während dieses Lebens positive Potentiale auf unserem geistigen Kontinuum aufzubauen. Wenn wir in diesem Leben starke positive Potentiale aufgebaut haben, dann werden wir in Zukunft angenehmen Situationen begegnen, die Dinge werden weiter besser gehen und wir werden dazu in der Lage sein, unser spirituelles Wachstum und unsere Fortschritte fortzuführen.

Egal, ob wir in diesem Leben tatsächlich einen der spirituellen Pfade des Geistes – wie die fünf Ebenen von Pfadgeist – aufgebaut haben oder nicht, wenn wir positives Potential aufgebaut haben, werden wir zumindest mit der Hoffnung sterben können, dass wir sie in zukünftigen Leben verwirklichen und ein hoch verwirklichtes Wesen, ein Arya, werden.

Entsagung

Im Text haben wir den Punkt in den vorbereitende Übungen erreicht, an dem das Thema der Entsagung – der Entschlossenheit, sich von den eigenen Problemen zu befreien – besprochen wird. Wenn man nicht an all die Probleme und Leiden in all den unkontrollierbar wiederkehrenden Situationen des Samsara denkt, dann wird man diese Entschlossenheit, sich von ihnen zu befreien, diese Entsagung, nicht entwickeln. Es ist also äußerst wichtig, an all diese Situationen zu denken, einen vollständigen Widerwillen ihnen gegenüber zu entwickeln und sich aus der Tiefe des Herzens zu wünschen, dass man die Entschlossenheit frei zu sein, entwickeln kann.

In den Vinaya-Texten steht: „Wenn man aufsteigt ist das letztendliche Ergebnis herunterzufallen. Und das Ergebnis des Zusammenkommens ist das Auseinanderfallen.“ Das ist die tatsächliche Natur der Realität. Man braucht nicht zu erwähnen, dass wir uns im Laufe der anfangslosen Wiedergeburten von all den verschiedenen Wesen getrennt haben, mit denen wir zusammen waren – und dies auch in diesem Leben geschehen wird. Egal, welche Herrlichkeiten wir in dieser weltlichen Existenz erleben mögen – am Ende wird sich alles in Luft auflösen und auseinanderfallen. Wenn wir an die anfangslosen Leben denken, in denen wir immer wieder geboren wurden und gestorben sind, dann sind die Punkte, die sich in kontinuierlicher Weise wiederholt haben, das Geborenwerden und das Sterben – und anscheinend haben wir diese immer vollkommen alleine erlebt. Wenn wir uns dies vor Augen halten, wird klar, dass es für uns wichtig ist, die verschiedenen positiven Potentiale aufzubauen, indem wir versuchen, die weitreichenden Geisteshaltungen oder Vollkommenheiten zu entwickeln, wie ethische Selbstdisziplin, Großzügigkeit und so weiter.

Man muss sich folgendes klar machen: egal, was man an vergänglichen Dingen hat – keines von ihnen ist verlässlich. Wir können uns auf unseren Körper nicht verlassen – er ist nicht von Bestand. Ebenso wenig können wir uns auf unsere Position oder auf unseren Reichtum und unsere Besitztümer verlassen. Diese Dinge können uns keine Sicherheit geben. In seinem Text „Brief an einen Freund“ (tib. bShes-phreng) bespricht Nagarjuna das Thema der verschiedenen Arten von Leiden oder Problemen, die wir erleben, wie die Krankheit, das Altern, den Tod, die Tatsachen, dass wir nicht erhalten, was wir wollen und dass wir erhalten, was wir nicht wollen und so weiter.

Diese Punkte werden in Tsongkhapas Werk „Eine umfassende Darstellung der aufeinander folgenden Stufen des Pfades“ (tib. Lam-rim chen-mo, „Große Darstellung der gestuften Ebenen des Pfades“) ausführlich besprochen. Tsongkhapa präsentiert sie vermittels der sechs Arten von Leiden, der acht Arten von Leiden und der drei Arten von Leiden – es gibt viele Weisen, sie darzustellen. Kurz gesagt: wenn wir einmal unter dem Einfluss von Karma und Verblendungen geboren wurden, folgen nichts als Probleme und Leiden. Wir haben alle Ursachen in uns versammelt die uns Probleme und Leiden bringen werden. Die äußeren Umstände mögen zwar dazu beitragen dass diese Ursachen reifen, doch die Ursachen selbst sind bereits in uns. Daher erleben wir das Leiden – zum Beispiel die Probleme des tatsächlichen Leidens: unser Körper wird krank; wir tun uns weh; wir erleben Schmerzen und so weiter.

Wenn man sich über den menschlichen Körper Gedanken macht, dann stellt man fest, dass er aus Substanzen entsteht, die von den Eltern kommen: aus so ekelerregenden Dingen wie dem Sperma und dem Blut der Eltern. Wenn wir diese Dinge in objektiver Weise von Nahem betrachten, könnte nichts an ihnen dem Geist wirklich als angenehm oder attraktiv erscheinen. Besonders, wenn wir an den menschlichen Körper denken und ihn geistig von der äußeren Hülle seiner Haut trennen, dann ist überhaupt nichts an ihm attraktiv. Niemand wird das Körperinnere besonders attraktiv finden.

Diese unreine und reizlose Natur des Körpers kommt nicht von außen: sie kommt von seiner tatsächlichen Natur. Wenn wir auf dem Boden eine Pfütze Blut und Sperma finden würden, dann würden wir sie nicht besonders attraktiv oder schön finden. Jeder würde sie eher zum Brechen und eklig finden, doch dies sind die tatsächlichen Ursachen oder Substanzen, aus denen der Körper gemacht ist. Daher ist an seiner tatsächlichen Natur nichts attraktiv. Diese Einschätzung, der Körper sei so attraktiv – diese falsche Sicht des Körpers – wirkt als Umstand dafür, dass all die verschiedenen störenden Geisteshaltungen und Impulse, die wir auf unserem geistigen Kontinuum haben – wie die Anhaftung, die Feindseligkeit oder die Naivität – auflodern. All diese störenden Emotionen entstehen aus dem Greifen nach dieser Masse schmutziger Substanzen, aus diesem Greifen, das diese Substanzen als „Ich“, als „meinen Körper“ und so weiter, ansieht. Diese Identifikation wirkt als Grundlage aller Arten von störenden Geisteshaltungen.

Sofern wir ihn nicht konstruktiv nutzen, was macht denn der Körper von seiner eigenen Seite her? Zuerst war er unangenehm für unsere Mutter, die ihn in ihrem Bauch tragen musste; dann tat er ihr weh, als sie in gebar. Danach verursachte er viel Schwierigkeiten und Leiden für all die, die für sein Überleben sorgten. Seine Pflege hat viele Probleme und Mühen verursacht und verursacht sie weiterhin. Wenn wir nichts Konstruktives daraus machen, ist er bloß eine Problemquelle. Und wir haben diese Art von Körper seit anfangsloser Zeit angenommen.

Nehmen wir das Beispiel, das immer benutzt wird: den Ozean des Samsaras. Ein Ozean ist etwas Unergründliches: wir können seine Tiefe nicht ermessen. Dasselbe gilt für all die menschlichen Körper, die wir angenommen haben und all die Probleme, die (dadurch) entstanden sind, etwa dem ganzen Leiden, das mit dem Älterwerden zusammenhängt. Egal, welche Beschäftigung oder Aktivität wir haben, wir werden weniger Energie dafür haben, unser Geist wird deprimierter und schwächer, unsere Sinneskraft nimmt ab, unser Körper wird fragiler und zerfällt. Das ist etwas, dass jeder erlebt, nicht wahr? Es ist sehr schmerzhaft, alt zu werden. Und alle kennen die Leiden, die mit der Krankheit einhergehen. Wir unterziehen uns allen möglichen medizinischen Behandlungen, die normalerweise sehr teuer und extreme unangenehm sind. Wenn wir die Sache unter all diesen verschiedenen Gesichtspunkten betrachten, ist der Körper wirklich eine ziemliche Problemquelle: er wird krank, alt und so weiter. Egal, wie stark wir unseren Körper gemacht haben, egal, ob wir fit sind oder nicht, letztendlich wird unser Körper zusammenbrechen. Wir müssen daher über all diese Probleme nachdenken, die mit dem Älterwerden einhergehen und daran, dass wir nicht ewig fit bleiben können.

Die vier edlen Wahrheiten

Was die Befreiung angeht: sie kann mit Sicherheit erreicht werden. Doch wenn wir nur denken: „Wenn ich bloß die Befreiung erlangen könnte, dann könnte ich mich schön ausruhen!“, dann wird dies die Befreiung nicht herbeiführen.

Jeder wünscht sich eine wahre Beendigung all dieser Probleme. Doch wir können uns nicht zurücklehnen und erwarten, dass sie verschwinden, bloß weil wir es uns wünschen. Wir müssen uns die Ursachen unserer Schwierigkeiten ansehen: all die unkontrollierbar wiederkehrenden Aggregatsfaktoren, die jeden Augenblick unserer Existenz ausmachen. Diese Aggregatsfaktoren entstehen aus unseren störenden Geisteshaltungen und Impulsen, da unser Geist nicht gezähmt ist. Er ist ungezähmt aufgrund unserer Unwissenheit (Ignoranz) und unserem Greifen nach wahrhaft begründeter Existenz. Ein solches Greifen beruht auf unserer verzerrten Sicht der Realität.

Wenn wir die verschiedenen Sichten der Realität betrachten, die wir haben können, dann sind einige störend und andere gültig. Die störenden Geisteshaltungen beruhen auf falschen und verzerrten Ansichten in Bezug auf die Realität; wenn wir also eine korrekte und gültige Sicht der Realität haben, dann beseitigt dies die eigentliche Wurzel aller störenden Geisteshaltungen. Je mehr sich die korrekte Sicht der Realität in unserem Geist verstärkt – während wir uns vollkommen daran gewöhnen, die Dinge vom richtigen Gesichtspunkt der Realität aus zu betrachten – umso schwächer werden unsere verzerrten Sichtweisen, die vollkommen auf irrealen (Vorstellungen) basieren.

Wenn wir eine vollständige Beendigung erlangen, also vollkommen damit aufhören dass (unser Geist) nach den Dingen greift, als existierten sie in einer wahrhaft begründeten, unmöglichen Weise, dann befreien wir uns von den Makeln, die uns wie Schleier daran hindern, die Natur des Geistes zu erkennen. Diese Mäkel sind temporär; sie sind nicht die grundlegende Natur des Geistes. Es gibt fortschreitende Ebenen wahrer Beendigungen des Greifens nach wahrhaft etablierter Existenz. Wenn wir diese Ebenen durchlaufen und diese wahren Beendigungen verwirklichen, können wir all die temporären Mäkel beseitigen und die wahre Natur des Geistes verwirklichen. Wenn wir nichts an unserer Situation verändern könnten, dann würde es sich nicht lohnen, so schwer zu arbeiten. Doch es ist möglich ist, alle Makel zu beseitigen, die uns so viel Leiden und Probleme verursachen. Daher ist es wirklich von großer Bedeutung, über die unkontrollierbar wiederkehrenden Probleme von Samsara nachzudenken. So entwickeln wir eine starke Entschlossenheit, frei zu sein und tatsächlich daran zu arbeiten, eine wahre Beendigung zu verwirklichen und alle Probleme loszuwerden.

Lassen Sie uns die verschiedenen Arten von Problemen und Leiden an: das Leiden des Leidens, das Leiden der Veränderung und das alles umfassend beeinflussende Leiden. Diese dritte Art von Leiden besteht darin, dass man die alles umfassenden Aggregatsfaktoren hat, die jeden Augenblick unserer Erfahrung beeinflussen. Es liegt in der Natur des Körpers, zusammen mit den Aggregatfaktoren unserer Erfahrung, einfach Probleme zu verursachen. Die Aggregatsfaktoren unserer Erfahrung entstehen durch die Kraft von Impulsen – bzw. des Karmas – und von verschiedenen damit einhergehenden störenden Geisteshaltungen. Wenn wir diese einfach loswerden könnten, dann könnten wir uns auch von diesen schwerwiegenden Problemen befreien, die aus den Aggregaten resultieren. Die grundsätzliche Problemquelle ist also die dritte Art von Leiden, die Aggregatsfaktoren, die mit störenden Geisteshaltungen und Impulsen einhergehen. Sie erzeugen das Samsara. Daher müssen wir sichergehen, dass wir über die Nachteile des Samsaras aus vielen, vielen Perspektiven nachdenken. Wenn man denkt, sobald ich ordiniert bin, werde ich von Samsara befreit sein, und man sei dagegen im Samsara, wenn man eine Familie und Kinder habe, dann ist dies eine vollkommen falsche Geisteshaltung.

Die zweite Edle Wahrheit – der wahre Ursprung bzw. die wahren Ursachen aller Probleme – sind die störenden Geisteshaltungen und Impulse bzw. das Karma. Lassen Sie uns betrachten, ob man sich von ihnen befreien kann oder nicht. Wir werden feststellen, dass es tatsächlich möglich ist, sich für immer von ihnen zu befreien; man kann ihre wahre Beendigung bewirken. Und um dies zu tun, müssen wir wahre Ebenen von Pfadgeist entwickeln. Das sind die tiefgründigsten Punkte.

Die tiefgründigste Methode, um sich tatsächlich von allen Problemen und Leiden zu befreien ist es, eine Bodhichitta-Absicht zu entwickeln. Es gibt verschiedenen Weisen, in denen wir dazu geführt werden können, dieses Ziel zu entwickeln. Hier sprechen wir von seiner Entwicklung nur im folgenden Kontext: dass man sich von der zwanghaften Beschäftigung mit diesem Leben abwendet und unseres Interesses auf zukünftige Leben richtet. Es geht nicht darum, unsere Aufmerksamkeit auf die Befreiung zu beschränken und der Beschäftigung mit zukünftigen Leben den Rücken zuzukehren. In diesem Text wenden wir uns direkt dem Wunsch zu, Bodhichitta zu entwickeln, egal, welche Verwirklichungen wir in Bezug auf dieses Leben haben mögen. So wird es in diesem Text erklärt.

Die zwei Arten von Bodhichitta entwickeln

Die Wichtigkeit und die Vorteile, Bodhichitta zu entwickeln

Wir haben jetzt die vorbereitenden Übungen abgeschlossen. Der zweite der sieben Punkte ist, wie man wirkliches Bodhichitta entwickelt. Wir müssen die zwei Arten von Bodhichitta-Absicht entwickeln: die relative und die tiefste. Das konventionelle Bodhichitta zielt auf die konventionelle (relative, oberflächliche, erscheinende) Wahrheit aller Wesen und aller Dinge; das tiefste Bodhichitta dagegen zielt auf ihre tiefste Wahrheit, auf ihre Leerheit. In diesem Text entwickeln wir zuerst konventionelles Bodhichitta und fahren dann fort mit dem tiefsten Bodhichitta. In dem Text „Filigranschmuck der Verwirklichungen“ (tib. mNgon-rtogs rgyan, Skt. Abhisamayalamkara) sagt Maitreya, dass eine Person mit einer sehr starken Intelligenz zuerst ein tatsächliches Verständnis der Realität entwickeln sollte und dann, auf dieser Grundlage, das konventionelle Bodhichitta. Manchmal ist es effektiver, zuerst das tiefste Bodhichitta zu entwickeln. Der Grund hierfür ist folgender: wenn wir feststellen, dass es möglich ist, eine wahre Beendigung zu verwirklichen, indem wir tiefstes Bodhichitta entwickeln und somit feststellen, dass wir die Möglichkeit haben, uns von Samsara zu befreien und darüber hinaus die Erleuchtung zu erlangen – wenn wir feststellen, dass dies ein realistisches Ziel ist, dann kann in uns ein wahres Interesse daran entstehen, Erleuchtung für die anderen zu verwirklichen.

In Togmey-zangpos Version von Geshe Chekawas Wurzeltext wird das tiefste Bodhichitta vor dem konventionellen Bodhichitta dargestellt. Der entsprechende Vers ist: „Reflektiere darüber, dass die Phänomene wie ein Traum sind. Erkenne die grundlegende Natur des Gewahrseins, die kein Entstehen hat. Das Gegenmittel selbst befreit sich selbst an seinem eigenen Ort. Die essentielle Natur des Pfades ist es, sich in einem Zustand der alles umfassenden Basis zu entspannen. Handle zwischen den Sitzungen wie eine illusorische Person.“ In Pabongkas Version ist diesem Verse über das tiefste Bodhichitta eine zusätzliche Zeile vorangestellt: „Was verborgen ist, soll gezeigt werden, nachdem man Stabilität (in diesem) verwirklicht hat.“, unmittelbar darauf folgen die Verse über das konventionelle Bodhichitta. Diese zusätzliche Zeile erscheint in der Version von Togmey-zangpo überhaupt nicht. In Namkapals Version erscheint dieser Vers mit der obigen zusätzlichen Zeile am Ende des Textes.

Das Mahayana wird in die Pfade des Sutras und des Tantras unterteilt und unabhängig davon, welchen dieser Pfade wir nehmen – der Vorteil des Entwickelns von konventionellem Bodhichittas ist, dass es das Tor zum Eintritt in das Mahayana-Fahrzeug ist. Was auch immer die anderen Qualitäten sein mögen, die wir haben – sogar des Verständnis der Leerheit – wenn wir keine Bodhichitta-Absicht in unserem geistigen Kontinuum haben, dann können wir nicht als ein Anhänger des Mahayanas angesehen werden, also nicht als jemand, der ein umfassendes Fahrzeug des Geistes hat. Das unterscheidende Merkmal eines Anhängers des Mahayanas ist also, ob wir eine Bodhichitta-Absicht haben oder nicht. Wir finden diese Aussage sowohl in den Texten des Sutras als auch in den Texten des Tantras. In dem Werk „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ sagt uns Shantideva, dass Bodhichitta das einzige Tor zum Eintritt ins Mahayana ist. In dem Text „Das Tantra Vajrapanis“ heißt es auch, dass jemand, der Bodhichitta hat, dazu qualifiziert ist, in das Mandala einzutreten und die Ermächtigung (Initiation) zu erhalten. Doch wenn man kein Bodhichitta hat, ist man nicht dazu qualifiziert bzw. erhält man nicht die Erlaubnis, die Ermächtigung zu erhalten.

All diese verschiedenen Zitate sagen uns, dass Bodhichitta die Quelle aller guten Eigenschaften ist. Und tatsächlich, wenn wir darüber nachdenken, stellen wir fest, dass es unendlich viel Nutzen mit sich bringt, eine Bodhichitta-Absicht zu entwickeln. Diese verschiedenen Arten von Nutzen werden in „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ sehr gut besprochen. Denken wir an Buddha Shakyamuni. Warum war er eine so kostbare und wichtige Person? Der Grund ist, dass er zuerst ein liebevolles und warmes Herz entwickelte; und auf dieser Grundlage entwickelte er eine Bodhichitta-Absicht, die Erleuchtung zum Wohle aller Wesen zu erlangen.

Es hat viele Vorteile, ein liebevolles und warmes Herz zu haben – ein guter Mensch zu sein – und das gilt sogar für Tiere. Wenn wir eine Katze haben, die einfach nur freundlich herumsitzt und schnurrt, werden wir ihr zu fressen geben und sehr nett zu ihr sein. Doch wenn die Katze immer herumspringt und wild ist, kratzt und beißt und ähnliches, dann wird das niemandem gefallen und sie wird Schwierigkeiten haben, Futter zu bekommen. Was menschliche Wesen angeht: wenn wir freundlich und warmherzig sind, fließt uns alles zu. Doch wenn wir sehr roh und bösartig sind, wird uns niemand Gesellschaft leisten wollen.

Es ist ausgesprochen wichtig, daran zu arbeiten, all diese positiven Geisteszuständen zu entwickeln: die Liebe, die allen wünscht, glücklich zu sein; das Mitgefühl, dass allen wünscht, frei von Leiden zu sein und die herzwärmende Liebe allen gegenüber. Wenn wir auf der Grundlage dieser Geisteszustände eine Bodhichitta-Absicht auf unserem geistigen Kontinuum aufgebaut haben, dann wird dies ausreichen, um reichhaltige Vorräte bzw. Netzwerke verschiedener Arten positive Kraft aufzubauen. Das Bodhichitta selbst wird verschiedene Kräfte aufbauen, um uns zu schützen und uns von Hindernissen zu befreien.

Wenn man das Wort Bodhichitta bloß sagt oder hört, wie es jemand ausspricht, dann ist dies in einer sehr tiefen Weise positiv und lehrreich. Das ist der erste Teil dieses Abschnittes, der Vorteile, Bodhichitta zu entwickeln.

Der zweite Teil erklärt, wie man sich tatsächlich zuerst in konventionellem Bodhichitta und dann in tiefstem Bodhichitta üben kann. Konventionelles Bodhichitta zielt auf zwei Dinge: Erstens zielt es auf alle begrenzten Wesen mit der Absicht, zu helfen, sie aus dem Samsara zu befreien. Zweitens zielt es auf die Erleuchtung mit dem Ziel, Punkt eins zu verwirklichen. Wenn wir davon sprechen, allen anderen zu nutzen, dann geht es darum, dass wir unsere Geisteshaltung uns selbst und den anderen gegenüber austauschen. Wir müssen also daran denken, dass Bodhichitta ein Herz ist, das eine so starke Absicht hat, all den anderen zu nutzen, dass es sich unendlich ausdehnt in Richtung auf all diese Wesen und auch eine so starke Absicht, die Erleuchtung zu erlangen, die es sich in diese Richtung ebenfalls voll ausdehnt.

Die zwei Methoden zum Entwickeln des konventionellen Bodhichittas

Es gibt zwei Methoden zum Entwickeln des konventionellen Bodhichittas: erstens das Gleichsetzen und Austauschen unserer geistigen Einstellungen uns selbst und den anderen gegenüber und zweitens die Meditation über die siebenteilige Anweisung über Ursachen und Wirkungen. Die Grundlage beider Methoden ist das Entwickeln einer herzerwärmenden Liebe allen gegenüber. Herzerwärmende Liebe ist ein automatisches Gefühl der Nähe und der Wärme, das sich einstellt, wann auch immer wir jemandem begegnen – wir empfinden ihnen gegenüber Liebe, wir sorgen uns um sie und würden uns schlecht fühlen, wenn ihnen irgendetwas Schlechtes passieren würde. Nach der Methode der siebenteiligen Anweisung über Ursachen und Wirkungen müssen wir, um diese herzerwärmende Art von Liebe zu entwickeln, zuerst eine gleichmäßige Geisteshaltung – bzw. Gleichmut – allen gegenüber entwickeln. Mit dieser Geisteshaltung verspüren wir niemandem gegenüber Anhaftung oder Abneigung und ignorieren auch niemanden. Wir erkennen, dass alle in einem vergangenen Leben unsere Mutter gewesen sind; wir erkennen die Güte aller an und vergegenwärtigen uns dieses kontinuierlich; da wir dankbar sind und allen diese Güte zurückgeben wollen entwickeln wir ihnen gegenüber diese herzerwärmende Liebe.

Die Methode, unsere geistigen Einstellungen uns selbst und den anderen gegenüber gleichzusetzen und auszutauschen, kommt von Shantidevas Tradition. Wir brauchen den Punkt nicht zu vertiefen, dass jeder unsere Mutter gewesen ist. Wir sollten einfach im Allgemeinen daran denken, dass wir alle glücklich sein wollen, dass niemand Leiden oder Probleme will, ebenso wenig wie wir selbst. In dieser Beziehung, auf dieser Ebene, sind wir alle gleich. Wir erkennen, dass die Wurzel aller Probleme die Haltung ist, sich nur um das eigene Wohl zu kümmern. Die Wurzel aller guten Eigenschaften ist es dagegen, sich um das Wohl der anderen zu kümmern. Wir sollten denken: „Da ich kein Unglücklichsein will und da ich glücklich sein will, muss ich die Selbstbezogenheit aufgeben und eine Geisteshaltung entwickeln, mit der mir das Wohl der anderen wichtig ist.“ Darauf basierend, dass wir die Gleichheit unserer selbst und der anderen feststellen, entwickeln wir also diese herzerwärmende Liebe den anderen gegenüber und ändern ihnen gegenüber unsere Geisteshaltung. Das ist eine sehr umfassende Methode. Die beiden Methoden, um eine Bodhichitta-Absicht zu entwickeln – das Gleichsetzen und Austauschen der geistigen Einstellungen uns selbst und den anderen gegenüber sowie die Methode der siebenteiligen Anweisung über Ursachen und Wirkungen – bringen uns zu diesem Punkt der herzerwärmenden Liebe den anderen gegenüber.

Je nach der Veranlagung verschiedener Menschen kann Entwicklung der Geisteshaltung, alle als „meine Mutter“ zu erkennen, manchmal Probleme mit sich bringen: Man könnte es entwickeln, indem man sich selbst als sehr wichtig ansieht: „Ich bin wirklich jemand sehr wichtiges und da ich wichtig bin, ist auch meiner Mutter wichtig.“ Und so entwickeln wir das Gefühl „Ich will meiner Mutter helfen, da sie meine Mutter ist.“ und wir wollen alle Wesen entwickeln und ihnen helfen, da „sie alle meine Mutter gewesen sind.“ In dieser Methode, Bodhichitta zu entwickeln, werden das „ich“ und das „mein“ stark betont. Dieser Punkt ist das Gefährliche an dieser Anweisung.

Weit weniger gefährlich ist es dagegen, wenn wir die Methode des Austauschens von unseren Einstellungen uns selbst und den anderen gegenüber anwenden, denn bei dieser Methode wollen wir den anderen nicht bloß helfen, weil sie „meine Mutter“ gewesen sind, sondern weil „sie keine Probleme wollen; sie wollen glücklich sein, genau wie ich.“ Bei dieser Methode beschäftigen wir uns nicht mehr mit „ich“ und „mein.“ So wird es eine viel umfassendere Methode, den anderen sein Herz zu Öffnen und eine Bodhichitta-Absicht zu entwickeln. Man denkt hier nicht nur an die Güte der anderen, wenn sie unsere Mutter gewesen sind. Man denkt an die Güte aller Wesen, wie sie immer auf so viel verschiedene Arten gütig uns gegenüber gewesen sind. Das ist also grundsätzlich eine Diskussion darüber, wie wir mit den beiden Methoden gemeinsam arbeiten können: mit der Methode der siebenteilige Anweisung über Ursachen und Wirkungen sowie mit der Methode, unsere geistigen Einstellungen uns selbst und den anderen gegenüber gleichzusetzen und auszutauschen.

Die Nachteile des Selbstbezogenheit

In Namkapals Text wird die Zeile aus Togmey-zangpos Version von Geshe Chekawas Text, „Indem du eine Sache als alle Schuld (tragend) verbannst“ hierin gezogen und die Nachteile der Selbstbezogenheit werden als Kommentar zu dieser Zeile gegeben. Pabongka folgt dieser Anordnung.

Was das Austauschen unsere geistigen Einstellungen uns selbst und den anderen gegenüber angeht, erklärt der Text, dass all unsere Probleme und Schwierigkeiten daher rühren, dass wir uns nur um unser eigenes Wohl kümmern, während alle Vorteile und das Glücklichsein daher rühren, dass man sich um das Wohl der anderen kümmert. Warum sind die Shravakas und Pratyekabuddhas nicht dazu in der Lage, die höchste spirituelle Ebene, das höchste spirituelle Ziel, zu erreichen? Aufgrund ihrer Selbstbezogenheit. Von ihrer Ebene abwärts liegt die Schuld an jedem Nachteil, an jedem Rückschritt, den man erleben kann, bei der selbstbezogenen Geisteshaltung: mit anderen Worten, bei der Selbstsucht. Sehr oft wollen Menschen, wenn sie unglücklich sind, mit dem Zeigefinger auf andere zeigen: „Ich bin unglücklich, weil dieser andere Mensch dieses oder jenes getan hat.“ Tatsächlich kommt all unser Unglücklichsein (aber) von unserer Egozentriertheit, aufgrund dessen wir uns so groß und wichtig fühlen, dass wir mit dem Finger auf die anderen zeigen und ihnen die Verantwortung für unser Unglück zuschieben. Tatsächlich kommen all unsere Probleme und unser Unglücklichsein von den destruktiven Impulsen, die in unserem eigenen Geist entstehen – mit anderen Worten sind die Hauptschuldigen das Karma und die störenden Geisteshaltungen.

Es liegen hier zwei Dinge vor: die selbstbezogene Geisteshaltung und das Greifen nach einem wahrhaft existierenden Selbst. Wenn wir ein Verständnis der Realität verwirklichen würden – dass es die wahrhaft begründete Existenz nicht gibt – dann würden wir sowohl das Greifen nach einem wahrhaft existierenden Selbst als auch die Selbstbezogenheit loswerden. Hier machen wir eine Unterscheidung, indem wir sagen, dass das Problem aufgrund der Selbstbezogenheit entsteht. Doch tatsächlich müssen wir an diese beiden Dinge gemeinsam denken: an die Selbstbezogenheit und an das Greifen nach einem als wahrhaft begründeten, wahrhaft existierenden Selbst.

Die Nachteile der Selbstbezogenheit bzw. der egoistischen Geisteshaltung werden in verschiedenen Teilen des Textes „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ erläutert. Shantideva bezieht sich sowohl auf die Selbstbezogenheit als auf das Greifen nach einem wahrhaft begründeten Selbst, wenn er sagt: „Was auch immer es an Gewalt gibt in der Welt, und was auch immer an Angst und Leiden es gibt – alles entsteht aus dem Greifen nach einem Selbst: was nutzt mir also dieser furchtbare Dämon?“ Anderswo im Text weist Shantideva darauf hin, dass unsere Selbstbezogenheit aus Folgendem entsteht: aus unserem eigenen Geist sowie aus der darin liegenden Unwissenheit des Greifens nach einem wahrhaft existierenden „ich“. Das ist unser wahrer Feind. Er schreibt: „Diese lang anhaltenden, fortdauernden Feinde sind die einzige Ursache dafür, dass die Massen von Schäden noch weiter zunehmen. Wie kann ich fröhlich sein und nicht voller Furcht im Samsara leben, wenn ich (ihnen) in meinem Herzen einen sicheren Platz bereite?“

Mit anderen Worten: wir denken sehr „ich, ich, ich.“ Und dann denken wir „Ich muss glücklich werden, ich muss mich von meinen Problemen befreien. Vergiss alle anderen. Es ist egal, was ich den anderen antue, damit ich selbst glücklich werde.“ Aufgrund dieser Ignoranz nutzen wir die anderen aus und tun alles Erdenkliche, nur um glücklich zu werden. Alle Komplikationen und Probleme, die aus dieser Art von Verhalten entstehen, können auf die selbstbezogene Geisteshaltung und auf das Greifen nach wahrhaft begründeter Existenz zurückgeführt werden.

Buddha und wir sind uns darin gleich, dass unsere geistigen Kontinua seit anfangsloser Zeit existiert haben. Doch was hat Buddha in dieser Zeit verwirklicht? Auf der Grundlage seiner Sorge für die anderen hat er sich von seiner selbstbezogenen Geisteshaltung befreit und auf dieser Grundlage wiederum ist er dazu in der Lage gewesen, die Erleuchtung zu erlangen. Wir dagegen sind weiterhin vollkommen in der Selbstsucht verstrickt, und sind (deshalb) weiterhin voller Leiden und stecken bis zum Hals in Problemen. Was bewirkt diesen Unterschied, wo doch das geistige Kontinuum des Buddhas und unsere gleich lang existieren? Der entscheidende Faktor ist, ob wir eine selbstbezogene Geisteshaltung haben oder nicht, ob wir selbstsüchtig sind und nach unserem Selbst greifen oder nicht. Dies passt sehr gut zum Thema der Nachteile des Samsaras: all die unkontrollierbar wiederkehrenden Probleme von Samsara entspringen ebenfalls dieser einen Wurzel. Wann auch immer wir all die verschiedenen glanzvollen Erscheinungen des Samsaras begehrt haben – auch dieses Begehren ist aus der Selbstsucht entstanden und wir haben uns selbst reingelegt und getäuscht.

Es sind dieses Greifen nach einem Selbst und die selbstbezogene Geisteshaltung, die uns den Mut geben, in den Krieg zu ziehen und alle möglichen ähnlichen Dinge zu unserem eigenen Nutzen zu tun. Und wenn dann irgendetwas schief geht, dann geben wir unseren eigenen Gurus die Schuld, oder unseren Eltern und so weiter. Wir müssen denselben Mut anwenden, um unsere selbstbezogene Geisteshaltung zu besiegen.

All diese Textzitate sagen grundsätzlich, dass alles Leiden durch Selbstbezogenheit entsteht. Wenn wir mit dem Finger auf den Verantwortlichen aller schlechten Dinge, die uns passieren, zeigen wollten, dann müssten wir auf unsere Selbstsucht, auf unsere selbstbezogene Geisteshaltung zeigen. Daher ist jetzt die Zeit gekommen, uns von der Selbstbezogenheit, von unserem wahren Feind, zu befreien. Wie Shantideva schreibt: „Als ich von dir ruiniert wurde war eine andere Zeit. Doch (nun) sehe ich dich; wohin kannst du also gehen? Ich werde alle Arroganz aus dir herausprügeln. Wirf jetzt alle Hoffnung weg ‘Ich habe weiterhin mein Eigeninteresse.’ Ich habe dich an andere verkauft, denke daher nicht an deine Müdigkeit; ich habe (ihnen) deine Energien geschenkt. Wenn ich, weil es mich nicht kümmert, dich nicht den beschränkten Wesen schenke, wirst du mich mit Sicherheit den Wächtern der freudlosen Reiche schenken. Du hast mich in dieser Weise oft verschenkt und ich wurde lange gequält; doch nun erinnere ich mich an deine Schandtaten; ich werde dich zerstören, du Geschöpf des Eigeninteresses.“ Alle Nachtteile der Selbstsucht werden in den Texten „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ sowie „Eine Opferzeremonie für die spirituellen Meister, Die Guru-Puja (tib. Bla-ma mchod-pa, Lama chöpa)“ sehr eingehend besprochen.

Einer der Kadampa-Geshes empfahl, dass wir, wenn wir unseren Teeziegel klein hacken, denken sollten „Ich schlage auf den Kopf der Selbstbezogenheit und des Greifens nach einem Selbst.“ Die Menschen, die sich immer vollkommen mit sich selbst beschäftigen oder die furchtbares Selbstmitleid empfinden, wenn sie krank sind, sollten untersuchen, woher all ihre Probleme kommen. Sie müssen erkennen, dass sie daraus entstehen, dass sie immer vollkommen mit ihren selbstsüchtigen Sorgen beschäftigt sind. „Ich muss glücklich werden, ich muss all meine Schwierigkeiten loswerden.“ Diese Art von Person ist nie zufrieden, egal in welcher Situation sie sich befindet. Alles ist immer zu heiß oder zu kalt; nichts ist je richtig. Die grundlegende Wurzel ihrer Probleme ist ihre selbstsüchtige Besorgnis. Wenn sie diese aufgeben könnten, würden sie sich entspannen. Sie sind immer angespannt, sind nie dazu in der Lage, sich zu entspannen, da sie sich immer um sich selbst sorgen.

Wir können studieren und in Pujas sitzen so viel wir wollen – doch wenn wir immer die selbstbezogene Geisteshaltung in uns pflegen, dann verschwenden wir unsere Zeit vollkommen. Wenn wir uns nicht ständig mit uns selber beschäftigt wären, mit selbstsüchtiger Besorgnis, wenn wir stattdessen unser Herz den anderen öffnen würden, dann wären wir wirklich in der Lage dazu, das umfassende Fahrzeug des Herzens und des Geistes des Mahayanas in uns zu haben. Da unser Herz aber zu eng ist und sich zu sehr um das eigene Selbst kümmert, kann es dieses umfassende Fahrzeug nicht in sich haben. Wenn wir mit uns selber beschäftigt sind, dann können wir zwar behaupten, wir würden dem umfassenden Geistesfahrzeug des Mahayanas folgen, doch dies wird dann nur zu einer Gelegenheit, uns stolzer und arroganter zu machen.

Dies schließt die Darlegung der Nachteile der Selbstbezogenheit ab.

Die Vorteile, die anderen wertzuschätzen

Der nächste Punkt betrifft die Vorteile, die es hat, die anderen wertzuschätzen. Namkapal erklärt diesen Punkt, indem er hier folgende Zeile aus Togme Zangpos Version von Geshe Chekawas Text einführt: „Meditiereallen Wesen gegenüber mit großer Güte“. Pabongka tut in seiner Fassung dasselbe.

In dem Text „Eine Opferzeremonie für die spirituellen Meister“ heißt es, dass das Wertschätzen der anderen das Tor zu allen guten Eigenschaften ist, und so ist es auch. Dies wird in Chandrakirtis „Ergänzung zu (Nagarjunas „Wurzelversen zum) Mittleren Weg“ (tib. dBu-ma-la ‘jug-pa, Skt. Madhyamakavatara) besprochen, wo es heißt, dass der Ursprung der großen Verwirklichungen der Buddhas ihr Mitgefühl ist. Woher kommt dieses Mitgefühl? Es entsteht aus der Wertschätzung und des intensiven Interesses an dem Wohl der anderen. Die Wurzel allen Glücklichseins und aller Qualitäten liegt also darin, dass man die anderen wertschätzt. Wenn man die anderen wertschätzt, bringt uns dies dazu, Liebe und Mitgefühl zu entwickeln; dies bringt uns dazu, eine Bodhichitta-Absicht zu entwickeln und die Bodhichitta-Absicht bringt uns zur Erleuchtung. All diese umfassenden Geisteszustände des Mahayanas – Liebe, Mitgefühl, der außergewöhnliche Entschluss und Bodhichitta – zielen auf andere Wesen. Die Wurzel aller guten Eigenschaften, die aus all diesen Geisteszuständen entstehen, ist das Wertschätzen der anderen.

Wie können diese Eigenschaften ständig wachsen und nie degenerieren? Auch hierzu kommt es, wenn der Hauptaugenmerk auf andere gerichtet ist und man sie wertschätzt. Auch das Erreichen des Ergebnisses, nämlich der Buddhaschaft, kommt von beständigem Interesses am Wohl der anderen. Wenn einem das Wohl der anderen am Herzen liegt entstehen somit sowohl die Erzeugung dieser positiven Geisteszustände, ihre Fortsetzung und schließlich die Verwirklichung des Ergebnisses dieser positiven Geisteszustände. Selbst die Kraft des erleuchtenden Einflusses der Buddhas kommt auch wegen den anderen, wenn wir uns um sie sorgen und uns ihr Wohl wichtig ist.

Um Erleuchtung zu erlangen brauchen wir, wie in diesen Zitaten erklärt wird, sowohl den erleuchtenden Einfluss der Buddhas als auch das reichhaltige Feld aller begrenzten Wesen. Auf der Grundlage dieser beiden Dinge verwirklichen wir tatsächlich die Erleuchtung. Ihre Verwirklichung kann nicht unabhängig von den anderen erfolgen; sie muss vielmehr darauf beruhen, dass wir ihnen so sehr wie möglich nutzen. Es reicht also nicht, nur die Buddhas zu respektieren; man muss auch alle beschränkten Wesen respektieren, da unsere Verwirklichung der Erleuchtung genauso von den Buddhas abhängt wie von allen beschränkten Wesen. In diesem Sinne sind die Buddhas und alle beschränkten Wesen gleich gütig.

Alle guten Eigenschaften des Pfades und die Ergebnisse des Mahayana-Fahrzeuges des Geistes entstehen, wenn einem das Wohl der anderen am Herzen liegt. Nach Aussage eines Zitats kommen das Erlangen besserer Wiedergeburtszustände daher, dass man den anderen hilft, während alle schlechteren Wiedergeburtszustände daher kommen, dass man den anderen schadet. Dies zeigt uns, dass die Erfahrung des Glücklichseins vom Gütigsein kommt. Bei denen, die dem bescheidenen Hinayana-Fahrzeug des Geistes folgen, ist es der Mangel an intensivem Wertschätzen der anderen, der bewirkt, dass sie nicht die höchste Verwirklichung erlangen können. Die Bodhisattvas dagegen sorgen sich intensiv um die anderen und deshalb sind sie in der Lage, die höchste Erleuchtung zu verwirklichen.

Ein Zitat hier spricht davon, wie wir den anderen wehtun. Auf unserer Seite ist unser Geist gefüllt mit der Gewohnheit der Selbstbezogenheit. Auf der Seite der anderen Wesen haben sie einen ungezähmten Geist; aufgrund der Kraft ihres mangelnden Gewahrseins bzw. ihrer Ignoranz sind sie mit störenden Emotionen gefüllt. Ihre störenden Geisteshaltungen führen sie in alle möglichen Situationen, die wir störend finden und dann führen unsere Selbstbezogenheit und unsere Selbstsucht dazu, dass wir ihnen wehtun wollen. Wir können dies am Beispiel der Chinesen sehen. Wir können sehen, wie die Selbstbezogenheit auf beiden Seiten arbeitet und Leiden verursacht. Das ist das Ergebnis des vergangenen Aufbaus an negativer karmischer Kraft auf beiden Seiten und wir bauen jetzt weitere negative karmische Kraft auf mit unseren impulsiven destruktiven Handlungen. Diese Handlungen werden nur dazu führen, dass es in Zukunft zu weiteren Situationen kommt, die uns als Ergebnis weiteres Leiden verursachen werden.

Geduld

Um all diese Dinge loszuwerden, die uns schaden, gibt der Text die Anweisung, die beiden Arten von Bodhichitta und die sechs weitreichenden Geisteshaltungen (die sechs Vollkommenheiten, die sechs Paramitas) zu entwickeln. Um Bodhichitta zu entwickeln müssen wir uns wirklich aufrichtiges Interesse (am Wohle) der anderen und große Toleranz haben. Um Toleranz zu entwickeln, braucht man Feinde. Wenn es keine unausstehlichen Menschen gäbe – keine Feinde – dann wäre es uns unmöglich, Geduld und Toleranz zu entwickeln.

Sehen wir uns an, was uns zur Erleuchtung führen kann: wahre Beendigungen und wahre Ebenen von Pfadgeistes. Keines der beiden hat eine Geisteshaltung des Wünschens, weder uns Gutes zu tun noch uns zu schaden. Wahre Beendigungen sind statische Phänomene und haben damit keine Geisteshaltung. Wahre Ebenen von Pfadgeist sind einfach Geisteszustände und sie haben keine besondere Motivation oder keinen besonderen Wunsch, uns zur Erleuchtung zu führen. Wenn wir aber die verschiedenen Feinde, Freunde und so weiter betrachten: sie sind es eigentlich, die uns Glücklichsein oder Unglücklichsein verschaffen, aber nicht nur in Bezug auf tatsächliche körperlicher Schmerzen. Wir haben Ärzte, die uns Spritzen verabreichen und Operationen und ähnliches durchführen. Obwohl sie uns Schmerzen verursachen, würden wir sie nicht als unsere Feinde bezeichnen. Das liegt daran, dass sie die Geisteshaltung haben, uns Gutes zu tun und nicht, uns zu schaden. Feinde werden also nicht deshalb Feinde genannt, weil sie Messer oder Pistolen in der Hand haben, sondern vielmehr, weil sie uns wehtun wollen. Wenn wir also Geduld und Toleranz entwickeln wollen, ist es nötig, dass wir mit jemandem konfrontiert sind, der diese schädliche Absicht hat. Auf der Grundlage unserer Toleranz können wir uns entwickeln und Erleuchtung erlangen.

In den Erzählungen der vorangehenden Leben Buddhas gibt es die Geschichte von Minag Dungdung, dem Steuermann eines Bootes, auf dem fünfhundert Händler als Fahrgäste mitfuhren. Minag wollte alle, die sich auf dem Boot befanden, töten. Der Schiffskapitän war eine vorangehende Inkarnation Buddhas. Er dachte, dass er unmöglich zulassen konnte, dass Minag alle anderen tötete. Ihm zu sagen, er solle von seiner Tat ablassen, war nutzlos, da er nicht zuhören würde. Daher dachte der Kapitän: „Wenn ich diese einen Menschen umbringe, dann wird dieser Tötungsakt sicher negative Kraft auf meinem Kontinuum aufbauen. Wenn ich ihn aber nicht töte, weil es mir (nur) um mein eigenes Wohl geht, und nicht möchte, dass ich mir selbst negatives Karma aufbaue, dann wird er die noch viel stärkere negative Kraft aufbauen, fünfhundert Menschen getötet zu haben – und all diese Menschen werden ihr Leben verlieren.“ Aus Mitgefühl und Fürsorge für die fünfhundert Passagiere und den Steuermann tötete Buddha Minag Dungdung. Ein passendes Beispiel ist das mitfühlende Töten, das Ärzte und Tierärzte vornehmen können, wenn ein Wesen unerträgliche Schmerzen empfindet, indem sie ihm eine Spritze mit Chemikalien geben, um sie zu töten. Wenn sie dieses Leben beenden ist ihre Geisteshaltung dabei nicht Ärger. Sie nehmen vielmehr die Konsequenzen der negativen Handlung bloß deshalb auf sich, um dem anderen Wesen zu helfen.

Keine dieser kraftvollen Handlungen darf mit einer Geisteshaltung des Ärgers oder des Schadenwollens ausgeführt werden, sondern mit einer Geisteshaltung des Mitgefühls, des Wunsches, zu helfen. In einigen Situationen müssen wir kraftvoll handeln, damit die anderen aufhören, uns auszunutzen. Wenn wir Bodhichitta üben, bedeutet das nicht, dass wir uns von den anderen alles gefallen lassen müssen.

Wir müssen also in angebrachter Weise handeln, mit einer mitfühlenden, reinen Motivation, um nicht zuzulassen, dass die anderen die Situation ausnutzen. Wir sollten keine Handlungen ausführen, wenn wir ärgerlich sind, wenn wir vollkommen berauscht sind von der Verblendung des Ärgers. Die Dinge, die wir in einem Wutzustand tun werden voller Fehler sein und werden Verlegenheit und Probleme nach sich ziehen.

Kyabje Ling Rinpoche erzählte mir oft die Geschichte eines Chinesen, der sehr leicht wütend wurde und der in diesem Zustand seine Lieblingsdinge zerstörte. Wenn seine Wut sich nach einem kurzen Moment verflüchtigte, las er die zerstückelten Teile auf und weinte.

Der Punkt ist, dass die Benutzung von kraftvollen Methoden um Schaden zuzufügen nicht vom Hass, sondern vom Mitgefühl getragen sein muss – so wie Buddhas vorangehende Inkarnation einen Menschen tötete, der beabsichtigte, fünfhundert zu töten. Und sie werden nicht in einem Wutausbruch ausgeführt, wenn wir verrückte Dinge tun, die wir später bereuen. Wie wir vorher gesagt haben, wird die Handlung mit einer Geisteshaltung ausgeführt, die dazu bereit ist, das negative Potential auf sich zu nehmen, das aus dieser schädlichen Handlung resultiert. Es gibt viele Zitate aus dem Text „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“, welche die Geduld, Toleranz und geistige Stabilität unseren Feinden gegenüber versinnbildlichen. Unsere Feinde helfen uns, Toleranz, Liebe, Mitgefühl und so weiter zu entwickeln.

Es gibt bestimmte Übungen, die helfen, allen gegenüber ein gleichmäßiges Gefühl bzw. Gleichmut zu entwickeln. Der Problemfaktor Nummer eins ist der Feind, die Person, die uns wirklich wütend und verspannt sein lässt, jemand, der wirklich nervend ist und aufgrund dessen wir uns wirklich bemühen müssen, um nicht die Geduld zu verlieren. Wir müssen uns also einer Person zuwenden, die wirklich unser Feind ist, die wir hassen und müssen versuchen, dieser Person gegenüber eine Geisteshaltung der Liebe zu entwickeln. Wir sollten dieser Person – die nur glücklich sein möchte – gegenüber ein Gefühl des Interesses und der Sympathie entwickeln und versuchen, wirkliche herzerwärmende Liebe für eine Person zu entwickeln, die wir zuvor gehasst haben. Wenn wir das schaffen können, dann ist es etwas ausgesprochen Umfassendes und extrem Kraftvolles. Die Unterweisung in dem Text „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ ist somit wirklich eine ziemlich außergewöhnliche Unterweisung, da das Buch eine so umfassende Methode darstellt. Wenn wir solche herzerwärmenden Gefühle der Liebe und der Fürsorge entwickeln können für jemanden, den wir zuvor gehasst und als unseren Feind angesehen haben, dann entwickeln wir wirklich ein sehr machtvolles Werkzeug des Geistes und des Herzens.

Gegenüberstellung der Vorteile, wenn uns das Wohl der anderen am Herzen liegt, mit den Nachteilen der Selbstbezogenheit

Über die jeweiligen Vorteile und Nachteile der Selbstbezogenheit und der Haltung, der das Wohl der andern am Herzen liegt gibt es eigentlich nicht mehr viel zu sagen – außer, dass in dem Text „Eine Opferzeremonie an die spirituellen Meister“ gesagt wird, dass der Unterschied zwischen den Buddhas und uns selbst darin liegt, dass sich die Buddhas immer um die anderen kümmern, während wir uns nur um uns selbst kümmern.

Sehen wir uns an, wo wir stehen, wenn man die Geschichte betrachtet oder auch in Bezug auf unsere Freunde, der Menschen, die wir kennen. Die Menschen, die alle bewundern, sind diejenigen, die sich stark um die anderen gekümmert haben. Worum es hier geht, ist, dass wir unsere Geisteshaltungen verändern, so dass diese Einstellung „ich muss glücklich sein“, Selbstmitleid – diese ganze Sorge um sich selbst, diese Selbstbezogenheit – auf ein anderes Objekt angewendet wird. Statt zu denken „ich muss glücklich werden“ sollten wir denken „die anderen Menschen müssen glücklich werden.“ Und statt zu denken „ich bin unglücklich“ und „ich muss dieses Unglücklichsein loswerden“ müssen wir das Objekt verändern und daran denken, dass die anderen von ihren Problemen frei werden müssen. Das ist, was es bedeutet, den Gesichtspunkt zu ändern, unsere geistigen Einstellungen uns selbst und den anderen gegenüber auszutauschen. Dies zu tun beinhaltet den Anderen Glück zu schenken, sie wirklich zu lieben und wirklich Interesse (an ihrem Wohl) zu haben sowie das Leiden der anderen mit Mitgefühl auf sich zu nehmen. In einigen Texten kommt zuerst das Mitgefühl, welches das Leiden der anderen auf sich nimmt und dann das Schenken von Glück. In diesem Text kommt zuerst das Schenken des Glückes und dann das Annehmen des Leidens der anderen. Es ist nicht wirklich wichtig, in welcher Reihenfolge wir sie üben, doch, gemäß dem Text, üben wir sie abwechselnd.

Die hier kommentierte Zeile ist „Übe dich abwechselnd in Geben und Nehmen.“

Wenn uns jemand wehtut oder Schaden zufügt, dann sollten wir nicht darüber nachdenken, wie wir zurückschlagen können, wie wir der Person unsererseits wehtun können, welche Art von Gift wir benutzen werden das hilft niemandem. Wir müssen daran denken, dass wir versuchen, Erleuchtung zum Wohle aller Wesen zu erlangen und dass dieses Wesen hier mit Sicherheit dazugehört. Wir versuchen, uns zu entwickeln und zu verbessern um von letztendlichem Nutzen zu sein – und dieser letztendliche Nutzen schließt das Wohlergehen dieser Person mit ein.

Den anderen Glück geben

Was können wir den anderen geben? Unseren Körper, unseren Reichtum, die Wurzeln unserer positiven Potentiale, damit sie für sie reifen. Die Quelle hierfür ist dem Text „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“. Was die Praxis angeht, unseren Körper fortzugeben: als erstes beten wir um Inspiration, dann denken wir an die Wesen in den verschiedenen freudlosen Bereichen, etwa in den Höllen der Wiederauflebenlassens, den Wesen in den heißen Höllen und so weiter. Dann stellen wir uns vor, dass sich unser Körper zum Beispiel in erfrischenden Regen verwandelt. Im Wesentlichen denken wir an was auch immer diese Wesen brauchen, um ihr Leiden zu lindern: für die Durstigen verwandeln wir uns in etwas, das ihren Durst stillen kann; für die Hungrigen in etwas, dass ihren Hunger stillt. Wir verwandeln unseren Körper in was auch immer die Wesen in den freudlosen Bereichen brauchen und wir nehmen das Leiden ihrer katastrophalen Situation auf uns. Um dies zu stabilisieren, verwandeln wir unseren Körper in all die positiven Eigenschaften, die sie brauchen werden, um die Erleuchtung zu erlangen, wie zum Beispiel in die sieben Arya-Juwelen.

Wir tun dasselbe für das Reich der klammernden Geister: wir befreien sie von all ihren Problemen und Leiden und geben ihnen alle Verwirklichungen, die sie brauchen, um die Erleuchtung zu erlangen. Dann tun wir dies auch für die Tiere und die menschlichen Wesen, die keine freie Zeit haben, um den Dharma zu üben. Wir verwandeln unseren Körper in all die Gelegenheiten und Lehren, die sie brauchen. Dann tun wir dasselbe für die Götter und die Möchtegerne-Halbgötter. Im Allgemeinen geben wir denen, die es brauchen, Wohnungen und Kleider. Und für die, die ein bescheidenes Hinayana-Fahrzeug des Geistes haben, verwandeln wir unseren Körper in Verwirklichungen, damit sie die Erleuchtung erlangen können.

Als nächstes verwandeln wir unseren Körper in verschiedene Arten von Umgebungen, um den anderen zu helfen. Der Text beschreibt alle möglichen Bilder aus den reinen Ländern, wie Juwelenbäume und so weiter. Wenn wir diese Art von Dingen nie gesehen haben, kann es uns etwas schwer fallen, sie uns vorzustellen. In diesem Fall können wir einfach an den schönsten Ort denken, den wir uns vorstellen können. Diesen schenken wir dann in unserer Vorstellung allen Wesen. Zum Verschenken unseres Körpers gehört auch, dass wir alle Besitztümer und alle von uns benutzten Dinge verschenken. Wir verwandeln sie in ihre schönste Form und stellen uns vor, dass wir sie den anderen, die sie brauchen, schenken,. Wenn wir unsere positiven Potentiale weggeben, verschenken wir die, die wir in der Vergangenheit aufgebaut haben, die, die wir jetzt aufbauen und all jene, die wir in der Zukunft aufbauen werden. Wir geben den anderen all diese Potentiale und wünschen uns, dass die nutzbringenden Ergebnisse für sie reifen mögen.

Wenn wir jetzt von diesen Meditationen sprechen, können wir meinen, dass sie praktisch gesehen nicht wirklich irgendjemandem helfen – schließlich stellen wir uns nur vor, dass wir den anderen unseren Reichtum, die Wurzeln unserer positiven Potentiale und so weiter schenken. Werden diese Übungen also wirklich einen praktischen Nutzen haben? Die Antwort ist: Wenn wir diese positive Geistesgewohnheit nicht jetzt aufbauen, dann werden wir in der Zukunft nicht in der Lage sein, unseren Körper und unseren Besitz den anderen wirklich zu schenken. Indem wir uns jetzt die Potentiale und die guten Geistesgewohnheiten aufbauen, bauen wir die karmische Kraft auf unserem geistigen Kontinuum auf, die in der Zukunft als die tatsächliche Fähigkeit reifen wird, den anderen alles zu geben.

Der Kommentar benutzt folgende Analogie: wenn es in einer Familie Tradition ist, über sieben Generationen lang etwas Bestimmtes tut, dann verleiht dies der Tradition mehr Kraft, um sich fortzusetzen. Wenn wir jetzt in ähnlicher Weise eine bestimmte Tradition aufbauen, wie den anderen zu geben, dann wird dies nach einiger Zeit – beispielsweise nach sieben weiteren Leben – eine starke Kraft aufbauen, genau wie bei einer Familientradition. Die Übung besteht also darin, den anderen aus Liebe heraus zu geben und mit dem Wunsch, dass die anderen glücklich sein mögen. Da sie arm sind und etwas brauchen, benutzen wir aus Fürsorge und Hilfsbereitschaft alles, was wir haben, um sie von ihrem Mangel an Glück zu befreien und ihnen zu geben, was auch immer sie brauchen. Wir müssen allen etwas geben, einschließlich den Gurus und den Buddhas. Wenn es dagegen darum geht, das Leiden auf uns zu nehmen, dann brauchen wir den Buddhas und den spirituellen Mentoren nichts abzunehmen, denn sie haben keine Fehler oder Leiden, die wir auf uns nehmen könnten.

Mit Mitgefühl das Leiden der anderen auf sich nehmen

Der zweite Punkt hier ist, Mitgefühl mit den anderen zu haben. Wenn wir Mitgefühl mit den anderen haben, werden uns alle guten Eigenschaften und alle guten Dinge zufließen, auch wenn wir nicht darum beten. Anders herum: wenn wir kein mitfühlendes, verständnisvolles Herz haben, dann können wir zwar um die Dinge beten, doch wir werden sie nicht erhalten. Wenn wir entmutigt werden, können wir daran denken, dass wir das gesamte zukünftige Leiden aller anderen auf uns nehmen. Als Hilfe, um uns daran zu gewöhnen, denken wir an unsere eigenen Probleme und Leiden in diesem Leben und in den zukünftigen. Wir können damit beginnen, dass wir denken „Es ist besser, dass ich diese Probleme jetzt erlebe, wo ich leichter mit ihnen umgehen kann; ansonsten muss ich sie später erleben, wenn ich möglicherweise viel weniger dazu in der Lage bin, sie zu bewältigen.“ Auf diese Weise machen wir uns vertraut damit, was uns dabei helfen wird, auch die Probleme der anderen auf uns zu nehmen. Man übt stufenweise, indem man die Probleme des morgigen Tages auf sich nimmt, dann die Probleme des nächsten Jahres und so weiter, damit wir den Mut entwickeln können, die Probleme und die Leiden der anderen auf uns zu nehmen.

Der Sinn des Ganzen ist, dass wir uns von der Selbstsucht in unserem Herzen befreien; und wir schaffen dies, indem wir uns öffnen, um mit den Problemen der anderen umzugehen und sie auf uns zu nehmen. Der Text fährt fort, indem er erklärt, wie man die Probleme der anderen auf sich nimmt, die sich auf den verschiedenen spirituellen Pfaden und Ebenen befinden, bis hinauf zum Stadium gerade vor der Buddhaschaft. Aber die Buddhas werden hierbei ebenso wenig wie die spirituellen Meister mit eingeschlossen.

Nachdem man sich mit dem Prozess vertraut gemacht hat, kombiniert man den eigenen Atem, damit, die Probleme der anderen anzunehmen. Beim Einatmen nimmt man die Probleme der anderen in sich auf und beim Ausatmen schickt man ihnen Glücklichsein.

Diese Erklärung und die Folgenden beziehen sich auf diese Zeilen des Wurzeltexts: “Übe dich abwechselnd in Geben und Nehmen. Was die Reihenfolge des Nehmens (angeht), beginne ich bei mir selbst (und) lasse diese beiden auf dem Atem reiten. (In Bezug auf) die drei Objekte, (nimm) die drei giftigen Geisteshaltungen und (gib) die drei Wurzeln dessen, was konstruktiv ist, … (indem) du dich mit Worten auf allen Pfaden des Verhaltens übst.“ In Togme Zangpos Version folgt die Zeile, „Was die Reihenfolge des Nehmens angeht, beginn bei dir selbst“ der Zeile „(während) du dich mit Worten auf allen Pfaden des Verhaltens übst.“ Pabongkas Version folgt der von Namkapal, wie oben beschrieben.

Der Text spricht vom Umgang mit drei Objekten und drei giftigen Geisteshaltungen. Die drei Objekte sind die angenehmen, unangenehmen und neutralen Objekte, die in uns die drei giftigen Geisteshaltungen der Anhaftung, der Abneigung und der Gleichgültigkeit entstehen lassen. Wir denken außerdem daran, wie alle anderen Wesen ebenfalls Anhaftung, Abneigung und Gleichgültigkeit entwickeln und sagen: „Möge all ihre Anhaftung, all ihre Abneigung und all ihre Gleichgültigkeit auf mich kommen. Ich werde damit umgehen und werde sie davon befreien. Mögen sie vollkommen frei sein von jeglicher Anhaftung, Abneigung und Gleichgültigkeit“ und wir geben ihnen all diese Einsichten zurück.

Wie es auch in dem Text „Eine Opferzeremonie für die spirituellen Meister heißt“, “Daher, ihr mitfühlenden, erhebenden, fehlerlosen Gurus, inspiriert mich, dass alle negativen Kräfte, Hindernisse, und Leiden aller wandernden Wesen, meiner Mütter, gerade jetzt auf mir reifen mögen und dass ich mein Glück und meine positiven Kräfte den anderen geben möge und dadurch alle wandernden Wesen in Sicherheit und Glückseligkeit in Sicherheit bringen möge.“ Auf diese Weise übt man sich auch mit Worten – man wiederholt diese Gebete: „Möge ihr Leiden auf mir reifen; möge meine Güte auf den anderen reifen.“

Worum es hier geht ist, dass wir uns darin üben müssen, gütige Gedanken zu entwickeln, wie etwa, dass alle Wesen glücklich sein mögen – und dies schließt die Chinesen mit ein. Wenn wir uns in einer Situation wieder finden, in der alle anderen ihre Hoffnung in uns setzen und erwarten, dass wir ihnen helfen, dann mag es uns zwar nicht an Bereitwilligkeit mangeln, doch möglicherweise haben wir nicht die jeweiligen Fähigkeit dazu, dies zu tun. Das ist sehr schwierig. Wir müssen uns also klar machen, dass die einzige Weise, den anderen wirklich zu helfen, darin besteht, dass wir selbst Buddhas werden.

Möglicherweise denken wir: „Was geht hier vor? In der Vergangenheit hat es all diese Buddhas gegeben, die alle die Erleuchtung verwirklicht haben. Sie sind dazu in der Lage, allen zu helfen, warum muss ich es also tun? Warum soll es von mir abhängen, dass ich erleuchtet werde, da all diese anderen doch bereits erleuchtet wurden?“ Diese Art von Gedanken können uns entmutigen. Doch statt die Dinge so zu sehen, wäre es gut, zu bedenken, dass es viele Wesen gibt, die eine spezielle karmische Verbindung zu uns haben, aber keine besonders enge karmische Verbindung zu den Buddhas der Vergangenheit, so dass sie damals nicht direkt von den Buddhas befreit werden konnten. Wir müssen also an all die Wesen denken, die eine besondere Verbindung zu uns haben; dann werden wir einen größeren Mut entwickeln, tatsächlich selbst erleuchtet zu werden, um ihnen zu helfen. Wir sollten zu den Wesen, mit denen wir eine Beziehung haben, mehr und mehr positive Verbindungen aufbauen.

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