Reinheit des geistigen Kontinuums und die höchste Stufe

Mangelndes Gewahrsein, störende Emotionen und karmische Rückstände haben keinen Anfang

Wir haben schon darüber gesprochen, dass jeder von uns ein individuelles Geisteskontinuum hat, das ohne Anfang und Ende ist, und dass wir weiterhin wiedergeboren werden. Seit jeher geht unser geistiges Kontinuum mit mangelndem Gewahrsein bzw., einfacher ausgedrückt, mit Verwirrung einher. Dabei geht es hier vor allem um mangelndes Gewahrsein von Ursachen und Wirkungen des Verhaltens: Wir sind uns nicht darüber im Klaren, Unglücklichsein aus destruktivem Verhalten hervorgeht und Glück aus konstruktiven Verhalten. Des Weiteren geht es um unser grundlegendes mangelndes Gewahrsein der Realität: Wir sind nicht gewahr, wie wir, alle anderen und überhaupt alle Phänomene existieren. Aufgrund dieses mangelnden Gewahrseins entwickeln wir störende Emotionen und Einstellungen, und dann handeln wir zwanghaft destruktiv oder konstruktiv, verbunden mit Verwirrung. Das hinterlässt karmische Rückstände in unserem geistigen Kontinuum, darunter karmische Tendenzen sowie positive und negative karmische Kraft. Unser Geisteskontinuum und das aller anderen ist also seit jeher mit mangelndem Gewahrsein, störenden Emotionen und karmischen Hinterlassenschaften verknüpft.

Wie karmische Hinterlassenschaft im geistigen Kontinuum weitergetragen wird

Karmische Tendenzen und Potenziale sind weder eine Art physischer Phänomene noch Gewahrseinsarten. Sie sind einfach etwas, das einer Grundlage, nämlich unserem geistigen Kontinuum zugeschrieben wird. Zum Beispiel: Wir haben heute Kaffee getrunken, wir haben gestern, vorgestern und am Tag davor welchen getrunken, und um das zusammenzufassen und eine Struktur zum Ausdruck zu bringen, können wir sagen, dass eine Tendenz besteht, Kaffee zu trinken. Eine Tendenz ist nichts Physisches, sie ist auch keine Art von Gewahrsein. Sie ist einfach etwas, was dieser Abfolge ähnlicher Ereignisse zugeschrieben werden kann.

Auch unser mangelndes Gewahrsein, unsere störenden Emotionen und Einstellungen haben Tendenzen, die ihre Kontinuität fortsetzen. Wir trinken schließlich nicht in jeder Minute des Tages Kaffee, und wir sind auch nicht in jeder Minute ärgerlich. Aber es gibt eine Kontinuität, und diese wird mithilfe von Tendenzen erklärt. Durch Tendenzen – die unserem Geisteskontinuum zugeschrieben sind – werden unser mangelndes Gewahrsein, unsere störenden Emotionen und karmischen Hinterlassenschaften in unserem Geisteskontinuum weitergetragen und werden auch weiterhin darin mitgetragen, solange wir nichts tun, um sie zum Aufhören zu bringen.

Greifen nach wahrhaft begründeter Existenz

Das mangelnde Gewahrsein der Realität, das unseren störenden Emotionen zugrunde liegt, sowie unser zwanghaftes karmisches Verhalten beruhen darauf, dass unser Geist die die Dinge auf eine Art und Weise erscheinen lässt, wie sie eigentlich unmöglich existieren können. Das macht er tatsächlich in jedem Augenblick. Dadurch, dass wir nach wahrhaft begründeter Existenz „greifen“, glauben wir diesen trügerischen Erscheinungen und meinen, sie würden der Realität entsprechen. Mit unserem mangelnden Gewahrsein wissen wir nicht, dass dies nicht stimmt.

Das Greifen nach wahrhaft begründeter Existenz sowie das mangelnde Gewahrsein, die störenden Emotionen und Einstellungen und die karmischen Tendenzen und Potenzial, die darauf beruhen, bilden emotionale Schleier. Sie verhindern Befreiung. Die Gewohnheit des Greifens bringt nicht nur weiteres Greifen hervor, sondern auch die trügerische Erscheinung wahrhaft begründeter Existenz – was in Wirklichkeit eine unmögliche Existenzweise ist. Das alles geschieht fortwährend; es handelt sich also um „ständige Gewohnheiten“. Diese bilden kognitive Schleier, und diese verhindern die Erleuchtung. Solange man nicht befreit ist, sorgen diese Gewohnheiten dafür, dass trügerische Erscheinungen hervorgebracht werden sowie auch das Greifen entsteht, das sowohl in der Wahrnehmung als auch im Glauben an diese Erscheinungen auftritt. Wenn man befreit ist, aber noch nicht Erleuchtung erlangt hat, bewirken diese Gewohnheiten zwar weiterhin, dass solche Erscheinungen hervorgebracht werden, aber nur in dem Sinne, dass sie wahrgenommen werden. Sie lassen jedoch nicht mehr den Glauben entstehen, dass diese Erscheinungen der Realität entsprechen.

Die nicht mit Begriffen verbundene Wahrnehmung der Leerheit – nämlich dass es die Existenzweise, welche dem entsprechen würde, was erscheint, nicht gibt – befreit uns von beiden Arten von Schleiern, und zwar abhängig von der treibenden Kraft hinter dieser Erkenntnis: Entsagung oder Entsagung in Verbindung mit Bodhichitta.

Die Bedeutung von wahrhaft begründeter Existenz

Es gibt viele unterschiedlich subtile Schichten hinsichtlich unmöglicher Existenzweisen, die unser Geist erscheinen lässt. Bei der tiefsten, der subtilsten Schicht handelt es sich um die Erscheinung dessen, was „wahrhaft begründete Existenz“ genannt wird. In den verschiedenen indisch-buddhistischen Lehrsystemen wird „wahrhaft begründete Existenz“ unterschiedlich definiert. Hier werden wir hauptsächlich die Definition betrachten, die im Prasangika-System gemäß Gelug-Tradition angegeben ist.

Der Begriff „Existenzweisen“ steht im Zusammenhang damit, was die Existenz von etwas begründet. Es geht nicht direkt um die Art und Weise, wie etwas existiert – dieser Unterschied ist allerdings sehr subtil. Das Wort „begründen“ bezieht sich darauf, was eigentlich begründet, dass etwas existiert. Ein sehr einfacher Grund aus frühen Lehrsystemen, um zu zeigen, dass etwas existiert, ist, dass es eine Funktion erfüllt. Dass es etwas tut, eine Funktion erfüllt, zeigt, dass es existiert. Das wird in den frühen Lehrsystemen angeführt.

Wenn von wahrhaft begründeter Existenz die Rede ist, so bezieht sich das auf die Erscheinung, dass auf Seiten des Objekts irgendetwas vorhanden ist, was begründet, dass dieses Objekt existiert, etwas, das dessen Existenz entweder aus eigener Kraft begründet oder in Verbindung mit anderen Faktoren, nämlich begrifflicher geistiger Aktivität.

Wenn im Prasangika-System von wahrhaft begründeter Existenz die Rede ist, dann ist damit gemeint, dass auf Seiten des Objekts etwas vorhanden ist, dass dessen Existenz begründet. Das könnte entweder aus eigener Kraft oder in Verbindung mit anderen Faktoren – etwa begrifflicher geistiger Benennung – der Fall sein.

Wenn wir Leerheit verstehen, dann erkennen wir die Abwesenheit eines tatsächlichen Objekts, auf das sich die Vorstellung von unmöglichen Existenzweisen bezieht. So etwas gibt es nicht. Lasst mich ein Beispiel verwenden, um das verständlich zu machen. Wir können etwa sagen: „Ich habe einen starken Körper“, weil unser Geist ihn so erscheinen lässt, als sei auf Seiten des Körpers etwas vorhanden, das ihn zu einem starken Körper macht – ohne dass das von etwas anderem abhängt. All die Ursachen dafür – dass Starksein in Abhängigkeit von einem guten Gesundheitszustand, guter Ernährung, Training usw. entsteht – erscheinen uns nicht. Die Erscheinung ist nicht so, dass der starke Körper aus all dem hervorgegangen ist, sondern wenn wir in den Spiegel blicken, scheint er von seiner eigenen Seite aus ein wahrhaft starker Körper zu sein.

Wenn ein starker Körper auf Seiten des Köpers begründet wäre, dann müsste er in jeder Situation stark sein und auch im Vergleich mit anderem. In Relation zum Körper eines Kleinkindes ist der eines Erwachsenen stark, aber in Relation zum Körper eines erwachsenen männlichen Gorillas nicht, im Vergleich dazu ist er schwach. Stärke entsteht in Abhängigkeit von vielen Faktoren. Sie ist nicht nur abhängig von Ernährung und Training, nicht nur abhängig von der Relation zu anderem, womit wir sie vergleichen, sondern auch abhängig von der Bezeichnung und dem Begriff „stark“.

Wir zeigen irgendwie auf etwas, das wir jeden Tag tun, und darauf beruhend haben wir das Wort und den Begriff „stark“. In prähistorischer Zeit war „stark“ bloß ein bedeutungsloser Klang für die Menschen, die gerade erst begannen, Sprache herauszubilden. Später dann wurde das Wort zur Bezeichnung für einen Begriff, eine Kategorie, sowie für alle Einzelfälle, die die Menschen in diese Kategorie einfügten. Was begründet also, dass ein Körper „stark“ ist? Alles, was wir dazu sagen können, ist, dass „stark sein“ eben das ist, worauf sich das Wort „stark“ bezieht, wenn es etwas – einer bestimmten Grundlage – als Bezeichnung zugeordnet wird und wenn dieses Etwas geistig mit einer Kategorie benannt wird, nämlich dem Begriff „stark“. Aufseiten der Grundlage selbst gibt es nichts, was begründen würde, dass jemand stark ist. Da kann man nichts finden.

Wir könnten fragen: „Aber gibt es nicht charakteristische Merkmale dafür, dass jemand stark ist? Vielleicht wenn jemand 100 Kilogramm heben kann – ist das nicht ein charakteristisches Merkmal auf Seiten des Objekts, wodurch „stark“ definiert würde?“ Nein, denn das definierende, charakteristische Merkmal, schwere Gegenstände heben zu können, ist auch von Menschen erstellt und von einem Geist, der den Begriff „stark“ konzipierte. Man erstellt eine Definition, nimmt sie in ein Wörterbuch auf – und da steht nun: „stark“. Aber es ist ganz und gar ein geistiges Konstrukt. Doch unser Geist bringt die Erscheinung hervor: Da, man sieht nur den Körper und er ist „stark“. „Ich habe gerade 100 Liegestützen gemacht. Ich bin stark.“ Als würde die Stärke des Körpers ganz von sich aus als „stark“ existieren würde.

Beruhend auf dieser Erscheinung und weil wir daran glauben, dass sie sich auf etwas Reales bezieht, übertreiben wir dann die Qualität des Körpers, und dann entwickeln wir Anhaftung, Stolz und Überheblichkeit. Oder wir sehen jemand anderen, den wir als stärker einschätzen, und werden neidisch. Oder wir schaffen nur 50 statt 100 Liegestützen und ärgern uns und sind frustriert. Auf diese Weise kommen alle störenden Emotionen zustande: beruhend darauf, dass wir an die Erscheinung von etwas glauben, was in Wirklichkeit unmöglich existieren kann.

Das heißt nicht, dass es so etwas wie „stark“ konventionell nicht gibt. Konventionell, im Sinne unserer Wörter und Begriffe, kann durchaus jemand stark sein. Das ist kein Problem; wir behaupten keineswegs, dass überhaupt nichts existieren würde. In konventionellem Sinn kann unser Körper tatsächlich stark sein, wir könnten sagen, im Vergleich zu einem Kleinkind ist er stark usw. Aber nichts auf Seiten der Körperstärke begründet, dass man stark ist. Auf der Seite der Grundlage für die geistige Bezeichnung und Benennung ist nichts, weder konventionell noch letztendlich.

Das ist eine sehr kurzgefasste Erklärung. Aber wir müssen darüber nachdenken. Wenn es etwas auf der Seite des Objekts gäbe, etwa Stärke, die uns ganz von sich, aus eigener Kraft, stark machen würde, dann müssten wir ja stark sein ungeachtet irgendwelcher Krankheiten oder Beeinträchtigungen durch Alter oder sonst irgendetwas. Wenn wir uns das logisch überlegen, erkennen wir, dass das lächerlich ist.

Leerheit

Wenn wir uns auf die Leerheit konzentrieren, konzentrieren wir uns darauf, dass „so etwas“ nicht da ist, also auf die völlige Abwesenheit eines tatsächlichen Bezugsobjekts, eines realen Objekts, auf das die Erscheinung wahrhaft begründeter Existenz sich bezieht. Sie bezieht sich nicht auf irgendetwas Reales, Massives. Das war niemals da. Eine andere Ausdrucksweise dafür lautet, dass es keinerlei „Rückhalt“ für diese Erscheinung von etwas Unmöglichem gibt. Nichts bietet ihr Halt im Sinne von etwas, worauf sie sich beziehen könnte. Wenn wir hinter einer Jalousie den Schatten von jemandem sehen, gibt es dahinter eine tatsächliche Person, die einen Schatten wirft; sie ist das Objekt, auf das sich die Wahrnehmung stützt. Aber hier in unserem Fall gibt es zwar die Erscheinung von wahrhaft begründeter Existenz – wie die Erscheinung des Schattens im obigen Beispiel -, doch nichts dahinter, auf das die Erscheinung sich stützt und das sie von seiner Seite aus unterstützen würde. Wenn wir uns nun auf die Leerheit konzentrieren und völlig darin vertieft sind – so lautet der Fachbegriff für vollständige Konzentration -, uns also in tiefer Versenkung konzentrieren auf „so etwas nicht“, dann ist unsere Wahrnehmung ganz und gar auf „so etwas nicht“ gerichtet, und zu dieser Zeit bringt der Geist keine Erscheinung wahrhaft begründeter Existenz hervor und glaubt auch nicht daran. Das gilt für den Zustand, in dem diese Erkenntnis auf unbegriffliche Weise stattfindet. Wenn sie auf begriffliche Weise stattfindet, ist die Wahrnehmung vermischt mit der begrifflichen Kategorie „Leerheit“. Ich werde jetzt nicht in die Einzelheiten gehen, was das bedeutet. Das ist ein sehr komplexes Thema. Wenn es Sie interessiert: Es gibt eine neue Audio-Aufzeichnung eines ganzen Wochenendkurses zu diesem Thema auf meiner Website.

Emotionale und kognitive Schleier sind nicht Teil der wesentlichen Natur des Geistes

Der Begriff „emotionale Schleier“ bezieht sich, wie gesagt, auf mangelndes Gewahrsein, störende Emotionen und Einstellungen sowie deren Tendenzen, plus karmische Tendenzen und Potenziale. Dadurch wird eine samsarische Wiedergeburt bewirkt, wie sie in den zwölf Gliedern des abhängigen Entstehens beschrieben ist. All die genannten Faktoren rühren aus dem Greifen nach wahrhaft begründeter Existenz her und verhindern die Befreiung. Der Begriff „kognitive Schleier“ bezieht sich darauf, dass die Erscheinung wahrhafter begründeter Existenz hervorgebracht wird, und dies stammt aus den ständigen Gewohnheiten jenes Greifens. Wenn unser Geist Erscheinungen wahrhaft begründeter Existenz hervorbringt, lassen diese die Dinge so erscheinen, als wären sie völlig unabhängig und stünden nicht miteinander in Verbindung. Wenn wir diese Erscheinungen wahrnehmen, können wir nicht sehen, wie alles miteinander verbunden ist, insbesondere im Zusammenhang mit Ursache und Wirkung von Verhalten. Die kognitiven Schleier verhindern allumfassende Erkenntnis und deshalb wissen wir nicht, wie man jedem am besten hilft. Wir können weder all die anfangslosen Ursachen der Probleme einer Person sehen noch wissen, welche unendlichen Resultate es haben würde, wenn wir etwas lehren.

Unser Geisteskontinuum ist „befleckt“ durch diese emotionalen und kognitiven Schleier, die seit jeher bestehen. Deshalb sind wie weder befreit von Samsara noch erleuchtet. Aber können die „Flecken“ dieser emotionalen und kognitiven Schleier beseitigt werden? Gehören sie zur wesentlichen Natur des Geistes oder sind sie sogenannte „flüchtige Makel“? Wenn sie per definitionem ein charakteristisches Merkmal der Natur des Geistes wären, dann müssten wie in jedem Moment anwesend sein. Das sind sie aber nicht. Es gibt Gelegenheiten, zum Beispiel in der völligen Vertiefung in die Leerheit, während derer sie nicht vorhanden sind. Das zeigt, dass sie nicht unerlässlicher Bestandteil der Natur des Geistes sind.

Emotionale und kognitive Schleier können dauerhaft beseitigt werden

Nun stellt sich die Frage: Wenn die Befleckungen flüchtige Makel und nicht Bestandteil der wesentlichen Natur des Geistes sind, können sie dann für immer beseitigt werden? Für immer würde bedeuten, dass ihre wahre Beendigung eintritt – die dritte edle Wahrheit. Wahre Beendigung bedeutet, dass die Befleckungen für immer verschwunden sind. Die Tendenzen von mangelndem Gewahrsein, störenden Emotionen und Karma sowie auch die ständige Gewohnheit des Greifens nach wahrhaft Existenz können jedoch dem Geist, der in völliger Vertiefung auf die Leerheit konzentriert ist, weiterhin zugeschrieben werden, denn sie treten wieder auf, nachdem wir uns aus diesem Zustand wieder erheben. Wie können wir die Befleckungen loswerden, sodass sie nie wieder auftreten?

Tendenzen und Gewohnheiten werden einer Abfolge ähnlicher Ereignisse zugeschrieben. Nur wenn es ein künftiges Wiederauftreten der wiederholten Vorgänge geben kann, können wir sagen, dass es eine gegenwärtig vorhandene Tendenz in unserem Geisteskontinuum gibt. Wenn es kein künftiges Wiederauftreten geben kann, können wir lediglich sagen, dass es eine frühere bzw. vergangene Tendenz oder Gewohnheit gegeben hat. Aber diese existiert nicht gegenwärtig. Ich habe z. B. die Gewohnheit, mit der rechten Hand zu schreiben. Das ist eine gegenwärtig auftretende Gewohnheit, denn es kann durchaus sein, dass ich auch in Zukunft weiterhin mit der rechten Hand schreiben werde. Aber wenn ich durch einen Unfall meine rechte Hand verliere, habe ich dann gegenwärtig noch die Gewohnheit, mit der rechten Hand zu schreiben? Nein. Ich hatte die Gewohnheit, mit der rechten Hand zu schreiben, aber das kann ich nun nicht mehr, weil die rechte Hand nicht mehr da ist. Es handelt sich nur um eine vergangene Gewohnheit, keine gegenwärtige. Wenn wir also jegliches künftige Wiederauftreten von Erscheinungen wahrhafter Existenz verhindern könnten und sowohl deren Wahrnehmen als auch den Glauben daran verhindern könnten, dann wäre die Gewohnheit für immer beendet. Sie würde nicht mehr zurückkehren.

Unbegriffliche Vertiefung in die Leerheit beseitigt das Greifen nach wahrhaft begründeter Existenz

Je mehr wir in völlig vertieft in die Leerheit bleiben können, und zwar frei von Begriffen, ohne die Erscheinung wahrhaft begründeter Existenz und ohne danach zu greifen, umso schwächer werden die Tendenzen und Gewohnheiten. Mangelndes Gewahrsein beruht darauf, dass wir glauben, diese Erscheinungen würden etwas Realem entsprechen. Doch in der konzentrierten Vertiefung in die Leerheit erleben wir immer mehr Momente, in denen wir die Wahrnehmung vollkommen darauf gerichtet ist, dass es in Wirklichkeit nichts gibt, was diesen Erscheinungen entsprechen würde. Je mehr wir also in völliger Vertiefung in die Leerheit weilen, umso entschiedener wir schließlich aufhören zu glauben, dass die trügerischen Erscheinungen, die wir zu anderen Zeiten wahrnehmen, etwas Realem entsprechen. Mit anderen Worten, die Gewohnheit, nach wahrhaft begründeter Existenz zu greifen, wird immer schwächer werden, bis sie schließlich aufhört, immer wieder den Glauben daran hervorzubringen.

An dem Punkt werden wir die emotionalen Schleier beseitigt und Befreiung erlangt haben. Weil wir dann nämlich das mangelnde Gewahrsein und dessen Tendenzen – wodurch wir nicht wussten, dass diese Erscheinungen in der Realität keine Entsprechung haben – für immer ausgeräumt haben. Denn es ist ja das mangelnde Gewahrsein, das überhaupt erst die die störenden Emotionen und die zwanghaften karmischen Handlungen veranlasst, die dann die karmische Hinterlassenschaft nach sich ziehen, und es sind die störenden Emotionen, die diese karmische Hinterlassenschaft aktivieren, sodass sie eine künftige Wiedergeburt zur Folge hat. Ohne das mangelnde Gewahrsein ist nichts mehr da, was die karmische Hinterlassenschaft aktiviert, und auch nichts, was noch weitere karmische Hinterlassenschaft bewirkt, und so hat zwanghaft auftretende Wiedergeburt ein Ende.

Wenn wir für immer in Vertiefung konzentriert auf die Leerheit ausgerichtet bleiben könnten – so wie es bei einem Buddha der Fall ist –, dann würde keine Erscheinung von wahrhaft begründeter Existenz mehr auftreten. Unser Geist würde dann keinen solchen Unsinn mehr produzieren und wir hätten allumfassende Erkenntnis, denn wir wären imstande, wahrzunehmen, wie alles miteinander verbunden ist. Das ist die Art und Weise, wie wir begründen, dass es Befreiung und Erleuchtung gibt und dass es möglich ist, sie zu erreichen.

Mühelose Entsagung als Kraft hinter dem Verständnis von Leerheit, um Freiheit zu erlangen

Der Geisteszustand, in dem die Leerheit erkannt wird, muss allerdings eine gewisse Kraft haben. Wir könnten Leerheit auch bloß wie eine intellektuelle Übung in einem Universitätskurs verstehen, aber es wird nicht sehr viel Kraft in diesem Verständnis liegen. Solch ein Verständnis könnte sogar eher dazu führen, dass wir ziemlich arrogant werden. Wenn aber die Kraft der Entsagung hinter diesem Verständnis steckt – mühelos auftretende Entsagung, ohne sie erst jedes Mal ausbauen zu müssen –, dann ist damit genügend Energie verbunden, um die Tendenzen mangelnden Gewahrseins und störender Emotionen auszuräumen sowie auch das mangelnde Gewahrsein und die störenden Emotionen selbst zu beseitigen.

Warum? Weil wir dem Resultat der störenden Emotionen und der entsprechenden Tendenzen entsagen. Wir entsagen der Wiedergeburt in Samsara. Wir sind entschlossen, uns davon zu befreien, und bereit, die Ursachen dafür aufzugeben. Wir entsagen dem alles umfassenden Leiden dieser Aggregate. Schmerzen entsagen kann jeder, niemand möchte mehr Schmerzen. Das ist keine große Errungenschaft. Sogar Tiere können das. In vielen anderen Religionen entsagt man außerdem noch weltlichem Glück, um in ein Paradies zu gelangen. Das ist nichts besonders Buddhistisches. Unsere Entsagung bezieht sich auf die dritte Art von Leiden – das, was Samsara zugrunde liegt. Dieser Punkt ist von wesentlicher Bedeutung.

Abkehr von Samsara: die Entschlossenheit, frei zu sein

Was kennzeichnet Samsara? Es geht immer auf und ab. Mal fühlen wir uns gut und sind glücklich, mal geht es uns schlecht und wir sind unglücklich. Wir können nicht vorhersehen, wie es uns im nächsten Moment gehen wird. Und auch wenn wir uns gut fühlen, werden wir doch notwendigerweise immer wieder davon getrennt oder wir sind noch nicht zufrieden: „Es geht mir nicht gut genug“. Das ist die Situation in Samsara, der wir entsagen. Wir entsagen nicht der Existenz oder dem Leben. Natürlich können innere Widerstände auftreten, wenn wir meinen, ohne das aufregende Auf und Ab wäre das Leben öde und langweilig. Aber wenn wir das genauer untersuchen, sehen wir: Wenn wir Befreiung erreichen, haben wir immer noch Aggregate, die jeden Augenblick unserer Erfahrung ausmachen, und wir haben auch weiterhin Gefühle, aber es sind keine störenden Gefühle. Wir werden Glück empfinden, das nicht störend ist, und Gelassenheit, Liebe, Mitgefühl, wir haben das Gefühl der Großzügigkeit, der Geduld, der Zuneigung usw. ohne jegliche störende Beimischung.

Das sind, kurz gesagt, die Inhalte, mit denen wir uns befassen, um wirklich eine Person der mittleren Stufe zu werden. Wir sind zuversichtlich, dass unser geistiges Kontinuum sich immer weiter fortsetzt und dass es in seiner Natur nicht durch emotionale Schleier verunreinigt ist, sodass diese für immer zum Aufhören gebracht werden können. Wir erkennen korrekt, was es ist, dem wir entsagen. Wenn uns all das klar ist, dann sind wir auf dem Weg, tatsächlich jemand auf der mittleren Ebene zu werden.

Müheloses Bodhichitta als Kraft hinter dem Verständnis der Leerheit, um Erleuchtung zu erlangen

Auf der fortgeschrittenen Stufe, wenn wir die Kraft der mühelosen Bodhichitta-Motivation für das Verständnis der Leerheit zur Verfügung haben, ist es uns möglich, dauerhaft auf die Leerheit konzentriert zu bleiben und auch die kognitiven Schleier zu beseitigen.

Warum? Wir haben ein geistiges Kontinuum ohne Anfang und Ende, und in seiner Natur ist es nicht von den beiden Schleiern verunreinigt. Jeder andere hat das ebenfalls. Das ist das Erste, was wir erkennen müssen, und darauf basierend entwickeln wir jedem gegenüber Gleichmut. Wenn wir zum Beispiel sehen, dass ein Geisteskontinuum aufgrund seines Karmas gegenwärtig mit dem Körper eines Insekts verknüpft ist, dann bedeutet das nicht, dass dieses Geisteskontinuum von sich aus als das „Geisteskontinuum eines Insekts“ besteht, auch wenn unsere Wahrnehmung das vielleicht so erscheinen lässt. Ein „Insekten-Geisteskontinuum“ gibt es nicht, genauso wenig wie ein männliches, weibliches, menschliches oder mexikanisches Geisteskontinuum. Der Punkt ist, dass unser Geisteskontinuum leer davon ist, auf unmögliche Weise zu existieren, nämlich ganz für sich, von dicken Wänden umgeben, unabhängig. Die geistigen Kontinua von uns allen haben miteinander interagiert und sind in dem, was sie erleben, seit jeher gegenseitig voneinander beeinflusst.

Nun beziehen wir die anfangslose Zeit in unsere Überlegungen mit ein und dass wir in Anbetracht dessen nicht nur uns alle irgendwann gegenseitig geholfen haben, sondern sogar Mutter, Vater usw. füreinander gewesen sind. Und dazu kommt, dass jeder glücklich und niemand unglücklich sein möchte. Das gilt grundsätzlich für jedes Geisteskontinuum, und in dieser Hinsicht sind wir alle gleich. Wir sind alle miteinander verbunden, und wir alle haben das, was Buddha-Natur genannt wird, d. h. die grundlegende Reinheit des Geisteskontinuums, die es ermöglicht, dass wir Erleuchtung erlangen können. Wir sind überzeugt, dass jeder Befreiung und Erleuchtung erlangen kann. Wenn wir die Leerheit des Geisteskontinuums erkennen, dann verstehen wir, dass es möglich ist, andere zu beeinflussen und ihnen zu helfen. Diese Kausalbeziehung zwischen geistigen Kontinua ist möglich – ohne zu übertreiben, was möglich ist, oder abzustreiten, was möglich ist – und beruht im Grunde auf dem Verständnis von Ursache und Wirkung.

Basierend auf dem Verständnis, dass jeder gleichermaßen Befreiung und Erleuchtung erreichen kann, haben wir Mitgefühl, das ohne Ausnahme auf alle gerichtet ist. Wir können die Vernetztheit von allem erkennen – vielleicht nicht sehr klar, aber wir verstehen zumindest das Prinzip. Wir beginnen nun zu verstehen, dass die Kraft dieser Bodhichitta-Motivation so umfassend ist, dass sie mit diesem Ausmaß als Ursache dafür wirken kann, tatsächlich den Geisteszustand allumfassender Erkenntnis eines Buddha zu erreichen.

Das Ziel von Bodhichitta beruht nun auf diesem Mitgefühl und darauf, dass wir die Verantwortung übernehmen, jedem zur Erleuchtung zu verhelfen. Das wird „der außergewöhnliche Entschluss“ genannt. Und wir erkennen, dass wir nur dann jedem auf vollkommene Weise helfen können, wenn wir ein Buddha werden. Also müssen wir sowohl die emotionalen als auch die kognitiven Schleier loswerden. Nun konzentrieren wir auf die eigene Erleuchtung, die noch nicht stattfindet. Sie steht in Verbindung mit der dritten und vierten edlen Wahrheit: der wahren Beendigung der beiden Schleier und den wahren geistigen Pfaden, die in unserem Geisteskontinuum noch nicht entwickelt sind, aber entwickelt werden können.

Das Augenmerk auf unsere eigene Erleuchtung richten, die noch nicht stattgefunden hat

Wenn wir in einem westlichen Kontext von „Zukunft“ sprechen, klingt das so, als würde die Zukunft irgendwo da draußen stattfinden, so, als könnten wir dorthin reisen, wenn wir schneller als Lichtgeschwindigkeit fahren könnten. Aber das buddhistische Verständnis von Zukunft ist anders. Im Buddhismus ist die Rede von „nicht mehr stattfinden“, „gegenwärtig stattfinden“ und „noch nicht stattfinden“. Nur wenn etwas möglich ist, kann man von „noch nicht stattfinden“ sprechen. Unsere Erleuchtung findet nicht jetzt statt, aber sie kann stattfinden, und zwar aufgrund der Reinheit des Geisteskontinuums und der Ursachen, die geschaffen werden. Solche Ursachen sind das Netzwerk der positiven Kraft und des tiefen Gewahrseins  – die sogenannte Ansammlung von Verdienst und Weisheit –, die dem Geisteskontinuum zugeschrieben wird. Die noch nicht stattfindende Erleuchtung wird ihren Ursachen und auf der Grundlage der Reinheit des Geistes zugeschrieben.

Wir zielen also mit Bodhichitta darauf ab, eine enorme Spannweite des Geistes zu haben. Das ist Mahayana, das weit umfassende Fahrzeug des Geistes. Wir reden hier nicht von einem Auto, sondern um eine Art des Verstehens, die uns zur Erleuchtung bringen wird. Es ist riesig, weil wir an alle Wesen denken und an die Verbindung, die zwischen ihnen allen besteht. Unsere Denkweise bezieht auch mit ein, dass unser eigenes, individuelles Geisteskontinuum sowie das aller anderen völlig rein ist. Das gibt die Kraft dafür, dass das Verständnis der Leerheit auch die Gewohnheiten des mangelnden Gewahrseins durchbrechen kann. Mit anderen Worten, wir sind dann imstande, für immer in dieser vollkommen vertieften Konzentration auf die Leerheit zu bleiben.

Entsagung heißt nicht, die Freuden des gewöhnlichen Lebens abzuwerten

All das haben wir auf der mittleren und der fortgeschrittenen Stufe im Sinn. Wir wollen uns zu Personen wandeln, die jede dieser Ebenen stets mühelos im Sinn haben. Auf der mittleren Stufe geht es darum, alles, was uns im Daseinskreislauf widerfährt, ganz gleich, was es sei, als eine Art von Leiden zu verstehen ist. Heißt das, dass wir an nichts mehr Freude haben können und die ganze Zeit düster gestimmt sind? Nein, keineswegs! Wir lassen uns nur nicht täuschen von dem, was wir sehen. Wir erkennen – selbst wenn es nur im oberflächlichen Sinne ist –, dass alles aufgrund von Ursachen und Umständen entstanden ist, dass es sich ändern wird und dass es nicht von Dauer sein wird. Wir erfreuen wir uns einfach an dem, was geschieht, ohne es aufzubauschen. Ja, wir müssen etwas essen, und wir können unsere Mahlzeiten durchaus genießen, aber wir denken nicht, dass das etwas überaus Wunderbares und Fantastisches sei und das wir immer noch mehr davon haben wollen. Wir bleiben gelassen und genießen die Dinge so, wie sie sind.

Eine realistische Einstellung haben in Bezug auf die Körper der Menschen, zu denen wir uns hingezogen fühlen

Wenn wir mit Menschen zu tun haben, wird es solchen geben, über die wir uns ärgern, solche, an denen uns nichts liegt, und natürlich solche, zu denen wir uns sehr hingezogen fühlen. Selbst wenn wir nicht imstande sind, das Verständnis der Leerheit darauf anzuwenden, können wir doch einige eher vorläufige Gegenmittel einsetzen, wie zum Beispiel bestimmte Visualisierungen. Wir können uns vorstellen, dass wir Röntgenaugen haben und das Skelett einer Person sehen, die wir besonders attraktiv finden, oder – noch wirksamer – ist, den Vorschlag Shantidevas aufgreifen und uns vorstellen, dass sich die Haut abschält und wir diese Person dann als ihre Muskeln, Eingeweide, Magen, Lungen usw. sehen – und wir denken daran, dass sie, ganz egal, wie attraktiv oder wie abscheulich sie sein mag, unter dem Einfluss von störenden Emotionen steht, den verheerenden Auswirkungen des Alters unterworfen ist, sie wird Rückenschmerzen haben, sie wird dies und das haben. Das hilft, die die Anziehung oder die Abneigung und den Ärger zu zerstreuen, denn ein Großteil davon beruht auf der oberflächlichen Erscheinung. Es ist ungemein hilfreich, zu versuchen, sich so etwas die ganze Zeit vor Augen zu führen.

Wir entsagen also insofern, als wir nicht diese Art von Anziehung oder Abneigung haben wollen, weil sie Probleme schafft und Unglücklichsein und Leiden mit sich bringt. Wir sind entschlossen, frei davon zu sein. Das heißt, wir müssen irgendwelche Gegenmittel anwenden muss, um dem entgegenzuwirken. Es ist nicht nur ein frommer Wunsch, ohne etwas dafür zu tun, etwa im Sinne von: „Vielleicht hört das auf, wenn ich inbrünstig genug darum bete.“

Um es kurz zu rekapitulieren: Auf der mittleren Ebene liegt das Hauptaugenmerk darauf, den störenden Emotionen und der gesamten samsarischen Situation zu entsagen, die durch all das herbeigeführt wird. Die „Dharma-light“-Version davon ist, nur auf dieses Leben bedacht zu sein. Der echte Dharma beinhaltet die Denkweise, dass die störenden Emotionen, wenn wir uns nicht davon befreien, sich endlos in zwanghaft auftretenden Wiedergeburten immer weiter fortsetzen werden. Das wollen wir ganz und gar nicht!

Stets an andere denken

Wenn wir zu einer Person der fortgeschrittenen Ebene werden, ist unser Augenmerk nicht nur darauf gerichtet, unsere eigenen störenden Emotionen gegenüber allem und jedem zu überwinden, sondern auch darauf, das Mitgefühl auf alle auszuweiten, indem wir erkennen, dass wir uns alle in der gleichen Situation befinden. Wir alle stehen unter dem Einfluss von Karma und störenden Emotionen, erleben das Leiden im Auf und Ab von Samsara. Wie schrecklich, dass alle in einem ebenso unerfreulichen Zustand sind wie wir selbst!

Wir richten den Blick darauf, dass sie nicht mehr als meine Mutter existieren, dass sie gegenwärtig beispielsweise als Insekt existieren, und ihre Existenz als ein Buddha noch nicht eingetreten ist. Wir beziehen uns auf sie in allen drei Blickwinkeln, und zwar auf der Grundlage des Verständnisses der Reinheit des Geistes, der Buddha-Natur. Das ist keine geringfügige Erkenntnis! Es geht dabei nicht nur diejenigen, die gegenwärtig eine menschliche Form haben. Stellt euch vor, wir wären imstande, das auf ausnahmslos jedes Lebewesen zu beziehen und das auch noch auf alle gleichzeitig!

Zusammenfassung

Unser Geisteskontinuum hat keinen Anfang und kein Ende, und wir werden folglich weitere Wiedergeburten erleben. Wir richten unser Augenmerk nicht nur auf das, was jetzt geschieht, sondern denken auch an das, was noch nicht stattfindet. Wenn wir nichts hinsichtlich unserer gegenwärtig stattfindenden samsarischen Situation tun, wird sie immer so weitergehen. Und obwohl das Geisteskontinuum seit jeher mit emotionalen Schleiern vermischt gewesen ist, können wir sie dennoch für immer loswerden. Es gibt eine noch nicht stattfindende Befreiung, die wir meinem geistigen Kontinuum zuschreiben können. Und genau das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass unsere Natur nicht durch kognitive Schleier befleckt ist. Wir können also auf der Grundlage unseres geistigen Kontinuums den Blick nach vorne auf die noch nicht stattfindende Erleuchtung richten. Wir verstehen auch, dass sich zahllose Geisteskontinua in der gleichen Situation befinden wie wir selbst und dass wir alle miteinander verbunden sind.

Indem wir all das im Sinn behalten, wenden uns von der Ausrichtung auf allein dieses Leben ab und richten unsere Gedanken darauf, was auf uns zukommt. Dann wenden wir unsere Hauptaufmerksamkeit von der Zukunft innerhalb der Grenzen von Samsara ab und blicken nach vorn auf den Zustand der Befreiung. Anschließen wenden wir unser Augenmerk davon ab, nur auf den Aspekt der Befreiung zu blicken, und wenden unsere volle Aufmerksamkeit unserer noch nicht stattfindenden Erleuchtung zu. Jede dieser Stufen beinhaltet eine Entsagung, mit er wir uns von etwas abwenden. Hier auf der fortgeschrittenen Stufe haben wir auch Bodhichitta. All das ist möglich, weil wir die Leerheit unseres Geisteskontinuums verstehen.

Das sind drei Hauptaspekte der geistigen Pfade, wie Tsongkhapa sie hervorhebt. Wir haben Entsagung, Bodhichitta und das Verständnis der Leerheit. Wenn wir den Stufen des Lam-rim schrittweise folgen und aufrichtig vorhaben, nach und nach jemand auf den drei Ebenen mit zunehmender Reichweite zu werden, dann ist das zwar kein einfaches Unterfangen, aber wir können zweifellos auf dem Pfad voranschreiten, der dazu führt, ein Buddha zu werden und allen Wesen, die noch bestimmten Begrenzungen unterliegen, zu nützen.

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