Die Vier Buddhistischen Konzile

Wenn Historiker einen Blick auf bekannte geschichtliche Ereignisse, wie die „Vier Buddhistischen Konzile“ werfen, nehmen sie das relevante Material – die verschiedenen Erfahrungen von Augenzeugen – und ordnen es auf schlüssige Weise. Das nennt man dann „Geschichte“, doch im buddhistischen Kontext ist die Geschichte nur eine Möglichkeit, um die Vergangenheit zu verstehen, damit wir die buddhistischen Ebenen der Lehren zur Befreiung durchgehen können; es ist nicht so, dass wir die Vier Buddhistischen Konzile nur auf eine einzigartige Weise finden können. Es gibt zahlreiche Versionen der Vier Buddhistischen Konzile und manche gehen nicht einmal davon aus, dass es vier waren. Diese Versionen sind nützlich und wir sollten sie alle berücksichtigen, wenn wir die Themen aus einer breiteren Perspektive verstehen wollen, also ohne Vorurteile oder kulturelle Prägungen.

Was ist Geschichte? 

Geschichte ist eine Methode des Ordnens früherer Themen, um die Entwicklung zu verstehen, die im Laufe der Zeit stattgefunden hat. Sehen wir uns das Zitat an: „Während die Geschichte etwas herbeiführt, hat der Mensch daran teil“, so könnten wir die Geschichte als etwas unabhängig Existierendes oder als ein Ding sehen, das ganz für sich existiert, während der Mensch lediglich ein Zuschauer ist und wie an einem sportlichen Ereignis daran teilnimmt. Doch die Geschichte existiert nicht als „ein Ding“. Sie ist nur eine Methode des Anordnens und Betrachtens verschiedener Themen eines bestimmten Zeitraumes. In der buddhistischen Terminologie ist das Anordnen von historischen Themen ein „geistiges Konstrukt“.

Die Vorstellung von einem geistigen Konstrukt können wir auf Projektionen beziehen. So können wir beispielsweise fragen: „Hat die russische Revolution stattgefunden?“ Und auch wenn die Antwort darauf „ja“ lauten würde, müssten wir trotz allem fragen: „Was ist denn dann in dieser Zeit passiert?“ Viele Menschen waren da und haben in jedem Moment etwas anderes erlebt, aber haben sie „die Revolution“ wie einen Elefant erfahren, den sie alle sehen konnten? Wenn dem nicht so war, was war dann die Revolution? Erst später wurde das Ereignis als Revolution beschrieben, als verschiedene Historiker versuchten, den unterschiedlichen Erfahrungen der vielen Menschen, die dort waren, einen Sinn zu geben. Diese Historiker haben dann die Augenzeugenaussagen in einer Art geistigen Synthese zusammengefügt – einer Anordnung von Erfahrungen namens „Geschichte“. Diese Art der Anordnung können wir auch bei buddhistischen Themen finden, die auf verschiedene Weise präsentiert werden.

Nehmen wir zum Beispiel das Thema Psychologie, so müssen wir uns fragen, worum es dabei denn eigentlich geht. Es gibt zwar zahlreiche Schulen der Psychologie, doch ganz allgemein können wir sagen, dass die Psychologie ein große Anzahl momentaner Erfahrungen vieler unterschiedlicher Menschen ist. Ein Psychologe stellt dann diese Erfahrungen in einem Organisationsschema dar, welches mithilfe einer psychologischen Theorie verständlich gemacht wird. Die Erfahrungen können nicht nur innerhalb eines Schemas dargestellt werden, sondern entsprechend zahlreicher anderer Systeme angeordnet werden.

Stellen wir die philosophische Frage, ob vorher irgendetwas passiert ist, so lautet die Antwort: „Natürlich ist etwas passiert.“ War es aber nur ein geistiges Konstrukt, durch welches es in einer Synthese der „Geschichte“ zusammengefügt wurde? Das ist eine bedeutende Frage, denn sie führt uns in die buddhistische analytische Betrachtungsweise von Dingen ein und es ist überaus wichtig für uns, sie zu verstehen.

Tibetische Buddhisten studieren die vier Schulen des indischen Buddhismus als stufenweisen Lehrgang, in dem eine Ebene zur nächsten führt. Dabei geht es sowohl um unser Verständnis als auch um aufeinander aufbauende und immer tiefere Erkenntnisse sowie eine immer subtilere Auflösung unserer falschen Sicht der Wirklichkeit. Es handelt sich um eine Methode des Anordnens von Themen, um Befreiung und Erleuchtung, ein buddhistisches Ziel, zu erreichen. Sind diese Organisationsschemen lediglich geistige Konstrukte, werden sie geistig von jemandem oder einer Gruppe von Menschen für einen bestimmten Zweck konstruiert, so wie verschiedene psychologische Theorien zusammengestellt werden, um Patienten zu helfen. Wir können die Themen der buddhistischen Lehren gemäß einer logischen Entwicklung von Ideen anordnen, wobei wir den Anfang eines Konzeptes einer bestimmten Lehre haben, die entwickelt wird und zu der es dann weitere Ausführungen gibt – was man dann „die Geschichte des Buddhismus“ nennt.

In unserer westlichen Denkweise ist die Vorstellung davon, wie Dinge sich entwickeln und was man als „Fortschritt“ bezeichnet, etwas, das uns sehr am Herzen liegt. Es beruht auf unserem Konzept der linearen Zeit, was kulturspezifisch ist. Die lineare Zeit bietet uns im Westen nützliche Informationen darüber, wie sich die Konzepte mit der Zeit entwickeln, doch für Tibeter und Inder ist diese Information bedeutungslos. Sie glauben nicht an eine Geschichte, die sich auf lineare Zeit bezieht. Können wir nun sagen, unsere westliche historische Analyse wäre gültiger als die indische oder tibetische? Der Buddha lehrte alle Themen zeitgleich in zahlreichen Sphären und daher spielt das zeitliche Zuordnen der Lehren im Grunde gar keine Rolle. Obgleich man innerhalb der drei Drehungen des Dharmarades in die drei Überlieferungen unterteilt, sind die tatsächlichen Daten dieser Überlieferungen nicht von Bedeutung.

Wichtig ist, nicht diese arrogante akademische Sichtweise zu haben, die konzeptuell und voreingenommen ist, und mit der man nur die Geschichte als wahr erachtet, die von Menschen stammt, welche erst später all diese Vorstellungen entwickelt haben. Das hat nichts mit Buddhismus zu tun. Authentischer Buddhismus ist ausschließlich das, was Buddha lehrte. Ist es aus diesem Grund nun sinnvoll, eine Linie der Entwicklung von Vorstellungen zu studieren oder zu konstruieren, um eine historische Perspektive zu bekommen? Hat es für uns einen Nutzen, das Konzept eines Buddhas im Laufe der Zeit zu betrachten, um die Entwicklung oder den Fortschritt einer Vorstellung zu sehen?

Die zeitliche Abfolge im Sinne von Entwicklung oder Fortschritt zu sehen, ist nur eine Art der Beschreibung; eine andere ist, auch die Degeneration mit in Betracht zu ziehen. Beides ist gleichermaßen gültig, denn in Bezug auf gewisse Denkweisen würde es einen Sinn ergeben. Man könnte auch meinen, die Menschen würden es einfach erfinden, um Legitimität zu gewinnen, im Sinne von: „das ist es, was Buddha eigentlich damit meinte“ – also einer Interpretation oder etwas Definitivem.

Wenden wir uns wieder der Frage zu, was der Sinn und Zweck der Geschichte, des Konstruierens einer Geschichte der Entwicklung von Ideen, ist, gibt es darauf vielleicht keine Antwort. Wir könnten jedoch sagen, dass es für unsere recht lineare Denkweise nützlich und hilfreich ist, den Lehrstoff in unserem eigenen begrifflichen Bezugssystem zu verstehen. Es ist wichtig für uns, nicht voreingenommen zu sein und aus einer buddhistischen Perspektive nicht zu meinen, eine historische Perspektive wäre viel gültiger als so manches buddhistische Verständnis in Bezug darauf, die Themen einzuordnen.

Sprechen wir hier von linearer Zeit, geht es um die Zeit, die einen Anfang hat und entweder durch ein höheres Wesen erschaffen wurde oder mit einem Urknall begann. Diese Zeit setzt sich dann fort und kommt zu einem Ende, entweder durch die Zerstörung des Universums oder dem großen Kollaps, worauf die Zeit dann enden wird. Aus buddhistischer Sicht gibt es im Gegensatz dazu keinen Anfang und kein Ende. Stattdessen wird es wieder einen Urknall und einen weiteren großen Kollaps oder eine Ausdehnung ins Nichts geben, und das geht auf eine nichtlineare Weise einfach immer so weiter.

Die unterschiedlichen Sichtweisen hinsichtlich linear und nichtlinear verdeutlichen einen der Vorteile des Studiums von buddhistischen Themen, denn sie helfen uns herauszufinden, welche kulturspezifischen Denkweisen wir haben. Das Wort „spezifisch“ ist hier wichtig, denn es zeigt, dass nur unsere Kultur diese Denkweise hat, wir jedoch verstehen, dass es viele andere Möglichkeiten gibt, das Universum und unsere Erfahrung zu betrachten. Weil wir vertraut mit unserem eigenen Standpunkt sind, ist es oft so, dass wir nicht einmal die Möglichkeit anderer Sichtweisen auf das Universums in Betracht ziehen, ganz zu schweigen davon zu denken, sie könnten gleichermaßen gültig sein. Etwas so Verschiedenes, wie die buddhistische Denkweise, zu studieren, hilft uns daher, diese Projektionen des Anordnens von Themenbereichen, die wir haben, zu identifizieren. Die Vorstellungen von „einer Wahrheit“, dem „Fortschritt“ oder „Verfall“ sind einfach Arten des Verstehens, die geistig konstruiert werden und nicht zwangsläufig universal. Sie existieren auch nicht irgendwo dort draußen als Die Wahrheit.

Gemäß der Chittamatra-Sichtweise ist es so, „wie es für uns zu sein scheint“. Situationen erscheinen für jede Person, entsprechend ihrer Kultur, auf andere Weise. In der Familientherapie ist zum Beispiel die Situation, wie sie sich für die Mutter darstellt, anders, als für den Vater oder die Kinder. Öffnen wir unseren Geist, um in Betracht zu ziehen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, für verschiedene Zwecke Themen anzuordnen und zu verstehen, werden uns so viel mehr Werkzeuge zur Verfügung stehen, die wir nutzen können, um mit unseren alltäglichen Problemen umzugehen. Wenn wir andere Möglichkeiten berücksichtigen, merken wir, dass wir vielleicht durch unsere Kultur konditioniert gewesen sind und es hilft uns, eine bessere Lösung zu finden. Vielleicht finden wir es auch hilfreich, verschiedene Standpunkte miteinander zu verbinden, um eine weitere geistige Synthese zu entwickeln.

Unsere Konditionierung, mit der wir auf eine bestimmte Weise denken, sollte nicht dazu führen, wertend oder voreingenommen zu sein und zu meinen, unsere Kultur wäre besser oder schlechter als eine andere. Wir alle sind in einem bestimmten Rahmen aufgewachsen, und niemand wächst ohne einen gewissen Hintergrund auf. Wir sollten unsere Konditionierung auch nicht als begrenzt betrachten, denn der Punkt ist, dass es andere Sichtweisen und Arten des Verstehens verschiedener Themen gibt.

Nach Buddhas Tod 

Wenden wir uns der westlichen Vorstellung der Geschichtsschreibung zu, so mussten sich die Schüler Buddhas nach seinem Tod um die enorme Menge an Lehrstoff kümmern, von dem nichts niedergeschrieben war. Innerhalb der buddhistischen Welt gibt es gemäß der diversen Schulen verschiedene Versionen dazu, was mit diesem Lehrstoff passiert ist. Menschen haben sich an verschiedene Ereignisse erinnert und erzählten ihre Geschichten und Versionen ihren Schülern oder Kindern. Weil es verschiedene Versionen dessen gab, was passiert ist, können wir nicht nur eine Möglichkeit oder „eine Wahrheit“ finden.

Laut Buddhas Hauptschülern waren jene, welche die Lehren niederschrieben, allesamt Arhats. Tatsächlich haben wir aber keine Vorstellung davon, dass alle fünfhundert von ihnen Arhats, also befreite Wesen, waren. Die fünfhundert Arhats kamen angeblich zusammen und rezitierten aus dem Gedächtnis Wort für Wort die Lehren Buddhas.

Hier gilt es zu beachten, dass etwa vierhundert Jahre nach dem Tod Buddhas erst einmal nichts von seinen Lehren niedergeschrieben wurde. Nach dieser Zeit gab es dann die Version, die in der Theravada-Schule auf Pali niedergeschrieben wurde, während andere Versionen sogar noch später entstanden. Aus diesem Grund sagt Shantideva: „Wenn ihr die Richtigkeit dessen anzweifelt, an was wir uns erinnern, können wir die Richtigkeit dessen anzweifeln, an was ihr euch erinnert“. Wir können uns nicht sicher sein, dass sich die Arhats an alles, Wort für Wort, erinnert haben, denn es gab eine enorme Menge an Lehrstoff. Diese Situation, in der die Lehren zunächst mündlich weitergegeben und dann später aufgeschrieben wurden, gibt es nicht nur im Buddhismus. Tatsächlich wurde in vielen Weltreligionen zur Zeit des Gründers der Religion nichts niedergeschrieben. Die Dinge wurden erst einmal auswendig gelernt und erst viel später zu Papier gebracht.

Geschriebene Sprache und Auswendiglernen 

Was die Geschichte der geschriebenen Sprache betrifft, so könnten wir fragen, warum wir überhaupt eine geschriebene Sprache entwickelt haben. Laut zahlreicher Forscher entstand sie in erster Linie für militärische Zwecke, um Anordnungen an andere Teile der Armee weiterzugeben, sowie für administrative Zwecke. Am Anfang wurde besonders in Indien die geschriebene Sprache nie für philosophische oder spirituelle Dinge benutzt, sondern ausschließlich für praktische Zwecke. So schrieben beispielsweise Händler nieder, was sie zu welchem Preis verkauft hatten.

Um zu verstehen, ob die Menschen tatsächlich in der Lage gewesen sind, damals so viele Lehren auswendig zu lernen, können wir einen Blick auf die Tibeter von heute werfen. Tibeter sind in der Lage, tausende Seiten von Text auswendig zu lernen und sie dann zu rezitieren. Das beste Beispiel ist Seine Heiligkeit der Dalai Lama, der eine riesige Menge an Lehrstoff memoriert hat und jederzeit eine beliebige Textstelle zitieren kann. Daher ist es wenig bemerkenswert, dass Menschen, die weder Bücher noch das Konzept von Büchern kannten, sich lediglich Wissen aneignen konnten, indem sie viel auswendig lernten.

Für uns ist es schwer vorstellbar, wie es ohne Bücher sein muss, was zu sprechen von Computern und dem Internet, oder wenn unser gesamtes Bildungssystem nur auf dem Hören der Erklärung von Lehren beruhend würde, die man sich merken und damit auswendig lernen müsste. Um diese Lehren auswendig zu lernen, war es notwendig, sie nicht nur einmal, sondern in geordneter Weise immer wieder zu rezitieren. Dieses Wiederholen half den jungen Studenten, welche die Lehren viele Male hörten, sie kontinuierlich zu rezitieren, zu praktizieren und zu lernen. Nur wenn ein Schüler sie gehört und auswendig gelernt hatte, konnte er wirklich über die Lehren nachdenken und versuchen, ihre Bedeutung zu verstehen.

Das Auswendiglernen innerhalb des Bildungssystems gibt es auch heute noch bei den Tibetern in den buddhistischen Institutionen. Obwohl den Studenten heute Bücher zur Verfügung stehen, rezitieren sie diese noch immer und lernen sie auswendig. Tatsächlich ist das gesamte Bildungssystem darauf ausgerichtet, die außergewöhnliche Fähigkeit des Geistes junger Schüler zu nutzen, um Dinge zu memorieren. Sind wir jung, können wir verschiedene Dinge auswendig lernen, wie Kinderlieder oder Gedichte, und uns viele Jahre später an sie erinnern. Dagegen ist es viel schwieriger, sich an etwas von gestern zu erinnern, wie an eine Telefonnummer, denn das Langzeitgedächtnis ist immer besser als das Kurzzeitgedächtnis.

Das tibetische Bildungssystem ist so ausgelegt, dass die Schüler bis zum Alter von 13 Jahren keine Erklärungen bekommen, sondern nur Dinge auswendig lernen. Manche Westler denken vielleicht, das wäre nicht zufriedenstellend und eine „mittelalterlicher Methode“ des Lernens, aber man kann einwenden, dass auch mittelalterliche Methoden des Lernens ihre Vorteile haben. Schüler, die Dinge memorieren, sind nicht so abhängig vom Internet und Büchereien. Sie können sich etwas in Erinnerung rufen, ohne es nachschlagen zu müssen.

Das erste buddhistische Konzil 

Das erste Konzil wurde ein Jahr nach dem Tod Buddhas in Rajagriha im Königreich Magadha einberufen. Hier gilt es zu beachten, dass das Wort „Konzil“ ein westlicher Begriff ist und „gewählter Aufsichtsrat“ bedeutet. Dieser Begriff bezieht sich im Grunde auf ein Treffen mit dem Ziel, zusammen die Schriften zu rezitieren, um sicherzustellen, dass es keine Verfälschungen gab.

Am ersten Konzil nahmen fünfhundert Arhats teil. Von diesen Fünfhundert rezitierten die drei Herausragendsten jeweils einen der drei Hauptbereiche der Lehren Buddhas. Ananda, Buddhas Cousin (zu der Zeit war es Tradition, ein Familienmitglied dabeizuhaben, was man auch heute noch in der tibetischen Tradition finden kann) besaß ein perfektes Gedächtnis und rezitierte daher alle Sutras. Mahakashyapa, ein älterer aber relativ neuer Mönch, war neidisch auf Ananda und wollte nicht, dass er dabei war, doch weil Ananda über das beste Gedächtnis verfügte, luden ihn die anderen Arhats ein, die Sutras zu rezitieren. In den Sutras geht es um Themen der Praxis, welche sich besonders mit der Konzentration befassen.

Ein Teil der Abhidharma-Lehren wurde, gemäß einer Version, von Mahakashyapa rezitiert. In anderen Traditionen wird behauptet, dass Mahakashyapa nur den Vorsitz führte und die Abhidharma-Lehren Buddhas zu diesem Zeitpunkt nicht rezitiert, sondern erst später von verschiedenen Arhats für die Konferenz zusammengestellt wurden. Abhidharma, was hier mit „speziellen Themen des Wissens“ übersetzt wird, befasst sich mit Metaphysik – wie das Universum zu verstehen ist, woraus es besteht, die verschiedenen Arten von Wesen in ihm, das Thema der Biologie usw. Dieses Studiengebiet hilft uns, das so genannte „unterscheidende Gewahrsein“ zu entwickeln, um die diversen Faktoren unserer Erfahrung verstehen zu können.

Die Verhaltensregeln des Mönchsordens (Vinaya) wurden von dem Mönch Upali rezitiert. Es gibt sowohl Mönchs- als auch Nonnengelübde, sowie Unterteilungen in Novizen, Voll-Ordinierte etc. Buddha hatte diese Regeln aufgestellt, um jegliche Vorfälle oder Probleme innerhalb der Gemeinschaft zu klären und keinen „Gehorsam“ erzwingen zu müssen. Innerhalb des Christentums ist eins der wichtigsten Gelübde für die Mönche und Nonnen der Gehorsam – ein Gelübde, welches es im monastischen System des Buddhismus nicht gibt. In den Gesetzen der biblischen Könige oder antiken griechischen Götter, sowie im westlichen Justiz- und Rechtssystem, gibt es eine Gesetzgebung, die befolgt werden muss. In diesem Zusammenhang ist der Gehorsam ein Synonym dafür „gut zu sein“, während Ungehorsam bestraft werden muss. Betrachten wir das westliche „Justizsystem“ – die Rechtsprechung – so finden wir darin nichts, wie „Recht“ oder „Gerechtigkeit“. Folgen Menschen dem Gesetz, sind sie gut; missachten sie es, sind sie „schuldig“. Dieses ganze Konzept der Schuld ist eine ziemlich westliche Denkweise.

Im Kontrast dazu beruht die buddhistische Ethik auf einem Verstehen des Problems und nicht auf Gehorsam. Wenn ein Problem oder eine Schwierigkeit auftaucht, findet man eine Lösung oder stellt eine Regel auf, um zu vermeiden, dass das Problem erneut auftritt und noch mehr Schwierigkeiten verursacht. Heutzutage ist das für jede Organisation oder Gemeinschaft von Bedeutung, in der es so genannte Gesetze oder Regeln gibt, welche von den Bürgern strikt befolgt werden müssen. Würden die Menschen jedoch die Gründe oder Motive hinter diesen Regeln verstehen, gäbe es keine Notwendigkeit für eine Polizei und die Gesellschaft würde viel besser funktionieren.

Beim ersten Konzil hatte Mahakashyapa, der ein ehrwürdiger und älterer Brahmane aus Magadha war, den Vorsitz. Er wurde erst im Alter ein Mönch und bevor Buddha starb, gab er Mahakashyapa seine alte abgenutzte Robe im Austausch mit der neuen des Brahmanen. Später galt dies als Zeichen dafür, dass Buddha die Autorität seiner Linie der Lehren an Mahakashyapa übertragen hatte, der somit meinte, die Verantwortung dafür zu haben.

Es war jedoch immer die Absicht des Buddhas, die Autorität der Lehren egalitär zu halten, also ohne die Verantwortung an nur eine Person abzugeben. In der buddhistischen Geschichte können wir jedoch sehen, dass es eine kontinuierliche Dialektik im Sinne einer zentralen Figur der Autorität gab, welche die Verantwortung für die Struktur der Lehren und eine gewisse Macht hatte, sowie einer demokratischen, egalitären monastischen Gemeinschaft, dessen Anführer gewählt und in der Entscheidungen gemeinsam getroffen wurden. Das kann man heutzutage innerhalb der tibetischen monastischen Gemeinschaft in Bezug auf die vollständige Ordination von Nonnen beobachten. Die Übertragungslinie dieser Arten von Gelübden wurde unterbrochen, doch es gibt eine starke Bewegung, sie wiederherzustellen. Seine Heiligkeit der Dalai Lama kann sie jedoch nicht einfach so wiedereinführen. Buddha hatte festgelegt, dass diese Arten von Entscheidungen nicht durch eine zentrale Autorität getroffen werden konnten, sondern in einem Rat von Älteren besprochen und abgestimmt werden mussten. Eine große Entscheidung, der innerhalb der buddhistischen Mönchsgemeinschaft einstimmig zugestimmt wird, ist in der Praxis eine schwierige Sache und das kann man auch heutzutage am Beispiel der Europäischen Union sehen. In der buddhistischen Gemeinschaft regte Buddha trotz der Patriarche zu selbstständigem Denken an und weil es keine strikte Durchsetzung von Regeln gab, entwickelten sich in mehreren Gebieten verschiedene Interpretationen.       

Als Buddha starb, übernahm Mahakashyapa den Vorsitz und gründete das Konzil, um die Lehren Buddhas zu überprüfen und zu kodifizieren. Zu Beginn des ersten Konzils traf Ananda den Premierminister von Magadha, um ihm von Buddhas Absicht eines demokratischen egalitären Ordens zu berichten, doch der Premierminister war zu beschäftigt damit, einen Angriff auf das Königreich Avanti im Westen Magadhas vorzubereiten.

Vermutlich trug die Tatsache, dass Mahakashyapa ein starker Anführer war und die Kodifizierung der Lehren einleitete, zum Überleben des buddhistischen Ordens in diesen schwierigen Zeiten bei. Ausgehend von Mahakashyapa entwickelte sich später eine Linie von Patriarchen – eine Übertragungslinie oder Nachfolge – welche verantwortlich für die gesamte buddhistische Gemeinschaft war. Die Tibeter berufen sich auf eine Linie von sieben Patriarchen, während es in der Zen (japanischen) Tradition 28 Patriarchen gab, von denen der letzte Bodhidharma war, der den Zen nach China brachte und die Linie der chinesischen Patriarchen der Chan-Tradition begann. Später gab es weitere Zweige dieser Traditionen, die sich nach Korea, Japan usw. ausbreiteten. In den Theravada-Ländern Südostasiens begannen die nationalen Patriarchen eine Nachfolgelinie, wie die des „Großen Patriarchen von Thailand“. In Tibet entwickelte sich eine ähnliche Position eines Patriarchen mit der Institution der Dalai Lamas. Was sowohl den Patriarchen als auch den Dalai Lama betrifft, werden sie nicht wie ein Papst als unfehlbar angesehen und haben keine direkte Linie zum Buddha und somit legale Autorität über den monastischen Orden. Stattdessen haben sie im Wesentlichen die Verantwortung, den ganzen Orden zusammenzuhalten und sich um das Wohl der monastischen Gemeinschaft und der Laienpraktizierenden ihrer Ländern zu kümmern.

Ein interessanter Punkt in der historischen Entwicklung der Lehren Buddhas ist das Abspalten verschiedener Schulen innerhalb dessen, was im Allgemeinen als Hinayana-Tradition bekannt ist. In diesen Schulen gibt es Versionen des Abhidharma, die etwas unterschiedlich sind und auch Versionen des Vinaya, die an ihre diversen Bedürfnisse angepasst und abgeändert wurden. Diese Anpassung geschah auf demokratische Weise durch eine Gruppe von Älteren und nicht auf autokratische Weise. Die Älteren folgten den Gebräuchen der Jains. Das religiös-philosophische System der Jains begann 50 Jahre vor der Zeit Buddhas und Buddha hat viele Ideen daraus übernommen. Die Jain-Mönche rezitierten ihre Gelübde alle zwei Wochen aus dem Gedächtnis, weil es sie nicht in schriftlicher Form gab.

Nach dem ersten Konzil wurde es zum Brauch der versammelten Mönche, die verschiedenen Lehren aus dem Gedächtnis vorzutragen, um zunächst die korrekten Worte der Lehren durch die mündliche Übertragung zu hören und sie dann auf fehlerfreie Weise zu memorieren. An diesem Punkt war es nicht erforderlich, sie zu verstehen! Die mündliche Übertragung ist auch heute ein wichtiges Merkmal innerhalb der tibetischen Klöster. Gruppenrezitationen der Sutras sind ein wichtiger Brauch in allen traditionellen buddhistischen Klöstern Asiens.

Das zweite buddhistische Konzil 

Etwa hundert Jahre nach dem ersten Konzil – in Bezug auf das genaue Datum gibt es verschiedene Meinungen: entweder 386 oder 376 v. u. Z. – gab es ein zweites Konzil, welches in Vaishali in der Vajji-Republik abgehalten wurde.

Es gibt verschiedene Versionen in Bezug auf das Hauptanliegens des zweiten Konzils, also der Spaltung innerhalb der Gemeinschaft. Hier gilt es zu beachten, dass sich „Spaltung“ nicht auf eine Auflehnung bezieht, wie es sie durch Devadatta gegenüber dem Buddha gab. Es war nicht so, dass sich die Menschen gegenseitig hassten und töten wollten; vielmehr ging es dabei um Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Bräuche und Sitten. Eine Version besagt, dass von zehn kontroversen Themen, die besprochen wurden, das eigentliche Problem in dieser Zeit die unterschiedliche Meinung darüber war, ob es den Mönchen gemäß den monastischen Regeln erlaubt sein sollte, Umgang mit Gold (oder Geld) zu haben oder nicht.

Die Gruppe, die der Meinung war, Mönche sollten laut Buddha keinen Umgang mit Gold haben, war die der Theravadas. Sie waren die Strikten und Konservativen. Theravada bedeutet „die Berater der Älteren“. In der Theravada-Tradition ist es auch heutzutage Mönchen nicht erlaubt, mit Geld umzugehen oder es bei sich zu tragen, und so müssen sich stets Begleiter oder Novizen um all die finanziellen Belange der Mönche kümmern. Die Mahasanghika, was „Mehrheitsgemeinschaft“ bedeutet, war die Gruppe, die sich abspaltete und der Meinung war, es sei für Mönche angemessen Gold zu besitzen.       

Dieser Punkt des Umgangs mit Gold war kontrovers, weil einige Mönche begannen, Geld anzuhäufen, was in einer Gemeinschaft zu Problemen führte, die egalitär sein sollte. Sogar heute ist es in den verschiedenen monastischen Orden ein Problem. In der Theravada-Tradition, wie beispielsweise in Thailand, wird der Umgang mit Geld recht strikt gehandhabt und Mönchen ist es nicht einmal erlaubt, es zu berühren. In den Theravada-Ländern bezahlen Mönche und Nonnen für nichts und leben, indem sie betteln gehen und die Nahrung akzeptieren, die ihnen gegeben wird. Laien unterstützen die monastische Gemeinschaft, indem sie ihre eigene Nahrung in die Bettelschalen der Mönche geben und somit positive Kraft oder „Verdienste“ ansammeln. In Tibet ist die Situation eine andere, denn dort ist es besonders im Winter zu kalt und die Distanzen sind zu groß, um barfuß betteln zu gehen. Im traditionellen tibetischen System bringen Menschen die Nahrung in die Klöster und verteilen es dort an die Mönche. So haben sich im Laufe der Geschichte die Regeln in den verschiedenen Länder unterschiedlich entwickelt. 

Eine andere Version besagt, dass das Hauptanliegen des zweiten Konzils die Situation jener war, die als Arhats, befreite Wesen, bekannt waren. Diese Wesen wussten nicht alles und waren somit nicht allwissend. Hatten sie sich beispielsweise verlaufen, mussten sie nach dem Weg fragen. Trotz ihres begrenzten Wissens waren sie laut den Theravada-Buddhisten dennoch wissend in Bezug auf den Dharma; sie verstanden es, andere zu belehren und kannten die Bedeutung der Lehren. Sie bestanden darauf, dass die Arhats, ähnlich wie Buddha, völlig frei von jeglichen störenden Emotionen, wie Wünschen, waren.

Die andere Gruppe der Mahasanghikas behauptete jedoch beruhend auf ihrer Erfahrung, dass die Arhats trotz allem in ihren Träumen verführt werden konnten. Sie konnten erotische oder feuchte Träume haben und somit war es fraglich, ob sie überhaupt Arhats sein konnten, wenn sie durch sexuelle Träume beeinflusst werden konnten. Dies war eine recht praktische Sache, da sie aus den Erfahrungen der Praktizierenden hervorging. Laut den Mahasanghikas wird ein Buddha nicht im mindesten durch Träume beeinflusst. Diese Aussage führte zu einer größeren Betonung des Unterschieds zwischen einem Buddha und einem Arhat. Für die Theravada-Buddhisten gab es keinen so großen Unterschied zwischen einem Arhat und einem Buddha. Sie sahen es so, dass Buddha vor größeren Versammlungen unterrichtete, während Arhats dies nur vor wenigen Leuten taten.

Betrachten wir die historische Entwicklung der Mahasanghika-Gruppe, können wir sehen, dass ein Teil von ihnen von Zentralindien in den Nordwesten ging, in ein Gebiet, was heute zum Norden Pakistans gehört. Eine andere Gruppe ging die halbe Strecke Richtung Süden, in eine Gegend an der Westküste Indiens, in das heutige Andhra Pradesh. Genau in dieser Gegend von Andhra war es, wo der Mahayana das erste Mal auftauchte und später entwickelte sich auch Tantra sowohl dort als auch in Pakistan. Historisch gesehen entwickelte sich die Vorstellung davon, was ein Buddha ist, immer mehr in die Richtung der Allwissenheit, also dass ein Buddha absolut alles gleichzeitig weiß, sich in einer unzähligen Anzahl von Formen manifestieren und in jeder Sprache lehren und verstanden werden kann. Das Konzept eines Buddhas weitete sich kontinuierlich aus, bis wir zur Mahayana-Sichtweise kommen, in der die meisten Qualitäten eines Buddhas präsentiert werden. 

Der dritte buddhistische Konzil   

In manchen Quellen wird keine dritte Versammlung in der Form eines Konzils dokumentiert. Jene, die es dokumentieren, geben an, dass das dritte Konzil etwa einhundertfünfzig Jahre nach dem zweiten stattfand. Laut anderer Versionen fand das dritte Konzil etwa 237 oder 247 v. u. Z. statt.

Achtzig Jahre zuvor wurde das Maurya-Großreich in Nordindien gegründet und somit herrschte zur Zeit des dritten Konzils der berühmte Kaiser Ashoka. Dieser Kaiser war barbarisch und führte zunächst viele Kriege, in denen eine große Zahl von Menschen getötet wurde. Doch nachdem er die buddhistischen Lehren gehört hatte, bereute er seine Taten und wurde ein entschlossener Nachfolger und Unterstützer der buddhistischen Lehren. Er sandte mehrere Lehrer aus, um die buddhistischen Lehren in seinem Reich sowie in angrenzenden Regionen zu verbreiten. Die Herrschaft Ashokas war in der Zeit, in welcher der Theravada-Buddhismus nach Sri Lanka sowie in das heutige Afghanistan, nach Kashmir, Myanmar usw. kam.

Gemäß einer Version war der Schwerpunkt des dritten Konzils die Sorge der Theravada-Buddhisten, die Reinheit der Lehren zu bewahren, denn es kamen viele Gruppen mit zahlreichen unterschiedlichen Sichtweisen zusammen. Aus diesem Grund schrieb der oberste Mönch des Konzils eine analytische Widerlegung all der derzeitigen unterschiedlichen Sichtweisen, die er als fehlerhafte Interpretationen der buddhistischen Lehren betrachtete. Jene, die ein anderes Verständnis der Sichtweisen des Abhidharmas hatten, also wie Dinge in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft existieren (metaphysische Fragen), gründeten eine eigenständige Schule, die „Sarvastivada-Tradition“ und spalteten sich von den Theravada-Buddhisten ab.

Nach Ansicht der Sarvastivada-Buddhisten besteht alle Materie aus Teilchen oder Atomen, im nicht-westlichen Sinne, und somit existiert alles – der Sanskrit-Begriff „sarvasti“ bedeutet alles existierend. Sie behaupten, Materie (Teilchen) im Universum, würden grundsätzlich in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleich bleiben und nur ihre Konfiguration ändern. So stammen die Atome in einem Körper beispielsweise von den Atomen von Same und Eizelle der Eltern. Diese Atome sind die gleichen, wie jene, die nach dem Tod zu Erde werden, oder zu Asche, wenn der Körper verbrannt wird. Das ist das Konzept des alles Existierenden in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese Thematik ist heutzutage in der modernen Wissenschaft von Bedeutung. Man kann darüber nachdenken, ob eine bestimmte Menge von Materie und Energie im Universum im Laufe der Zeit bestehen bleibt und seine Form ändert oder ob neue Materie und Energie erschaffen wird.   

Die Theravada-Buddhisten waren mit der Sichtweise der Sarvastivada-Buddhisten nicht einverstanden. Stattdessen vertraten sie die Gegenwart und gingen davon aus, dass die einzigen Dinge, die existieren, gegenwärtige Phänomene sind. Für sie haben vergangene Ereignisse noch nicht ihre Resultate hervorgebracht, wie zum Beispiel ein Streit zwischen einem Paar, welcher in der Vergangenheit stattgefunden hat, doch noch immer wirksam ist, da er zu einer Trennung führen könnte.

Über mehrere Jahrhunderte nach dem dritten Konzil spalteten sich immer mehr Schulen aufgrund unterschiedlicher Arten des Verständnisses ab: manche von der Theravada-Schule und andere von den Schulen des Mahasanghika oder Sarvastivada. Etwa fünfzig Jahre später gab es den Abzweig der Dharmaguptaka-Schule. In dieser Schule hob man den Status der Buddhas hervor und betonte die Wichtigkeit, zunächst Opferungen zu den Stupas – Monumenten, welche Relikte Buddhas oder verwirklichter Meister enthalten – zu machen und erst dann zu den Ordinierten, die als weniger wichtig galten. Hier lag das Hauptaugenmerk auf dem Aspekt der Hingabe.

Die Dharmaguptaka-Schule war die wichtigste buddhistische Hinayana-Schule in Gandhara, der Region, die das heutige nördliche Pakistan und den Osten Afghanistans umfasst. Hier entstanden die frühsten schriftlichen Versionen der buddhistischen Lehren, beginnend im ersten Jahrhundert v. u. Z., und sie wurden in der Gandhari-Sprache verfasst.

Eine der Hauptfragen in dieser Zeit war: „Wer oder was war der Buddha?“ Man muss verstehen, dass der Begründer eines jeden Ordens (oder jeder „Religion“) im Laufe der Jahrhunderte immer mehr verherrlicht wird. Betrachten wir die anderen Hinayana-Traditionen (von denen es 18 gibt), können wir sehen, dass Buddha innerhalb der historischen Entwicklung über die Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung immer überirdischer, mächtiger und allwissender wurde. Daher wurde auch der Unterschied zwischen einem Arhat und einem Buddha größer. Hier gilt es zu beachten, dass Buddha auf geschickte Weise  vor verschiedenen Leuten sprach und die Belehrungen sich somit an die speziellen Bedürfnisse eines Aspektes der Hingabe religiöser Praxis in dieser Zeit anpassten, der auch in nichtbuddhistischer Literatur offensichtlich ist. Die Notwendigkeit einer religiösen Figur entspricht der immer größeren Verherrlichung Buddhas, sowie dem Fokus auf die Verehrung von Stupas, Relikten und Monumenten, die nicht nur Buddha, sondern auch verschiedene andere große Figuren darstellten.

Als Reaktion auf diesen religiösen Aspekt wurden in den Mahayana-Schriften oder Sutras die großen Vorzüge, positiven Kräfte oder Verdienste hervorgehoben, die man durch das Rezitieren und Studieren der Texte erlangen konnte. Historisch gesehen erschienen die ersten Mahayana-Schriften zwischen dem ersten und vierten Jahrhundert u. Z. im Gebiet des heutigen Andhra Pradesh im östlichen Teil Südindiens. Das war die Region, in welcher der Mahasanghika-Zweig des Hinayana entstanden ist und in der Buddha als übernatürliche Figur etabliert wurde, was die Kluft zwischen Buddhas Verwirklichungen und jenen eines Arhats ausweitete. Die wichtigsten frühen Mahayana-Sutras, die auftauchten, waren die „Prajnaparamitra-Sutras“, die Buddha auf dem Geierberg lehrte und in denen es um die Leerheit aller Phänomene ging – das zweite Drehen des Dharmarades.

Der Fokus der Mahayana-Sutras liegt nicht auf übertriebener Hingabe, mit der Menschen einfach nur Räucherstäbchen und Kerzen vor Monumenten darbringen, sondern auf der Notwendigkeit des Studiums und der Rezitation von Texten. In diesen Sutras werden kontinuierlich die Vorteile des Studiums wiederholt und es werden Nummern angeführt. So gibt es beispielsweise 36 Millionen Mal mehr Verdienste, einen Text zu studieren und zu rezitieren, als einer Stupa Opfergaben darzubringen. Doch wie Shantideva, ein großer buddhistischer Meister Indiens aus dem achten Jahrhundert klarmachte, ist es dennoch nicht nutzlos, Opferungen zu machen.

Der religiöse Aspekt ist auch innerhalb der Dharmaguptaka-Schule, die sich mehr in Zentralasien entwickelt hat, präsent. Die Anhänger dieser Schule haben eine Reihe sogenannter „Dharanis“ zusammengestellt. Ein Dharani ist im Grunde ein kurzer Text oder eine Formel, die kontinuierlich rezitiert wird, um den Geist zu konzentrieren und eine bestimmte Lehre zu vergegenwärtigen, also eine Art der Andacht. Der Gebrauch von Dharanis trat in einer Zeit hervor, in der sich der religiöse Hinduismus entwickelte. Es ist schwer zu sagen, ob der Hinduismus den Buddhismus beeinflusst hat oder ob es andersherum war. Beide traten zur gleichen Zeit auf: die Hindus mit dem Chanten, wie im Fall der Hare Krischnas, und die Buddhisten mit dem Rezitieren von Dharanis.

Den religiösen Aspekt der Dharmaguptaka-Bewegung kann man klar im chinesischen Buddhismus erkennen, in dem Anhänger zum Tempel kommen, um Räucherstäbchen und Kerzen anzuzünden und fortwährend Dharanis zu rezitieren. In den meisten buddhistischen Schulen Chinas gibt es ganz allgemein keine so große Betonung auf dem Studium. Dharanis hatten nicht nur einen Einfluss auf den religiösen Aspekt des Buddhismus, sondern auch auf die Entwicklung von Tantra. So werden später in der buddhistischen Geschichte Mantras rezitiert, die für gewöhnlich viel kürzer sind als Dharanis und in der tantrischen Praxis kontinuierlich wiederholt werden, um die Achtsamkeit des Praktizierenden auf der Bedeutung einer bestimmten Unterweisung zu halten.

Die Entwicklung der Dharmaguptaka-Schule führte nicht nur zu einem größeren Fokus auf den religiösen Aspekt, sondern auch zu einer anderen Version der monastischen Regeln für Mönche und Nonnen. Diese Tradition zog sich durch Zentralasien und dann bis nach China. Zwischen dem vierten und fünften Jahrhundert gab es eine weitere Abzweigung des Sarvastivada, die als Mulasarvastivada bekannt war und dessen Version der monastischen Verhaltensregeln von den Tibetern übernommen wurde. Daher gibt es zur Zeit drei Hauptlinien der monastischen Ordination: erstens die Theravada in Südostasien; zweitens die Mulasarvastivada, die nach Tibet und dann in die Mongolei und umgrenzende Regionen ging; und drittens die Dharmaguptaka, die nach China und dann nach Korea, Japan und Vietnam ging.

Das vierte buddhistische Konzil 

Es gab zwei eigenständige Konzile, die als „viertes buddhistisches Konzil“ bezeichnet wurden. Das Frühere wurde innerhalb der Theravada-Tradition abgehalten und das Spätere im ersten Jahrhundert v. u. Z. in Sri Lanka. Zu der Zeit herrschte dort eine große Hungersnot und viele Mönche waren an Hunger gestorben. Um die Lehren, die bis dahin mündlich weitergegeben wurden, zu bewahren, wurden sie daher niedergeschrieben. Es geschah in Pali, der Sprache, in der die Theravada-Lehren übermittelt wurden.

Was das andere vierte buddhistische Konzil betrifft, so lehnte Kumaralata im späten ersten Jahrhundert u. Z. in Kashmir und Nordindien innerhalb der Sarvastivada-Schule die Autorität der Abhidharma-Texte ab und stützte sich ausschließlich auf die Sarvastivada-Sutras. Die von ihm folgende Tradition wurde „Sautrantika“ genannt. In dieser Zeit, also im ersten Jahrhundert u. Z. eroberten die Kuschaner, die aus Zentralasien kamen, Gandhara, Kaschmir und Nordindien, und gründeten die Kuschan-Dynastie. Während der Herrschaft des Kuschan-Kaisers Kanishka wurde dieses andere Konzil, das als „viertes Konzil“ bezeichnet wurde, in Kaschmir unter Vimalamitra einberufen. Dort lehnten die Mitglieder des Konzils die Sautrantika-Behauptungen ab und kodifizierten die Sarvastivada-Abhidharma-Lehren im „Mahavibhasha-Sutra“. Das wurde die Grundlage der Vaibhashika-Abteilung des Sarvastivada. Sowohl die Vaibhashika- als auch die Sautrantika-Lehren wurden in den monastischen Universitäten in Indien gelehrt und heute werden sie in den tibetischen Klöstern weitergeführt.

Zusammenfassung 

Tibeter und Inder betrachten die Geschichte, bezogen auf die Ebenen der buddhistischen Lehren, als nichtlinear, während man im Westen die Geschichte linear betrachtet und das historische Material logisch nach Daten und Fakten sortiert. Aus der westlichen Perspektive der Geschichte wurden die buddhistischen Lehren viele Jahre nach den Belehrungen Buddhas nicht niedergeschrieben und stattdessen mündlich weitergegeben, kontinuierlich rezitiert und memoriert – ein Brauch, der auch heute noch existiert. Die Konzile wurden für Anhänger aller buddhistischen Schulen einberufen, um die Lehren zusammen zu rezitieren und mögliche Abweichungen zu erfassen. Am ersten Konzil nahmen fünfhundert Arhats teil, von denen drei jeweils einen der Hauptbereiche der Lehren Buddhas rezitierten. Mahakashyapa hatte den Vorsitz über dieses Konzil, obwohl Buddha die monastische Gemeinschaft egalitär halten wollte. Die Autorität Mahakashyapas führte zur Kodifizierung der Lehren und zur Linie von Patriarchen.

Das zweite Konzil wurde einberufen, um darüber zu beraten, ob Ordinierte Umgang mit Gold haben sollten oder nicht, und um über die Situation der Arhats bezüglich ihres Verlangens nachzudenken. Wegen unterschiedlicher Meinungen unter den Mönchen gab es daraufhin eine Spaltung in der monastischen Gemeinschaft in Traditionen des Theravada und des Mahasangika.

Zur Zeit des Herrschers Ashoka wurde das dritte Konzil einberufen, um die Reinheit der Lehren zu prüfen und die verschiedenen Interpretationen im Licht der verschiedenen Schulen, die sich abspalteten und entwickelten, in Einklang zu bringen. Infolge weiterer Unterschiede der Interpretation der Lehren spaltete sich die Tradition des Sarvastivada vom Theravada ab.

Das vierte Konzil wurde in Sri Lanka einberufen, um die buddhistischen Lehren niederzuschreiben, und in Kaschmir gab es ein viertes Konzil, welches einberufen wurde, um die Lehren zusammenzustellen, welche die Grundlage für das Vaibhashika-Lehrsystem innerhalb des Sarvastivada waren, während man die Sautrantika-Interpretationen ablehnte.

Wegen dem Mangel einer zentralen Figur der Autorität traten daher ganz natürlich verschiedene Interpretationen und Meinungen in unterschiedlichen geografischen Gebieten auf und auf diese Weise entwickelte sich der Buddhismus.   

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