Islam aus buddhistischer Sicht

Einführung

Die Besorgnis angesichts der Probleme der Globalisierung und der Klimaerwärmung weitet sich immer mehr aus; die Wichtigkeit dessen, was Seine Heiligkeit der Vierzehnte Dalai Lama als „universelle Verantwortung“ bezeichnet, wird damit immer deutlicher. Eine nachhaltige Entwicklung, ja sogar unser Überleben hängt davon ab, dass Nationen, Kulturen, Religionen und Individuen gemeinsam die Verantwortung übernehmen und versuchen, diese universellen Probleme zu lösen. Eine der wichtigsten Grundlagen für eine solche Kooperation ist gegenseitiges Verstehen. Durch Förderung des Wissens über andere Kulturen werden wir hoffentlich die katastrophalen Folgen eines möglichen künftigen „Kampfes der Kulturen“ vermeiden.

Zwei solche Kulturen sind die buddhistische und die islamische Welt. Im Laufe der Geschichte haben diese beiden Zivilisationen sowohl konstruktiv als auch problematisch interagiert. Wenn es zu Zusammenstößen zwischen ihnen kam, sind möglicherweise religiöse Lehren benutzt worden, um Truppen zusammenzuscharen. Doch tiefer gehende Analyse zeigt, dass es bei den Motiven, die dahinterstanden, hauptsächlich um ökonomische, politische und strategisch-militärische Angelegenheiten ging.

Heute gibt es sehr wenige Gebiete auf der Welt, in denen traditionelle buddhistische und islamische Gruppen zusammen leben. In einigen dieser Regionen der Begegnung – wie in Tibet, Ladakh und Süd-Thailand – werden die Beziehungen derart stark von anderen kulturellen und nationalen Gruppen beeinflusst, dass es keinen Sinn hat, spezifische buddhistisch-muslimische Fragen von ihrem weiteren Kontext zu isolieren. In anderen Regionen, wie in Malaysia und Indonesien, besteht die buddhistische Bevölkerung aus eingewanderten Chinesen, deren Interaktionen mit den einheimischen Muslimen vornehmlich von ökonomischen Faktoren bestimmt sind. Kurz, die Unterschiede in den religiösen Lehren scheinen in den heutigen buddhistisch-islamischen Beziehungen keine große Rolle zu spielen.

Welchen Sinn hat es dann, den buddhistisch-muslimischen Dialog zu fördern? Unterschiede der Leerinhalte wird es zwischen den beiden Religionen immer geben. Diese muss man natürlich kennen und anerkennen, um sich nicht unbeabsichtigt verletzend zu verhalten. Wenn man allerdings gemeinsame menschliche Grundwerte entdeckt und festigt – etwa die Tatsache, dass jeder glücklich sein möchte und nicht leiden will, und dass wir alle miteinander verbunden sind – dann können die Mitglieder aller Gemeinschaften, nicht nur die Buddhisten und Muslime, ihre Ressourcen und Bemühungen in eine Richtung lenken und auf den Versuch konzentrieren, jene dringenden Probleme zu lösen, die uns weltweit betreffen.

Der vorliegende Artikel gibt einen kurzen historischen Überblick über die Interaktionen zwischen Buddhismus und Islam im ersten Jahrtausend nach dem Tod des Propheten. Wir konzentrieren uns dabei auf die Islam-Kenntnisse der indisch-tibetischen buddhistischen Tradition und auf die Punkte, die darin als entweder harmonisch oder problematisch identifiziert wurden. Die problematischen Punkte verweisen auf einige Fragen, die gegenseitige Toleranz erfordern, um eine Ablehnung der Kooperation zu vermeiden. Die gemeinsamen Punkte dagegen zeigen einige der positiven Grundlagen, die gestärkt werden können, um gegenseitigen Respekt aufzubauen und die Bemühungen aufeinander abzustimmen. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, auch auf die Interaktion der beiden Religionen in der Zeit der Ilkhanate im Iran einzugehen; zwischen 1256 und 1295 u.Z. förderten und verbreiteten die dortigen mongolischen Herrscher den tibetischen Buddhismus, bevor sie zum Islam konvertierten. Ebenso wenig kann hier besprochen werden, wie die buddhistischen Uighuren reagierten, als sich der Islam zwischen dem 11. und dem 14. Jahrhundert u.Z. in ihrem Herrschaftsbereich in Ostturkestan, dem heutigen chinesischen Sinkiang, ausbreitete.

Historischer Überblick der Interaktionen zwischen den buddhistischen und islamischen Welten

Shakyamuni Buddha lebte von 566 bis 485 v.u.Z. im Norden Zentralindiens; Mohammed lebte von 570 bis 632 u.Z. in Arabien. Daher enthält die buddhistische Literatur während des größten Abschnitts ihrer prägenden Jahre in Indien keine Hinweise auf den Islam und seine Lehren. Doch auch nach der Zeit des Propheten finden sich in den buddhistischen Quellen nur selten Hinweise auf die Lehren des islamischen Glaubens. Alle Interaktionen zwischen den beiden Völkern erfolgten auf der Grundlage einer sehr spärlichen Kenntnis der Glaubensinhalte des Gegenübers.

Die Buddhisten unter umayyadischer und abbasidischer Herrschaft

In den ersten Jahrhunderten nach der Zeit Buddhas hatten sich die buddhistischen Lehren vom indischen Subkontinent ins heutige Afghanistan, in den östlichen Iran, nach Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan verbreitet. Buddhistische Laien- und Mönchsgemeinschaften florierten dort. Dreißig Jahre nach Mohammed gelangten diese Gebiete unter arabisch-islamische Herrschaft. Auf das ummayadische Kalifat folgte das abbasidische. Die dort lebenden Buddhisten erhielten den Dhimmi-Status. Dies bedeutete, dass sie, als Nicht-Muslime, ihre eigenen Religion ausüben durften. Die Laien unter ihnen mussten allerdings eine zusätzliche Kopfsteuer zahlen. Es gab nur wenige Verfolgungen, sie währten nicht lange, und die Buddhisten durften alle Klöster, die zerstört worden waren, wieder aufbauen. Die buddhistische Gemeinschaft mit Dhimmi-Status scheint sich allerdings nicht für den Islam interessiert oder über ihn geschrieben zu haben.

Viele Buddhisten in diesen Gebieten konvertierten während dieser Periode auch zum Islam. Die Gründe für ihre Konversion waren von Region zu Region und von Person zu Person verschieden. Es scheint jedoch, dass die hauptsächlichen Faktoren dafür eher ökonomische und politische Anreize und nicht so sehr die religiöse Überzeugung oder „Bekehrung durch das Schwert“ waren. Offenbar gibt es keine schriftlichen Berichte, in denen diese Konvertiten die Gründe für ihre Bekehrung – ob durch die Lehre oder anderweitig bedingt – erklärten.

Buddhistische Gelehrte in Bagdad

Zu den frühesten ernsthaften Kontakten zwischen buddhististischen und muslimischen Gelehrten kam es in der Mitte des 8. Jahrhunderts u.Z. in der Abassiden-Zeit. Kalif Al-Mansur gründete damals in Bagdad ein Haus des Wissens (arab. Bayt Al-Hikmat) für das Studium und die Übersetzung von Schriften aus den griechischen und indischen Kultursphären, besonders im Bereich naturwissenschaftlicher Themen. Als Teil dieses Vorhabens lud sein Sohn, der Kalif Al-Mahdi, buddhistische Gelehrte aus Indien und aus dem riesigen Nava-Vihara-Kloster im afghanischen Balkh ein.

Es lässt sich schwerlich behaupten, dass die buddhistischen Mönche in Bagdad tatsächlich förmlich mit dem Haus des Wissens verbunden waren. Allerdings scheinen sie zu jener Zeit Diskussionen mit arabischen Gelehrten geführt zu haben. Die Hinweise darauf stammen aus dem „Buch der Religionen und Glauben“ (arab. Kitab Al-Milal wa Al-Nihal). In diesem Werk über islamische Häresien stellt der ismaelitische Theologe des 12. Jahrhunderts, Al-Shahrastani, kurz dar, wie die damaligen islamischen Gelehrten den Buddhismus sahen. Da ihr Hauptinteresse jedoch dem griechischen Denken galt, gingen ihre Studien des Buddhismus nicht in die Tiefe.

Parallel dazu scheinen die buddhistischen Gelehrten in Bagdad kein großes Interesse an den islamischen Lehren an den Tag gelegt zu haben. Obwohl die Mönche an den damaligen buddhistischen Klosteruniversitäten im heutigen Afghanistan und auf dem indischen Subkontinent energisch über die Anschauungen der verschiedenen nicht-buddhistischen Lehrsysteme debattierten, gibt es keine Hinweise darauf, dass irgendwelche Debatten mit muslimischen Gelehrten stattfanden. In keiner der auf Sanskrit verfassten buddhistischen philosophischen Abhandlungen werden islamische Glaubensinhalte erwähnt, weder zu dieser Zeit noch danach.

Die Zerstörung buddhistischer Klöster auf dem indischen Subkontinent

Viele buddhistische Klöster wurden während der verschiedenen Invasionen des indischen Subkontinents zerstört, zuerst durch die umayyadischer Truppen in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts u.Z., und dann vom frühen 11. Jahrhunderts bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts u.Z. durch die Armeen verschiedener islamischer türkischer Vasallenstaaten der Abbasiden. Von dieser Zerstörung erholten sich die Klöster nicht. Obwohl danach zahlreiche Buddhisten auf dem Subkontinent zum Islam konvertierten, ging die Mehrheit in der allgemeine hinduistischen Bevölkerung auf.

Die Invasionen der Turkvölker waren anscheinend hauptsächlich durch Erwägungen militärischer, politischer und wirtschaftlicher Gewinne motiviert und nicht durch religiösen Eifer. Trotzdem kann man die Beschreibungen von Gräueltaten und religiösem Fanatismus im Laufe dieser Feldzüge nicht übersehen, die sich in muslimischen, buddhistischen und abendländischen historischen Darstellungen finden. Was auch immer die Motive für die Zerstörungen gewesen sein mögen, die damalige buddhistische Literatur gibt uns keine weiteren Informationen über die buddhistische Sicht der islamischen Lehren.

Muslime in Tibet unter dem Fünften Dalai Lama

Aufgrund ausgedehnter Hungersnot in ihrem Heimatland in der Mitte des 17. Jahrhunderts u.Z. wanderte eine Gruppe von kaschmirischen Muslimen während der politischen Herrschaft des Fünften Dalai Lamas nach Tibet ein und siedelte sich in Lhasa an. Als Teil seiner Politik religiöser Toleranz gewährte der Fünfte Dalai Lama den Muslimen besondere Privilegien. Er schenkte ihnen Land für eine Moschee und einen Friedhof, erlaubte ihnen, ein fünfköpfiges Komitee zu wählen, um ihre inneren Angelegenheiten zu beaufsichtigen, ließ sie ihre internen Streitigkeiten autonom entsprechend der Scharia-Gesetze regeln und gewährte ihnen Steuerfreiheit. Diese Privilegien zeigen, dass die Buddhisten die Autonomie der muslimischen Gemeinschaft in Tibet respektierten. Doch sie geben keinen Hinweis darauf, dass zu dieser Zeit irgendein interreligiöser Dialog stattgefunden hat.

Fazit

Das Fazit, das man aus diesem Überblick ziehen kann, lautet: Die Welt des indisch-tibetischen Buddhismus hatte im ersten Jahrhundert nach dem Propheten bei zahlreichen Gelegenheiten sowohl friedliche als auch problematische Kontakte mit der islamischen Welt. Doch es gab kaum buddhistisches Interesse daran, etwas über die Lehren des Islams zu erfahren.

Die Kalachakra-Literatur als Quelle für die klassische buddhistische Sicht des Islams

Der einzige Ort, an dem in dieser Periode buddhistische Hinweise auf die islamischen Lehren auftauchen, ist die auf Sanskrit verfasste Kalachakra-Literatur. Kalachakra – das bedeutet: Zeitzyklen – ist ein System tantrischer Praktiken des Mahayana-Buddhismus mit dem Ziel, Erleuchtung zu erlangen, um so vielen Wesen wie möglich helfen zu können. Das Kalachakra-System beschreibt drei parallele Zeitzyklen: die äußeren, inneren und alternativen Zyklen. In den äußeren Zyklen geht es um Planetenbewegungen, astrologische Muster und historische Zyklen, einschließlich regelmäßig auftretender Invasionen durch ausländische Armeen. Bei der Besprechung dieser Invasionen wenden sich die grundlegenden Texte an ein hinduistisches Publikum. Die inneren Zyklen beziehen sich auf biologische und psychologische Rhythmen. Die alternativen Zyklen sind wiederholte Meditationsübungen mit dem Ziel, sich von der Macht der äußeren und inneren Zyklen zu befreien.

Die Hinweise auf den Islam in der Kalachakra-Literatur entstanden höchstwahrscheinlich während des 10. Jahrhundert u.Z., und zwar zum Teil in den buddhistischen Klöstern des heutigen östlichen Afghanistans und zum Teil in Oddiyana (nordwestliches Pakistan), dem Heimatland des Tantras. Beide Regionen standen damals unter der Herrschaft der Hindu Shahis. Gegen Ende des 10. Jahrhunderts gelangte die Kalachakra-Literatur auf den indischen Subkontinent, wobei sie sich in Kaschmir vermutlich mit der Erfahrung der Invasionen der Ghaznawiden (1001-1025 u.Z.) verband. Kurz darauf wurde sie nach Tibet übermittelt. Die Kalachakra-Literatur ist allerdings immer ein relativ kleines Element der indisch-tibetischen Tradition des Buddhismus geblieben. Man muss also hinsichtlich des Bestehens buddhistischer Kenntnisse über den Islam die richtige Perspektive beibehalten: Größtenteils blieben die Buddhisten uninformiert über die islamischen Lehren.

Die ismaelitische Schia von Multan als Primärquelle für diejenige Form von Islam, auf die sich die Kalachakra-Literatur bezieht.

Um die frühe buddhistische Sicht des Islams nicht falsch zu verstehen ist es wichtig, die Form von Islam zu identifizieren, welche in der Kalachakra-Literatur beschrieben wird. Die Texte beziehen sich nicht auf den Islam als Ganzes und ganz sicher nicht auf den Islam, wie er heute in seiner großen Bandbreite von Formen verstanden und praktiziert wird. Die Texte sprechen spezifischer von einem fremden Volk, welches in der Zukunft das Königreich Shambhala – das gebirgige Land, in dem die Kalachakra-Lehren blühen – mit Invasion bedrohen wird. Den Beschreibungen nach, die von diesen zukünftigen Invasoren gegeben werden, scheint es sich um Anhänger der frühen östlichen ismaelitisch-schiitischen Tradition zu handeln.

Die wichtigsten Belege, die diese Hypothese unterstützen, finden sich in dem Text „Das königliche abgekürztee Kalachakra-Tantra“ (tib. bsDus-pa’i rgyud-kyi rgyal-po dus-kyi ‘khor-lo, Skt. Laghu-Kalachakra-tantra-raja), Vers I.153. Dieser Vers präsentiert eine Liste der acht Propheten der zukünftigen Invasoren:

Adam, Noah, Abraham und fünf weitere – Moses, Jesus, der Weißgekleidete, Mohammed und Mahdi… Der achte wird der Geblendete sein. Der siebte wird sich offenkundig zur Stadt Bagdad im Lande Mekka begeben, (dem Ort) auf dieser Welt, an dem ein Teil der Asura(-Kaste) die Form der mächtigen, gnadenlosen Mlecchas haben wird.

Diese Aufzählung ist die standardmäßige ismaelitische Liste von sieben Propheten, mit dem Zusatz des Weißgekleideten. Man könnte annehmen, dass es sich bei dem Weißgekleideten um Mani handelt, den Begründer des Manichäismus, der im dritten Jahrhundert lebte. Doch obwohl frühe ismaelitische Denker möglicherweise einige manichäische Einflüsse vom sogenannten „manichäischen Islam“ aufweisen mögen, pflichten die ismaelitische Theologen der allgemeinen islamischen Verurteilung des Manichäismus als Häresie bei.

Ein möglicher Grund dafür, dass die Liste im Kalachakra acht Propheten aufzählt, könnte darin bestehen, dass damit eine Parallele eine Parallele zu den acht Inkarnationen Vishnus gezogen werden soll, die im unmittelbar vorangehenden Verse I.152 genannt werden. Dies wird dadurch nahegelegt, dass die Anhänger der Propheten als Mitglieder der Asura-Kaste bezeichnet werden. In der buddhistischen Kosmologie sind die Asuras, eine Art eifersüchtiger Halbgötter, Rivalen der hinduistischen Götter, mit denen sie ständig Krieg führen. Wenn es acht Inkarnationen des hinduistischen Gottes Vishnu gibt, sind auch acht Asura-Propheten nötig, um es mit ihnen aufzunehmen.

Eine weitere Erklärung findet sich in einem frühen indischen Kommentar zu diesem Vers, dem „Kommentar zu schwierigen Punkten, genannt ‚Padmani’“ (tib. „Padma-can zhes-bya-ba’i dka’-‘grel“, Skt. „Padmani-nama-panjika“). Demzufolge ist die Bezeichnung „der Weißgekleidete“ ein anderer Name für Mohammed. Jedenfalls verhelfen uns die Sanskrit-Begriffe, mit denen die Kalachakra-Literatur die Anhänger dieser Propheten bezeichnet, zu Rückschlüssen, um diese ismaelitische Gruppe zu lokalisieren. Es scheint, dass es sich um die Ismaeliten von Multan handelt, die in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts u.Z. im nördlichen Sindh lebten, dem heutigen Pakistan.

Die Kalachakra-Literatur bezeichnet die Invasoren regelmäßig als Mleccha (tib. Kla-klo). Dies ist der traditionelle Sanskrit-Name für fremde Invasoren des Subkontinents, beginnend mit Alexander dem Grossen und einschließlich der Kuschan und der hephthalitischen Hunnen. Der Begriff beinhaltet die Bedeutung: Menschen, die unverständliche, nicht-indische Sprachen sprechen. Das Charakteristikum der Mleccha sind ihre gnadenlosen einrückenden Armeen. Der andere Hauptbegriff, der für Invasoren benutzt wird, ist „Tayi.“ Tayi ist im Sanskrit die phonetische Transkription für das arabische Wort tayy (plural: tayayah, tayyaye) bzw. für dessen persische Form tazi. Die Tayyayah waren der stärkste der vormuslimischen arabischen Stämme, der Tayy’id, und „Tazi“ wurde das persische Wort für Araber .Tazi“ war der Begriff, mit dem beispielsweise der letzte Sassaniden-Herrscher Yazdgird III die arabischen Invasoren im Iran bezeichnete.

Das Königreich von Multan war ein Vasallenstaat des ismaelitisch-fatimidischen Reiches, dessen Zentrum in Ägypten lag. Die Fatimiden und ihre Vasallen in Multan umringten das zerbröckelnde Abbasiden-Reich von beiden Seiten und stellten in ihrem Streben nach der Oberhoheit über die islamische Welt eine ernsthafte Bedrohung dar; eine Invasion war zu befürchten. Es ist daher sinnvoll anzunehmen, dass es sich bei den fremden Invasoren, die in den Kalachakra-Texten erwähnt werden, um die Ismaeliten von Multan handelt. Diese Folgerung steht in Übereinstimmung mit der Annahme, dass die Kalachakra-Literatur in den Regionen von Afghanistan und Oddiyana entstand, die unter der Herrschaft der Hindu Shahis standen, und die zu jener Zeit zwischen Multan und den abbasidischen Gebieten eingezwängt waren.

Die Beschreibung der Glaubensinhalte der Tayi im Kalachakra

Die Kalachakra-Texte erwähnen einige der Bräuche und Glaubensinhalte der Tayi-Mleccha. Die meisten dieser Glaubensinhalte sind im gesamten Islam von grundlegender Bedeutung. Einige scheinen speziell zum damaligen ismaelitischen Denken zu gehören zu sein, während andere im Widerspruch zu diesem Denken stehen. Diese Diskrepanz weist möglicherweise darauf hin, dass die Herausgeber der Kalachakra-Literatur unvollständige Information über die in Multan gepflegten ismaelitische Glaubensinhalte hatten, und dass sie daher ihre Darstellung mit Informationen aus anderen, ihnen bekannten Islam-Formen vervollständigten. Andererseits könnte es auch ein Hinweis darauf sein, dass die theologischen Ansichten des wichtigsten damaligen ismaelitische Denkers – Abu Ya’kub Al-Sijistani, ein ausgesprochener Befürworter des fatimidischen Staates – sich in Multan noch nicht weit verbreitet hatten. Dies wäre möglich, obwohl Al-Sijistanis Werke die offizielle fatimidische Lehre darstellen, wie sie in den östlichen ismaelitische Gebieten dieser Zeit vorherrschend waren.

Jedenfalls müssen wir aufpassen, dass wir nicht fälschlich annehmen, die Darstellung der Glaubensinhalte der Tayi im Kalachakra sei repräsentativ für die Sicht des gesamten Islams durch die gesamte buddhistische Bevölkerung Asiens während seiner gesamten Geschichte. Die Beschreibung ist beschränkt auf einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit in einem speziellen politisch-historischen Kontext. Nichtsdestotrotz sind die Darstellungen des Kalachakras relevant, da sie, nach dem Wissen des Autors des vorliegenden Aufsatzes, die einzigen klassischen buddhistischen Texte sind, die irgendwelche islamischen Glaubensinhalte ansprechen. Somit sind sie einzigartig als Primärquelle, die tatsächlich eine klassische buddhistische Sicht des Islams offenbart.

Die Schöpfung und der Gehorsam gegenüber Allah

In dem Text „Das königliche abgekürztee Kalachakra-Tantra“, II.164cd heißt es:

Geschaffen vom Schöpfer ist alles, was entsteht, was sich bewegt und unbewegt ist. Wenn man ihm wohlgefällig ist, und das ist für die Tayi die Ursache für die Befreiung, gewinnt man den Himmel. Dies ist tatsächlich die Lehre Rahmans für die Menschen.

„Rahman“, einer der Namen Allahs, bedeutet auf Arabisch „Mitfühlender“.

Pundarika erläutert in der Schrift „Makelloses Licht: Ein Kommentar zur Erklärung des ‚ königlichen zusammengefassten Kalachakra-Tantras’“ (tib. bsDus-pa’i rgyud-kyi rgyal-po dus-kyi ‘khor-lo’i ‘grel-bshad dri-ma med-pa’i ‘od, Skt. Vimalaprabha-nama-laghu-Kalachakra-tantra-raja-tika):

Nun zu den Aussagen der Tayi-Mlecchas, wonach der Schöpfer Rahman alle wirksamen Phänomene, sowohl die sich bewegenden als die unbewegten, entstehen lässt. Für die Tayis, die weißgekleideten Mlecchas, ist besteht die Ursache für die Befreiung darin, Rahman zu erfreuen, und dies bringt den Menschen mit Sicherheit eine höhere Wiedergeburt (im Paradies). Daraus, dass man ihm nicht gefällig ist, folgt (eine Wiedergeburt in der) Hölle. Dies sind die Lehren von Rahman, die Ansichten der Tayis.

In diesem Abschnitt bezieht sich die Bezeichnung der Tayis als „weißgekleidet“ möglicherweise auf die muslimischen Pilger, die während ihres Haddsch nach Mekka schlichte weiße Gewänder trugen.

Gemäß Al-Sijistani hat Allah durch Seinen Befehl oder Sein Wort den universellen „Intellekt“ geschaffen. Der universelle „Intellekt“ ist ein ewiges, bewegungsloses, unveränderliches und vollkommenes ursprüngliches Wesen. Es ist ein undifferenziertes Universelles, etwa wie eine Art universeller „Geist“, jedoch in der Form eines Wesens. Aus dem universellen „Intellekt“ ging als Emanation eine universelle „Seele“ hervor, die ebenfalls ewig, aber ständig in Bewegung und unvollkommen ist. In der universellen „Seele“ tritt die physische Welt der Natur hervor. Die universelle „Seele“ hat zwei entgegengesetzte Tendenzen: Bewegung und Stillstand. In der physischen Realität schafft Bewegung die Form, Stillstand schafft die Materie. Die Materie bleibt unbewegt und statisch, während ihre Formen sich ständig bewegen und wandeln.

Daher liegt möglicherweise ein Bezug auf Al-Sijistanis Erklärung der Schöpfung vor, wenn „Das königliche abgekürztee Kalachakra-Tantra“ bemerkt:

Geschaffen vom Schöpfer ist alles, was entsteht, sei es bewegt oder unbewegt.

Die Vorstellungen eines universellen „Intellekts“ und einer universellen „Seele“ blieben im ismaelitischen Denken weiterhin vorherrschend, kommen aber in anderen Formen des Islams nicht vor.

Al-Sijistani behauptet allerdings nicht, dass Allah zu erfreuen – im allgemeinen islamische Sinne, den Gesetzen der Scharia zu folgen, bzw., im allgemeinen schiitischen und später ismaelitische Sinne, die Unfehlbarkeit der Linie der Imame anzuerkennen – die Ursache für „eine höhere Wiedergeburt im Paradies“ ist. Seine Darstellung der Ursache dafür, dass man ins Paradies kommt, unterscheidet sich beträchtlich davon.

Gemäß Al-Sijistani lässt die universelle „Seele“ individuelle, einzelne Seelen entstehen, die in die physische Welt der Materie und Form herabsteigen. In jedem einzelnen, individuellen menschlichen Wesen macht sich die individuelle Seele einen individuellen Anteil des universellen „Intellekts“ zu eigen, der somit partiell und limitiert ist. Die Ursache dafür, ins Paradies einzugehen, ist eine von der individuellen Seele getroffene Unterscheidung, durch die sie sich von den Freuden der körperlichen Welt abwendet und stattdessen dem reinen Reich des universellen „Intellekts“ zuwendet. Indem sie dies tut, lernt eine individuelle Seele die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Falschheit sowie zwischen Gut und Böse.

Beschneidung, der Fastenmonat Ramadan und Halal

Pundarika erklärt in seiner Schrift „Der glorreiche tiefste Dienst“ (tib. dPal don-dam-pa’i bsnyen-pa, Skt. Shriparamartha-seva):

Nach Auffassung anderer ist die Ursache für eine höhere Wiedergeburt (im Paradies), dass man sich die Haut an der Spitze des Penis abschneiden lässt und sein Essen am Ende des Tages und zu Anfang der Nacht zu sich zu nehmen. Dies ist mit Sicherheit das, was die Tayis tun. Sie essen nicht das Fleisch von Tieren, die durch ihr eigenes Karma (eines natürlichen Todes) gestorben sind. Vielmehr essen sie solche, die geschlachtet wurden. Ansonsten gibt es kein Erreichen einer höheren Wiedergeburt (im Paradies) für die Menschen.

In der Schrift „Makelloses Licht“ verstärkt Pundarika den zweiten Teil dieser Zeilen:

Mit einem Hackmesser schneiden sie dem Vieh mit dem Mantra des Mleccha-Gottes Bishimilla die Gurgel durch, und dann essen sie das Fleisch dieser Tiere, die mit dem Mantra ihres Gottes geschlachtet wurden. Das Fleisch derjenigen, die (eines natürlichen Todes) gestorben sind, essen sie nicht.

Bishimilla“(Ar. Bismillah) bedeutet „im Namen Allahs.“

Diese Textstellen verweisen auf die allgemeinen islamischen Bräuche der Beschneidung, des Essens nach Sonnenuntergang während des Fastenmonats Ramadan und das Befolgen der Essensvorschriften des Halals.

Ethik, Beten und Verbot von Statuen, die Gott darstellen

In der Schrift „Die Essenz des weiteren Tantras des glorreichen Kalachakra-Tantra“ (tib. dPal dus-kyi ‘khor-lo’i rgyud phyi-ma rgyud-kyi snying-po, Skt. Shri-Kalachakra-tantrottaratantra-hrdaya), steht:

Indem sie den Lehren derer folgen, deren Frauen Schleier tragen … zerstören die Pferdereiter-Horden der Tayi in der Schlacht jegliche Statuen von Göttern, die da sein mögen, ausnahmslos. Sie haben eine einzige Kaste, stehlen nicht und sprechen die Wahrheit. Sie halten sich sauber, meiden die Gattinnen anderer, folgen speziellen asketischen Übungen und bleiben ihren eignen Frauen treu. Nachdem sie sich zuvor gewaschen haben, bringen die Tayi, die Nicht-Buddhisten (tib. mu-stegs-pa, Skt. tirthika), zu einer speziell gewählten Zeit während der pechschwarzen Nacht und zu Mittag, in der Dämmerung, zur Mitte des Nachmittags und wenn die Sonne über die Berge steigt, fünf Mal (täglich) ihre Verehrung dar, indem sie sich in Richtung ihres Heiligen Landes zu Boden werfen und einzig Zuflucht nehmen zum ‚Herren derjenigen mit Tamas’ im himmlischen Reich über der Erde.

Tamas ist eine der drei elementaren Eigenschaften (tib. yon-tan gsum, Skt. triguna), in die das indische philosophische System der Samkhyas das Universum unterteilt. Gemäß der Schrift „Das königliche abgekürztee Kalachakra-Tantra“, I.153, sind „diejenigen mit Tamas“ die Propheten Moses, Jesus, Mani, Muhammad und Mahdi.

Hier erklärt der Kalachakra-Text auch Glaubensinhalte, die allen Muslimen gemeinsam sind: keine „götzenbildnerischen “ Statuen anzufertigen, die Gleichheit aller Gläubigen im Islam zu respektieren, sich an strenge ethische Regeln zu halten und fünf Mal täglich zu beten.

Problematische Punkte, die in den Kalachakra-Texten erwähnt werden

Die Kalachakra-Literatur verweist auf zwei problematische Eigenschaften der Tayi-Lehren, welche die religiöse Harmonie beeinträchtigen könnten. Es ist allerdings von Bedeutung, dass die Literatur keinen Hinweis darauf gibt, dass diese problematischen Eigenschaften Ursachen für eine künftige Invasion durch die Truppen der Tayi sein werden. Invasionen finden gemäß der Kalachakra-Sicht von Zeitzyklen periodisch statt. Nach Aussage des Textes „Das königliche abgekürztee Kalachakra-Tantra“, II.48-50, müssen die Invasionen als Spiegel und Darstellung der periodischen Invasionen des Geistes jedes Einzelnen durch störende Emotionen und Geisteshaltungen verstanden werden. Außerdem ist keiner der genannten Punkte ausschließlich im ismaelitischen Denken von Multan zu finden und ebenso wenig nur im Islam. Es sind Punkte, die auch anderen Religionen gemeinsam sind.

Das Schlachten von Opfertieren

Das erste Element, welches die Kalachakra-Texte als problematisch bezeichnen, fand sich auch bei den damaligen Hinduisten. Das Problem betrifft das Schlachten von Vieh im Namen des Tayi-Gottes Bismillah. Aufgrund dessen hält Pundarika in seiner Schrift „Makelloses Licht“ die Halal-Methode des Schlachtens fälschlicherweise für ein Opfer an Gott, das dem vedischen Ritual ähnelt. Indem er sich an eine hinduistische Leserschaft wendet schreibt Pundarika,

Aufgrund der Worte in euren (vedischen) Schriften: ‚Benutzt Vieh für die Opfer’ werdet ihr der Ansicht sein, dass die Lehren der (Tayi) gültig sind.

Die buddhistischen Lehren lehnen Tieropfer entschieden ab. Gemäß der Lehre Buddhas werden fühlende Wesen wiederholt geboren, und zwar in jeder beliebigen Lebensform, die einen Geist hat – so auch als Menschen und als Tiere. Folglich könnte jedes beliebige Tier, das man schlachtet, die eigene Mutter aus einem vorhergehenden Leben sein. Die Kalachakra-Texte halten zwar fälschlich die Halal-Methode des Schlachtens für ein Opfer und enthalten keinen Hinweis auf das Opfern von Schafen durch die Pilger während des Haddsch, aber Schlachtopfer waren und sind weiterhin ein problematischer Punkt in Gesprächen zwischen Buddhismus und Islam.

Die Schwierigkeit, als Anhänger buddhistischer Lehren das Schlachten von Opfertieren zu akzeptieren, bezieht sich allerdings nicht nur auf den Islam, sondern auch auf bestimmte Formen von Hinduismus. Das Problem betrifft sogar auch einige Formen von Buddhismus, die mit einheimischen Bräuchen vermischt wurden. So riet der Dalai Lama während der Kalachakra-Initiation, die er im Januar 1975 im indischen Bodh Gaya erteilte, denjenigen Buddhisten, welche aus entfernten Himalaya-Regionen stammten, sehr energisch, jegliches Schlachten von Opfertieren einzustellen.

In neuer Zeit scheinen die Buddhisten die Halal-Methode des Schlachtens nicht mehr mit Opfern in Verbindung zu bringen. Zum Beispiel durften in Tibet in der Zeit vor der kommunistischen Machtübernahme die ortsansässigen Muslime nicht nur Halal-gemäß schlachten; viele tibetische Nomaden brachten auch ihr Vieh zu den muslimischen Metzgern, um es schlachten und als Fleisch verkaufen zu lassen. Tatsächlich waren die meisten Tibeter der Meinung, dass man die besten Fleischgerichte in den muslimischen Restaurants bekam, und hatten keine Skrupel oder Bedenken, dort essen zu gehen.

Das Leben nach dem Tod

Der zweite problematische Bereich zwischen den beiden Glaubenssystemen, welcher in den Kalachakra-Texten erwähnt wird, betrifft die Natur des Lebens nach dem Tod. „Das königliche abgekürztee Kalachakra-Tantra“, II.174, besagt:

[Die Tayis glauben:] Durch das (ewige) Leben nach dem Tod erfährt eine Person (die Wirkung ihrer) früher begangenen karmischen Handlungen dieser Welt. Wenn das tatsächlich so wäre, dann würde nicht von einer Wiedergeburt zur nächsten der Abbau des Karmas von Menschen erfolgen. Es gäbe kein Verlassen von Samsara und keinen Eintritt in die Befreiung, noch nicht einmal im Sinne unermesslicher Existenz. Die obige Denkweise findet sich unter den Tayis, obwohl sie von anderen Gruppen verworfen wird.

Pundarika erläutert diese Stelle in der Schrift „Makelloses Licht“:

Die Behauptung der Mleccha Tayis ist, dass Menschen, die sterben, Glück oder Leid in einer höheren Wiedergeburt (im Paradies) oder in der Hölle mit ihrem menschlichen Körper erfahren, aufgrund von Rahmans Entscheidung.

Dieser Abschnitt bezieht sich auf den allgemeinen islamischen Glauben an den Tag der Jüngsten Gerichts, an dem alle Menschen in ihrem menschlichen Körper von den Toten auferstehen und von Allah beurteilt werden. Aufgrund ihrer vergangenen Taten werden sie entweder ins ewige Glück im Paradies oder zu ewigem Leiden in der Hölle fortschreiten, wobei sie weiterhin ihren menschlichen Körper behalten. Die ismailitischen Lehren dagegen, wie sie Al-Sijistani formuliert, verneinen die Wiederauferstehung des menschlichen Körpers. Nach Al-Sijistani werden das Glück des Paradieses und das Leiden der Hölle von der individuellen Seele rein geistig erlebt, ohne irgendeinen physischen Aspekt.

Der Buddhismus hingegen vertritt mit seiner Lehre vom Karma, dass durch die Kraft der eigenen karmischen Handlungen, die durch störende Emotionen und Geisteshaltungen motiviert sind, immer weitere Wiedergeburten stattfinden (Skt. samsara). Destruktive Handlungen, die von Wut, Gier, Anhaftung oder Naivität in Bezug auf verhaltensbedingte Ursachen und Wirkungen motiviert sind, führen zu einer Wiedergeburt in einer Hölle oder als Geist oder als Tier. Konstruktive Handlungen, die aber weiterhin mit Naivität bezüglich der Realität verbunden sind, führen zu Wiedergeburten [Existenzen] als Mensch, als Asura („Gegen-Gott“) oder in einem Himmel. Jede dieser Arten von Wiedergeburt, die jeder erfahren kann – einschließlich der Wiedergeburt in einem Himmel oder einer Hölle – , geht mit ihrer eigenen Art von Körper einher, der für diesen Daseinsbereich typisch ist. Man kann nicht mit einem menschlichen Körper in einen Himmel oder in einer Hölle wiedergeboren werden.

Des weiteren lehrt der Buddhismus, dass die karmische Hinterlassenschaft jeder karmischen Handlung nur für eine begrenzte Zeit als Glück oder Leiden reift. Wenn die Reifung dieser karmischen Hinterlassenschaft stattgefunden hat, ist sie verbraucht. Man stirbt dann in jener himmlischen oder höllischen Existenz und wird wieder in einem anderen samsarischen Daseinsbereich erneut geboren. Vom buddhistischen Gesichtspunkt kann die Existenz in einem Himmel oder in einer Hölle nicht ewig währen. Die eigenen immer wieder stattfindenden samsarischen Wiedergeburten werden sich hingegen, eine nach der anderen, ewig fortsetzen, außer wenn man sich vollkommen von ihren wahren Ursachen befreit. Außerdem gilt: Sogar das Glück einer himmlischen Wiedergeburt ist eine Form von Leiden, da es nie zufriedenstellt und irgendwann zu einem Ende kommt.

Somit lehrt der Buddhismus Folgendes: Wenn man sich von allen störenden Emotionen und Geisteshaltungen befreit, hört man auf, karmische Handlungen zu begehen, die zu immer weiteren samsarischen Wiedergeburten führen würden, ob in einem Himmel, einer Hölle, auf diesem Planeten oder anderswo. Auf ähnliche Weise befreit man sich von der bereits angesammelten karmischen Hinterlassenschaft. Dann erreicht man auf der Grundlage konstruktiver Handlungen, welche ohne Naivität in Bezug auf die Realität ausgeführt werden, einen dauerhaften, friedlichen, freudigen Zustand des Nirvana, d.h. Befreiung von den fortgesetzten samsarischen Wiedergeburten. Es gibt keinen Tag des Gerichts und keinen Richter. Immer wieder stattfindende samsarische Wiedergeburt ist keine Strafe und das Erreichen des Nirvanas keine Belohnung. Die Verbindung zwischen verhaltensbedingten Ursachen und Wirkungen geschieht rein mechanisch, ohne göttliches Eingreifen.

Wie im Falle des Schlachtens von Opfertieren ist der problematische Bereich im Zusammenhang mit der Natur des Lebens nach dem Tod und ewigem Himmel oder Hölle nicht auf unterschiedliche Behauptungen zwischen Buddhismus und Islam begrenzt; es ist ein problematisches Thema zwischen Buddhisten und Hindus einerseits sowie Muslimen und Christen andererseits.

Der Kampf mit den Mleccha Tayi in der Kalachakra-Literatur

Das königliche abgekürztee Kalachakra-Tantra“, I.158-166 beschreibt eine Invasion von Shambhala durch die Mleccha Tayi, 1800 Jahre nach der Gründung ihrer Religion, und ihre Niederlage in einer Schlacht gegen die Armeen von Shambhala. Doch im nächsten Kapitel (II 48-50ab) erklärt der Text die inneren Entsprechungen für den Kampf in den Begriffen von Methoden der Meditation. Diese Verse schließen mit den Worten (II.50cd):

Die Schlacht mit dem Herrn der Mleccha findet eindeutig innerhalb des Körpers der verkörperten Wesen statt. Die äußere (Ebene der Schlacht), andererseits, ist in Wirklichkeit eine illusorische Form. Die Schlacht mit den Mleccha im Falle von Mekka ist (also) nicht (tatsächlich) eine Schlacht.

Der tibetische Kommentator Kedrubje (mKhas-grub rje dGe-legs dpal-bzang), der im 15. Jahrhundert u.Z. lebte, erläutert dazu in seiner Schrift „Die tiefgründigste Natur der Wirklichkeit erhellen. Ausführliche Erklärungen zum Werk ‚Das makellose Licht’; der umfassende Kommentar zum glorreichen „Kalachakra-Tantra“ (dPal dus-kyi ‘khor-lo’i ‘grel-chen dri-ma med-pa’i ‘od-kyi rgya-cher bshad-pa de-kho-na-nyid snang-bar byed-pa):

Diese Erklärung im zweiten Kapitel ist die endgültige Bedeutung der Beschreibung jener Schlacht im ersten Kapitel, die diese Bedeutung veranschaulicht. Sie muss auf das Yoga gezogen werden, das aus dem Durchdringen der entscheidenden Punkte im eigenen Körper entsteht ... Wenn es in dem Text heißt, dass diese (äußere Ebene) eine illusorische Form ist, bedeutet dies, dass die beabsichtigte Bedeutung der Darstellung der Schlacht, die im ersten Kapitel beschrieben wird, das ist, was hier im zweiten Kapitel beschrieben wird. Es besteht keine andere Absicht, als eine Form von Schlacht darzustellen, die eine Emanation ist – wie eine illusorische Form; (die Absicht besteht) nicht (darin, dass Menschen) sich in einer Weise verhalten, die großes Leid verursacht, indem man gegen die Mleccha kämpft und sie tötet.

Obwohl es also oberflächlich so erscheinen könnte, als sage die Kalachakra-Literatur einen großen Krieg zwischen den Buddhisten und den Muslimen vorher, machen die Texte und Kommentare deutlich, dass der Kampf lediglich als Darstellung eines inneren Kampfes gegen die Kräfte der eigenen störenden und destruktiven Geisteszustände verstanden werden muss.

Gemeinsame Punkte, die jedoch in jedem der beiden Systeme unterschiedlich interpretiert werden

Der Buddhismus vertritt den Standpunkt, dass Buddha geschickt in seinen Methoden war und allen Lebewesen Nutzen zu erweisen wünschte. Deshalb lehrte er auf verschiedene Arten, um verschiedenen Mentalitäten gerecht zu werden. So gab Buddha Unterweisungen, die Parallelen zu bestimmten Behauptungen in anderen Glaubenssystemen aufwiesen. Obwohl der Buddhismus und diese anderen Systeme die Punkte, die in diesen Lehren zum Ausdruck gebracht wurden, auf unterschiedliche Weise verstanden, konnte die Gemeinsamkeit doch eine Grundlage für religiöse Harmonie, Verständnis und friedliche Kooperation herstellen. Die Kalachakra-Literatur demonstriert dieses Prinzip.

Der tibetische Kommentator Mipam (Mi-pham ‘Jam-dbyangs rnam-rgyal rgya-mtsho), der im 19. Jahrhundert u.Z. lebte, erklärt in seiner Schrift „Das Leuchten der Vajra-Sonne, das die Bedeutung der Worte des ‚ Glorreichen Kalachakra-Tantra’ klärt – ein Kommentar zum Kapitel (Fünf). ‚Tiefes Gewahrsein’“ (dPal dus-kyi ‘khor-lo’i rgyud-kyi tshig don rab-tu gsal-byed rdo-rje nyi-ma’i snang-ba Ye-shes le’u’i ‘grel-chen):

Die Mleccha vertreten zwei (philosophische Inhalte): Sie vertreten die Sicht, dass äußere Phänomene die Natur einer Ansammlung von Atomen haben, und sie vertreten die Sicht, dass ein Selbst einer Person existiert, welches vom vorübergehend Geburt annimmt bzw. einen Aspekt hat, der in Samsara Geburt annimmt. Das Ziel ist, die Frucht des Glücks der Götter im Paradies zu gewinnen. Irgendeine andere Art von Nirvana als das vertreten sie nicht.

Die Natur von Atomen

Mipam führt keinen spezifischen Text an, in dem Buddha davon sprach, dass Materie aus Atomen zusammengesetzt ist. Doch indem Mipam im Anschluss an seine Besprechung der Sicht der Invasoren eine fortschreitende Darstellung der vier Schulen der indischen buddhistischen Philosophie folgen lässt, gibt er indirekt zu verstehen, dass sich die Behauptungen der Tayi in die buddhistische Darstellung einfügen lassen. Er erklärt, dass die Vaibhashika- und die Sautrantika-Schule des Hinayana-Buddhismus die Existenz teileloser, nicht weiter aufzuspaltender Atome annehmen, während die Chittamatra- und die Madhyamaka-Schule des Mahayana-Buddhismus vertreten, dass Atome endlos weiter aufgeteilt werden können.

Ähnlich vertreten in den philosophischen Sichtweisen, die sich im Islam vor der Mitte des 10. Jahrhunderts u.Z. entwickelt hatten, bestimmte Autoren, dass Atome unteilbar seien. Dazu gehörten beispielsweise Al-Hakam und Al-Nazzam in der schiitischen Mu’tazili-Schule der Disputation sowie der sunnitische Theologe Al-Ash’ari. Die meisten anderen islamischen Theologen jener und späterer Zeit vertraten den Standpunkt, dass Atome unendlich weiter teilbar sind. Bei Al-Sijistani allerdings scheint hinsichtlich der Teilbarkeit von Atomen Unklarheit zu bestehen.

Buddhisten und Muslime verwendeten jedoch sehr unterschiedliche Argumente, um zu widerlegen, dass Atome unteilbar sind. Die Buddhisten argumentieren, es sei unlogisch, dass Atome nicht zumindest in Richtungen oder Seiten unterteilt werden können, denn ansonsten wäre es unmöglich, dass sich zwei Atome aneinanderfügen. Damit sich zwei Atome aneinanderfügen können, müssen sie auf nur einer ihrer Seiten zusammenkommen, und somit können sie, zumindest geistig, in Seiten oder Richtungen unterteilt werden. Das islamische Hauptargument ist, dass, wenn die Atome unteilbar wären, dies eine Einschränkung der Kräfte Allahs bedeuten würde. Da Allah allmächtig ist, muss Er imstande sein, ein Atom unendlich weiter zu teilen.

Die Natur von Personen oder Seelen

Mipam fährt fort:

Da er ihre Neigungen und Gedanken kannte, lehrte Buddha Sutras mit Inhalten, die sie (die Tayis) akzeptieren konnten. Im „Sutra des Tragens der Verantwortung“ (Khur ‘khu-ba’i mdo) zum Beispiel sagte Buddha, dass die Personen, die Verantwortung (für ihre Handlungen) tragen, existieren, ohne jedoch davon zu sprechen, dass die Seele einer Person beständig oder unbeständig sei. Diese Punkte sind oberflächlich betrachtet wahr und entsprechen den Aussagen (der Tayi). Die Bedeutung, die der Buddha im Sinn hatte, ist, dass Personen als Kontinuität eines Selbst existieren, welches die Verantwortung für sein Karma trägt, aber lediglich einem Kontinuum zugeschrieben wird und von seiner Natur her weder beständig noch unbeständig ist.

Die buddhistische Sicht

Der Buddhismus lehrt, dass es eine endliche, aber unzählbare Anzahl individueller Personen und geistiger Kontinua gibt. Eine individuelle Person ist ein Phänomen, das einem individuellen geistigen Kontinuum zugeschrieben wird, ähnlich wie eine Gewohnheit einem Kontinuum von wiederholten Formen ähnlichen Verhaltens zugeschrieben werden kann.

Die Kontinuität jeder individuellen Person, ebenso wie die Kontinuität eines jeden individuellen geistigen Kontinuums, ist ewig, aber nicht statisch. Diese Kontinuitäten sind ewig in dem Sinne, dass sie keinen Anfang und kein Ende haben. In dem Sinne, dass sie sich von Augenblick zu Augenblick verändern, sind sie jedoch nicht-statisch. Jede Person tut jeden Moment etwas anderes, zum Beispiel nimmt sie dauernd andere Objekte wahr.

Während sie unter dem Einfluss von Naivität steht, begeht jede Person karmische Handlungen und trägt Verantwortung für diese Handlungen. Die karmischen Vermächtnisse dieser Handlungen reifen durch eine Kontinuität von Wiedergeburten als Erfahrung dieser Person von samsarischem Glück oder Leiden. Wenn eine Person imstande ist, kontinuierlich ein korrektes Gewahrsein der Realität aufrechtzuerhalten, wird sie frei davon, das Reifen dieser Vermächtnisse je erleben zu müssen. So endet die Kontinuität samsarischer Existenz dieser Person für immer und die Person erlangt die Befreiung, das Nirvana. Nichtsdestotrotz setzt sich die ständig wandelnde Kontinuität dieser individuellen Person und des geistigen Kontinuums, dem diese individuelle Person zugeschrieben wird, ewig fort, selbst nach dem Erreichen des Nirvana.

Kurz, nach Ansicht des Mahayana-Buddhismus, dem buddhistischen Zweig, zu dem das Kalachakra gehört, ist eine individuelle Person nicht beständig im Sinne von statisch, und ebenso wenig ist eine individuelle Person unbeständig im Sinne von temporär. Zudem ist die samsarische Existenz einer individuellen Person nicht beständig im Sinne von ewig; und ebenso wenig ist die nirvanische Existenz einer individuellen Person unbeständig im Sinne von temporär.

Die ismaelitische Sicht von Al-Sijistani

Al-Sijistani macht ebenfalls die Aussage, dass Personen – in diesem Fall: Seelen – Verantwortung für ihre Handlungen tragen und dass sie weder beständig noch unbeständig sind. Allerdings ist die metaphysische Grundlage für seine Aussagen recht verschieden von der buddhistischen. Die universelle „Seele“ ist nicht beständig im Sinne von statisch, sondern vielmehr in fortwährender Bewegung, in einem ständigen Fluss. Sie ist jedoch auch nicht unbeständig im Sinne von temporär, sie ist vielmehr ewig.

Gemäß Al-Sijistani sind alle individuellen Seelen von Menschen Teile oder Segmente derselben universellen „Seele“. Wenn eine individuelle Seele einen menschlichen Körper verlässt, kommt ihre zeitweilige körperliche Existenz zu einem Ende. Sie kehrt zurück zur undifferenzierten universellen „Seele“ und wird bis zum Tag des Jüngsten Gerichts keine weitere körperliche Existenz mehr annehmen. Trotzdem behält eine unverkörperte Seele irgendwie ihre Individualität. Zur Zeit der Wiederauferstehung und des Gerichts erlangt die individuelle Seele die geistigen Freuden des ewigen Paradises, wenn sie durch ihre Verbindung mit einem individuellen Intellekt, während sie verkörpert war, ausreichend sinnvolle Kenntnis der Wahrheit erlangt hat. Wenn die individuelle Seele während der Zeit ihrer Verkörperung in physische Sinnlichkeit verstrickt geblieben ist und keine vernünftige Kenntnis der Wahrheit gewonnen hat, erlangt sie ewige geistige Qualen in der Hölle.

Die individuelle Seele ist also nicht beständig – in dem Sinne, dass sie nicht ewig in ihrem verkörperten Zustand verbleibt. Allerdings ist sie auch nicht unbeständig – in dem Sinne, dass sie nach der Wiederauferstehung und dem Letzten Gericht für immer fortbesteht, verantwortlich für ihre Handlungen während der Zeit ihrer Verkörperung.

Die Natur des Schöpfers

Der Buddhismus vertritt nicht den Standpunkt, dass es einen allmächtigen Schöpfer des Universums gibt, der lenkt, was darin geschieht. Ebenso wenig behauptet er, dass es einen absoluten Anfang oder ein absolutes Ende des Universums oder individueller Wesen gibt. Allerdings spricht die Kalachakra-Literatur wiederholt von einem ewigen, individuellen Geist des klaren Lichts in jedem Wesen. Durch die Kraft der karmischen Hinterlassenschaft, die jedes Wesen durch sein vorhergehendes Verhalten aufgebaut hat, erschafft diese tiefste Ebene des Geistes alle Erscheinungen der samsarischen und der nirvanischen Existenz, die dieses Wesen individuell und subjektiv erlebt. Da diese Ebene, der Geist des klaren Lichts, jegliches Potenzial hat, das einem jeden Lebewesen ermöglicht, ein erleuchteter Buddha zu werden, wird sie in der Kalachakra-Literatur als Adibuddha bezeichnet, d.h. als erster bzw. ursprünglichet Buddha – „erster“ in dem Sinne, dass es sich um den ersten bzw. tiefsten Ursprung der Buddhaschaft handelt.

Um sich dem ersten der fünf pancasila-Prinzipien, die die philosophische Grundlage des indonesischen Staates bilden, anzupassen, nämlich dem Glauben an den einen und einzigen Gott, haben indonesische Buddhisten gesagt, dass Adibuddha das buddhistische Äquivalent zu Gott sei. Zwar ist Adibuddha kein allmächtiger Schöpfer oder Richter in dem Sinne, wie Allah dies ist, aber nichtsdestotrotz hat die Ebene des Geistes des klaren Lichts in jedem Individuum bestimmte Besonderheiten mit Allah gemeinsam, wie sie von Al-Sijistani beschrieben werden. Sowohl um Allah als auch um Adibuddha zu erkennen, muss man alle Eigenschaften davon negieren und dann auch diese Negierung negieren. Beide sind jenseits von Worte und Vorstellungen. Bei Al-Sijistani erweist dieser Prozess die absolute Transzendenz Allahs, während er im Kalachakra erweist, dass der Geist des klaren Lichts leer von allen Ebenen des Geistes ist, die sich begrifflich mit Existenz oder Nicht-Existenz befassen. Ferner: Im Unterschied zu dem allgemeinen islamischen Standpunkt, dass es für Allah nie eine bildliche Darstellung geben kann, kann Adibuddha auf der konventionellen Ebene durch die Kalachakra-Buddha-Figur mit vier Gesichtern und vierundzwanzig Armen repräsentiert werden.

Zusammenfassung

Kurz, wenn man die metaphysischen Erklärungen der buddhistischen Kalachakra-Literatur und des ismaelitischen Theologen Al-Sijistani nicht tiefer gehend betrachtet, stimmen die beiden Systeme darin überein, dass eine Person oder Seele weder beständig noch unbeständig ist und doch ethische Verantwortung für ihre Handlungen trägt. Beide Systeme betonen ebenfalls die unabdingbare Rolle, die ethisches Verhalten und Kenntnis der Wahrheit für das Erreichen von ewig währendem Glück spielt, sei es das Glück des Nirvana oder in einem ewigen Himmel. Diese Punkte, in denen eine gewisse Übereinstimmung zu finden ist, können als Hinweis auf die Vorgehensweise dienen, die heute verwendet werden kann, um buddhistisch-islamische Kooperation und Harmonie zu fördern.

Die derzeitige buddhistisch-islamisch Interaktion

Gegenwärtig gibt es sieben größere Regionen, in denen buddhistische und muslimische Bevölkerungen zusammen oder in großer Nähe zueinander leben und interagieren. Eine solche Situation besteht in Tibet, Ladakh, im südlichen Thailand, in Malaysia, Indonesien, Burma/Myanmar und Bangladesch. In jeder dieser sieben Regionen ist die Interaktion zwischen den beiden Gruppen allerdings in erster Linie eher durch wirtschaftliche und politische Faktoren bestimmt als durch ihre religiösen Überzeugungen.

Tibet

Die Beziehungen zwischen der einheimischen tibetisch-buddhistischen Bevölkerung und der seit Jahrhunderten fest dort angesiedelten, ursprünglich aus Kaschmir eingewanderten Muslime haben sich auf der Basis der Politik des Fünften Dalai Lamas weiterhin auf harmonische Weise fortgesetzt. Die Mitglieder dieser muslimischen Gemeinschaft werden von den anderen tibetischen Gruppen innerhalb und außerhalb des Landes als Einwohner Tibets voll akzeptiert. Auch im indischen Exil spielen sie weiterhin eine wichtige Rolle in der tibetischen Gesellschaft.

Zwischen den tibetischen Buddhisten und den chinesischen Hui-Muslimen gab es hingegen erhebliche Schwierigkeiten. Diese beiden Gruppen lebten viele Jahrhunderte lang Seite an Seite in der traditionellen nordöstlichen tibetischen Region Amdo, die derzeit zwischen den Provinzen von Qinghai und Gansu der Chinesischen Volksrepublik aufgeteilt ist. Obwohl zeitweise die Kriegsherren der Hui eine starke Kontrolle über Teile dieser Region ausübten, hatten die hier ansässigen Buddhisten und Muslime eine Art der Koexistenz entwickelt, mit der sie leben konnten. In den letzten Jahrzehnten hat jedoch die Regierung der Chinesischen Volksrepublik Tibet als ein Land wirtschaftlicher Möglichkeiten feilgeboten. Folglich haben sich Händler Hui-muslimischer Herkunft in großer Anzahl in traditionell tibetischen Regionen angesiedelt, nicht nur in Amdo, sondern auch in Zentral-Tibet (der Autonomen Region Tibet). Die einheimischen Tibeter betrachten diese Neuankömmlinge als ausländische Konkurrenz und es gibt sehr viel Unmut.

Sowohl die buddhistischen als auch die muslimischen Gruppen, die in den traditionell tibetischen Regionen der Volksrepublik leben, sind von strengen Restriktionen in der Ausübung ihrer Religionen stark eingeschränkt. Vor allem in Zentral-Tibet haben Laien fast keinen Zugang zu religiösen Unterweisungen. Die Zusammenstöße zwischen den beiden Gruppen beruhen also nicht auf religiösen Unterschieden. Das Problem besteht nicht darin, dass die neuen Siedler Muslime sind, sondern vielmehr darin, dass sie Chinesen sind und das wirtschaftliche Überleben der einheimischen Bevölkerung bedrohen. In der gegenwärtigen Situation, in der die führenden Gremien der chinesischen Volksrepublik kulturelle Unterschiede verschärfen und ausnutzen, um ihre Macht aufrechtzuerhalten, sind interreligiöse Dialoge und Zusammenarbeit extrem schwierig zu erreichen.

Ladakh

Ladakh mit seiner tibetisch-buddhistischen Bevölkerung ist derzeit Teil des indischen Staates Kaschmir und Jammu. Die Aufmerksamkeit der muslimischen Nachbarn der Ladakhis im kaschmirischen Teil des Staates ist vor allem auf den politischen Konflikt zwischen Hinduisten und Muslimen gerichtet, in dem es darum geht, ob das Gebiet Pakistan eingegliedert werden, in Indien verbleiben oder zu einem unabhängigen Staat erklärt werden soll. Ferner ist die traditionelle, durch Ladakh verlaufende Handelsroute zwischen Kaschmir und Tibet aufgrund der kommunistischen Herrschaft in China geschlossen. Daher haben die muslimischen Händler in Kaschmir keinen Kontakt mehr zur buddhistischen Gemeinschaft in Tibet und nicht einmal zu der dort zunehmenden muslimischen Gemeinschaft.

Der Konflikt zwischen Buddhisten und Muslimen in Ladakh wird vor allem durch die Konkurrenz um Entwicklungshilfe angeheizt. Da der lebendigen buddhistischen Tradition in Tibet die Basis entzogen wurde, reisen westliche Touristen scharenweise nach Ladakh, um zu erleben, wie tibetischer Buddhismus in einem traditionellen Umfeld praktiziert wird. Infolge des Touristenstroms ist es zu Entwicklungsprojekten gekommen, die von indischen und internationalen Organisationen gefördert werden. Weil die Situation im kaschmirischen Teil des Staates so unberechenbar ist, wurde sehr viel weniger Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dort Entwicklungsprojekte aufzubauen. Natürlich hegen viele kaschmirische Muslime einen Groll gegenüber den Hilfsprojekten, die nach Ladakh geleitet werden. Die Menschen scheinen nicht der Meinung zu sein, dass ein interreligiöser Dialog zwischen Buddhisten und Muslimen eine wichtige Rolle spielen könnte, um eine Lösung für diese Probleme zu finden.

Südliches Thailand

Die Bevölkerung im südlichen Thailand ist überwiegend muslimisch und hat mehr Gemeinsamkeiten mit den Muslimen in Malaysia als mit der buddhistischen Bevölkerung im übrigen Thailand. Die hier auftretenden Konflikte betreffen den Wunsch der Muslime nach größerer politischen Unabhängigkeit. Religiöse Fragen erscheinen dabei irrelevant.

Burma/Myanmar

Ein Drittel der Bevölkerung im nördlichen Staat Rakhaing (Arakan) in Burma/Myanmar ist muslimisch, der Rest buddhistisch. Die beiden Gruppen sind unterschiedlichen ethnischen Ursprungs und sprechen verschiedene Sprachen. Zwischen 1991 und 1992 floh eine Viertelmillion dieser Muslime, die als Rohingyas bekannt sind, nach Bangladesch. Sie flohen allerdings, weil die Regierung sie diskriminiert und unterdrückt. Die Militärregierung, die offiziell den Buddhismus fördert und sich mit ihm assoziiert, betrachtet die muslimische Bevölkerung als ausländische Immigranten. Folglich wird ihnen die Staatsbürgerschaft verweigert, und ihre Bewegungsfreiheit sowie ihr Zugang zu Bildungs- und beruflichen Möglichkeiten sind eingeschränkt. 1995 half der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen bei der freiwilligen Rückführung von 94% dieser muslimischen Flüchtlinge. Sie erhalten weiterhin humanitäre Hilfe; nur zögernd werden ihnen von der Regierung Ausweispapiere ausgestellt. Es kommen allerdings immer noch anti-muslimische Krawalle von Seiten von Buddhisten vor. Die Muslime behaupten, dass diese von der Regierung angestiftet und unterstützt werden. Ein großer Teil der Spannungen zwischen den beiden religiösen und ethnischen Gruppen hat seine Wurzeln allerdings in der bevorzugten Behandlung, die nicht-buddhistischen Gruppen unter der britischen Kolonialherrschaft zuteil wurde. Man könnte die bevorzugte Behandlung von Buddhisten unter der heutigen Militärregierung als Reaktion darauf ansehen. Ohne Änderung der Regierungspolitik scheint es unwahrscheinlich, dass eine Lösung der Spannungen zwischen den Buddhisten und Muslimen in Burma/Myanmar allein durch einen interreligiösen Dialog zustande kommen kann.

Bangladesch

Ein Prozent der Bevölkerung in Bangladesch ist buddhistisch, während die überaus große Mehrheit muslimisch ist. Die Buddhisten leben vor allem im Distrikt Chittagong und in der Provinz Chittagong Hill Tracts. 1988 wurde ein Zusatz zur Verfassung von Bangladesch verabschiedet, der einen „islamischen Lebensstil“ für das Land proklamiert. Seitdem haben sich die Spannungen zwischen den religiösen und sekulären Faktionen in der Regierung verschärft. Dies hat sich seit 2001 mit dem „Krieg gegen den Terror“ noch erheblich verschlimmert. Die amerikanische Invasion von Afghanistan und Irak haben den islamischen Fundamentalismus in Bangladesch angeheizt. Das führte zu einer verstärkten Verfolgung nicht-muslimischer Minderheiten einschließlich der Buddhisten.

Malaysia und Indonesien

Die einheimische Bevölkerung von Malaysia und Indonesien ist mehrheitlich muslimisch, mit verstreuten buddhistischen Minderheiten, die größtenteils aus Auslandschinesen und einigen Südostasiaten bestehen. Die muslimischen und buddhistischen Gruppen halten sich streng an ihre eigenen religiösen Traditionen. In Malaysia ist es ethnischen Malaien sogar durch strenge Gesetze verboten, vom Islam zum Buddhismus überzutreten oder auch nur einer buddhistischen Unterweisung oder Zeremonie beizuwohnen. Die Hauptkonflikte zwischen den beiden Gruppen in beiden Ländern scheinen sich allerdings aus wirtschaftlicher Konkurrenz zu ergeben.

Fazit

Die Förderung und Intensivierung guter Beziehungen und des Dialogs zwischen Buddhisten und Muslimen in Tibet, Ladakh, im südlichen Thailand, Burma/Myanmar, Bangladesch, Malaysia und Indonesien ist wichtig und mit Sicherheit von großem Nutzen. Sie kann das Verhältnis zwischen den beiden religiösen Gruppen entspannen bzw. die Spannungen mildern, auch wenn sie nur in beschränktem Maße positiv auf die wirtschaftlichen und politischen Ursachen der Konflikte einwirken kann. Das Hauptaugenmerk der Entwicklung von gegenseitigem Verständnis und Kooperation zwischen Buddhisten und Muslimen richtet sich auf die Bemühungen führender religiöser Persönlichkeiten der beiden Glaubensrichtungen außerhalb des Kontextes der Situation, in der die buddhistischen und muslimischen Bevölkerungen heutzutage tatsächlich Seite an Seite leben.

Der Standpunkt Seiner Heiligkeit des Dalai Lamas in Bezug auf Islam und interreligiöse Harmonie

Über viele Jahre hat sich Seine Heiligkeit der Vierzehnten Dalai Lama bei interreligiösen Ereignissen an zahlreichen Orten der Welt wiederholt mit leitenden religiösen Persönlichkeiten des Islams getroffen. Die Botschaft des Dalai Lamas ist klar und deutlich. Nach einer Pressekonferenz, die der Dalai Lama am 8. Oktober 2006 im Presseklub der Auslandskorrespondenten von Neu Delhi, Indien, abhielt, berichtete die Agentur France-Presse:

Der Dalai Lama warnte davor, den Islam als eine Religion der Gewalt darzustellen. Er sagte, die Muslime seien seit den Angriffen des 11. Septembers im Westen fälschlicherweise dämonisiert worden. Als Fürsprecher religiöser Toleranz sagte die einflussreichste buddhistische Persönlichkeit am Sontag, dass es ‚falsch und gefährlich ist, von einem Kampf der Kulturen zwischen dem Westen und der muslimischen Welt zu sprechen.’ Die Attentate muslimischer Terroristen habe die Sicht der Menschen in Bezug auf den Islam verzerrt und sie zu dem Glauben verleitet, es handle sich um einen extremistischen Glauben und nicht um einen Glauben, der auf Mitgefühl basiert […] In allen Religionen hat es Extremisten gegeben und ‚es ist ein Fehler, Verallgemeinerungen (im Hinblick auf die Muslime) vorzunehmen. Sie (die Terroristen) können nicht das ganz System repräsentieren.’ Der Dalai Lama sagte, er habe die Rolle eines Verteidigers des Islams übernommen, weil er die Sicht verändern wolle, die die Menschen von den Religionen haben.

Der Dalai Lama sprach dieses Thema erneut an in der Konferenz über „Die Risiken der Globalisierung: Bieten die Religionen eine Lösung oder sind sie Teil des Problems?“, die vom Forum 2000 gefördert wurde und am 10. Oktober 2006 in Prag in der Tchechischen Republik stattfand. Dort sagte er:

In der Vergangenheit wie auch heute hat es Unstimmigkeiten im Namen der Religion gegeben, und um sie zu überwinden, sollten wir einen anhaltenden Dialog zwischen verschiedenen Religionen sichern [...] Wenn Sie wirklich glauben, Ihre Religion komme von Gott, müssen Sie auch glauben, dass andere Religionen ebenfalls von Gott geschaffen wurden.

Hier bildeten die Worte des Dalai Lamas ein Echo zu den Worten von Dr. Sayyid M. Syeed, dem Generalsekretär der islamischen Gesellschaft Nordamerikas. Bei einem interreligiösen Treffen mit dem Titel „Ein Treffen von Herzen, die das Mitgefühl erhellen“, das am 15. April 2006 in San Francisco, Kalifornien, stattfand und an dem auch der Dalai Lama teilnahm, sagte Dr. Syeed:

Der Koran lehrt die Muslime, dass die Menschheit aus Menschen mit einem einzigen Glauben bestehen würde, wenn Allah dies so gewünscht hätte.

Die gegenwärtige Rolle der Kalachakra-Initiation als Schauplatz buddhistisch-muslimischer Harmonie

Eine bemerkenswerte Begleiterscheinung der zunehmenden Entwicklung eines buddhistisch-muslimischen Dialogs ist die Rolle, die die Kalachakra-Initiation als Schauplatz dieses Dialoges gespielt hat. Zum Beispiel wohnte Prinz Sadruddin Aga als Ehrengast der Kalachakra-Initiation bei, die der Dalai Lama im Juli 1985 in Rikon in der Schweiz erteilte. Der inzwischen verstorbene Prinz war der Onkel von Seiner Heiligkeit dem Prinzen Karim Aga Khan IV, dem heutigen spirituellen Leiter des Nizari-Zweiges der ismaelitischen Schiia. Sieben Jahre später wohnte Dr. Tirmiziou Diallo, der durch Erbfolge bestimmte Leiter der Sufis von Guinea, West Afrika, der Kalachakra-Initiation bei, die vom Dalai Lama im Oktober 2002 im österreichischen Graz erteilt wurde.

Während der Kalachakra-Initiation, die der Dalai Lama im Januar 2003 in Bodh Gaya, Indien, erteilte, der heiligsten Stätte der buddhistischen Welt, besuchte der Dalai Lama zudem die örtliche Moschee, die sich neben dem Hauptstupa befindet. Nach Aussagen der offiziellen Berichterstattung des Besuchs von Seiten der Abteilung für Information und Internationale Angelegenheiten der Zentralen tibetischen Verwaltung in Dharamsala, Indien

wurde Seine Heiligkeit dort von Maulana Mohammad Shaheeruddin empfangen, dem Imam der Moschee und dem Rektor einer religiösen Schule, die der Moschee angegliedert ist. In seiner Rede vor den Lehrern und Schülern sagte Seine Heiligkeit, dass wir zwar verschiedenen Religionen folgen, aber im Grunde genommen alle die gleichen menschlichen Wesen sind. Alle religiösen Traditionen lehren uns, ein guter Mensch zu sein. Es liegt also an uns, auf dieses Ziel hinzuarbeiten.

Universelle Verantwortung als Grundlage buddhistisch-islamischer Kooperation

Der Dalai Lama hat oft betont, dass interreligiöse Zusammenarbeit, ob zwischen Buddhisten und Muslimen oder zwischen allen Weltreligionen, auf universellen Wahrheiten basieren muss, die innerhalb des religiösen Rahmens jeder Gruppe akzeptiert werden können. Zwei solche Wahrheiten sind, dass jeder sich wünscht, glücklich zu sein und niemand wünscht zu leiden, und dass die gesamte Welt durch Wechselbeziehungen und gegenseitige Abhängigkeit gekennzeichnet ist. Wie in dem Beispiel aus der Kalachakra-Literatur bezüglich der übereinstimmenden buddhistisch-islamischen Lehre, dass Menschen die ethische Verantwortung für ihre Handlungen tragen, haben auch diese beiden Maximen verschiedene philosophische Erklärungen in den beiden Religionen. Der Buddhismus erklärt die beiden Punkte im Rahmen der Logik, während der Islam sie im Rahmen der Gleichheit aller Geschöpfe Gottes erklärt. Nichtsdestotrotz finden wir in beiden Religionen den Ausdruck ähnlicher Gefühle, die den Grundsatz der universellen Verantwortung unterstützen.

Der buddhistische Meister Shantideva, der im 8. Jahrhunderts u.Z. in Indien lebte, schrieb in seinem Werk „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ (tib. Byang-chub sems-dpa’i spyod-pa-la ‘jug-pa, Skt. Bodhisattvacaryavatara), VIII 91:

So, wie der Körper zwar viele Teile hat und wir Unterscheidungen treffen zwischen den Händen usw., und wir uns dennoch um den Körper als Ganzes kümmern müssen, ganz ähnlich sind auch alle wandernden Wesen trotz all ihrer Unterschiede dennoch im Hinblick auf Glück und Leid allesamt wie ich selbst: Sie wünschen sich glücklich zu sein, und insofern (bilden sie) ein Ganzes.

Ein Hadith, der von Nu’man Ibn Bashir Al-Ansari bewahrt und überliefert wurde, enthält einen entsprechenden Ausspruch des Propheten:

Die Ähnlichkeit der Gläubigen im Hinblick auf ihre Liebe zueinander, ihre Zuneigung und ihr Mitgefühl ist die eines Körpers: Wenn eines der Gliedmaßen Schmerzen leidet, leidet der ganze Körper an Schlaflosigkeit und Fieber.

Durch Lehren wie diese und die anhaltenden Bemühungen nicht nur der führenden Persönlichkeiten des Buddhismus und des Islams, sondern mit Beteiligung von Mitgliedern aller religiösen Gemeinschaften, erscheint die Aussicht auf religiöse Harmonie zwischen Buddhisten und Muslimen und allgemein zwischen allen Weltreligionen durchaus hoffnungsvoll.

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