Verdienst: Muss man sich Glück verdienen?

Die buddhistische Vorstellung von „Verdienst“ ist eng mit den Lehren über Karma verknüpft. Die Bedeutung von Verdienst bezieht sich auf das konstruktive Verhalten und dessen konstruktive Hinterlassenschaft, die sich in unserem Geisteskontinuum dadurch aufbaut. Es handelt sich um ein positives Potenzial, welches dazu heranreifen wird, dass wir uns später in verschiedenen Lebenslagen glücklich fühlen. Dieses Glück ist nicht etwas, das wir uns als Belohnung dafür verdient haben, dass wir gut waren, und niemand kann es uns geben. Glück folgt naturgemäß als Resultat davon, dass man auf konstruktive Weise ohne Ärger, Anhaftung, Gier oder Naivität handelt, spricht und denkt.

Das buddhistische Verständnis von Verdienst

Im Buddhismus ist oft die Rede davon, wie wichtig es ist, Verdienst (engl. „merit“) anzusammeln. Die Übersetzung dieses Begriffes ist allerdings ziemlich verwirrend. Im Englischen hat es eine bestimmte Bedeutung, während die deutsche Übersetzung, „Verdienst“, einen etwas anderen Beiklang hat. Und die Bedeutung des ursprünglichen Sanskrit-Wortes, „Punya“, und dessen tibetischer Entsprechung, „Sönam“ unterscheidet sich von beiden. Deshalb besteht in Bezug darauf allerlei Verwirrung, denn wenn wir den Begriff hören, verbinden wir damit die Bedeutung, die er in unserer eigenen Sprache hat.

Ich möchte heute Abend nicht einfach unterrichten und Informationen weitergeben. Das kann sowohl für Sie als auch für mich recht ermüdend sein. Stattdessen möchte ich dieses Wochenende eher so gestalten, dass wir uns an Fragestellungen orientieren und gemeinsam darüber nachdenken, welche Themen in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Lassen Sie mich zuerst ein paar Begriffsdefinitionen anführen.

Gemäß dem Oxford Dictionary bedeutet das englische Wort „merit“ als Substantiv, „die Qualität, besonders gut oder etwas wert zu sein, insbesondere im Hinblick darauf, dass auf diese Weise Lob oder eine Belohnung verdient wird.“ Als Verb, „to merit“, bedeutet es „etwas wert sein oder verdienen, insbesondere Belohnung, Strafe oder Aufmerksamkeit“, wie z.B. in der Aussage: „Ihre harte Arbeit an dem Projekt verdient prämiert zu werden.“ In alltäglicheren Zusammenhängen scheint das Wort „merit“ nahezulegen, dass man quasi Punkte sammelt, wenn man etwas Gutes tut. Und wenn man genügend Punkte erzielt hat – sagen wir 100 Punkte – gewinnt man eine Art Medaille. Dies ist eine recht kindliche Vorstellung, etwa so wie die Rangabzeichen bei den Pfadfindern. Und das ist gewiss nicht das, was im Buddhismus unter dem Begriff „Punya“ verstanden wird. Das deutsche Wort „Verdienst“ und dessen Verbform, „verdienen“ schaffen noch mehr Verwirrung, weil sie im Zusammenhang mit dem Einkommen verwendet werden, das jemandem gezahlt wird.

Ich ziehe es vor, das damit verbundene Verständnis aus dem Sanskrit bzw. dem Tibetischen als „positive Potenziale“ oder „positive Kraft“ zu übersetzen, da es sich um etwas handelt, das als Resultat von konstruktivem Handeln entsteht und dann zu Glück heranreift. Natürlich werden wir diese Bedeutung noch etwas eingehender untersuchen, denn es gibt drei Fachbegriffe, die in diesem Zusammenhang spezielle Bedeutung haben.

  • Was bedeutet „konstruktiv handeln“?
  • Was verstehen wir unter „Glück“?
  • Was beinhaltet jener Prozess des „Reifens“?
  • Welche Verbindung besteht zwischen konstruktivem Handeln und glücklich sein? Es kann zum Beispiel sein, dass ich versuche, etwas Gutes zu tun, aber das Ergebnis davon ist, dass ich nicht sehr glücklich bin - was geht da vor sich?

Ich denke, zuerst einmal müssen wir die Vorstellung untersuchen, die wir mit dem Wort „Verdienst“ verbinden. Was bedeutet sie im Zusammenhang mit Glück? Bedeutet sie, dass wir uns Glück erwerben müssen bzw. Glück „verdienen“? „Verdienen“ bedeutet, dass man eine Arbeit tut und dafür bezahlt wird; somit hat man etwas verdient. Ist es so, dass wir auf ähnliche Weise daran arbeiten, gut zu sein, und dadurch unser Glück verdienen – ist es das, was damit gemeint ist? Oder heißt es, dass wir es sowieso verdienen, glücklich zu sein? „ Ich habe ein Anrecht darauf, glücklich zu sein. Ich habe dafür bezahlt und nun steht es mir zu, ein gutes Erzeugnis zu bekommen. Wenn nicht, bin ich betrogen worden.“ Das sind ernst zu nehmende Fragen bezüglich der Übersetzungsbegriffe, da das betreffende Wort offenbar die Bedeutung beinhalten kann, dass man sich quasi Punkte verdient und damit eine Art Wettkampf gewinnt. Lassen Sie uns einen Blick auf einige grundlegende Fragen werfen. Ich bitte Sie, darüber nachzudenken, und dann können wir darüber reden.

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