2 Den Geist beruhigen und fürsorgliche Haltung entwickeln

Eine ruhige, fürsorgliche Atmosphäre schaffen

Die traditionelle Sadhana-Praxis, die ein negatives Selbstbild durch ein positives ersetzen soll, beginnt damit, den Geist zu beruhigen, ihn von jeder Voreingenommenheit zu befreien und einen „Schutzkreis“ zu erschaffen. Letztere Praxis kann aus einer umfangreichen Visua­lisation machtvoller Gestalten bestehen, die in allen Richtungen postiert werden, um jede Störung abzuwehren. Ersatzweise können wir, wie in der Drugpa-Kagyü-Tradition des tibetischen Buddhismus in der Praxis des ladrub (Verwirklichung durch den spirituellen Lehrer) üblich, ein schützendes Feld von Fürsorglichkeit und Mitgefühl erzeugen, das sowohl uns selbst als auch unsere Umgebung umfasst. Liebe ist der Wunsch, dass jemand glücklich sein und im Besitz der Ursachen von Glück sein möge. Mitgefühl ist der Wunsch, dass jemand frei von Leid sowie dessen Ursachen sein möge. Ein moderner Therapeut wendet ähnliche Me­tho­den an, um eine warmherzige Atmosphäre der Akzeptanz und des Vertrauens zu schaffen, in der sich beide, Therapeut und Klient, emotional sicher fühlen können.

Auch für das Training unserer Sensibilität ist ein sicherer innerer und äußerer Raum notwendig, in dem wir und unsere Gruppe uns leichter unseren Gefühlen und Emotionen öffnen können. Der Ansatz der Drugpa-Kagyü-Tradition des tibetischen Buddhismus weist darauf hin, dass der für diesen Zweck am besten geeignete geistige Raum sich durch Ruhe und Fürsorglichkeit auszeichnet. Ein ruhiger Geist und eine fürsorgliche Haltung sind in der Tat unverzichtbar, wenn man sich selbst und anderen gegenüber aufmerksam und aufgeschlossen sein möchte und bereit auf den anderen einzugehen.

Wenn wir in einer Gruppe arbeiten, können wir anfangen, einen sicheren und freundlichen Raum zu schaffen, indem sich jedes Mitglied der Gruppe mit seinem Namen und ein paar Worten zu seiner Lebenssituation vorstellt. Haben wir dann eine gewisse Fertigkeit in den Meditationsmethoden zur Erzeugung einer ruhigen und fürsorglichen Atmosphäre erlangt, können wir diesen Raum einfach durch Erinnerung wieder erzeugen, um vor jedem Teil der nachfolgenden Übungen die nötige Atmosphäre zu schaffen. Wir tun dies, indem wir uns anfangs auf die Empfindungen des ein- und ausströmenden Atems in unseren Nasenlöchern konzentrieren.

Übung 2A: Den Geist beruhigen

Zuerst müssen wir alles mentale Geschwätz, die Fantasien, Klagen, Sorgen, Lieder, Dumpfheit, übertriebenen Emotionen und alles, was sonst unserer Aufmerksamkeit und im Wege stehen mag, in unserem Geist zur Ruhe bringen. Drei Methoden sind hier hilfreich:

  • „Loslassen“
  • „Schreiben auf Wasser”
  • “Welle im Ozean”

Die erste heißt „Loslassen“. Es ist eine Atemübung, bei der man Gedanken mit flüchtigen Wolken gleichsetzt. Die Gelug-Kagyü-Tradition benutzt dieses Gleichnis in ihren Mahamudra-Lehren (großes Siegel), um die Natur des Geistes und der Gedanken zu verdeutlichen. Da es besondere Aufmerksamkeit erfordert, den Geist zur Ruhe zu bringen, beginnen wir jeden Teil der Übung mit der bewussten Entscheidung, uns von aller überflüssigen geistigen Aktivität zu befreien. Wenn wir dann durch die anfängliche Konzentration auf die Empfindung des aus- und einströmenden Atems in unseren Nasenlöchern zur Ruhe gekommen sind, richten wir unsere Aufmerksamkeit auf ein Bild, oder den Gedanken an eine Person und atmen ganz normal. Wir benutzen den dreifachen Zyklus von Ausatmen, Pause, Einatmen, der unter der Überschrift Vorbereitungen für jede Trainingssitzung beschrieben wurde. Während wir ausatmen, versuchen wir uns vorzustellen, dass jeder verbale Gedanke oder jede geistige bildhafte Vorstellungen, jedes aufwühlende Gefühl oder jeder benommene Geisteszustand mit unserem Atem aus uns herausströmt und verlässt. Wir können uns diese geistigen Objekte wie Wolken vorstellen, die zeitweilig den klaren Himmel unseres Geistes verdecken, oder wir verzichten auf eine bildliche Analogie. Wir treiben die geistigen Inhalte jedoch nicht gewaltsam mit sturmgewaltigem Atem aus, als wä­ren sie einfallende Truppen, sondern atmen sie einfach sanft aus, so als wäre der Atem eine sanfte Sommerbrise. Sind wir dann zur Ruhe gekommen, atmen wir mit dem dreifachen Zyklus weiter und blicken die Person, mit einer objektiven und annehmenden Geisteshaltung an. Wenn sich Aufgrund wiederholter überflüssiger geistiger Aktivität ein Gefühl von Paranoia einstellt, lösen wir es ebenso auf und atmen es aus.

Da viele Menschen die tief verwurzelte Gewohnheit haben, Geschichten über alles und jeden zu erfinden und wiederzugeben, be­ginnen wir unser Training mit Menschen, die nur wenige Assoziationen in uns wecken. Erst danach wenden wir uns allmählich Menschen zu, die mehr und mehr Assoziationen, Gefühle und Geschichten in uns auslösen. Aus diesem Grunde betrachten wir zuerst Illustriertenfotos uns unbekannter Men­schen, eines Mannes, einer Frau, eines Jungen, eines Mädchens, eines älteren Paares usw. und konzentrieren uns jeweils auf eine Per­son. Wenn wir in einer Gruppe üben, kann der Gruppenleiter die Fotos auf Karton kleben und sie so an die Wand hängen, dass jeder sie sehen kann. Damit wir während des ganzen Prozesses achtsam bleiben, kann der Gruppenleiter von Zeit zu Zeit den Schlüsselbegriff „Loslassen“ sagen; oder wir sagen ihn von Zeit zu Zeit innerlich zu uns selbst. Allerdings wiederholen wir ihn nicht kontinuierlich wie ein Mantra.

Im Falle besonders hartnäckiger überflüssiger geistiger Aktivität ergänzen wir den Prozess des Loslassens mit einer Methode aus dem Dzogchen. Wir versuchen unseren verbalen Gedankenprozess so zu empfinden, als würden wir auf Wasser schreiben. Wenn wir auf Wasser schreiben, erscheinen und vergehen die Buchstaben gleichzeitig. Es gibt nichts Substantielles an ihnen. Versuchsweise können wir langsam, eins nach dem anderen, jedes Wort des Satzes: „Wie viel Uhr ist es?“, denken. Ohne Buchstaben oder den Akt des Schreibens zu visualisieren, versuchen wir zu fühlen, wie jedes Wort auftaucht, als entstünde es dadurch, dass wir auf Wasser schreiben. Viele Menschen entdecken, dass die Energie des Gedankens sich dadurch deutlich vermindert, und er seinen Sinn verliert. Häufig machen sie sogar die Erfahrung, dass das nächste Wort des Gedankens nur noch schwer entstehen kann. Wenn wir auf ähnliche Art und Weise das Entstehen unserer mentalen Fil­me, aufwühlenden Emotionen und unserer Dumpfheit als ein momentan auf Wasser projiziertes Bild sehen können, nimmt die zugrunde liegende Energie ab und hört vielleicht sogar ganz auf. Also setzen wir nach kurzer Pause die Übung fort, indem wir uns wieder auf die Illustriertenfotos konzentrieren eins nach dem anderen. Kommt es wieder zu bedeutungslosen geistigen Aktivitäten, verlangsamen wir die Geschwindigkeit unserer Gedanken und wenden die Auflösungsmethode des Schreibens-auf-Wasser an. Der Schlüs­selsatz „Schreiben auf Wasser“ kann uns helfen unsere Kon­zentration zu bewahren.

Manche Menschen entdecken, dass sich bestimmte emotionale Blockaden scheinbar zu lösen, sobald sie das mentale Geschwetz in ihrem Geist beruhigt und etwas von der in ihm gebundenen Spannung freilassen – selbst wenn es nur für kurze Zeit ist Unterdrückte Gefühle wie Trau­er, Angst, Unsicherheit oder Furcht kommen plötzlich an die Oberfläche. Wenn das geschieht, können wir einen dritten Ansatz nutzen, der auf die Mahamudra-Analogie der Karma-Kagyü-Tradition zurückgeht, in der der Geist als Ozean gesehen wird und Gedanken und Emotionen als seine Wellen. Wir versuchen, die plötzliche Woge von Emotion vorbeiziehen zu lassen wie die Dünung des Ozeans und spüren dann, dass sie verschwunden ist. So wie beim Prozess des Loslassens und des Schreibens-auf-Wasser, kümmern wir uns auch hier nicht darum, welche Position das „Ich“ während des Vorgangs einnimmt. Andernfalls könnten wir seekrank werden. Wenn die bisher unterdrückte Emotion zu überwältigend wird und der Ozean-Wellen-Ansatz nicht wirkt, können wir uns wieder auf die Empfindung des ein- und ausströmenden Atems in unseren Nasenlöchern und dann auf unseren Nabel konzentrieren.

Da nicht jeder mit unterdrückten Emotionen konfrontiert wird, üben wir diese Methode nicht als zusätzlichen Schritt. Stattdessen schließen wir die Sequenz nach einer Pause damit ab, dass wir uns wieder den Illustriertenfotos zuwenden, eines nach dem anderen be­trachten und jeweils die der drei Methoden anwenden, die uns am pas­send­sten erscheint. Zuerst versuchen wir es mit der Methode des Loslassens, um alle überflüssigen mentalen Objekte aufzulösen. Im Falle zäherer Probleme, besonders verbaler Gedanken, versuchen wir es mit der Schreiben-auf-Wasser-Methode, während wir plötzliche emotionale Aufwallungen als vorüberziehende Wellen betrachten. Wir bewahren die Konzentration mit den Schlüsselformeln:

  • „ Loslassen“
  • „Schreiben auf Wasser“
  • „Welle im Ozean“

Dann wenden wir diese dreifache Methode an, während wir Bilder von Menschen betrachten, die wir kennen, oder einfach an sie denken. Wir beginnen mit jemandem, den wir nur flüchtig kennen, und gehen dann zu jemandem über, mit dem wir eine warmherzige, liebevolle Beziehung haben oder hatten, in der es nur wenig gab, was wir zu bedauern hätten. Wir schließen mit einem lauten, unbeherrschten Verwandten, der seine Nase vielleicht zu tief in unse­re An­gelegenheiten gesteckt, aber uns nicht wirklich verletzt hat. Ohne die etwaigen positiven Gefühlen für die jeweilige Person loszulassen, lassen wir alle persönlichen Pläne oder aufwühlenden Emotionen los, die eine ausgewogene und feinfühlige Interaktion verschweren könnten.

Wenn wir in einer Gruppe arbeiten, blicken wir als Nächstes unseren Gruppenleiter an und nutzen den dreifachen Ansatz, um alle mentalen Geschichten und dergleichen, die vielleicht entstehen, loszuwerden. Der Gruppenleiter sitzt zunächst still, steht dann auf und geht herum. Bei Begegnungen mit realen, lebendigen Menschen kommt eine höhere Energieebene zum Tragen als bei der bloßen geis­tigen Vergegenwärtigung von jemandem, und das kann stärker überflüssige geistige Aktivität provozieren. Auf dieser Stufe des Trainings wäre es verfrüht, sich nun anderen Mitgliedern der Gruppe zuzuwen­den. Andere könnten es als unangenehm empfinden, wenn wir sie mit einem Geist betrachten, der lediglich ruhig, aber noch nicht fürsorglich ist. Wenn wir allein üben, können wir auf ein Äquivalent dieses Schrittes verzichten.

Die Person, die die hartnäckigsten geistigen Geschichten auslöst, ist für die meisten Menschen sie selbst. Darum üben wir zunächst die dreifache Beruhigungsmethode, während wir unsere vor uns liegenden Hände betrachten bevor wir dann zur Betrachtung unseres Gesichts im Spiegel übergehen. Schließlich wiederholen wir den Vorgang, indem wir nacheinander zwei Bilder von uns selbst aus verschiedenen Lebens­abschnitten betrachten.

Übung 2B: Fürsorglichkeit entwickeln

Fantasien, aufwühlenden Emotionen und anderen irrelevanten Dingen in unserem Geist zu beruhigen, schafft aber zunächst eine der Dimensionen geistigen Raumes, den wir zur Entwicklung ausgeglichener Sensibilität brauchen. Schließlich könnte uns mit einem ruhigen Geist auch alles gleichgültig sein. Wir könnten in Träumerei verfallen und den Dingen, die in uns und um uns herum vorgehen, keinerlei Aufmerksamkeit zollen. Selbst wenn wir in diesem Zustand etwas bemerken sollten, würden wir vielleicht nicht reagieren. Daher müssen wir die Geistesruhe mit einer fürsorglichen Haltung verbinden, die jedoch ru­hig und nicht übertrieben besorgt sein sollte. Bringen wir den Geist zuerst zur Ruhe, bevor wir eine Haltung von Fürsorglichkeit zu entwickeln, hilft uns dass Sorgen, Verspannungen und Üb­eremotionalität zu vermeiden.

Fürsorglich sein bedeutet, das, was wir in uns selbst und den anderen wahrnehmen, als relevant und wichtig für uns persönlich zu betrachten. Es geht uns etwas an. Es bedeutet auch, die Konsequenzen underer Worte und Handlungen auf uns selbst und die anderen ernst zu nehmen. Eine fürsorgliche Haltung ist die Basis für ethische Selbstdisziplin und dient als Behälter für Liebe und Mitgefühl. Um diese Haltung oder dieses Gefühl zu erzeugen, stützen wir uns auf den rationalen Ansatz, indem wir die folgende Argumentationskette anwenden. Um die Richtigkeit einer jeden Aussage innerhalb einer Kette von Argumenten zu illustrieren und sie zu bekräftigen, bedient sich die buddhistische Logik eines Beispiels. Im vorliegenden Falle nehmen wir uns selbst als Beispiel für Aussagen über andere Menschen; das hilft, unsere Sensibilität ihnen und uns selbst gegenüber auszugleichen.

Nachdem wir wie zuvor zur Ruhe gekommen sind, konzentrieren wir uns zu Beginn wieder auf eine Person, mit der wir eine warmherzige und liebevolle Beziehung haben oder hatten. Wie immer können wir dazu ein Foto verwenden oder einfach nur mit unserer Erinnerung an den Menschen arbeiten. Mit dem dreifachen Ansatz – Loslassen, Schreiben auf Wasser und Welle im Ozean – lassen wir unseren Geist zur Ruhe kommen. Dann hören wir zu, wie unser Gruppenleiter die folgende logische Begründung, eine Klausel nach der anderen, laut vorspricht .Wenn wir nicht in einer Gruppe üben, lesen wir sie still. Nach jeder Klausel halten wir inne und versuchen den betreffenden Menschen im Lichte der jeweiligen Aus­sage zu betrachten. Dann lehnen wir uns, bildlich gesprochen, zurück und versuchen uns auf das von der entsprechenden Zeile hervorgerufene Gefühl zu konzentrieren. Auf diese Weise können wir die Gültigkeit eines jeden Punktes nachvollziehen und verdauen.

Die logische Argumentationskette lautet folgendermaßen:

  • „ Du bist ein Mensch und hast Gefühlen, genau wie ich. “
  • „ Deine Stimmung wirkt sich auf unsere Begegnung aus, genau wie die meine. “
  • „ Wie ich dich behandle und was ich sage, wirkt sich auf deine Gefühle aus. “
  • „ Und genauso wie ich hoffe, dass du mit mir und meinen Gefühlen fürsorglich umgehst, so gehe ich mit dir fürsorglich um. “
  • „ Ich nehme deine Gefühle ernst. “

Schließlich blicken wir den Menschen aktiv mit einer fürsorglichen Haltung an. Um die Konzentration zu erhalten und unser Gefühl zu vertiefen, sprechen wir dem Gruppenleiter die vier Schlüsselformeln nach oder sagen sie laut für uns selbst:

  • „Ich will keine Fantastereien über dich erfinden oder erzählen.“
  • „Du bist ein Mensch und hast Gefühle.“
  • „Ich gehe mit dir fürsorglich um.“
  • „Ich nehme deine Gefühle ernst.“

Hier ist es wichtig die Worte zumindest zu artikulieren, selbst wenn es so leise ist, dass nur wir sie hören können. Die Worte zu artikulieren bekräftigt unsere Verpflichtung eine fürsorgliche Haltung aufrecht zu erhalten. Mit geschlossenen Augen oder nach unten gerichtetem Blick lassen wir nun das Gefühl der fürsorglichen Hinwendung tief in uns einsinken.

Zum Abschluss der ersten Übungsphase wiederholen wir den ges­amten Vorgang, während wir an jemanden denken, der uns nur flüchtig bekannt ist, oder ein Foto dieser Person anschauen und schließlich, während wir anonyme Illustriertenfotos betrachten. Die Unbekannten auf den Abbildungen sind uns vielleicht nicht so wichtig wie unsere Bekannten oder Verwandten. Aber auch wenn uns ein Fremder nach dem Weg fragt, brauchen wir genug Fürsorglichkeit, um ihn ernst zu nehmen und Zeit zu finden, ihm zu helfen. Schließlich folgen wir denselben Übungsschritten noch ein letztes Mal, wobei wir uns wieder auf unseren poltrigen, herrischen Verwandten konzentrieren.

Während der zweiten Übungsphase sitzen wir in der Gruppe im Kreis und praktizieren den gesamten Prozess. Nach jedem einzelnen Argument blicken wir der Reihe nach jeden im Kreis an und wen­den die Aussage auf ihn oder sie an. Danach tun wir uns paarweise zusammen und wiederholen den Vorgang mit einer Reihe von Partnerinnen und Partnern. Wir sollten mindestens einmal mit einem gleichgeschlechtlichen Partner arbeiten und einmal mit einem Menschen des anderen Geschlechts.

Die Partnerübung umfasst vier Schritte. Zuerst wiederholen bei­de den gesamten Prozess, um ein Gefühl der Akzeptanz und einer fürsorglichen Haltung füreinander zu entwickeln. Gegenseitig einen ruhigen und fürsorglichen Raum füreinander herzustellen, gewährt uns ausreichend Sicherheit, um mit allen aus einem niedrigen Selbstwertgefühl resultierenden Unausgeglichenheiten um­gehen zu können. Unempfänglichkeit für die Fürsorge anderer zum Beispiel, macht es uns schwer, anzuerkennen, dass sich jemand für uns oder unsere Gefühle interessiert. Ebenso können wir aber auch übertrieben reagieren und die fürsorgliche Haltung uns gegenüber zurückweisen, wenn wir das Gefühl haben, sie nicht zu verdienen. Darüber hinaus kann ein niedriges Selbstwertgefühl in uns auch das Gefühl aufkommen lassen, dass niemand unsere aufrichtige Anteilnahme je akzeptieren kann.

Um diesen Problemen entgegenzuwirken, spricht zuerst der eine, dann der andere Partner dem Gruppenleiter die vier Schlüsselformeln mehrmals nach:

  • „Ich will keine Fantastereien über dich erfinden oder erzählen.“
  • „Du bist ein Mensch und hast Gefühle.“
  • „Ich gehe mit dir försorglich um.“
  • „Ich nehme deine Gefühle ernst.“

Die jeweils Sprechenden konzentrieren sich zuerst auf die fürsorgliche Haltung für die Zuhörenden und dann darauf, dass diese ihre aufrichtige Anteilnahme akzeptieren. Die Zuhörer konzentrieren sich darauf, die fürsorgliche Haltung und Akzeptanz ihres Gegenübers zu empfinden. Während wir offene und warmherzige Aufmerksamkeit erfahren, müssen wir auch unsere inneren Barrieren loslassen, insbesondere körperliche Spannungen im Bereich unseres Herzens und Bauchs. Denn das Gefühl akzeptiert und umsorgt zu werden ist ein Gefühl, das im Herzen und im Bauch spürbar ist und nicht im Intellekt. Wenn starker Selbsthass es zunächst schwierig macht, vorurteilslose, fürsorgliche Aufmerksamkeit durch andere anzunehmen, können wir uns wieder auf die Empfindung des ein- und ausströmenden Atems in unseren Nasenlöchern konzentrieren. Bewusst­sein für den Atemprozess erdet uns in dem Gefühl lebendig zu sein und ein Mensch wie alle anderen. Um uns noch zusätzlich zu erden, können wir uns auch noch auf unseren Nabel konzentrieren. Als letzten Schritt wiederholen beide Partner die Merksätze mehrere Male, während sie sich auf das gegenseitige Geben und Empfangen fürsorglicher Hinwendung konzentrieren.

Die dritte Übungsphase beginnt damit, dass wir uns selbst im Spiegel betrachten und den ganzen Prozess wiederholen, allerdings mit einer leichten Abwandlung der früheren Argumente:

  • „ Ich bin ein Mensch und habe Gefühle, genau wie alle anderen auch. “
  • „ Wie ich mich selbst betrachte und behandle, hat Auswirkung auf meine Befinden. “
  • „ Genauso wie ich hoffe, dass andere mich und meine Gefühle ernst nehmen, passe ich auf mich selbst auf. “
  • „ Ich passe auf meine Gefühle auf. “
  • „ Ich passe auf meine Ge­fühle mir selbst gegenüber auf. “
  • „ Ich passe auf, wie ich mit mir selbst umgehe. “

Wenn ein fürsorgliches Gefühl entsteht, richten wir es auf unser eigenes Bild und halten die Konzentration, indem wir dem Gruppenleiter die fünf Schlüsselformeln nachsprechen oder sie laut für uns selbst wiederholen:

  • „Ich will keine Fantastereien über mich erfinden oder erzählen.“
  • „Ich passe auf mich selbst auf.“
  • „Ich passe auf meine Gefühle auf.“
  • „Ich passe auf meine Gefühle mir selbst gegenüber auf.“
  • „Ich passe auf, wie ich mit mir selbst um­gehe.“

Wir versuchen zu fühlen, wie wir uns selbst annehmen und mit fürsorglicher Hinwendung behandeln und wiederholen die Schlüsselformeln noch einige Male. Dann legen wir den Spiegel hin und wiederholen die Schlüsselformeln noch zweimal. Während der ersten Wiederholung richten wir unsere positiven Gefühle direkt auf uns selbst. Während der zweiten Wiederholung versuchen wir uns direkt von uns selbst angenommen und fürsorglich behandelt zu fühlen.

Als letzten Schritt in dieser Übung betrachten wir zwei Fotos von uns selbst aus verschiedenen Lebensabschnitten. Wir betrachten zu­erst eines der beiden Fotos und versuchen, ein Gefühl fürsorglicher Hin­wendung auf die Person zu richten, die wir da sehen, indem wir demselben Prozess folgen, aber denken:

  • „ Damals war ich ein Mensch und hatte Gefühle, genau wie jetzt auch. “
  • „ Wie andere mich sahen, hatte Einfluss auf diese Gefühle. “
  • „ Genau wie ich damals hoffte, dass andere mich und meine Gefühle ernst nehmen würden, kümmere ich mich jetzt um mich selbst zu jener Zeit. “
  • „ Ich kümmere mich jetzt um meine Gefühle zu jener Zeit. “
  • „ Ich kümmere mich jetzt um meine Gefühle mir selbst gegenüber zu jener Zeit. “

Dann richten wir unsere Gefühle fürsorglicher Hinwendung auf uns selbst auf dem Foto und sprechen dem Gruppenleiter die vier Schlüs­selformeln nach, bzw. wiederholen sie laut für uns:

  • „Ich will keine Fantastereien über mich zu jener Zeit erfinden oder erzählen.“
  • „Ich kümmere mich um mich selbst zu jener Zeit.“
  • „Ich kümmere mich um meine Gefühle zu jener Zeit.“
  • „Ich kümmere mich jetzt um meine Gefühle mir selbst gegenüber zu jener Zeit.“

Am Schluss der Sequenz stellen wir uns vor, dass sich die Person im Foto bei uns bedankt, weil wir nicht schlecht über sie denken oder uns ihrer schämen. Dann wiederholen wir den Vorgang während wir uns auf das andere Foto von uns konzentrieren

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