Die Lage der Ost-West-Handelsrouten
Die Landroute der Seidenstraße von China in den Westen führte von Ost- nach Westturkestan und dann weiter durch Sogdien und den Iran nach Byzanz und Europa. Eine alternative Route führte von Westturkestan durch Baktrien, dann weiter durch die zu Kabul und dem Punjab gehörenden Portionen Gandharas, dann per Schiff den Indus hinab nach Sindh und schließlich durch das Arabische und Rote Meer. Von Gandhara aus erreichte der chinesische und zentralasiatische Handel auch Nordindien.
Von China bis zu den Häfen von Sindh wurde die Seidenstraße von buddhistischen Klöstern gesäumt. Sie boten den Kaufleuten Rastmöglichkeiten und Kapitaldarlehen und beherbergten buddhistische Laien, die als Handwerker Halbedelsteine aus China bearbeiteten. Die buddhistischen Händler und Handwerker waren die finanzielle Hauptstütze der Klöster. Deshalb war der Handel für das Gedeihen der buddhistischen Gemeinschaft überlebenswichtig.
Vor der arabischen Eroberung des Irans erhoben die sassanidischen Landesherren einen hohen Zoll auf alle Waren, die auf der Landroute ihr Territorium passierten. Daher bevorzugte Byzanz den Handel über die günstigere Seeroute von Sindh nach Äthiopien und dann weiter zu Lande. Als aber man aber 551 u. Z. die Seidenraupenzucht in Byzanz einführte, ging die Nachfrage nach chinesischer Seide zurück. Der Handel schwächte im 7. Jahrhundert wegen den arabischen Feldzügen weiter ab, bis die Landroute durch den Iran gesichert werden konnte. An der Schwelle zum 8. Jahrhundert berichtete der han-chinesische Pilger Yijing, dass der Handel von China nach Sindh schwer behindert wurde durch die ständigen Kriege, die in Zentralasien zwischen Umayyaden, Tang-Chinesen, Tibetern, Ost-Türken, Turki Shahis und Turgisen wüteten. Folglich nahmen Waren und Pilger chinesischer Provenienz vor allem den Seeweg über die Straße von Malakka und Sri Lanka. Daher erlebten die buddhistischen Gemeinschaften in Sindh am Vorabend der ummayadischen Invasion harte Zeiten.
Die Invasion von Sindh
Während der frühen Jahre ihres Kalifats hatten die Umayyaden mehrmals versucht, in den indischen Subkontinent einzudringen. Eines ihrer Hauptziele war es zweifellos, den Teil der Handelsroute zu kontrollieren, der das Indus-Tal hinab zu den Seehäfen von Sindh führte. Da es ihnen aber nie gelang, den Turki Shahis Ghandara zu entreissen, konnten sie deren Territorium nicht durchqueren, um den Subkontinent über den Kyberpass zu erreichen. Die einzige Alternative bestand also darin, Gandhara zu umkreisen, das südlich davon liegende Sindh zu erobern und Gandhara auf zwei Fronten anzugreifen.
Die ersten beiden Invasionsversuche in Sindh schlugen fehl. Doch im Jahr 711 erreichten die Araber schließlich ihr Ziel, in etwa gleichzeitig zu ihrer Eroberung Samarkands. In dieser Periode war Hajjaj bin-Yusuf Sakafi der Statthalter der östlichsten Provinzen des Umayyaden-Reiches, die den heutigen Ost-Iran, Balutschistan (Makran) und das südliche Afghanistan umfassten. Er beschloß, seinen Neffen und Schwiegersohn, General Muhammed bin-Qasim, mit zwanzigtausend Soldaten auszusenden und die Invasion Sindhs aus zwei Stossrichtungen, vom Land und vom Meer aus, vorzunehmen. Das Anfangsziel war die Küstenstadt Debal in der Nähe der heutigen Stadt Karachi.
Sindh hatte zu dieser Zeit eine gemischte Bevölkerung, die sich aus Hindus, Buddhisten und Jainas zusammensetzte. Xuanzang berichtete von mehr als vierhundert dort existierenden buddhistischen Klöstern mit sechsundzwanzigtausend Mönchen. Die Buddhisten bildeten die Mehrheit der städtischen Händler- und Handwerkerklasse, während die Hindus überwiegend ländliche Bauern waren. Die Gegend wurde von Tschach, einem Hindu-Brahmanen mit ländlicher Machtbasis, beherrscht, der die Kontrolle der Regierung usurpiert hatte. Er förderte die Landwirtschaft und interessierte sich nicht für den Schutz des Handels.
Die Hindus hatten eine Kriegerkaste, die mit ihren politischen und religiösen Führern der riesigen ummayadischen Streitkraft Widerstand leistete. Die Buddhisten dagegen hatten weder eine kriegerische Tradition noch eine solche Kaste. Außerdem waren sie mit Tschachs Politik unzufrieden. Sie waren daher bereit, die Zerstörung zu vermeiden und sich friedlich zu ergeben. General bin-Qasims Soldaten siegten, worauf sie den Berichten zufolge einen großen Teil der Bevölkerung von Debal massakrierten, indem sie der Stadt als Strafe für ihren heftigen Widerstand schwere Schäden zufügten. Es ist schwer zu beurteilen, inwieweit diese Berichte übertrieben sind. Schließlich wollten die Araber ein finanziell lebendiges Sindh erhalten, um den hier verlaufenden Handel zu fördern und davon zu profitieren. Nichtsdestotrotz schliffen die Umayyaden den hinduistischen Haupttempel und errichteten an seiner Stelle eine Moschee.
Die umayadischen Truppen marschierten darauf gegen die Stadt Nirun in der Nähe des heutigen pakistanischen Hyderabads. Der buddhistische Statthalter Niruns ergab sich freiwillig. Um ein weiteres Exempel zu setzen errichteten die siegreichen Muslime auch hier eine Moschee auf dem Standort des buddhistischen Hauptklosters. Sie verschonten den Rest der Stadt.
Sowohl Buddhisten als Hindus kooperierten mit den Arabern, auch wenn die Buddhisten hierzu häufiger bereit waren als die Hindus. So ergaben sich zwei Drittel der Städte Sindhs den Eroberern friedlich und schlossen Vertragsabkommen ab. Die Widerstandsleistenden wurden attackiert und bestraft. Wer sich ergab oder kooperierte erhielt Schutz und Religionsfreiheit.
Die Okkupation von Sindh
Mit der Einwilligung des Statthalters Hajjaj verfolgte der General bin-Qasim nun eine Politik der Toleranz. Den Buddhisten und Hindus wurde der Status von geschützten Untertanen (dhimmi) gewährt. So lange sie dem Kalif der Umayyaden gegenüber loyal blieben und die Kopfsteuer zahlten, wurde ihnen gestattet, ihren Glauben zu folgen und ihr Land und Besitz zu behalten. Viele buddhistischen Kaufleute und Künstler konvertierten freiwillig zum Islam. Als Konkurrenz aus den muslimischen Reihen entstand, sahen sie im Religionswechsel und der geringeren Steuerleistung einen wirtschaftlichen Vorteil, da Dhimmi-Kaufleute zusätzlich zur Kopfsteuer einen doppelten Zoll auf alle Güter zahlen mussten.
Obwohl der General ein bestimmtes Interesse an der Verbreitung des Islams hatte, war dies nicht sein Hauptziel. Natürlich waren ihm Bekehrungen willkommen, doch sein vordringliches Hauptziel war es, die politische Macht zu behalten. Er musste so viel Geld wie möglich auftreiben, um Hajjaj die enormen Kosten zurückzuzahlen, die sein Feldzug und all die vorangehenden militärischen Fehlschläge verschlungen hatten.
Der arabische General erreichte sein Ziel mit Kopf-, Grund- und Handelssteuern und darüber hinaus mit einer Pilgersteuer, die Buddhisten und Hindus zahlen mussten, wenn sie ihre eigenen heiligen Schreine besuchten. Dies lässt darauf schließen, dass die buddhistischen Mönche von Sindh zu dieser Zeit wie ihre Kollegen im Norden Gandharas dem verkommenen Brauch folgten, die Pilger für den Zutritt zu ihren Tempeln zur Kasse zu bitten und dass die Umayyaden jetzt bloß die Gewinne übernahmen. Daher zerstörten die meisten Muslime in Sindh keine weiteren buddhistischen oder hinduistischen Tempel oder die Bilder oder Reliquien in ihnen, da diese Pilger anzogen und Gewinne erzeugten.
Die Expedition nach Saurashtra
Zu dieser Zeit befand sich das bedeutendste Zentrum der buddhistischen Aktivität in Westindien in Valabhi, an der Küste von Ost-Saurashtras, im heutigen Gujarat. Die Gegend wurde von der Maitraka-Dynastie (480-719) regiert, die aus dem Ersten Gupta-Reich ausgetreten war, als sich diese in den letzten Jahren ihres Niedergangs befand und kurz davor stand, von den Weißen Hunnen ersetzt zu werden. Laut Xuanzang gab es in dieser Region mehr als hundert Klöster mit sechstausend Mönchen.
Die größte dieser Institutionen war der Dudda-Vihara-Komplex, eine weitangelegte Klosteruniversität, an der die Mönche ein breitgefächertes Studium absolvierten, das nicht nur buddhistisch-religiöse Themen enthielt, sondern auch Medizin und weltliche Wissenschaften. Viele Absolventen wurden Beamte der Maitraka-Dynastie, deren Könige den Klöstern im Gegenzug jeweils mehrere Dörfer als Unterhaltsbasis zuwiesen. Der han-chinesische Pilger Yijing besuchte Valabhi in den letzten Jahren der Maitraka-Herrschaft und bestätigte, dass die Universität immer noch in voller Blüte stand.
Im Jahr 710, also ein Jahr vor der umayyadischen Invasion Sindhs, löste sich das Maitraka-Königreich auf. Der Großteil des Reiches wurde von den Rashtrakuta (710-775) übernommen. Die neuen Herrscher setzten den buddhistischen Klöstern gegenüber die Politik der Unterstützung ihrer Vorgänger fort. Die Lehrprogramme am Dudda Vihara wurden nicht gestört.
Kurz darauf sandte General bin-Qasim Expeditionen nach Saurashtra, wo seine Streitkräfte friedliche Abkommen mit den Rashtrakuta-Herrschern eingingen. Der Seehandel aus Zentralindien nach Byzanz und Europa verlief über die Häfen von Saurashtra. Die Araber wollten auch sie mit Zöllen belegen, besonders wenn die Inder versuchten, den Handel von Gandhara hierher umzulenken, um die Häfen von Sindh zu vermeiden.
Die muslimischen Soldaten fügten den buddhistischen Institutionen diesmal keinerlei Schaden zu. Die Klöster florierten weiter und nahmen aus Sindh vertriebene Mönche auf. In den folgenden Jahren wurden in Valabhi neue Klöster erbaut, um den Zustrom der Flüchtlinge aufzunehmen.
Bewertung des Sindh-Feldzuges
Die Zerstörung buddhistischer Klöster im Sindh scheint selten und nur am Anfang der ummayadischen Okkupation erfolgt zu sein. Die Generäle der Invasionstruppen scheinen sie befohlen zu haben, um Wiederständler zu bestrafen oder um potentielle Wiederstandsleistende abzuschrecken. Zerstörungen waren nicht die Regel. Als sich später Gebiete wie Saurashtra friedlich ergaben, ließen die umayadischen Streitkräfte die Klöster in Ruhe. Wenn die muslimischen Araber vorgehabt hätten, den Buddhismus zu eliminieren, dann hätten sie Valabhi zu dieser Zeit nicht unberührt gelassen. Daraus können wir schließen, dass die Gewaltakte gegen buddhistische Klöster größtenteils politisch motiviert waren, nicht religiös. Natürlich mögen einzelne Teilnehmer in den Geschehnissen ihre eigenen, persönlichen Beweggründe gehabt haben.
Nachdem er nur drei Jahre in Sindh verbracht hatte, kehrte General bin-Qasim an den Hof von Hajjaj zurück und überließ seinen Untergesetzten die Aufgabe, seine pragmatischen Politik fortzusetzen und die religiösen Gefühle der Hindus und Buddhisten auszunutzen, um Einnahmen zu erzeugen. Doch schon bald nach seiner Abreise konnten die örtlichen Hindu-Herrscher die Kontrolle über ihre Territorien zurückerobern. Die Araber behielten nur einige der größeren Städte Sindhs in ihrer Hand.
Die erneute Eroberung Baktriens durch die Umayyaden
Der Statthalter Hajjaj war vom Erfolg ermutigt, den sein Neffe General Qutaiba in Sindh verbucht hatte. Er schickte ihn daher im Jahre 715 nach Baktrien, um das Gebiet durch einen Angriff vom nordöstlichen Iran aus wieder einzunehmen. Der General war erfolgreich und fügte dem Nava-Vihara als Bestrafung für den früheren Aufstand schweren Schäden zu. Viele Mönche flohen ostwärts nach Kaschmir und Khotan. Der Karkota-König Lalitaditya (reg. 701 -738) errichtete durch die Anregung seines baktrisch-buddhistischen Ministers viele neue Klöster in Kaschmir, um den großen Zustrom gelehrter Flüchtlinge aufzunehmen. Dies hob das Niveau des kaschmirischen Buddhismus enorm.
Das Nava-Vihara erholte sich schnell und funktionierte bald wie vorher: ein Indiz dafür, dass die Zerstörung buddhistischer Klöster in Baktrien durch die Muslime kein religiös motivierter Akt war. Wäre dem so gewesen, dann hätten sie die Wiedererrichtung einer solcher Institution nicht gestattet.
Nachdem die Umayyaden die Turki Shahi und ihre tibetischer Verbündeten in Baktrien besiegt hatten, wechselten die Tibeter die Seiten und verbündeten sich nun aus politischer Berechnung mit den Arabern. Da es den Tibetern mit ihren anderen Verbündeten nicht gelungen war, die Oasenstädte Ostturkestans zurückzuerobern, die sie zweiundzwanzig Jahre zuvor verloren hatten, hofften sie sicher, dass sie zusammen mit den Umayyaden die Seidenstraße an sich gerissen und sich dann mit diesen ihre Kontrolle geteilt hätten. Religionsunterschiede spielten offensichtlich keine Rolle, wenn es um Machtausdehnung und Füllung der Staatskassen ging.
Mit Hilfe der Tibeter nahm General Qutaiba als nächstes den Turgisen Ferghana ab. Doch er wurde in einer Schlacht getötet, während er einen weiteren Feldzug vorbereitete, um den Turgisen auch Kashgar zu entreißen. Die Araber fanden nie wieder eine andere Gelegenheit, um nach Ostturkestan vorzudringen.
Erste Versuche, den Islam zu verbreiten
Trotz des allgemeinen Trends der religiösen Toleranz durch die früheren Kalife führte Umar II. (717-720) eine Politik der Verbreitung des Islams ein, indem er spirituelle Lehrer (arab. Ulama) in entfernte Länder schickte. Seine Position war allerdings ziemlich schwach und er konnte diese Politik nicht strikt implementieren. Der Kalif erließ zum Beispiel, dass indische Machthaber im Sindh nur dann herrschen durften, wenn sie zum Islam konvertierten. Da die Umayyaden zu dieser Zeit im Sindh keine effektive politische Kontrolle mehr ausübten, wurde dieser Erlass des Kalifen meistens ignoriert und er forcierte seine Durchsetzung nicht. Die bekehrten Muslime lebten im Sindh harmonisch mit den Buddhisten und Hindus zusammen, ein Modell, das sich auch nach dem Niedergang der Umayyaden-Herrschaft fortsetzte. Inschriften der Pala-Dynastie (750 – spätes 12. Jahrhundert) aus Nordindien lassen während der folgenden Jahrhunderte weiterhin auf buddhistische Mönche im Sindh schließen.
Umar II. erließ ferner, dass alle Verbündeten der Umayyaden dem Islam folgen sollten. Daher sandte der tibetische Königshof Boten aus, um einen Lehrer in sein Land einzuladen und den neuen Glauben zu predigen. Der Kalif sandte al-Salit bin-Abdullah al-Hanafi. Die Tatsache, dass es keinerlei Berichte gibt, wonach dieser Lehrer irgendeinen Erfolg verbucht hätte, in Tibet Konvertiten zu gewinnen, zeigt, dass die Umayyaden nicht besonders stark auf der Verbreitung ihrer Religion beharrten. Tatsächlich war den Umayyaden die Pflege des arabischen Stammestums weit wichtiger als die Errichtung einer multikulturellen islamischen Gesellschaft. Sie verpflanzten ihre Religion und Kultur zuallererst für sich selbst dorthin, wo sie in Zentralasien Gebiete eroberten.
Es gab auch andere Gründe dafür, dass Tibet dem muslimischen Lehrer gegenüber nicht aufnahmebereit war; Gründe, die mit den Doktrinen des Islams selbst wenig zu tun hatten. Wir wollen den politischen Hintergrund dieses ersten Zusammentreffens zwischen dem Islam und dem Buddhismus auf tibetischem Boden genauer betrachten.