Die Praxis der Liebe in Buddhismus und Islam: Ein Vergleich

Alle Religionen haben ein gemeinsames Ziel                                         

Alle Religionen teilen die gemeinsame Botschaft der Liebe, der Geduld, der Vergebung, sowie des Überwindens von Selbstbezogenheit und Egoismus. Dies ist etwas, das in allen Religionen gelehrt wird und die Grundlage für einen interreligiösen Dialog darstellt. Die Philosophien, die hinter diesen Eigenschaften stecken, und die Methoden, mit denen sie gelehrt werden, mögen unterschiedlich sein, aber sie haben das gleiche Ziel. Alle Weltreligionen zielen darauf ab, die Lebensqualität zu verbessern und die Gesellschaft und den Einzelnen glücklich zu machen. Betrachtet man dies als gemeinsame Grundlage und erkennt philosophische Unterschiede an, kann man sich die Frage stellen, wie man religiöse Harmonie anregen und entwickeln kann, denn sie ist etwas, das in der heutigen Welt dringend benötigt wird.

Was die Welt des Buddhismus und des Islam betrifft, so haben sie sowohl aus historischer als auch aus gegenwärtiger Sicht in vielen Teilen der Welt, wie Indien, Zentral- und Südostasien, einen großen Einfluss aufeinander. Gegenwärtig kommen auch viele muslimische Immigranten nach Europa und Nordamerika. Wir haben also einen viel engeren Kontakt mit diesen Kulturkreisen und es findet eine Begegnung mit Menschen jüdischer und christlicher Herkunft, aber auch mit Buddhisten statt. Einige von euch haben vielleicht einen buddhistischen Hintergrund und ihr mögt euch fragen, wie diese zwei Religionen miteinander vergleichbar sind.  

Es ist ein Gebiet, an dem Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama mit Hinblick auf die interreligiöse Harmonie sehr gelegen ist und er betont stets, dass die Basis dieser Harmonie in der Bildung liegt. Wenn Menschen über andere Religionen falsch oder nicht informiert sind, entsteht Angst und Misstrauen. Sie neigen dazu, eine kleine Gruppe so genannter Unruhestifter als eine gesamte Religion zu betrachten, aber diese Leute gibt es in allen Gesellschaftssystemen und allen Religionen.

Das ist wirklich bedauernswert und daher liegt die Grundlage für religiöse Harmonie in der Bildung. Basierend auf ihr kann es Respekt geben, wenn wir die Philosophien des anderen verstehen, sowie die Methoden, wie diese positiven Eigenschaften, die wir alle teilen, entwickelt werden. Es sind die universellen Qualitäten der Liebe, des Mitgefühls, der Vergebung und so weiter. Lasst uns in diesem Sinne einen Blick auf diese zwei Religionen werfen und herausfinden, was sie zum Entwickeln von Liebe zu sagen haben. Fangen wir mit dem Islam an.

Grundlegende Prinzipien im Islam 

Der reine angeborene Drang, Gott zu folgen

Gott, der Schöpfer, ist das zentrale Thema im Islam. Gott hat Männer und Frauen mit reiner Veranlagung, Neigung oder angeborenem Drang geschaffen, sich Gott zu unterwerfen und seinem Willen zu folgen. Aus unserem Blickwinkel mag uns das recht sonderbar erscheinen, aber betrachten wir es einmal aus einer biologischen Perspektive, so wurden wir ja auch von unseren Eltern, der Mutter, erschaffen. Das Neugeborene hat somit einen angeborenen Drang, eine Verbindung zur Mutter herzustellen und, im Falle von Säugetieren, den Weg zur Brust zu finden, um dort zu saugen und sich zu ernähren. Es gibt also einen Drang, sich dem eigenen Schöpfer anzunähern.

Aus diesem Grund ist dieser Antrieb, den wir im Islam sehen, nicht so eine fremde Vorstellung, obwohl es natürlich um eine höhere Ebene geht, auf der die Menschen fast wie Magneten zum Schöpfer hingezogen werden, um ihm zu folgen und sich Gottes Willen zu unterwerfen. Sogar in der Tierwelt folgen die Neugeborenen der Mutter und dabei handelt es sich um einen Instinkt, um den es auch hier geht.

Gott hat jedoch die Menschen auch mit freiem Willen und Intellekt erschaffen. Unter dem Einfluss des Intellekts kann die Seele mit freiem Willen entscheiden, ob sie Gott gehorcht oder von negativen Emotionen davongetragen wird, die auf Ungehorsam gegenüber dem Willen Gottes zurückzuführen sind. Das wird zu einer ziemlich ichbezogenen Angelegenheit und man kann dies auch in der Entwicklung von Kinder sehen. Gegenüber den Eltern sind sie eigensinnig, ungehorsam und so weiter.

Das führt dann zu negativem, von Gott verbotenem Verhalten und infolgedessen entstehen schwarze Makel, die das Herz umgeben. Das erzeugt dann einen Schleier zwischen dem eigenen Herzen und der Botschaft Mohammeds. Das eigene Herz verschließt sich der Wahrheit Gottes, aber da die Seele einen freien Willen hat, muss sie diesen freien Willen des Intellekts nutzen, um die Makel, die das Herz umgeben, zu beseitigen. Mit dem Intellekt unterscheidet man zwischen dem, was Gottes Wille und was nicht Gottes Wille ist und hat die Wahl, ihm zu folgen oder nicht.

Diese Bemühung, das Herz zu öffnen, wird als ein Ringen oder Kampf beschrieben und das ist auch die Bedeutung des Wortes „Dschihad“. Obwohl es viele Ebenen gibt, in denen das Wort Dschihad in verschiedenen Formen des Islams benutzt werden kann, ist die zentrale Bedeutung dieses Wortes ein inneres Ringen oder ein Kampf, den Einfluss von negativen Emotionen, den Ungehorsam gegenüber Gottes Willen, zu überwinden und ein ethisches Leben zu befolgen. Im Grunde geht es also darum, ein Mangel an Glauben zu haben oder unter den Einfluss von Begehren oder Wut zu geraten. 

Die drei Dimensionen des Islam                                                          

Was heißt es, Gottes Willen zu folgen? Es heißt, ihn auf aufrichtige Weise zu verehren. Im Islam umfasst dies die so genannten drei Dimensionen des Islam: sich Gottes Willen zu ergeben oder unterwerfen, Glauben zu haben und bei der dritten Dimension geht es um ein wichtiges Konzept im Islam, das man als „Vortrefflichkeit“ bezeichnet.

Unterwerfung

Unterwerfung heißt, es als absolute Wahrheit zu betrachten, dass es keinen anderen Gott gibt, sowie Mohammed als Gottes Botschafter zu sehen. Dies umfasst auch, Gottes Gesetze, die Scharia zu kennen und zu befolgen. Die „Scharia“ ist das arabische Wort für die ethische Weise der Lebensführung. Um Gottes Willen zu folgen, ist es unumgänglich ein ethisches Leben zu führen, wie es in der Scharia beschrieben wird. Das erfordert, fünfmal täglich zu beten, was eine überaus vereinigende Kraft in der Gesellschaft hat.

In strikten islamischen Kulturkreisen kommt fünfmal am Tag alles zum Erliegen. In Thich Nhat Hahns Plum Village gibt es die Achtsamkeitsglocke, die gelegentlich geläutet wird, um uns daran zu erinnern, in unseren Handlungen achtsam zu sein. Man kann es auf verschiedene Weise verstehen. Im Islam geht es jedoch nicht nur um ein kleines, isoliertes Dorf, sondern um eine ganze Gesellschaft, die fünfmal am Tag innehält, um sich daran zu erinnern, Gottes Willen, ein ethisches Leben, zu folgen.

Im Auftrag des Dalai Lama habe ich einige Reisen in Afrika und der islamischen Welt unternommen, um herauszufinden, was wir von ihnen lernen können. In Sansibar haben die Menschen beispielsweise diese strikte islamische Disziplin benutzt, um Drogenabhängigen zu helfen, ihre Abhängigkeit zu überwinden. Wenn eine Person, statt dem Leben eines Abhängigen, einen strikten Plan folgen muss, der eine ethische Grundlage hat, ist das ausgesprochen hilfreich, dem Leben eine Struktur zu verleihen. Als Drogenabhängiger verliert man jegliche Struktur im Leben und das ist etwas, was man näher betrachten sollte, denn auch in Tibet gibt es solche Probleme. Gibt man einem Drogenabhängigen etwas, das es zu erreichen gilt, wie das tibetische Ngöndro, mit all den Niederwerfungen und so weiter, also eine strikte Routine, kann das sehr nützlich sein.

Gottes Willen zu befolgen und ein ethisches Leben zu führen heißt also:

  • fünfmal täglich zu beten
  • eine Armensteuer zu entrichten, was alle Muslime tun, um zum Wohlergehen der Gesellschaft beizutragen
  • an Ramadan zu fasten, was auch als eine Form des Dschihad, des inneren Kampfes der Überwindung des Haftens an Speise und Trank, betrachtet wird. Während dieser Zeit folgt man der Disziplin, sich vom Haften an Speisen, Unterhaltung und so weiter zu lösen, und stattdessen ein sehr achtsames Leben in einem Monat Gottes zu führen.
  • Dann gibt es auch die Pilgerreise, in der man die heiligen Orte des Islam besucht und einige der Begebenheiten im Leben Mohammeds nachspielt, was einem natürlich die Lehren ins Bewusstsein ruft, die er im Koran offenbart hat.

Glaube und Vortrefflichkeit                                                    

Die zweite Dimension, der „Glaube“, zielt darauf ab, die grundlegenden Wahrheiten und die Unfehlbarkeit des Koran, der Worte Gottes, zu akzeptieren.

Die dritte Dimension, die „Vortrefflichkeit“, ist für unser Thema der Liebe von größter Bedeutung. Sie wird in der Regel mit „Liebe“ übersetzt und bedeutet Vortrefflichkeit, sowohl in den Eigenschaften als auch im Dienste Gottes. Gott erschuf mit dieser Vortrefflichkeit die gesamte Menschheit, vortreffliche Eigenschaften und die Fähigkeit, Gott zu dienen. Gott hat ein Gefühl der Nähe und Liebe gegenüber der Vortrefflichkeit, die er in den Menschen erschaffen hat. Diese vortrefflichen Eigenschaften umfassen Liebe und die Fähigkeit, sich um andere zu kümmern. Gott zu dienen heißt, liebevoll mit allem umzugehen, was Gott erschaffen hat und dies ist dann eine Form der Verehrung Gottes.

Es handelt sich um ein wirklich interessantes Konzept und eine interessante Herangehensweise an die Liebe. Das zu lieben, was Gott erschaffen hat, ist eine Art Gott zu dienen und der in jedem von uns erschaffenen Vortrefflichkeit gerecht zu werden, indem wir Gottes Schöpfung dienen. Eines der arabischen Worte für Liebe deutet das Gefühl der Nähe zur Vortrefflichkeit an, während ein anderes Wort auf ein Gefühl der Nähe hinweist, die wir in unserem Verhalten und unseren Handlungen gegenüber anderen ausdrücken. Nur aufgrund der Bedeutung der Wörter und auf der Grundlage des Korans selbst kann man ziemlich viel lernen. Wir betrachten die Wörter, die für Liebe benutzt werden, und erkennen, dass sie diese Bedeutungen haben: Gefühle der Nähe zur Vortrefflichkeit und der Nähe, die im Verhalten und in Handlungen gegenüber anderen ausgedrückt werden.

Mit anderen liebevoll umzugehen ist eine Handlung des freien Willens. Die Menschen können ihren Intellekt benutzen, um sich auf diese Weise zu entscheiden. Sie folgen der inneren Veranlagung, ihre Nähe zu Gott zu suchen. Das ist wirklich interessant, denn Gott erschafft uns, besitzt diese Art der Anziehungskraft, die uns unserem Schöpfer näher bringt und erschafft den freien Willen, mit dem wir uns entscheiden können. Außerdem gibt es all diese Versuchungen und Ähnliches. Die Art und Weise, wie man sich Gott nähert und dieser angeborenen Natur folgt, besteht in der Liebe und darin, anderen zu dienen und hilfreich zu sein. Dies kann man tun, indem man die Armensteuer entrichtet oder anderweitig Sozialhilfe innerhalb der muslimischen Gesellschaft leistet. Sehr interessant ist auch, dass jedes Mitglied der Menschheit gleichermaßen die Schöpfung Gottes ist und es somit ein Gefühl der Ebenbürtigkeit aller gibt. Jeder hat einen Geist und ein Herz, das mit dieser angeborenen Veranlagung versiegelt ist, die jeden Gott näher bringen kann.

Gott als Richter, Bestrafer und Mitfühlender, der vergibt

In Bezug auf die ethischen Grundsätze im Islam richtet Gott über alle mit gleicher Fairness und liebt nur jene, die sich Gottes Willen unterwerfen, was dann laut der Scharia zu einem ethischen Leben führt. Zum Wohle der Gesellschaft als Ganzes bestraft Gott jene, die ungehorsam sind und Schaden anrichten. Aus diesem Grund muss die Menschheit, als Dienst Gottes und als Zeichen der Liebe, die Gesetze der Scharia durchsetzen und so spielen Recht und Gesetz in der muslimischen Gesellschaft eine entscheidende Rolle.

Auch in all unseren westlichen Kulturkreisen haben wir eine Rechtsstaatlichkeit, die in der jüdisch-christlichen Welt aus dem alten Testament stammt. Dort gibt es Verurteilung und Belohnung; die Gesellschaft liebt uns und kümmert sich um uns, wenn wir die Gesetze befolgen und bestraft uns, wenn wir sie missachten. Aus westlicher Sichtweise handelt es sich also keineswegs um ein fremdes Konzept.

Befindet man sich in diesem inneren Kampf, diesem Dschihad gegen die eigene Selbstbezogenheit, mit der man sich von Gott und Gottes Liebe abwendet, und bereut es aufrichtig, wird einem von Gott vergeben. Das spielt eine sehr zentrale Rolle im Islam: Gott ist der Mitfühlende, der stets vergibt. Er geht in die Herzen der Übeltäter ein, die bereuen, hilft ihnen Reue zu zeigen und vergibt ihnen dann.

Im Vergleich dazu führt die Reue im Buddhismus zu einem Gefühl des Bedauerns. Wir bedauern, was wir getan haben; wir bereuen es und lösen uns von allem Groll, den wir gegenüber jenen hegen, denen wir Leid zufügten, weil sie uns Leid zugefügt haben. Dann machen wir es wieder gut, indem wir eine tugendhafte Handlung auszuführen, um den Missetaten entgegenzuwirken, und entschließen uns, die falsche Handlung niemals zu wiederholen. Das ähnelt genau dem, was im Koran beschrieben wird.

Scharia und Vergebung

Die Gesetze der Scharia umfassen auch Vergebung. Es handelt sich um einen beachtlichen Aspekt der Scharia, von dem man nicht so viel hört. Meist geht es darum, welche Bestrafungen es gibt, die recht bitter sind, aber das Opfer einer Straftat oder die Familie des Opfers hat eine Wahl. Sie können sich stets entscheiden: entweder für eine harte Bestrafung oder für eine Art der Entschädigung. In alten Zeiten waren das Ziegen oder Kamele, eine geldliche Abfindung oder eine Entschuldigung. Man kann auch vergeben. Wenn die Familie oder das Opfer der Person, welche die Straftat gegen sie begangen hat, vergibt, ist sie frei.

Diese Praxis der Vergebung ist der rechtliche Rahmen und auch ein vortrefflicher Dienst Gottes. Das ist wirklich eine interessante Sache, besonders was die Verhängung der Gesetze der Scharia betrifft. Für Menschen im Westen ist das oft ziemlich verwirrend, denn warum sollte eine Gesellschaft das wollen, wenn es so eine strikte Form des Gesetzes gibt und dieser Aspekt der Vergebung in der Regel unbekannt ist? Nun, in Gegenden wie Somalia, in denen die Gesellschaft von Krieg, Chaos und schrecklichen Gefahren durchzogen ist, brauchen die Menschen eine gewisse Ordnung. In ihrer Kultur gibt es die Scharia und mit ihr können sie sich sicher fühlen. Sie wissen, dass einem Dieb die Hand abgehackt wird und das schreckt sehr viel mehr davor zurück, einen Diebstahl zu begehen, als wenn man dafür einfach nur ins Gefängnis geworfen wird. Es ist diese Aussicht nach einer gewissen Ordnung, die sehr ansprechend ist.

Als ich in Afrika unterwegs war, konnte man auch sehen, dass der Islam die Religion mit dem größten Wachstum war. Man mag sich fragen, warum das so ist. Laut den Menschen liegt es an einem Gefühl der Ebenbürtigkeit, einer Brüderlichkeit, in der alle gleich sind. Denken die Menschen jedoch an den Westen, werden sie an die Kolonialisierung erinnert, bei der es nicht die geringste Gleichberechtigung zwischen den weißen Kolonisten und den Afrikanern gab. Diese Sache verleiht dem Islam in vielen afrikanischen Ländern große Anziehungskraft.

Entwickeln die Menschen Liebe für das Universum und die Menschheit in ihrer reinsten Form, so gilt ihre Liebe im Islam nicht allein dem Universum oder der Menschheit, sondern Gott und der Vortrefflichkeit, die Gott erschaffen hat. Das ist die philosophische Denkweise, die sich hinter der Liebe verbirgt. Entwickelt man auf diese Weise Liebe, beruhend auf der Ebenbürtigkeit aller, geschieht dies in einem sehr breiten Rahmen. Es ist nicht so, dass man eine Person liebt, aber die andere nicht. Solange die Menschen nach dem Guten und dieser Art der Vortrefflichkeit streben, gilt ihre Liebe allen. Gott hat diese vortreffliche Eigenschaft und das Gute in allen erschaffen und das gibt den Menschen die Möglichkeit, alle zu lieben. Handeln Menschen aus Wut und Lust, und sind gewalttätig, werden sie zunächst dazu ermutigt es zu bereuen und dann zu einem ethischen Leben zurückzukehren. Das ist die philosophische Grundlage der Liebe im Islam.

Grundlegende Prinzipien im Buddhismus 

Wenden wir uns nun dem Buddhismus zu. Hier haben wir ein ganz anderes Konzept davon, wie Liebe entwickelt wird. Es ist jedoch interessant zu sehen, wie viele Ähnlichkeiten es in diesen zwei Religionen gibt.

Die angeborene Qualität der Buddha-Natur ohne einen Anfang oder einen Schöpfer-Gott                                                 

Im Buddhismus haben alle Wesen eine reine Buddha-Natur, die anfangslos ist. Dadurch werden sie befähigt, selbst ein Buddha zu werden. Im Islam haben die Menschen durch die reine, angeborene Natur die Möglichkeit, sich Gott zu nähern. In manchen Sufi-Orden können sie sogar mit Gott verschmelzen, aber sie können nie selbst zu Gott werden. Im Buddhismus hingegen können alle durch diese innewohnende Natur, die Buddha-Natur, selbst zu Buddhas werden. Es handelt sich hierbei um unterschiedliche philosophische Sichtweisen und Erklärungen in Bezug auf ein recht ähnliches Phänomen.

Im Buddhismus hat niemand diese Buddha-Natur in den Wesen erschaffen; sie ist einfach von Natur aus da und sie ist anfangslos. Im Islam wurde sie von Gott erschaffen. Es ist einfach eine andere Sichtweise, denn auch Gott ist anfangslos. Die letztendliche Antwort auf diese Frage ist, dass es keinen Anfang gibt, aber im Buddhismus gibt es in diesem Sinne keinen Schöpfer-Gott.

Im Buddhismus haben die Menschen auch gute Eigenschaften, wie innewohnendes Mitgefühl und einen Intellekt, der unterscheiden kann, was hilfreich und was schädlich ist. Im Buddhismus und im Islam ist man da einer Meinung, und auch in der Wissenschaft geht man davon aus, dass dies Teil unserer angeborenen Instinkte ist, dieser Instinkt, sich um sich selbst zu sorgen – der Überlebensinstinkt – und sich um andere der gleichen Spezies zu kümmern. Das ist kein Widerspruch. Wir alle haben die Fähigkeit zu unterscheiden, was hilfreich und was schädlich ist.

Ethische Disziplin                     

Im Buddhismus beruht ethische Disziplin darauf zu verstehen, welche Handlungen zu Leiden und welche zu Glück führen. Buddha lehrte dies; er hat die ethischen Gesetze von Ursache und Wirkung nicht erschaffen, so wie Gott sie im Islam erschaffen hat. Im Buddhismus ist man mit unterscheidendem Gewahrsein selbst in der Lage, zu analysieren und zu entscheiden, was hilfreich und was schädlich ist. Auf diese Weise wird der Intellekt benutzt, aber im Islam betrachtet man es auf andere Weise. Der Intellekt wird benutzt, um zu entscheiden, ein ethisches Leben zu führen und alles Erschaffene zu lieben, also Gottes Willen zu gehorchen oder nicht.

Gott hat die Gesetze des ethischen Verhaltens im Islam erschaffen und fällt das Urteil, indem er belohnt oder bestraft. Nach Ansicht des Buddhismus folgt Leid einfach automatisch auf schädliches Verhalten, so wie auch Glück ganz automatisch auf konstruktives Verhalten folgt. Handeln wir unter dem Einfluss von störenden Emotionen und Unwissenheit, wird dies durch die Naturgesetze von Ursache und Wirkung zu Leid führen, während es im Islam Gott ist, der uns dafür bestraft. Das Resultat ist das gleiche, nur die Erklärung ist unterschiedlich.

Im Buddhismus wird es auch in ähnlicher Weise als konstruktiv betrachtet, wenn man davon ablässt, unter diesen störenden Emotionen zu handeln. Hilft man anderen mit Liebe und Mitgefühl, wird dies zu Glück führen. Aus der islamischen Sichtweise belohnt uns Gott; man nähert sich Gott und seiner eigenen angeborenen reinen Natur. Das ist ähnlich, aber die Frage stellt sich, wie Ursache und Wirkung funktionieren und dieser Punkt ist wirklich nicht so einfach zu verstehen. Im Buddhismus wird gesagt, dass es schlichtweg so ist und man hält Buddha, beruhend auf anderen Dingen, die er gelehrt hat, für eine gültige Quelle von Informationen. Im Islam geht man lediglich davon aus, dass Gott diese Gesetze so erschaffen hat und sie unfehlbar und wahr sind.

Glaube und Zuflucht in Buddha

Der Glaube im Buddhismus baut im Grunde auf Logik und Überlegung, um sich selbst gegenüber zu beweisen, dass Buddha eine gültige Quelle von Informationen ist. Schließlich soll man laut Buddha die Lehren selbst hinterfragen und analysieren, während im Islam völlige Unterwerfung und Glaube erforderlich sind. Hier gibt es also einen großen Unterschied. Ist man von Buddha als einer gültigen Informationsquelle überzeugt, nimmt man Zuflucht. „Zuflucht“ bedeutet eine sichere Richtung, die wir in unserem Leben einschlagen, und die uns unserer Buddha-Natur näher bringt. Dies wird uns vor Schädlichem bewahren und uns davor schützen, uns zu verlieren.

Aus islamischer Sichtweise könnten wir es so erklären, dass wir in unserem Leben eine Art der Ausrichtung brauchen. Im Gegensatz zum Islam, bedeutet die Zuflucht in Buddha jedoch nicht, dass wir Buddha verehren, obwohl es manche Menschen vielleicht so sehen. Was die Lehren betrifft, handelt es sich hierbei nicht um blinden Glauben, mit dem wir Buddha anbeten, noch um Unterwerfung, wie es im Islam der Fall ist.

Gehen wir etwas tiefer, wird es recht interessant, denn was heißt es eigentlich, sich Gott zu unterwerfen? Es bedeutet, die eigene Selbstbezogenheit oder die Eigenwilligkeit zu überwinden, mit der wir meinen, alles zu kennen und zu wissen, was am besten ist. Im Buddhismus heißt es dazu, dass wir diesen Ego-Trip überwinden müssen, mit dem wir denken, wir wären das Zentrum des Universums und der oder die Wichtigste.

Wiederum ist es nur ein anderer Blickwinkel auf das, was es zu tun gilt. Im Grunde geht es doch darum, das Greifen nach diesem soliden Konzept von einem Selbst loszulassen. Im Buddhismus gibt es natürlich ein Selbst, aber hier ist die Rede von diesem soliden Ding, das ständig seinen Willen durchsetzen muss, immer Recht hat, stets der oder die Erste sein will und jederzeit die Aufmerksamkeit aller bekommen muss. Dies führt in unserem Leben zu großen Problemen und Schwierigkeiten, und daher ist es notwendig, dies aufzugeben und loszulassen. Hierbei handelt es sich um unterschiedliche philosophische Standpunkte und Konzepte, aber die Resultate sind ziemlich ähnlich.

Zuflucht in den Dharma und die Grundlage für ethische Disziplin 

Das Wort „Dharma“ bedeutet vorbeugende Maßnahme, etwas, das uns vom Leiden abhält. Verdeutlicht wird er durch die Lehren Buddhas und diese Lehren sind etwas, das man analysieren und in dem man die Wahrheit entdecken kann. Es handelt sich jedoch nicht um einen bedingungslosen Glauben, wie jenen, den man in den Koran oder die Scharia hat. Der Dharma ist kein heiliges Buch und kein Rechtssystem. Die Chinesen haben beispielsweise das Wort „Dharma“ mit dem chinesischen Wort für „Gesetz“ oder „Recht“ übersetzt und so betrachten sie den Buddhismus durch die so genannte chinesische Brille und verstehen ihn im Sinne der Kultur des Konfuzianismus.

Das Recht spielt jedoch im indischen oder tibetischen Buddhismus keine zentrale Rolle, wie es in unseren jüdisch-christlich-islamischen Traditionen im Westen der Fall ist. Es gibt nicht wirklich Gesetze, denen wir folgen, noch die Vorstellung, wir wären gute Menschen, wenn wir dem Gesetz gehorchen. Im Westen kommt dieses Konzept nicht nur aus der Bibel, sondern auch aus der alten griechischen Gesellschaft, in der es hieß, dass man ein guter Bürger war, wenn man den Gesetzen folgte. Diese Gesetze stammen entweder von Gott oder von einer gesetzgebenden Gewalt, aber ungeachtet dessen ist diese Rolle der Ethik ziemlich zentral und gründet auf Gehorsam.

Im Gegensatz dazu bauen die ethischen Grundsätze im Buddhismus nicht auf Gehorsam, sondern auf reinem Unterscheidungsvermögen, mit dem man versteht, dass destruktive Handlungen zu vielen Problemen führen werden – Probleme für die Gesellschaft und Probleme für uns selbst. Zum Beispiel das Töten von Insekten: Besteht unser erster Instinkt, wenn etwas um unseren Kopf herum summt, darin, zuzuschlagen und es zu töten, gilt es, über diesen ersten Instinkt nachzudenken. Es ist wie bei einem Hund; stupsen wir einen Hund an, wird er knurren oder bellen. Sind wir wie ein Hund? Ist unser erster Instinkt bei allem, was wir nicht mögen, auszuholen, zuzuschlagen und zu töten? Wir können erkennen, dass hinter diesem destruktiven Verhalten und dem Entstehen von Unglück und Problemen mehr steckt und wir mit Sicherheit keinen ruhigen und friedlichen Geist entwickeln, wenn wir auf alles Fremde sofort einschlagen.

Denken wir nur einmal daran, wie es ist, wenn wir einschlafen wollen und eine Mücke um uns herum summt und wie genervt wir deswegen sind; die meisten wollen ihr gleich hinterherjagen und sie fangen. Diese Dinge beginnen wir genauer zu betrachten. Nicht, weil es rechtswidrig ist Mücken zu töten und wir gute Bürger, gute Muslime oder Christen sind, wenn wir sie nicht töten.

Es handelt sich um ein ganz anderes Konzept und diese Herangehensweise an die Ethik gibt uns viel zum Nachdenken. Was steckt hinter unserem ethischen Verhalten? Nur so nebenbei: als ich in meiner Wahlheimat Berlin über buddhistische Ethik unterrichtete, fragte ich meine Schüler, warum sie nicht stehlen. Manche antworteten: „aus Angst vor schlechteren Wiedergeburten“ und Ähnliches. Ich fragte sie, ob das wirklich die Motivation war, denn niemand glaubte wirklich daran. Dann fragte ich: „warum stehlt ihr nicht einfach etwas?“ Und darauf kam dann die Antwort: „weil es sich nicht richtig anfühlt“. Das war der Grund.

Genau darum geht es im Buddhismus: hinter jedem ethischen Verhalten steckt ein Sinn von Selbstachtung und Selbstwertgefühl. Wir haben genug Respekt gegenüber uns selbst, so etwas nicht zu tun. Es wirft ein schlechtes Licht auf uns, auf unsere Familie, unsere Werte, auf einfach alles. Laut dem Buddhismus ist das die Basis für ethisches Verhalten. Mit dem als Grundlage nutzen wir dann mit unserem großartigen menschlichen Intellekt und unserer Fähigkeit das Unterscheidungsvermögen und entscheiden, was hilfreich und was schädlich ist. Wir wollen nicht Dinge tun, die schädlich sind, weil wir zu großen Respekt gegenüber uns selbst haben, als das wir auf diese Weise handeln würden. Auf diese wunderbare Weise wird es im Buddhismus präsentiert und es ist keine Sache des Gehorsams. Letztendlich geht es natürlich um ethisches Verhalten, aber die Frage ist, welche Herangehensweise wir nutzen. Wir nehmen also Zuflucht in den Buddha, Zuflucht in den Dharma und als drittes Zuflucht in den Sangha.

Zuflucht in den Sangha: Vergleich zum islamischen Miteinander unter Brüdern und Schwestern

Der Sangha ist die Gemeinschaft jener, die sich auf dem Pfad befinden. Hierbei handelt es sich nicht nur um die konventionelle Darstellung der Mönchsgemeinschaft, sondern um hochverwirklichte Wesen. Gibt es etwas Ähnliches im Islam? Vielleicht die Brüderschaft aller Muslime, die als stützende Gemeinschaft dient. Die wesentliche Funktion des Sangha besteht darin uns zu ermutigen, dass es auch andere auf dem Pfad gibt, die Buddhaschaft erlangen wollen. Es ist ziemlich schwer, eine Verbindung zu einem Buddha aufzubauen, der all die Qualitäten eines Buddhas hat. Aber dann gibt es die Menschen, die ebenfalls dieses Ziel anstreben und bereits ein wenig Fortschritt gemacht haben; wir sind also nicht allein. Auf diese Weise erfahren wir durch eine Gemeinschaft Unterstützung.

Im Islam gibt es das brüderliche und schwesterliche Miteinander aller Muslime. Egal wie reich oder wie arm man ist, jeder kleidet sich gleich, wenn er beispielsweise auf die Pilgerreise geht. Da gibt es diesen Sinn der Ebenbürtigkeit. Im Buddhismus haben wir keine moralische Voreingenommenheit gegenüber jenen, die sich nicht auf dem Pfad befinden und daher besteht auch nicht die Notwendigkeit ihnen zu vergeben oder zu versuchen, sie zu konvertieren, was recht interessant ist. Das ist im Islam ganz anders.

Verschleierte Buddha-Natur: Vergleich mit Schleiern, die das Herz bedecken

Im Buddhismus wird behauptet, der Geist sei, trotz unserer reinen Buddha-Natur, durch mangelndes Gewahrsein oder Unwissenheit in Bezug auf die wahre Natur der Wirklichkeit getrübt. Wir haben diese Schleier und unsere Buddha-Natur ist durch die Wolken der Unwissenheit bedeckt. Das klingt ganz nach dem, was auch im Islam behauptet wird. Dort ist die Rede von störenden Emotionen und dem Herz, das verschleiert ist; es werden die Schleier beschrieben, die das Herz bedecken. Im Sufismus, einer Untergruppe des Islam, wird davon gesprochen, diese Schleier aufzudecken. Da gibt es also eine ähnliche Metapher. Diese Unwissenheit führt zu Selbstbezogenheit und störenden negativen Emotionen, sowie zu schädlichem Verhalten.

Im Buddhismus kann man diese Schleier, die unsere wahre Natur verhüllen, beseitigen, indem man die Wirklichkeit versteht und Liebe, Mitgefühl und Bodhichitta entwickelt. Bodhichitta ist der Geist, der sich auf unsere individuelle Erleuchtung richtet, die noch nicht stattgefunden hat, aber auf der Basis der Buddha-Natur stattfinden kann. Das unterscheidet sich nicht so sehr von einem Fokus auf Gott. Gott und Buddha sind natürlich ziemlich verschieden, aber diese Vorstellung des Fokussierens auf das Ziel der eigenen angeborenen reinen Natur, der man sich nähern und die man erlangen möchte, ist eine mächtige treibende Kraft, sowohl für Buddhisten als auch für Muslime.

Entwicklung von Liebe im Buddhismus im Vergleich zum Islam  

Definition der Liebe 

Liebe wird im Buddhismus als Wunsch definiert, andere mögen glücklich sein und die Ursachen des Glücks besitzen. Dies beruht auf dem Verständnis der Gleichheit aller Wesen, da alle anderen wie auch wir selbst glücklich sein wollen. Niemand möchte unglücklich sein und dieses Streben nach Glück ist das Ziel des Lebens. Pflanzen wachsen und richten sich in ihrem Streben nach Glück der Sonne entgegen; da könnten wir noch viele poetische Beschreibungen anführen, wenn es darum geht, was das Streben nach Glück im Leben bedeutet.

Entwicklung von Liebe

Im Buddhismus baut der Wunsch, andere mögen glücklich sein, auf dem Verständnis, dass alle Wesen die Fähigkeit besitzen, glücklich zu sein, denn wir alle haben die Buddha-Natur. Außerdem haben wir alle das gleiche Recht glücklich zu sein, was wiederum dem ähnelt, was es im Islam gibt. Es beruht auch auf der gegenseitigen Abhängigkeit voneinander und dem Erkennen und Schätzen der Güte, die wir von allen bekommen haben. Im Islam liegt die Betonung nicht so sehr auf der Güte, die wir durch andere erfahren haben, sondern auf der Güte, die wir von Gott empfangen, der uns alle erschaffen hat. Die Ebenbürtigkeit aller wird also aus einer etwas anderen Perspektive betrachtet.

Liebe wird im Buddhismus durch die Betrachtung des Glücklichseins der anderen entwickelt. Wir arbeiten stets daran, ihnen hilfreicher sein zu können, indem wir Erleuchtung erlangen. Andere zu lieben und ihnen zu dienen ist kein Akt der Verehrung Buddhas, während es im Islam ein Akt der Verehrung Gottes ist. Nichtsdestotrotz helfen wir anderen und das Ergebnis ist das gleiche.

Indem wir andere lieben, sammeln wir positive Kraft an, um selbst ein Buddha zu werden. In diesem Sinne nähern wir uns der Buddhaschaft, jedoch nicht so wie im Islam, indem wir uns Buddha selbst annähern. Es ist ein ziemlicher Unterschied, ob wir Buddhaschaft erlangen und selbst zu Buddhas werden wollen oder uns Buddha annähern. Im Buddhismus richten wir uns nicht auf Buddha als dieses Individuum, das er war. Der Buddha ist als ein Lehrer von großer Wichtigkeit, jedoch kein Schöpfer, den wir verehren.

Natürliche Ursache und Wirkung im Vergleich zu Gottes Bestrafung 

Um andere zu lieben, müssen wir die Selbstbezogenheit, mit der wir uns nur um das eigene Wohl kümmern, überwinden. Hier gibt es eine Ähnlichkeit im Islam, den inneren Dschihad, der ein Kampf gegen die Selbstbezogenheit und den Ungehorsam gegen Gottes Willen darstellt. Im Buddhismus ist es hingegen nicht notwendig, Buddha um Vergebung unserer Sünden, Missetaten oder Handlungen zu bitten, die wir aus Unwissenheit begangen haben. Sehen wir andere, die auf negative, destruktive Weise handeln, tun sie dies nicht, weil sie böse oder ungehorsam sind. Sie tun es, weil sie aus Unwissenheit verwirrt sind und nicht wirklich verstehen, was sie da tun und was die Konsequenzen ihrer Handlungen sein werden. Wir nutzen dies als Grundlage für unser Mitgefühl. Es ist nicht so, dass wir ihnen vergeben, aber wir versuchen sie gewissermaßen zu verstehen und auf diese Weise Liebe und Mitgefühl zu entwickeln.

Leiden, die aus destruktiven Handlungen folgen, sind also nicht als Bestrafung, sondern vielmehr als natürliche Konsequenz der Gesetze von Ursache und Wirkung zu sehen. Wir nehmen es nicht auf uns selbst, nach den Gesetzen Gottes zu handeln, indem wir andere bestrafen. In Tibet oder Indien gibt es natürlich auch in den buddhistischen Gemeinschaften ein Rechtssystem; jedoch beruht es nicht auf heiligen, von Gott geschaffenen Gesetzen und darauf, dass wir Gottes Werk auf Erden ausführen, indem wir Gottes Willen durchsetzen. Das ist etwas ganz anderes.

Parallelen im Buddhismus und Islam bezüglich der Reue 

Im Buddhismus gibt es, ähnlich wie im Islam, ein Verständnis von Reue und es ist recht interessant, die Parallelen zu betrachten: 

  • In beiden Systemen ist es notwendig, die eigenen Fehler einzugestehen. Im Buddhismus geht es jedoch um Fehler, die aus Unwissenheit begangen wurden, nicht aus Ungehorsam wie im Islam.
  • Wir bedauern, genau wie im Islam.
  • Wir entschließen uns, wie im Islam, unsere Fehler nicht zu wiederholen.
  • Wir bekräftigen die positive Richtung, die wir im Leben einschlagen wollen, was nicht dasselbe ist, wie Gott um Vergebung zu bitten. Es geht jedoch darum, etwas Positives zu bekräftigen, und indem wir Gott um Vergebung bitten, wenden wir uns ebenfalls wieder dieser positiven Richtung zu.
  • Schließlich wirken wir dann den Fehlern mit positiven Handlungen entgegen, was im Islam ähnlich ist.

Zweifellos gibt es im Islam und im Buddhismus viele Ähnlichkeiten, aber auch einige Unterschiede. Letztendlich lehren beide Liebe, Mitgefühl, Geduld, Vergebung und so weiter. Können wir die Gemeinsamkeiten dieser zwei großen Weltreligionen erkennen und schätzen, haben wir trotz philosophischer Differenzen eine Grundlage für dafür, einen Dialog zu führen, religiöse Harmonie zu wahren und voneinander zu lernen.

Fragen und Antworten 

Voneinander lernen

Ich glaube mich daran zu erinnern, dass der Dalai Lama in Bezug auf den Dialog mit anderen Glaubenssystemen davon sprach, nicht zu versuchen andere zu konvertieren, sondern sie in ihrem eigenen Glauben zu bestärken, sowie dass es besser wäre, Weisheit zu benutzen, um vielleicht den eigenen Glauben auf andere Weise zu betrachten. Wie geht man so einen Dialog an?

Wie ich schon sagte, und wie auch vom Dalai Lama immer wieder betont wird, gibt es viele Dinge, die verschiedene Religionen voneinander lernen können. Zum Beispiel verfügen wir im Buddhismus über zahlreiche Methoden zum Entwickeln von Konzentration, Liebe und Mitgefühl. In religiösen Gemeinschaften, in denen man sich der Kontemplation widmet, ist man beispielsweise der Meinung, dass man eine ganze Menge vom Buddhismus lernen kann. Das sehen wir besonders an Mitgliedern katholischer Klöster, die zu uns kommen, um etwas über Meditation zu lernen, was sie dann in ihrer eigenen Religion anwenden können.

Der Dalai Lama spricht stets davon, dass tibetische Buddhisten über die soziale Arbeit lernen können, wie sie in den Mönchs- und Nonnengemeinschaften praktiziert wird, besonders in Bezug auf das Christentum. Aus diversen geografischen Gründen gab es in Tibet nicht diese Entwicklung von Mönchen, die in Schulen unterrichteten, und sich für Waisenhäuser, Altenheime und Krankenhäuser einsetzten. Das ist etwas, was wir zweifelsohne von den Aktivitäten Mutter Theresas lernen können.

Es gibt diese Art des Austausches. Auch das, was ich in Sansibar gesehen habe, diese islamische Form der regulierten spirituellen Praxis, die Drogenabhängigen hilft, von ihrer Sucht freizukommen, habe ich weitergegeben. Diese Art des äußerst nützlichen Austausches zwischen den Religionen, ohne den Versuch, sich gegenseitig zu konvertieren, ist ausgesprochen hilfreich.

Was den Dalai Lama besonders interessiert, sind geschlossene und private Treffen mit ernsthaften kontemplativen Praktizierenden aller Religionen, um einen Austausch von Erfahrungen anzuregen. Es wäre einfach wunderbar, wenn so etwas stattfinden könnte.

Universale Werte 

Es scheint, dass in diesem ausführlichen Vergleich mit dem Islam die Rede davon ist, nicht so zufrieden mit sich selbst zu sein und zu meinen, der Buddhismus wäre das Beste. Alles erscheint dann sehr positiv, weil ja jede Art des Glaubens für sich steht, und indem man die Türen zum Islam aufstößt, öffnet man sich anderen Dingen.

Ja, dem würde ich voll und ganz zustimmen. Der Dalai Lama sagt, es gibt keine beste Religion für jeden, so wie es auch keine beste Nahrung für alle gibt. Jeder kann für sich entscheiden, was das Beste für ihn ist und welcher Weg der richtige ist. Wir können diese Dinge nicht anderen aufzwingen. Diese grundlegenden universalen Werte kann man in allen Religionen finden und sie gelten für alle, auch für jene, die keiner Religion angehören. Das ist wirklich wichtig. Seiner Heiligkeit geht es darum, wie man diese grundlegenden universalen Werte der Liebe, des Mitgefühls, der Geduld und der Vergebung einbringen kann, und wie man den Dialog fortsetzen und diese universalen Werte in das Bildungssystem integrieren kann. Um sie in die Welt zu bringen, muss man beginnen, diese grundlegenden Werte jungen Kindern in den Schulen zu lehren. Das kann ganz einfach sein. Wenn wir beispielsweise wütend oder frustriert sind, zählen wir bis zehn, holen dreimal Luft und konzentrieren uns auf den Atem, oder reden miteinander, anstatt zu kämpfen.

Einige Pädagogen in Indien und in Amerika entwickeln Lehrpläne, um diese Dinge auf eine respektvolle und, wie Seine Heiligkeit es nennt, säkulare Weise schrittweise in das Bildungssystem zu integrieren. Säkular heißt, respektvoll gegenüber allen Religionen zu sein und nicht die eine oder andere hervorzuheben.

Gibt es im Islam das Konzept der Erleuchtung?      

Sie haben von dem Verständnis oder der Praxis im Islam gesprochen, mit der man versucht, Gott näherzukommen oder mit ihm zu verschmelzen. Gibt es im Islam ein Konzept der Erleuchtung, und wenn ja, wie ist es zu verstehen?

Sich Gott zu nähern ist eine allgemeine Auffassung im Islam, während der Glaube, mit Gott zu verschmelzen, nur in einigen Sufi-Orden, einer Untergruppe innerhalb des Islams, existiert. Bei der Erleuchtung hängt es davon ab, wie man sie definiert. Betrachten wir sie auf eine ausdrücklich buddhistische Weise, kann man nicht sagen, dass auch andere so etwas tatsächlich anstreben. Einer meiner Lehrer hat das sehr schön ausgedrückt: Wenn wir beten, um in einen christlichen Himmel zu gelangen, werden wir nicht im buddhistischen Himmel landen und wenn wir beten, in einen buddhistischen Himmel zu kommen, werden wir nicht in einem christlichen landen.

In jeder Religion gibt es ein Ziel, das man versucht zu erreichen: ein guter Mensch zu sein, möglichst ethisch, liebevoll oder ähnliches zu sein. Aber man kann nicht sagen, dass man, wenn man diesem Pfad folgt, bestimmte Ziele erlangt, die ganz konkret in einer anderen Religion umschrieben werden.

Heißt das, die Erleuchtung existiert in ihrer Vorstellung vom Paradieses?

Während man lebt, kann man im Islam ein möglichst guter Mensch sein. Dann gibt es etwas Ähnliches wie das Bardo, den Zwischenzustand vor dem letzten Gericht, in dem es darum geht, was als Nächstes kommt, und schließlich folgt das letzte Gericht. Und ja, es gibt das Paradies, das höchste Ziel im Islam.

Werfen wir einen Blick in die Kalachakra-Literatur, sehen wir, dass der Islam dort erwähnt wurde, da es bereits eine Begegnung dieser zwei Religionen gab. Es gibt nur zwei etwas merkwürdige Dinge, die in der gesamten Kalachakra-Literatur erwähnt werden. Zum einen ging es darum, dass Himmel und Hölle als ewig galten und es hier nicht das Konzept von Vergänglichkeit gab. Aus einer buddhistischen Sichtweise dauert ein Leben in einem himmlischen Bereich für eine unglaublich lange Zeit an, aber es wird enden und es wird ein Leben in einem anderen Wiedergeburtszustand folgen. Die andere merkwürdige Sache, die in den Kalachakra-Schriften Erwähnung fand, war, dass Muslime der Meinung waren, die Halal-Weise des Schlachtens von Tieren für Fleisch wäre eine Form des Opfers für Gott. Wenn sie das Tier schlachteten, sagten sie „Bismillah, im Namen Allahs”, was die Buddhisten als Blutopfer für Allah interpretierten und für falsch hielten. Das war ganz klar ein Missverständnis der Speisevorschriften innerhalb des Islams. Ansonsten gab es nichts, gegen das sie Einwände hatten. Es wurde auch nichts in Bezug auf einen Schöpfer erwähnt und das sagt doch eine ganze Menge aus.

Kann jeder Erleuchtung erlangen?

Es gibt so viele Texte, in denen verschiedene Dinge gesagt werden. In einem Sutra wird beispielsweise behauptet, es gäbe Menschen, die keine Buddha-Natur hätten, und es gäbe viele Dinge, die sich ändern, aber wenn jemand keine Buddha-Natur hätte, könne er sich nicht ändern. Es gab eine Zeit, in der wir diese widersprüchlichen Konzepte hatten.

So wie ich es verstanden habe, ging es nicht darum, dass sie keine Buddha-Natur haben. Zunächst ist es notwendig einen Blick darauf zu werfen, was Buddha-Natur eigentlich ist. Es handelt sich dabei um jene Faktoren, die einem erlauben, ein Buddha zu werden und die sich in die verschiedenen Qualitäten eines Buddhas verwandeln. Es ist das Netzwerk positiver Kraft, was zuweilen auch als „Ansammlung von Verdienst“ übersetzt wird, sowie das Netzwerk tiefen Gewahrseins, was man auch als „Ansammlung von Weisheit“ kennt. Jeder hat diese positive Kraft, weil er auf der Grundlage von Mitgefühl und der Funktionsweise des Geistes mit Verständnis auf positive Weise handelt.

Im Gegensatz zu diesem Netzwerk positiver Kraft gibt ein so genanntes „Netzwerk negativen Potenzials“, das von unseren negativen Handlungen herrührt. Wir können uns von all dem negativen Potenzial befreien, aber die Frage ist doch, ob es auch möglich ist, sich auf irgendeine Weise von all dem positiven Potenzial zu befreien und somit nicht mehr in der Lage zu sein, Buddhaschaft zu erlangen. In dieser Diskussion geht es darum, ob wir einen großen Teil dieses positiven Potenzials verlieren können, oder ob es stets da ist.

Außerdem wird darüber diskutiert, ob es eine Art Sackgasse ist, als Arhat Befreiung zu erlangen, oder ob es danach weitergeht und wir zu einem Buddha werden können. Ist davon die Rede, keine Buddhaschaft erlangen zu können, betrachtet man das Erreichen der Ebene eines Arhats als Ende.

Es ist wichtig, sich weitere Kommentare und Erklärungen dazu anzusehen und herauszufinden, was dies bedeutet. Man könnte meinen, es gäbe Personen, die dazu verurteilt wären, stets Befreiung, aber nie Buddhaschaft zu erlangen, als gäbe es da diese armen Arhats im Paradies, die einfach nur zu bemitleiden sind. Buddha sah jedoch ganz klar, dass die Menschen verschieden sind. Betrachten wir das Leben des Buddhas, können wir sehen, dass er mit seiner Gruppe von Mönchen die Leute in ihren Häusern besuchte. Er wurde zum Mittagessen eingeladen und die Menschen bereiteten ihm und seinen Mönchen ein schönes Mahl und baten ihn dann, ihnen nach dem Essen Belehrungen zu geben. Daraufhin gab Buddha, entsprechend der Mentalität der Menschen, die ihn eingeladen hatten, Unterweisungen, sodass sie in der Lage waren es zu verstehen.

Betrachten wir die Namen der Sutras, kann man erkennen, dass viele von ihnen zum Teil den Namen der Person tragen, der sie gelehrt wurden. Nicht jeder befand sich auf der gleichen Ebene und hatte dasselbe Verständnis und ähnliche Voraussetzungen. Daher gab es zahlreiche Erklärungen und im Grunde ist dies ausgesprochen weise.

Nicht viele Menschen wenden sich vom Islam dem Buddhismus zu

Es scheinen viele Menschen vom Christentum oder Judentum zum Buddhismus zu kommen, jedoch nicht so viele vom Islam. Können Sie dazu etwas sagen?

Zunächst ist es in vielen islamischen Kulturkreisen so, dass es als die schlimmste Sache angesehen wird, sich vom Islam loszusagen. In manchen kann man sogar schwer dafür bestraft werden. Der Dalai Lama legte Wert auf die Wichtigkeit korrekter Informationen und ermutigte mich zu helfen, die Botschaft interreligiöser Harmonie zu verbreiten. Dabei habe ich mich vorwiegend auf buddhistisch-muslimische Harmonie konzentriert und an mehreren verschiedenen Orten in der islamischen Welt Vorträge gehalten. Einmal habe ich in Ägypten, in Kairo, eine Vorlesung gegeben, zu der 300 Studenten aus eigenem Antrieb kamen, um etwas über den Buddhismus zu hören. Sie waren hungrig nach Informationen und wollten gern etwas dazulernen.

Seine Heiligkeit hat mich sehr darin bestärkt, einige grundlegende buddhistische Lehren in den wichtigsten islamischen Sprachen zur Verfügung zu stellen. Mittlerweile gibt es Texte in sechs islamischen Sprachen, die von vielen Menschen gelesen werden. Wir analysieren die verschiedenen Sprachen auf unserer Webseite, um herauszufinden, welche Artikel am populärsten sind. Im Arabischen ist es beispielsweise der Text, wie man mit Wut umgeht, und um davon zu profitieren zu können, muss man kein Buddhist werden. Im Buddhismus gibt es viele hilfreiche Methoden dazu, wie man Wut überwindet, mit Angst fertig wird und Ähnliches. Im Iran, in Persien, sind die Menschen sehr daran interessiert, wie man meditiert, und somit sind diese Texte dort am populärsten. In Indonesien, wo es neben der muslimischen Bevölkerung auch einen großen chinesisch-buddhistischen Bevölkerungsanteil gibt, sind die Menschen sehr an Texten über die Interaktion dieser zwei Religionen interessiert.

Es gibt also ganz klar ein Interesse in dieser Richtung. Wir können auch sehen, dass es in Pakistan jede Menge junger Leute gibt, die wirklich genug von all der Gewalt und dem Terror haben. Sie suchen nach etwas, um eine Art inneren Frieden zu erlangen und wenn wir die buddhistischen Methoden auf eine Weise präsentieren, mit der wir nicht versuchen, jemanden zu konvertieren, können sie angenommen werden. Niemand muss sich vom Islam oder Christentum lossagen. Der Buddhismus hat ganz einfach der Welt viel zu bieten und das ist es, was wir versuchen zu tun. Das ist auch das Ziel des Dalai Lama: universale Werte zu fördern, die für alle hilfreich sind.

Man sollte jedoch den Buddhismus selbst nicht auf diese universellen Werte reduzieren, denn das wäre nicht fair gegenüber dem Buddhismus. Die Weisheit des Buddhas, die Weisheit Tibets, ist Teil des Welterbes und es ist überaus wichtig, sie so zugänglich und beständig wie möglich zu machen. Viele Menschen, auch ich, beteiligen sich an dieser Bemühung.

Leerheit und das konventionelle Selbst  

Vielen Dank für diese Belehrungen. Meine Kollegen und ich hatten eine Anreise von 8 Stunden, nur um an diesen Belehrungen teilzunehmen. Sie erwähnten die Existenz eines Selbst. Normalerweise hört man nur über die Leerheit inhärenter Existenz, die Identitätslosigkeit eines „Ichs“ und so weiter. Könnten sie den Unterschied erklären?

Aus einer buddhistischen Perspektive gibt es ein Selbst. Wir sagen nicht, es gäbe kein Selbst, jedoch ist das Selbst etwas, das von Körper, Geist, Emotionen etc. abhängig ist. All diese Dinge ändern sich ständig. Wir können nicht sagen, das Selbst wäre nur der Körper, nur der Geist, nur die Emotionen, nur der Intellekt, nur dies oder nur das. Auf der Grundlage all dessen können wir jedoch das „Ich“ bestimmen. All diese verschiedenen Dinge, auf denen es beruht, unterliegen ständiger Veränderung. Unsere emotionalen Zustände ändern sich und unser Körper wächst fortwährend. Betrachten wir den Körper, so ist jede einzelne Zelle im Körper unterschiedlich. Alles ändert sich; es gibt keine Zelle mehr aus der Zeit, als wir ein Baby waren. Es gibt ein Selbst, aber es ändert sich von einem Augenblick zum nächsten, abhängig von einem Körper und einem Geist. Es gibt jedoch kein Selbst, das unabhängig von Körper, Geist, Emotionen usw. existiert, und das sich nicht, wie Körper und Geist, von einem Augenblick zum nächsten ändert.

Heißt das, es gibt keine Beständigkeit?

Es gibt weder Anfang noch Ende und in dem Sinne ist jedes einzelne Selbst ewig, aber es ist nicht etwas, das sich nicht ändert. Das Problem besteht darin, dass dieses tibetische Wort “rtag-pa”, das mit „beständig“ übersetzt wird, zwei Bedeutungen hat. Eine Bedeutung ist „für immer“, was vom Buddhismus bejaht wird, denn sogar für einen Buddha gibt es weder Anfang noch Ende. Die andere Bedeutung ist, dass es sich nie ändert, aber das Selbst ändert sich von einem Augenblick zum nächsten. Obwohl es sich bei einer Person als Baby und einer Person als Erwachsener nach wie vor um die gleiche Person handelt, kann man nicht sagen, die Person als Erwachsener wäre mit dem Baby identisch. Sie hat sich geändert und in diesem Sinne ändert sich das Selbst von einem Augenblick zum nächsten, aber es ist ewig, da es für immer fortbesteht. Das ist die Verwirrung, denn das tibetische Wort, das aus dem Sanskrit-Wort stammt, hat zwei Bedeutungen.

Hinduistischer oder buddhistischer Einfluss auf den Sufismus                                                       

Sie haben den Sufismus erwähnt. Ich nehme an, dass es hier noch mehr Parallelen zum Buddhismus gibt. Die Beziehung und Verbindung des Sufismus zum regulären Islam ist nicht so einfach, obwohl sie sich ähnlich sind. In manchen Ausrichtungen gibt es das Konzept der Wiedergeburt. Gibt es da eine Art historischer Verbindung? Ich frage, weil ich einen Sufi-Meister aus Nordost-Persien, Zentralasien, habe. Der Islam war recht ausgeprägt, als er in dieses Gebiet kam. Haben Sie in ihren Nachforschungen irgendeine historische Verbindung gefunden?

Es scheint einen etwas deutlicheren Einfluss vom Hinduismus auf den Sufismus zu geben, besonders in den afghanischen, pakistanischen und indischen Regionen, sowie in Kaschmir. Es gab einen Einfluss im Zusammenhang mit Yoga und diesen Dingen, sowie mit dem Rezitieren und Wiederholen von Phrasen und Namen, wie das Rezitieren von Mantras, was man auch im Hinduismus finden kann. Die Frage ist, woher der Einfluss kam. Kam er vom Hinduismus oder vom Buddhismus? Die Hinweise deuten etwas mehr in die Richtung des Hinduismus. Allerdings gibt es bestimmte Dinge, die an den Buddhismus erinnern, aber das betrifft eher die Schreine von Sufi-Meistern. Manche Menschen meinen, sie wären eine Art Stupa. Die Meditationsmethoden scheinen hingegen vom Hinduismus zu stammen.

Im Sufismus gibt es viele Dinge, die wirklich interessant sind. Was die Liebe betrifft, so haben sie noch ein weiteres Wort dafür, was nicht im Koran zu finden ist, und mehr so einen Beigeschmack von „Schönheit“ hat. Es gibt eine natürliche Sehnsucht und ein Verlangen danach, mit Gott und der Schönheit Gottes zu verschmelzen. Diese Liebe der Schönheit wird mit Musik ausgedrückt, die eine zentrale Rolle im Sufismus spielt und etwas ist, das man nicht im Buddhismus finden kann. Es gibt ebenfalls das Rezitieren, aber es ist kein Mittel, um sich damit Buddha zu nähern.

Im Sufismus muss man die verschiedenen Aspekte betrachten, die ähnlich sein könnten. Es gibt die Meditation und die Mantra-ähnliche Rezitation, sowie das Leben in einer Gemeinschaft, zusammen mit dem Lehrer, aber all das ist auch im Hinduismus zu finden. Es ist schwer zu sagen, aber Zentralasien war sicherlich ein Schmelztiegel, in dem diese drei Kulturen sich gegenseitig beeinflusst haben – Buddhismus, Hinduismus und Islam.

Vergleich des Sterbeprozesses                                                

Könnten Sie ein wenig dazu sagen, wie man sich laut dem Koran auf das Sterben vorbereiten sollte? Ist es wichtig, zum Licht zu sehen?

Damit bin ich nicht vertraut und ich bin auch kein Gelehrter des Koran. Ich kann mir vorstellen, dass es hauptsächlich darum geht, sich an Gott zu erinnern. Ich weiß nicht, ob das, was tatsächlich während dem Sterbeprozess passiert, so detailliert erklärt wird, wie das insbesondere in den Tantra-Lehren des Buddhismus der Fall ist. Ich habe in dieser Hinsicht nichts dergleichen finden können, was aber nicht heißen soll, dass es da nichts gibt.

Ich frage, weil ich, zusammen mit vielen Studenten, in Dubai gelebt habe und man sich dort in einer ziemlich ausgeprägten islamistischen Kultur befindet. Was Frauen betrifft, so waren sie völlig ihren Vätern ergeben und bereit, an ihre Ehemänner weitergereicht zu werden. Damals gab es Schüler und Lehrer, die diese Art der Hingabe hatten, aber was die Frage des Todes betraf, so wurde nicht darauf eingegangen. Es ging einfach nur darum, im Leben ein möglichst guter Mensch zu sein, damit man dann ins Paradies kommen kann. Aber es ist eine große Sache, wie man dorthin gelangt und auch, wie man sich auf den Tod vorbereitet. Ich bin in einer christlichen Familie aufgewachsen und da scheint es keine Parallelen zum Buddhismus zu geben, wenn es darum geht, sich auf den Tod vorzubereiten.

Laut dem Buddhismus besteht die beste Vorbereitung auf den Tod darin, an die Zuflucht zu denken, also daran, in welche Richtung wir gehen wollen, sowie an Bodhichitta, die Ausrichtung auf die Erleuchtung, und sich zu wünschen, weiterhin den Lehren und Meistern zu begegnen, um dem spirituellen Pfad weiter folgen zu können. Wenn wir sterben, denken wir an den Buddha oder unseren spirituellen Lehrer, und das unterscheidet sich im Grunde nicht so sehr vom Islam, in dem man seine Gedanken im Sterben auf Gott richtet.

Im Islam gibt es Lehren, in denen es besonders darum geht, was nach unserem Tod geschieht. Es gibt eine Aufzeichnung der positiven und negativen Taten, die begutachtet wird, nachdem wir gestorben sind. Dann kommen wir zu einer Art Aufenthaltsort, der unserem zukünftigen Bestimmungsort ähnelt, also entweder furchtbar oder wunderschön ist, an dem wir bis zum Tag des Gerichtes verweilen. Schließlich kommen alle aus ihren Gräbern und versammeln sich vor Gott, der ihnen das letztendliche Urteil verkündet. Und dann kommt man entweder für immer in den Himmel oder in die ewige Hölle.

So sieht man es im Islam. Ist man ein guter Muslim, legt man einen großen Wert darauf, zu bereuen und Gott um Vergebung für alle negativen Dinge zu bitten, die man getan hat. Das tut man auch im Buddhismus. Hat man beispielsweise die Bodhisattva- oder tantrischen Gelübde verletzt, würde man sie vor dem Tod erneuern, damit man mit frischen und reinen Gelübden stirbt. Das gibt es also auch. Die Vorstellung davon, etwas zu bedauern und reinen Tisch zu machen, bevor man stirbt, ist sehr ähnlich. Ist man ein ernsthafter Praktizierender einer Religion, so denke ich, dass man hier gewisse Parallelen im Buddhismus und Islam finden kann. Natürlich sind die meisten Menschen nicht wirklich ernsthaft, aber wenn sie es sind, würden sie so handeln.

Wir freuen uns auf das, was als Nächstes kommt, anstatt an dem festzuhalten, was wir haben. Dann gibt es natürlich auch den Märtyrertod, aber das ist eine andere Sache ist.

Mit Wut umgehen und Loyalitätskonflikte

Ich arbeite in Oslo als Lehrer an einer Schule, in der es zu sechzig Prozent islamische Schüler gibt. Können Sie mir etwas zu dem wütenden Verhalten sagen, was besonders die Jungen in der Schule betrifft? In der islamischen Welt gibt es viele Kriege und dadurch auch hier sehr viel Wut. Meine Tochter ging mit den Mädchen in eine Moschee und dort wurden furchtbare Dinge geredet und die Leute benahmen sich schlecht. Es sind Menschen, die nicht mehr in ihren Heimatländern leben, sowie dessen Kinder in der zweiten Generation. Sie stammen aus Pakistan, Afghanistan und nun auch aus Syrien. Was soll ich meiner Tochter sagen? Es ist wirklich schwer. Was denken Sie über diese Aggression und die Wut?

Zu sehen, wie viel Leid und Blutvergießen es gibt, ist offensichtlich ziemlich frustrierend für alle, die aus diesen Teilen der Welt stammen, auch wenn es sich um die zweite Generation handelt. Das wühlt die jungen Leute natürlich auf und sie sind nicht in der Lage, ihre Emotionen unter Kontrolle zu bringen. Sie drücken sie ganz offen durch Wut aus. Eines der psychologischen Probleme mit Minderheiten ist die Frage der Loyalität, ob wir nun von Muslimen oder anderen Migranten sprechen. Auf der einen Seite erwartet man im Gastland Loyalität gegenüber den Werten des eigenen Landes, aber dann haben sie auch ihre eigene Kultur und Religion, gegenüber der sie das Gefühl haben, loyal sein zu müssen.

Es ist ganz ähnlich, wie das Problem der gespaltenen Loyalität von Scheidungskindern. Sie haben das Gefühl, wenn sie gegenüber der Mutter loyal sind, können sie es nicht gegenüber dem Vater sein, und umgekehrt. Die Frage ist, wie sie die Harmonie finden können, die ihnen erlaubt, gegenüber beiden loyal zu sein. Erwarten wir beispielsweise von den Menschen Loyalität gegenüber dem Staat und nicht gegenüber ihrer ursprünglichen Kultur und Religion, werden sie ganz unbewusst loyal gegenüber den negativen Aspekten der ursprünglichen Kultur und das drückt sich dann in Form von Aggression und Ähnlichem aus.

Aus therapeutischer Sichtweise wäre es hilfreich, sie die positiven Dinge ihres kulturellen Hintergrundes erkennen zu lassen, gegenüber denen sie loyal sein können, ohne dabei mit denen des Gastlandes in Konflikt zu geraten. Es muss nicht entweder das Eine oder das Andere sein. Das ist etwas, was man in der Gesellschaft erforschen sollte. In manchen europäischen Ländern dürfen Frauen beispielsweise kein Kopftuch tragen, was aus ihrer Sichtweise furchtbar ist und zu Wut führt.

Aber was ist das große Problem an einem Kopftuch? Wenn ihr Gesicht vollkommen bedeckt ist und sie sich beispielsweise in Amerika vor Gericht befinden, ist das die einzige Situation, in der sie den Schleier ablegen müssen, und natürlich auch beim Autofahren.

Wir sollten herausfinden, welche Werte Menschen aus ihrer Kultur mitbringen, die harmonisch in eine Gesellschaft passen und keine Probleme oder Konflikte darstellen. Das hilft, diese Wut aufzulösen. Für ein Kind ist das natürlich schwer zu verstehen. Vielleicht können Sie ihre Tochter fragen, ob sie nicht auch manchmal frustriert und wütend wird, wenn es ihr schlecht geht, und schlechte Dinge zu Menschen sagt, die sie eigentlich nicht so meint. Sie können ihr helfen zu verstehen, dass Menschen häufig Dinge sagen, wenn sie wütend sind, die sie gar nicht so meinen. Das kann manchmal helfen, aber es hängt davon ab, wie alt das Kind ist.

Vielen Dank euch allen. Es war mir eine Freude mit euch über diese Dinge zu reden und ich hoffe, ihr habt etwas zum Nachdenken gefunden.

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