Der tibetische Kalender

Tibetische Ephemeriden, Kalender und Almanach

Das tibetische System der Astronomie und Astrologie ist äußerst komplex. Man braucht fünf Jahre, um es am Tibetischen Medizinischen und Astrologischen Institut in Dharamsala, Indien, zu erlernen und zu studieren. Die Studenten lernen, alles auf traditionelle Weise mit der Hand auszurechnen, wobei sie mit einem Stift auf einem rußgeschwärzten hölzernen Brett schreiben. Es gibt keine gesammelten vollständigen Ephemeriden, in denen man die Zahlen nachschlagen könnte. Einer der wesentlichen Aspekte der Schulung ist die Mathematik, die in alle Berechnungen mit eingebunden ist.

Das Kalachakra-System enthält, ebenso wie die Systeme der Hindu-Tradition, Formeln, um „die fünf Planeten und fünf mit einbezogene Kalender-Merkmale“ zu bestimmen. Die fünf Planeten sind Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Ihre Positionen, ebenso wie die von Sonne, Mond und deren Knotenpunkten, werden für die tibetischen Ephemeriden nach einem mathematischen Modell berechnet, ähnlich wie es auch im klassischen griechischen System der Fall war. Es gleicht also nicht der chinesischen Astronomie, in der die Positionen und Bewegungen der Himmelskörper hauptsächlich beruhend auf Beobachtung festgestellt wurden. Die chinesische Mathematik, sofern sie dabei gelegentlich angewendet wird, beinhaltet vor allem Algebra.

Die alten Griechen verwendeten in erster Linie Geometrie, nämlich geometrische Proportionen, um die Bewegungen der Planeten zu beschreiben und zu bestimmen. Die Hindu-Systeme entwickelten die Sinusfunktion und verwenden somit eher Trigonometrie als rein geometrische Methoden. Die Berechnungen im tibetischen System beinhalten hingegen weder geometrische Proportionen noch trigonometrische Funktionen, sondern sind rein arithmetisch.

Die Erstellung des Kalenders und Jahrbuchs berücksichtigt die fünf mit einbezogenen Kalender-Merkmale: den Wochentag gemäß Mondzyklus, das Datum im Mondmonat, die Konstellation des Mondes, die Kombinationsperiode und die Handlungsperiode. Die ersten beiden spielen eine Rolle in dem Mechanismus, wie Mond- und Sonnenkalender miteinander in Einklang gebracht werden.

Sowohl im tibetischen als auch im Hindu-System werden drei Arten von Tagen dargestellt. Ein Zodiak-Tag umfasst die Zeit, die die Sonne braucht, um einen der 360 Grade des Zodiaks voranzuschreiten. Ein Sonnentag hingegen dauert vom Morgengrauen bis zum nächsten Morgengrauen. Ein Mond-Datumstag, der mit den Mondphasen in Korrelation steht, entspricht der Zeitdauer, die der Mond braucht, um ein Dreißigstel der Distanz zwischen den Neumondpositionen der aufeinander folgenden Tierkreiszeichen zurückzulegen. Der Anfangspunkt der Mond-Datumstage wird mittels eines ähnlichen mathematischen Vorgangs berechnet wie die Bestimmung der Position von Sonne und Planeten. Sie werden im Zyklus von sieben Mondwochentagen gezählt, benannt nach den Wochentagen, welche auch die Namen von sieben Planeten sind. Um den Mond- mit dem Sonnenkalender in Einklang zu bringen, ist es erforderlich, diese Mondwochentage in die Wochentage des Sonnenzyklus einzupassen. Das ist eine komplizierte Angelegenheit.

Zuerst einmal ist zu berücksichtigen, dass der Tag des Neumonds nicht jeden Monat genau zur gleichen Zeit auftritt. Der Anfangspunkt, an dem der Mond seinen Fortschritt durch eine der kleinen Abschnitte von einem Dreißigstel seines Zyklus beginnt, kann also zu jeder Zeit eines Tages nach dem Sonnenkalender liegen. Die Zeitspanne, die er braucht, um dieses Dreißigstel seines Zyklus zurückzulegen, wird nach dem Wochentag benannt. Dieser Wochentag kann also zu unterschiedlichen Zeiten des an der Sonne orientierten Wochentages beginnen.

Außerdem braucht der Mond unterschiedlich lange, um jede dieser Dreißigstel- Entfernungen zurückzulegen, denn seine Geschwindigkeit variiert mit seiner eigenen Position und der Position der Sonne im Tierkreis. Folglich variiert die Zeitspanne eines Mondwochentages, der zwischen zwei Morgendämmerungen der aufeinanderfolgenden Sonnen-Wochentage vergeht, denn die Länge der Mondwochentage ist unterschiedlich.

Die Datumsangaben des Mondmonats, die das zweite mit einbezogene Merkmal des Kalenders sind, werden von 1 bis 30 gezählt und dauern jeweils von einem Morgengrauen bis zum nächsten, wie die Tage nach dem Sonnenkalender. Diese Lösung ist nicht so ganz selbstverständlich, weil ja die Mondwochentage – durch die die Tage der Woche bestimmt werden, denn sie heißen Sonntag, Montag usw. – an verschiedenen Zeitenpunkten beginnen und unterschiedlich lange dauern.

Die Regel besteht darin, dass der Tag der Woche danach bestimmt wird, welcher Mondwochentag zum Zeitpunkt der Morgendämmerung eingetreten ist. Ein Mondwochentag, etwa der Montag, kann z.B. am Nachmittag des 2. Datumstages im Mondmonat beginnen und am Nachmittag des 3. enden. Da zur Zeit der Morgendämmerung – die hier standardmäßig als 5 Uhr morgens angenommen wird – des 3. der Mondwochentag noch der Montag ist, wird nun also der 3. als Montag bestimmt.

Eine weitere Regel lautet, dass nie ein Wochentag wiederholt oder übersprungen werden darf. Unmittelbar nach einem Sonntag muss ein Montag folgen und nicht etwa ein zweiter Sonntag oder ein Dienstag. Doch manchmal findet die Morgendämmerung zwei aufeinanderfolgender Tage innerhalb desselben Mondwochentages statt. Es kann z.B. vorkommen, dass der Mondwochentag Montag fünf Minuten vor der Morgendämmerung des 3. Datumstages beginnt und der nächste, Dienstag, erst fünf Minuten nach der Morgendämmerung des 4. Das würde bedeuten, dass sowohl der 3. als auch der 4. ein Montag sind! Doch es kann nicht zwei Montage direkt nacheinander geben. Einer der Datumstage muss daher übersprungen werden. Deswegen sind im tibetischen Kalender manche Datumstage des Monats ausgelassen.

Andererseits kann es auch vorkommen, dass zwischen einer Morgendämmerung und der nächsten zwei Mondwochentage ihren Anfang nehmen. Wenn z.B. der Mondwochentag Montag fünf Minuten nach der Morgendämmerung des 3. Datumstages beginnt und fünf Minuten vor der Morgendämmerung des 4. endet, müsste gemäß der ersten Regel der dritte ein Sonntag sein und der vierte ein Dienstag, und es gäbe dann keinen Montag. Da es aber nicht möglich ist, von einem Sonntag direkt zum Dienstag überzugehen ohne einen Montag dazwischen, muss eine der Datumsangaben zweimal genannt werden, damit eine davon ein Montag sein kann. Aus diesem Grund gibt es manchmal zwei 8. oder zwei 25. im tibetischen Monat.

Um den Mondkalender in Einklang mit dem Sonnenkalender zu bringen, muss dem Jahr außerdem gelegentlich ein 13. Monat als doppelter bzw. „Schalt“-Monat hinzugefügt werden. Die Regeln dafür, welche Daten doppelt aufgeführt oder ausgelassen werden, und wann ein Extra-Monat hinzugefügt wird, sind in den Überlieferungslinien der tibetischen Astronomie unterschiedlich. Darin besteht ihr wesentlicher Unterschied. Auch in den verschiedenen Hindu-Kalendern gibt es doppelte und ausgelassene Datumszahlen, und sowohl diese als auch die klassischen chinesischen Kalender weisen gelegentlich doppelte Monate auf. Die Regeln, die dafür gelten, sind allerdings nicht dieselben wie in einem der tibetischen Systeme.

Das dritte mit einbezogene Kalender-Merkmal ist die Konstellation des Mondes. Das bezieht sich nicht auf die tatsächliche Position des Mondes zur Zeit der Morgendämmerung eines Mond-Datums, wie man sie nach der Methode bezüglich der fünf Planeten berechnet, sondern vielmehr auf die nächstfolgende [mit dem Mond] verbundene Konstellation. Für jedes Datum des Mondmonats ist dies die Konstellationsposition, die der Mond zu Beginn desjenigen Mondwochentages hätte, welcher zur Morgendämmerung dieses Datums auftritt und nach dem diesem Datum der Wochentag zugeordnet wurde.

Das vierte und das fünfte mit einbezogen Merkmal sind die Kombinations- und die Handlungsperiode. Es gibt 27 Kombinationsperioden. Jede davon ist die Zeitdauer, in der die kombinierte Bewegung der Sonne und des Mondes einem Siebenundzwanzigstel des gesamten Zodiaks entspricht. Die Kombinationsperiode für jede Zeit ergibt sich daraus, dass man die korrigierte Sonnenposition zu der nächstfolgenden verbundenen Konstellationsposition des Mondes hinzufügt. Jede dieser Perioden beginnt also zu einer anderen Zeit. Sie haben besondere Namen und werden mit speziellen Interpretationen in Verbindung gebracht, wobei einige weniger glücksverheißend als andere angesehen werden.

Und schließlich gibt es sieben Handlungsperioden, die berechnet werden, indem man die 30 Mond-Tage recht ungleichmäßig unterteilt. Es ist nicht notwendig, hier diesbezüglich weiter ins Detail zu gehen. Jede der elf Handlungsperioden hat einen speziellen Namen, und auch von ihnen gelten einige als weniger förderlich für bestimmte Aktivitäten als andere.

Besondere Tage im tibetischen Kalender

Der tibetische Kalender und der Almanach spielen eine große Rolle im Leben der Tibeter. Einer der wichtigsten Zwecke besteht darin, das Datum für bestimmte buddhistische Zeremonien zur Darbringung von Gaben (tib. tsog) festzulegen. Jeweils der 10. Tag der Phase des zunehmenden Mondes und der des abnehmenden Mondes, mit anderen Worten, der 10. und der 25. eines jeden Mondmonats ist der Tag, an dem rituelle Gaben an die Buddha-Gestalten Chakrasamvara, auch Heruka genannt, und Vajrayogini sowie an Guru Rinpoche Padmasambhava, den Gründer der Nyingma-Tradition, dargebracht werden. Der 8. Tag eines jeden tibetischen Monats ist der besondere Tag, an dem Gaben an Tara dargebracht werden. Dies findet nur während der Phase des zunehmenden Mondes statt.

Wenn z.B. in einem tibetischen Monat zweimal das Datum 10. angegeben ist, wird die Zeremonie der Darbringung am ersten davon durchgeführt. Wenn der 10. in einem Monat ausgelassen ist, wird die Zeremonie am 9. abgehalten. Diese Regel gilt für alle religiösen Praktiken, die an einem bestimmten förderlichen Datum des tibetischen Kalenders ausgeführt werden.

In allen tibetischen Überlieferungslinien und in sämtlichen Klöstern aller Traditionen richtet sich der Zeitplan der Rituale, die im Laufe des Jahres ausgeführt werden, nach dem tibetischen Kalender. Die Sommerklausur wird normalerweise vom 16. des sechsten tibetischen Monats bis zum 30. des siebten Monats eingehalten. Sie wird als die frühe Sommerklausur bezeichnet. Die tantrischen Klöster Gyü-to und Gyü-me in Lhasa befolgen die Einhaltung der späteren Sommerklausur, die vom 16. des siebten tibetischen Monats bis zum 30. des achten Monats währt. In der Gelug-Tradition ist zudem der 29. eines jeden Mondmonats ein besonderer Tag für die Buddha-Gestalt Vajrabhairava, auch als Yamantaka bekannt, dem spezielle Bedeutung für den Schutz vor Hindernissen und Störungen zukommt. Aus diesem Grund gilt es als am besten, Meditationsklausuren oder intensive Praktiken an diesem Datum des tibetischen Monats zu beginnen.

Am buddhistischen Feiertag Vesak wird nicht nur des Parinirvanas, des Dahinscheidens von Buddha Shakyamuni, gedacht, sondern auch sein Geburtstag und seine Erleuchtung gefeiert. Das Wort Vesak, manchmal auch als Wosak bezeichnet, stammt von dem entsprechenden Pali-Wort ab, das in den Ländern der Theravada-Tradition für den Sanskrit-Monat Vaishakha verwendet wird – welcher im Kalachakra der zweite Monat ist und im tibetischen Kalender der vierte. Dieser Festtag wird am Vollmondtag, also am 15. dieses Monats begangen. Da der Kalender der Theravadin sich vom tibetischen Kalender unterscheidet und aus einem der indischen Hindu-Systeme stammt, kommt es dazu, dass Vesak dementsprechend einen Monat früher liegt als gemäß dem tibetischen System.

Noch zwei weitere Ereignisse aus Buddha Shakyamunis Leben werden besonders gefeiert. Nachdem Buddha unter dem Bodhi-Baum in Bodh Gaya seine Erleuchtung gezeigt hatte, war die erste Person, die er lehrte, seine Mutter, die bei seiner Geburt gestorben und im Himmel der 33 Götter oder, einigen Quellen zufolge, im Tushita-Himmel wiedergeboren worden war. Dorthin begab sich Buddha, um sie zu lehren. Der Feiertag seiner Herabkunft aus dem himmlischen Bereich wird am 4. Tag des sechsten tibetischen Monats begangen und gedenkt seiner Rückkehr in diese Welt. Anschließend begab Buddha sich nach Sarnath und lehrte dort im Hirschpark seine ersten menschlichen Schüler. Der Feiertag des „In-Gang-Setzens der Runden der Lehre“ (Drehen des Dharma-Rades) am 22. Tag des neunten tibetischen Monats gedenkt dieser Begebenheit.

Auch in jeder der tibetisch-buddhistischen Überlieferungslinien gelten bestimmte Tage als besonders. In der Gelug-Tradition z.B. wird am 25. Tag des zehnten tibetischen Monats der Feiertag der „Fünften Darbringung zu Ganden“ begangen, mit dem des Dahinscheidens von Tsongkhapa gedacht wird. Das große Gebetsfest in Lhasa, Mönlam, findet vom 3. bis zum 24. Tag des ersten tibetischen Monats statt. Am letzten Tag wird traditionellerweise vom Staatsorakel Nechung die Zeremonie des „Hinauswerfens der Ritual-Kuchen“ vollführt, mit der alle Hindernisse für das neue Jahr symbolisch beseitigt werden. Am nächsten Tag, dem 25. des ersten Monats, schließt sich daran die Feier der Einladung Maitreyas an, bei der ein Bild von Maitreya, dem nächsten Buddha, in einer geschmückten Kutsche in einer Art Prozession durch Lhasa gefahren wird.

Außerdem gibt es spezielle Tage für die Konsultation der Orakel. Die tibetische Regierung zieht z.B. traditionellerweise das Staatsorakel Nechung am 10. des ersten Monats zu Rate. In Tibet konsultierten die Äbte des Klosters Drepung das Nechung-Orakel regelmäßig am 2. Tag eines jeden tibetischen Monats.

Im tibetischen Kalender werden drei Arten von ungünstigen Tagen angegeben. „Schlechte Tage“ sind mit dem tibetischen Buchstaben „zha“ gekennzeichnet; sie dauern von der Morgendämmerung des betreffenden Tages bis zur Morgendämmerung des folgenden Tages. „Schwarze Tage“ sind mit dem Buchstaben „nya“ markiert; sie währen nur tagsüber. Beide treten jedes Jahr an festen Tagen auf, und zwar einmal in jedem Monat des Kalachakra-Systems. Die dritte Art ungünstiger Tage, gekennzeichnet mit dem Buchstaben „ya“, dauert den ganzen Tag und die Nacht über. Diese Tage werden als die „Yen-Kuong-Tage“ bezeichnet, benannt nach einer chinesischen Gottheit. Normalerweise gibt es jedes Jahr 13 davon, und sie fallen auf feste Tage der chinesischen Monate, die nach dem „gelben Berechnungssystem“ gezählt werden. Gemäß dem aus China stammenden Berechnungssystem im Zusammenhang mit den Elementen gibt es außerdem in jedem Jahr zwei „schwarze“ bzw. ungünstige Monate und ab und zu sogar ein „schwarzes“ Jahr.

Eine weitere Art von Tagen wird im tibetischen Kalender mit dem Buchstaben „sa“ gekennzeichnet. Damit wird die zweimal im Monat abzuhaltende Zeremonie für Mönche und Nonnen zur Bereinigung und Wiederherstellung ihrer Gelübde, die „Sojong“-Zeremonie, markiert. Die erste davon wird jedes Jahr 15 Tage (gemäß Sonnenkalender) nach Neujahr abgehalten. Tibetische Monate beginnen stets mit der Phase des zunehmenden Monds. Die zweite Sojong-Zeremonie in jedem Monat wird am Ende der Phase des abnehmenden Monds 14 Mond-Monatstage nach der vorhergehenden Zeremonie abgehalten. Wenn eine Datumszahl im Kalender doppelt aufgeführt ist, werden beide als ein Tag gezählt. Ist eine Datumszahl ausgelassen, muss ein extra Tag hinzugezählt werden, um auf 14 Tage zu kommen. Die erste Sojong-Zeremonie eines jeden Monats, die am Ende der Phase des zunehmenden Mondes stattfindet, wird einfach 15 Tage (gemäß Sonnenkalender) nach der vorhergehenden Zeremonie abgehalten, ohne Berücksichtigung doppelt aufgeführter oder übersprungener Datumszahlen.

Erwähnenswert ist, dass im Allgemeinen die Monatshälfte mit der Phase des zunehmenden Mondes als glückverheißender betrachtet wird als die des abnehmenden Mondes Die meisten Tibeter beginnen deshalb konstruktive, positive Vorhaben und Praktiken in der ersten Hälfte des Mondmonats, damit die Resultate zunehmen und sich ausweiten wie der zunehmende Mond.

Glückverheißende und ungünstige Tage

Überdies gelten manche Tage als glückverheißend und andere als ungünstig für bestimmte Aktivitäten. Der 9., der 19. und der 29. eines Mondmonats werden als günstig für den Beginn einer Reise angesehen, wohingegen die sogenannten „Tage des Wasser-Siebs“, nämlich der 2., 8., 14., 20. und 26. des Monats als ungünstig für Reisen gelten. Deswegen verfahren Tibeter oftmals so, dass sie, wenn sie eine Reise nicht an einem günstigen Datum beginnen können, an dem günstigen Datum schon einmal ein Gepäckstück hinausbringen und es ein Stück die Straße hinunter zu einem anderen Haus tragen, um symbolisch die Reise bereits an diesem Tag zu beginnen. Wenn allerdings jemand am 9., 19. oder 29. stirbt oder zu dem Zeitpunkt, wenn der Mond sich in der 9. Konstellation befindet, oder an einem Sonntag – und erst recht, wenn diese 3 Zeitpunkte zusammenfallen –, so wird dies als ungünstig für die Hinterbliebenen betrachtet.

Das ungünstigste Datum im ganzen Jahr ist der „Tag der neun schlechten Omen“. Er beginnt am 6. Tag des elften tibetischen Monats zur Mittagszeit und dauert bis zum Mittag des 7. In dieser Zeit versuchen die meisten Tibeter keine spezielle religiöse oder sonstige positive Aktivität zu unternehmen, sondern machen lieber Picknick, entspannen sich und beschäftigen sich mit Spielen. Der geschichtliche Hintergrund dieses Brauchs ist, dass zur Zeit des Buddha jemand an diesem Tag versuchte, viele positive Taten zu vollbringen, aber von neun ungünstigen Geschehnissen heimgesucht wurde. Buddha riet, künftig an diesem Tag im Jahr besser nicht zu versuchen, viel Gutes zu vollbringen.

Die unmittelbar darauffolgenden 24 Stunden, vom Mittag des 7. Tages im elften Monat bis zum Mittag des 8, sind der „Tag der zehn guten Omen“. An diesem Tag zur Zeit des Buddha geschahen derselben Person zehn wunderbare Dinge, als sie weiterhin versuchte, etwas Aufbauendes zu tun. Diese Zeitspanne wird folglich als sehr förderlich für positive Unterfangen angesehen, aber im Allgemeinen verbringen die Tibeter auch diese Zeit mit Picknicks und Spielen.

Noch zwei weitere Zeitspannen im Jahr werden im Almanach vermerkt und sind erwähnenswert. Die erste wird das „Aufgehen des Sterns Rishi“ genannt. Dies wird nach einem bestimmten Zeitpunkt im achten tibetischen Monat berechnet und dauert sieben Tage. Während dieser Zeit trifft das Licht des Sterns „Rishi“ auf einen Edelstein auf dem Haupt einer berühmten Statue und lässt Nektar davon herabfließen. Das bewirkt, dass heiße Quellen zu dieser Zeit besonders wirksam sind und deswegen sind diese sieben Tage die sogenannten Badetage, an denen die Tibeter heiße Quellen aufsuchen, um deren Heilkräfte zu nutzen.

Die andere Zeitspanne heißt „Gift-Schweine-Tage“. Auch sie währt sieben Tage lang und wird nach einem anderem Zeitpunkt im fünften tibetischen Monat berechnet. An diesen Tagen wird Wasser aufgrund des Einflusses von verunreinigtem Regen zu Gift. Medizinpflanzen, die an diesen Tagen gepflückt werden, werden giftig. Und auch heiße Quellen würden sich in dieser Zeit nachteilig auswirken und werden deswegen von allen gemieden.

Gemäß dem aus China stammenden Berechnungssystem bezüglich der Elemente gibt es während unseres Lebens viele Perioden mit Hindernissen, aber die hauptsächliche davon wird von allen Tibetern als „Lebensjahr der Hindernisse“ vermerkt. Es handelt sich um jedes Jahr, in dem das eigene Tierkreiszeichen sich wiederholt. Wenn man z.B. im Jahr der Ratte geboren ist, heißt also, dass jedes folgende Jahr der Ratte – also alle zwölf Jahre - ein Hindernis-Jahr ist. Gemäß der tibetischen Art, die Lebensjahre zu zählen – in der jedes Kalenderjahr, in dem wir leben, als ein Jahr unseres Lebenalters gezählt wird -, sind wir folglich im ersten dieser Jahre ein Jahr alt, im zweiten 13 Jahre alt usw.

Populäre Anwendungsarten von Astrologie bei den Tibetern

Die Stunden-Astrologie – das Überprüfen der Förderlichkeit von Stunden des Tages – ist eine wesentliche astrologische Besonderheit, die auf den tibetischen Almanach zurückgeht. Auch sie spielt eine wichtige Rolle im Leben der Tibeter. Dabei werden die ersten beiden dazugehörigen Kalender-Merkmale mit einbezogen, also der Wochentag nach dem Mondkalender und die Konstellation des Mondes.

Jede der 28 Mondkonstellationen und jeder der sieben Mondwochentage steht in Verbindung mit einem der vier Elemente. Dabei handelt es sich um vier der fünf Elemente, die in den indischen Systemen aufgezählt werden, nämlich Erde, Wasser, Feuer und Wind. Das Element der nächstfolgenden verbundenen Mond-Konstellation für ein bestimmtes Datum wird mit dem des Mondwochentages in Verbindung gesetzt, der gerade stattfindet. Jede der zehn möglichen Kombinationen der Elemente wird unterschiedlich interpretiert, und darauf beruhend kann man dann entscheiden, ob es ratsam ist, eine bestimmte Aktivität zu dieser Zeit zu unternehmen oder nicht.

Das ist das System der zehn untergeordneten zusammenpassenden Kombinationen. Wenn wir zum Beispiel am Ende einer Meditationsklausur eine Zeremonie der Feuer-Darbringung machen wollen, ist es am besten, dafür eine Stunde mit einer doppelten Feuerperiode zu wählen, in der das Feuer in die Höhe getrieben wird, statt einer Zeitspanne, in der Wasser und Feuer kombiniert sind und die Flammen gedämpft oder gar gelöscht würden.

Bei den Tibetern werden Astrologen vor allem konsultiert, um Horoskope für Neugeborene zu erstellen oder für Hochzeiten und Todesfälle. Um ein Horoskop zu erstellen, werden das so genannte schwarze und das weiße Berechnungssystem kombiniert. Das weiße System stammt aus Indien und das schwarze aus China. Von besonderem Interesse ist für tibetische Eltern die zu erwartende Lebensdauer ihrer Kinder. Wenn sie kurz ist und viele Hindernisse zu erwarten sind, werden bestimmte religiöse Zeremonien durchgeführt, die im Horoskop empfohlen werden, und Statuen und Bildnisse in Auftrag gegeben.

Vor einer Heirat wird überprüft, ob das Paar zueinander passt, indem die Kiesel, die in der Berechnung für die Elemente stehen, und Trigramme – zwei Faktoren aus dem schwarzen Berechnungssystem - der künftigen Ehepartner zueinander in Beziehung gesetzt werden. Samstag wird als Wochentag des Gedeihens angesehen, deshalb gilt er in astrologischen Berechnungen für eine Hochzeit als der beste Wochentag, an dem eine Braut ankommen und in das Haus der Familie ihres zukünftigen Ehemanns übersiedeln sollte. Die Familie des Paares gibt dem Astrologen die ungefähre Woche an, in der wunschgemäß die Hochzeit stattfinden soll. Dann werden der günstigste Tag der Woche und der Zeitpunkt innerhalb dieser Spanne nach dem System der zehn untergeordneten zusammenpassenden Kombinationen bestimmt. Wenn sich dabei der Samstag als ein günstiger Tag dafür herausstellt, ist es immer am besten, die Hochzeit an diesem Tag zu halten. Falls der Samstag sich in der Berechnung als ungünstig herausstellt, wird dasjenige günstige Datum ausgewählt, das ihm am nächsten liegt, aber dennoch würde man der Braut raten, am Samstag zuvor in das Haus ihres künftigen Ehemannes einzuziehen.

Fast alle Tibeter ziehen einen Astrologen zu Rate, wenn jemand gestorben ist. Beruhend auf dem Zeitpunkt, zu dem der Tod stattgefunden hat, werden dann gemäß dem aus China stammenden Elementen-System Berechnungen angestellt, zu welcher Zeit und in welche Richtung der Leichnam von dort, wo er aufgebahrt ist, bewegt und zum Grab oder zum Ort der Feuerbestattung gebracht werden sollte. Die Zeit für die tatsächlichen Verbrennung oder Beerdigung selbst wird nicht ausgerechnet und günstige und ungünstige Tage gemäß der zehn untergeordneten zusammenpassenden Kombinationen werden dabei nicht berücksichtigt. Die Art der Zeremonien, die für den Toten durchgeführt werden sollten, wird jedoch ebenfalls bestimmt, insbesondere wenn man annimmt, dass zum Zeitpunkt des Todes schädliche Geister eine Rolle gespielt haben.

Die Tibeter suchen im allgemeinen einen Astrologen auch um Rat hinsichtlich günstiger Tage für einen Umzug, eine Geschäftseröffnung oder ein geschäftliches Vorhaben auf. In Tibet bezieht sich Letzteres meist auf Tag und Datum für den Beginn einer Yak-Karawane, während in Indien der häufigste geschäftliche Anlass darin besteht, sich auf den Weg zu machen, um Pullover und andere Kleidungsstücke in entfernteren Städten im Straßenverkauf anzubieten. Das ist unter den Exiltibetern eine der üblichsten Arten, den Lebensunterhalt zu verdienen.

Weitere Anlässe, für die immer ein günstiger Tag gewählt wird, treten auf, wenn ein junger inkarnierter Lama inthronisiert wird sowie wenn er später die formellen Gaben an ein Kloster überreicht, um dort sein Studium zu beginnen, ferner, wenn eine Familie ein Kind in ein Kloster eintreten lässt, und wenn ein neuer Geshe, nachdem er seine religiöse Ausbildung vollendet und die Examen bestanden hat, die formellen Gaben an sein Kloster darbringt. Unter Tibetern ist es außerdem Brauch, dass ein Baby ca. ein Jahr nach der Geburt seinen ersten Haarschnitt bekommt. Auch das muss an einem günstigen Tag stattfinden, denn man glaubt, dass das Baby sonst mit großer Wahrscheinlichkeit Abszesse oder Wunden davonträgt.

Tibetische Ärzte ziehen medizinbezogene Astrologie hinzu, um die besten Wochentage für spezielle medizinische Behandlungen eines Patienten festzustellen, etwa Moxibustion oder Akupunktur mit Goldnadeln. Dafür werden die Tage der Lebenskraft und des Lebensgeistes des Patienten ausgewählt, die nach seinem Geburts-Tierkreiszeichen bestimmt werden, und Tage, die als todbringend gelten, gemieden.

Wenn eine Langlebens-Zeremonie für einen Lama stattfindet, geschieht dies am frühen Morgen am Tag seiner Lebenskraft bzw. seines Lebensgeistes. Seine Heiligkeit der 14. Dalai Lama wurde im Jahr des Erd-Schweins geboren. Da sein Lebenskraft-Tag der Mittwoch ist, beginnen viele Lamas eine Reihe von Lehrvorträgen an diesem Wochentag, weil dies als förderlich gilt. Wenn rituelle Zeremonien zugunsten von jemandem abgehalten werden, der krank ist, werden dafür ebenfalls die Tage gewählt, die mit dessen Lebenskraft- bzw. Lebensgeist in Verbindung stehen.

Noch eine Angelegenheit, bezüglich derer Tibeter regelmäßig Astrologen konsultieren, ist die Einschätzung, ob ihre Geschäfte in diesem Jahr gut verlaufen werden. Der Astrologe stellt dann eine Prognose gemäß einem Schema, das in dem so genannten System des „Sich-Ergebens aus den Vokalen“ zu finden ist. Die Frage muss formell dargelegt werden, und anschließend wird eine Berechnung angestellt, die auf der Anzahl der Worte in der Frage und der Anzahl der Menschen, die zur Zeit der Fragestellung in dem Raum anwesend sind, in dem die Frage gestellt wird.

Der buddhistische Ansatz bezüglich Astrologie

Es gibt so viele Variablen, die die Interpretation einer bestimmten Zeitphase beeinflussen können – und zwar sowohl allgemein als auch für Individuen –, dass für fast jeden Zeitpunkt irgendetwas Nachteiliges angeführt werden kann. Nicht alle Faktoren sind von gleicher Wichtigkeit. Für die ein oder andere Situation werden nur bestimmte Variablen untersucht, und einige Faktoren werden von anderen außer Kraft gesetzt oder in den Schatten gestellt. Wenn also z.B. eine Reise am 9., 19. oder 29. eines Monats angetreten werden kann oder wenn eine Kalachakra-Ermächtigung an einem Vollmond-Tag erteilt werden kann, ist es nicht von entscheidender Bedeutung, dass andere Faktoren vielleicht ungünstig sein mögen.

Der Zweck dieses Systems besteht nicht darin, Leute durch Aberglauben zu lähmen. Es stellt der Bevölkerung vielmehr so etwas Ähnliches wie eine Wettervorhersage zur Verfügung. Wenn wir eine ungefähre Vorstellung haben, dass ein bestimmtes Datum vielleicht nicht so günstig ist, können wir vorbeugende Maßnahmen ergreifen, etwa eine Zeremonie durchführen, uns sorgsam und freundlich verhalten usw., und dadurch möglicherweise Probleme überwinden oder vermeiden. Es ist so ähnlich, als würde man einen Regenschirm mitnehmen, wenn man erfährt, dass die Wahrscheinlichkeit von Regen hoch ist.

Im Buddhismus wird Astrologie nicht so verstanden, dass Einflüsse von Himmelskörpern ausgehen, die unabhängig existierende Entitäten sind und nicht in Beziehung zum Geisteskontinuum eines jeden Individuums stehen, sondern eher als eine Wiederspiegelung der Ergebnissen von früherem unbesonnenen Verhalten bzw. Karma der betreffenden Person. Ein Horoskop ist eigentlich fast so etwas wie eine Landkarte, aus der wir Aspekte unseres Karmas ablesen können. Eines der umfassenden Resultate von unbesonnenen Handlungen in früheren Leben ist z.B. die Wiederspiegelung unserer karmischen Situation in den astronomischen und astrologischen Konfigurationen, unter denen wir geboren wurden. Astrologische Information kann daher aufschlussreich für uns sein hinsichtlich der Resultate, die aus unseren früheren, impulsiven Handlungen hervorgehen, wenn wir nicht vorbeugende Maßnahmen treffen, um die Situation zu verändern. Somit hilft sie uns zu erkennen, wie man mit einer misslichen Lage umgeht. Auf ähnliche Weise zeigt ein Almanach die umfassenden Resultate auf, die von einer großen Anzahl von Individuen gemeinsam hervorgebracht sind und erlebt werden.

An der buddhistischen Weltsicht ist nichts Fatalistisches. Die gegenwärtige Situation ist aus Ursachen und Umständen entstanden. Wenn wir die Situation akkurat studieren, können wir uns auf eine Art und Weise verhalten, die andere Ursachen und Umstände schafft, und damit bereits in diesem Leben die Situation zum Vorteil für uns selbst und andere beeinflussen. Das heißt nicht: dass man den verschiedenen Gottheiten der Himmelskörper Opfer oder Gaben darbringt, um sie zu besänftigen und etwaigen Schaden abzuwenden, den sie uns zufügen würden, sondern vielmehr, dass wir unsere eigenen Einstellungen und Verhaltensweisen ändern.

Wenn auf der volkstümlichen Ebene manchmal geraten wird, eine Statue oder ein Bildnis einer bestimmten Buddha-Gestalt in Auftrag zu geben, um die eigene Lebensspanne zu verlängern, mag das so scheinen, als täte man das, um die Gunst dieser Gestalt zu gewinnen. Doch das ist eine auf mangelnder Bildung beruhende falsche Vorstellung. Was bei solch einem Vorgehen die größte Wirkung hat, ist die Einstellung, die dabei hervorgebracht wird. Wenn die Einstellung von Furcht oder Egoismus bestimmt ist, wird die Wirksamkeit des Unterfangens minimal sein. Weitaus wirksamer für die Verlängerung unseres Lebens und die Verbesserung unseres Gesundheitszustandes und unserer materiellen Situation sind bestimmte Meditationspraktiken, wenn sie mit der Motivation ausgeübt werden, anderen helfen zu können.

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