Ich richte meine Bitten an dich, unvergleichlicher Beschützer, Löwe des Shakya-Klans. Wie der Pfad der Götter durchdringt deine höchste Allwissenheit alles gültig Erkennbare. Wie die Strahlen des Mondlichts verschönert dein Mitgefühl das Haupt der wandernden Wesen. Wie ein wunscherfüllendes Juwel ist dein erleuchtender Einfluss ein Schatz, der alle Wünsche erfüllt. Möge für jedes wandernde Wesen alles konstruktiv und vortrefflich sein.
Vor dir, oh Sakyapa, den man nur schwer mit Namen benennen kann, verbeuge ich mich voller Respekt. Du bist Manjushri, der das tiefe Gewahrsein aller Siegreichen der drei Zeiten in sich vereint. Du bist Avalokiteshvara, der geschworen hat, alle wandernden Wesen der drei Ebenen samsarischer Existenz zu beschützen. Du hast eine menschliche Form angenommen, um die wandernden Wesen in diesem Zeitalter des Niedergangs zu führen.
Hier werde ich die außergewöhnlichen Richtlinien für die essenziellen Punkte des Mahayana darlegen und damit den wiederholten Bitten von dir, oh Strahlender mit tugendhaftem Geist, nachkommen. Durch die Kraft deines in der Vergangenheit aufgebauten positiven Potenzials, hast du eine menschliche körperliche Grundlage geschaffen, um den heiligen Dharma zu verwirklichen, und mit deinem spontan hervorgebrachten Reichtum hast du den Lehren, sowie den Bewahrern der Lehren Opfergaben dargebracht.
Um der gesamten Welt von Nutzen zu sein, hat der vollkommen erleuchtete Buddha eine Vielzahl an Dharmalehren gemäß den Neigungen, Wünschen und verborgenen Potenzialen der zu zähmenden Wesen dargelegt, obgleich er nicht darum gebeten wurde. Die Gesamtheit dessen wurde im Fahrzeug der weitreichenden Vollkommenheit (Paramitayana) und dem diamantharten Fahrzeug (Vajrayana) zusammengefasst.
Die wesentlichen Hauptpunkte des Sutra, wie sie in den klassischen Texten erklärt werden
Im Ersten (Paramitayana) gibt es zwei Aspekte:
- die wesentlichen Hauptübungen, wie sie in den klassischen Texten erklärt werden; sowie
- die diesbezüglichen Übungen durch die wesentlichen Punkte der Quintessenz-Lehren.
Was die wesentlichen Hauptpunkte betrifft, die in den klassischen Texten erklärt werden, sprach der Beschützer Gönpo Maitreya bezüglich dieser zwei
- in „Ein Filigranschmuck der Verwirklichungen“ vom Stufenpfad im Sinne der acht Gruppen von Verwirklichungen, welche die Bedeutung der „Sutras des weitreichenden unterscheidenden Gewahrseins“ (die Prajnaparamita Sutras) sind.
- In „Ein Filigranschmuck für die Mahayana-Sutras“ sprach er ebenfalls vom Stufenpfad, doch hier im Sinne der beabsichtigten Punkte der verschiedenen Mahayana-Sutras – (Buddha-Natur)-Familieneigenschaften, Bestrebungen für den Dharma usw.
In „Eine kostbare Girlande“, sprach der höchste Arya Nagarjuna von:
- dem höheren Status und dem endgültig Gutem, als was es zu verwirklichen gilt;
- jenen mit Glauben an Tatsachen und unterscheidendem Gewahrsein, als welche sie verwirklichen; und
- dem Stufenpfad, als durch was sie verwirklicht werden.
Der meisterhafte Lehrer Acharya Aryadeva sprach vom Stufenpfad auf folgende Weise:
- die Buddhaschaft als Objekt der Ausrichtung nehmend, werden die vier verkehrten (Betrachtungen) aufgegeben;
- die störenden Emotionen werden zusammen mit ihren Ursachen durchtrennt, welche die Hindernisse sind, die vollkommen vollendetes Bodhisattva-Verhalten verhindern;
- und dann der eigentliche Hauptpunkt, der darin besteht, die Lehren des Nektars der eigentlichen Natur der Realität (zu verwirklichen), nachdem man selbst zu einem angemessenen Gefäß für die eigentliche Natur der Realität geworden ist.
Acharya Shantideva sprach in „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ folgendermaßen vom Stufenpfad zum Verwirklichen der Buddhaschaft:
- eine körperliche Grundlage mit Ruhepausen und Bereicherungen zu haben;
- auf dieser Grundlage die sechs weitreichenden Geisteshaltungen – die essentielle Natur des Bodhisattva-Verhaltens – zu praktizieren;
- und sie mit reinen Gebeten zu verbinden.
Der ehrwürdige Atisha sprach vom Stufenpfad auf folgende Weise:
- Menschen auf der anfänglichen Ebene, die nicht mehr an diesem Leben hängen, arbeiten daran, lediglich ihre eigenen Ziele in zukünftigen Leben zu verwirklichen.
- Menschen auf der mittleren Ebene, welche die Freuden samsarischer Wiedergeburten aufgegeben haben, arbeiten daran, lediglich ihre eigene Befreiung zu verwirklichen.
- Menschen auf der fortgeschrittenen Ebene arbeiten daran, zum Wohle aller begrenzten Wesen Buddhaschaft zu verwirklichen.
Der berühmte Shri Chandrakirti sprach vom Stufenpfad auf folgende Weise:
- Als ein gewöhnliches Wesen schult man sich in den drei Arten des Geistes: Mitgefühl, Bodhichitta und Nichtdualität.
- Hat man dann die Ebene eines Arya, eines hochverwirklichten Wesens erlangt, geht man mittels der zehn weitreichenden Geisteshaltungen die zehn Bhumi-Ebenen des Geistes durch,
- und verwirklicht die drei Körper eines Buddha.
Diese Tradition, die von diesen Auslegern (des Stufenpfades) ohne verkehrte (Erklärungen) dargelegt wird, die eine majestätische Herrschaft darüber haben, was als beabsichtigte Bedeutung des Mahayana Korbes (der Sutras) festgelegt wurde, ist wirklich beachtlich. Doch obgleich sie von jenen verstanden werden kann, welche die (ausführliche) Tradition der klassischen Texte studiert und ihren Geist dadurch geschult haben, kann sie nicht nur durch diese wenigen (Worte) hier verstanden werden.
Die Übungen der klassischen Sutra-Texte durch die essenziellen Punkte der Quintessenz-Lehren
Zweitens gibt es, was das Praktizieren ihrer Bedeutungen durch die essenziellen Punkte der Quintessenz-Lehren betrifft, im Allgemeinen nur ganz wenige (Handbücher), doch die wichtigsten von ihnen sind folgende:
- jenes, welches Atisha von Lama Serlingpa bekam; und
- jenes, welches Sakyapa Lama von Gönpo Manjushri bekam.
Die Quintessenz-Lehren, die Atisha von Lama Serlingpa bekam
Von diesen zwei Büchern, werden im ersten (Geistestraining in sieben Punkten) dargelegt:
- Was die Grundlage für das Entwickeln einer Bodhichitta-Ausrichtung betrifft – (1) Verwirklichen (der Lehren über) die vier Themen: (a) die Schwierigkeit, (eine menschliche Wiedergeburt mit) Ruhepausen und Bereicherungen zu finden, (b) Tod und Vergänglichkeit, (c) karmische Ursache und Wirkung, und (d) die Nachteile unkontrollierbar sich wiederholender samsarischer Wiedergeburt.
- Was die vorangehenden Übungen (zum Entwickeln einer Bodhichitta-Ausrichtung) betrifft – sich lange Zeit in Liebe und Mitgefühl zu üben und dann, als eigentliche (Methode), (2) hauptsächlich über Bodhichitta zu meditieren, indem man sich selbst mit anderen austauscht, und wenn es angemessen ist, über tiefstes Bodhichitta zu meditieren.
- Was zusätzliche Übungen dieses Pfades betrifft – (3) das Verwandeln widriger Umstände in einen Pfad zur Erleuchtung; (4) die Kondensierung der Praxis in einem Leben; (5) das Ausmaß messen, in dem man die eigenen Geisteshaltungen geschult hat; (6) die eng bindenden Praktiken für die Schulung der Geisteshaltungen; und (7) die Punkte, die für die Schulung der Geisteshaltungen zu üben sind.
Dies zu praktizieren, ist ein herausragender Pfad, der nicht augenfällig, aber ausgesprochen wirksam ist.
In Tibet hat Atisha ihn niemandem, außer seinem spirituellen Freund Geshe Dromtönpa vermittelt. Der Geshe hat ihn seinerseits niemandem, außer den drei kostbaren spirituellen Brüdern vermittelt. Von ihnen hat er sich weit verbreitet. Dessen tibetischer Diskurs ist ein großer Pfad (der Praxis), der so bekannt ist, wie die Sonne und der Mond. Was dessen Praxis betrifft, wendet man sich an die Texte vom Bodhisattva Chodzongwa und seinem spirituellen Sohn, sowie an jene des großen Wesens Mahasattva Zhonnu Gyalchog.
Die Quintessenz-Lehren, die Lama Sakyapa von Gönpo Manjushri bekam
Bei dieser Gelegenheit (werde ich nun darlegen), was Gönpo Manjushri Lama Sakyapa zuteilwerden lies. Obgleich es Ähnlichkeiten zu den oben genannten Hauptpunkten der Praxis gibt, sind die Unterteilungen des Themengebiets und die Anordnung der Punkte herausragender.
Darüber hinaus wird gesagt, dass der große Sakyapa-Lama Kunga Nyinpo, sich mit zwölf Jahren in ein Retreat begab, um Manjushri zu verwirklichen und nach sechs Monaten eine Vision von Manjushri hatte, in der er zu ihm sagte:
Wenn du an diesem Leben hängst, bist du kein Dharma-Praktizierender. Wenn du an samsarischer Wiedergeburt hängst, hast du keine Entsagung, keine Entschlossenheit, frei zu sein. Wenn du an deinen eigenen Vorteilen hängst, hast du keine Bodhichitta-Ausrichtung. Wenn Greifen entsteht, hast du keine Sicht.
In diesen Zeilen sind die vollständigen Übungen des (Fahrzeugs der) weitreichenden Paramitas enthalten.
Die Bedeutung dieser Zeilen ist folgende:
- Hängt man nicht mehr an diesem Leben, hat der Geist sich dem Dharma zugewandt.
- Hängt man nicht mehr an samsarischer Wiedergeburt, wirkt der Dharma als Pfad des Geistes.
- Hängt man nicht mehr an eigenen Vorteilen, wird die Verwirrung vom eigenen Pfadgeist beseitigt.
- Hängt man nicht mehr an den vier Extremen, erscheint Verwirrung als tiefes Gewahrsein.
Hängt man nicht mehr an diesem Leben, hat der Geist sich dem Dharma zugewandt
Von diesen vier Punkten, besteht der erste (hängt man nicht mehr an diesem Leben, hat der Geist sich dem Dharma zugewandt) aus der Meditation über drei Themen:
- zunächst als Vorbereitung: die Schwierigkeit, (eine kostbare menschliche Wiedergeburt mit) Ruhepausen und Bereicherungen zu finden;
- als der tatsächlich grundlegende Teil: Tod und Vergänglichkeit; und
- als ein Zusatz zum Pfad: karmische Ursache und Wirkung.
Die Schwierigkeit, eine kostbare menschliche Wiedergeburt mit Ruhepausen und Bereicherungen zu finden
Zunächst die Meditation über die Schwierigkeit, (eine kostbare menschliche Wiedergeburt mit) Ruhepausen und Bereicherungen zu finden: Man setzt sich auf ein bequemes Kissen und wiederholt viele Male die sichere Ausrichtung der Zuflucht in die Gurus und kostbaren Juwelen. Mit den vier Zeilen: „Möge sich mein Geist dem Dharma zuwenden“ usw. macht man dann Gebete. Nachdem man die Bodhichitta-Ausrichtung vertieft hat, denkt man dann: „Ich werde zum Wohle aller begrenzten Wesen Buddhaschaft erlangen“ und denkt folgendermaßen:
„Dieser (kostbare menschliche) Körper mit Ruhepausen und Bereicherungen, vollständig versehen mit den acht Ruhepausen und zehn Bereicherungen, was seine essentielle Natur betrifft, ist schwer zu finden. Was dessen Ursachen betrifft, ist er schwer zu finden, da man (ein hohes Maß an) konstruktivem (karmischen Potenzial) erreicht haben muss und es ausgesprochen selten ist, etwas Konstruktives in diesem Geisteskontinuum zu haben.“
„Was die Anzahl betrifft, so gibt es in den sechs Klassen wandernder Wesen mehr in jenen der niederen Klassen, als in den höheren. Mit bloßer Wahrnehmung können wir jedoch die Anzahl der Insekten sehen, die während dem Sommer-Monsun in einem Sumpf oder Holzhaufen leben. In der gesamten Welt gibt es nicht so viele Menschen und daher ist (eine kostbare menschliche Wiedergeburt) schwer zu finden.“
„Um Beispiele anzuführen, ist es so: Erbsen, die man an eine Wand wirft, werden kaum hängenbleiben. Auch wird kaum eine Schildkröte ihren Kopf beim Auftauchen durch die Öffnung eines Jochs stecken, das durch den Wind im weiten Ozean umhertreibt.“
Daher sollten wir, ohne diese (menschlichen Wiedergeburt mit) Ruhepausen und Bereicherungen, die wir dieses eine Mal gefunden haben, auf irgendeine Weise zu verschwenden, meditieren und denken: „Ich werde (den reinen Dharma) für mein zukünftiges und alle folgenden Leben praktizieren.“
Tod und Vergänglichkeit
Zweitens, was die Meditation über Tod und Vergänglichkeit betrifft, meditiert und denkt man, nachdem man wie zuvor die sichere Richtung eingeschlagen und die Bodhichitta-Ausrichtung vertieft hat: „Da ich geboren wurde, werde ich zweifellos auch sterben, denn niemand lebt ewig, ohne zu sterben. Und nicht nur das; es gibt auch keine Sicherheit, wann ich sterben werde. Da es zahlreiche Umstände gibt, in denen man sterben kann, und nur wenige, in denen man am Leben bleibt, werde ich ohne jeden Zweifel sterben. Wenn der Zeitpunkt des Todes kommt, kann ihn nichts, wie Medizin oder Heilungsriten, aufhalten. Nichts dergleichen wird helfen, wenn ich sterbe, und nach meinem Tod wird mich, außer dem Dharma, nichts begleiten, niemand aus meinem Bekanntenkreis und keine meiner Besitztümer.“ Meditiere auf diese Weise und beschließe, dich von deinem Anhaften an dieses Leben zu lösen.
Da dies die Hauptmethode ist, den Geist dem Dharma zuzuwenden, sollte man, wenn man gute Nahrung zum Essen hat, gute Kleidung trägt und von einem großen Kreis Freunden umgeben ist, folgendermaßen meditieren und denken: „Nun habe ich all diese Dinge, doch eines Tages werde ich mich von ihnen trennen und allein weitergehen müssen; sie haben keine Essenz“, und beschließen, das Anhaften an die Belange dieses Lebens loszulassen.
Karmische Ursache und Wirkung
Drittens, was die Meditation über karmische Ursache und Wirkung betrifft, denkt man, nachdem man wie zuvor die sichere Richtung eingeschlagen und die Bodhichitta-Ausrichtung vertieft hat: „Da ich eine schwer zu findende, kostbare menschliche Wiedergeburt mit Ruhepausen und Bereicherungen erlangt habe, muss ich, da sie vergänglich ist, bevor ich sterbe alle Arten destruktiven Verhaltens aufgeben und so viele konstruktive Handlungen wie möglich ausführen. Der Grund ist, dass das reifende Resultat der zehn Arten destruktiven Verhaltens die Wiedergeburt in einem der schlechten Wiedergeburtszustände ist.
„Was die Resultate betrifft, die ihren Ursachen ähneln, wird erklärt, dass jene, die ihren Ursachen in meiner Erfahrung ähneln, folgendermaßen entstehen: wenn ich anderen das Leben nehme, werde ich ein kurzes Leben haben; wenn ich etwas nehme, was mir nicht gegeben wurde, werde ich meinen Reichtum verlieren usw. Was die Resultate betrifft, die ihren Ursachen in meinem Verhalten ähneln, wird es so sein, dass ich destruktive Handlungen, an die ich mich gewöhnt habe, gern wiederholen werde und dadurch in schlechtere Wiedergeburtszustände fallen werde, ohne dem entgehen zu können. Und was die Resultate der Handlungen von Personen betrifft, werde ich an einem Ort geboren werden, wo es schlecht riecht und Sandstürme gibt.“ Daher denkt man: „Ich werde auf jeden Fall (destruktives Verhalten) aufgeben.“
(Dann geht es weiter mit:) „In ähnlicher Weise ist das gereifte Resultat der zehn konstruktiven Handlungen eine Wiedergeburt in besseren Wiedergeburtszuständen. Was die Resultate betrifft, die ihren Ursachen ähneln, wird erklärt, dass jene, die ihren Ursachen in meiner Erfahrung ähneln, folgendermaßen entstehen: wenn ich anderen nicht das Leben nehme, werde ich ein langes Leben haben usw. Was jene betrifft, die ihren Ursachen in meinem Verhalten ähneln, werde ich auf diese und jene konstruktive Weise handeln wollen. Was die Resultate der Handlungen von Personen betrifft, so werde ich an einem Ort geboren werden, der gut riecht usw.
Daher denkt man „Da es sich so verhält, muss ich mich auf jeden Fall (in konstruktivem Verhalten) üben.“
Hängt man nicht mehr an samsarischer Wiedergeburt, wirkt der Dharma als Pfad des Geistes
In Bezug auf das Zweite (Loslassen): „Hängt man nicht mehr an samsarischer Wiedergeburt, wirkt der Dharma als Pfad des Geistes“, denkt man an die Nachteile unkontrollierbar sich wiederholender Wiedergeburt.
Die Nachteile samsarischer Wiedergeburt
Nachdem man, wie zuvor, die sichere Richtung eingeschlagen und die Bodhichitta-Ausrichtung vertieft hat, (denkt man folgendermaßen): „Diese samsarische Existenz mit ihren drei Ebenen, geht nicht darüber hinaus, von Natur aus leidvoll zu sein. In den heißen Höllen gibt es die Leiden, in denen der Körper von Feuer verbrannt, von Waffen verletzt wird und dergleichen. In den kalten Höllen gibt es die Leiden extremer Kälte und jene, in denen Fleisch und Knochen in Stücke zerteilt werden. In den Nachbarhöllen gibt es die Leiden, in ein Loch mit glühender, geschmolzener Lava geworfen zu werden. Würden meinen Körper solche Leiden befallen, würde ich nicht einmal einen winzigen Teil von ihnen ertragen.“
„Was die Klammergeister betrifft, so haben sie die furchtbaren Leiden von Hunger, Durst, Hitze, Kälte, Erschöpfung und Angst. Tiere haben zahlreiche Leiden. Jene, die in den Tiefen leben, fressen sich gegenseitig, während andere, die überall verstreut sind, zum Arbeiten benutzt oder ausgebeutet werden. Menschen haben die Leiden, ihren Status zu verlieren, nicht zu finden, was sie sich wünschen, zu bekommen, was sie nicht wollen, sich von Nahestehenden zu trennen und dergleichen. Das kann mit bloßer Wahrnehmung gesehen werden.
„Das mentale Leid der himmlischen Wesen und der Götter auf der Ebene des Sinnesbegehrens ist, wenn sie die Vorzeichen des Todes und des herannahenden Todes bekommen, größer, als das physische Leid der Wesen in den Höllen. Die Götter auf den Ebenen ätherischer Objekte und formloser Wesen werden, auch wenn sie kein manifestiertes Leiden haben, dennoch die Erfahrung all der verschiedenen Leiden der schlechten Wiedergeburtszustände machen, da sie irgendwann in eine schlechte Wiedergeburt zurückfallen werden, denn die unkontrollierbar sich wiederholende samsarische Wiedergeburt auf den drei Ebenen zwanghafter Existenz ist nun einmal von Natur aus leidvoll.“
Daher denkt man: „Nachdem ich all die verschiedenen Ebenen der Wiedergeburt aufgegeben habe, muss ich die höchste Ebene der Befreiung erlangen.“
In Bezug zum Stufenpfad von Menschen der drei Ebenen, beschließt dies bis hierhin den Pfad von Menschen der anfänglichen und mittleren Ebene. Damit sind, wie im Ansatz des großen Meisters Serlingpa, auch die vier grundlegenden Dharma-Lehren als Vorbereitungen vollständig.
Hängt man nicht mehr an eigenen Vorteilen, wird die Verwirrung vom Pfadgeist beseitigt
In Bezug auf das dritte (Loslassen): „Hängt man nicht mehr an eigenen Vorteilen, wird die Verwirrung vom Pfadgeist beseitigt“, meditiert man über Liebe, Mitgefühl und Bodhichitta.
Liebe
Bezüglich des ersten Punktes (Liebe), denkt man: „Befreiung von den Leiden samsarischer Wiedergeburt nur für mich reicht nicht aus. All die begrenzten Wesen auf den drei Ebenen (zwanghafter Existenz) haben ausnahmslos die Güte gehabt, viele Male meine Mütter und Väter gewesen zu sein. Doch besonders diese wichtige Mutter (meines gegenwärtigen Lebens) trug mich zunächst in ihrem Bauch und als ich geboren wurde, sorgte sie sich um das Leben dieses Wesen, das einem kleinen Käfer glich. Danach versorgte sie mich mit Nahrung, Kleidung und dergleichen.“
Sich an das Ausmaß ihrer Güte erinnernd, denkt man: „Ich muss sie in einen Zustand des Glücks führen, da meine Mutter so gütig zu mir war.“
Dann erinnert man sich an die Güte der anderen Verwandten, der schädlichen Feinde und sogar der leidenden Wesen, wie jenen in den drei schlechten Wiedergeburtszuständen, die einem seit anfangslosen samsarischen Wiedergeburten zuteil wurde. Man meditiert darüber, bis Liebe, der Wunsch, sie alle in einen Zustand des Glücks zu führen, im eigenen Geisteskontinuum entsteht.
Mitgefühl
Zweitens, bezüglich der Meditation über Mitgefühl, erinnert man sich an die Güte dieser wichtigen Mutter und denkt: „Obwohl meine gütige Mutter frei von Leiden sein sollte, ist es furchtbar, dass sie nun ein Leben führt, das von Natur aus voller Leiden ist. Wie schön wäre es, wenn sie frei von Leiden sein würde. Ich werde sie in einen Zustand führen, der frei von Leid ist.“
Ebenso meditiert man über Mitgefühl, indem man sich, wie zuvor, an die Güte (aller anderen) wandernden Wesen erinnert und sich wünscht, auch sie mögen frei von Leiden sein. Bringt man im eigenen Geisteskontinuum keine Liebe und kein Mitgefühl hervor, wird man nicht in der Lage sein, eine echte Bodhichitta-Ausrichtung zu entwickeln und daher ist es überaus wichtig, Anstrengungen bezüglich dieser zwei Dinge zu unternehmen. Sie sind die Wurzeln des gesamten Mahayana-Dharma.
Bodhichitta
Drittens, was die Meditation über Bodhichitta betrifft, gibt es drei Punkte:
- anstrebendes Bodhichitta;
- das Bodhichitta, mit dem man sich selbst und andere gleichsetzt; und
- das Bodhichitta des Austauschens von sich selbst mit anderen.
Anstrebendes Bodhichitta
Was das erste (anstrebendes Bodhichitta) betrifft, meditiert man: „Obgleich meine gütigen Eltern in samsarischen Wiedergeburten auf den drei Ebenen zwanghafter Existenz voller Glück und frei von Leid sein sollten, bin ich momentan nicht in der Lage, das zu bewerkstelligen. Und nicht nur ich, sondern nicht einmal große weltliche Wesen, wie Brahma, Indra usw., sowie jene, die jenseits des Weltlichen sind – die Shravaka-Hörer und Pratyekabuddha-Alleinverwirklicher – sind dazu in der Lage. Doch wer hat die Möglichkeit dazu? Da nur ein vollkommen erleuchteter Buddha dazu in der Lage ist, werde ich das höchste Ziel erlangen und zum Wohle aller begrenzten Wesen ein vollkommen erleuchteter Buddha werden. Dann werde ich meine gütigen Mütter und Väter aus dem Ozean unkontrollierbar sich wiederholender Wiedergeburt befreien.“
Das ist die unerlässliche Ursache dafür, Buddhaschaft zu verwirklichen. Hat man diesen Geisteszustand, werden alle Wurzeln konstruktiver Potenziale, die man aufgebaut hat, zu Ursachen, ein vollkommen erleuchteter Buddha zu werden. Dazu gibt es zahlreiche Preisungen im „Mahayana-Korb der Sutras“.
Sich selbst und andere gleichsetzen
Was die Meditation über das Gleichsetzen von sich selbst und anderen betrifft, denkt man: „So, wie ich selbst gern glücklich sein möchte, haben auch alle begrenzten Wesen den Wunsch, glücklich zu sein; und weil ich mich für mein eigenes Glück bemühe, muss ich daher auch an dem Glück für alle begrenzten Wesen arbeiten. Und so, wie ich selbst nicht leiden möchte, haben auch alle begrenzten Wesen den Wunsch, nicht zu leiden; und weil ich mich bemühe, mein eigenes Leid zu beseitigen, muss ich daher auch das Leid aller begrenzten Wesen beseitigen.“
Sich selbst mit anderen austauschen
Was die Meditation über das Austauschen von sich selbst mit anderen betrifft, stellt man sich seine Mutter in diesem Leben vor und denkt: „Diese Mutter war so gütig gegenüber mir, doch oh je, sie lebt (ein Leben), das von Natur aus voller Leid ist. Möge all ihr Leid und destruktives Verhalten in mir heranreifen und möge ich (deren Auswirkungen) erfahren. Möge all mein Glück und konstruktives Verhalten in ihr heranreifen und möge diese Mutter Buddhaschaft erlangen.“
In ähnlicher Weise sollte man im Einzelnen bezüglich der anderen Verwandten, der begrenzten Wesen, die man gesehen oder von denen man gehört hat, der Feinde, die einem Schaden zugefügt haben und der leidenden Wesen, wie jenen in den schlechten Wiedergeburtszuständen, meditieren. Nachdem man schließlich die Leiden aller begrenzten Wesen zusammen in sich aufgenommen hat, meditiert man, dass das eigene Glück und die eigenen konstruktiven Potenziale vorläufig die Ursachen für alles werden, was sie sich wünschen, und letztlich die Ursachen dafür, Buddhaschaft zu erlangen.
Da dies die Essenz der Mahayana-Praxis, der geheimen Worte aller Buddhas der drei Zeiten, ist, werde ich nicht weiter darauf eingehen, da es zu umfangreich werden würde, obgleich es nützlich wäre, die Gründe für die Notwendigkeit solch einer Meditation, schriftliche Zitate dazu und (eine Analyse) anzuführen, um Zweifel bezüglich der Methode für die Meditation zu zerstreuen.
Vom anstrebenden Bodhichitta bis zu diesem Punkt, sollte man auf jeden Fall als Vorbereitung die sichere Ausrichtung oder Zuflucht genommen und seine Bodhichitta-Ausrichtung vertieft haben. Zusätzlich dazu wäre es auch sehr gut, über Guru-Yoga zu meditieren.
Zum Abschluss der Meditationssitzungen über all diese Punkte, versiegelt man sie mit Gebeten der Widmung und bleibt während aller Aktivitäten – des Bewegens, Gehens, Schlafens oder Sitzens – achtsam ihnen gegenüber.
Hängt man nicht mehr an den vier Extremen, erscheint Verwirrung als tiefes Gewahrsein.
Was das Vierte (Loslassen) betrifft: „Hängst du nicht mehr an den vier Extremen, erscheint Verwirrung als tiefes Gewahrsein“, so gibt es in der Tradition einer anderen Quintessenz-Lehre zwei Dinge – einen still gewordenen und zur Ruhe gekommenen Geisteszustand des Shamatha und einen außergewöhnlich wahrnehmungsfähigen Geisteszustand des Vipashyana. Was Vipashyana betrifft, so gibt es die Meditation über die Selbstlosigkeit von Personen und die Meditation über die Selbstlosigkeit von Phänomenen.
Ungeachtet dessen gibt es in dieser Tradition während der Periode völliger Versenkung eine Meditation über drei Punkte:
- Erscheinungen werden als vom Geist begründet;
- der Geist wird als illusorisch festgelegt; und
- Illusorisches wird als etwas ohne eine selbst-begründende Natur betrachtet.
Während der Periode nachfolgender Erlangung, gibt es die Praxis der Sicht, dass alles wie eine Illusion und ein Traum ist, ohne an etwas zu hängen.
Meditiert man über was immer man möchte, ohne sich auf die Quintessenz-Lehren des Lamas zu stützen, ist das eine große Basis für Verwirrung und Missverständnisse. Da man dies nicht durch bloße Worte erkennen wird, werde ich nicht weiter darauf eingehen.
Auf kurze Sicht ist es jedoch nützlich, dass man hinsichtlich der Wurzeln konstruktiver Kraft, die man aufgebaut hat, nicht auf arrogante Weise denkt, man wäre der Ausführende dieser konstruktiven Handlung, die konstruktive Handlung sei dies und man habe folglich diese konstruktive Handlung ausgeführt. Es ist jedoch nicht falsch bekanntzugeben, eine bestimmte konstruktive Handlung ausgeführt zu haben, um andere zu ermutigen, konstruktiv zu handeln, so lange man keine Fehler, die man gemacht hat, verschweigt.
Verwirklicht man eine Wurzel positiver Kraft oder führt eine alltägliche gewöhnliche Handlung aus, sollte man sich daher vergegenwärtigen, dass sie wie ein Traum oder eine Illusion ist, was als Ursache zum Verwirklichen der Sicht dienen wird. Da dies zutrifft, ist es wichtig, solch eine Vergegenwärtigung zu bewahren.
Zusammenfassung
Auf diese Weise gibt es vier Ebenen auf diesem Pfad:
- Da man auf der Ersten daran arbeitet, die Ziele für zukünftige Leben und darüber hinaus zu verwirklichen, nennt man sie „den Geist dem Dharma zuwenden“.
- Da man auf der Zweiten daran arbeitet, die Pfade des Geistes zur Befreiung zu verwirklichen, während man samsarische Existenz aufgibt, nennt man sie „den Dharma als ein Pfad des Geistes wirken lassen“.
- Da man auf der Dritten im Einklang mit dem weitreichenden Fahrzeug des Mahayana handelt, während man die Wünsche des bescheidenen Fahrzeugs des Hinayana aufgegeben hat, nennt man sie „Verwirrung durch den Pfadgeist beseitigen“.
- Da man auf der Vierten im Einklang mit der Bedeutung der andauernden Natur der Realität handelt, während man die Extreme der geistigen Fabrikation des Greifens nach Extremen aufgegeben hat, nennt man sie „Verwirrung als tiefes Gewahrsein erscheinen lassen“.
Während man die Hauptpunkte des Pfades so praktiziert und sein tägliches Leben führt, macht man Niederwerfungen und Umkreisungen, um dem Körper einen Sinn zu geben. Um der Rede einen Sinn zu geben, bringt man den Buddhas und Bodhisattvas Gebete dar und liest die tiefgründigen Sutras. Um dem Geist einen Sinn zu geben, meditiert man über Liebe, Mitgefühl und Bodhichitta. Um seinen Besitz einen Sinn zu geben, bringt man den drei kostbaren Juwelen Opfergaben dar, hilft der monastischen Gemeinschaft, bringt ihr Respekt dar usw. Verbindet man all das mit reinen Gebeten, ist es sicher, dass man vollständige Buddhaschaft erreicht, die mit allen guten Eigenschaften verbunden und ohne Mängel ist.
Zusammenfassung der essenziellen Punkte in Versform
Um die essenziellen Punkte noch einmal im Vers zusammenzufassen:
Wohl wissend, dass es schwierig ist, eine körperliche Basis zum Verwirklichen des reinen Dharma zu finden und dass diese unbeständig ist und die Natur hat, schnell zu vergehen, sowie bereitwillig zu akzeptieren, stets wachsam zu sein, um Positives anzunehmen und Negatives abzulehnen – dies ist der erste Schritt.
Zahllose wandernde Wesen im Ozean Samsaras sehend, die gefangen sind in den Klauen der Monster des Leidens, die Entsagung zu entwickeln, mit der man sich brennend für das trockene Land der Befreiung, jenseits allen Leids, interessiert – dies ist der zweite Schritt.
An die Güte der wandernden Wesen, so weit wie der Raum, denkend, die immer wieder unsere Väter und Mütter waren und uns so geholfen haben, die Ziele anderer mit Liebe, Mitgefühl und dem höchsten Bodhichitta zu verwirklichen – dies ist der dritte Schritt.
Zu verstehen, dass all diese Dinge, wie sie erscheinen, aus dem eigenen Geist stammen, dass der Geist selbst, nur ein Netzwerk von Ursachen und Bedingungen, wie eine Illusion ist und dass die Illusion getrennt von geistiger Fabrikation ist, und über die andauernde Natur der Realität zu meditieren – dies ist der vierte Schritt.
Hat man bei allen Gelegenheiten den drei Juwelen Opfergaben dargebracht, schrittweise die destruktiven Handlungen aufgegeben und mit der eigenen Großzügigkeit die Armen und Niedrigen, die keinen Beschützer haben, zufriedengestellt und verbindet man dies, zusammen mit der Reinheit der drei Kreise, mit einem Widmungsgebet, ist es sicher, dass man seine vorläufigen und letztendlichen Zwecke erfüllen wird.
Indem ich damit die essenziellen Punkte des Mahayana-Pfades zusammengefasst habe, bringe ich sie dir, oh Förderer der Lehren, nun als Geschenk mit den Wünschen dar, sie mögen hilfreich sein und dir am Herzen liegen. Mögest du alle Ziele erreichen, indem du all dies in die Praxis umsetzt.
Schlussformel
Der Haushälter-Bodhisattva, Ralö Dorje, der durch ungeteilten zuversichtlichen Glauben in die kostbaren Lehren ein pflichtgetreuer Förderer der Bewahrer der Lehren geworden ist, bat mich mit den Worten: „Ich benötige eine Richtlinie deiner erleuchtenden Rede, die eine ausführliche Schulung und dem heiligen Dharma von Nutzen ist.“ Angesichts dessen habe ich, der buddhistische Mönch Sönam Sengge, dies im heiligen Retreat von Dokhar (tib. mDo-mkhar) am dritten Tag des zunehmenden Mondes im Sternbild der Plejaden geschrieben. Demnächst werde ich die essenziellen Punkte hinsichtlich karmischer Ursache und Wirkung, zusammen mit den Zitaten aus den Sutras, darlegen, die ihre Quellen sind. Möge alles glücksverheißend und konstruktiv sein.