Das kostbare menschliche Leben wertschätzen

Wenn wir versuchen zu meditieren, dann setzten wir uns nicht einfach hin und beginnen mit meditativen Übungen, falls unser Geist sehr erregt ist, umherirrt und unruhig ist. Versuchen wir uns davor nicht zunächst etwas zu beruhigen, dann werden wir häufig die gesamte Meditationssitzung geistig umherwandern. Dann beschäftigen uns die Dinge über die wir besorgt sind, die uns einnehmen und die wir noch zu tun haben. Wir denken: „Ich mache diese Sitzung schnell, weil ich einen Termin habe oder die Kinder zu Schule bringen muss“ oder was es auch gerade ist. Eben diese Art von Spannungen, die es geben kann. Deshalb müssen wir uns zuerst beruhigen und die gewöhnliche Methode dazu ist es sich auf den Atem zu konzentrieren. Der eigentliche Prozess der Meditation hängt dann davon ab, dass man schon etwas Vorarbeit geleistet hat.

Es gibt sehr viele verschiedene Arten der Meditation. Meditation bedeutet unseren Geist an etwas zu gewöhnen: an eine bestimmte Art zu denken, eine bestimmte Art zu fühlen, ein bestimmtes Verständnis usw. Arbeiten wir also mit einer bestimmten Art von Erkenntnis, dann müssen wir diese zuerst hören; wir müssen zuhören; wir müssen lernen und die Information gleichsam aufnehmen. Auf diese Weise erlangen wir, was wir das unterscheidende Gewahrsein, welches durch Hören entsteht, nennen. Wir sind in der Lage diesen spezifischen Punkt von anderen zu unterscheiden, diese Tatsache von dem, was nicht diese Tatsache ist. Wir können etwa an etwas sehr Grundsätzliches in den buddhistischen Lehren des Lam-rim, des Stufenwegs zur Erleuchtung, denken, z.B. das kostbare menschliche Leben.

Nun wir haben ein kostbares menschliches Leben, also müssen wir die Definition von diesem lernen. Was ist also die Definition eines kostbaren menschlichen Lebens? Ein kostbares menschliches Leben ist eines, das gefüllt ist mit Ruhepausen. Ruhepausen von wirklich schwierigen Situationen, in denen wir sein könnten, aber nicht sind – wir haben eine Ruhepause; es ist eine zeitweilige Ruhepause, eine vorübergehende Unterbrechung. Wir sind nicht für immer frei, wir haben eine vorübergehende Unterbrechung der wirklich schwierigen Situationen und wir haben viele Möglichkeiten. Das ist was ein kostbares menschliches Leben ist. So lernen wir, was wir sind… Es gibt eine ganze Liste von 18 Dingen, von denen wir entweder eine Ruhepause haben oder die uns eine Chance geben, unser Leben zu bereichern.

Um einen Punkt der Liste zu nehmen: Wir haben eine Ruhepause, weil wir nicht in einer furchtbaren Situation sind, in der wir keine Freizeit für das Studium und die Praxis haben. Diese Situationen werden dann von den verschiedenen Daseinsbereichen beschrieben. Ob wir diese wörtlich nehmen oder nicht, ist ein andere Sache aber wir können uns zumindest vorstellen z.B. in Bagdad zu sein, und was für ein Glück wir haben und wie glücklich wir sind, dass das nicht unsere Heimatstadt ist und dass wir dort nicht sind. Ich lebe in Berlin und habe einige ältere Schüler, die sich noch erinnern – die waren noch Kinder während des Krieges und besonders nach dem Krieg – daran, wie es war, ein Kind unten in einem Luftschutzbunker unter dem Haus zu sein, in einem nassen, klammen Keller mit zwanzig, dreißig anderen Menschen zu schlafen. Nicht wirklich schlafend, vollkommen in Panik und Bomben und Flugzeuge über den Köpfen hörend. Sie erinnern sich auch an die Zeit nach dem Krieg. Man kennt ja die Fotos solcher Städte und sie sehen wie Hiroshima nach dem Krieg aus: vollkommen abgebrannt und ausgebombt. Eine meiner Schülerinnen erzählte mir einmal, dass sie als kleines Mädchen für Jahre in einem dieser Lager für vertriebene Menschen in einem Raum mit zwanzig Leuten leben musste. Die Leute klauten sich gegenseitig das Essen, die Toilette funktioniert nicht: es gibt zwanzig Menschen, das Wasser ist alle naja, wie spült man da die Toilette für zwanzig Menschen? Stellt Euch vor: Wir teilen alle eine Toilette und es gibt kein Wasser. Allein schon diese Situation ist wirklich furchtbar.

Und Leute in Bagdad erleben ähnliches; Leute in Bosnien erfuhren ähnliches; Leute in Ruanda, usw. Es geschieht leider periodisch in unserer Welt und irgendwann werden wir wieder dran sein. Wie wunderbar ist es deshalb, dass wir eine Ruhepause von alle dem haben. Wir haben vielleicht ein bisschen davon erfahren – 9/11, aber das ist nichts verglichen mit dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben das in unserem Heimatort nicht erlebt – bombardiert zu werden und von Feuer heimgesucht. Das ist eine Ruhepause, die wir haben. Es ist großartig, dass wir diese haben. Und wir haben die Möglichkeiten, allem nachzugehen, was wir mit dieser Freiheit wollen.

Das bestimmende Wesensmerkmal eines kostbaren menschlichen Lebens – davon hören wir und müssen dem zuhören. Wir hören vielleicht nur die Worte und wir wissen eigentlich nicht was sie bedeuten. Wir hören etwa den Ausdruck „kostbares menschliches Leben“, aber wir kennen nicht die Definition. Wir wissen also nicht, was es wirklich bedeutet, darum bekommen wir hier Mittel, um dies zu wissen. Auf diese Weise bekommen wir eine Idee davon, also eine Ahnung der Worte, ohne irgendeine tiefe Bedeutung, die wir damit verbinden. Wir nehmen vielleicht an – es gibt hier die Annahme –, dass dies wahr ist, aber wir verstehen es nicht wirklich. „Ich nehme an es ist wahr, weil mein Lehrer es gesagt hat. Ich habe Respekt für meinen Lehrer, deshalb – O.K., ich bin ein bisschen offen dafür. Das ist der erste Schritt – man muss zuhören, die Information bekommen – kostbares menschliches Leben, was ist die Definition?

Der zweite Schritt ist, dass wir darüber nachdenken müssen. Wir müssen die Bedeutung ergründen. Und d.h. logisch darüber nachzudenken. Was ist die Definition des kostbaren menschlichen Lebens und was die Argumentation dafür, dass es kostbar ist? Ich bin etwa als menschliches Wesen geboren und lebe in einer friedlichen Umgebung – also eine relativ friedliche Umgebung – kein Kriegsgebiet. Das ist etwas Wertvolles für die Praxis und Erkenntnis des Dharma. Die Argumentation ist also folgenderweise: frei von Kriegssituationen zu sein, nicht vollkommen vor lauter Angst den Kopf in einem Luftschutzbunker verlieren zu müssen oder in einem Flüchtlingscamp, wo jeder jeden beklaut und es dreckig ist, leben zu müssen – davon frei zu sein ist wertvoll, weil man praktizieren, studieren und lernen kann. Davon müssen wir überzeugt sein. Warum ist es wertvoll? „Weil ich frei von diesen Schwierigkeiten bin.“ Man muss wirklich davon überzeugt sein, dass die Argumentation unsere These logisch stützt. „Frei zu sein von furchtbaren Situationen beweist, dass ich ein kostbares menschliches Leben und viele Möglichkeiten, die ich wahrnehmen kann, habe.“

Wir müssen also versuchen, es wirklich zu verdauen und darüber nachdenken. Genau das ist der gesamte Prozess des Nachsinnens, Kontemplierens. Wie wäre es, wenn ich in einem solchen Kriegsgebiet wäre? Wie wäre es, wenn ich wüsste, dass gegnerische Streitkräfte meine Stadt in den nächsten Tagen bombardieren wollen oder das Wasser ausfällt und ich in der Wüste leben würde, es echt heiß wäre und man nicht weiß, wann es wieder Wasser gibt? Wir würden dann die Badewanne füllen – von nun an nicht mehr zum Waschen. Du befüllst alle Töpfe und Pfannen, weil es möglicherweise kein Wasser mehr geben wird. Und vergiss es nach draußen zu gehen, um abgepacktes Wasser zu kaufen. Dabei wirst du vielleicht erschossen. Du versuchst dir also vorzustellen, wie das wäre. Wie viele Kerzen würdest du kaufen? Denn der Strom wird sicher ausfallen. Jetzt kosten Kerzen das Zwanzigfache ihres vorherigen Preises, vielleicht das Hundertfache. Es gibt nur eine begrenzte Anzahl. Stell dir die Warteschlangen und die Streitereien in den Schlangen vor… Irgendeine reiche Person kommt rein und will alle Kerzen kaufen. Wie würdest du dich in dieser Situation fühlen? Du stellst es dir wirklich real vor.

Mich hat es sehr bewegt, weil ich viel Material auf meiner Webseite zum buddhistisch-islamischen Dialog habe, in dem ich engagiert war. Ich bekam eine E-Mail von jemandem, der sagte, dass er aus einem muslimischen Land ist und Buddhist geworden ist. Er war wahrscheinlich der einzige Buddhist in seinem Land. Das war sehr gefährlich, weil Konversionen wirklich nicht akzeptiert werden in seiner Gesellschaft. Aber er fand das Material wirklich sehr inspirierend: besonders die Artikel darüber, wie man den Buddhismus von einem islamischen Gesichtspunkt aus erklären könnte, diese Artikel, die ich dort habe. Er bot mir an, mit der Übersetzung der Online-Artikel ins Arabische zu helfen. Da sagte ich: „Wunderbar, großartig!“ Ich fragte ihn: „Wo kommst du her, wo wohnst du?“ Und er schrieb zurück: „Bagdad.“ Ich fand das sehr bewegend.

Das war vielleicht zwei oder drei Wochen vor dem Irak Krieg. Ich war in Emailkontakt mit diesem Typ und er schrieb mir zwei Stunden, bevor die Bomben begannen zu fallen, bevor der Krieg erklärt wurde, einfach: „Naja, mach dir keine Sorgen. Wir sind daran gewöhnt.“ Das war mitten in der Nacht; er muss wohl die ganze Nacht wach gewesen sein und alle waren sicherlich absolut in Terror: „Wann werden die Bomben beginnen zu fallen?“ Kannst du dir vorstellen einzuschlafen in dem Wissen, dass jede Minute die Sirenen angehen und du wahrscheinlich noch nicht einmal einen Luftschutzbunker in deinem Haus hast? Was wirst du also tun, dich unter dem Bett verstecken? Ich meine, was wirst du tun? Ist die Badewanne wirklich voll, vielleicht gibt es noch einen Topf, den ich mit Wasser füllen kann? Schrecklich! Für mich machte es das viel realer, weil ich jetzt jemanden kannte, der dort ist und tatsächlich diese schreckliche Erfahrung durchlebt. Er war nur ein armer, unschuldiger Kerl, eigentlich nur ein Student. Wird er seine Prüfungen schreiben können, seinen Abschluss machen und sein Leben usw. weiterführen können? Das alles muss er wohl erstmal für eine Weile vergessen.

So etwas stellen wir uns in unsere Meditation bzw. Kontemplation vor. So wird es ein bisschen real für uns. Wie glücklich bin ich davon frei zu sein, eine Ruhepause davon zu haben und es jetzt nicht erleben zu müssen. Wer weiß was in der Zukunft passieren wird, aber jetzt ist es nicht so – Was für ein Glück! Das ist eine Art – Aaah! – wie eine Last, die von unseren Schultern fällt und wir sind davon befreit. Dann denken wir: „Wenn ich in dieser Situation wäre, was für eine Möglichkeit hätte ich dann um zu studieren, um zu praktizieren?“ Na klar, wenn wir super fortgeschrittene Praktizierende wären, dann wären wir vielleicht in der Lage zu praktizieren, aber nicht als ein Anfänger. Und schon gar nicht mit zwanzig Leuten in einem Raum, wenn alle voller Angst sind usw. Keine Chance.

Wir stützen uns also auf die Argumentation: Weil ich frei davon bin, deshalb habe ich ein kostbares menschliches Leben. Daraus gewinnen wir ein schlussfolgerndes Verständnis, eine Schlussfolgerung – basierend auf einer Argumentationsfolge. Es ist nicht bloß so, dass ich ein kostbares menschliches Leben habe, sondern ich habe ein kostbares menschliches Leben, weil ich frei von diesen und jenen furchtbaren Situationen bin. Das fußt auf einem Grund; es gibt einen Grund dafür. Es ist eine gültige Aussage, nicht einfach irgendeine Aussage. Wir haben also eine Idee davon, und zwar eine bedeutungsvolle Idee.

Es gibt einen Unterschied zwischen einer Idee, die bloß aus leeren Worten besteht und einer Idee, die bedeutungsvoll ist. Mit einer bedeutungsvollen Idee können wir uns nicht nur mit Verständnis, sondern auch mit Entschiedenheit auf dieses kostbare menschliche Leben konzentrieren. Damit ist dies eine gültige Art der Wahrnehmung und es gibt Entschiedenheit: Ich habe es durchdacht. Es gibt einige Gründe für dieses Wissen, man denkt oder glaubt nicht einfach nur: Es ist wahr! Diese Entschiedenheit: Es ist wahr; ich habe ein kostbares menschliches Leben. Ich bin diesbezüglich nicht unschlüssig. Natürlich können wir die Idee diskutieren; besonders wenn wir uns warum auch immer selbst leidtun: ich Arme/r! Dann sehen wir: Nun, es könnte noch viel schlimmer sein! Nur weil unser Fernseher kaputtgegangen ist oder was es auch gerade ist – es ist nicht so schlimm.

Sind wir dann einmal überzeugt von etwas, ist dies das Fazit dieses Schritts, dieser Kontemplation oder des Prozesses, wie ich wohl besser sagen sollte; er kann also eine ganze Weile dauern. Das Fazit ist, dass wir den Punkt verstehen; wir sind diesbezüglich entschieden und wir sind in der Lage, diese Schlussfolgerung zu erreichen – die gültige Art der Wahrnehmung, welche auf Schlussfolgerung, auf Argumentation beruht.

Dann kommen wir zu dem Schritt, der eigentlich Meditation genannt wird. Hier wollen wir es verdauen, uns damit bekannt machen, es wirklich Teil unseres Lebens machen, es in unser Leben integrieren. Es gibt zwei verschiedene Schritte, die hier involviert sind. Der eine wird für gewöhnlich analytische Meditation genannt – ich halte das nicht für einen adäquaten Begriff. Ich bevorzuge den Ausdruck „klar erkennende Meditation“, man versucht etwas klar zu erkennen. Das ist der analytische Teil, aber nicht jeder Teil dessen ist analytisch. Das ist verwirrend, dann man könnte auch Kontemplation als analytisch betrachten kann. Diese ist aber nicht derselbe, sondern erst der nächste Schritt.

Es gibt also die klar erkennende Meditation, und der zweite Aspekt ist die stabilisierende Meditation, wie ich es nenne. Manchmal wird es als formale, oder verankernde oder… jeder Übersetzer hat eine andere Reihe von Begriffen. Das ist äußerst misslich, aber so ist es nun mal. Wenn Übersetzter „benutzerfreundlich“ sind und die Schüler genügend Interesse haben, dann werden entweder die Begriffe auf Sanskrit oder Tibetisch angegeben, so dass man, wenn man ein anderes Buch und einen anderen Übersetzer liest, der auch die Sanskrit- oder Tibetischbegriffe angibt, weiß, dass über das Gleiche geredet wird. Ansonsten ist es wirklich überwältigend verwirrend, verschiedene Bücher verschiedener Autoren zu lesen, manchmal sogar nur verschiedene Bücher desselben Autors – denn ich gebe natürlich zu, dass ich selbst auch meine Terminologie geändert habe über die Jahre meines Schreibens.

Wie dem auch sei, ich nenne es „klar erkennende Meditation“ und „stabilisierende Meditation“. Die klar erkennende Meditation umfasst eine Reihe von Schritten. Dabei gibt es zwei wesentliche geistige Faktoren, die an diesem Prozess beteiligt sind. Der eine wird von mir „grobes Feststellen“ genannt und der andere „subtiles klares Erkennungsvermögen“. In einigen Kontexten heißt das zu untersuchen und genau zu überprüfen. Das eine ist grobes Feststellen – ein Beispiel wäre eine Seite Korrekturlesen und einfach grob darüber zuschauen und festzustellen: Ja, es gibt Fehler hier. Du schaust dir nicht die feinen Details an, weil das schon detaillierte Überprüfungwäre. Du untersuchst quasi: Ist hier ein Korrekturlesen notwendig, oder nicht? Du ermittelst: Oh ja, es muss korrekturgelesen werden; und erst dann kommt das subtile klare Erkennungsvermögen und duüberprüfst den Textgenau Schritt für Schritt. So wenden wir dies an, zumindest in einigen Aspekten der klar erkennenden Meditation.

Wir müssen uns selbst immer wieder untersuchen und überprüfen, nicht nur versuchen zu verstehen, was es heißt ein kostbares menschliches Leben zu haben. Wir haben bereits die Definition gelernt und sie verstanden, aber nun gilt es zu prüfen, zu untersuchen: Habe ich wirklich dieses kostbare menschliches Leben? In welcher Hinsicht habe ich es; was sind die Aspekte; trifft das wirklich auf mich zu? Wir untersuchen grob und stellen unsere Freiheit von Krieg, unsere Freiheit von Angst oder Hunger, Schmerz oder anderen schwierigen Situationen fest. Obwohl wir ab und zu Schmerz oder Angst spüren und uns terrorisiert fühlen – wo steht das im Verhältnis zu dem, wie schlimm es sein könnte. Letztendlich erkennen wir uns selbst als frei von diesen furchtbaren Situationen. Nachdem ich geprüft und untersucht habe: „Bin ich wirklich so? Ja!“, kann ich jetzt klar erkennen, dass ich diese Freiheit habe. Ich bin nicht in einem Kriegsgebiet; ich bin nicht andauernd in dieser furchtbaren Situation.

Wie gesagt, das ist der erste Schritt. Der nächste Schritt wäre, die Argumentation noch einmal durchzugehen. Nicht um das Verständnis zu gewinnen, sondern nun, um ein gültiges folgerndes Verständnis, eine gültige Schlussfolgerung hervorbringen zu können. Das wollen wir tun. O.K., ich habe klar erkannt: ich besitze die Freiheit, dass ich nicht in einem Kriegsgebiet bin – deshalb habe ich ein kostbares menschliches Leben. Du gehst die Argumentation durch, um zu diesem Fazit zu kommen, welches auf der Argumentation beruht, mit welcher ich das gültig weiß, mich gültig auf die Tatsache meines kostbaren menschlichen Lebens konzentriere.  Das wäre der Prozess, falls wir zu diesem schlussfolgernden Verständnis kommen. Wir müssen durch den Prozess durchlaufen. Das könnte eine verbale, eine geistig verbale Art von Prozess sein.

Das ist nur ein Teil davon. Das Eigentliche, was wir machen wollen, ist non-verbal. Wir wollen klar erkennen, uns aktiv und klar als im Besitz eines kostbaren menschlichen Lebens erkennen: Das klar zu erkennen, das zu verstehen, das zu unterscheiden – das ist das unterscheidende Gewahrsein, das durch die Meditation entsteht. Darauf konzentrierst du dich, und zwar mit diesem aktiven und klaren Erkennen – das ist klar erkennende Meditation. Analytische Meditation hingegen beinhaltet nur einen kleinen Teil des Ganzen; wir müssen hier genauer vorgehen.

Dann gibt es die stabilisierende Meditation. Stabilisierende Meditation heißt: Wir fokussieren uns darauf, dass wir ein kostbares menschliches Leben besitzen, ohne dies aktiv in all seinen Details zu erkennen, ohne spezifische Gründe dafür zu unterscheiden. In gewissem Sinne ist es einfach das Gefühl, dass ich ein kostbares menschliches Leben habe. Das einsickern zu lassen, das ist die Stabilisierung. Eben darauf versuchen wir uns vollkommen zu konzentrieren. Ich bin totalüberzeugt; ich war in der Lage, es zu sehen, also es zu erkennen, es auf eine gültige Weise zu verstehen, und jetzt kann ich dasitzen, versuchen es wirklich zu fühlen, es in mich einsinken zu lassen. Natürlich wird das eine ziemliche Weile dauern, und es wird ziemlich lange dauern, bis das eine Auswirkung haben wird.

Ich betone immer, wenn ich mit Leuten rede, dass Fortschritt nicht linear verläuft: Es wird nicht jedes Mal besser werden. Allgemein ist Samsara als ein Auf und Ab charakterisiert. Es wird also weiterhin auf und ab gehen, bis wir die Befreiung davon erlangen – ein Arhat werden oder ein befreites Wesen, was eine ziemlich hohe Errungenschaft ist. Die gesamte Zeit davor wird es auf und ab gehen. Manchmal wollen wir meditieren, manchmal nicht. Manchmal geht es gut, manchmal nicht. Wie der junge Serkong Rinpoche sagen würde: „Nichts Besonderes.“ Daran ist nichts Besonderes – keine Überraschung. So gibt es auch keinen Grund, sich aufzuregen. Heute habe ich keine Lust zu meditieren – naja, für solche Fälle hat man das, was Rüstungs-gleiche Ausdauer genannt wird: Du meditierst trotzdem, du machst es einfach. Diese Art Einstellung: „Ich habe keine Lust dazu, deshalb brauche ich wirklich Disziplin.“ Denn natürlich werden wir irgendwann keine Lust darauf haben und es wird nicht gut laufen – naja, schau wie es morgen läuft. Mach dir keine Vorwürfe, es ist natürlich: an manchen Tagen wird es besser laufen, was erwartest du denn? Das ist Samsara. Auf diese Art konzentrieren wir uns also.

Bitte beachtet, dass wenn wir hier über die klar erkennende Meditation und die stabilisierende Meditation, ist diese auf dieser Stufe noch begrifflich, wir haben immer noch die Vorstellung was ein kostbares menschliches Leben bedeutet. Das ist eine Idee eines kostbaren menschlichen Lebens, eine Repräsentation in unserem Denken. Entweder repräsentieren wir es mit Worten: „Ich habe ein kostbares menschliches Leben”, oder es wird durch ein Gefühl repräsentiert. Begrifflich– das ist sehr wichtig. Was das genau heißt, dazu werden wir morgen kommen. Einfach gesagt erkennt eine konzeptionelle Wahrnehmung etwas durch eine Vorstellung davon. Entweder ist es eine verbale Vorstellung, ein emotionales oder mentales Bild oder etwas ähnliches.

Jetzt fragen wir: „Nun gut, wie passt das in unsere westlichen Kategorien des intellektuellen und intuitiven Verstehens?“ Eigentlich passt es da rein. Was wir ein intellektuelles Verstehen nennen, bedeutet, sich mittels einer verbalen Vorstellung auf etwas zu fokussieren. Ein intuitives Verstehen hingegen wäre, sich mittels eines Gefühls oder eines Bildes auf etwas zu fokussieren und nicht eine verbale Vorstellung dessen. Aber der Knackpunkt ist, dass beide konzeptionell sind und dass beide entweder akkurat oder unrichtig sein können. Intellektuell kann man richtig oder falsch liegen. Ein Gefühl könnte ein angebrachtes Gefühl sein oder es könnte ein vollkommen absonderlich schräges Gefühl sein – so etwa in der Art.

Wesentlich ist, dass egal ob wir es einen intellektuellen oder einen intuitiven Fokus nennen, ob wir mit einer verbalen oder einer emotionalen Vorstellung vorgehen, beide müssen mit einem korrekten Verständnis von der Bedeutung der Wörter, Gefühle oder Bilder begleitet sein. Zusätzlich müssen wir, um in der Lage zu sein, dieses Verständnis verinnerlichen zu können, daran glauben und uns darauf mit Überzeugung konzentrieren. Wenn wir in der Lage sind, uns mit absoluter Überzeugung, dass das wahr ist, darauf zu konzentrieren, dann könnten wir es ein intuitives Verständnis nennen, ein Bauchgefühl, wie man auf Deutsch sagt. Wenn dann dieses intuitive Verständnis begleitet wird von konstruktiven Gefühlen – z.B. vom geistigen Faktor der Wertschätzung des kostbaren menschlichen Lebens –, dann würden wir sagen, dass wir emotional bewegt von unserem Verstehen sind. Das kann dann transformativ sein.

Falls wir dann von einem konzeptionellen zu einem nicht-konzeptionellen Verstehen gehen möchten, müssen wir wissen, was um alles in der Welt das überhaupt heißen soll. Denn viele Menschen setzten ja konzeptionell mit intellektuell gleich, was überhaupt nicht der Fall ist. Man kann, wie ich bereits sagte, ein Gefühl haben, welches etwas repräsentiert. Nur weil es nicht verbal ist, heißt das nicht, dass es nicht konzeptionell wäre. Das nicht konzeptionelle Verständnis ist also eines, welches sich nicht durch das Medium einer Idee auf etwas fokussiert. Erst einmal bist du nicht abhängig von einer Argumentation – das kam vorher. Wir können etwas verstehen, das wir mittels einer Argumentation aufgebaut haben – „Ich habe ein kostbares menschliches Leben, weil ich von diesem oder jenem frei bin oder nicht in dieser oder jener furchtbaren Situation stecke.“ Dann kannst du ein konzeptionelles Verständnis besitzen, das nicht auf einer Argumentation beruht. Du musst nicht unbedingt die Argumentation durchgehen ­– das hast du schon. Du kannst einfach sagen – „Ich habe ein kostbares menschliches Leben“ – und damit ist das Verständnis da und die Überzeugung auch. Weil du zuvor bereits die Argumentation durchgegangen bist, musst du dies nicht noch einmal wiederholen. Dennoch ist es immer noch eine Vorstellung des kostbaren menschlichen Lebens. Das ist das Konzept dessen; egal ob verbal, emotional oder wie auch immer. „Nicht konzeptuell“ heißt ohne Vorstellung, geradlinig. Aber wie weißt du, dass es geradlinig ist? Der Unterschied ist, wie lebendig es ist. Wie lebendig ist das Gefühl? Wie lebendig das klare Erkennen des kostbaren menschlichen Lebens? Um das feststellen zu können, müssen wir wissen, was es heißt, dass das Gefühl oder Erkennen lebendig ist oder nicht? Das müssen wir in unserer Erfahrung erkennen. Das Studium der geistigen Faktoren und der Arten der Wahrnehmung ist sehr wichtig für unseren Fortschritt auf dem Weg und um unsere tägliche Erfahrung zu verstehen.

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