Einleitung
Neulich erwähnte Seine Heiligkeit, dass die Potenziale für die Elemente auf den Urknall zurückzuführen sind und die abgeleiteten Elemente aus diesen Potenzialen stammen. Obwohl sich das auf die buddhistische Abhidharma-Darstellung der Kosmologie bezog, hielt ich das für einen guten Punkt, den ich für meine kurze Abhandlung der Kalachakra-Kosmologie weiterentwickeln könnte.
Die Kalachakra-Lehren präsentieren die Thematik der Kosmologie im Kontext ihrer dreiteiligen Struktur der parallelen äußeren, inneren und alternativen Kalachakras oder Zyklen der Zeit. Der äußere Kalachakra befasst sich mit den Zyklen der äußeren Welt, wie die Bewegung der Planeten und den Kalender, während es beim inneren um die Zyklen des Körpers geht, wie den Lebenszyklus und die Atembewegungen während eines jeden Tages. Diese zwei Zyklen finden aufgrund karmischer Kräfte statt und beschreiben Samsara, unkontrollierbar sich wiederholende Wiedergeburt im Universum des äußeren Kalachakra mit einem Körper des inneren Kalachakra. So eine Wiedergeburt ist voller Probleme und Leiden. Das alternative Kalachakra präsentiert die tantrischen Praktiken, die uns davon reinigen, diese äußeren und inneren Zyklen zu erfahren, und verschafft uns einen Überblick über den Weg zur Erleuchtung, um allen Wesen bestmöglich von Nutzen sein zu können.
Um nicht weiter unter dem Einfluss der äußeren und inneren Zyklen zu stehen, ist es notwendig, deren Struktur und Ursachen zu kennen. Wie in Buddhas Lehren der vier edlen Wahrheiten gilt es die wahren Leiden und deren wahre Ursachen zu erkennen, um eine wahre Beendigung durch die wahren Pfade des Geistes zu erlangen, die so eine endgültige Beendigung bewirken. Mit diesem Ziel vor Augen möchte ich heute Abend lediglich über die wahren Leiden sprechen, die durch die unkontrollierbar sich ständig wiederholende Wiedergeburt in einem Universum des äußeren Kalachakra erfahren werden.
Die Zyklen und Elemente eines Universums
Wie in den meisten traditionellen indischen Darstellungen der Kosmologie, einschließlich jener des buddhistischen „Abhidharma“, gibt es unzählige Universen, von denen jedes die Zyklen des Entstehens, Andauerns, Zerfalls und der Leerzeiten durchgeht. Die Zyklen eines jeden Universums sind nicht mit den Zyklen der anderen synchron, sodass ein Universum gerade entsteht, während ein anderes einen Zerfall oder eine Leerzeit durchgeht. Aus diesem Grund stehen den zahllosen begrenzten Wesen (oder fühlenden Wesen) immer einige Universen zur Verfügung, in denen sie wiedergeboren werden können. Obgleich es in den Abhidharma-Texten viele Einzelheiten dazu gibt, wie sich die verschiedenen Bereiche und die Kulturkreise in ihnen während dieser Zyklen entwickeln, findet man in den Texten des Kalachakra nicht viel zu diesen Punkten.
[Siehe: Buddhistische Kosmologie im Abhidharma und im Kalachakra]
Dafür gibt es im Kalachakra Erklärungen dazu, dass jedes Universum zahllose Weltensysteme umfasst, die alle aus winzigen Partikeln oder „Atomen“ (tib. ‘rdul-phran) der elementaren Quellen (tib. khams) bestehen. Dabei handelt es sich um die Quellen der Elemente Erde, Wasser, Feuer, Wind und Raum. Jedes der fünf Arten von Partikeln in dieser Liste ist subtiler als das vorangehende, fast wie bei subatomaren Partikeln und sub-subatomaren Partikeln, und jedes hat eine sensorische Qualität oder Eigenschaft weniger als das vorangehende.
- Erd-Partikel, die an ein Element der Festigkeit erinnern, sind die gröbsten. Sie haben fünf sensorische Eigenschafen: Geruch, sichtbare Form, Geschmack, Fühlbarkeit und Klang. Die acht konglomerierenden Partikel, die in den Abhidharma-Texten präsentiert werden – jedes mit Element-Partikel von Erde, Wasser, Feuer und Wind, sowie abgeleiteten Element-Partikel von Geruch, sichtbarer Form, Geschmack und Fühlbarkeit – gehören zu dieser Ebene der Kalachakra-Partikel.
- Wasser-Partikel, die an ein Element der Flüssigkeit erinnern, sind subtiler als die Erd-Partikel. Sie haben keinen Geruch, sondern nur eine sichtbare Form, einen Geschmack, sind fühlbar, und haben einen Klang, wenn sie fließen.
- Feuer-Partikel, die an ein Element der Hitze erinnern, haben keinen Geruch und keine sichtbare Form. Wir können Hitze nicht sehen. Doch Feuer-Partikel haben einen Geschmack – wir können die Temperatur der Speisen oder Getränke auf unseren Zungen gewissermaßen „schmecken“. Sie können auch durch körperliche Empfindungen wahrgenommen werden und machen ein Geräusch.
- Wind-Partikel, die an ein Element des Gases oder der Energie erinnern, haben nicht nur keinen Geruch und keine sichtbare Form, sondern auch keinen Geschmack. Sie sind jedoch fühlbar und haben einen Klang.
- Raum-Partikel sind die subtilsten von allen Partikeln. Sie haben nur eine sensorische Qualität oder Eigenschaft, nämlich den Klang. Der Raum ermöglicht es den Vibrationen des Klanges, sich zu verbreiten.
Befindet sich ein Universum in der Leerzeit, gibt es nur Raum-Partikel in ihm – entweder nur eins oder viele; zu diesem Punkt gibt es mehrere Sichtweisen. In einem Raum-Partikel gibt es eine Spur der anderen vier gröberen Elemente und nicht nur die Potenziale für sie. Diese Spuren sind jedoch nicht miteinander verbunden, sondern vielmehr „fragmentiert“, wie es in der Literatur beschrieben wird. In modernen wissenschaftlichen Ausdrücken würde dies einem Zustand entsprechen, in dem die normalen Gesetze der Physik nicht gelten. Daher erinnern Raum-Partikel gewissermaßen an schwarze Löcher, obgleich sie natürlich nicht all die Eigenschaften schwarzer Löcher besitzen.
Es ist unklar, ob das Raum-Partikel eines Universums in der Leerzeit unermesslich klein oder unermesslich groß ist. Geht man davon aus, dass es unermesslich groß ist, umfasst das Raum-Partikel eines Universums in der Leerzeit den gesamten Raum dieses Universums und in ihm gibt es nur fragmentierte Spuren der Partikel der anderen Elemente. In dieser Beschreibung sind die normalen Gesetze der Physik während der Leerzeit-Phase eines Universums ebenfalls außer Kraft.
Gemeinsames Karma und die Evolution eines Universums
Wie kurz erwähnt, sind die Evolution und Struktur eines Universums eng mit dem Karma der begrenzten Wesen verbunden, die in ihm wiedergeboren werden. Diese begrenzten Wesen haben ein so genanntes „gemeinsames Karma“ oder „kollektives Karma“, in diesem bestimmten Universum geboren zu werden. Dieses geteilte Karma reift zu einer gemeinsamen „dominierenden Wirkung“ oder zu einem „umfassenden Ergebnis“ (tib. bdag-po’i ‘ bras-bu) heran.
- Auf einer subjektiven Ebene reift es zu ihrem Erfahren der Art der Umgebung heran, in der sie geboren werden, und der Art der Auswirkung, die das auf ihre Körper und Besitztümer hat.
- Auf einer äußeren Ebene trägt ihr gemeinsames Karma ursächlich zu den Umweltbedingungen selbst bei, welche die Umstände dafür schaffen, die Auswirkungen daraus zu erfahren.
[Siehe: Kollektives Karma und Naturkatastrophen]
Dieses karmische Formen der Umgebung geschieht durch die „Winde des gemeinsamen Karmas“, welche auf die Raum-Partikel einwirken, die der Ursprung des Universums sind, in das sie schließlich wiedergeboren werden. Durch den Einfluss dieser karmischen Winde beginnen die Gesetze des Karmas aktiv zu werden.
- Zunächst treten die gröberen Wind-Partikel aus den Spuren des Windes im Raum-Partikel durch einen Prozess der Verschmelzung in Erscheinung. Infolgedessen entsteht ein großer kosmischer Wind.
- Durch die Spur des Feuers verschmelzen die Feuer-Partikel durch die Bewegung der Wind-Partikel. Im Text wird dies als das Auftreten von Blitzen beschrieben. Das klingt wie das Entstehen elektrisch geladener Partikel durch die Reibung von Wind-Partikeln, die sich mit hoher Geschwindigkeit im kosmischen Wind bewegen.
- Als nächstes kondensieren Wasser-Partikel von den Feuer-Partikeln, die im kosmischen Wind aneinander haften. Sie erscheinen wie Regen. Daraus formen sich Wasserkörper, wie es auch mit Gas passiert, wenn dessen Temperatur fällt und sich die Bewegung der Moleküle verlangsamt.
- Wenn sich die Wasser-Partikel miteinander verbinden, verdichten sich Erd-Partikel, was wie die Erscheinung eines Regenbogens in einem Sturm beschrieben wird. Dieser Vorgang erinnert an flüssiges Wasser, das zu festem Eis gefriert oder geschmolzener Lava, die abkühlt und zu festem Stein wird.
Durch diesen evolutionären Prozess formen eine unzählige Anzahl von Weltensystemen ein Universum, jedes mit zylindrischen Wind-, Feuer-, Wasser- und Erd-Mandalas, sowie einem zylindrischen Berg Meru darüber, der von ringförmigen Kontinenten umgeben ist. Raum-Atome bilden nun den Raum darüber, darunter und zwischen jedem Weltensystem, sowie den Raum zwischen jedem Partikel im System.
Die Ursachen für das Entstehen eines Universums
Wenn wir die Ursachen für die Entstehung und Struktur eines Universums anhand der buddhistischen Darstellung der Kausalität analysieren, ist das ursprüngliche Raum-Partikel eines Universums die herbeiführende Ursache (tib. nyer-len-gyi rgyu) des Universums. Eine herbeiführende Ursache ist das, wodurch man ein resultierendes Element als dessen Nachfolger erhält und das mit dem Entstehen des Nachfolgers aufhört zu existieren, wie bei einem Samen und einem Spross. Ein Same und ein Spross formen ein Kontinuum, in dem der Same den Spross als dessen Nachfolger in diesem Kontinuum hervorbringt und der mit dem Entstehen des Sprosses aufhört zu existieren.
Die Spuren der Elemente im Raum-Partikel sind die gleichzeitig auftretende Ursache (tib. lhan-cig ‘byung-ba’i rgyu) eines Universums. Sie treten gleichzeitig auf – mit anderen Worten existieren sie weiter mit dem Entstehen eines Universums, das sie enthält, vergleichbar mit den Bestandteilen eines materiellen Objektes und dem materiellen Objekt selbst. „Existieren weiter“ bedeutet nicht, dass die Elemente statisch sind und sich niemals ändern. Die Element-Partikel unterliegen vorübergehenden Veränderungen, jedoch ohne ihre konventionellen Identitäten zu verlieren. Sie sind der Stoff, der ein Universum ausmacht.
Das gemeinsame Karma der Wesen, die in diesem Universum geboren werden, ist die reifende Ursache (tib. rnam-smin-gyi rgyu) dafür, diese Umgebung als Teil ihrer Aggregate in einer zukünftigen Wiedergeburt in diesem Universum zu erfahren. Weil ihr gemeinsames Karma auch als die reifende Ursache dafür dient, eine bestimmte Art von Körper zu erfahren, wenn sie in diesem Universum wiedergeboren werden, werden im Kalachakra die Strukturen des Universums und des menschlichen Körpers parallel zueinander dargestellt. Aus einer anderen Sichtweise könnten wir auch sagen, dass dieses gemeinsame Karma eine der machtvollen wirkenden Ursachen (tib. byed-rgyu nus-ldan) für ihr Universum ist, vergleichbar mit einem Töpfer, der eine der machtvollen wirkenden Ursachen für den Tonkrug ist, den er oder sie formt.
[Siehe: Ursachen, Bedingungen und Resultate]
Das Andauern und der Zerfall eines Universums
Während der andauernden Phase eines Universums von Weltensystemen, führen die äußeren Zeitzyklen, die es durchgeht, für die begrenzten Wesen, die in ihm geboren werden, zum Erfahren von Leiden. Die Zyklen des Kalenders kennzeichnen den Ablauf der Zeit, der mit dem allmählichen Altern, abwechselnder Gesundheit und Krankheit, und schließlich dem Tod einen Einfluss auf ihre Körper hat. Zyklen astrologischer Formationen beeinflussen ihre Persönlichkeit und das, was ihnen in jeder Lebensperiode passiert, die von einem anderen Himmelskörper beherrscht wird. Zyklen von Krieg und Frieden, Trockenheit und Überfluss etc. verursachen ihnen ebenfalls zahllose Schmerzen.
Die Phase des Zerfalls eines Universums beginnt damit, dass die Erd-Partikel nicht mehr miteinander verbunden sind. Darauf folgt wiederum, dass die Wasser-, Feuer- und Wind-Partikel nicht länger aneinander hängen, sondern auseinanderfallen. Wir könnten dies als eine Periode beschreiben, in denen die Partikel eines Universums sich so weit voneinander trennen, dass es keine Gravitationskraft mehr gibt, die sie zusammenhält. Dann ist die Situation wieder die eines Raum-Partikels.
Hier werden wir an die derzeitige wissenschaftliche Theorie erinnert, wie unser Universum durch ständiges Ausweiten enden wird. Irgendwann werden sich die Sterne und all die Bestandteile des Universums soweit voneinander trennen, dass die Gravitation nicht mehr funktionieren wird. Aus diesem Grund werden die Sterne verglühen, worauf der Protonen-Zerfall und die so genannte „große Kälte“ folgt und lediglich schwarze Löcher übrigbleiben. Doch im Gegensatz zum westlichen Modell, in dem die schwarzen Löcher ebenfalls irgendwann dahinschwinden, folgt dieser Periode des Zerfalls erneut eine Phase der Evolution und ein weiterer „Zeitzyklus“ beginnt.
Die Kalachakra-Beschreibung der Evolution und des Zerfalls eines Universums ist auch wie eine der Zeilen im „Uttaratantra“ („Das Weitest gehende immerwährende Kontinuum“). Dort sagt Maitreya, dass alle Elemente sich aus dem Raum entwickeln und sich im Raum auflösen, der Raum selbst jedoch keine Stellung gegenüber etwas bezieht, also von Natur aus leer ist.
Leerheit von Ursache und Wirkung
Hier ist es wichtig, das Verständnis der Leerheit von Ursache und Wirkung auf diese Kalachakra-Darstellung der vier Phasen eines Universums anzuwenden. Im Kalachakra meditieren wir über Leerheit entsprechend den „vier Toren zur Befreiung“ (tib. rnam-par thar-pa’i sgo-bzhi).
- Das Fehlen eines Merkmals (tib. mtshan-ma med-pa) – es gibt kein Merkmal einer unmöglich existierenden Ursache. Das bezieht sich auf die Tatsache, dass das Resultat, nämlich ein Universum, nicht schon in seiner Ursache existiert – in den Spuren der Elemente seiner Raum-Partikel – vollkommen entschlossen und darauf wartend „herauszukommen“, wenn die Winde kollektiven Karmas auf das Universum einwirken. Auf der anderen Seite entsteht ein Universum nicht aus etwas, das völlig getrennt von diesen Spuren der Elemente ist, und auch nicht aus nichts.
- Das Fehlen von Hoffnung (tib. smon-pa med-pa) – es gibt keine Hoffnung für ein unmöglich existierendes Resultat. Das Universum, das entstehen wird, existiert nicht bereits auf wahrhafte Weise, noch ist es völlig nicht-existent. Etwas, das bereits wahrhaft existiert, kann nicht entstehen, während etwas, das überhaupt nicht existiert, auch nicht entstehen kann. Mit anderen Worten muss ein „Etwas“ nicht wieder ein „Etwas“ werden, und ein „Nichts“ kann nicht ein „Etwas“ werden.
- Die Leerheit selbst (tib. stong-pa-nyid) bezieht sich auf die Leerheit der Leerheit selbst. Leerheit ist keine wahrhaft existierende Grundlage, auf der der Raum „Stellung bezieht“, um Maitreyas Worte zu benutzen; noch ist Leerheit ein absolutes Nichts. „Leerheit selbst“ kann sich auch auf das Fehlen unabhängiger, wahrhaft begründeter Existenz der drei Sphären beziehen, die mit der Evolution eines Universums verbunden sind – (1) die begrenzten Wesen, die in einem Universum geboren werden und die Winde ihres gemeinsamen Karmas, (2) das Raum-Atom und die Spuren der Elemente in ihm, und (3) die Evolution selbst.
- Das Fehlen einer beeinflussenden Handlung (tib. mngon-par ‘du mi-byed-pa) – die Stufen, auf denen sich ein Universum entfaltet, existieren nicht als unabhängig existierende Phasen, die aus eigener Kraft begründet sind.
Kurzum entstehen die vier Phasen eines Universums abhängig voneinander und abhängig von einer Vielzahl anderer ursächlicher Faktoren; und allem damit Verbundenem fehlt eine wahrhaft begründete Existenz.
Verschiedene Erscheinungen eines Universums
Oft stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass ein Universum verschiedenen Menschen auf unterschiedliche Weise erscheinen kann. Buddha selbst gab dazu zwei Beschreibungen: eine im Abhidharma und eine im Kalachakra; die Wissenschaft liefert uns hingegen ein anderes Bild. Ist nur eine davon gültig? Und wenn alle drei gültig sind, wie können wir das verstehen?
Die Antwort auf diese Frage findet sich in der Beschreibung, in der das gleiche Objekt der Ausrichtung einer Wahrnehmung von Hungergeistern als Eiter, von Menschen als Wasser und von den Göttern als Nektar gültig erscheinen und gesehen werden kann. Tsongkhapa und sein Schüler Kaydrubjey erklären: Es ist nicht so, dass das Objekt der Ausrichtung tatsächlich und wahrhaft als Wasser existiert und nur als Eiter oder Nektar erscheint. Es gibt da auch kein wahrhaft existierendes Objekt der Ausrichtung, das wie eine leere Leinwand existiert – oder gar als eine generische Flüssigkeit – die auf diese drei verschiedene Weisen erscheinen kann, je nachdem wie der Geist, der sie wahrnimmt, sie mit einer projizierten Erscheinung „anmalt“ und bezeichnet. Das Objekt der Ausrichtung einer Wahrnehmung hat vielmehr konventionelle Merkmale (tib. cha, Facetten, Teile), welche diese drei verschiedenen gültigen Wahrnehmungen in Verbindung mit dem konzeptuellen Bezugssystem des Wahrnehmenden ermöglichen. Diese Merkmale sind jedoch im Objekt der Ausrichtung weder letztendlich noch konventionell auffindbar. Darüber hinaus haben diese Merkmale selbst nicht die Kraft, diese verschiedenen gültigen Wahrnehmungen entstehen zu lassen; nicht einmal zusammen mit geistigem Bezeichnen.
Sehen wir uns hier zum besseren Verständnis das Beispiel der zwölf Eier an. Es gibt Merkmale von zwölf Eiern, durch die man sie in sechs Gruppen von jeweils zwei, in vier Gruppen von drei, drei Gruppen von vier und zwei Gruppen von jeweils sechs teilen kann. Diese Merkmale kann man in keinem einzelnen Ei und auch nicht in den Gruppen von Eiern selbst finden. Fügen wir der Gruppe ein Ei mehr hinzu, hat das System, das sie bilden nicht mehr diese drei Eigenschaften. Doch beruhend auf dem konzeptuellen Rahmen des Zahlensystems, der Absicht und der potenziellen Handlungen von jemandem, der die zwölf Eier wahrnimmt und vielleicht Omeletts aus zwei Eiern, drei Eiern, vier Eiern oder sechs Eiern machen will, kann der Wahrnehmende sie in sechs, vier, drei oder zwei gleichen Gruppen wahrnehmen und sie geistig bezeichnen. Jede dieser Wahrnehmungen und geistigen Bezeichnungen sind gültig und entstehen abhängig von diesen Eigenschaften der zwölf Eier und des geistigen Bezeichnens. Fachlicher ausgedrückt kann die Existenz dieser Gruppen nur als das begründet werden, worauf sich die Bezeichnungen „sechs Gruppen mit jeweils zwei“ etc. auf der Grundlage dieser Merkmale der zwölf Eier beziehen, durch die sie gültig als „sechs Gruppen mit jeweils zwei“ etc. bezeichnet werden können. All diese Gruppen existieren konventionell, trotz der Tatsache, dass wir keines dieser Merkmale seitens der zwölf Eier lokalisieren können.
Die gleiche Analyse kann auf das ursprüngliche Raum-Partikel eines Universums und die Spuren der Elemente in ihm angewandt werden. Sie haben nicht auffindbare Merkmale, die es begrenzten Wesen mit dem geeigneten Karma ermöglichen zu erkennen, was sich aus ihnen im Kalachakra, Abhidharma oder der westlichen Wissenschaft entwickelt, und all ihre Wahrnehmungen werden gültige Wahrnehmungen sein. Für jene mit herausragenden karmischen Verbindungen und Potenzialen zum Erlangen der Erleuchtung durch die Kalachakra-Methoden werden die Merkmale im Universum und ihren subtilen Körpern vorherrschend sein, welche die gültige Wahrnehmung von ihnen in Formen ermöglichen, die sowohl einander als auch der Kalachakra-Praxis entsprechen. Aus diesem Grund werden die Winde ihres Karmas das Universum und ihre subtilen Körper ihnen gültig auf diese Kalachakra-Weise erscheinen lassen.
Parallelen zwischen inneren und alternativen Kalachakras
Diese Darstellung der Raum-Partikel des äußeren Kalachakras, die lediglich die Qualität des Klanges und Spuren anderer Elemente haben, hat Parallelen sowohl in den inneren als auch den alternativen Kalachakra-Systemen. Gemäß der Darstellung des inneren Kalachakras wird unser subtilstes Bewusstsein klaren Lichts während unserer Todes-Existenz nicht nur mit unserem subtilsten Energiewind verbunden, sondern auch mit unserem subtilsten Samentropfen (tib. khu-ba phra-mo). Wie ein Raum-Partikel enthält dieser subtilste Samentropfen Spuren der vier gröberen Elemente und hat die Qualität subtilsten Klanges. In jedem Leben entstehen wir aufgrund der Winde unseres individuellen ungeteilten Karmas mit einem Körper, einem Geist und vokalen Fähigkeiten (Rede), die sich aus dieser Kombination des subtilsten Geistes, des Energiewindes, des Samentropfens und des Klanges entfalten. Dieser evolutionäre Prozess erfordert, dass unser Geisteskontinuum schrittweise die fortschreitend gröberen Elemente der Verbindung von Same und Eizelle unserer Eltern annimmt. Wenn wir sterben, zerfallen die gröberen Ebenen unseres Körpers, unseres Geistes und unserer Rede, und unser Geisteskontinuum zieht sich stufenweise von den gröberen Elementen unseres Körpers zurück. Das Einzige, was unsere Kontinuität durch den Tod hindurch und in unsere nächste Wiedergeburt bewahrt, sind wiederum dieser subtilste Geist, der Energiewind, der Samentropfen und Klang, denen unser konventionelles „Ich“ zugeschrieben ist.
Um dem Einfluss unserer kollektiven und individuellen karmischen Winde zu entkommen, die zu unserem Erfahren dieser parallelen äußeren und inneren Kalachakra-Zeitzyklen beitragen, gibt es die Praxis des alternativen Kalachakras. Auch hier haben wir eine Struktur, die den beschriebenen Prozessen gleicht. In der Meditation, zunächst in unserer Vorstellung und dann zusammen mit den verschiedenen Merkmalen unseres subtilen Körpers, ziehen wir unser Bewusstsein von seinen gröberen Ebenen und dem Hervorbringen von Erscheinungen, die auf den gröberen Elementen unserer Umgebung und unseres Körpers beruhen, zurück. Am Ende eines zehnstufigen Auflösungsvorgangs bleibt nur ein blauer Punkt, der mit einem Raum-Partikel und einem subtilsten Samentropfen vergleichbar ist. Innerhalb dieses blauen Tropfens mit der Qualität von subtilsten Klang gibt es eine schwarze Haarlinie und die Erscheinung leerer Formen (tib. stong-gzugs). Wie die Spuren der Elemente in einem Raum-Partikel und in einem subtilsten Samentropfen, sind leere Formen in der Haarlinie eines blauen Punktes Formen, die frei von konzentrierten gröberen Partikeln sind. Ich bin mir nicht sicher, worauf sich die schwarze Haarlinie bezieht, doch sie erinnert mich ein wenig an die String-Theorie mit vibrierenden Strings auf der subtilsten Ebene, die verantwortlich für die gröberen Ebenen der Materie und die Kräfte des Universums sind. Innere und äußere Kalachakras sind jedoch umfangreiche Themen, die jenseits des Rahmens meiner gegenwärtigen Diskussion liegen.
Schlussfolgerung
Kurzum streben wir mit der Praxis des alternativen Kalachakras an, die Winde unseres Karmas für immer davon abzubringen, äußerlich auf die Raum-Partikel des Universums und innerlich auf unseren subtilsten Samentropfen einzuwirken, damit sie nicht mehr unsere endlosen Erfahrungen samsarischer äußerer und innerer Kalachakra-Zeitzyklen hervorbringen. Wir tun dies, indem wir in der Meditation versuchen, den blauen Punkt am Ende des zehnstufigen Auflösungsvorgangs zu erreichen. Zusammen mit dieser Erfahrung des blauen Punktes ist unser subtilster Geist klaren Lichts nicht-konzeptuell mit unwandelbarem glückseligen Gewahrsein (tib. ‘gyur-med bde-ba) auf die Leerheit gerichtet und hat als sein Erscheinungsaspekt einen leeren Formkörper, der eine Reflexion des Geistes klaren Lichts selbst ist. Solch ein Körper und Geist sind, wenn sie vollständig erlangt wurden, die direkten Ursachen (tib. dngos-rgyu) dafür, im nächsten Moment ihres Kontinuums den erleuchtenden Körper und Geist eines Buddhas hervorzubringen. Solch ein meditativer Vorgang ist effektiv, weil die Struktur der Raum-Partikel, der subtilste Samentropfen und der blaue Punkt alle parallel im Einklang mit dem Schema der äußeren, inneren und alternativen Kalachakras sind.