Die Definition von destruktiven Verhalten
In jedem ethischen System werden destruktive Verhaltensweisen aufgezählt, aber in jedem davon wird solches Verhalten anders definiert, und deshalb werden unterschiedliche Handlungen angegeben. Religiöse und zivilrechtliche Systeme gründen auf Regeln, die entweder von einer überweltlichen Autorität oder einem Staatsoberhaupt bzw. irgendeiner Art von Gesetzgebung erlassen werden. Wenn wir sie nicht befolgen, machen wir uns schuldig und müssen mit Bestrafung rechnen; befolgen wir sie, werden wir belohnt, sei es im Himmel oder in diesem Leben durch eine Gesellschaft, die eine gewisse Sicherheit verspricht. In humanitären Systemen wird das Hauptgewicht darauf gelegt, anderen nicht zu schaden, doch es ist schwierig zu beurteilen, was für jemand anderen schädlich oder hilfreich ist. Jemanden anzuschreien kann dessen Gefühle verletzen oder aber ihn veranlassen, einer Gefahr auszuweichen.
Das Hauptgewicht in der buddhistischen Ethik liegt darauf, sich von selbstzerstörerischemVerhalten zurückzuhalten, insbesondere von Handlungsweisen, die uns auf lange Sicht schaden. Jemanden anzuschreien, etwa den Autofahrer, der uns wie ein Verrückter auf der Straße zu überholen versucht, mag vielleicht bewirken, dass wir uns einen Augenblick besser fühlen, bringt aber unseren Geist und unsere Energien in Aufruhr; wir verlieren unseren inneren Frieden. Wenn wir uns das zur Gewohnheit machen, jemanden anzuschreien, werden wir unfähig, irgendwelche Unannehmlichkeiten zu tolerieren ohne uns aufzuregen, und das schadet unserer Gesundheit sowie unseren Beziehungen zu anderen.
Wenn unser Verhalten hingegen davon motiviert ist, dass uns an anderen liegt, und von Liebe, Mitgefühl und Verständnis geprägt ist, werden wir ganz natürlich davon Abstand nehmen, herumzuschreien, selbst wenn wir automatisch einen Impuls dazu verspüren, und stattdessen den Autofahrer großzügig an uns vorbei lassen. Dann ist er zufrieden und wir profitieren auch davon: Wir verbleiben in einem gelassenen und im Grunde glücklicheren Geisteszustand. Es ist nicht so, dass wir dann frustriert sind, weil wir unseren Drang unterdrücken, diese Person anzuschreien. Vielmehr verstehen wir – weil uns klar ist, dass jeder so schnell wie möglich an sein Ziel gelangen möchte und in dieser Hinsicht alle auf der Straße gleich sind –, dass es sinnlos ist, unsere Fahrt zu einem Wettrennen ausarten zu lassen.

Gemäß der buddhistischen Definition ist destruktives Verhalten dadurch gekennzeichnet, dass man zwanghaft unter dem Einfluss störender Emotionen und schädlicher Gewohnheiten handelt. Man unterscheidet dann nicht korrekt, was schädlich und was förderlich ist, entweder weil man einfach nicht weiß, was am besten ist, oder weil man es zwar weiß, aber keinerlei Selbstbeherrschung hat. Die hauptsächlichen störenden Emotionen sind Gier und Ärger, plus Naivität hinsichtlich der Folgen unserer gewohnheitsmäßigen Art zu handeln, zu sprechen und zu denken, sobald wir zwanghaft von diesen Unruhe stiftenden Emotionen getrieben sind. Außerdem ist es uns vielleicht ganz egal, wie wir uns verhalten, weil wir kein Selbstwertgefühl haben. Wir haben dann die Einstellung: „Was soll’s“: ist doch sowieso alles egal, außer vielleicht oberflächliche Angelegenheiten wie z.B. welche Kleidung wir tragen oder wie unsere Haare aussehen. Und es kümmert uns natürlich dann nicht, welches Licht unser Verhalten auf unsere ganze Generation wirft oder auf unser Geschlecht, unsere Nationalität, unsere Religion oder was auch immer für eine Gruppe, der wir uns angehörig fühlen. Uns fehlt Selbstachtung und ein Gefühl für die eigene Würde im moralischen Sinne.