Verse der Ehrerbietung und Versprechen (etwas) zu verfassen
Der Name dieses Werkes lautet: Ein Text zum Diskurs über Geistestraining „Sich von den vier Arten des Klammerns lösen“: Schlüssel zu den tiefgründigen wesentlichen Punkten (tib. Blo-sbyong zhen-pa bzhi-bral-gyi khrid-yig zab-don gnad-kyi lde’u-mig). Er wurde vom großen Sakya-Meister Gorampa (tib. Go-ram-pa bSod-nams Seng-ge) (1429–1489) verfasst. Er beginnt folgendermaßen:
Ich richte meine Bitten an dich, unvergleichlicher Beschützer, Löwe des Shakya-Klans. Wie der Pfad der Götter durchdringt deine höchste Allwissenheit alles gültig Erkennbare. Wie die Strahlen des Mondlichts verschönert dein Mitgefühl das Haupt der wandernden Wesen. Wie ein wunscherfüllendes Juwel ist dein erleuchtender Einfluss ein Schatz, der alle Wünsche erfüllt. Möge für jedes wandernde Wesen alles konstruktiv und vortrefflich sein.
Mit diesem Vers bringt Gorampa Shakyamuni Buddha, dem Anführer der fähigen Weisen Ehrerbietungen dar.
Vor dir, oh Sakyapa, den man nur schwer mit Namen benennen kann, verbeuge ich mich voller Respekt. Du bist Manjushri, der das tiefe Gewahrsein aller Siegreichen der drei Zeiten in sich vereint. Du bist Avalokiteshvara, der geschworen hat, alle wandernden Wesen der drei Ebenen samsarischer Existenz zu beschützen. Du hast eine menschliche Form angenommen, um die wandernden Wesen in diesem Zeitalter des Niedergangs zu führen.
Hier bringt Gorampa dem überaus gütigem Sachen Kunga Nyingpo (tib. Sa-chen Kun-dga’ snying-po), dem edlen, makellosen Jetsün Sakyapa, seine Ehrerbietung dar, der untrennbar von Jetsün Manjushri und dem großen Mitfühlenden, dem hochverwirklichten Arya Avalokiteshvara ist.
Hier werde ich die außergewöhnlichen Richtlinien für die essenziellen Punkte des Mahayana darlegen und damit den wiederholten Bitten von dir, oh Strahlender mit tugendhaftem Geist, nachkommen. Durch die Kraft deines in der Vergangenheit aufgebauten positiven Potenzials, hast du eine menschliche körperliche Grundlage geschaffen, um den heiligen Dharma zu verwirklichen, und mit deinem spontan hervorgebrachten Reichtum hast du den Lehren, sowie den Bewahrern der Lehren Opfergaben dargebracht.
Das ist das Versprechen, einen Text zu verfassen. „Strahlender mit tugendhaftem Geist“ bezieht sich hier auf Gorampas Gönner, Ralö Dorje (tib. Ra Lod rdo-rje).
Um der gesamten Welt von Nutzen zu sein, hat der vollkommen erleuchtete Buddha eine Vielzahl an Dharmalehren gemäß den Neigungen, Wünschen und verborgenen Potenzialen der zu zähmenden Wesen dargelegt, obgleich er nicht darum gebeten wurde. Die Gesamtheit dessen wurde im Fahrzeug der weitreichenden Vollkommenheit (Paramitayana) und dem diamantharten Fahrzeug (Vajrayana) zusammengefasst.
Es gibt keine Lehren, die nicht entweder zum Fahrzeug des Sutra oder zum Fahrzeug des Tantra gehören.
Die wesentlichen Hauptpunkte des Sutra, wie sie in den klassischen Texten erklärt werden
Im Ersten (Paramitayana) gibt es zwei Aspekte: (1) die wesentlichen Hauptübungen, wie sie in den klassischen Texten erklärt werden; und (2) die diesbezüglichen Übungen durch die wesentlichen Punkte der Quintessenz-Lehren.
Was die wesentlichen Hauptpunkte betrifft, die in den klassischen Texten erklärt werden, sprach der Beschützer Gönpo Maitreya bezüglich dieser zwei in „Ein Filigranschmuck der Verwirklichungen“ (tib. mNgon-rtogs rgyan, Skt. Abhisamayalamkara) vom Stufenpfad im Sinne der acht Gruppen von Verwirklichungen, welche die Bedeutung der „Sutras des weitreichenden unterscheidenden Gewahrseins“ (tib. Phar-byin mdo, Skt. Prajnaparamita Sutras) sind.
Die acht Gruppen von Verwirklichungen (tib. mngon-rtogs brgyad) sind die drei Gruppen verwirklichten Gewahrseins erkennbarer Phänomene (tib. shes-bya mkhyen-gsum), die vier Gruppen angewendeter Verwirklichungen der Praxis (tib. nyams-len sbyor-ba bzhi), sowie der resultierende Dharmakaya (tib. ’bras-bu chos-sku).
In „Ein Filigranschmuck für die Mahayana-Sutras“ (tib. Theg-pa chen-po mdo-sde rgyan, Skt. Mahayanasutralamkara) sprach er (Maitreya) ebenfalls vom Stufenpfad, doch hier im Sinne der beabsichtigten Punkte der verschiedenen Mahayana-Sutras – (Buddha-Natur)-Familieneigenschaften, Bestrebungen für den Dharma usw.
In „Eine kostbare Girlande“ (tib. Rin-chen ’phreng-ba, Skt. Ratnavali), sprach der höchste Arya Nagarjuna von: (1) dem höheren Status und dem endgültig Gutem, als was es zu verwirklichen gilt; (2) jenen mit Glauben an Tatsachen und unterscheidendem Gewahrsein, als welche sie verwirklichen; und (3) dem Stufenpfad, als durch was sie verwirklicht werden.
„Höherer Status“ (tib. mngon-mtho) bezieht sich auf die Wiedergeburt in einem der drei besseren Wiedergeburtszustände, „das endgültig Gute“ (tib. nges-legs) auf Befreiung und Erleuchtung.
Der meisterhafte Lehrer Acharya Aryadeva sprach vom Stufenpfad auf folgende Weise: (1) die Buddhaschaft als Objekt der Ausrichtung nehmend, werden die vier verkehrten (Betrachtungen) aufgegeben; dann werden (2) die störenden Emotionen zusammen mit ihren Ursachen durchtrennt, welche die Hindernisse sind, die vollkommen vollendetes Bodhisattva-Verhalten verhindern; und dann geht es im eigentlichen Hauptpunkt darum, (3) die Lehren des Nektars der eigentlichen Natur der Realität (zu verwirklichen), nachdem man selbst zu einem angemessenen Gefäß für die eigentliche Natur der Realität geworden ist.
Dies wurde von Aryadeva in der „Abhandlung in Vierhundert Versen“ (tib. bZhi-brgya-pa’i bstan-bcos kyi tshig-le’ur byas-pa, Skt. Catuhshataka-shastra-karika) dargelegt. Mit den vier verkehrten Betrachtungen (tib. phyin ci-log bzhi) hält man (1) Unsauberes für sauber, (2) Leiden für Glück, (3) Unbeständiges für beständig, und (4) etwas ohne ein unmögliches „Selbst“ für etwas, das ein unmögliches „Selbst“ hat.
Acharya Shantideva sprach in „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ folgendermaßen vom Stufenpfad zum Verwirklichen der Buddhaschaft: (1) eine körperliche Grundlage mit Ruhepausen und Bereicherungen zu haben; (2) auf dieser Grundlage die sechs weitreichenden Geisteshaltungen – die essentielle Natur des Bodhisattva-Verhaltens – zu praktizieren; und (3) sie mit reinen Gebeten zu verbinden.
Der ehrwürdige Atisha sprach vom Stufenpfad auf folgende Weise: (1) Menschen auf der anfänglichen Ebene, die nicht mehr an diesem Leben hängen, arbeiten daran, lediglich ihre eigenen Ziele in zukünftigen Leben zu verwirklichen; (2) Menschen auf der mittleren Ebene, welche die Freuden samsarischer Wiedergeburten aufgegeben haben, arbeiten daran, lediglich ihre eigene Befreiung zu verwirklichen; und (3) Menschen auf der fortgeschrittenen Ebene arbeiten daran, zum Wohle aller begrenzten Wesen Buddhaschaft zu verwirklichen.
Atisha hat das in dem Werk „Lampe für den Pfad zur Erleuchtung“ (tib. Byang-chub lam-gyi sgron-ma, Skt. Bodhipathapradipa) dargelegt.
Der berühmte Shri Chandrakirti sprach vom Stufenpfad auf folgende Weise: (1) Als ein gewöhnliches Wesen schult man sich in den drei Arten des Geistes: Mitgefühl, Bodhichitta und Nichtdualität. (2) Hat man dann die Ebene eines Arya, eines hochverwirklichten Wesens erlangt, geht man mittels der zehn weitreichenden Geisteshaltungen die zehn Bhumi-Ebenen des Geistes durch, und (3) verwirklicht die drei Körper eines Buddha.
Chandrakirti legte dies in seinem Werk „Eintritt in den Mittleren Weg“ (tib. dBu-ma-la ’jug-pa, Skt. Madhyamakavatara) dar. Die drei Körper eines Buddha sind (1) Dharmakaya, ein alles umfassender Körper; (2) Sambhogakaya, ein Körper vollen Gebrauchs; und (3) Nirmanakaya, ein Ausstrahlungskörper.
Diese Tradition, die von diesen Auslegern (des Stufenpfades) ohne verkehrte (Erklärungen) dargelegt wird, die eine majestätische Herrschaft darüber haben, was als beabsichtigte Bedeutung des Mahayana Korbes (der Sutras) festgelegt wurde, ist wirklich beachtlich. Doch obgleich sie von jenen verstanden werden kann, welche die (ausführliche) Tradition der klassischen Texte studiert und ihren Geist dadurch geschult haben, kann sie nicht nur durch diese wenigen (Worte) hier verstanden werden.
Gorampa sagt, dass die vollen Bedeutungen der ausführlichen klassischen Literatur nicht ohne ausführliche Studien verstanden werden können. Man fragt sich also, wie man die Bedeutung der klassischen Texte durch die Quintessenz-Lehren üben kann, wenn es nicht möglich ist, die volle Bedeutung dieser klassischen Texte zu praktizieren, und dazu fährt Gorampa folgendermaßen fort:
Die Übungen der klassischen Sutra-Texte durch die essenziellen Punkte der Quintessenz-Lehren
Zweitens gibt es, was das Praktizieren ihrer Bedeutungen durch die essenziellen Punkte der Quintessenz-Lehren betrifft, im Allgemeinen nur ganz wenige (Handbücher), doch die wichtigsten von ihnen sind jenes, das Atisha von Lama Serlingpa bekam; und jenes, welches Sakyapa Lama von Gönpo Manjushri bekam.
Die Quintessenz-Lehren, die Atisha von Lama Serlingpa bekam
Die große Anzahl an Handbüchern der Quintessenz-Lehren, die hier erwähnt werden, bezieht sich auf jene, die im Land des Schnees, in Tibet, verbreitet wurden. Die Quintessenz-Lehren, die Lama Serlingpa an Atisha weitergab, sind jene des Geistestrainings in sieben Punkten. Der Sakyapa Lama bezieht sich auf Sachen Kunga Nyingpo, und die Quintessenz-Lehre, die er von Manjushri bekam, betrifft das Geistestraining „Sich von den vier Arten des Klammerns lösen“.
Von diesen Zweien, werden im ersten (Geistestraining in sieben Punkten) dargelegt:Was die Grundlage für das Entwickeln einer Bodhichitta-Ausrichtung betrifft – (1) Verwirklichen (der Lehren über) die vier Themen: (a) die Schwierigkeit, (eine menschliche Wiedergeburt mit) Ruhepausen und Bereicherungen zu finden, (b) Tod und Vergänglichkeit, (c) karmische Ursache und Wirkung, und (d) die Nachteile unkontrollierbar sich wiederholender samsarischer Wiedergeburt. Was die vorangehenden Übungen (zum Entwickeln einer Bodhichitta-Ausrichtung) betrifft – sich lange Zeit in Liebe und Mitgefühl zu üben und dann, als eigentliche (Methode), (2) hauptsächlich über Bodhichitta zu meditieren, indem man sich selbst mit anderen austauscht, und wenn es angemessen ist, über tiefstes Bodhichitta zu meditieren. Was zusätzliche Übungen dieses Pfades betrifft – (3) das Verwandeln widriger Umstände in einen Pfad zur Erleuchtung; (4) die Kondensierung der Praxis in einem Leben; (5) das Ausmaß messen, in dem man die eigenen Geisteshaltungen geschult hat; (6) die eng bindenden Praktiken für die Schulung der Geisteshaltungen; und (7) die Punkte, die für die Schulung der Geisteshaltungen zu üben sind. Dies zu praktizieren, ist ein herausragender Pfad, der nicht augenfällig, aber ausgesprochen wirksam ist.
In Tibet hat Atisha ihn niemandem, außer seinem spirituellen Freund Geshe Dromtönpa vermittelt. Der Geshe hat ihn seinerseits niemandem, außer den drei kostbaren spirituellen Brüdern vermittelt. Von ihnen hat er sich weit verbreitet.
Die drei kostbaren spirituellen Brüder (tib. sku-mched rin-po-che rnam-pa gsum), denen Geshe Dromtönpa (tib. ’Brom-ston-pa rgyal-ba’i ’byung-gnas) diese Lehren vermittelte, waren die Bodhisattvas Geshe Potowa (tib. dGe-bshes Po-to-ba Rin-chen gsal), Geshe Chengawa (tib. dGe-bshes sPyan-snga-ba Tshul-khrims ’bar) und Geshe Phuchungwa (tib. dGe-bshes Phu-chung-ba gZhon-nu rgyal-mtshan).
Dessen tibetischer Diskurs ist ein großer Pfad (der Praxis), der so bekannt ist, wie die Sonne und der Mond.
Der tibetische Diskurs bezieht sich auf das „Geistestraining in sieben Punkten“ (tib. Blo-sbyong don-bdun-ma) von Geshe Chekawa (tib. dGe-bshes ’Chad-kha-ba).
Was dessen Praxis betrifft, wendet man sich an die Texte vom Bodhisattva Chodzongwa und seinem spirituellen Sohn, sowie an jene des großen Wesens Mahasattva Zhonnu Gyalchog.
Der Bodhisattva Chodzongwa (tib. rGyal-sras Chos-rdzong-ba) ist Ngulchu Togme Zangpo (tib. dNgul-chu Thogs-me bzang-po) und sein kurzer Vortragstext sind die „37 Übungen der Bodhisattvas“ (tib. rGyal-sras lad-len so-bdun-ma). Sein spiritueller Sohn ist Palden Yeshe (tib. dPal-ldan ye-shes), der den vortrefflichen Text „Die große mündliche Übertragung des Geistestrainings“ (tib. Blo-sbyong snyan-rgyud chen-po) schrieb. Zhonnu Gyalchog (tib. gZhon-nu rgyal-mchog) war der Autor von „Geistestraining: Ein Kompendium wohlformulierter Ratschläge“ (tib. Blo-sbyong legs-bshad kun-btus).
Die Quintessenz-Lehren, die Lama Sakyapa von Gönpo Manjushri bekam
Bei dieser Gelegenheit (werde ich nun darlegen), was Gönpo Manjushri Lama Sakyapa zuteilwerden lies. Obgleich es Ähnlichkeiten zu den oben genannten Hauptpunkten der Praxis gibt,
Die Hauptpunkte der Praxis beziehen sich auf die oben genannten des „Geistestrainings in sieben Punkten“.
sind die Unterteilungen des Themengebiets und die Anordnung der Punkte herausragender.
Die fünf Jetsün Sakya Patriarchen (tib. Sa-skya rje-btsun gong-ma lnga) sind wie die Urquellen der Sakyapa-Lehren. Sie werden die „drei weißen Meister (tib. dkar-po rnam-gsum) und die zwei roten Meister (tib. dmar-po rnam-gnyis)“ genannt. Der Grund, warum sie als die drei weißen Meister bezeichnet werden, liegt darin, dass sie als im Zölibat lebende Laien mit vollständigen Laien-Gelübden weiße Roben trugen. Der wichtigste von ihnen war Sakyapa Lama Kunga Nyinpo. Seine biologischen Söhne, wie auch seine unbestreitbaren spirituellen Herzenssöhne Sönam Tsemo (tib. bSod-nams rtse-mo) und der kostbare Jetsün Dragpa Gyaltsen (tib. Grags-pa rgyal-mtshan) trugen ebenfalls weiße Roben als im Zölibat lebende Laien. Sie waren große Gelehrte und verwirklichte Praktizierende mit majestätischer Herrschaft über Verwirklichungen. Sie werden als die „drei weißen Meister“ bezeichnet.
Manjushri Sakya Pandita Kunga Gyaltsen (tib. ’Jam-dbyang Sa-skya Pandi-ta Kun-dga’ rgyal-mtshan) wurde als Sachen Kunga Nyingpo’s vierter Sohn Palchen Öpo (tib. dPal-chen ’od-po) geboren. Sein Bruder war Zangtsa Sönam Gyaltsen (tib. Zangs-tsha bSod-nams rgyal-mtshan). Der Guru der wandernden Wesen der drei Bereiche, Chögyal Phagpa (Chos-rgyal ’phags-pa), sowie der Behüter der wandernden Wesen, Drogön Chagna Dorje (tib. ’Gro-mgon Phyag-na rdo-rje) usw. waren die Söhne von Zangtsa Sönam Gyaltsen. Sowohl Manjushri Sakya Pandita und Drogön Chögyal Phagpa waren voll-ordinierte Vajradhara-Mönche und wurden somit als die „zwei roten Meister“ bezeichnet. Das waren die fünf Sakya-Patriarchen. Der Sakyapa-Lama Kunga Nyinpo war die Urquelle, von dem sie alle abstammten.
Sachen Kunga Nyingpo war in erster Linie ein Nachkomme der Götter des klaren Lichts; dann ein Nachkomme des makellosen Kön- (tib. ’Khon) Klans; und letztlich der Sohn von Sakyapa Kön Könchog Gyalpo (tib. Sa-skya-pa ’Khon dKon-mchog rgyal-po). All die früheren Ahnen des Sakyapa-Klan bis hin zu seinem Vater Kön Könchog Gyalpo waren ausschließlich verwirklichte Meister, die sich auf den Pfad der Nyingma-Tantras der alten Übersetzungsperiode stützten. Doch Kön Könchog Gyaltsen folgte in seiner Zeit den Sarma-Lehren der neuen Übersetzungsperiode. Er hörte und bezog sich auf die ausführlichen Lehren, die er von dem Übersetzer Drogmi Lotsawa (tib. ’Brog-mi Lo-tsa-ba) und anderen Gurus der Tantras der neuen Übersetzungsperiode erhielt.
Kön Könchog Gyalpo hatte ein Sohn und das war Sachen Kunga Nyingpo. Bis zum elften Lebensjahr von Sachen Kunga Nyingpo, erteilte ihm sein Vater Kön Könchog Gyaltsen all die tantrischen Ermächtigungen und Richtlinien, die er besaß. Dann, als er erst elf Jahre alt war, starb sein Vater und nach seinem Tod bat Sachen Kunga Nyingpos Mutter Machig Zhangmo (tib. Ma-gcig zhang-mo), die eine ehrwürdige Dakini tiefen Gewahrseins war, die Astrologen um das Erstellen seines Horoskops. Das Ergebnis der astrologischen Berechnungen war folgendes: Wenn sie an einem einzelnen Tag, in der Stunde eines glücksverheißenden Sterns das Fundament für den Bau einer Stupa legen könnten, in dem die Texte von Kön Könchog Gyaltsens eigenen gesammelten Werken untergebracht wären, Kunga Nyingpo als Regenten des Klosters ernennen und einer großen Versammlung von Mönchen prachtvolle Opfergaben zum Gedenken an den Tod von Kön Könchog Gyalpo darbringen könnten, würden sich von da ab die politische Macht und die spirituellen Lehren der Sakyas aufgrund eines glücksverheißenden Zeichens wie der wachsende Mond ausbreiten.
Aufgrund der Kraft des Mitgefühls seiner Mutter, der Dakini tiefen Gewahrseins Makye Jomo (tib. Ma-skyes jo-mo), legten sie, indem sie sich auf diese Vorhersage stützten, den Grundstein für das Gebäude einer Stupa, stellten die gesammelten Werke zusammen und brachten die Opfergaben zum Todestag dar, alles an einem einzelnen Tag. Dann luden sie den mächtigen Guru mit dem Namen Bari Lotsawa Rinchen Drag (tib. Ba-ri Lo-tsa-ba Rin-chen grags) in das Kloster ein, der ein großer Gelehrter und verwirklichter Praktizierender war und stets vom großen Mitfühlenden, Arya (Avalokiteshvara) und vom Jetsün Beschützer (Jetsün Manjushri) behütet wurde. Daraufhin sorgte sich Bari Lotsawa, der für Kunga Nyingpo ein Ersatzvater und Lehrer war, um ihn, als wäre er sein eigener Sohn. Es war Bari Lotsawa, der Sachen Kunga Nyingpo zum hohen Rang eines großen spirituellen Lehrers erhob.
Einmal sagte Bari Lotsawa zu Sachen Kunga Nyingpo: „Du bist der Sohn eines bedeutenden Vaters und deine Familienlinie ist, im Gegensatz zu anderen, viel herausragender. Aus diesem Grund musst du großartige Qualitäten haben und um sie zu erlangen, brauchst du großes unterscheidendes Gewahrsein, große Weisheit. Großes unterscheidendes Gewahrsein wird nicht einfach so erlangt, es sei denn man stützt sich auf eine besondere Gottheit des unterscheidenden Gewahrseins. Da die Gottheit, zu der du seit vielen früheren Leben eine Verbindung hast, Jetsün Manjushri ist, solltest du die Sadhana-Praxis zum Verwirklichen von Jetsün Arapacana Manjushri rezitieren.“ Danach erteilte er ihm die anschließende Erlaubnis und die Quintessenz-Lehren für Jetsün Arapacana Manjushri.
Im Sakya gibt es eine Höhle der Meditationspraxis, die heutzutage als die „Höhle zum Verwirklichen von Manjushri“ bekannt ist. Er schickte Sachen Kunga Nyingpo dorthin, um einen sechsmonatigen Meditationsretreat zu absolvieren. Am Anfang des Retreats hatte er Alpträume, in denen furchtbare Dinge passierten. Einmal kam zum Beispiel ein großer weißer Löwe, der versuchte, ihn anzugreifen. Als er seinem Guru davon erzählte, sagte er ihm, dass dies die Ausstrahlung einer Illusion von Gönpo Pehar war. Er teilte ihm mit, dass er die Alpträume abwenden könnte, wenn er sich dem König der Kraftvollen, Trogyal Achala, und Jetsün Tara als Yidam Meditationsgottheit anvertrauen und ihnen Bitten darbringen würde. Daraufhin erteilte er ihm die anschließende Erlaubnis und die Quintessenz-Lehren von Jetsün Tara und die anschließende Erlaubnis von Trogyal Achala als sein Dharma-Schützer.
Daraufhin führte Sachen Kunga Nyinpo als seine tägliche Praxis morgens den Manjushri-Sadhana aus und am Nachmittag meditierte er, rezitierte den Mantra von Trogyal Achala und brachte Jetsün Tara Gebete dar. Trogyal Achala wendet alle Störungen bezüglich der Lebensspanne ab, während Jetsün Tara alle inneren Störungen abwendet.
Nach sechs Monaten seiner Hauptpraxis von Gönpo Manjushri erblickte er vor sich im Raum, nicht in einem Traum oder einer reinen, augenblicklichen Erfahrung, sondern mit bloßer Wahrnehmung in einem Kreis von Regenbögen im Raum (vor ihm) Jetsün Manjushri, mit einem Körper in der Farbe feinen Goldes, mit wunderschönem Schmuck und einem Schwert in der Hand, auf einem kostbaren Thron in der Haltung des Siegreichen Gyälwa Maitreya sitzend. Zusammen mit den Bodhisattvas Akshayamati (tib. Blo-gros mi-zad-pa) und Pratibhanakuta (tib. sPobs-pa brtsegs-pa), sowie einer Versammlung anderer Bodhisattvas kam er in den Raum vor ihn in einer reinen Vision, die er mit bloßer Wahrnehmung erblickte. Von Jetsün Manjushris Herz schoß ein Schwert des unterscheidenden Gewahrsein wie ein flammender Pfeil auf Sachen Kunga Nyingpo zu und verschwand in seinem Herzen. Aus diesem glücksverheißenden Zeichen erschienen den Nachkommen von Sachen Kunga Nyingpo durch abhängiges Entstehen siebenmal hintereinander Ausstrahlungen von Manjushri und es wird gesagt, dass sie dadurch erschienen.
Nach diesem Zeichen wurden Sachen Kunga Nyingpo diese wenigen Zeilen von Manjushri erteilt: „Wenn du an diesem Leben hängst, bist du kein Dharma-Praktizierender. Wenn du an samsarischer Wiedergeburt hängst, hast du keine Entsagung, keine Entschlossenheit, frei zu sein. Wenn du an deinen eigenen Vorteilen hängst, hast du keine Bodhichitta-Ausrichtung. Wenn Greifen entsteht, hast du keine Sicht.“ Es wird gesagt, dass in dem Moment das Geisteskontinuum von ihm inspiriert und erhoben wurde, als wäre er in einem Zustand unfassbaren unterscheidenden Gewahrseins, starken Selbstvertrauens und tiefer Konzentration wiedergeboren.
Diese Zeilen werden „Sich von den vier Arten des Klammerns lösen“ genannt und dessen Übertragungslinie ist eine nahe Linie (sie kommt von Manjushri und geht nicht mit einer ungebrochenen Linie auf Shakyamuni Buddha zurück). Das lässt sich erkennen, wenn wir für die Übertragungslinie von Jetsün Sakyapa Gebete machen: „Unserem großen Lehrer, dem vollkommen erleuchteten Buddha, dem Guru der wandernden Wesen, seinem wichtigsten Bodhisattva-Nachkommen Gönpo Manjushri, dem von ihm behüteten Jetsün Sakyapa, zu euren Füßen, unserer höchsten unvergleichlichen Zuflucht, bringen wir unsere Gebete dar. Auf diese Weise setzte sich die Linie durch Chögyal Phagpa fort, dem Herrscher, der sowohl die Dharma-Lehren als auch die vollständigen fünf weltlichen Wissensgebiete meisterte, und die somit eine recht neue und nahe Linie ist.
Darüber hinaus wird gesagt, dass der große Sakyapa Lama Kunga Nyinpo sich mit zwölf Jahren in ein Retreat begab, um Manjushri zu verwirklichen und nach sechs Monaten eine Vision von ihm hatte, in der Manjushri zu ihm sagte: Wenn du an samsarischer Wiedergeburt hängst, hast du keine Entsagung, keine Entschlossenheit, frei zu sein. Wenn du an deinen eigenen Vorteilen hängst, hast du keine Bodhichitta-Ausrichtung. Wenn Greifen entsteht, hast du keine Sicht. In diesen Zeilen sind die vollständigen Übungen des (Fahrzeugs der) weitreichenden Paramitas enthalten.
Das heißt, dass all die essenziellen Punkte der Mahayana-Sutra-Übungen in ihnen zusammengefasst sind.
Die Bedeutung dieser Zeilen ist folgende: (1) hängt man nicht mehr an diesem Leben, hat der Geist sich dem Dharma zugewandt; (2) hängt man nicht mehr an samsarischer Wiedergeburt, wirkt der Dharma als Pfad des Geistes; (3) hängt man nicht mehr an eigenen Vorteilen, wird die Verwirrung vom eigenen Pfadgeist beseitigt; (4) hängt man nicht mehr an den vier Extremen, erscheint Verwirrung als tiefes Gewahrsein.
Das sind die vier Hauptpunkte der Darstellung, die Gorampa mit den „vier Themen des Gampopa“ (tib. dvags-po chos-bzhi) in Beziehung setzt. Die vier Extreme sind Existenz, Nicht-Existenz, beides und keines von beidem.