Ein „Begreifen“ ist eine Wahrnehmung, die ihr beteiligtes Objekt (tib. 'jug-yul) korrekt und entscheidend wahrnimmt. Betrachten wir die Erklärung der Gelug.
Die Lehrmeinungen der Sautrantika, der Chittamatra und der Svatantrika besagen, dass eine Wahrnehmung ihr beteiligtes Objekt (tib. ‘jug-yul) begreift (tib. rtogs-pa), wenn es nichttrügerisch (tib. mi-bslu-ba) ist, was bedeutet, dass sie ihr Objekt korrekt aufnimmt und mit der Sicherheit, dass ihr Objekt „dieses“ und „nicht jenes“ ist. Da dies Lehrmeinungen gültige Wahrnehmung (tib. tshad-ma) als eine Wissensweise definieren, die frisch (tib. gsar) und untrügerisch ist, vertreten diese Systeme den Standpunkt, dass nicht alle Wahrnehmungen, die ihr Objekt begreifen, sie in einer gültigen Weise wahrnehmen. Gültige bloße Wahrnehmung (tib. mngon-sum tshad-ma) und gültige schlussfolgernde Wahrnehmung (tib. rjes-dpag tshad-ma) begreifen ihre Objekte. Die nachfolgende Wahrnehmung (tib. bcad-shes) – ob es sich um die nachfolgende Wahrnehmung einer gültigen bloßen Wahrnehmung oder um die einer gültigen schlussfolgernden Wahrnehmung handelt, begreift ihr Objekt, ist aber keine gültige Wahrnehmung, da sie nicht frisch ist. Sie etabliert sich nicht aus ihrer eigenen Kraft, sondern stützt sich auf die Kraft des vorangehenden Moments der Wahrnehmung des selben Objekts.
Das Prasangika-Lehrsystem lehnt die nachfolgende Wahrnehmung als eine Art, etwas zu wissen, ab. Nur wenn man die Existenz, die aus der Selbstnatur von etwas etabliert ist (tib. rang-bzhin-gyis grub-pa, inhärente Existenz), vertritt, ist es möglich, das selbe findbare Objekt anfänglich und dann auch in den darauf folgenden Momenten wahrzunehmen. Da das Prasangika diese unmögliche Existenzweise verwirft, die die anderen Lehrsysteme akzeptieren, wird die nachfolgende Wahrnehmung zu einer bedeutungslosen Kategorie. Daher vertritt das Prasangika den Standpunkt, dass nur gültige Wahrnehmung ihr Objekt begreift – und zwar gültige einfache Wahrnehmung (tib. mngon-sum tshad-ma) und gültige schlussfolgernde Wahrnehmung.
Die schlussfolgernde Wahrnehmung ist ausschließlich begrifflich. Die Nicht-Prasangika-Lehrsysteme behaupten, dass die bloße Wahrnehmung ausschließlich unbegrifflich ist. Das Prasangika definiert den Fachbegriff für die bloße Wahrnehmung neu und versteht ihn mit der Bedeutung von „einfacher Wahrnehmung“ – eine gültige Wahrnehmung, die sich nicht auf eine Reihe von Überlegungen stützt, der im unmittelbar vorangehenden Moment der Wahrnehmung stattfand. Daher kann gültige einfache Wahrnehmung entweder begrifflich oder unbegrifflich sein.
Das Begreifen kann entweder explizit (tib. dngos-su rtogs-pa) oder implizit (tib. shugs-la rtogs-pa) sein.
- Beim expliziten Begreifen nimmt der Geist sein beteiligtes Objekt korrekt und entscheidend durch ein geistiges Erscheinungsbild (tib. rnam-pa ) des Objekts wahr.
- Beim impliziten Begreifen (tib. shugs-la rtogs-pa), nimmt der Geist sein beteiligtes Objekt korrekt und entscheidend wahr, aber nicht durch ein geistiges Erscheinungsbild des Objekts.
Ein geistiges Erscheinungsbild ist wie ein vollständig transparentes geistiges Hologramm, das ein beteiligtes Objekt einer Wahrnehmung darstellt. Durch solche geistigen Hologramme nehmen wir gültig kennbare Phänomene explizit wahr.
Jedes Begreifen begreift explizit eines oder mehrere beteiligte Objekte. Doch nicht jedes Begreifen begreift etwas implizit.