Rückblick
Wir haben über die verschiedenen Weisen gesprochen, auf die wir Dinge erkennen oder wahrnehmen. In unserer Meditation und den Aspekten des Verständnisses in unserem Leben, insbesondere was unseren Umgang mit anderen betrifft, ist es äußerst wichtig zu wissen, ob das, was wir wahrnehmen, gültig ist oder nicht. Gültig bedeutet frisch, also mit der sich ändernden Stimmung der anderen Person und unseren eigenen sich ändernden Emotionen in unserer Begegnung zu bleiben. Was wir wahrnehmen, sollte auch korrekt und entschieden in Bezug darauf sein, was wir verstehen und was wir sagen, um helfen zu können. Diese Arten der Wahrnehmung sind auf all diesen Gebieten ausgesprochen hilfreich.
Damit die Wahrnehmung gültig ist, muss sie frisch, korrekt und entschieden sein; doch sogar wenn sie nicht frisch ist, wollen wir ein Objekt zumindest korrekt begreifen, also mit entschiedener und korrekter Wahrnehmung. Wenn wir etwas begreifen, kann es explizit sein, wenn etwas erscheint, das wir wahrnehmen, und es kann implizit sein, wenn wir etwas darüber verstehen. Vielleicht begreifen wir korrekt und entschieden, dass diese Person Mary und nicht Susan ist. „Nicht-Susan“ erscheint nicht, doch wir begreifen es korrekt und entschieden. Ein weiteres Beispiel ist, dass etwas hilfreich und nicht schädlich ist. Wir können erkennen, dass es hilfreich ist, doch implizit wollen wir auch sicherstellen, dass es nicht schädlich ist.
Wir haben auch gesehen, dass wir gültige Arten der Wahrnehmung und des Begreifens entweder konzeptuell oder nicht-konzeptuell haben können. Konzeptuell bedeutet, durch das Medium einer Kategorie, wie einer geistigen Schublade, der wir das, was wir wahrnehmen, zuordnen. Gewissermaßen zwingen wir es dem Objekt auf. Dabei kann es sich um Hörkategorien handeln, die mit dem Klang von Worten zu tun haben, und damit, wie wir Sprache verstehen; oder es kann sich um Objekt-Kategorien dessen handeln, was etwas ist: Das sind alles Äpfel, das sind alles Menschen oder das ist die gleiche Person, die wir gestern gesehen haben oder jemand anderes. Es gibt auch bedeutungsbezogene Kategorien, die sich auf die Bedeutung des Wortes „Apfel“ beziehen. Das Wort für bedeutungsbezogene Kategorie und Objekt-Kategorie ist dasselbe und hat beide Bedeutungen. Nicht-konzeptuelle Wahrnehmung findet ohne das Zwischenmedium einer Kategorie statt.
Wir haben auch gesehen, dass geistige Aktivität mit der Aktivität des Entstehens eines geistigen Hologramms zu tun hat und damit, diese Aktivität von einem anderen Blickwinkel, einer kognitiven Beschäftigung, zu beschreiben. Es passiert nur das, in dem Sinne, dass es kein getrenntes „Ich“ gibt, das diese geistige Aktivität beobachtet oder kontrolliert. Und es gibt keinen getrennten, auffindbaren Geist, keine konkrete Sache, die tatsächlich diese Aktivität erzeugt.
Dieses „Ich“ ist eine Zuschreibung des gesamten, von einem Augenblick zum nächsten stattfindenden Kontinuums geistiger Aktivität. Diese Person, das „Ich“, ist ein objektiver Teil des Kontinuums. Ich nehme jeden Moment verschiedene Dinge wahr, nicht jemand anderer und nicht niemand. Doch dieses „Ich“ ist lediglich eine Zuschreibung des Kontinuums der gesamten Ansammlung oder des gesamten Netzwerkes von Aggregaten, die aufeinander einwirken und jeden Augenblick unserer Erfahrung ausmachen. In jedem Moment ändert sich jedes Element der Anhäufung oder des Netzwerkes der Faktoren und Objekte, die jeden Augenblick der Erfahrung ausmachen unterschiedlich schnell. Das „Ich“ oder die Person ist gewissermaßen eine Synthese all dieser sich ständig ändernden Aggregat-Faktoren.
Wir haben uns auch bloße Wahrnehmung, die erste der sieben Arten der Wahrnehmung, angesehen. Bloße Wahrnehmung ist eine frische, nicht betrügerische Wahrnehmung, frei von Täuschung und Ursachen der Täuschung. Es gibt bloße Sinneswahrnehmung, geistige bloße Wahrnehmung, bloße Wahrnehmung reflexiven Gewahrseins, wie ein im Sautrantika vertretenes Aufnahmegerät, und yogische bloße Wahrnehmung, also mit einem verbundenen Paar von Shamatha und Vipashyana. Alle vier Arten der bloßen Wahrnehmung sind nicht-konzeptuell. Das ist ein Rückblick dessen, was wir bis jetzt besprochen haben.
Drei Phasen bloßer Wahrnehmung
Bevor wir die nächsten drei Arten der Wahrnehmung durchnehmen, ist es notwendig, auf einige Punkte bezüglich der bloßen Wahrnehmung etwas ausführlicher einzugehen. Wenn wir etwas sehen oder hören, geht unsere bloße Sinneswahrnehmung drei Phasen durch.
- Es gibt die Phase der gültigen bloßen Wahrnehmung im anfänglichen winzigen Moment bloßer Wahrnehmung, die frisch ist.
- Danach wird das Sehen zur nachfolgenden bloßen Wahrnehmung: sie ist nicht mehr frisch, doch wir begreifen das Objekt nach wie vor.
- Die Abfolge endet mit einem winzigen Moment unentschiedener bloßer Wahrnehmung, wenn wir nicht entschieden hinsichtlich des Objektes sind, weil unsere Sinneswahrnehmung kurz davor ist, zur geistigen Wahrnehmung zu werden.
Darauf folgt ein winziger Moment geistiger bloßer Wahrnehmung, der notwendig ist, damit unsere Wahrnehmung eines Objektes den Übergang vom Sinnesbereich zum geistigen Bereich vollziehen kann. Diese geistige bloße Wahrnehmung ist ebenfalls unentschieden, weil sie nur eine winzige Mikrosekunde andauert, was nicht genug Zeit ist, um Entschiedenheit oder Gewissheit zu haben. Daraufhin wird unsere Wahrnehmung des Objektes eine konzeptuelle geistige Wahrnehmung.
Untersuchen wir diese Abfolge etwas ausführlicher. Wenn wir etwas sehen, ist es nicht nur ein Nichts und es handelt sich nicht nur um farbige Formen. Es ist ein gültig erkennbares Objekt, das sich auf andere Sinne, wie Geruch, körperliche Empfindung und so weiter, erstreckt. Auch dauert es nicht nur für einen Augenblick an, sondern erstreckt sich auf einen Zeitraum. Das Objekt ist eine „Sammelsynthese“ all dieser verschiedenen Arten der Sinnesinformation, die sich über einen Zeitraum erstrecken. Das Objekt ist auch objektiv eine bestimmte Art von Objekt. Objektiv ist es das, was korrekt als eine „Blume“ bezeichnet werden kann. Es ist kein Hund oder keine Tür. Es ist ein so genanntes „allgemein verständliches Objekt“.
Doch wenn wir es sehen, wissen wir nicht, dass es eine Blume ist oder wie man sie nennt. Dennoch nehmen wir objektiv eine Blume wahr und diese Wahrnehmung ist korrekt, entschieden und akkurat. Wir sehen nichts Verschwommenes. Im nächsten Moment ist unsere Wahrnehmung jedoch nicht mehr frisch. Sie ist zu einer kurzen Abfolge von Momenten nachfolgender Wahrnehmung geworden. Wollen wir sie dann identifizieren und einer geistigen Schublade zuordnen können, was sie ist und ihr den Namen „Blume“ zuschreiben, erfahren wir nach dieser nachfolgenden Wahrnehmung einen winzigen Moment unentschiedener bloßer Wahrnehmung, die noch immer sensorisch ist, gefolgt von einem winzigen Moment geistiger bloßer Wahrnehmung, in der sich die Bewusstseinsart, die sich mit dem Objekt beschäftigt, ändert. Darauf folgt die konzeptuelle geistige Wahrnehmung der Blume, in der der nächste Moment des geistigen Hologramms, der entstand, als wir die Blumen sahen, nun als geistiges Hologramm dient, das die Kategorie repräsentiert. Die Kategorie ist die Objekt-Kategorie „Blume“.
Wir können unserer konzeptuellen Wahrnehmung auch eine Hörkategorie des Wortlautes „Blume“ hinzufügen, mit der wir diese Kategorie benennen und den Klang mit einem so genannten geistigen Klang des Wortes repräsentieren. Doch das ist optional. Wir müssen in unserem Geist nicht „Blume“ sagen, wenn wir eine Blume sehen und konzeptuell wissen, dass es eine Blume ist. Tatsächlich wäre es ja furchtbar, wenn wir in jedem Augenblick in unserem Geist die Namen von allem sagen müssten, was wir wahrnehmen. Das wäre schrecklich. Manchmal tun wir es jedoch, wenn wir lesen. Wir sprechen den Klang der Worte in unserem Geist aus, wenn wir die farbigen Formen, die wir auf dem Papier oder Bildschirm sehen, den Kategorien von Worten und ihren Bedeutungen zuordnen. Lesen wir jedoch schnell, tun wir das allerdings nicht, was ein Anzeichen dafür ist, dass wir wissen können, was die gelesenen Worte bedeuten, ohne sie geistig aussprechen zu müssen.
Das ist die Abfolge. Gemäß der Sautrantika-Erklärung begleitet reflexives Gewahrsein jeden Moment davon. Die Wahrnehmung reflexiven Gewahrseins wird immer nicht-konzeptuell sein. Es kann die nachfolgende Wahrnehmung reflexiven Gewahrseins oder die unentschiedene Wahrnehmung reflexiven Gewahrseins sein, je nachdem, welche Art der Wahrnehmung begleitet wird. Das reflexive Gewahrsein begleitet auch unsere geistige Wahrnehmung; doch sogar wenn es konzeptuelle geistige Wahrnehmung begleitet, ist es dennoch nicht-konzeptuell. Es nimmt einfach nur auf, was geschieht. Das ist die Abfolge, die stattfindet, und ganz offensichtlich ist es ziemlich schwierig, sie in unserer eigenen Erfahrung zu identifizieren, wenn wir sie nicht verlangsamen.
Gemäß der Prasangika-Erklärung erscheinen Kategorien wahrhaft existent zu sein, und somit scheinen die Objekte, die wir konzeptuell den Kategorien zuordnen, wahrhaft als zu diesen Kategorien gehörend begründet zu sein. „Das ist wirklich eine Blume.“ Natürlich ist es eine falsche Erscheinung, denn das Universum und alles in ihm existiert nicht wahrhaft begründet in Schubladen und Kategorien, wie man sie in einem Wörterbuch beschrieben findet. Haben wir jedoch ein Objekt, das wir wahrnehmen, identifiziert, indem wir es konzeptuell einer Kategorie zuordnen, übertragen sich unser Greifen danach als wahrhaft begründet in dieser Schublade existierend und die störenden Emotionen, die beruhend auf diesem Greifen entstehen, in jede bloße Wahrnehmung des Objektes, die wir anschließend haben. Diesen Stuhl können wir beispielsweise mit Anhaftung daran sehen, wahrhaft als unserer begründet zu sein, und mit dem mangelnden Gewahrsein, dass dies falsch ist. Doch diese Unwissenheit und Anhaftung sind durch die konzeptuelle Wahrnehmung entstanden.
Aus diesem Grund wird die konzeptuelle Wahrnehmung als echter Unruhestifter betrachtet. Dennoch ist er ein nützlicher Unruhestifter, denn ohne ihn würden wir Sprache nicht verstehen. Nur jemand wie ein Buddha kann Sprache verstehen, ohne bestimmte Laute Kategorien zuzuordnen.
In der yogischen bloßen Wahrnehmung gibt es laut dem Sautrantika ebenfalls diese Abfolge frischer und nachfolgender Momente, doch sie ist nie unentschieden. Sogar der letzte Augenblick ist ein Begreifen des Objektes. Yogische bloße Wahrnehmung wird nur von Aryas erfahren, von jenen, die im Grunde eine nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der vier edlen Wahrheiten haben. Wenn sie sich auf das Fehlen eines unmöglichen „Ichs“ richten, ist es das Fehlen eines unmöglichen „Ichs“, das die vier edlen Wahrheiten erfährt. Wer erfährt Leiden und wer erfährt die störenden Emotionen? Wer erlebt die wahre Beendigung von ihnen und wer erfährt das Verständnis, mit dem man diese wahren Ursachen beseitigt? Nur wenn wir uns mit Mahayana befassen, richten wir uns auch auf die Leerheit des Geisteskontinuums, in dem all dies stattfindet, und das die Grundlage des „Ichs“ ist, das die vier edlen Wahrheiten erfährt. Unser Geisteskontinuum, oder unser Geist, ist somit der Fokus der Widerlegungen, die wir bezüglich wahrhaft begründeter Existenz vornehmen wollen, um Erleuchtung zu erlangen.
Schlussfolgernde Wahrnehmung
Damit sind wir genug von unserem Thema abgekommen. Die zweite der zwei gültigen Arten der Wahrnehmung ist die schlussfolgernde Wahrnehmung und sie ist immer konzeptuell. Die Definition der schlussfolgernden Wahrnehmung ist eine gültige konzeptuelle Wahrnehmung eines verschleierten oder extrem verschleierten Objektes oder einer Tatsache durch das Stützen auf eine korrekte Kette von Argumenten als dessen Grundlage.
Hier müssen wir hinzufügen, dass gültig erkennbare Objekte in folgende Objekte unterteilt werden können:
- offensichtliche (tib. mngon-‘gyur);
- verschleierte (tib. lkog-‘gyur); und
- extrem verschleierte (tib. shin-tu lkog-‘gyur).
In der bloßen Sinneswahrnehmung ist die objektive Entität, die das erscheinende Objekt ist, ein offensichtliches Objekt. Wir können es tatsächlich sehen. Betrachten wir es an einem Beispiel: die körperliche Empfindung, sich krank zu fühlen. Wir können sie nicht-konzeptuell durch bloße Sinneswahrnehmung erkennen, indem wir uns einfach auf unsere Sensoren der Sinneswahrnehmung stützen. Wir wissen mit dem Körperbewusstsein, dass es uns schlecht geht. Wir können in den Spiegel schauen und sehen, dass wir blass sind. Wir müssen in der Lage sein zu unterscheiden, ob wir wirklich krank sind oder nur glauben, wir wären krank. In diesem Beispiel handelt es sich um es etwas Offensichtliches. Uns geht es scheußlich und das ist ein offensichtliches Objekt.
Ein verschleiertes Objekt wäre die Krankheit, die wir haben. Warum fühlen wir uns so schlecht? Das ist verschleiert, weil wir es an sich nicht sehen können. Solche Dinge können wir erkennen, indem wir uns auf eine gültige Kette von Argumenten stützen, wie wenn ein Arzt eine Krankheit, die wir haben, beruhend auf Informationen diagnostiziert, die er durch gründliche Untersuchung und ausreichend Daten von anderen Patienten bekommen hat. Gibt es diese und jene Symptome, handelt es sich um diese und jene Krankheit. Natürlich ist nicht jede Diagnose korrekt, doch Diagnosen werden auf der Grundlage von Schlussfolgerungen gemacht. Die Krankheit, die wir haben, ist ein verschleiertes Objekt.
Eine extrem verschleierte Entität oder ein extrem verschleiertes Objekt wäre der Name der Person, welche die Heilung für die Krankheit gefunden hat, die wir haben. Wir können dies nur wissen, indem wir uns auf eine gültige Quelle der Information stützen. Das ist nicht etwas, was wir durch eine Kette von Argumenten ergründen können. Es ist extrem verschleiert. Natürlich muss diese Quelle der Information autoritativ sein und wir benötigen eine gültige Kette von Argumenten, um dies zu schlussfolgern. Ist Wikipedia zum Beispiel eine gültige Quelle der Information für den Namen dieser Person? Wir können es nicht mit Bestimmtheit sagen, ob wir Wikipedia als Quelle vertrauen können, denn dort können Informationen von irgendjemandem eingegeben werden. Tatsächlich gibt es jede Menge von Informationen im Internet, denen wir nicht wirklich vertrauen können.
Das ist ein recht hilfreiches Beispiel, denn oft denken wir, dass etwas korrekt sein muss, wenn es in einem Buch geschrieben steht. Jeder, der jemals ein Buch geschrieben und es veröffentlicht hat, weiß, dass dies völlig falsch ist. Es kann alles Mögliche veröffentlicht werden und wir können alles Mögliche ins Internet stellen. Sogar wenn in Wikipedia von so genannten Experten eine redaktionelle Bearbeitung durchgeführt wird, kann man sich fragen, wie sie Experten in allen Bereichen haben können, um alles auf den Prüfstand zu stellen. Das ist auch so ein Problem.
Was Buddha betrifft, so können wir aufgrund folgender Begründungen sagen, dass er eine gültige Quelle von Information ist: Wenn das, was Buddha über verschleierte Phänomene wie die Leerheit erklärte, durch Logik und Erfahrung bekräftigt werden kann und wenn das einzige Motiv seines Erlangens der Erleuchtung Mitgefühl zum Wohle anderer war, ist das, was er über extrem verschleierte Phänomene wie Karma sagte, ebenfalls verlässlich. Es ist verlässlich, weil es keinen Grund dafür gibt zu lügen oder etwas zu erfinden, um uns reinzulegen.
Drei Arten gültiger schlussfolgernder Wahrnehmung
Schlussfolgerung beruhend auf der Kraft der Wirklichkeit von Phänomenen oder deduktiver Logik
Es gibt drei Arten gültiger schlussfolgernder Wahrnehmung. Die erste Art ist eine Schlussfolgerung beruhend auf der Kraft der Wirklichkeit von Phänomenen oder deduktiver Logik. Das ist wie die Schlussfolgerung beim Feststellen einer Krankheit. Wir haben die Evidenz der Daten, die wir durch bloße Wahrnehmung kennen, wenn wir einen Patienten untersuchen. Nutzen wir dann fehlerfreie Logik, können wir daraus ableiten, um welche Krankheit es sich handelt.
Im tibetischen System der klösterlichen Ausbildung studieren die Schüler nach dem Studium der Arten der Wahrnehmung, Lorig (tib. blo-rig), die Arten des logischen Denkens, Tagrig (tib. rtags-rigs). Sie lernen, zwischen korrekten Argumentationsketten, die etwas beweisen, und fehlerhaften oder unentschiedenen Argumentationsketten, die keine Gewissheit hinsichtlich von Schlussfolgerungen geben, die beruhend auf ihnen gezogen werden, zu unterscheiden. Es ist notwendig, sich auf fehlerfreie Logik zu stützen, um zu einer korrekten Schlussfolgerung über etwas Verschleiertes zu kommen.
Nehmen wir einmal an, unser Nachbar macht großen Lärm und wir ärgern uns. Wir verlieren unsere Geduld, weil es nicht offensichtlich ist, dass Geräusche vergänglich sind. Da ich schon ziemlich laute Nachbarn hatte, habe ich einen großen Bezug zu diesem Beispiel. Wir nerven uns, weil das Geräusch ziemlich laut ist und uns davon abhält einzuschlafen. Wie können wir Geduld rechtfertigen, wenn es nicht offensichtlich ist, dass der Lärm enden wird? Es scheint, als würde es die ganze Nacht andauern und vielleicht tut es das. Hier ist es notwendig, sich auf die Kraft der Beweise anderer Beispiele zu stützen. Wir können uns selbst beweisen, dass der Lärm enden wird, weil er von Menschenhand geschaffen wurde und aus Ursachen und Bedingungen entsteht. Für diese Beweisführung stützen wir uns auf folgende Argumentationskette:
- Dieser Lärm entstand durch ein menschliches Wesen.
- Alles von Menschenhand Geschaffene hat geendet, wie historische Ereignisse zeigen. (In dieser Form der Logik müssen wir stets ein Beispiel anführen.)
- Nichts, das ewig andauert, wie unser Geisteskontinuum, wurde von Menschenhand geschaffen.
- Aus diesem Grund können wir uns sicher sein, dass auch dieses Geräusch aufhören wird, da es von Menschenhand geschaffen wurde.
Mit anderen Worten:
- Alles von Menschenhand Geschaffene wird enden.
- Dieses Geräusch wurde von Menschenhand geschaffen.
- Nichts, was ewig andauert, wurde von Menschenhand geschaffen. Es gibt keine mögliche Ausnahme für diese Regel.
- Daher wird es vorbeigehen, da es durch Menschen erzeugt wurde. Irgendwann werden sie müde werden und aufhören. Irgendwann werden sie schlafen gehen müssen, da sie auch nur Menschen sind.
Auf diese Weise logische Begründungen anzuführen, hilft uns, unsere Wut unter Kontrolle bringen zu können. Das ist Schlussfolgerung beruhend auf der Kraft der Evidenz, die sich auf die Drei-Punkte-Argumentationskette stützt, die wir in der buddhistischen Logik nutzen:
- Dieses Geräusch wurde von Menschenhand geschaffen.
- Alles von Menschenhand Geschaffene hat aufgehört.
- Nichts, was ewig andauert, wurde von Menschenhand geschaffen.
Mit diesen drei Punkten können wir schlussfolgern, dass auch dieser Lärm aufhören wird.
Schlussfolgerung beruhend auf dem, was wohlbekannt ist
Als nächstes kommen wir zur Schlussfolgerung durch die Kraft dessen, was wohlbekannt ist. Durch sie verstehen wir beispielsweise Sprache. Wir hören ein paar Laute aus dem Mund eines Körpers, den wir vor uns sehen, oder aus einem digitalen Gerät, wie einem Smartphone. Die Person, welche die Laute von sich gibt, ist eine Zuschreibung dieser Geräusche und so hören wir jemanden, der Geräusche macht.
Nur so nebenbei: Wie wissen wir eigentlich, dass es eine Person ist, die spricht, wenn wir Geräusche hören, die aus einem schwarzen rechteckigen Ding kommen, das wir an unser Ohr halten? Wir hören ja nur Vibrationen und wer weiß, was sich in dem rechteckigen Ding befindet, das diese Geräusche macht. Beruhend auf vorangegangener Evidenz schlussfolgern wir, dass es eine Person ist, die da spricht, und wir schlussfolgern korrekt, wer es ist.
Wie dem auch sei, wie ordnen wir diese Geräusche korrekt den passenden Hörkategorien der Worte, um die es sich handelt, zu, sowie den korrekten bedeutungsbezogenen Kategorien dessen, was sie bedeuten? Solche Dinge sind verschleiert und so gilt es, sich auf Schlussfolgerung beruhend auf bekannten Tatsachen zu stützen. Hier ist die Argumentationskette:
- Was ich höre, ist dieses oder jenes Geräusch.
- Es ist wohlbekannt und solche Geräusche passen in diese und jene Hörkategorie dieses und jenen Wortes, sowie in die bedeutungsbezogene Kategorie dieser und jener Bedeutung.
- Es gibt keine solchen Geräusche, die nicht in diese Kategorien passen. Das ist heikel, denn es kann Geräusche geben, welche die Laute verschiedener Worte in verschiedenen Sprachen sind, jedoch alle gleich klingen. Und sogar in einer Sprache gibt es Homonyme – zwei oder mehr Worte, die gleich ausgesprochen werden. Wir müssten also festlegen, dass es keine solche Laute in dieser Sprache und in diesem Zusammenhang gibt, die nicht in diese Kategorien passen. Und natürlich müssten wir zunächst korrekt folgern, zu welcher Sprache diese Worte gehören und in welchem Zusammenhang sie stehen. Sprache zu verstehen ist ziemlich komplex! Ungeachtet dessen können wir, beruhend auf dieser Argumentationskette bekannter Tatsachen schlussfolgern:
- Der Laut, den ich gehört habe, ist der Laut dieses und jenen Wortes und hat diese und jene Bedeutung.
Dasselbe tun wir mit geschriebener Sprache. Was wir auf einem Blatt Papier, einem Monitor oder Bildschirm sehen, sind schließlich nur gerade und krumme Linien. Sie haben inhärent und von sich aus keine selbst-begründete Bedeutung, wie man im Prasangika sagen würde. Dennoch schlussfolgern wir, ganz unabhängig davon, in welcher Schriftart, Schriftgröße, Schriftfarbe oder mit wessen Handschrift sie geschrieben wurden, durch bekannte Tatsachen, dass diese Linien dieses oder jenes Wort sind und diese und jene Bedeutung haben.
Ein weiteres wunderbares Beispiel ist Papiergeld. Was ist es denn eigentlich? Objektiv ist ein Geldschein einfach ein Stück mehrfarbiges Papier mit mehrfarbigen Formen, sowie geraden und krummen Linien darauf. Das ist alles, was es ist. Doch beruhend auf bekannten Tatsachen und Vereinbarungen schlussfolgern wir, dass es Geld ist und eine Bedeutung sowie einen Wert hat. Die Tatsache, dass es Geld ist, ist verschleiert und nicht offensichtlich. Ein Baby weiß das nicht und ein Hund auch nicht.
Ein anderes Beispiel ist folgendes: Wenn wir „eins plus eins“ hören, schlussfolgern wir durch bekannte Tatsachen, dass es zwei bedeutet. Das ist Schlussfolgerung. Es ist offensichtlich, dass eins plus ein zwei bedeutet; wir könnten es nicht einfach aus dem Klang der Worte erkennen. Hören wir auf Deutsch: „der beste Freund des Menschen“, schlussfolgern wir durch bekannte Tatsachen, dass es sich um den Hund handelt. Das ist eine Schlussfolgerung; nur aus den Worten „des Menschen bester Freund“ ist es zweifellos nicht offensichtlich. Das sind alles Beispiele der Schlussfolgerung beruhend auf bekannten Tatsachen.
Schlussfolgerung beruhend auf Überzeugung
Dann haben wir Schlussfolgerung beruhend auf Überzeugung. Auf diese Weise erkennen wir etwas extrem Verschleiertes, wie unseren Geburtstag, was das klassische Beispiel dafür ist. Um das Datum zu kennen, an dem wir geboren wurden, müssen wir uns auf eine gültige Quelle der Information, wie unsere Mutter, stützen. Wir können dann durch die Argumentationskette schlussfolgern:
- Meine Mutter ist eine gültige Quelle der Information, was meinen Geburtstag betrifft, denn sie war anwesend, als ich geboren wurde.
- Solange sie nicht unbewusst war oder sich nicht so gut daran erinnert, ist das Datum meines Geburtstages, dass sie mir nennt, korrekt.
Die Mutter dort hinten im Raum mit dem Baby nickt zustimmend mit dem Kopf. Die erinnert sich ganz klar an den Tag, an dem ihr Baby geboren wurde. Wenn das Baby älter wird und sie fragt, wird es eine korrekte Antwort erhalten, doch wenn es mich fragt, so habe ich absolut keine Ahnung. Ich bin keine gültige Quelle der Information darüber, wann ihr Baby geboren wurde. Doch wie kommt es, dass diese Mutter diese extrem verschleierte Tatsache kennt? Sie kennt sie, weil sie selbst dabei war, als ihr Baby geboren wurde.
Das sind die drei Arten schlussfolgernder Wahrnehmung. Wiederholen wir sie noch einmal:
- Die erste beruht auf der Kraft der Wirklichkeit von Phänomenen, wie dem Feststellen einer Krankheit.
- Die nächste ist die Schlussfolgerung, die auf einer Kette von Argumenten bekannter Tatsachen beruht, wie zu wissen, dass bestimmte Geräusche die Laute bestimmter Worte sind und bestimmte Bedeutungen haben.
- Die letzte ist die Schlussfolgerung beruhend auf Überzeugung für etwas extrem Verschleiertes, wie wenn wir uns auf die Überzeugung stützen, dass unsere Mutter eine gültige Quelle der Information darüber ist, wann unser Geburtstag ist.
Bitte wiederholt das in eurem Geist. Das sind die drei Arten gültiger schlussfolgernder Wahrnehmung – konzeptueller Wahrnehmung, die sich auf eine gültige Argumentationskette stützt und korrekt, entschieden und frisch ist. Es hilft, Beispiele aus dem eigenen Leben dafür zu finden, um zu erkennen, dass wir ständig Schlussfolgerungen nutzen. Ist das, was wir schlussfolgern, immer korrekt? Ist es immer entschieden? Denkt einmal darüber nach.
Ein Beispiel, was mir gerade einfällt, ist, wenn wir jemanden auf seinem Mobiltelefon anrufen und er oder sie nicht antwortet. Wir hören nur den Anrufbeantworter. Was können wir daraus schlussfolgern? Wir können schlussfolgern, dass die Person ihr Telefon nicht dabei hat, ihr Telefon ausgeschaltet hat oder gerade nicht antworten will. Die Person könnte ihr Telefon zu Hause gelassen haben. Vielleicht wollte sie auch nicht antworten, weil sie gerade beschäftigt war oder gerade einfach nicht reden wollte. Es könnte auch sein, dass die Batterie gerade leer war. In dieser Situation ist jede Schlussfolgerung, die wir beruhend auf der Tatsache ziehen, dass sie nicht antwortet, unentschieden. Wir könnten schlussfolgern, dass sie nicht antworten wollte, weil sie gemein ist und uns nicht liebt, doch wir wissen es nicht wirklich. Es könnte ganz leicht sein, dass sie vergessen hat, es mitzunehmen, dass die Batterie leer war oder es irgendeinen anderen Grund gab. So verstehen wir, dass die Argumentationskette, die wir nutzen – jeder, der nicht an sein Telefon geht, liebt die Person, die ihn anruft, nicht – kein Beweis für die Schlussfolgerung ist, dass unser Freund uns nicht liebt. Unsere Schlussfolgerung war nicht gültig.
Andere Beispiele sind, einen tibetischen Mönch zu treffen und zu meinen, weil er ein tibetischer Mönch ist, wäre er eine gültige Quelle der Information über den Buddhismus und ein gültiges Beispiel der buddhistischen Lehren. Wenn wir so denken, werden wir oft enttäuscht sein. Es kann auch umgekehrt funktionieren. Wir treffen einen Mönch, der ein schlechtes Beispiel für den Buddhismus ist und schlussfolgern, der Buddhismus würde nichts taugen und alle Mönche wären schlechte Beispiele. Ein weiteres Beispiel ist, wenn wir zu einer Yoga-Klasse gehen, die von einem Inder unterrichtet wird. Wir könnten fälschlicherweise schlussfolgern, dass sein Unterricht authentisch und er ein verwirklichter Meister sein muss, weil er ein Inder ist.
Nachfolgende Wahrnehmung
Die nächste Art der Wahrnehmung, die nachfolgende Wahrnehmung, ist ein ungültiges Gewahrsein, mit dem man erfasst, was bereits erfasst wurde. Mit anderen Worten ist sie korrekt und entschieden, aber keine gültige Art der Wahrnehmung, weil sie nicht frisch ist. Das heißt, sie ist abhängig von der unmittelbar vorangehenden Wahrnehmung des gleichen Objektes wie ihre unmittelbare Bedingung. Die nachfolgende Wahrnehmung ist nicht frisch, weil sie ihre Frische oder ihr Begreifen nicht durch die eigene Kraft begründet. Sie muss sich auf die Kraft des vorangegangenen Momentes der Wahrnehmung stützen, um dies zu tun. Sie ist nicht wie der frische Moment „Toll, da ist Mary!“, der sich und das Begreifen Marys aus eigener Kraft begründet.
Im Prasangika wird natürlich widerlegt, dass irgendetwas sich selbst aus eigener Kraft begründen kann. Doch hier im Sautrantika wird gesagt, dass die gültige bloße Wahrnehmung sich selbst und ihre Fähigkeit begründet, ihr Objekt aus eigener Kraft zu begreifen. Die nachfolgende Wahrnehmung im nächsten Moment tut dies dann nicht aus eigener Kraft. Sie muss sich auf die Kraft der gültigen bloßen Wahrnehmung des Momentes vorher stützen, um korrekt und entschieden zu sein.
Drei Arten der nachfolgenden Wahrnehmung
Es gibt drei Arten der nachfolgenden Wahrnehmung, die in einem Strom von Kontinuität des Begreifens eines beteiligten Objektes entstehen. Wir haben vier Arten gültiger bloßer Wahrnehmung: sensorische, geistige, reflexive und yogische. Jede von ihnen hat einen ersten gültigen Moment und wird dann von einer Reihe nachfolgender Wahrnehmungen gefolgt. Die erste Art der nachfolgenden Wahrnehmung ist also die nachfolgende bloße Wahrnehmung und sie ist stets nicht-konzeptuell.
Die zweite Art ist die nachfolgende schlussfolgernde Wahrnehmung. Mit gültiger schlussfolgernder Wahrnehmung kommen wir frisch zu einer Schlussfolgerung beruhend auf einer Argumentationskette. Die nächsten Momente der Wahrnehmung dieser Schlussfolgerung stützen sich auf den vorangegangenen Moment der gültigen schlussfolgernden Wahrnehmung für ihr Verständnis. Sie stützen sich nicht direkt auf die Argumentationskette. Sie sind nachfolgende Wahrnehmungen und nicht länger frisch. Wie die gültige schlussfolgernde Wahrnehmung ist die nachfolgende schlussfolgernde Wahrnehmung ebenfalls konzeptuell.
Die dritte Art, die nachfolgende Wahrnehmung, die keines dieser beiden ist, ist beispielsweise die konzeptuelle Wahrnehmung, sich korrekt an etwas zu erinnern, was zuvor gültig wahrgenommen wurde. Wenn wir uns an etwas erinnern, was wir gelernt haben, stützt sich unsere Wahrnehmung auf das erste Mal dieses Erlernens. Sogar der erste Moment, sich an etwas zu erinnern, ist nicht frisch und somit nicht gültig, auch wenn er korrekt und entschieden ist. Beispiele sind, sich an jemandes Namen zu erinnern, oder daran, jemanden zuvor getroffen zu haben, sowie sich zu erinnern, dass eins plus eins gleich zwei ist.
Analyse, sich nicht an jemandes Namen zu erinnern
Das Gedächtnis ist ein faszinierendes Thema, besonders wenn wir älter werden. Wir können uns nicht so leicht an den Namen von Menschen erinnern und auch wenn wir es tun, können wir uns nicht sofort erinnern. Lasst uns das analysieren. Wie erinnern wir uns eigentlich an sie, wenn die Kraft unseres Gedächtnisses nicht so stark oder schnell ist. Wie würden wir das analysieren? Wie ist es, dass wir uns, nachdem wir jemanden getroffen und seinen oder ihren Namen erfahren haben, uns zu bestimmten Zeiten an ihn erinnern können und zu anderen nicht? Wie würden wir das mit dem, was wir bis jetzt gelernt haben, analysieren? Warum können wir uns nicht an ihre Namen erinnern? Wo liegt der Fehler in unserer Wahrnehmung?
Wie würden wir denn zunächst erkennen, dass es sich um die gleiche Person handelt, die wir zuvor getroffen haben?
Wir ordnen sie einer geistigen Schublade zu.
Genau; wir nehmen sie konzeptuell wahr und ordnen sie einer bestimmten geistigen Schublade zu. Doch wie wissen wir, welcher Schublade wir sie zuordnen?
Durch ihr Aussehen.
Es geschieht also durch Schlussfolgerung beruhend auf Beweisen. Sieht die Person so aus, passt sie in diese geistige Schublade. Das ist eine Argumentationskette; damit sie jedoch für uns gültig ist, müssen wir die Person zuvor gesehen haben. Gehört zu der Schublade ein Name, der damit in Verbindung gebracht wird? Handelt es sich um die geistige Schublade einer Person, müsste ein Name zu ihr gehören. Wenn die Person in diese Schublade passt und wenn diese Schublade mit diesem Namen in Verbindung gebracht wird, hat die Person diesen Namen. Gehen wir hier nicht weiter auf das Beispiel von identischen Zwillingen ein, die genau gleich aussehen. Um jedoch den Namen zu kennen, müssen wir ihn zuvor erfahren haben.
Haben wir die Person zuvor gesehen und sehen sie nun wieder, ordnen wir beide der gleichen geistigen Schublade zu, die mit einem Namen in Verbindung gebracht wird. Beide müssen das gleiche kennzeichnende Merkmal haben, das wir erkennen, was ziemlich schwierig ist. Ich war beispielsweise zu meinem 40. Klassentreffen und sah viele meiner Schulkameraden von vor 40 Jahren, doch die meisten von ihnen konnte ich gar nicht wiedererkennen. Sie sahen nicht einmal im Ansatz den Personen ähnlich, die sie als Jugendliche waren.
Es ist faszinierend: Wenn wir Leute, die wir von früher kannten, nach 40 Jahren wiedertreffen, sehen wir sie nun als alte Menschen. Das ist ziemlich merkwürdig, das könnt ihr mir glauben. Wir haben gar keine Beziehung zu ihnen in diesem Alter. Auch wenn sie uns sagen, wer sie sind, betrachten wir sie immer noch mit all den Eigenschaften eines Jugendlichen. „Wie kann meine Freundin von damals diese alte Frau sein, eine Großmutter, die mir Bilder von ihren Enkelkindern zeigt?“ Das passt überhaupt nicht zusammen.
Wie dem auch sein, etwas muss diese alte Frau kennzeichnen, damit wir schlussfolgern können, wer sie ist, und sie der gleichen geistigen Schublade zuordnen können, wie unsere Freundin von vor vierzig Jahren. Dann ist es notwendig, eine zusätzliche Schlussfolgerung zu ziehen: Wenn sie in diese geistige Schublade passt, hat sie diesen und jenen Namen. Gibt es keine Möglichkeit, sich an ihn zu erinnern, wie das Namensschild an ihrer Bluse, müssen wir ein anderes Mittel nutzen. Ich gehe normalerweise das Alphabet durch und merke dann oft, wenn ich zu einem bestimmten Buchstaben, wie beispielsweise zum „M“, komme und ihr Name tatsächlich mit „M“ beginnt, dass es vertraut klingt. Es löst die Schlussfolgerung aus, dass ihr Name mit einem „M“ beginnt. Zunächst ordne ich ihren Namen also der geistigen Schublade von Namen zu, die mit einem „M“ beginnen. Dann gehe ich die gebräuchlichsten Frauennamen durch, die mit „M“ beginnen, und wenn ich zu Mary komme, klingt es richtig. Ich erinnere mich, dass ihr Name Mary ist. Ich könnte natürlich auch falsch liegen. Um sicherzugehen, müsste ich versuchen, sie Mary zu nennen und wenn sie mich nicht korrigiert, kann ich daraus folgern, dass meine Schlussfolgerung korrekt war.
Es könnte allerdings auch sein, dass wir uns nicht an einen Namen erinnern können, weil wir nicht aufmerksam waren, als wir ihn erfahren haben, was auch von unaufmerksamem reflexiven Gewahrsein begleitet war. Wir haben einfach nicht darauf geachtet, als die Person uns ihren Namen mitgeteilt hat. Die Aufmerksamkeit wird dadurch beeinflusst, ob wir wirklich interessiert waren. Vielleicht gehen wir zu einer Konferenz und alle stellen sich vor und geben uns ihre Karte. Haben wir wirklich beherzigt, was ihre Namen waren? Wir waren nicht daran interessiert, uns ihre Namen zu merken, werfen die Karten weg und erinnern uns nicht an sie. Unser reflexives Gewahrsein war unaufmerksam und somit ist unser Gedächtnis schwach. All diese Faktoren gibt es in der Analyse.
Wenn Menschen sich eine lange Liste einprägen müssen, versuchen sie sich manchmal die einzelnen Dinge bildlich vorzustellen oder eine Gedächtnishilfe, wie eine Geschichte, zu nutzen, in der all die Dinge vorkommen oder ein Wort aus den ersten Buchstaben aller Dinge in der Liste zu erstellen. Können wir so etwas auf schlaue Weise nutzen, hilft uns das, uns daran zu erinnern. Als das bezieht sich auf die Schlussfolgerung.
Doch ich sollte auch erwähnen, dass unser Kurzzeitgedächtnis mit dem Alter schwächer wird und unser Hauptproblem darin besteht, auf kleine Dinge zu achten, die wir nicht für wichtig halten und um die wir uns nicht kümmern. Ich selbst mache gerade diese Erfahrung. Versuchen wir uns dann später zu erinnern, was jemand, mit dem wir gestern zusammen waren, gesagt hat, fällt uns das schwer. Mit dem Alter dauert es auch oft länger, sich an ein Wort oder Namen zu erinnern, obwohl man weiß, dass man ihn kennt. Es erfordert viel Geduld, hier nicht frustriert zu werden. Die Macht unserer kognitiven Sensoren wird mit dem Alter schwächer, doch in vielen Fällen erinnert man sich dann irgendwann später.
Wie ist es, wenn unsere Erinnerung falsch ist? Vielleicht sind wir uns sicher, dass Marys Name Anna ist.
In diesem Beispiel ordnen wir sie der falschen geistigen Schublade zu. Wir können uns erinnern, dass sie die gleiche Person wie die Frau ist, die wir zuvor getroffen habe, doch wir schlussfolgern auf falsche Weise, dass sie in diese geistige Schublade gehört und diesen Namen hat, aber es ist der falsche Name. Wir können uns ziemlich gewiss in Bezug auf etwas sein, was völlig falsch ist, und hartnäckig darauf bestehen im Recht zu sein. Wie wissen wir, ob es korrekt oder falsch ist? Wir müssen sie oder jemanden, der sie kennt und eine gültige Quelle der Information darüber ist, wie sie heißt, fragen. Es ist notwendig, unsere Schlussfolgerung darüber, wie sie heißt, auf mehr Beweisen aufbauen.
Unsere Schlussfolgerungen auf möglichst vielen Beweisen zu basieren ist in unserem täglichen Leben wirklich sehr wichtig, besonders in unseren Begegnungen mit anderen. Wenn wir mit jemandem sprechen, müssen wir so viele Faktoren wie möglich in Betracht ziehen und sollten uns nicht nur auf einen Beweis oder auf unzureichende Beweise verlassen. Eine Person mag uns vielleicht mit einem äußerst aggressivem Ton in ihrer Stimme ansprechen und beruhend auf diesem Beweis schlussfolgern wir, dass sie wütend ist. Doch vielleicht ist es nur ihre normale Art zu sprechen oder vielleicht hat sie vor unserer Begegnung zu viel Kaffee getrunken. Unsere Schlussfolgerung, dass sie wütend ist, könnte völlig falsch sein.
Wir benötigen mehr Informationen und mehr Beweise, damit wir die korrekte Schlussfolgerung ziehen können. Wenn wir das tun, vermeiden wir, unmittelbar auf eine Weise zu reagieren, die der Situation nicht angemessen ist. Je mehr Informationen wir bekommen, desto mehr werden wir in der Lage sein, zu interpretieren, was sie sagt und wie sie sich verhält. Dann werden wir unsere Erwiderung nicht nur auf die Worte basieren, die sie sagt, oder auf den Ton ihrer Stimme. Daher ist es so wichtig, feinfühlig gegenüber der Körpersprache zu sein und darauf zu achten, wie eine Person aussieht, wenn sie krank oder müde ist. Je mehr Informationen wir mit Feingefühl aufnehmen, desto angemessener wird unsere Erwiderung sein. Wenn wir mit anderen sprechen, können wir wirklich darauf achten, wie sie aussehen, wenn wir aufmerksam sind. Durch das, was wir sehen, können wir dann schließen, dass sie müde sind. Wir könnten aber auch nicht darauf achten, wie sie aussehen, weil es uns nicht interessiert. All diese Faktoren, wie Aufmerksamkeit und Interesse, gilt es in unseren Interaktionen anzupassen.
Unentschiedene Wahrnehmung
Die vierte der sieben Arten der Wahrnehmung ist die unentschiedene Wahrnehmung, eine Art der Wahrnehmung, mit der das beteiligte Objekt nicht bestimmt wird, wenn eine objektive Entität einer Art des Primärbewusstseins klar erscheint. Das bedeutet, es gibt keine Entschiedenheit bezüglich unserer Wahrnehmung des Objektes. Weil das beteiligte Objekt eine objektive Entität sein muss, findet die unentschiedene Wahrnehmung nur mit nicht-konzeptueller Wahrnehmung statt.
Die geläufigsten Beispiele beziehen sich darauf, wenn zwei kognitive Fähigkeiten beteiligt sind. Die eine Fähigkeit kann das korrekte, entschiedene Begreifen des beteiligten Objektes sein, während die andere unentschieden gegenüber dem beteiligten Objekt ist. Vielleicht schauen wir auf unser Mobiltelefon und sind so vertieft, dass wir nicht hören, was jemand zu uns sagt. In diesem Fall haben wir eine unentschiedene bloße Wahrnehmung des Klanges ihrer Stimme. Die Geräusche sind objektive Entitäten; sie erscheinen unserem Hörbewusstsein auf klare Weise und sind daher seine beteiligten Objekte. Doch unserem Hören fehlt jede Entschiedenheit gegenüber diesen beteiligen Objekten.
Die unentschiedene Wahrnehmung umfasst jedoch nicht das Wahrnehmen zwei verschiedener Dinge im gleichen kognitiven Feld, eines mit Entschiedenheit und das andere unentschieden. Eine individuelle Wahrnehmung kann nur entschieden oder unentschieden sein. Wenn wir einer Sache innerhalb eines kognitiven Feldes, wie beispielsweise dem Anblick, unsere Aufmerksamkeit schenken, wie den Mitteilungen, die wir auf unserem Handy sehen, während wir die Straße überqueren, ist der Anblick eines Autos auch Teil unseres visuellen Sinnesbereiches. Er ist eine objektive Entität, aber nicht das beteiligte Objekt unserer visuellen Wahrnehmung und erscheint somit unserem visuellen Bewusstsein nicht auf klare Weise. Nicht alles, was in einem Sinnesbereich erscheint, ist ein beteiligtes Objekt der Sinneswahrnehmung dieses Bereiches. Wenn wir das sich nähernde Auto nicht bemerken, ist das ein Beispiel unentschiedener Wahrnehmung. Es geht lediglich darum, was wir in einem spezifischen Sinnesbereich als unser beteiligtes Objekt annehmen und worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten.
Wir sollten auch daran denken, dass unentschiedene Wahrnehmung ausschließlich nicht-konzeptuell ist. Man denke nur an das Beispiel, Worte einer tantrischen Rezitation zu lesen und die Worte im Kopf nicht auszusprechen. Wir sehen den Anblick der Worte auf der Seite mit gültiger visueller bloßer Wahrnehmung, doch konzeptuell denken wir an etwas ganz anderes als an dessen Bedeutung. Wir ordnen die Worte keiner bedeutungsbezogenen Kategorie zu und unsere Augen über die Worte auf der Seite hin und her schweifen zu lassen, hat keine große Wirkung. Das ist kein Beispiel für unentschiedene geistige Wahrnehmung, weil in diesem Fall unsere Wahrnehmung des geistigen Abschweifens konzeptuell ist. Was in der konzeptuellen Wahrnehmung erscheint – eine geistige Repräsentation des Klangs der Worte unseres geistigen Abschweifens – erscheint nicht klar, weil wir sie durch das Zwischenmedium von Kategorien wahrnehmen. Was wir erfahren ist lediglich ein Beispiel des geistigen Abschweifens.
Drei Arten der unentschiedenen Wahrnehmung
Unentschiedene bloße Sinneswahrnehmung
Es gibt drei Arten der unentschiedenen Wahrnehmung. Die erste ist die unentschiedene bloße Sinneswahrnehmung. Eine Variante findet stets am Ende einer Abfolge bloßer Sinneswahrnehmung von etwas statt. Wir sehen etwas und der erste Moment ist gültig; er ist frisch. Gefolgt wird er von einer Phase der nachfolgenden bloßen Sinneswahrnehmung, die nach wie vor eine entschiedene, jedoch dann eine unbestimmte bloße Sinneswahrnehmung ist, mit der wir uns überhaupt nicht über das beteiligte Objekt gewiss sind. Das beteiligte Objekt erscheint noch immer klar, doch es gibt keine Gewissheit diesbezüglich, weil die Sinneswahrnehmung kurz davor ist, zu einer geistigen Wahrnehmung zu werden.
Die andere Variante der unentschiedenen bloßen Sinneswahrnehmung ist das, was wir gerade besprochen haben. Während eine visuelle bloße Wahrnehmung von etwas klar als unser beteiligtes Objekt erscheint, kann unsere bloße Hörwahrnehmung gegenüber den Klängen, die klar als dessen beteiligte Objekte erscheinen, unentschieden sein.
Unentschiedene geistige bloße Wahrnehmung
Dann gibt es die unentschiedene geistige bloße Wahrnehmung, die beispielsweise am Ende einer Abfolge außersinnlicher bloßer Wahrnehmung des Geistes von jemandem und nachfolgender außersinnlicher Wahrnehmung dessen auftritt.
Der winzige Moment geistiger bloßer Wahrnehmung, der nach einem winzigen Moment unentschiedener bloßer Sinneswahrnehmung eines Objektes direkt vor dessen konzeptueller geistiger Wahrnehmung auftritt, ist auch unentschieden.
Unentschiedene bloße Wahrnehmung reflexiven Gewahrseins
Unentschiedene bloße Wahrnehmung reflexiven Gewahrseins ist der winzige Moment reflexiven Gewahrseins, der eine sensorische oder geistige bloße Wahrnehmung begleitet. Reflexives Gewahrsein ist nicht in der Lage, sofort aufzunehmen, was mit den kognitiven Komponenten der Wahrnehmung, die es begleitet, stattfindet.
In den meisten Fällen ist jeder Moment bloßer Wahrnehmung durch reflexives Gewahrsein unentschieden, doch eine Reihe davon ist entschieden genug, um sich daran zu erinnern. Das ist interessant in Bezug auf unterschwellige Werbung. Der Slogan: „Trink Coca Cola“ erscheint beispielsweise nur einen kurzen Augenblick auf der Kinoleinwand. Ist er lang genug, damit wir uns daran erinnern können? Ist er zu kurz, können wir uns nicht erinnern; unser reflexives Gewahrsein nimmt die Wahrnehmung nicht auf, weil sie unbestimmt oder vage ist. Sie hatte nicht genug Zeit, um entschieden in Bezug auf das Objekt zu sein. Ich weiß nicht, ob das wissenschaftlich korrekt ist oder nicht, aber das ist die buddhistische Darlegung unterschwelliger Werbung.