Rückblick
Wir haben zwei gültige Arten der Wahrnehmung behandelt:
- frische, entschiedene, korrekte bloße Wahrnehmung – nicht-konzeptuelle Wahrnehmung offensichtlicher Phänomene als erscheinende Objekte; und
- schlussfolgernde Wahrnehmung – konzeptuelle Wahrnehmung verschleierter und extrem verschleierter Phänomene durch Stützen auf eine gültige Argumentationskette.
Nach bloßer Wahrnehmung oder schlussfolgernder Wahrnehmung folgen Phasen nachfolgender Wahrnehmung und, außer nach yogischer bloßer Wahrnehmung, Phasen unentschiedener Wahrnehmung.
Vermutung
Die nächste Art der Wahrnehmung ist die Vermutung, eine ungültige Art der Wahrnehmung, die ihr Objekt korrekt erfasst und es konzeptuell frisch wahrnimmt. Im Grunde ist sie eine korrekte Annahme. Wie die schlussfolgernde Wahrnehmung kommt sie auf frische Weise zu einer korrekten Schlussfolgerung, ohne jedoch wirklich zu verstehen oder auf richtige Weise zu erkennen, warum sie wahr ist. Der Fehler der Vermutung ist daher, dass sie nicht entschieden und deshalb keine gültige Art der Wahrnehmung ist. Wir vermuten, dass etwas korrekt ist, doch wir wissen nicht wirklich warum.
Mit der Vermutung kommen wir zu einer korrekten Schlussfolgerung. Wir können auch zu einer falschen Schlussfolgerung kommen, doch technisch gesehen handelt es sich dabei nicht um diese Art der Wahrnehmung, sondern nur um eine fehlerhafte schlussfolgernde Wahrnehmung.
Fünf Arten der Vermutung
Es gibt fünf Arten der Vermutung:
- Etwas ohne Grund für wahr zu halten – zum Beispiel korrekt zu schlussfolgern, dass die Tage in der nördlichen Hemisphäre im Winter kürzer werden, ohne zu wissen, warum das so ist. Im Grunde ist es gut geraten, wie wenn wir uns nicht an einen Namen erinnern, ihn jedoch richtig erraten.
- Etwas aus einem widersprüchlichen Grund für wahr zu halten – zum Beispiel zu schlussfolgern, dass die Tage in der nördlichen Hemisphäre im Winter kürzer werden, weil sie in dieser Zeit der Sonne zugeneigt ist. Das ist ein widersprüchlicher Grund, doch wir kommen trotzdem zu einer korrekten Schlussfolgerung.
- Etwas aus einem unentschiedenen Grund für wahr zu halten – zum Beispiel zu schlussfolgern, dass die Tage in der nördlichen Hemisphäre im Winter kürzer werden, weil die Erde um die Sonne kreist. Wir kommen zur richtigen Schlussfolgerung, doch die Tatsache, dass die Erde um die Sonne kreist beweist nicht, dass die Tage in der nördlichen Hemisphäre im Winter kürzer werden.
- Etwas aus einem irrelevanten Grund für wahr zu halten – zum Beispiel zu schlussfolgern, dass die Tage in der nördlichen Hemisphäre im Winter kürzer werden, weil die Tage kälter sind. Dabei handelt es sich um etwas, was in der Entwicklung der neuen Webseite häufig passiert. Ich stelle eine Behauptung auf und ich tue es, weil ich denke, dass es so ist. Bei der Aussage: „Menschen interessieren sich für einen bestimmten Artikel, weil ich denke, dass es so ist“, handelt es sich beispielsweise um einen unentschiedenen Grund; „weil ich ihn mag“ ist ebenfalls ein irrelevanter Grund. Um zu dieser Schlussfolgerung zu kommen, benötigen wir einen korrekten Grund.
- Etwas aus einem korrekten Grund für wahr zu halten, doch ohne jegliche Entschiedenheit – zum Beispiel zu schlussfolgern, dass die Tage in der nördlichen Hemisphäre im Winter kürzer werden, weil sie in dieser Zeit der Sonne abgeneigt ist. Wir stützen uns auf diesen korrekten Grund, doch wir verstehen nicht, wie dadurch die Länge des Tages beeinflusst wird. Ich mag denken, die Menschen wären an einem Artikel interessiert, weil mehr Menschen danach auf Google suchen, doch wir verstehen nicht wirklich, wie das funktioniert oder welchen Unterschied das macht. Wir kommen aus dem richtigen Grund zur korrekten Schlussfolgerung, doch wir verstehen es nicht.
All das ist ziemlich relevant für unser Verständnis der Leerheit oder irgendeines Punktes im Dharma. Wir wissen, was die richtige Antwort sein sollte und wir können sogar wissen, was der richtige Grund dafür ist, warum bestimmte Dinge so sind, doch wir verstehen es nicht wirklich. Wir vermuten, dass es wahr ist. Das ist ein wirklich notwendiger Schritt im Lernprozess. Wir geben etwas einen so genannten „Vertrauensvorschuss“. Wir vermuten, dass es wahr ist und warten ab, was sich daraus ergibt. Wenn es einen Sinn ergibt und hilft, Leiden zu mindern, nehmen wir an, dass es richtig sein muss.
Das gilt beispielsweise für die Wiedergeburt. Es ist ziemlich schwierig, ein korrektes Verständnis von der Wiedergeburt zu haben. Es gibt eine bestimmte Logik, was Ursache und Wirkung betrifft, denn jedes Phänomen, das sich von einem Augenblick zum nächsten ändert, kann nicht aus nichts oder einer irrelevanten Ursache hervorgehen. Unser Geisteskontinuum muss also Teil eines Kontinuums sein, das sich auf anfangslose frühere Leben erstreckt, doch wir können es nicht wirklich verstehen. Dennoch nehmen wir an, dass es wahr ist und arbeiten damit.
Durch Vermutung erlangtes Wissen ist unbeständig. Wenn wir etwas lesen oder hören und es einfach kritiklos aus gutem Glauben und ohne es zu untersuchen akzeptieren, um zu verstehen, warum es wahr ist, können wir es uns für gewöhnlich nicht merken.
Lasst uns versuchen, etwas in unserer eigenen Erfahrung zu erkennen, das wir durch Vermutung verstanden haben. Es geht darum, etwas richtig erraten zu haben.
[Pause]
Oft treffen wir eine falsche Annahme. Beispielsweise vermuten wir, dass diese Sache, die wir im Geschäft kaufen, funktionieren wird: wenn wir diesen Computer kaufen, wird er funktionieren. Warum vermuten wir das? Wir nehmen es an, weil er in diesem Geschäft verkauft wurde. Das bedeutet doch aber nichts, oder? Es beweist nicht, dass er funktionieren wird. Sie mögen dort vielleicht eine gute Werbekampagne haben, doch das beweist nichts. Wir vermuten jedoch, dass er funktionieren wird. Wie viele von uns verstehen eigentlich, wie ein Computer funktioniert? Nicht sehr viele.
Vermutung versus Hoffnung
Die Vermutung ist ein ziemlich häufig stattfindende Art, etwas wahrzunehmen. Wir sollten sie von der Hoffnung unterscheiden. Vielleicht vermuten wir, dass diese Nahrung uns nicht krank machen wird. Doch das ist auch vermischt mit Hoffnung; wir hoffen, dass sie uns nicht krank machen wird. Hoffnung ist mit einem Wunsch verbunden, etwas möge wahr oder zutreffend sein, während die Vermutung mit keinem Wunsch verbunden ist. Wir vermuten, dass ein Restaurant gut ist und es mag zutreffen, doch unsere Gründe für die Vermutung sind nicht aussagekräftig. Wir vermuten, dass es gut ist, weil es das letzte Mal, als wir dort aßen, gut war. Ist das ein entscheidender Grund? Nur weil es das letzte Mal gut war, ist keine Garantie dafür, dass es dieses Mal gut sein wird. Wenn es sich dieses Mal als gut erweist, war es eine gute Annahme. Doch wir können uns keinesfalls sicher sein oder es garantieren.
Dasselbe gilt, was unseren Austausch mit anderen betrifft. Wir gehen auf eine Party oder treffen unseren Freund und vermuten, dass es eine schöne Erfahrung sein wird. Doch wie gesagt kann es mit der Hoffnung vermischt sein, dass es eine schöne Erfahrung sein wird.
Vermutung und Wahrscheinlichkeit
Hat das Vermuten nicht etwas mit Wahrscheinlichkeiten zu tun?
Das ist ziemlich komplex. Vor kurzem haben ich einen Artikel über Physik gelesen, in dem es hieß, dass etwas sogar bei einer Wahrscheinlichkeit von 95% in einem bestimmten Moment entweder funktionieren kann oder nicht. Dass etwas „vielleicht funktioniert“, geschieht in einem bestimmten Moment nie, was uns zu der Frage führt, ob eine Wahrscheinlichkeit nur eine Weise ist, etwas richtig zu erraten. Ist die Wahrscheinlichkeit tatsächlich eine Beschreibung dessen, was stattfindet? Was meinen wir damit? Beziehen wir uns darauf, was in einem bestimmten Moment oder was in einer bestimmten Zeit stattfindet?
Im Grunde wird die Wahrscheinlichkeit dadurch gemessen, wie oft wir etwas tun. Gehen wir davon aus, dass ein Gerät zu 95% der Zeit funktionieren wird, liegt das daran, dass es getestet wurde und zum Beispiel von hundert Mal fünf Mal nicht funktioniert hat. Es ist eine Art von Zufall beruhend auf Dingen, die ausgeführt wurden, die wir dann als Wahrscheinlichkeit bezeichnen.
Ja, wir können von einem Gerät reden und davon, dass es einen Fehlschlag erleiden wird. Die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Batterie etwa sechs Stunden halten wird. Doch in dem Artikel, den ich gelesen habe, ging es um Glücksspiel mit einem Würfel und der Wahrscheinlichkeit, dass man zweimal eine Sechs würfelt. Nur die Tatsache, dass man in der Vergangenheit bereits eine bestimmte Anzahl von Sechsen hatte, wird den jetzigen Wurf nicht zwangsläufig beeinflussen. Entweder man hat eine Sechs oder nicht.
Doch im Allgemeinen wird die Wahrscheinlichkeit benutzt, um Ursache und Wirkung zu erklären. Für gewöhnlich kann etwas, was wir tun, gemessen werden, und dann wissen wir, was meistens geschieht. Doch es kann immer Ausnahmen geben, wenn es nicht passiert. Wie hoch ist beispielsweise die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schwan, den wir in Europa sehen, weiß ist? Die meisten Schwäne, die wir sehen, sind tatsächlich weiß, doch in Australien gibt es auch schwarze Schwäne und somit gibt es die Wahrscheinlichkeit, einen schwarzen Schwan zu sehen. Die Wahrscheinlichkeit ist eine Beschreibung der Kausalität, also dass es ein wahrscheinliches Resultat geben wird, wenn wir einen Schwan sehen. Natürlich kann es eine Ausnahme geben. Mit der Wahrscheinlichkeit wird nicht alles beschrieben, genau wie beim Würfeln. Daher kann die Wahrscheinlichkeit hilfreich sein, etwas richtig zu erraten oder eine korrekte Annahme zu treffen.
Die Wahrscheinlichkeit wird viel in den medizinischen Berufen benutzt.
Ja, es gibt eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, dass dieser Patient jene Krankheit hat. Der Arzt vermutet also, dass es sich um diese Krankheit handelt. Mit einer auf Wahrscheinlichkeit basierenden Vermutung können wir uns ziemlich sicher sein, allerdings nicht zu einhundert Prozent. Das macht die Vermutung zu einer ungültigen Art der Wahrnehmung.
Die Vermutung, dass wir Erleuchtung erlangen können
Das ganze Thema der Entschiedenheit ist an sich recht komplex. Wie gewiss sind wir uns denn wirklich, dass wir Erleuchtung erlangen können? Wenn wir anstreben, Erleuchtung oder Befreiung zu erlangen, ist das eine wichtige Frage. Erstens: Wie überzeugt sind wir, dass es möglich ist? Und dann: Wie überzeugt sind wir, dass wir sie erlangen können? Wir vermuten, dass wir sie erlangen können und das ist vielleicht korrekt, doch wir verstehen vielleicht nicht wirklich warum. Auch wenn wir die korrekten Gründe aufzählen können – wegen der Buddha-Natur – haben wir vielleicht gar keine Vorstellung davon, was das wirklich bedeutet und wie es dadurch bewiesen wird. Doch wir tun es ständig, nicht wahr? Wir sollten uns fragen, wie wir denn eigentlich wissen, dass wir Erleuchtung erlangen können. Im Wesentlichen vermuten wir, dass es wahr ist, und wenn wir uns nicht hundertprozentig gewiss darüber sind, laufen wir Gefahr, es irgendwann nicht zu glauben und aufzugeben.
Wie steht es damit, einen Blick auf die großen Meister der Vergangenheit zu werfen, die Erleuchtung erlangt haben? Wenn sie es geschafft haben, werde ich es vermutlich auch schaffen können.
Doch wie wissen wir, dass sie Erleuchtung erlangt haben? Welche gültige Art der Wahrnehmung haben wir, dass sie sie erlangt haben? Im Buddhismus wird gesagt, dass wir erst, wenn wir selbst eine bestimmte Stufe erreicht haben, mit Sicherheit wissen können, dass jemand anders sie erlangt hat. Haben wir sie nicht selbst erlangt, befinden wir uns nicht in der Position, es korrekt und gültig zu wissen. Wir können vermuten, dass jemand Erleuchtung erlangt hat, wie beispielsweise der Buddha, doch wir wissen es nicht wirklich mit Entschiedenheit, weil wir nicht aus direkter Erfahrung wissen, was Erleuchtung ist.
Wir nutzen Schlussfolgerung.
Ja, das stimmt. Wir nutzen die Schlussfolgerung, um etwas extrem Verschleiertes zu erkennen, was wir nicht selbst erkennen können. Beruhend auf anderen Dingen sagte Buddha, dass wir es selbst überprüfen können. Das Verständnis der Leerheit befreit uns beispielsweise von Leiden und aufgrund der Tatsache, dass Buddhas einzige Motivation in dem Mitgefühl bestand, das Leiden anderer zu mindern, können wir schlussfolgern, dass Buddha keinen Grund hatte zu lügen und daher eine gültige Quelle der Information über seine eigene Erleuchtung ist.
Doch wie verhält es sich mit unserem eigenen Erlangen der Erleuchtung? Ist es, nur weil Buddha sie erlangt hat, ein Beweis, dass wir sie auch erlangen werden? Ist unser Erlangen der Erleuchtung eine Wahrscheinlichkeitsfunktion? Gibt es eine 95-prozentige Chance, dass wir Erleuchtung erlangen können? Aus der buddhistischen Perspektive kann laut Shantideva jeder Erleuchtung erlangen, sogar Würmer. Die Wahrscheinlichkeit kommt mit ins Spiel, wenn es darum geht, ob wir sie in diesem Leben erlangen können. Da gibt es eine Wahrscheinlichkeitsfunktion. Doch ob wir sie zwangsläufig erlangen können, ist eine andere Frage.
Das ist recht interessant. Die Samkhya-Schule der nicht-buddhistischen indischen Philosophie vertritt, dass zwangsläufig jeder erleuchtet werden wird, während man im Buddhismus nicht davon ausgeht. Im Buddhismus ist davon die Rede, dass jeder erleuchtet werden kann, doch das garantiert nicht, dass sie jeder, sogar angesichts unendlicher Zeit, erlangen wird. Dann fragen die Menschen, was sein wird, wenn jeder erleuchtet worden ist. Das ist jedoch irrelevant, denn niemand hat im Buddhismus wirklich behauptet, dass jeder Erleuchtung erlangen wird.
Sogar wenn die Zeit unendlich ist?
Ja. Weil Zeit unendlich ist, haben wir nicht nur unzählige Male Bodhichitta entwickelt und die Bodhisattva-Gelübde genommen, sondern sie auch unzählige Male wieder aufgegeben. Um Erleuchtung zu erlangen, dürfen wir Bodhichitta und die Bodhisattva-Gelübde erstmalig nicht wieder aufgeben. Mit anderen Worten nehmen wir die Bodhisattva-Gelübde zum ersten Mal, ohne sie aufzugeben. Daher versprechen wir, sie nicht einmal aufzugeben, wenn es unser Leben kostet.
Bodhichitta nicht aufzugeben erfordert große Bemühungen und intensive Praxis, um positive Kraft für drei Zillionen von Zeitaltern aufzubauen und unser Bodhichitta nie aufzugeben. Nur wenigen ist das gelungen und folglich heißt es nicht, dass jeder darin erfolgreich sein wird, Bodhichitta über einen Zeitraum von drei Zillionen von Zeitaltern nicht aufzugeben. Es gibt also keine Garantie, dass jeder Erleuchtung erlangen wird, sogar wenn die Zeit unendlich ist.
Lasst uns jedoch nicht zu weit abschweifen. Um es noch einmal zu wiederholen: Wir haben die Vermutung, eine korrekte Annahme aus einem falschen oder einem korrekten Grund, den wir nicht verstehen. Die Wahrscheinlichkeit ist zweifelsohne eine gute Annahme, wenn wir unsere Entscheidung auf die Wahrscheinlichkeit bauen.
Unentschlossenes Schwanken
Unentschlossenes Schwanken, die nächste Art der Wahrnehmung, ist ein Geistesfaktor, der die konzeptuelle Wahrnehmung eines Objektes begleitet, und mit dem man zwischen zwei Schlussfolgerungen bezüglich dieses Objektes schwankt. Anders ausgedrückt schwankt man zwischen zwei Kategorien hin und her, durch die man das Objekt wahrnimmt. Passt dieses Objekt in diese oder jene geistige Schublade in Bezug darauf, welche Schlussfolgerung wir treffen? Es ist immer konzeptuell und es gibt drei Arten:
- unentschlossenes Schwanken, das der Tatsache oder der korrekten Schlussfolgerung zugeneigt ist;
- unentschlossenes Schwanken, das nicht der Tatsache oder der falschen Schlussfolgerung zugeneigt ist; und
- unentschlossenes Schwanken, das zwischen diesen beiden ausgeglichen ist.
Ich denke, hier kommt auch die Wahrscheinlichkeitsfunktion mit zum Tragen. Nehmen wir beispielsweise einmal an, wir wüssten nicht mit 100-prozentiger Gewissheit, dass etwas, was wir tun oder empfehlen, unser beabsichtigtes Resultat hervorbringt, wären uns aber zu 95 Prozent sicher. Wir können also vermuten, dass es erfolgreich sein wird, und wenn es das ist, war es unsere Vermutung. Oder wir können denken, dass so herauskommen wird, wie wir es uns wünschen, doch einräumen, dass es eine 5-prozentige Chance für einen Misserfolg gibt und auch abwägen, was geschieht, wenn es nicht funktioniert. Das wäre unentschlossenes Schwanken. Wir können nicht festlegen, zu welcher Schublade es passt.
Unentschlossenes Schwanken ist ein störender Geistesfaktor. Doch warum warum handelt es sich dabei um einen störenden Geistesfaktor? Gehen wir zurück zur Definition einer störenden Emotion oder Geisteshaltung. Die Definition ist, dass es sich um einen Geistesfaktor handelt, mit dem wir unseren Geistesfrieden und unsere Selbstbeherrschung verlieren, wenn er auftritt. Mit unentschlossenem Schwanken sind wir uns nicht sicher, ob etwas so oder so ist und dann haben wir keinesfalls inneren geistigen Frieden. Wir verlieren in dem Sinne die Selbstbeherrschung, dass wir nicht wissen, was wir tun oder wählen sollen. Es handelt sich um einen ausgesprochen unsicheren Geisteszustand, wenn wir ungewiss sind, ob es dies oder das ist.
Um aus diesem Zustand herauszufinden, kommen wir oft einfach zu einer Schlussfolgerung. Ist sie korrekt, handelt es sich um Vermutung, oder es ist einfach eine falsche Schlussfolgerung. Das können wir recht häufig in uns selbst beobachten. Wir gehen in ein Restaurant, lesen das Menü und können uns nicht entscheiden, was wir essen wollen. Oder wir können uns nicht entscheiden, was wir anziehen sollen. Manche Menschen sind unschlüssiger als andere. Jemand, der ein guter Armeeoffizier oder ein Schiffskapitän ist, muss in der Lage sein, ganz schnell und mit Bestimmtheit Entscheidungen zu treffen. Sind wir nicht in der Lage Entscheidungen zu treffen, können wir kein Anführer oder Verantwortlicher sein, weil wir letztendlich Entscheidungen treffen müssen.
Entscheidungen treffen
Entscheidungen zu treffen ist schwierig und wenn wir, wie in unserem Fall, dem buddhistischen Pfad folgen und eine Entscheidung treffen müssen, ob wir Zuflucht oder die Bodhisattva-Gelübde nehmen, wie entscheiden wir uns dann? Das ist eine interessante Frage. Wie können wir die Entschiedenheit haben, dass es das ist, was wir tun wollen und nützlich für uns ist? Welche Art der Wahrnehmung würden wir dafür haben?
Wir könnten aufgrund von Beweisen zu dieser Überzeugung gelangen.
Ja, aber anfangs würden wir vermuten, dass unsere Entscheidung, etwas sei nützlich, korrekt ist. Dies könnten wir mit Hoffnung vermischen und hoffen, es sei hilfreich, zusammen mit dem Vermuten, dass es so sein wird. Wir kommen zu dieser Schlussfolgerung, nur weil unser Guru es uns gesagt hat und unser Guru ist eine gültige Quelle der Information, oder weil Buddha gesagt hat, es wäre gut. Unsere Schlussfolgerung könnten wir auf weiteren Beweisen gründen, die bekräftigen, was Buddha sagte. So könnten wir das Beispiel anderer Menschen sehen, die einer buddhistischen Vorgehensweise gefolgt sind, beispielsweise ein Mönch oder eine Nonne zu werden, und nun glücklicher sind; doch das ist unentschieden. Wenn andere Menschen ordiniert wurden und nun glücklich sind, ist das keine Garantie dafür, dass es auch für uns funktionieren wird.
Wir könnten doch auch durch Ausschluss entscheiden.
Das ist ein wirklich guter Punkt. Auf andere Weisen haben wir es nicht erreicht und so versuchen wir diese. Das ist Hoffnung. Es ist spannend zu wissen, ob wir alle anderen Möglichkeiten außer dieser ausgeschlossen haben, dem Buddhismus zu folgen. Vielleicht gab es noch etwas, von dem wir nichts wussten. Ich weiß gar nicht, ob die Menschen immer noch fernsehen und vielleicht ist das ein überholtes Beispiel, aber in Amerika gibt es im Kabelfernsehen etwa tausend verschiedene Kanäle, die man schauen kann. Nachdem wir uns fünfzig angesehen haben und sie ziemlich langweilig und furchtbar waren, finden wir einen, der ganz interessant aussieht. Wir entscheiden uns, ihn zu schauen. Doch vielleicht gab es einen anderen Kanal, den wir nicht einmal gesehen haben und der sogar noch besser war. In ähnlicher Weise mag es eine andere Tradition bei den Völkern des Amazonas geben, von der wir nichts wussten und die vielleicht besser für uns wäre, als dem Buddhismus zu folgen.
Daher ist es wirklich schwer, wenn wir unsere Entscheidung auf einem Ausschluss gründen. Er ist eine Art der Wahrnehmung, auf die in der Standardliste gar nicht eingegangen wird. Sie wird behandelt, wenn wir genauer auf das Thema von Negierungs-Phänomenen eingehen. Wir erkennen etwas, indem wir andere Dinge ausschließen. Wir erkennen, was wir mögen, indem wir ausschließen, was wir nicht mögen. Doch haben wir alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen? Und wie können wir uns sicher sein, dass wir alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen haben? Das ist schwer und bringt uns zur Vermutung. Wir vermuten, dass wir genügend Möglichkeiten ausprobiert haben und keine weiteren ausprobieren müssen.
Genauso verhält es sich, wenn wir einkaufen gehen. In wie viele Geschäfte müssen wir gehen, um zur Entscheidung zu gelangen, dass diese Sache die beste ist, die wir kaufen wollen? Wir waren nicht in jedem einzelnen Geschäft und haben jedes Hemd anprobiert, um zu wissen, dass dieses Hemd das ist, was wir haben wollen. Doch wir haben einige andere ausgeschlossen. Wie viele müssen wir aktiv ausschließen? Als wir beispielsweise das letzte Mal in diesem Geschäft waren, haben wir nichts gefunden, was uns gefallen hat und daher gehen wir erst gar nicht dorthin. Beruhend auf früheren Fakten vermuten wir, dass sie auch dieses Mal nichts haben werden, was wir mögen. Welcher Fehler steckt in dieser Überlegung? Wir sind uns nicht bewusst darüber, dass sich ihr Angebot und die Art der Kleidung, die sie in ihrem Geschäft haben, ändert und sie nicht die gleiche Auswahl, wie letztes Mal, haben werden.
Doch wir untersuchen unsere Gründe und beruhend auf Wahrscheinlichkeit treffen wir dann unsere Entscheidung, zu welchem Geschäft wir gehen werden, um uns ein neues Hemd zu kaufen. Wahrscheinlich wird es in diesem Geschäft nichts geben, was wir mögen und daher werden wir dort erst gar nicht suchen. Oder vielleicht versuchen wir es dort, doch dann müssen wir in Betracht ziehen, welche anderen Faktoren einen Einfluss auf das Treffen dieser Entscheidung haben. Es kann sein, dass wir keine Zeit dafür haben, beim Einkaufen in jedes Geschäft zu laufen. Uns bleibt beispielsweise nur die Mittagspause. Dann treffen wir die Entscheidung. Wir werden nur in dieses Geschäft gehen; wir haben keine Zeit herumzusuchen und das, was wir finden, wird reichen.
Interessant ist, wie wir Entscheidungen treffen und welche gültige Art der Wahrnehmung uns hilft, Gewissheit zu erlangen. Natürlich entsteht ein völliges Durcheinander, wenn der Geistesfaktor des Bedauerns mit ins Spiel kommt: „Wäre ich nur in dieses andere Geschäft gegangen, hätte ich etwas besseres bekommen.“ Das Bedauern ist ein großes Hindernis, was die Konzentration und den inneren Frieden betrifft. Wir sind nicht in der Lage uns zu konzentrieren, weil wir bedauern, nicht die Dinge zu tun, die wir getan haben sollten. Wir sollten dieses Retreat zu einer anderen Zeit gemacht haben. Wir sollten es bei einem anderen Lehrer gemacht haben. Wir sollten ein besseres Kissen haben. Wir sollten alles mögliche haben; wir bedauern all diese Dinge und können uns nicht wirklich konzentrieren. Das ist ein großes Hindernis.
Können wir unsere Meinung ändern, wenn wir eine Entscheidung getroffen haben? Manche Entscheidungen können wir ändern. Vielleicht entscheiden wir uns, in eine neue Wohnung zu ziehen und finden heraus, dass sie furchtbar ist. Wir haben lärmende Nachbarn und wussten vorher nicht, dass sie bis spät abends laute Techno-Musik laufen lassen. Wir wussten es nicht, weil wir uns die Wohnung nur tagsüber angesehen haben. Uns standen nicht genügend Fakten zur Verfügung. In solchen Fällen können wir die Wohnung wechseln und woandershin ziehen. In anderen Fällen, können wir die Entscheidung, die wir getroffen haben, nicht ändern. Vielleicht beenden wir unsere Beziehung mit jemandem, der dann einen anderen Partner findet und wir können es nicht wieder rückgängig machen.
Die ganze Frage des Treffens von Entscheidungen und ob diese die beste Entscheidung ist, ist recht heikel. Unschlüssig zu sein, kann zu großen geistigen Störungen und geistigem Abschweifen führen, wenn wir uns den Kopf darüber zerbrechen, ob wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Daher ist die Überzeugung, besonders in Bezug darauf, einem spirituellen Pfad zu folgen, so wichtig. Je größer unsere Überzeugung ist und je rationaler sie ist – und nicht nur basierend auf irgendeinem irrationalen Grund, warum wir etwas tun – desto höher sind unsere Erfolgschancen, weil wir überzeugt davon sind, was wir tun. Ich glaube aus diesen Grund ist das erste der sieben Arya-Juwelen die Überzeugung.
Selbstvertrauen ist natürlich auch ausgesprochen wichtig im Sport. Genauso ist Selbstvertrauen wichtig, wenn wir den Dharma praktizieren, nicht nur die Überzeugung, dass wir das Resultat erreichen können, sondern das Selbstvertrauen, das wir vorher haben, die richtige Entscheidung zu treffen, diesem Pfad zu folgen.
Verzerrte Wahrnehmung
Die letzte Art der Wahrnehmung in dieser Liste der sieben ist die verzerrte Wahrnehmung. Die verzerrte Wahrnehmung ist eine Art der Wahrnehmung, durch die das Objekt nicht korrekt erfasst wird. Es gibt zwei Arten:
- konzeptuelle verzerrte Wahrnehmung; und
- nicht-konzeptuelle verzerrte Wahrnehmung.
Konzeptuelle verzerrte Wahrnehmung
Die konzeptuelle verzerrte Wahrnehmung ist eine Wahrnehmung, die in Bezug auf das konzeptuell implizierte Objekt (tib. zhen-yul) trügerisch ist. Ein konzeptuell impliziertes Objekt ist eines der vielen verschiedenen Arten kognitiver Objekte. Konzeptuelle Wahrnehmungen sind Wahrnehmungen durch das Zwischenmedium einer statischen Kategorie. Zusammen mit der Kategorie gibt es eine Erscheinung, welche diese Kategorie repräsentiert. Das klassische Beispiel ist die konzeptuelle Wahrnehmung wahrhaft begründeter Existenz von etwas, wie dem „Ich“. Die Wahrnehmung findet durch das Zwischenmedium der Kategorie „wahrhaft begründete Existenz“ statt und diese Kategorie wird von einer Art Gefühl begleitet, die repräsentiert, was wir uns als wahrhaft begründete Existenz vorstellen: ein Gefühl, dass ich als eine festgelegte, wie in Plastik gehüllte Entität existiere, dessen Existenz nur von sich aus, unabhängig von allem anderen begründet wird. So nehmen wir uns selbst wahr und glauben, unsere Existenz wäre tatsächlich wahrhaft so begründet, wie es scheint. Das konzeptuell implizierte Objekt wäre das „Ich“ als eine Person, dessen Existenz tatsächlich auf diese Weise begründet ist, wie es sich für mich anfühlt.
Die konzeptuelle Wahrnehmung ist in Bezug auf diese Implikation trügerisch, denn was wir uns vorstellen und glauben, wahr zu sein, entspricht nicht der Realität. Zum Beispiel kann es sein, dass wir uns vorstellen und glauben, es gäbe ein Monster unter dem Bett. Das ist natürlich trügerisch: was wir uns vorstellen, entspricht nicht der Realität. Die verzerrte konzeptuelle Wahrnehmung ist somit trügerisch, weil wir mit ihr glauben, das konzeptuell implizierte Objekt würde der Realität entsprechen. Halten wir es also für wahrhaft begründet, dass „ich“ als eine unveränderliche Seele existiere, die in meinen Körper eingeht, in meinem Kopf spricht, die Bedienungshebel betätigt, um den Körper Dinge tun zu lassen und dann beim Tod hinausfliegt, um in einen anderen Körper einzugehen, wäre das konzeptuell implizierte Objekt das „Ich“, welches als eine tatsächliche Seele mit diesen Eigenschaften existiert. Das ist jedoch eine Täuschung.
Nicht-konzeptuelle verzerrte Wahrnehmung
Die nicht-konzeptuelle verzerrte Wahrnehmung ist in Bezug auf das Objekt, das erfasst wird und ungeachtet dessen deutlich erscheint, trügerisch. Das Beispiel dafür wäre etwas Verschwommenes. Wir sehen etwas verschwommen, wenn wir unsere Brille abnehmen, aber das ist trügerisch. Dort drüben, auf der anderen Seite des Raumes, gibt es nichts Verschwommenes. Unsere Wahrnehmung ist in Bezug auf das Objekt, das erfasst wird und klar erscheint, trügerisch.
Die Sautrantika-Sicht dazu, wie man die Tatsache begründet, dass etwas existiert
Bei der wichtigsten verzerrten Wahrnehmung geht es darum, wie Dinge existieren. Wir haben ja über zwei Wesensnaturen gesprochen, also was etwas ist und wie es existiert. Wie es existiert, ist eine ganz generelle Darstellung dieser zweiten Wesensnatur. Im Grunde sprechen wir darüber, wie wir die Tatsache begründen, dass etwas existiert. Wie wissen wir, dass es existiert? Die Sautrantikas würden sagen, weil es eine Funktion erfüllt. Zum Beispiel wissen wir, dass dieses Ding existiert, weil es ein Geräusch macht, wenn wir darauf schlagen. Es macht etwas und das ist ein Beweis dafür, dass es existiert. Sehen wir unter das Bett, um das Monster zu finden, können wir es nicht sehen und nicht beweisen, dass es existiert. Wir können die Tatsache nicht begründen, dass es existiert. Wenn wir es sehen, ist das ein Beweis für die Tatsache, dass es existiert.
Wir sprechen darüber, wie wir nachweisen oder begründen, dass etwas existiert. Darum geht es im Grunde bei dieser ganzen Diskussion, wie etwas existiert. Da werden wir ständig getäuscht. Wir meinen, es gäbe etwas innerhalb eines Objektes, durch das aus eigener Kraft begründet oder bewiesen wird, dass es existiert, ob wir es nun sehen oder nicht. Es entspricht jedoch nicht der Realität und weitere Untersuchungen werden dann recht anspruchsvoll und komplex. Daher belassen wir es dabei.
Zusammenfassung der sieben Arten der Wahrnehmung
Das sind die sieben Arten der Wahrnehmung. Es handelt sich also um: bloße Wahrnehmung, schlussfolgernde Wahrnehmung, nachfolgende Wahrnehmung, unentschiedene Wahrnehmung, Vermutung, unentschlossenes Schwanken und verzerrte Wahrnehmung. Es braucht natürlich seine Zeit, um sich mit diesem konzeptuellen Bezugssystem vertraut zu machen, mit dem wir in der Lage sind zu analysieren, was vor sich geht.
Erklärung von Zuschreibung, geistigem Bezeichnen und Benennen
Sie haben erwähnt, dass es wichtig ist, zwischen drei Dingen zu unterscheiden, die sich auf das gleiche tibetische Wort und das gleiche Sanskrit-Wort beziehen: Zuschreibung, geistiges Bezeichnen und Benennen. Warum handelt es sich dabei in den Originalsprachen um das gleiche Wort?
Zuschreibung
Um zu verstehen, warum alle drei sich auf das gleiche Wort beziehen, müssen wir uns bewusst über den Unterschied zwischen Zuschreibung, geistigem Bezeichnen und Benennen sein. Aus einer Sautrantika-Sicht ist die Zuschreibung eine objektive Entität (tib. rang-mtshan). Wäre die Wahrnehmung von einer optional, könnten Zuschreibungen nur konzeptuell erkannt werden – mit anderen Worten: sie könnten nur erkannt werden, wenn wir denken, sie seien da. Doch da wir Zuschreibungen sowohl konzeptuell als auch nicht-konzeptuell wahrnehmen können, ist ihre Wahrnehmung nicht optional. Eine Person ist beispielsweise eine objektive Entität, die wir sehen und an die wir denken können. Es gibt die Aggregate, die sich von einem Augenblick zum nächsten ändern – der Körper, der Geist, die Emotionen und all die anderen Teile, und sie ändern sich von einem Augenblick zum nächsten. Eine Person ist eine objektive Zuschreibung aller und kann gesehen werden, wenn wir ihren Körper sehen. Oder das Alter ist eine objektive Zuschreibung von etwas, das eine Zeitspanne zahlreicher Momente andauert. Das ist die Dauer von etwas und es ist eine Zuschreibung. Ein weiteres Beispiel ist die Geschwindigkeit. Etwas ist hier, dann dort, dann dort, dann dort und dann dort. Daher sind Bewegung und Geschwindigkeit Zuschreibungen; eine Person ist diese Art der Zuschreibung.
Geistiges Bezeichnen
Geistiges Bezeichnen hat etwas mit konzeptueller Wahrnehmung und Kategorien zu tun. Wir geben einer Kategorie die geistige Bezeichnung von etwas, das in diese Kategorie passt. Das geschieht konzeptuell; so denken und erfassen wir etwas konzeptuell. Das ist geistiges Bezeichnen. Es ist optional: wir müssen es nicht tun.
Benennen
Mit dem Benennen geben wir einer Kategorie einen Namen oder benennen sie mit einem Wort und durch die Kategorie benennen wir die individuellen Phänomene in dieser Kategorie.
Das gemeinsame Merkmal dieser Drei
Die Zuschreibung, das geistige Bezeichnen und das Benennen sind somit drei eindeutig verschiedene kognitive Prozesse. Was sie gemeinsam haben, ist Folgendes:
- Jeder ist verbunden mit einer Grundlage der Zuschreibung, des geistigen Bezeichnens oder des Benennens (tib.gdags-gzhi).
- Was dieser Grundlage zugeschrieben, geistig bezeichnet oder benannt wird, ist nicht identisch mit dieser Grundlage.
- Die Grundlage der Zuschreibung, des geistigen Bezeichnens oder Benennens ist frei davon, von sich aus die definierenden Eigenschaften der Zuschreibung, des geistigen Bezeichnens oder Benennens zu haben.
Wie in der Prasangika-Darstellung betont wird, gilt zusätzlich dazu für das geistige Bezeichnen mit Kategorien und das Benennen mit Worten Folgendes gleichermaßen:
- ein Bezugsobjekt (tib. btags-chos) – etwas, auf das sich die geistige Bezeichnung oder Benennung bezieht – welches nicht identisch mit der geistigen Bezeichnung, Benennung oder Grundlage ist;
- die Grundlage für die geistige Bezeichnung oder Benennung ist frei davon, von sich aus die definierenden Eigenschaften dessen zu besitzen, worauf sich die geistige Bezeichnung oder Benennung bezieht; sowie
- die Leerheit (völlige Abwesenheit) eines selbst-begründeten Bezugs-„Dings“ (tib. btags-don) als fokale Stütze (tib. dmigs-rten) für das Bezugsobjekt des geistigen Bezeichnens oder Benennens.
Wir können nur die Existenz von etwas gültig Erkennbarem in Bezug auf das geistige Bezeichnen mit Kategorien oder das Benennen mit Worten begründen. Was ist ein Hund? Ein Hund ist das, worauf sich das Wort „Hund“ auf der Grundlage all dieser verschiedenen Tiere bezieht. Das ist es, was ein Hund ist. Wir können nichts auf Seiten irgendeines dieser Tiere finden, das es zu einem Hund macht.
Ein wunderbares Beispiel ist, wenn wir eine Reihe von Bildern von uns selbst vor uns hinlegen, die unser ganzes Leben darstellen. Was macht etwas in jedem von ihnen zu diesem „Ich“? Wir können nichts auf Seiten eines dieser Bilder finden, das es aus eigener Kraft zu diesem „Ich“ macht. Außerdem ist das „Ich“ nicht das Konzept oder Wort „Ich“, sondern das, worauf sich das Wort auf der Grundlage all dieser Bilder bezieht. Das „Ich“ ist somit wie eine Illusion. Es scheint etwas Festgelegtes zu sein, doch vielmehr ist es etwas zwischen dem Wort, der Kategorie und der Sache.
Das gleiche Wort, welches für geistiges Bezeichnen und Benennen benutzt wird, nimmt man auch für die Zuschreibung, weil jedes dieser drei mit den so genannten „zugeschrieben erkennbaren“ oder „zugeschrieben existenten“ (tib. btags-yod) Phänomenen verbunden ist: eine Art von Phänomen, das eine Grundlage erfordert und weder unabhängig von dieser Grundlage existieren noch wahrgenommen werden kann.
Wenn wir lernen, dass geistiges Bezeichnen und Benennen nur in konzeptueller Wahrnehmung auftritt, besteht das Problem darin, fälschlicherweise zu denken, Zuschreibungen wie das Selbst oder „Ich“ würden ebenfalls in konzeptueller Wahrnehmung auftreten. Das führt zu dem Missverständnis zu meinen, Personen, einschließlich uns selbst, wären lediglich Konzepte, und ich und andere würden eigentlich gar nicht existieren. Damit fallen wir in das Extrem des Nihilismus und das ist der Grund, warum ich diesen Unterschied in der Terminologie mache.
Können Sie uns ein Beispiel geben, um geistiges Bezeichnen oder Benennen am Beispiel einer Person zu veranschaulichen?
Ich betrachte diese farbigen Formen dort drüben. Diese farbigen Formen sind nicht nur farbige Formen, sondern Teile der Zuschreibung „ein ganzes visuelles Objekt, ein Anblick, den ich sehe“. Eine weitere Zuschreibung des Anblicks ist ein Körper, ein gesamtes allgemein verständliches Objekt, das nicht nur visuelle Informationen, sondern auch Informationen der anderen Sinne umfasst. Somit ist eine weitere Zuschreibung des Körpers eine Person, die nicht nur einen Körper sondern auch einen Geist, Emotionen und so weiter umfasst. Ein ganzes visuelles Objekt, ein Körper und eine Person sind alles Zuschreibungen einer Grundlage. Sie sind alles objektive Entitäten, um die Sautrantika-Unterscheidung zu nutzen.
Aber wie begründe ich die Tatsache, dass da eine Person ist? Nur weil ich etwas sehe, ist aus der Prasangika-Sicht kein Beweis oder keine Begründung dafür, dass es der Realität entspricht, denn ich sehe auch jedes Objekt als selbst-begründet und wahrhaft existent. Mit verzerrter Wahrnehmung sehe ich auch Verschwommenes.
Wie begründe ich also die Tatsache, dass es da eine Person gibt? Wir haben ein Konzept oder eine Kategorie „Person“ und wir haben dieses Wort „Person“. Die einzige Weise, wie wir die Tatsache begründen können, dass da eine Person ist, besteht darin, dass sich das Konzept „Person“ und das Wort „Person“ auf etwas beruhend auf diesen farbigen Formen bezieht: sie beziehen sich auf eine konventionelle Person. Wir können mit drei Tatsachen bestätigen, dass dieses geistige Bezeichnen und Benennen korrekt ist:
- Alle stimmen der Konvention zu, dass es Personen in dieser Welt gibt.
- Andere, die diese farbigen Formen gültig sehen oder betrachten, sind sich ebenfalls einig, dass sie eine Person sehen; wir stellen uns nicht nur etwas völlig Nichtexistierendes und Konzeptionelles vor, wie eine unmögliche Existenzweise.
- Sogar ein hochverwirklichtes Wesen, ein Arya, würde dem zustimmen, dass es sich um eine Person handelt.
Die Rede ist davon, wie wir die Existenz von etwas begründen. Wir können die Existenz von etwas nicht nur durch die Tatsache begründen, dass wir es sehen können oder dass es eine Funktion ausüben kann, denn was wir wahrnehmen ist trügerisch. Wenn wir etwas sehen, ist das kein Beweis dafür, dass es sich auf etwas „Objektives“ bezieht, was andere ebenfalls sehen können. Untersuchen wir es genauer, können wir keine Personen und nicht einmal ganze Objekte finden, die nur in unserem Geist existieren und wir können sie auch nicht in ihren Teilen finden. Tatsache ist jedoch, dass wir diese Konzepte und diese Worte für Dinge haben und sie sich auf etwas beziehen – so können wir konventionell die Tatsache begründen, dass es diese Dinge gibt.
Konventionell erscheint allerdings unserem begrenzten Geist alles trügerisch selbst-begründet und wahrhaft existent zu sein. Doch nur weil die Weise, wie Objekte zu existieren scheinen, falsch ist, beweist nicht, dass konventionelle Objekte selbst falsch sind. Nur weil es eine völlige Abwesenheit, eine Leerheit, von etwas gibt, was einer scheinbaren Existenzweise von Dingen entspricht, bedeutet nicht, dass es eine völlige Abwesenheit von konventionell existierenden Objekten gibt. Das ist ein Punkt, den Tsongkhapa immer wieder hervorhebt.
Wir können keine Person in diesen farbigen Formen finden, noch in unserem Konzept einer Person oder dem Wort „Person“. Doch das Konzept und das Wort beziehen sich auf etwas. Das ist damit gemeint, wenn wir davon reden, „etwas nur durch geistiges Bezeichnen zu begründen“. Es gibt wirklich eine Person, die wir dort drüben sehen. Eine Person existiert konventionell, doch wie können wir wissen, dass es eine Person ist? Das ist die Frage. Wie wissen wir, dass dort drüben eine Person ist?
Weil es eine Konvention gibt und die Menschen sich darin einig sein, dass solche Dinge wie Personen existieren. Wir reden nicht von Einhörnern. Es gibt diese Konvention „Personen“ und alle gültig Wahrnehmenden – jene, die Dinge auf gültige Weise sehen und nicht jene mit Astigmatismus, die alles verschwommen sehen – wären sich darin einig, dass es eine Person ist. Es steht auch nicht im Widerspruch zur gültigen Wahrnehmung der tiefsten Wahrheit. Würden wir denken, es sei wahrhaft begründet oder wahrhaft existierend, stände es im Widerspruch zu dem, was ein Arya sieht. Nein, es ist keine wahrhaft existente Person, die von sich aus selbst-begründet ist.
Daher können wir die Existenz von etwas nur durch geistiges Bezeichnen und Benennen begründen, die beide auf Seiten des Geistes geschehen. Daher ist Chittamatra als vorbereitender Schritt außerordentlich hilfreich. Dadurch lernen wir, dass die Erscheinung von etwas nur in Verbindung mit dem Geist begründet werden kann, dem sie erscheint. Im Prasangika wird dann gesagt, dass die Weise, wie etwas existiert und wie wir dessen Existenz erklären können, nur in Verbindung mit dem Geist, insbesondere im Sinne konzeptueller Wahrnehmung, begründet werden kann. Das heißt nicht, dass ein Buddha konzeptuelle Wahrnehmung hat. Die Frage ist nur, wie wir die Tatsache begründen, dass es konventionelle Dinge gibt – weil wir in diesen Kategorien denken und sie sich auf etwas beziehen. Auf dieser Grundlage können wir funktionieren.
Natürlich ist es ziemlich komplex und tiefgründig, doch meiner Meinung nach recht hilfreich, zwischen Zuschreibung, geistigem Bezeichnen und Benennen zu unterscheiden.
Was wäre ein Beispiel für das Benennen?
Beim Benennen geht es darum, ein Wort zuzuweisen, also eine willkürliche Reihe von Lauten, auf die sich eine Gruppe von Menschen konventionell geeinigt hat, dass sie eine bestimmte Bedeutung hat und ein Wort ist. Wenn wir einen Laut als ein Wort mit einer Bedeutung festlegen, benennen wir ihn, wenn wir ihn einer Kategorie zuweisen. Weisen wir ein Wort und eine Bedeutung einer Kategorie wie „Hunde“ zu, können wir alles der Kategorie zuordnen, was zu ihr passt, wie dieses Tier dort drüben. Es ist ein Hund. Wir haben ein Konzept davon, was ein Hund ist, sowie ein Wort, das sich auf ihn bezieht und eine Definition, um ihn als einen Hund wahrzunehmen. Auf die definierende Eigenschaft hat man sich auch einfach konventionell geeinigt.
Was ist Liebe? Was bedeutet es, jemanden zu mögen und was, jemanden zu lieben? Es sind Emotionen. Jemand hat einen Unterschied gemacht zwischen der Definition, jemanden zu mögen und jemanden zu lieben. Wie erkennen wir die Grenze zwischen dem Mögen und dem Lieben dieser Person und ob unser Gefühl diese Grenze überschritten hat? Im Wörterbuch finden wir, was Mögen und was Lieben bedeutet, doch wo ist die Realität dessen? Die definierenden Eigenschaften sind Konventionen; sie befinden sich im Wörterbuch, wir haben uns auf diese Konventionen geeinigt und wir haben uns darauf geeinigt, dass sie sich auf etwas beziehen. Wir können erkennen, welche Emotionen wir empfinden, doch wie wir sie klassifizieren und nennen ist eine Sache von Kategorien und Konventionen.
Dennoch bezieht sich die Kategorie auf etwas. Es ist nicht so, dass wir nichts empfinden. Wir empfinden Liebe oder Hass, doch das ganze Spektrum von Emotionen existiert nicht in Schubladen. Hier ist die Schublade des Hasses, hier die Schublade der Liebe und hier die Schublade des Mögens. Was trügerisch daran ist, sich gedanklich auf Kategorien zu beziehen, ist, dass es scheint, als würden Dinge wahrhaft in Schubladen existieren. Es gibt jedoch nichts Auffindbares auf Seiten der Objekte, welche die Kraft hat, sie den Schubladen zuzuordnen. Obgleich das, was in irgendeine Schublade passt, die konventionelle definierende Eigenschaft hat, die sie für diese Schublade qualifiziert, ist sogar diese definierende Eigenschaft konzeptuell als das benannt, was sie qualifiziert, jedoch auch nur konventionell. Wir sollten jedoch Kategorien, geistiges Bezeichnen und Benennen nicht ablehnen, nur weil sie konzeptuell sind. Sie sind absolut notwendig für uns, damit wir einen Sinn in dem finden können, was wir erfahren, und um miteinander zu kommunizieren.