Lange bevor Übersetzer begannen, tibetisch-buddhistische Texte in westlichen Sprachen wiederzugeben, hatten die Mongolen diese Aufgabe bereits erfolgreich unternommen. Der erste buddhistische Text, der aus dem Tibetischen ins Mongolische übersetzt wurde, war Shantidevas Werk „ Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattva“ (tib. Byang-chub sems-dpa’i spyod-pa-la ‘jug-pa, Skt. Bodhisattvacaryavatara). Die Übersetzung wurde durch den uigurischen Übersetzer Chöki-Ozer (tib. Chos-kyi ‘od-zer) während der Herrschaft des mongolischen Yüan-Kaisers Khaisan Külüg (Chin. Wuzong, Wu-tsung, 1308-1311) erstellt.
Die Mongolen übersetzten den größten Teil des tibetischen Kangyur (tib. bKa’-‘gyur) – die gesammelten Übersetzungen der Worte Buddhas – während der Zeit Altan Khans (1507-1582). Fertig gestellt wurde die Arbeit 1628-1629 unter der Gönnerschaft des letzten großen mongolischen Khans, Ligdan Khan (Herrschaftszeit 1603-1629). Der zweite mandschurische Qing-Kaiser, Kangxi (tib. K’ang-hsi, Herrschaftszeit 1661-1722) finanzierte die leichte redaktionelle Überarbeitung und den Blockdruck des mongolischen Kangyur, die zwischen 1718 und 1720 erfolgten.
Die mongolische Übersetzung des tibetischen Tengyur (tib. bsTan-‘gyur) – der gesammelten Übersetzungen der indischen Abhandlungen – wurde zwischen 1742 und 1749 abgeschlossen. Dies erfolgte unter der Gönnerschaft des vierten mandschurischen Qing-Kaisers Qianlong (tib. Ch’ien-lung, Herrschaftszeit 1735-1796) und unter der Aufsicht seines tibetisierten mongolischen Lehrers aus Amdo, dem drittten Changkya Khutugtu, Rolpay-Dorje (tib. lCang-skya Rol-pa’i rdo-rje, 1717-1786). Später leitete Changkya die Zusammenstellung des mandschurischen Kangyur auf der Grundlage des Chinesischen Tripitakas, die 1772 begonnen und 1790 abgeschlossen wurde.
Als Teil des Übersetzungsprojekts leitete Changkya die Zusammenstellung eines großen tibetisch-mongolischen Lexikons mit dem Titel „Eine lexikalische Ressource für die Gelehrten“ (tib. Dag-yig mkhas-pa’i ‘byung-gnas), das 1741-1742 fertig gestellt wurde. Das Lexikon besteht tatsächlich aus zwei separaten parallelen Wortlisten – die eine auf Tibetisch und die andere auf Mongolisch. So unterscheidet es sich von seinem Vorläufer aus dem frühen neunten Jahrhundert, dem „Großen (Lexikon) für das Verstehen spezifischer (Begriffe)“ (tib. Bye-brag-tu rtogs-pa chen-po, Skt. Mahavyutpatti), das Sanskritbegriffe und ihre tibetischen Entsprechungen – und später auch die chinesischen Entsprechungen – nebeneinanderstellt.
Das tibetisch-mongolische Lexikon hat elf Kapitel, die Fachbegriffe auflisten, die in Texten mit folgenden Themen erscheinen: (1) Prajnaparamita, (2) Madhyamaka, (3) Abhidharma, (4) Vinaya, (5) indische Lehrsysteme, (6) Tantra, (7) Logik, (8) Sanskritgrammatik, (9) Architektur und Handwerk, (10) Medizin und (11) Archaismen und ihre modernen Entsprechungen (tib. brda gsar-rnying) – Änderungen von der alten zur neuen tibetischen Rechtsschreibung oder verbesserte Terminologie.
In seiner Einleitung zum Lexikon gab Changkya Richtlinien bezüglich der guten Eigenschaften, die ein Übersetzer buddhistischer Texte haben muss, und dafür, wie man tibetische Texte übersetzen soll. Diese Richtlinien sind heute, wo die buddhistische Literatur aus dem Tibetischen in westliche Sprachen übersetzt wird, weiterhin relevant.
[Lesen Sie den Originaltext: Vorwort zu "Eine lexikalische Ressource für Gelehrte"]