Der Kalachakra-Vers und sein indischer Kommentar
Vers I.154 des „Gekürzten Kalachakra-Tantra“ (tib. „bsDus-rgyud“, Skt. „Laghu Kalacakra-Tantra“) lautet:
Adam, Noah, Abraham und fünf andere – Moses, Jesus, der Weißgekleidete, Mohammed und Mahdi – mit Tamas sind in der Asura-Naga-Kaste. Der Achte wird der Geblendete sein. Der Siebte wird offensichtlich zur Stadt Bagdad im Lande Mekka kommen, (dem Ort) auf dieser Welt, an dem ein Teil der Asura(-Kaste) die Form der mächtigen, gnadenlosen Mlecchas haben wird.
Einem „Kommentar Schwieriger Punkte ‚Padmani’“ (tib. „Padma-can zhes-bya-ba’i dka’-‘grel“, Skt. „Padmani-nama-panjika“) zufolge heißt es:
Wenn man danach fragt, wer den Dharma der Mlecchas verbreitete, heißt es: „Adam, Noah und Abraham von der Asura(-Kaste) und, von der Naga-Kaste, die fünf anderen mit Tamas: Moses, dieser, und der Weißgekleidete, Mohammed und die Emanation. Dieser Achte wird der Geblendete sein. Der Siebte wird offensichtlich in die Städte Bagdads und so weiter im Lande Mekka kommen.“ Diejenigen mit diesen Namen von Nicht-Buddhisten, und so weiter, werden den Dharma der Asuras verbreiten. Unter diesen ist derjenige, der „der Weißgekleidete“ genannt wird, Mahamayin. Dieser wird den Dharma der Asuras und so weiter in den Städten des Landes von Mekka und so weiter verbreiten. Wenn man fragt, was für eine Art von Land das ist, so heißt es: „[Es ist der Ort] in dieser Welt, an dem die Asura-Kaste die Form der mächtigen, gnadenlosen Mlecchas haben wird.“
Dieser Vers und sein indischer Kommentar enthalten zahlreiche schwierige Punkte. Ich kann nicht behaupten, ich könnte diese Schwierigkeiten lösen. Ich werde hier lediglich den kulturellen und historischen Kontext darstellen und einige Argumente für oder gegen die verschiedenen Interpretationen geben, die man bezüglich der umstrittenen Punkte geben kann.
Die traditionelle buddhistische Sicht ist, dass der Buddha selbst im neunten Jahrhundert v.u.Z. das „Wurzel-Kalachakra-Tantra“ lehrte und dass der Erste Kalki-König von Shambhala sieben Jahrhunderte später das „Gekürzte Kalachakra-Tantra“ zusammenstellte. Nur der letztere Text ist erhalten geblieben. Hier werden wir einer westlichen wissenschaftlichen Analyse folgen, die postuliert, dass das „Gekürzte Kalachakra Tantra“ zwischen dem neunten und zehnten Jahrhundert u.Z. abgefasst wurde, als eine Sammlung aus verschiedenen Textportionen, die möglicherweise in mehreren Gebieten in der Region zwischen dem östlichen Afghanistan und Kaschmir zusammengestellt wurden. Nach dieser Theorie reflektiert die Liste der obengenannten nichtbuddhistischen Lehrer die Weltlage, in der sich die dort ansässigen Buddhisten dieser Periode befanden.
Historische Analyse
Die Bezeichnung für die nichtindischen Eroberer
Der Sanskritbegriff Mleccha (tib. kla-klo), der meist mit „Barbaren“ übersetzt wird, stand ursprünglich für diejenigen, die unverständlich in einer anderen Sprache als Sanskrit sprachen. Der Begriff bezog sich speziell auf die nicht sanskritsprachigen Gruppen, die das nordwestliche Indien eroberten und dann beherrschten. Dies begann etwa ein Jahrtausend nach der arischen Invasion, die dort erstmals die mit dem Sanskrit verwandten Sprachen eingeführt hatte.
Bevor er in den Kalachakra-Texten erschien, wurde der Begriff „Mleccha“ in der frühen hinduistischen Literatur benutzt, um die makedonisch-griechischen Invasoren zu bezeichnen, die im dritten Jahrhundert v.u.Z von Alexander dem Großen. geführt wurden. Die hinduistische Literatur wandte den Begriff auch auf spätere fremde Invasoren an, wie auf die Shaka, die Kushan und die Weissen Hunnen (Hephtaliten).
Vor dem Kalachakra erscheint der Begriff in der buddhistischen Literatur bereits in Nagarjunas „Brief an einen Freund“ (tib. „bShes-pa'i spring-yig“, Skt. „Suhrllekha“), der im zweiten Jahrhundert u.Z. an den König Udayana, einen Shatavahana-Herrscher über das südindischen Andhra, geschrieben wurde. Eine der vier schlechten menschlichen Wiedergeburten, in denen man keine Möglichkeit dazu hat, den Dharma zu studieren oder zu praktizieren, ist eine Wiedergeburt unter den Mleccha, in einem Gebiet jenseits der vier Bergketten, die das zentrale Indien umschließen.
Im Buddhismus ist die Hauptkonnotation des Begriffs also ein nichtindisches Volk, bei dem es keine Gelegenheit dazu gibt, den Buddhismus zu studieren und zu praktizieren. Der hinduistische Gebrauch fügt hinzu, dass solche Menschen Invasoren des nordwestlichen Indiens sein werden.
Obwohl sich nicht leugnen lässt, dass der Begriff auf Sanskrit diese abschätzigen Konnotationen hat, ist die neutralere Übersetzung nichtindischsprachige Invasoren, die zu nichtindische Invasoren gekürzt werden kann, weniger anstößig als „Barbaren“.
Die Liste der Propheten
Einige westliche Gelehrte übersetzen die Prophetenliste der Invasoren mit „Adam, Enoch, Abraham, Moses, Jesus, der Weißgekleidete, Mohammed und Mathani.“ Sinnvoller scheint es, die Liste wiederzugeben als „Adam, Noah, Abraham, Moses, Jesus, Mani, Mohammed und Mahdi“.
Sowohl Enoch als Noah erscheinen in der Liste der fünfundzwanzig Propheten, die im Koran erwähnt wird. Enoch war der Erfinder der Schrift und lehrte Wissenschaften wie z.B. Astrologie. Außerdem ist „Das erste Buch des Enoch“ unter den „Pseudoepigraphien des Alten Testaments“ eine der frühesten Quellen für die Prophetie einer Apokalypse. Ein Argument dafür, dass man die Textstelle als Hinweis auf Enoch liest, ist, dass das Kalachakra ebenfalls eine apokalyptische Schlacht voraussagt und dass die Invasoren, gegen die sie geführt werden wird, ebenfalls Kenntnisse in Astronomie und Astrologie haben werden.
Der arabische Name für Enoch ist allerdings „Idris,“ während der arabischer Name Noahs „Nuh“ ist (Aussprache:„Nuch“). Wenn man diesem das arabische hinweisende Partikel „al,“ das normalerweise als Präfix vor Eigennamen steht, hinzufügt und hierdurch „an-Nuh“ entsteht, so ähnelt dies stark „Anogha,“ der Sanskrit-Wiedergabe des Namen dieses Propheten. Daher erscheint es linguistisch plausibler, dass es sich beim zweiten Propheten in der Kalachakra-Liste um Noah handelt.
„Isha“ (tib. dBang-po), „der machtvolle Herr“, ist im Sanskrit die Lautumschrift von „Issa“, der arabischen Form von Jesus. Interessanterweise ist „Isha“ auf Sanskrit auch eine gekürzte Form von „Ishvara“, ein alternativer Name für Shiva, der einer der hinduistischen Hauptgötter ist.
„Shvetavastri“ (tib. Gos-gar-can), „der Weißgekleidete“, ist im Sanskrit die Lautumschrift einer verbreiteten Bezeichnung für Mani, der im dritten Jahrhundert u.Z. die manichäische Religion gründete, die im Irak, im Iran und in Zentralasien praktiziert wurde. Das Argument, dass die Kalachakra-Beschreibung des Glaubens und der Praktiken der Invasoren keine Elemente des Manichäismus enthält, genügt nicht, um zu beweisen, dass sich „der Weißgekleidete“ nicht auf Mani beziehen kann. Mani könnte aus historischen Gründen, die wir weiter unten besprechen werden, in dieser Liste enthalten sein.
„Madhumati“ (tib. sBrang-rtsi'i blo-gros), „Der mit dem Honig-Geist,“ ist im Sanskrit die phonetische Wiedergabe von Mohammed. Sie erscheint auch in der hinduistischen Literatur, wie etwa in der „Pratisarga Parvana“-Richtung des „Bhavishya Purana“, die Madhumati (Mohammed) als einen Lehrer der Mlecchas erwähnt.
„Mathani“ (tib. ‘Joms-byed), „der Zerstörer,“ ist im Sanskrit die Lautumschrift von Mahdi, dem islamischen Messias. Die Wahl von Sanskritnamen hat vermutlich auch eine zweite Bedeutung.
Die früheste Quelle der Lehren des Kalachakra ist „Ein Konzert der Namen Manjushris“ („Lobpreisung der Namen Manjushris“) (tib. „‘Jam-dpal mtshan-brjod“, Skt. „Manjushri-nama-samgiti“), in dem Manjushri, die Verkörperung des tiefen Gewahrseins (tib. ye-shes, Skt. jnana, Weisheit) aller Buddhas, mit der Buddha-Gestalt des Kalachakra gleichgesetzt wird. Die spätestmögliche Datierung dieses Textes führt in die Mitte des achten Jahrhunderts, da sowohl sein erster Sanskritkommentar, der von Manjushrimitra verfasst wurde, wie auch seine erste tibetische Übersetzung vom Ende jenes Jahrhunderts stammen.
Der Text preist Manjushri als den „Erhalter der Linie der Emanationen Buddhas, der vielfältige Emanationen aussendet, um so den verschiedenen Wesen zu nützen“. Unter den Emanationen, die dann aufgezählt werden, befindet sich Pramatha (tib. ‘Joms-byed), „der Zerstörer“. Wie es die tibetische Übersetzung belegt, leiten sich „Pramatha“ und „Mathani“ von derselben Sanskritwurzel math, „zerstören“, ab. „Pramatha“ ist der Sanskritname des Herrschers der Asuras, der eifersüchtigen „Anti-Götter.” Die Gleichsetzung der Invasoren samt ihrer Lehren mit den Asuras, die in dem Vers aus dem „Gekürzten Kalachakra Tantra“ vorgenommen wird, wird weiter unten besprochen werden.
Ein anderer Name für Pramatha ist „Vemacitra“ („Leuchtender Webstuhl“), dessen mögliche Variante „Vimacitta“ („der auf Zerstörung Gesinnte“) sinnvoller erscheint. In der Prophetie des Kalachakra wird sich Krinmati, der König von Delhi, selbst zum Mahdi erklären. „Krinmati“ bedeutet auf Sanskrit ebenfalls „der auf Zerstörung Sinnende“.
Die Hauptschulen des Islams
Es gibt zwei islamische Hauptschulen: die der Sunniten und die der Schiiten. Sie spalteten sich nach Mohammeds Tod im Jahr 632 voneinander ab. Anlass war die Frage der Nachfolge der Imame (der politischen Führer der Muslime).
- Die Sunniten folgen der Erblinie von Mohammeds Schwager, Muawija, der im Jahr 661 das Kalifat der Omaijaden gründete. Das Omaijadische Reich schloss den Iran mit ein.
- Die Schiiten folgen der Erblinie von Mohammeds Schwiegersohn Ali, dessen Sohn Husain im Jahr 670 zum Märtyrer wurde, als er versuchte, die Omaijaden zu stürzen. Die Schiiten sehen die Linie der Imame nicht nur als politische Führer der Muslime, sondern auch als die religiöse Autorität an.
Obwohl islamische Schulen formell erst im elften Jahrhundert u.Z. entstanden, spalteten sich diese beiden rivalisierenden Gruppen bereits in der frühen Omaijadenzeit voneinander ab. Der Einfachheit halber werden wir in unserer Diskussion die Namen Sunniten und Schiiten in anachronistischer Weise benutzen, um uns auf diese beiden Gruppen zu beziehen. Die meisten Araber folgten schließlich dem sunnitischen Islam, während die meisten Iraner dem schiitischen Islam folgten und der Herrschaft der sunnitischen Araber feindlich gegenüberstanden.
Mit der Hilfe der iranischen und zentralasiatischen Schiiten – die von Abu Muslim geführt wurden – stürzten die arabischen Abbasiden im Jahr 750 u.Z. die arabischen Omaijaden. Obwohl die neuen Abbasidenherrscher vorerst den schiitischen Islam unterstützten, gaben sie ihn sehr schnell auf, ließen Abu Muslim ermorden, und kehrten zum sunnitischen Glauben zurück. Die arabischen Abbasiden nährten weiterhin ein tiefes Misstrauen gegenüber den iranischen und zentralasiatischen Schiiten, von denen viele den zum Märtyrer gewordenen Abu Muslim zum Mahdi erklärten, und die nun kämpften, um die sunnitisch-arabische Herrschaft zu stürzen.
Im Jahr 762 u.Z. erbauten die Abbasiden Bagdad als ihre neue Hauptstadt. Sie engagierten indische Architekten und Ingenieure, um die Stadt zu entwerfen. „Bagdad“ ist tatsächlich ein Sanskritname, „Bhaga + dada“, was „Geschenk Gottes“ bedeutet. Daher ist es nicht überraschend, dass Bagdad im Tantra erwähnt wird: Die Stadt muss unter den gebildeten indischen Klassen wohlbekannt gewesen sein. Ferner weist die Erwähnung Bagdads darauf hin, dass, wenn von den nichtindischen Invasoren gesprochen wird Gruppen gemeint sein müssen, die nach 762 existierten. Demzufolge sind die ersten Gruppen, die in Betracht gezogen werden könnten, die Sunniten und die Hauptströmung der Schiiten dieser Periode.
Die Liste der Propheten entspricht weder den Anschauungen der Sunniten noch denen der schiitischen Hauptströmung
Sowohl die Sunniten als auch die schiitische Hauptströmung (die später als Ithna Ashari oder „Zwölfer“-Schia bekannt wurde) erkennen die Liste der fünfundzwanzig Propheten an, die man im Koran findet. Beide erkennen ebenfalls an, dass Mohammed der letzte Prophet ist. Obwohl die Sunniten Mahdi als einen Messias und Imam ansehen, der die Reinheit des Islams wiederherstellen wird, hoben sie ihn nicht besonders hervor. Die Schiiten dagegen betonen die Rolle des Mahdi stark und sagen, dass er die Ungerechtigkeit, durch die Husain zum Märtyrer wurde, rächen wird. Weder die Sunniten noch die Hauptströmung der Schiiten behaupten allerdings, dass Mahdi ein Prophet sei.
Geht man also von der Prophetenliste aus, die im Kalachakra-Text erwähnt wird, bezieht sich „nichtindische Invasoren“ weder auf die sunnitischen Abbasiden noch auf die Hauptströmung der Schiiten, die in Opposition zu ihnen stand.
Ein Gegenargument zu dieser Hypothese könnte auf der Grundlage eines Zitates aus dem Kommentar „Das Makellose Licht“ (tib. „Dri-med ‘od“, Skt. „Vimalaprabha“) zum „Gekürzten Kalachakra-Tantra“ vorgebracht werden. Nach Aussage der Tradition wurden beide Texte in Shambhala zusammengestellt: das Tantra vom Ersten Kalki (tib. Rigs-ldan)-Herrscher Manjushri-Yashas (tib. ‘Jam-dpal grags-pa) und der Kommentar von seinem Sohn, dem zweiten Kalki-Herrscher Pundarika (tib. Padma dkar-po).
Der Kommentar spricht von Mohammed als „einem Lehrer des Dharma der nichtindischen Invasoren, einem Guru und Meister der nichtindischen, tadschikischen Invasoren.“ Das Sanskrit Tayi („Tadschike“) ist eine Lautumschrift von „Tazi“, dem persischen Wort für die Araber. Die Chinesen gaben dasselbe persische Wort phonetisch als „Daxi“ (ta-shih) wieder, erklärten es als verwandt mit den aramäischen und persischen Wörtern für „Händler“ und benutzten es auch für die Araber. So könnte man, indem man sich auf den Begriff Tayi beruft, argumentieren, dass die nichtindischen Invasoren Araber seien, speziell abbasidische, sunnitische Araber.
Allerdings beweist die Tatsache, dass in der Kalachakra-Literatur der Begriff Tayi für die nichtindischen Invasoren auftaucht, nicht notwendigerweise, dass es sich bei den Invasoren um die arabischen, sunnitischen Abbasiden handelt, geschweige denn um Araber. Es kann auch ein Hinweis darauf sein, dass die Invasoren aus einem iranischen Kulturgebiet oder einem anderen nicht-arabischen Kulturgebiet stammen werden, in dem die arabischen Abbasiden herrschten. Die Tibeter beispielsweise übersetzten „Tayi“ als „stag-gzig“ (Aussprache: „Tazig“), was zweifelsohne eine Ableitung des Mittelpersischen Begriffs „Tazig“ oder des parthischen „tazhig“ ist. Dies deutet darauf hin, dass die Tibeter den Begrif Tazig bereits kannten, bevor sie ihm in der Kalachakra-Literatur als „Tayi“ begegneten. Dies liegt daran, dass die Tibeter auch die ursprüngliche Heimat ihrer einheimischen Bön-Religion, das iranische Kulturgebiet in Zentralasien (Tadschikistan) im Westen von Zhang-Zhung (Westtibet), als „sTag-gzig“ bezeichnen. Man beachte, dass die heutigen Tadschiken eine iranische Sprache sprechen und sind nicht mit den Arabern verwandt sind.
Alternativ hierzu könnte der Begriff Tayi ebenfalls darauf hinweisen, dass die Verfasser der Kalachakra-Literatur die ethnischen Hintergründe der verschiedenen religiösen Gruppierungen ihrer Epochen nicht klar differenzierten. Dieser Schluss wird durch die Tatsache gestützt, dass die tibetischen Kommentatoren des „Gekürzten Kalachakra Tantra“, wie Butön (tib. Bu-ston Rin-chen grub, 1290 – 1364) im vierzehnten und Kedrubje (tib. mKhas-grub rJe) im fünfzehnten Jahrhundert u.Z. in ihren Kommentaren zu den Kalachakra-Texten „Tayi“ mit „Sog-po“ und „das Land von Mekka“ mit „Sog-tul“ (das Land der „Sog-po“) wiedergaben.
Obwohl während der Zeit Butons die mongolischen Herrscher der Mongolei und Chinas dem tibetischen Buddhismus folgten hatten sich zahlreiche mongolischen Herrscher anderer Teile der mongolischen Welt bereits zum Islam bekehrt. Die Kipchik-Khane im heutigen Kazakhstan und in Zentralrussland nahmen den islamischen Glauben im Jahr 1260 u.Z. an, die IlKhane im Iran um 1300 u.Z. und die westlichen Chagatai Khane im heutigen Usbekistan und Afghanistan im Jahr 1321 u.Z. Zur Zeit von Kedrubje beherrschten die Mongolen, die dem tibetischen Buddhismus folgten bereits nicht mehr China; trotzdem hatten die Tibeter in der Periode dieser beiden Kalachakra-Kommentatoren hauptsächlich Kontakte zu buddhistischen Mongolen, und nicht zu muslimischen.
Zur Zeit dieser beiden tibetischen Kommentatoren bezog sich „Sog-po“ hauptsächlich auf verschiedene mongolische Gruppen. Die Mongolen wurden allerdings erst am Anfang des dreizehnten Jahrhunderts zu einer größeren zentralasiatischen Macht. Der Verweis im Kalachakra, der diesem Ereignis um einige Jahrhunderte vorausgeht, konnte sich also nicht auf die Mongolen beziehen.
In einigen Texten, die nicht zum Kalachakra gehören bezieht sich der Begriff Sog-po verbunden mit sTag-gzig auf die sunnitischen Araber – allerdings nicht notwendigerweise auf die sunnitischen Araber der abbasidischen Periode. Ein Beispiel: im seiner „Geschichte des Buddhismus in Indien“ (tib. rGya-gar chos-‘byung) nennt der tibetische Historiker Taranatha aus dem frühen 17. Jahrundert u.Z. Hajjaj bin-Yusuf Sakafi, der im frühen 8. Jahrhundert u.Z. Gouverneur der östlichsten Provinzen des Ummayaden-Kalifats war „sTag-gzig Sog-po Ha-la-lu, ein Anhänger der Mleccha-Religion.“ Hajjajas Herrschaftsbereich umfasste ursprünglich den Osten des heutigen Irans, Baluchistan (Makran) und das suedliche Afghanistan. Doc him Jahr 717 u.Z. erweiterte sein Neffe und Schwiegersohn General Muhammed bin-Qasim diesen Herrschaftsbereich um sind Sindh und Saurashtra. Taranatha erwähnt Hajjajs Herrschaftszeit als die Periode, in der die zum ersten Mal Indien erreichten. Die Umayyaden waren sunnitische Araber. Doch es zeigt sich, dass Taranatha historische Ereignisse verwechselt: er schreibt auch, Halalu stamme aus der Stadt Ba-ga-da (Baghdad) im Land von Mol-ta-na (Multan) im heutigen nördlichen Sindh, in Pakistan. Allerdings wurde Baghdad erst 762 u.Z. von den Abbasiden erbaut, also nach dem Sturz des Kalifats der Umayyaden Caliphate. Wir können uns an den Kalachakra-Vers erinnern, der die Mleccha-Propheten auflistet und besagt, dass Muhammad aus Baghdad im Land von Mekka stammt.
Historisch gesehen haben die Tibeter den Namen Sog-po, der sich von „Sogdien“ ableitet (dem heutigen Usbekistan), auf alle Zentralasiaten angewandt, nicht bloß auf die Mongolen oder auf die sunnitischen Araber. Im 8. und in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts u.Z. kämpften eine Reihe von arabischen, chinesischen, türkischen und tibetischen Dynastien wiederholt gegeneinander, um die Kontrolle über Sogdien und angrenzende Gebiete in Zentralasien zu gewinnen. Der Name Sog-po bezog sich nicht notwendigerweise nur auf die sunnitischen Araber selbst; er könnte auch Sogdianer und andere Zentralasiaten, die in ihre Armee eingezogen worden waren, miteingeschlossen haben. Obwohl zahlreiche Sogdianer während der Abbasidenperiode zum Islam konvertierten, behielten auch viele ihre vorherige, manichäische oder. buddhistische, Religion bei. So könnte der Begriff Sog-po, wie im Fall von „Tayi“, entweder das zentralasiatische Kulturgebiet bezeichnen oder eine unpräzise Unterscheidung ethnischer und religiöser Gruppen sein.
Zum Beispiel: an einer fruehren Textstellte des oben zitierten Werkes spricht Taranatha auch ueber die „sTag-gzig Sog-po“ und ihre Mleccha-Religion im Gebiet von Multan (tib. Maultan, Skt. Maulasthana). Doch in diesem Fall bezieht er sich nicht auf die sunnitischen Araber in der Nähe von Multan, sondern vielmehr auf die Weissen Hunnen. Der betreffende Textabschnitt handelt vom Gupta-Kaiser Harsha, einem grossen Förderer des Buddhismus, der das Gebiet der Weissen Hunner eroberte. Harsha regierte von 606 bis 647 u.Z. – daher kann es sich bei der von Taranatha bezeichneten Mleccha-Religion nicht um den Islam handeln. Die buddhistischen Klöster im Gebiet um Multan waren 515 u.Z. vom weisshunnischen Herrscher Mihirakula zerstört worden, und die Hephthaliten hatten die Region weiterbeherrscht, bis sie von Harsha erobert wurde. Obwohl die meisten Herrscher der Hephthaliten den Buddhismus förderten war Mihirakula ein Anti-Buddhist, dessen Angriffe auf die Klöster angeblich von Ministern angeregt wurden, die dem Manichäismus und dem nestorianischen Christentum anhingen. Es ist unklar, welche Politik die Hepthaliten-Herrscher nach Mihirakula dem Buddhismus gegenueber praktizierten, doch wir können annehmen, dass es sich bei der Mleccha-Religion die Taranatha erwähnt am wahrscheinlichsten um den Manichäismus handelt, eine der Hauptreligionen der Sogdianer.
Der Mangel an Präzision der Begriffe zeigt sich auch daran, dass Taranatha im selben Text auch den Namen Tu-ru-shka, der eigentlich „Tuerken“ bedeutet, mit der selben Bedeutung wie „sTag-gzig.“ Gebraucht. Er tut dies allerdings in Bezug auf die Zertörung der in Indien gelegenen Klöster von Odantapuri durch die ghuridischen Tuerken im Jahr 1200 u.Z. Das Sanskritwort Turushka, dass in der tibetischen Transliteration benutzt wird, wurde traditionell auf die verschiedenen fruehreren Turkvölker angewandt, wie etwa auf die Kushan, auf die Weissen Hunnen und auf die Turki Shahis. Doch Taranatha, erwähnte noch nicht einmal die Invasion Indiens durch die ghaznavidischen Tuerken im fruehen elften Jahrhundert u.Z. – ein Zeitpunkt, der näher am Erscheinen der Kalachakra-Lehren in Indien liegt – geschweige denn, dass er die Ghaznaviden als „Tu-ru-shka” bezeichnet. Folglich stellt Taranathas Benutzung der Namen ethnischer Gruppen in seier Geschichte keinen Ausgangspunkt dar, auf dessen Grundlage man gueltig folgener könnte, dass die in der Kalachakra-Literatur erwähnten Tayi die tuerkischen Ghaznaviden sind.
Taranathas Mangel an Präzision beim Gebrauch der Namen von verschiedenen ethnischen Gruppen und seine mangelnde Kenntnis fremder Religionen zeigt sich sogar noch deutlicher in seiner Beschreibung der Gruendung der Mleccha-Religion, mit der er in diesem Fall den Islam meint. Er berichtet, dass der Gruender urspruenglich ein buddhistischer Mönch Namens Kumarasena aus der Sautrantika-Schule war, der seine Geluebde aufgab und sich dazu entschied, eine Religion zu gruenden, die mit dem Buddhismus rivalisieren wuerde. Er nahm den Namen Ma-aa-thar (Muhammad?) an und verfasste die Schriften der Mleccha. Dann verbarg er diese Schriften an einem Ort namens Bi-sli-mli (Bismillah?). Sie wurden dann von Bai-kham-pa (?) gefunden, der ihre Bedeutung zusammen mit Mamathar studierte und zu einem Weisen der Mlecchas wurde. Bai-kham-pa begab sich dann in die Stadt Ma-kha (Mecca). Aufgrund seiner dortigen Lehrtätigkeit enstanden die königlichen Dynastien von Sai-da (der Abbasiden?) und der Tu-ru-shka arose. Bai-kham-pa wurde dann unter dem Namen Ar-dho (Adam) bekannt.
Kurz, die allgemeinen Begriffe Mleccha, Tayi, Sog-po und Tu-ru-shka sind zu vage, um endgueltig zu klären, wer die nichtindischen Invasoren sind, von denen die Kalachakra-Texte sagen, dass sie Mohammed als einen ihrer Lehrer hatten. Die Hinweise in der Prophetenliste, umreissen die Gruppe der Invasoren in einer präziseren Weise und sind daher zuverlässiger bei ihrer Identifizierung.
Frühabbasidische schiitische Schulen
765 u.Z. spaltete sich innerhalb der Schia-Richtung des Islams eine Gruppe ab, die die ismaelitische Sekte gründete. Die Ismaeliten behaupteten, dass der siebte Imam, Ismail, der im Jahr 762 u.Z. im Kindesalter verschwand, in der Zukunft als Mahdi wiederkehren würde. Folglich spielte die Zahl sieben für die Ismaeliten eine grosse Rolle. Ihre Prophetenliste hat sieben Mitglieder: Adam, Noah, Abraham, Moses, Jesus, Mohammed und Mahdi. Sieht man vom fehlenden Mani ab, dann ist diese Liste mit der Prophetenliste der Invasoren im Kalachakra identisch. Die Abbasiden verpönten die Ismaeliten als Häretiker und verfolgten sie.
Eine andere Untergruppe, die in dieser Periode im schiitischen Islams entstand, war der Manichäische Islam, der die Lehren Manis mit denen des schiitischen Islams verband. Er hatte im späten 8. Jahrhundert u.Z. zahlreiche Anhänger unter den iranischen Intellektuellen am abbasidischen Hof. Er sprach diese Intellektuellen an, da er philosophische Lehren bot, die weiter und tiefer gingen als die, die man zu dieser Zeit im sunnitischen Islam fand.
Da sunnitischen Abbasiden-Herrscher das manichäische Gedankengut als eine Bedrohung ihrer Autorität ansahen, wurde auch die manichäische Schia von ihnen als eine Häresie gebrandmarkt. Sie verfolgten nicht nur ihre Anhänger sondern auch die Anhänger der Hauptströmung des Manichäismus. Im Kontrast dazu waren die Abbasiden allen anderen religiösen Gruppen in ihrem Herrschaftsbereich – den nestorianische Christen, Juden, Anhängern des Zarathustra, Buddhisten und Hindus- gleichermaßen tolerant gegenüber, solange sie eine Kopfsteuer zahlten.
Ein zusätzlicher Faktor, der zur Intoleranz der Abbasiden gegen die manichäischen Schiiten und die Manichäer beigetragen haben mag, könnte eine Verbindung sein, die sie zwischen ihnen und bestimmten Rebellengruppen vermuteten. Im Iran und in Zentralasien kämpften zwei Hauptgruppen von Dissidenten gegen die Abbasiden – die iranischen Schiiten (wie die Anhänger des zum Märtyrer gewordenen Abu Muslim) und Turkstämme (wie die Orkhon-Türken). Beide Gruppen trugen weiße Gewänder, um ihre Opposition gegen die schwarz tragenden Abbasiden zu demonstrieren. Die Manichäer trugen ebenfalls weiße Roben. So könnten die manichäisch-schiitischen Muslime mit den Dissidenten gleichgesetzt und als eine gefährliche, nicht nur intellektuelle, sondern auch politische Bedrohung angesehen worden sein. Dies könnte einfach wegen ihrer Verbindung zu den Manichäern geschehen sein, ungeachtet der Farbe der Kleider, die die manichäischen Schiiten selbst trugen.
Der Zusammenhang mit der Zerstörung der jainistischen Tempel und der buddhistischen Klöster in Valabhi
Zu Beginn der 780er Jahre u.Z. attackierten und zerstörten die abbasidischen Generäle, die über Sindh (südliches Pakistan) herrschten, die jainisitschen Tempel und die buddhistischen Klöster in Valabhi in der Region Saurashtra (südliches Gujarat, Indien). Dies geschah während der Feldzüge, durch die sie die Häfen von Saurashtra unter ihre Kontrolle bringen wollten, wie sie es zuvor mit den Häfen an der Indus-Mündung in Sindh getan hatten. Ihr Hauptziel war es, den hier verlaufenden Seehandel mit Byzanz und Europa unter ihre Kontrolle zu bringen und mit Steuern zu belegen.
Valabhi war das geistige Zentrum der Shvetambara (Weißgekleideten)-Schule der Jainas. Die Abbasiden verwechselten vermutlich die weißgekleideten Jainas mit den weißgekleideten Dissidenten sowie mit den Manichäern und den manichäischen Schiiten. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass sich die abbasidischen Generäle sonderlich darum bemühten, die religiösen Unterschiede zwischen diesen Gruppen zu erforschen.
So waren in Valabhi vermutlich die Weißgekleideten Jainas, und nicht die Buddhisten, das Hauptangriffsziel. Diese Folgerung wird von der Tatsache gestützt, dass die Abbasiden die buddhistischen Klöster in Sindh, von wo sie ihren Angriff entfesselten, unbehelligt ließen. Sie zogen es vor, die Klöster hier stattdessen mit schweren Steuern zu belegen. Noch mehrere Jahrhunderte nach der Zerstörung von Valabhi waren in Sindh weiterhin buddhistische Klöster unter abbasidischer Herrschaft in Betrieb.
Allerdings kann es sich bei keiner der obengenanten weißgekleideten Gruppen – den Abu-Muslimen, den orkhon-türkischen Rebellen, den Manichäern oder den Jainas – um die nichtindischen Invasoren handeln, die im Kalachakra vorausgesagt werden. Die Rebellenführer der Abu-Muslime begründeten die Musalemiyya-Schule des Islams, deren Sitten das täglich fünfmalige Beten in Richtung Mekka nicht beinhaltete. „Das Gekürzte Kalachakra-Tantra“ präzisiert, dass ein solches Beten eine Charakteristik des Dharma der Invasoren ist. Die religiösen Praktiken der orkhon-türkischen Rebellen sind unklar, doch handelte es sich nicht um Muslime. Die ersten Turkstämme, die offiziell den islamischen Glauben annahmen, waren in den späten 930er Jahren u.Z. die Westlichen Qarakhaniden von Kaschgar. Die manichäischen und jainistischen Anschauungen entsprechen ebensowenig den spezifischen Parametern, die im Text erwähnt werden.
Obwohl auch das „Makellose Licht“ die nichtindischen Invasoren an mehreren Stellen als „die, die Weiß tragen“ (tib. kla-klo gos-dkar-can, Skt. mleccha svetavastri) bezeichnet, impliziert dieser Beiname keine logische Durchdringung. Nicht alle Invasoren trugen zwangsläufig Weiß, und nicht all diejenigen, die Weiß trugen, waren notwendigerweise Invasoren.
Als Kommentar zu einem Passus im „Gekürzten Kalachakra Tantra“, in dem von „denen, die Rot tragen und denen, die Weiß tragen“ gesprochen wird, erklärt das „Makellose Licht“:
Die Buddhisten tragen Rot und die nichtindischen Invasoren tragen Weiß. [Dies gilt in Bezug auf] die Asketen. Bei in Familien lebenden Laien [beider Gruppen] besteht keine Sicherheit [in Bezug auf die Farbe der Kleider, die sie tragen].
Die nichtindischen Invasoren werden dadurch, dass sie Mohammed und Mahdi als Propheten anerkennen, als eine islamische Schule ausgewiesen. Muslimische Pilger aller Schulen tragen während dem Hadsch in Mekka Weiß. Daher tragen die invasorischen Pilger (Asketen) Weiß während dem Hadsch, aber nicht all diejenigen, die beim Hadsch Weiß tragen, sind invasorische Pilger. Folglich ist die Aussage, dass die Laien unter den Invasoren nicht notwendigerweise Weiß tragen, ein weiterers Argument gegen die Anahme, die weißgekleideten Gruppen von aus Laien bestehenden Abu Muslim-Rebellen seien die nichtindische Invasoren.
Untersuchen wir den Fall der manichäischen Schiiten und der Ismaeliten weiter.
Buddhistische Gelehrte aus Afghanistan und Indien in Bagdad im Dienste der Abbasiden
Der abbasidische Herrscher, der den Angriff gegen Valabhi anordnete, war der Kalif al-Mahdi (Herrschaftszeit 775-785 u.Z.). Obwohl der Kalif denselben Namen trug wie der letzte Prophet in der Kalachakra-Liste, erklärte er sich nie zu einem Propheten oder zum islamischen Messias. Sein Vater, der Kalif al-Mansur, hatte ihm diesen Namen gegeben, um in einer Konkurrenzsituation mit einem anderen politischen Führer in Mekka, der seinen Sohn ebenfalls al-Mahdi genannt hatte, die Araber, leichter auf seine Seite zu ziehen.
Der Kalif al-Mahdi lud aus Indien und aus dem riesigen Nava Vihara-Kloster im afghanischen Balkh buddhistische Gelehrte nach Bagdad ein, um im neu erbauten Haus des Wissens an der Übersetzung von Texten ins Arabische zu arbeiten – ein weiterer Beleg dafür, dass er dem Buddhismus gegenüber keinesfalls intolerant war. Diese Gelehrten arbeiteten dort vom späten achten bis ins frühe neunte Jahrhundert u.Z. Die buddhistischen Gelehrten wussten vermutlich von den manichäischen Schiiten und von dem abbasidischen Vorurteil, dem zufolge diese gefährlich für die Gesellschaft seien.
Nachdem sie von den Abbasiden verfolgt wurden, wandten sich zahlreiche Anhänger der manichäischen Schia dem ismaelitisch-schiitischen Islams zu, der ein ausdauernderer Gegner der arabisch-abbasidischen Herrschaft war.
Obwohl ich über die Prophetenliste der manichäischen Schiiten keinerlei Aufzeichnungen gefunden habe, lässt die Tatsache, dass Mani in die ismaelitische Prophetenlisten aufgenommen wurde, mehrere Schlüsse zu:
- Die manichäischen Schiiten hatten ursprünglich dieselbe Prophetenliste wie die Ismaeliten, mit Ausnahme der Hinzufügung von Mani.
- Nachdem sie sich mit den Ismaeliten verbunden hatten, nahmen die Manichäischen Schiiten die ismaelitische Liste an, bewahrten aber ihre Identität, indem sie dieser Mani beifügten.
- Im Übereinstimmung mit der ismaelitischen Konvertierungssitte, die als Zwischenschritte Adhäsion und Synkretismus zuließ, erlaubten die Ismaeliten anfänglich den Manichäern und den manichäischen Schiiten, die konvertiert waren, Mani der ismaelitischen Liste von sieben Propheten beizufügen. Die Adhäsion ist das Zusammenbringen von Elementen aus zwei Glaubenssystemen, ohne eines der beiden zu verändern, während Synkretismus die Mischung von zwei Systemen zu einer neuen Synthese darstellt. Dies wäre eine Vorwegnahme der Taktik gewesen, die die Ismaeliten später bei der Konvertierung der Hindus anwandten. Hierbei wurde Ali, nach der Schia und den Ismaeliten der erste Imam, mit Kalki, dem zehnten Avatar des Vishnu, gleichgesetzt.
- Als sie sich mit den Ismaeliten verbanden, bekamen sie und andere manichäiasche Konvertiten die Erlaubnis, Mani zur Standardliste der sieben Propheten hinzuzufügen. Das entsprach der ismaelitischen Bekehrungspolitik, die die Adhäsion als ersten Schritt erlaubte (d.h. die Zusammenfügung von Elementen zweier Systeme ohne diese dabei zu verändern).
In jedem Fall schlossen die orthodoxen Ismaeliten selbst nie Mani in ihre Prophetenliste mit ein. Einen achten Propheten miteinzubeziehen hätte gegen ihre Betonung der „sieben“ als heiliger Zahl verstoßen.
Hieraus können zwei Schlüsse gezogen werden:
- Die nichtindischen Invasoren könnten die Nachkommen der manichäischen und der manichäisch-schiitischen Konvertiten innerhalb der ismaelitischen Gemeinschaft sein. Wenn man betrachtet, dass diese Minderheit nie politische oder militärische Macht gewann, ist dieser Schluss aber höchst unwahrscheinlich.
- Die afghanischen und indischen Buddhisten hatten keine anhaltenden Kontakte zu den Ismaeliten, nachdem sie ihre Übersetzungstätigkeit in Bagdad eingestellt hatten. Folglich verschmolz ihr Bild der manichäischen Schia mit dem der ismaelitischen Schia. Diese Folgerung ist die wahrscheinlichere, insbesondere angesichts (1) der Einführung der ismaelitischen Schia in Multan (nördlicher Sindh, Pakistan) im dritten Viertel des zehnten Jahrhunderts, (2) der manichäischen Präsenz in dem Gebiet, besonders in den gebirgigen nördlichen Regionen und (3) der ismaelitischen Konvertierungspolitik der Adhäsion.
Der zweite Schluss erscheint als wahrscheinlicher, insbesondere im Lichte folgender Tatsachen:
- der Herrscher von Multan (nördlicher Sindh, Pakistan) bekehrte sich 959 u.Z. zur ismaelitischen Schia,
- die Anwesenheit von Manichärn in diesem Gebiet, besonders in den nördlichen Bergregionen,
- die ismaelitische Konversionspolitik der Adhäsion.
Zwei Abschnitte in Taranathas „Geschichte des Buddhismus in Indien“ die oben zitiert wurden verleihen dieser Hypothese, wonach es sich bei der Prophetenliste im Kalachakra um eine irrtümliche Vermischung der ismaelitischen Shia mit dem Manichäismus handelt, noch grösseres Gewicht. Im Kontext der Gründung des Islams schreibt Taranatha, dass sich Baghdad im Land von Multan befindet; im Zusammenhang mit Kaiser Harshas Sieg über die Weissen Hunnen, die am wahrscheinlichsten Manichär waren, schreibt er, dass sie ebenfalls im Multan-Gebiet lebten.
Kontakte mit dem nestorianischen Christentum
Die Form des Christentums, die im abbasidischen Reich, von Syrien bis Zentralasien, am weitesten verbreitet war, war der nestorianische Zweig der Syrischen Orthodoxen Kirche, die im frühen 5. Jahrhundert u.Z. von Nestorius, dem Patriarchen von Konstantinopel, begründet wurde. Sie lehrte, dass Jesus mit einer menschlichen Natur geboren wurde und dass seine göttliche Natur später in ihn eintrat. Vom Konzil von Chalcedon wurde das nestorianische Christentum im Jahr 431 u.Z. zur Häresie erklärt. Es war diese Form des Christentums, die Mohammed bekannt war. Folglich ging auch der Islam davon aus, dass Jesus ein menschlicher Prophet sei und weiterhin, dass seine Lehren Vorläufer von denen gewesen seien, die von Mohammed offenbart wurden.
Im Jahr 726 u.Z., während der Periode der Omaijaden, schrieb der nestorianische Theologe Johannes von Damaskus, dass Mohammed ein Vorbote des Antichristen sei. Die nestorianische Position – und demzufolge auch die muslimische Reaktion hierauf – änderte sich allerdings während der Periode der Abbasiden, während der der Buddhismus vermutlich mit diesen beiden Religionen in Kontakt kam. In den frühen 780er u.Z. Jahren lud der Kalif al-Mahdi den nestorianischen Patriarchen Timotheus I nach Bagdad ein, um die Lehrunterschiede zwischen dem Christentum und dem Islam zu besprechen. Der Dialog verlief in höflicher und freundlicher Form, wobei beide Seiten sowohl Jesus als Mohammed lobten.
In derselben Weise, in der sie Zeugen der gegen die manichäische Schia gerichteten Einstellung der Abbasiden wurden, wurden die buddhistischen Gelehrten ebenfalls Zeugen der freundlichen Haltung der Abbasiden gegenüber dem nestorianischen Christentum. Ob sie diese Haltungen übernahmen oder nicht, ist schwierig zu sagen. Allerdings ist die Tatsache, dass der Nestorianismus keinerlei Erwähnung von Mohammed oder Mahdi als Propheten enthält, ein weiterer Punkt, der ausschließt, dass die Christen die nichtindischen Invasoren sein könnten, vor denen in den Kalachakra-Lehren gewarnt wird.
Auseinandersetzungen der Abbasiden mit den afghanischen Buddhisten
Während der nächsten zwei Jahrhunderte wurden die buddhistischen Klöster in Afghanistan nur zweimal von Invasoren beschädigt. Beide Male erholten sich die Klöster schnell. Auf dem indischen Subkontinent einschließlich Kaschmir wurden in dieser Periode keine buddhistischen Klöster angegriffen.
Der erste Angriff (815 – 819 u.Z.) wurde von den Abbasiden selbst vorgenommen. Der Anlass war, dass die (buddhistischen) Turki-Shahi-Herrscher von Kabul sich zusammen mit ihren tibetischen Verbündeten und anderen Dissidentengruppen aus Zentralasien zusammengeschlossen hatten, um die Abbasiden zu stürzen, aber dann verloren. Der Schaden war gering und die Turki-Shahis übernahmen schnell wieder die Kontrolle.
In der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts u.Z. wurde die Herrschaft der Abbasiden über ihr Reich schwächer und verschiedene seiner Teile wurden zu autonomen Staaten, die bloß formell den Abbasiden in Treue verbunden waren. Die zweite Verfolgung (870 – 879 u.Z.) ging von dem Herrscherhaus eines dieser autonomen Staaten aus, von den im Iran ansässigen Saffariden. Sie richteten größeren Schaden als es der erste Angriff. Die Saffariden überrannten die Turki Shahis; Kallar, der brahmanische Minister des letzten Turki Shahs floh nach Gandhara (heutiger pakistanischer Punjab). Dort und in Oddiyana (Swat Valley) gründete er die Dynastie der Hindu Shahis. Die Hindu Shahis herrschten von 870 bis 1015 u.Z. über Gandhara und Oddiyana. Die Saffariden beherrschten den Osten Afghanistans nicht lange: bald wurde ihnen das Gebiet von den Hindu Shahis entrissen, die es von 879 bis 976 u.Z. kontrollierten. Die Herrscher der Hindu Shahis förderten sowohl den Hinduismus als den Buddhismus.
Der Aufstieg der ismaelitischen Rivalen der Abbasiden
Die Herrscher der Fatimidendynastie (910 – 1171 u.Z.), die ab 969 u.Z. ihr Machtzentrum in Ägypten hatten, waren Anhänger der ismaelitischen Schia. Sie beherrschten ein grosses Reich. Als Hauptrivalen der sunnitischen Abbasiden strebten sie danach, die gesamte muslimische Welt zu vereinen, unter dem Banner der ismaelitischen Schule und dem Glauben an den Messias Mahdi. Sie sandten zahlreiche Missionare und Diplomaten in den Osten um Anhänger für ihre Sache zu gewinnen.
Zu Beginn des zehnten Jahrhunderts u.Z. war die ismaelitische Schia bereits in Sijistan (Südwesten des heutigen Irans und Süden des heutigen Afghanistans) und in Khurasan (Nordwesten des heutigen Irans, Süden Turkmenistans und Norden Afghanistans) etabliert. 959 hatte sich der Herrscher von Multan (nördlicher Sindh, Pakistan) zu diesem Zweig des Islams bekehrt und ab 968 wurde Multan zu einem Vasallenstaat der Fatimiden.
Im Jahr 976 u.Z. nahmen die ghaznavidischen Türken den Hindu-Shahis das östliche Afghanistan ab und gründeten unter abbasidischer Oberherrschaft einen autonomen Staat. Die Hindu Shahis zogen sich nördlich von Multan auf die unter ihrer Herrschaft stehenden Gebiete in Gandhara und Oddiyana zurück. Jetzt waren die Abbasiden und ihre Vasallen, die Ghaznaviden, im Osten und im Westen zwischen ihren fatimidischen Rivalen eingekeilt. Sie befürchteten das kurze Vorausstehen einer Invasion von beiden Fronten. Um die Ghaznaviden anzugreifen hätten die Ismaeliten von Multan bloß durch das Territorium der Hindu Shahis, die Feinde der Ghaznaviden waren, zu marschieren brauchen.
Der ghaznavidische Herrscher Mahmud von Ghazna war ein starker Verfechter des sunnitischen Islams. Den Buddhisten gegenüber in seinem Herrschaftsbereich in Afghanistan war tolerant gegenüber. Dies zeigt sich daran, dass er sie und ihre Klöster besteuerte, statt sie irgendwie zu verfolgen. Den anderen Formen von Islam gegenüber war er jedoch intolerant – besonders, was die ismaelitische Schia anging. Eine seiner höchsten Prioritäten war es, die politische Bedrohung durch die ismaelitischen Fatimiden abzuwehren und sich als die wertvollste Stütze seiner abbasidischen Oberherrn zu erweisen.
1001 u.Z. attackierte Mahmud die Hindu Shahis in Gandhara und Oddiyana. Obwohl Oddiyana weiterhin eines der Hauptzentren des buddhistischen Tantras war gab es dort keine blühenden buddhistischen Klöster. Die hinduistischen Tempel dagegen waren voller Reichtümer. Daher wurden sie von Mahmud geplündert und zerstört. Die Hindu Shahis zogen sich weiter nach Osten zurück und verbündeten sich mit Multan.
Im Laufe der nächsten zwei Jahrzehnte attackierte und annektierte Mahmud nicht nur Multan, sondern auch ein weiteres Bündnis, dass die Hindu Shahi mit den indischen Rajput-Herrschern der heutigen Gebiete des Punjab und des Himachal Pradesh geschlossen hatten. In den nächsten Jahren plünderte und zerstörte Mahmud die wohlhabenden hinduistischen Tempel und buddhistischen Klöster in den Rajput-Gebieten.
Entweder 1015 oder 1021 u.Z. (je nachdem welche Quelle man annimmt) machte sich Mahmud an die Verfolgung der Übriggebliebenen Hindu Shahis, die dabei waren, in den westlichen Gebirgsvorläufern auf dem Weg nach Kaschmir in der Lohara-Festung neue Kräfte zu sammeln. Doch Mahmud sollte es nie gelingen, die Festung einzunehmen oder Kaschmir zu erobern. Traditionellen buddhistischen Berichten zufolge wurde der Herrscher der Ghaznaviden durch buddhistische Mantras gestoppt.
Zusammenfassend scheint Mahmud von Ghaznas Invasion Gandharas, Oddiyanas und des nordwestlichen Indiens zwei Hauptmotive gehabt zu zu haben: er wollte der Bedrohung ausschalten, die die fatimidischen Ismaeliten für die abbasidisch-sunnitische Oberherrschaft über den Islam dargestellten; und er wollte die Feinde seines Vaters, die Hindu Shais, die Multan unterstützten, endgültig zerstören. Beim verfolgen dieser beiden Ziele schuf sich Mahmud eine möglichst große finanzielle und machtpolitische Basis, indem er die reichen hinduistischen Tempel und buddhistischen Klöster des Gebietes plünderte und zerstörte. Angesichts des politischen Klimas innerhalb der islamischen Welt in dieser historischen Periode ist es unwahrscheinlich anzunehmen, dass Mahmuds Hauptmotivation religiöser Fanatismus und der Wunsch war, alle indischen Glaubensformen zu beseitigen und die Inder zum sunnitischen Islam zu bekehren.
Die Zusammenstellung des „Gekürzten Kalachakra-Tantra“
Aus der Sicht der westlichen Forschung handelt es sich beim „Gekürzten Kalachakra Tantra“ und seinem Hauptkommentar, dem „Makellosen Licht“ wahrscheinlich um Zusammenstellungen von Portionen, die an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten verfasst wurden. Es ist allerdings schwierig, das Datum zu ermitteln, zu dem sie in ihrer gegenwärtigen vollständigen Form auf Sanskrit zusammengestellt wurden.
Das „Gekürzte Kalachakra Tantra“ (I.27) besagt, dass 403 Jahre vor der Begründung des Kalenders in sechzigjährigen Prabhava-Zyklen das Jahr des Herrn der Mlecchas – nämlich Mohameds – stattfand. Der erste Sechzig-Jahres Zyklus des Kalachakra begann im Jahr 1027 u.Z. Die tibetische Tradition der Astrologie betrachtet dies als das Jahr, in dem die Kalachakra-Lehren in Tibet eingeführt wurden. Diese Behauptung bezieht sich auf den Kalachakra-Kalender und die Kalkulationen, die zu seiner Erstellung dienen.
Andere tibetische Gelehrte haben 1027 u.Z. als das Jahr angesehen, in dem die Kalachakra-Lehren nach Indien kamen. Kadrubje, nachdem er diese Meinung zitiert hat und die Texte analysiert hat folgert, dass es schwierig war, mit irgendeiner Gewissheit zu sagen, dass dies das Jahr war, in dem das Kalachakra in Indien eingeführt wurde. Die Kalachakra-Texte machen bloß die Aussage, dass der erste Sechzig-Jahreszyklus dann begann.
Es gibt mindestens einen Ort, an dem die Kalachakra-Lehren bereits 1027 verfügbar gewesen sein müssen: Kaschmir. Am Ende des zehnten und zu Beginn des elften Jahrhunderts u.Z. war dieses Land ein Zentrum des buddhistischen und des hinduistisch-schivaistischen Tantras. Die Tatsache, dass die Kalachakra-Lehren sich schon vor 1027 in Kaschmir befanden könnte darauf hinweisen, dass einige Details bei der Beschreibung des Krieges gegen die nicht-indischen Eroberer spätere Elemente sind, die zu einer früheren Textschicht hinzugefügt wurden. Obwohl die Kalachakra-Texte die nicht-indische Invasion für das Jahr 2424 u.Z. voraussagen, könnten sich die Beschreibungen in den Texten daher auf die versuchte Invasion Kaschmirs durch Mahmud von Ghazna im Jahr 1015 oder 1021 beziehen, und auf seine Niederlage, die, der Legende nach, durch das tantrische Mittel buddhistischer Mantras herbeigeführt wurde. Da die Ghaznaviden zu dieser Zeit bereits Multan eingenommen hatten, könnten die Zusammensteller des Kalachakras die ismaelitischen Anschauungen mit denen des sunnitischen Islams verwechselt haben. Aufgrund dieser Verwechslung hätten sie den sunnitischen Invasoren eine modifizierte ismaelitische Prophetenliste zugesprochen und fälschlich angenommen haben, das Mahmud von Ghazna sich selbst als Mahdi erklärt habe, was er nie getan hat.
Außerdem wird die nicht-indische Invasion nach Aussage der Kalachakra-Texte von Delhi (Skt. Dili) ausgehen. „Delhi” kann sich hier nicht auf die tatsächliche Stadt Delhi beziehen, da diese erst im zwölften Jahrhundert u.Z. erbaut wurde, lange nachdem die Kalachakra-Literatur in Indien erschienen war. Der Name erscheint allerdings bereits im ersten Jahrhundert v.u.Z. in der indischen Literatur, um ein größeres Gebiet zu bezeichnen, dass sich um die Region erstreckt, die später zur Stadt Delhi wurde. Wahrscheinlich bezeichnet Delhi hier also das östliche Punjab – und in diesem Sinne erfolgte Mahmuds Angriff auf die Lohara-Festung und auf Kaschmir tatsächlich von „Delhi“ aus.
Ferner handelt es sich bei Kaschmir vermutlich um das Vorbild für die geographische Beschreibung von Shambhala. Wie Shambhala wird das Srinagar-Tal von Kaschmir durch einem Ring von Schneebergen umkreist und wie Shambhala hat es in seiner Mitte den zweiteiligen Dal-See.
Zusammenfassung
Unabhängig von der Bedeutung des Jahres 1027 u.Z. und vom genauen Datum der Zusammenstellung der Kalachakra-Texte ist es klar, dass die Liste der Mleccha-Propheten, die sich in ihnen finden eine Adaptierung der ismaelitischen Liste darstellen. Zusätzlich erscheint es als recht wahrscheinlich, dass es sich bei der historischen Referenz für die Invasion von Shambhala um eine Verschmelzung der Bedrohung der sunnitischen Ghaznaviden im östlichen Afghanistan durch die fatimidischen Ismaeliten von Multan und der Attacken von Mahmud von Ghazna gegen die Hindu Shahis in Gandhara, Oddiyana und in der Nähe von Kaschmir handelt.
Diese Hypothese wird durch mehrere weitere Punkte erhärtet:
- Während des späteren Teil des zehnten Jahrhunderts und dem Anfang des elften Jahrhunderts u.Z. war die Kommunikation zwischen den Buddhisten in Oddiyana und Kaschmir recht geläufig. Eine buddhistische Pilgerroute Buddhist vom westlichen Tibet bis Oddiyana ging durch Kangra und Kaschmir.
- Obwohl das buddhistische Tantra anscheinend im östlichen Afghanistan nicht praktiziert wurde fanden sich dort einige Merkmale der Kalachakra-Lehren. Spezifisch gesagt befanden sich Bilder der zwölf astrologischen Zodiakalzeichen auf der Innenwand der Haupthalle der buddhistischen Klöster von Kabul Dieses Motiv fand sind sowohl in iranischen Königspalästen als im Kalachakra-Mandala, in dem Gottheiten, die die zwölf Zeichen darstellen den Palast umringen. Mahmud von Ghazna zerstörte diese Klöster nicht.
- Der östliche Afghanistan, Gandhara und Oddiyana befanden sich lange vor Mahmuds Kampagnen alle unter der Herrschaft der Hindu Shahis. Obwohl also Reisen zwischen ihnen während der Zeit dieser Kampagnen vermutlich eingeschränkt war konnten die Buddhisten von Oddiyana doch Eigenschaften kennen, die sich in den buddhistischen Klöstern von Kabul fanden.
- Zu dieser Zeit hatten sowohl Oddiyana als Kaschmir hinduistische und buddhistische Bevölkerungen, die unter hinduistischer Herrschaft standen, wie Shambhala. Außerdem gab es zu dieser Zeit weiterhin in beiden Gebieten Manichäer.
- Sowohl im östlichen Afghanistan als in Oddiyana müssen sich die Buddhisten der Gefahr bewusst gewesen sein, die von der fatimidisch-ismaelitischen Bedrohung in Multan ausging.
- Die Buddhisten in Oddiyana haben sich vermutlich Sorgen gemacht über das Bündnis zwischen ihren Hindu Shahi Herrschern und Multan. Die Warnung, die der Herrscher von Shambhala, Manjushri Yashas, den Hindu-Weise erteilte über ihre Abhängigkeit ihrer Nachkommen vom Dharma der Invasoren könnte möglicherweise eine Reflektion dieser Besorgnis sein.
- Die letzten Angriffe der Ghaznaviden gegen die Hindu Shahis und gegen Kaschmir wurden beide von aus Multan ausgeführt.
Doch im Hinblick auf dieses Zusammenziehen des Drohenden Angriffs durch die ismaelitischen Fatimiden von Multan, die nie stattfand, und den Invasionen von Mahmud von Ghazna, die stattfanden, erscheint ein Punkt – wenn es nicht mehr sind – weiterhin merkwürdig. Nach Auskunft der Kalachakra-Texte wurde diese Voraussage der Mleccha-Invasion von Manjushri Yashas im zweiten Jahrhundert v.u.Z. getroffen. Die Voraussage war, dass die Invasion im Jahre 2424 u.Z., 1800 Jahre nach der Begründung des Dharmas der Invasoren, stattfinden würde. Das Jahr 1027 u.Z., 403 Jahre nach der Gründung des Dharmas der Invasoren, war bloß einige Jahre nach den Invasionen der Ghaznaviden. Allerdings die Voraussage bezüglich dieses Jahres hatte nichts zu tun mit zukünftigen Invasionen. Die Voraussage betraf bloß das Jahr in dem der erste 60-jährige Prabhava-Zyklus des Kalachakra-Kalenders beginnen würde.
Analyse der Prophetie
Das Kommen des Mahdi, die Schlacht mit Dajjal und das Jüngste Gericht
Um einschätzen zu können, wie unmittelbar sich die Sunniten von den Ismaeliten bedroht fühlten – ein Gefühl, das die die afghanischen Buddhisten in der Folge teilten – , muss man die islamische Auffassung des Kommens des Mahdis als eines Messias verstehen.
Die Vorhersage, nach der ein Messias eine apokalyptische Schlacht des Guten gegen das Böse führen wird, auf die ein Goldenes Zeitalter, das Ende der Zeit und das Jüngste Gericht folgen, erschien zuerst in der zoroastrischen Religion im alten Iran, ungefähr im vierten Jahrhundert v.u.Z. Verschiedene Versionen dieser Prophetie verbreiteten sich in den Zivilisationen rings um den Iran. Im Westen ging sie auf den Judaismus über, von hier aufs Christentum, und vom nestorianischen Christentum auf den Islam. Im Iran, Irak und in Zentralasien ging sie auf den Manichäismus über. Östlich vom Iran ging sie in den Hinduismus ein.
Innerhalb des Islams folgten die frühesten Formen der Prophetie der nestoriranisch-christlichen Version, indem sie vertraten, dass zuerst der falschen Prophet Dajjal kommen werde, dann der wahre Messias Mahdi und dass eine apokalyptische Schlacht stattfinden werde, in der Mahdi den Dajjal besiege. Daraus werde ein goldenes Zeitalter des Islams entstehen, gefolgt vom Ende der Welt und dem Jüngsten Gericht ..
Die spätere, ausführliche schiitische Form, die zuerst in ihrer ismaelitischen Version zu Beginn der abbasidischen Periode erschien, fügte weitere Elemente hinzu. Die meisten Muslime glaubten zu dieser Zeit, dass die Welt sei zu Lebzeiten Mohammeds 5500 Jahre alt gewesen sei und dass sie insgesamt nur 6000 Jahre lang bestehen werde. Daher stand für sie das Ende der Welt kurz bevor, und es sollte zu Beginn des zwölften Jahrhunderts stattfinden.
Nach der ismaelitischen Vorhersage wird der siebte Imam, der im Jahr 762 von der Erde verschwunden war, noch einmal kurz vor dem Ende der Welt als der Mahdi erscheinen. Daher wird ein anderer Name für Mahdi „al-Qaim“, „der Auferstandene“ sein. Bei seiner Rückkehr wird sich der Islam in rivalisierende Schulen aufgespalten haben; das (islamische) Gesetz der Scharia wird missachtet werden und die Muslime werden sich wie wilde Barbaren verhalten, die gegeneinander kämpfen. Mahdi, der in der Familie des Mohammed geboren werden wird, wird als ein politischer und spiritueller Führer (Imam) kommen. Er wird sich selber in Mekka zum Messias ausrufen und eine Armee nach Jerusalem führen, wo er sich als Herrscher der Welt niederlassen wird. Er wird das Gesetz der Scharia, die Ordnung und den Frieden wiederherstellen.
Mahdis von Jerusalem ausgehende Herrschaft wird weniger als ein Jahrzehnt andauern. Die Menschen werden ihn zugunsten eines betrügerischen Messias verlassen: des Dajjal, des einäugigen islamischen Gegenstücks zum Antichristen, der ebenfalls behaupten wird, wieder auferstanden zu sein, nachdem er in der Vergangenheit verschwunden war. Dajjal wird negative Verhaltensweisen legalisieren, die vom Gesetz der Scharia verboten sind, er wird den Menschen materiellen Reichtum geben und die Kranken heilen. Folglich werden die Menschen denken, sie bräuchten Allah nicht.
Bevor alle Gläubigen verloren sind, wird das zweite Kommen Christi stattfinden. Parallel zum Verschwinden des Imams und seines Wiedererscheinen als Mahdi wird Jesus (als islamischer Prophet angesehen) in ähnlicher Weise zur Erde zurückkehren, nachdem er verschwunden war. Er wird nach Damaskus kommen und an der Seite von Mahdi beten. Jesus, nicht Mahdi, wird dann, mit einer Rüstung bekleidet, Dajjal besiegen. Diese Schlacht, die als die Apokalypse bekannt ist, wird in Armageddon in Palästina stattfinden.
Nach seinem Sieg wird Jesus alle Kreuze zerbrechen, da sie wie Götzen angebetet wurden, er wird alle Schweine töten und die Kopfsteuer auf die nichtmuslimischen „Menschen des Buches“ abschaffen, da sie sich alle zum Islam bekannt haben werden. Dann wird Jesus in einem Goldenen Zeitalter des Islam über die Erde herrschen. Die Periode des Friedens wird vierzig Jahre andauern, wonach Allah die Erde zerstören, die Toten auferwecken und das Jüngste Gericht halten wird. Die Guten werden darauf für immer in den Himmel kommen und die Bösen ewig in der Hölle brennen.
Die muslimischen Versionen leiten sich hauptsächlich von der überarbeiteten nestorianisch-christlich-syrischen Bibel von 508 her, die der älteren syrischen Peshitta-Version die apokalyptische Vision hinzufügte. Die Hauptunterschiede sind die Hinzufügung von Mahdi und von Jesus als einem muslimischen Propheten.
Da das vorausgesagte Weltende auf die Zeit um 1100 datiert wurde, behaupteten in den unmittelbar vorangehenden anderthalb Jahrhunderten zahlreiche rivalisierende islamische Führer, die wünschten, die gesamte islamische Welt zu beherrschen, sie seien der Mahdi. Solche Behauptungen konnten ihnen dabei helfen, die politische und religiöse Unterstützung der Massen zu gewinnen. Dieses Phänomen war bei den Schiiten besonders verbreitet. Nicht nur die Ismaeliten erwarteten in aktiver Weise die unmittelbar vorausstehende Ankunft Mahdis, sondern jetzt auch die die Hauptströmung ausmachenden Ithna Ashari Schiiten. Ihr zwölfter Imam, al-Askari, verschwand im Jahr 873 als Kind. Auch von ihm wurde erwartet, dass er als der Mahdi zurückkehren würde.
Da die Schiiten Mahdi als den Rächer von Husains Märtyrertod ansahen, der von der Gruppierung, aus der die arabischen Sunniten hervorgingen, begangen worden war, fühlten sich die Abbasiden und ihre Vasallen besonders bedroht von einem schiitischen Angriff. Da die Ithna-Asharis innerhalb des abbasidischen Reiches politisch schwach waren, kamen die ismaelitischen Fatimiden am wahrscheinlichsten als Invasoren in Frage.
Die Warnung vor einer Invasion durch von Mahdi geführte nichtindische Truppen, die sich im Kalachakra findet, gibt also die Angst der Abbasiden vor einer solchen Invasion wieder. Sie spiegelt das vorherrschende Ethos dieser Zeit.
Die Voraussage eines Messias im Hinduismus
Die Voraussage eines Messias erreichte den Hinduismus über den indischen Kontakt mit der iranischen Kultur während der Kushan-Dynastie in den ersten zwei Jahrhunderten u.Z. Sie erschien zuerst in gekürzter Form in dem eingeschobenen „Markandeya Parvan“-Abschnitt des „Mahabharata“. Ihre ausführlichste Form erschien allerdings im „Vishnu Purana“, das von der Forschung auf das vierte Jahrhundert u.Z. datiert wird.
Das „Vishnu Purana“ beschreibt das periodische Entstehen und Vergehen jedes Universums in Zyklen, die aus vier Zeitaltern bestehen, und bezieht dabei Astronomie und Astrologie ein.. Das gegenwärtige Kaliyuga (tib. rtsod-pa'i dus, Zeitalter der Zwistigkeiten) wird mit dem Erscheinen des Kalki (tib. Rigs-ldan) enden, der der achte und letzte Avatar (tib. ‘jug-pa, Abkömmling, Inkarnation) von Vishnu ist. Er wird in Shambhala in der Familie des Brahmanen Vishnu-Yashas geboren werden. Er wird die Mlecchas, Diebe und alle anderen, die in einer destruktiven Weise handeln, zerstören.
Der Text beschreibt die Mlecchas näher als Yavana (makedonische Griechen), Shaka, Hunnen und Turushka (Kushan) – alles nichtindische Gruppen, die zuvor Nordwestindien erobert und beherrscht hatten.
Das Kalachakra reagiert mit seiner Voraussage eines Messias
Mit dem Kalachakra reagierten die Buddhisten auf die allgemeine Furcht vor einer Invasion, indem sie ihre eigene Voraussage eines Messias vorbrachten und indem sie der Methode folgten, die die zeitgenössischen Hindus und Muslime bereits angewandt hatten: Die Methode bestand im Finden von tatsächlichen oder entfernten Ähnlichkeiten, die es Anhängern anderer Religionen erlauben würden, unter den Schirm der Religion einer herrschenden Gruppe ihren Platz zu finden. Aus einer soziopolitischen Perspektive ermöglichte eine solche Vorgehensweise eine integrierte multikulturelle Gesellschaft. Letztere erschien als wesentliche Voraussetzung dafür, der Herausforderung einer Invasion erfolgreich zu begegnen. Aus einem religiösen Gesichtspunkt betrachtet, schaffte sie für aufnahmebereite Anhänger anderer Religionen die Grundlage dafür, die Religion ihrer Herrscher als die tiefere Wahrheit ihres eigenen Glaubens ansehen zu können. So öffnete sie in einer subtilen, unaggressiven Weise einer Bekehrung die Tür.
Diese Methodik erschien ebenfalls in anderen Aspekten des Buddhismus. Im Text „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ („sPyod-‘jug“, Skt. „Bodhicharyavatara“) erklärte der indische Meister Shantideva aus dem achten Jahrhundert, dass man, um einen Opponenten in einer Debatte zu einem tieferen Verständnis zu führen, Beispiele benutzen müsse, die man mit ihm teilen könne.
Dementsprechend benutzten die Buddhisten, in ihrem Wunsch, eine vereinte Front mit den Hindus zu bilden, im Kalachakra Motive und Namen, die dem hinduistischen Publikum bereits aus dem „Vishnu Purana“ bekannt waren. In der Kalachakra-Version der Vorhersage eines Messias gehen Universen periodisch durch Zyklen von vier Zeitaltern und folgen dabei Gesetzen der Astronomie und Astrologie. Sieben Jahrhunderte vor dem Ende des gegenwärtigen vierten Zeitalters (dem Kaliyuga) wird der König von Shambhala all seine hinduistischen und buddhistischen Untertanen in einer Kaste vereinigen, um der zukünftigen Invasion entgegenzustehen, die das Zeitalter beenden wird. Der Einheit stiftende König wird Manjushri-Yashas sein, der den Titel Kalki annehmen und der erste in einer Reihe von fünfundzwanzig Kalki-Herrschern von Shambhala sein wird.
Im „Vishnu Purana“ wird der Name Kalki, der sich vom „Schmutz“ oder „etwas verunreinigtes“ bedeutenden Sanskritwort Kalka ableitet, als „Kalka-Vinasana“, „Der Zerstörer von dem, was verunreinigt ist” erklärt. Das Kalachakra benutzt denselben Sanskritnamen Kalki, interpretiert ihn aber als Variante von „Kulika“ (von „Kula“, Kaste), was „Halter der Kasten“ bedeutet, um auszudrücken, dass Manjushri-Yashas alle Kasten vereinen und zusammenhalten wird. Daher steht die tibetische Übersetzung Rigs-ldan sowohl für „Kalki“ als auch für „Kulika“ (was auch der Name eines Nagas ist).
Sieben Jahrhunderte später wird Raudrachakrin (tib. Drag-pa'i ‘khor-lo) der tatsächliche buddhistische Messias sein, der fünfundzwanzigste Kalki-Herrscher, der, wie der erste Kalki, eine Emanation Manjushris sein wird. Während seiner Herrschaft wird Krinmati, der König von Delhi, sich zum Mahdi, dem Messias der Mlecchas – der nichtindischen Invasoren – erklären.
Delhi (Skt. Dili), kann sich hier nicht auf die tatsächliche Stadt dieses Namens beziehen, die erst im zwölften Jahrhundert erbaut wurde, lange nachdem die Kalachakra-Literatur in Indien erschien. Der Name taucht allerdings in der indischen Literatur bereits im ersten Jahrhundert v.u.Z. auf und bezeichnet dort ein größeres Gebiet um den Ort herum, der später zur Stadt Delhi wurde, vermutlich das Gebiet des östlichen Punjab.
Von Delhi aus werden die nichtindischen Truppen eine Invasion Shambhalas versuchen, doch Raudrachakrin wird Mahdi besiegen, bevor er das nördliche Land erreicht. Dies wird das Ende des Kaliyuga und den Anfang eines neuen Goldenen Zeitalters bedeuten. Die Kalachakra-Texte bezeichnen die Invasoren sogar als „Turushka“, ein früher Name für die Kushan und ihre Nachkommen, die hephthalitischen Hunnen.
Die Identifizierung der Turushka mit den ghaznavidischen Türken, die von der Region Delhis ausgehend im Jahr 1021 u.Z. Kaschmir angriffen und vom hinduistischen König Samgrama Raja besiegt wurden, erscheint wie eine nachträgliche Erweiterung des Begriffs mit dem Ziel, spätere nichtindische Invasoren mit einzuschließen. Die Kalachakra-Texte erschienen kurz vor der gazhnavidischen Invasion von Multan im nördlichen Indien und von Kaschmir. Außerdem behauptete Mahmud von Ghazni, der die Invasion anführte, nie, der Mahdi zu sein.
Parallelen zwischen der hinduistischen und der buddhistischen Voraussage
Die Parallelen zwischen der hinduistischen und buddhistischen Version der Voraussage sind klar. Beide lassen den Messias aus Shambhala (dem „Land der Glückseligkeit“) kommen, lassen ihn die Mlecchas besiegen, das Kaliyuga beenden und ein neues Goldenes Zeitalter beginnen. In der hinduistischen Darstellung ist Kalki sowohl der letzte Avatar des Vishnu als auch der Sohn von Vishnu-Yashas. In der buddhistischen Darstellung ist der erste Kalki Manjushri-Yashas, und sowohl er als auch der letzte Kalki, Raudrachakrin, sind Emanationen des Manjushri. Manjushri wird durch den „Konzert der Namen des Manjushri“ eng mit dem Kalachakra in Verbindung gebracht.
Indem die Buddhisten die Hindus von Shambhala darauf hinwiesen, dass der buddhistische Kalki – sowohl auf einer historischen wie auf einer spirituellen Ebene verstanden – tatsächlich die tiefste Bedeutung des hinduistischen Kalkis repräsentiert, wandten sie dieselben Methoden an, die die Hindus zuvor benutzt hatten. Frühe Listen der Avatare des Vishnu zählten nur acht Namen auf. Das „Vishnu Purana“ beispielsweise lässt in der Liste den Zwerg-Avatar Vamana und den Buddha aus. Buddha war ein späterer Zusatz, als zu Beginn des fünften Jahrhunderts u.Z. die ersten Zehnerdarstellungen auftauchten. Mit Buddha als einem Avatar des Vishnu passten die Buddhisten harmonisch in eine hinduistische Gesellschaft, ohne den Buddhismus aufzugeben.
In ähnlicher Weise konnten sich die Hindus harmonisch in eine buddhistische Gesellschaft integrieren, indem sie sich in einer einzigen Vajrakaste vereinten, ohne den Hinduismus aufzugeben. Schließlich waren dem Padmani-Kommentar zufolge die ersten acht Avatare, die im unmittelbar vorangehenden Vers des „Gekürzten Kalachakra-Tantra“ erwähnt wurden, tatsächlich Emanationen des Buddha. Die Achterliste im Kalachakra schließt vielsagenderweise Vamana, den Zwerg-Avatar, mit ein, lässt aber Kalki aus. Da die Hindus keine Schwierigkeiten damit hatten, Buddha als den neunten Avatar des Vishnu anzuerkennen, brauchten sie auch kein ungutes Gefühl dabei zu haben, dem zukünftigen König von Shambhala als dem zehnten Avatar zu folgen.
Die hinduistische Reaktion auf die Voraussage des Kalachakra
Das „Kalki Purana“ erzählt die hinduistische Kalki-Prophetie neu. Die zusätzlichen Elemente, die sich im „Vishnu Purana“ nicht finden, deuten auf ein Entstehungsdatum im elften oder zwölften Jahrhundert hin, nach dem Erscheinen der Kalachakra-Texte in Indien und bevor der Buddhismus im nördlichen Indien mit der Zerstörung der wichtigsten buddhistischen Klöster im Hinduismus aufging.
In dieser Version wird Kali („der Streiter“) der Führer der Mlecchas sein, die Personifikation des Kaliyuga (des Zeitalters der Streitigkeiten), der Sohn von Krodha („Wut“) und Himsa („Gewalt“). Kali wird das reine hinduistische Dharma beschmutzen, indem er Lehren verbreitet, die diesem widersprechen, z.B.die Vereinigung der Kasten, die Heirat zwischen den Kasten und das Aufheben des Status der niedrigeren Kasten. Kalki als „der Zerstörer von dem, was beschmutzt ist“ wird Kali besiegen sowie die Buddhisten und Jainisten, die seinen Lehren folgen. Kalkis Sieg will das reine Dharma mit seinem reinen Kastensystem wiederherstellen, das Kaliyuga beenden und ein neues Goldenes Zeitalter einleiten.
Möglicherweise fühlten sich zahlreiche Hindus von der Kalachakra-Lehre eines Kalki, der die Kasten mischt und vereint, beleidigt. So mögen sie die Notwendigkeit verspürt haben, diesen falschen buddhistischen Kalki abzulehnen und die Existenz des wahren hinduistischen Kalki neu zu bekräftigen – eines Kalki, der die Besudelung des reinen Kastensystems und die Lehrer, die es beschmutzten, zunichte macht. So war die Namensänderung des Kalki-Vaters von „Vishnu-Yashas“ zu „Vishnu-Vyasa“ möglicherweise ein bewusstes Manöver, um den hinduistischen Kalki vom buddhistischen zu trennen. „Vyasa“ war der Name des Autors des „Mahabharata“.
Obwohl das „Bhavishya Purana“, das zeitgleich mit dem „Kalki Purana“ zu datieren ist, den Mohammed als einen Mleccha-Lehrer erwähnt, ist es beachtenswert, dass Letzteres nur die Buddhisten und Jainisten auf der Seite von Kali einordnet und den Islam nicht erwähnt. Dennoch enthält die aktualisierte hinduistische Vorhersage eine Parallele zu einem Element der muslimischen Version. Nach seinem Sieg über Dajjal wird Jesus alle nichtmuslimischen „Menschen des Buches“ zum reinen Islam zurückführen. In ähnlicher Weise wird der hinduistische Kalki nach seinem Sieg über Kali alle nicht-hinduistischen Anhänger indischer Religionen (nämlich die Buddhisten und Jainisten) zurück zum reinen Hinduismus bringen.
Trotz der starken anti-buddhistischen und anti-jainistischen Worte des „Kalki Purana“ starteten die Hindus nie ein Pogrom gegen eine der beiden Gruppen oder verfolgten sie ernsthaft unter ihrer Herrschaft. Tatsächlich waren die Könige der Pala-Dynastie (750 – spätes zwölftes Jahrhundert u.Z.), die während dieser Periode Bihar und Bengalen im nördlichen Indien beherrschten, Förderer des Buddhismus.
Parallelen zwischen den Versionen des Kalachakra und des Islams
Um auch die nichtindischen Invasoren zu einem tieferen Verständnis zu führen, verwendet die Kalachakra-Version der Messias-Prophetie auf ähnliche Weise bestimmte Elemente, die sie entweder der muslimischen Version zuschreibt oder die sich tatsächlich dort finden. Im „Makellosen Licht“ beispielsweise wird Mohammed ein „Avatar des Rahman“ genannt. „Rahman“ („Der Barmherzige“) ist ein verbreiteter arabischer Beiname Allahs. Mahdi wird seinerseits „die Emanation“ genannt, am Ende einer Linie von Imamen, die Nachfolger der Familie des Mohammed sind,. Dies ist eine Parallele dazu, dass der Erste Kalki eine Emanation des Manjushri ist und der Fünfundzwanzigste und letzte Kalki, nach einer Linie von Kalki-Nachfolgern, ebenfalls eine Emanation des Manjushri sein wird. In ähnlicher Weise ist es eine Parallele dazu, dass der hinduistische Kalki der letzte in einer Linie aufeinander folgender Avatare des Vishnu ist.
Die Linie der Kalkis, die über Shambhala herrschen, das Land, das ihnen von Buddha anvertraut wurde, um die Kalachakra-Lehren zu bewahren, ist eine Parallele zu der Linie der Imame, die die Nachfolger Mohammeds sind und denen politische Macht anvertraut wurde, um die Reinheit des Islams zu bewahren. Außerdem ist die Tatsache, dass die Kalki-Linie aus fünfundzwanzig Mitgliedern besteht, eine Parallele dazu, dass die Propheten, die im Koran erwähnt werden, ebenfalls eine Fünfundzwanzigerlinie bilden.
Ferner identifiziert „Ein Konzert der Namen Manjushris“ den Manjushri als den Adibuddha (tib. Dang-po'i sangs-rgyas) – ein Begriff, der in verschiedenen Weisen verstanden werden kann. Sein frühestes Erscheinen in der buddhistischen Literatur findet sich in „Ein Filigranwerk von Mahayana-Sutras“ (tib. „Theg-pa chen-po'i mdo-sde rgyan“, Skt. „Mahayanasutralamkara“) des aus Indien stammenden buddhistischen Meisters Asanga aus dem dritten Jahrhundert. Dort widerlegt Asanga die Möglichkeit der Existenz eines Adibuddha, den er als „Buddha von Anfang an“ versteht – in anderen Worten jemand, der von Anfang an ein Buddha war, ohne die Ursachen hierfür ansammeln zu müssen.
In der Kalachakra-Literatur nimmt Adibuddha die tiefere Bedeutung von „Ursprünglicher Buddha” an, so wie in dem parallelen Beinamen „der Höchste Ursprüngliche“ (tib. mchog-gi dang-po, Skt. paramadya) in „Ein Konzert der Namen des Manjushri“. Manjushri (Kalachakra) repräsentiert die feinste Ebene des Geistkontinuums jedes Individuums, die Ebene des klaren Lichtes, die keinen Anfang und kein Ende hat. Die Buddha-Natur-Qualitäten des Geistkontinuums, die ihm erlauben, der allwissende Geist eines Buddha zu werden, umfassen seine angeborene Reinheit von allen flüchtigen Verschmutzungen und seine angeborene Qualität (sein angeborenes Potential) unbehinderten tiefen Gewahrseins. So ist das klare Licht ursprünglich ein Buddha. Ferner ist der Geist des Klaren Lichts der Erschaffer aller Erscheinungen. Dies ist eine Parallele zu Allah als dem höchsten, allwissende Schöpfer. Das Kalachakra behauptete allerdings nie, dass Adibuddha ein spezifisches Wesen sei, das der Erste Buddha war – obwohl das Wort Adibuddha auch diese mögliche Bedeutung hat.
Wie im Falle der Reaktion auf den Hinduismus folgte der Buddhismus im Kalachakra dem muslimischen Vorbild, indem er Parallelen fand. Der Islam toleriert andere Religionen so lange ihre Anhänger „Menschen des Buches“ sind. Er definiert solche Menschen als diejenigen, die sowohl einen Schöpfergott als auch Propheten, die die ursprüngliche Weisheit eines solchen Gottes verkünden, anerkennen. Islamische Herrscher akzeptierten in ihren Gesellschaften die Anhänger der Religionen, die diesen Kriterien genügten, ohne dass sie ihre Glauben aufgeben mussten, solange sie eine Kopfsteuer zahlten.
Die Buddhisten werden unter islamischem Gesetz als „Menschen des Buches“ akzeptiert
Das islamische Gesetz, insbesondere unter der arabischen Herrschaft von Sindh vom achten bis zum zehnten Jahrhundert u.Z., akzeptierte den Buddhismus als eine „Religion des Buches“ und nahm so die Buddhisten friedlich unter seinen Schutz. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass sich die muslimischen Herrscher des Begriffs des Adibuddha im „Konzert der Namen des Manjushri“ bewusst waren. Sie stützten ihre Anerkennung der Buddhisten als Menschen des Buches vermutlich auf andere Faktoren.
Die Sogdianer begannen am Ende des sechsten Jahrhunderts u.Z. buddhistische Texte ins Alttürkische und zu Beginn des siebten Jahrhunderts in ihre eigene Sprache zu übersetzen. In beiden Sprachen übersetzten sie den Begriff dharma mit dem griechischen Lehnwort nom, der ursprünglich Gesetzt bedeutete. Tatsächlich übersetzten sie den Chinesischen Begriff für Dharma, fa, der ebenfalls „Gesetz“ bedeutet. So wurden die Buddhisten als „die Menschen des Dharmas“ in Zentralasien als Menschen bekannt, die einem höheren System ethischer Gesetze folgen. Diese Konnotation von nom/dharma machte es möglicherweise den Moslems leichter, eine Beziehung zu den Buddhisten aufzubauen.
Die Sogdianer waren das erste Volk mit einer buddhistischen Bevölkerung, auf das die Muslime im Laufe ihrer Expansion nach Zentralasien im achten Jahrhundert u.Z., trafen. Ausserdem waren zur Zeit des des Eintreffens der Muslime im heutigen Usbekistan und Afganistan die hier am meisten verbreiteten Versionen buddhistischer Texte die alttürkischen und sogdianischen Übersetzungen. Obwohl die Buddhisten nicht strenggenommen „Menschen des Buches“ waren, in dem selben Sinne wie die Christen und Juden verliehen ihnen die Muslime unter deren Herrschaft sie standen doch den selben Status und die selben Rechte wie den Anhängern dieser Religionen. Möglicherweise half das nom dabei, eine grössere Akzeptanz zu schaffen, damit die Kalachakra-Lehren eine festere Basis der Lehre bilden konnten, die gemeinsame Punkte zwischen den beiden Religionen bot.
Ferner macht „Ein Konzert der Namen des Manjushri“ die Aussage, dass Manjushri den Pramatha (den „Zerstörer“), den Führer der Asuras, als eine eigene Emanation aussandte, um bestimmten Wesen zu helfen. Darauf benutzte „Das Gekürzte Kalachakra-Tantra“ „Mathani“, eine verwandte Form desselben Namen, als Lautumschrift für „Mahdi“, den Messias der nichtindischen Invasoren, den es mit der Asura-Kaste identifizierte. So wie das Kalachakra den Hindus die Tür öffnete, um den buddhistischen Kalki als hinduistischen Kalki anzunehmen, öffnete seine Wahl der Lautumschrift Mathani vielleicht den Muslimen in ähnlicher Weise die Tür, damit sie Kalki als den Mahdi annehmen könnten und sich so, wie die Hindus, harmonisch in eine buddhistische Gesellschaft integrieren könnten.
Die muslimische Reaktion auf die Prophetien des Kalachakra
Einige schiitische Gruppen scheinen die Kalachakra-Vorhersage, nach der der Kalki-König Raudrachakrin von Shambhala den Mahdi besiegen werde, gekannt zu haben und fühlten sich beleidigt. In späteren Jahrhunderten verbreitete sich ein Glaube, beispielsweise in Baltistan (nördliches Pakistan), dass der Falsche Messias Dajjal der buddhistische Kalki Raudrachakrin sei. Manchmal wurde Dajjal sogar mit Dschinggis Khan und mit dem mythischen tibetischen Helden Ling Kesar identifiziert. Solche Gleichsetzungen waren allerdings äußerst selten und tauchten bloß in einigen Randgruppen auf.
Die buddhistisch-muslimische Beziehungen in Tibet, wo die Kalachakra-Lehren in Blüte standen, blieben stets friedlich. In der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts u.Z. etwa, nach mehr als hundertfünfzig Jahren Bürgerkrieg, begründete der Dalai Lama eine Politik, um die verschiedenen Faktionen und religiösen Gruppen, die während dieser Zeit in Tibet vertreten waren, in eine vereinte Gesellschaft zu integrieren. Aufgrund seiner offenen, toleranten Politik und einer schweren Hungersnot in Kaschmir emigrierten zahlreiche kaschmirische Muslime nach Tibet. Der Fünfte Dalai Lama gab ihnen besondere Privilegien, indem er ihnen beispielsweise Land zuteilte, sie von Steuern befreite und ihnen erlaubte, ihre Religion auszuüben und ihre inneren Angelegenheiten durch ihren eigenen Rat von Führern und das Gesetz der Scharia regeln zu lassen. Er tat dies, ohne dass er sie in einem Kalachakra-Mandala vereinte und ohne ihnen die Kalachakra-Initiation zu erteilen.
Christliche Ängste vor einer vom Mahdi geführten Invasion
Am Ende des zehnten und während des elften Jahrhunderts u.Z., waren die Sunniten und die Buddhisten nicht die Einzigen, die sich vor einer von Mahdi geleiteten Truppeninvasion fürchteten. Die Angst vor einer kurz bevorstehenden apokalyptischen Schlacht grassierte bald auch im christlichen Europa.
Das mittelalterliche Christentum erwartete, dass das Kommen des Antichristen, die Wiederkunft des Christus, die Apokalypse, das Ende der Welt und das Jüngste Gericht 1000 Jahre nach Jesus stattfinden würden. Statt aus politischen Faktionen hervorzugehen, würden der Antichrist und der wiederauferstandene Christ in wunderbarer Weise erscheinen. Als diese Ereignisse im Jahr 1000 u.Z. nicht eintraten, erwartete man, dass sie 1000 Jahre nach der Passion Christi, im Jahr 1033, stattfinden würden.
Als El-Hakim, der fatimidische Kalif von Ägypten, im Jahr 1009 u.Z. das Heilige Grab in Jerusalem zerstörte, dachten viele, dass der vorausgesagte Antichrist erschienen wäre. Trotzdem fand die Wiederkunft Christi im Jahr 1033 nicht statt. So nahm es die christliche Kirche schrittweise auf sich, an Christi Stelle selbst die Welt von allen Häresien und Unreinheiten zu befreien, erst im Heiligen Land und dann innerhalb der eigenen Reihen.
Im Jahr 1055 u.Z. eroberten die seldschuckischen Türken Bagdad und stürzten die Abbasiden, nachdem sie die Ghaznaviden aus dem Iran vertrieben hatten. 1076 u.Z. nahmen die Seldschucken den Fatimiden Palästina und Jerusalem ab. Ab 1090 führten Anhänger des Nizari-Zweiges der Ismaeliten, der den Kreuzrittern als Assassinenorden bekannt war, im Iran, im Irak und in Syrien eine Terrorkampagne. Sie taten dies, um ihrem Führer bei der Weltübernahme als Mahdi den Weg zu bahnen. Sowohl von den Seldschucken als auch von den Fatimiden wurden sie aufs Härteste verfolgt..
Obwohl die Seldschuken orthodoxe Sunniten waren und ihre Führer nicht als Mahdi-Kandidaten ansahen, machten die europäischen Christen keine Unterschiede zwischen den Muslimen. Sie identifizierten alle Muslime mit der Nizari-Mahdi-Bewegung. Folglich rief Papst Urban II im Jahr 1096 u.Z. den ersten Kreuzzug aus, um den „muslimischen Ungläubigen“ (in diesem Fall den Seldschuken) Jerusalem abzuringen.
Obwohl die Buddhisten eine apokalyptische Schlacht vorhersagten, in der die Truppen von Shambhala Mahdi besiegen würden, und sie alle Hindus dazu ermutigten, ihre Kastenunterschiede beiseite zu legen und sich in einer vereinten Front mit ihnen zusammenzutun, starteten sie nie einen Kreuzzug gegen die Muslime. Tatsächlich öffneten sie den Muslimen die Tür, damit sie sich ihnen auf ihrer spirituellen Suche nach der höchsten Wahrheit anschließen konnten.
Schlussfolgerungen aus der historischen Analyse und der Analyse der Prophetie
Die sunnitischen Abbasiden und ihre Vasallen verfolgten den Buddhismus zwischen dem späten achten und dem späten zehnten Jahrhundert nur selten. Stattdessen tolerierten sie ihn meistens und wählten den ökonomisch profitableren Weg, seine Anhänger und seine Klöster stark zu besteuern. Daher scheint es unangebracht, in den nichtindischen Invasoren, die vom Tantra vorausgesagt werden, die sunnitisch-abbasidischen Muslime oder ihre sunnitisch-ghaznavidischen Vasallen zu sehen. Die Liste der Propheten der Invasoren bestätigt diese Schlussfolgerung.
Die Buddhisten in Afghanistan und Oddyana folgten vermutlich insofern den Abbasiden und Ghaznaviden darin, dass sie die ismaelitisch-schiitischen Fatimiden, die ihr Reich unter dem Banner des Mahdi ausweiteten, als die damalige Hauptbedrohung der sozialen Stabilität ansahen. Möglicherweise verwechselten und vermischten sie auch die fatimidischen ismaeliten von Multan mit den Ghaznaviden, die ihre Gebiete eroberten und Indien angriffen. Da die buddhistischen Gelehrten aus Afghanistan, die an der Übersetzung von Texten in Bagdad gearbeitet hatten, mit den manichäischen Schiiten vertraut waren, war die Darstellung der bedrohlichen nichtindischen Invasoren vermutlich ein Amalgam aus ihrem Wissen über sie und über die Ismaeliten. Außerdem ist es ebenfalls recht wahrscheinlich, dass sich unter denen, die sich im fatimidischen Vasallenstaat Multan zur ismaelitischen Schia konvertierten, Manichäer befanden, und dass diese, entsprechend der ismaelitischen Konversionspolitik, die die Adhäsion gestattete, den Mani zur ismaelitischen Liste von sieben Propheten hinzugefügt hatten.
Die manichäischen Schiiten kamen wie die Sunniten ursprünglich aus Bagdad (der abbasidischen Hauptstadt). Daher ist es nachvollziehbar, dass die Buddhisten Bagdad als den Ort identifizierten, aus dem der Dharma der nichtindischen Invasoren stammte. Sie sahen vermutlich Bagdad und Mekka als die heiligen Städte aller Formen des Islams an.
Die schwere Bedrohung, die im späten zehnten und frühen elften Jahrhundert u.Z. von den Fatimiden ausging, war allerdings politisch und nicht religiös. Der Buddhismus, wie er in der Literatur des Kalachakra dargestellt wurde, war nicht antimuslimisch, antichristlich, antijüdisch oder antihinduistisch. Es war lediglich eine Antwort auf den Geist der Zeit – auf die Furcht vor einer Invasion, vor einer apokalyptischen Schlacht und vor dem Weltende,die viele Menschen teilten, und auf die weit verbreitete Beschäftigung mit dem Kommen eines Messias.
Als Antwort auf diese Bedrohung präsentierte das Kalachakra seine eigene Version der Prophetie und empfahl eine Vorgehensweise, die vom Hinduismus und den herrschenden abbasidischen Muslimen bereits angewandt wurde. Die Vorgehensweise bestand darin, zu zeigen, dass der Buddhismus in seinem Lehrgebäude ebenfalls offene Türen hatte, um andere Religionen in seiner Sphäre miteinzuschließen. Eine essenzielle Grundlage, auf der eine multikulturelle Gesellschaft stehen muss, um einer drohenden Invasion entgegenzusehen ist religiöse Harmonie unter ihren Mitgliedern. Sich zu anderen in einem Kalachakra-Mandala zu gesellen symbolisiert diese Bereitschaft zur Kooperation.
Die Darstellung der nichtindischen Propheten und die Prophetie eines zukünftigen Krieges gegen ihre Anhänger im Kalachakra muss in diesem historischen und kulturellen Kontext verstanden werden. Trotz der empfohlenen Vorgehensweise riefen weder die zeitgenössischen politischen Führer noch die spirituellen Meister des Buddhismus tatsächlich zu einer Kampagne auf, um die Hindus und die Muslime unter ihre Kontrolle zu bringen. Niemand veranstaltete eine Kalachakra-Initiation mit einer solchen Absicht im Hinterkopf. Trotzdem missfiel bestimmten hinduistischen und muslimischen Gruppen der Ruf des Kalachakra nach Einheit. Sie identifizierten den zukünftigen buddhistischen König von Shambhala mit dem falschen Messias, der in ihren eigenen Texten vorhergesagt wurde.
Wenn mehrere Religionen gemeinsam an einen wahren Messias glauben, der einen falschen Messias in einer apokalyptischen Schlacht überwindet, und wenn Mitglieder dieser Religionen nahe beieinander leben, sind zwei Folgen möglich: Mehrere Religionen können versuchen, sich zu vereinen um einem gemeinsam erkannten falschen Messias entgegenzutreten, indem sie erklären, dass ihnen derselbe wahre Messias gemeinsam ist. Alternativ hierzu können sie die wahren Messiasgestalten der anderen mit dem von ihnen selbst vorhergesagten falschen Messias identifizieren. Die Geschichte zeigt, dass beide Vorgehensweisen zu Misstrauen und Konflikt führen können.
Kurz gesagt bestand die Hauptabsicht der Kalachakra-Lehren über Geschichte darin, zukünftige Ereignisse zu beschreiben in einer Weise, die fortgeschrittenen Stadien der Meditationspraxis des Kalachakra entsprach. Sie sind weder eine Widerspiegelung noch eine Formulierung der buddhistischen Einschätzung der gegenwärtigen Weltlage am Anfang des 21. Jahrhunderts.
Analyse kultureller Faktoren
Der Hinweis darauf, die Invasoren seien eine Kaste
Die meisten Aspekte des Kalachakra-Systems haben drei Ebenen der Bedeutung: die externe oder äußere (die sich mit Geschichte und Astronomie befassen), die interne oder innere (die sich mit menschlicher Physiologie und Krankheit befassen) und die alternative (die die Tantrapraxis mit der „Kalachakra“ genannten Buddha-Gestalt behandeln). Die drei Ebenen entsprechen sich stets..
Auf der äußeren Ebene bezieht sich der Begriff rigs (Skt. kula, „Familie“) auf Kaste. Nach dem Vers aus dem „Gekürzten Kalachakra-Tantra“ bilden die nichtindischen Invasoren eine spezielle Kaste.
Manjushri-Yashas als erster Kalki vereinte die Menschen von Shambhala in einer Kaste, der Vajrakaste, indem er sie alle zu Vajra-Brüdern und -Schwestern im Kalachakra-Mandala machte. Als eine Kaste, die sich dem Befolgen reiner ethischer Prinzipien widmete, würden sie eine einige Gesellschaft bilden, mit der moralischen Kraft, sich einer Invasion derer zu widersetzen, die sie von ihren spirituellen Pfaden abbringen wollten.
An anderen Stellen präsentiert das Tantra Methoden um nicht nur die hinduistischen Brahmanen, sondern auch die nichtindischen Invasoren zum Pfad des Buddhismus zu führen. Dies impliziert, dass die Mitglieder der Kaste der Invasoren ebenfalls der Vajrakaste im Mandala des Kalachakra beitreten konnten.
Eine der spezifischen Eigenschaften sowohl des Hinayana- als auch des Mahayana-Buddhismus ist es, dass unter Nichtbeachtung der Kastenunterschiede alle Menschen, die einem buddhistischen Mönchs- oder Nonnenkloster beitreten, ihre Kastenunterschiede abstreifen und eine Gemeinschaft (Skt. sangha) bilden. Die wörtliche Übersetzung der tibetischen Wiedergabe von „Sangha“ als „dge-‘dun“ („diejenigen, die das Konstruktive anstreben“) weist auf das Ziel der Gemeinschaft hin. Es besteht darin, einer spirituellen Ordnung zu folgen, nicht einer politischen oder einer militärischen, wie es manche behaupten mögen.
Sich im Kalachakra-Mandala zu vereinen ist allerdings nicht gleichwertig mit dem Eintritt in eine monastische Institution oder damit, ein Buddhist zu werden. Die Absicht des Ersten Kalkis war weder, dass alle Hindus und Muslime zum Buddhismus konvertieren sollten, noch, dass sie eine Armee von Kreuzfahrern bilden sollten. Das Ziel war, dass sie in Harmonie und Frieden zusammenlebten, wie eine Kaste. Dies folgt aus dem Gebrauch, der im Mahayana von demselben Begriff rigs gemacht wird, um die Buddha-Natur (tib. sangs-rgyas-kyi rigs) zu bezeichnen. Daher müssen wir die tiefere Bedeutung des Begriffs im Vers auf der alternativen Ebene des Kalachakra betrachten.
Das Verhältnis zwischen Kaste und Buddha-Natur
Buddha-Natur bezieht sich auf die angeborenen Potentiale und Qualitäten, die es einer Person erlauben, die Erleuchtung zu erlangen und ein Buddha zu werden. Letztendlich gehört jeder bereits zu ein und derselben Kaste: zur Kaste derjenigen, die die Buddha-Natur besitzen. Eine tantrische Ermächtigung (Initiation) zu erhalten, wie die in das Kalachakra-Mandala, erweckt die Buddha-Natur jeder Person. Selbst wenn Nichtbuddhisten den Pfad Buddhas nicht annehmen, wird ihr Eintritt ins Kalachakra-Mandala sie an ihre Einheit mit allen anderen erinnern, die darin besteht, dass jeder die Buddha-Natur besitzt. Indem sie sich als eine Vajra-Kaste zusammentun, bekräftigen alle erneut ihre Buddha-Natur, um den höchstmöglichen Zustand spiritueller und ethischer Evolution zu verwirklichen.
Innerhalb des Buddhismus können Menschen den Shravaka-, Pratyekabuddha- oder Bodhisattva-Kasten (-Naturen) angehören, als drei Typen von Praktizierenden, die sich zu, verschiedenen spirituellen Pfaden hingezogen fühlen und verschiedene spirituelle Ziele anzustreben. Diese Unterschiede in ihrer Natur oder Kaste sind allerdings nur provisorisch. Letztendlich hat jeder die Buddha-Natur und gehört zur Buddha-Kaste derjenigen, die Buddhas werden können.
In ähnlicher Weise klassifiziert die Kalachakra-Literatur die Nichtbuddhisten innerhalb von Kasten, die die Namen der verschiedenen Wiedergeburts-Bereiche tragen – Götter, Asuras (eifersüchtige „Anti-Götter“), Nagas („Wassermänner“ und „Meerjungfrauen“), Bhutas (Elementarwesen) und Menschen. Das sechszehnzeilige Wurzel-Mantra des Vajravega (rdo-rje shugs kyi rtsa-sngags bcu-drug-pa) – der extrem kraftvollen Form der Buddha-Gestalt Kalachakra – bezieht sich auf dieses Klassifizierungsschema. Hier wird Vajravega „der Herr der Götter, der Herr der Asuras, der Herr der Nagas (Skt. phanendra), der Herr der Bhutas und der Herr der Menschen“ genannt. Wir werden die Bedeutung von Asuras, Nagas und Bhutas weiter unten untersuchen.
Die Zugehörigkeit zu einer dieser Kasten deutet auf einen starken Drang, dem Verhalten der Wesen des entsprechenden Wiedergeburtsbereiches (tib. skye-gnas, „Geburtsort“) zu folgen. Mitglieder dieser Kasten haben die „Naturen“ dieser Wiedergeburtszustände. Die Tatsache, dass sie beispielsweise die Asura-Natur oder die Naga-Natur haben, weist jedoch auf nur provisorische Kastenunterschiede zwischen allen Wesen hin. Wie im Falle derjenigen, die die Shravaka-Natur und die Pratyeka-Buddha-Natur haben, sind letztendlich die Mitglieder aller Kasten (mit allen provisorischen Naturen) im Besitz der Buddha-Natur (Vajra-Natur) und gehören zur Buddha-Kaste (Vajra-Kaste).
Die Invasoren als Mitglieder der Asura-Naga Kaste
Nach Aussage des Verses handelt es sich bei der Kaste, zu der die nichtindischen Propheten und Invasoren gehören, um die Asura-Naga Kaste. Einige westliche Gelehrte haben „Asura-Naga“ als „dämonische Schlangen“ übersetzt. „Dämonen“ ist die Übersetzung des tibetischen „lha ma-yin“ (Skt. asura, Anti-Götter) und „Schlangen“ die von „lag-‘gro“, einem Synonym für „klu“ (Skt. naga) übersetzt. Die Wahl dieses Übersetzungen ist für Christen und Muslime gleichermaßen verletzend.
Christen und Muslime, die „dämonische Schlangen“ lesen, werden denken, dass das Kalachakra die Propheten als „den Teufel“ bezeichnet. Dies ist so, da Dämonen (die Folterknechte der Hölle) und Schlangen (das Reptil, dass Adam und Eva davon überzeugte, sich Gottes Gebot zu widersetzen) mit dem Teufel assoziiert werden, der als Herrscher der Hölle unter der Erde lebt.
Es kann mehrere mögliche Gründe dafür geben, dass die Kategorien der Asuras und Nagas im Bezug auf die Propheten der Invasoren und auf ihre Anhänger angewandt werden. Die Bibel und der Koran beschreiben Gott oft als einen eifersüchtigen Gott. Innerhalb eines indischen Kulturkontexts entsprechen Wesen, die mächtiger als Menschen sind und den traditionellen indischen Göttern gegenüber eifersüchtig sind, den kennzeichnenden Merkmalen der Asura- Wesen. Aufgrund ihrer Eifersucht beginnen die Asuras ständig Kämpfe, um die Götter zu stürzen. Die Tatsache, dass die Asuras immer besiegt werden, hätte einem indischen Leser allerdings die Hoffnung gegeben, dass jede beliebige nichtindische Invasion durch Mitglieder der Asura-Kaste letztendlich scheitern würde.
Nagas sind Wesen, deren Oberkörper, Kopf und Arme menschlich sind, während der untere Teil ihres Körpers der einer Schlange ist. Sie sind extrem reich, beschützen die Dharmalehren, legen Wert auf Sauberkeit und schaden denen, die sie (die Nagas) beleidigen. Wenn man die nichtindischen Invasoren mit Anhängern messianischer Formen des Islams identifiziert und den allgemeinen Eindruck betrachtet, den die zeitgenössischen Buddhisten vom Islam hatten, so stellt man fest, dass er den Eigenschaften der Nagas entsprach: muslimische Herrscher waren äusserst reich. Sie waren die Verteidiger der Reinheit des Islams, wuschen sich fünfmal täglich vor dem Gebet und bestraften diejenigen, die sie angriffen. Wenn Nichtmuslime ihnen eine Kopfsteuer zahlten, erhielten sie den Status von Dhimmi-Schutzbürgern. Wenn sie die Zahlung verweigerten und auch nicht die Alternative wählten, nämlich den Islam anzunehmen, wurden sie streng bestraft. In einem indischen Kulturkontext haben die vorausgesagten Invasoren daher die Eigenschaften der Kaste der Naga-Wesen.
Darüber hinaus wird in der Kalachakra-Beschreibung des Universums der obere Teil des Erd-Mandalas (das erste der fünf Elemente-Mandalas unter der Erdoberfläche) in seiner einen Hälfte von den Asuras und in der anderen von den Nagas bewohnt. Die Asuras leben unter dem Ozean, der den Berg Meru umspült, die Nagas unter der Erde und unter den Ozeanen der verschiedenen Kontinente, auf denen die Menschen leben. Daher macht es innerhalb des Kalachakra-Kontextes Sinn, die Asura und Nagas in einer Gruppe zusammenzufassen
Im Tantra formen die beiden Wörter ein Kompositum: Asura-Naga. Sanskrit-Komposita können in verschiedenen Weisen interpretiert werden. Man betrachte das Beispiel „König -Vater“. Als ein Dvandva-Kompositum bedeut es „Vater und König“. Die beiden Worte könnten sich auf zwei verschiedene Individuen oder auf dieselbe Person beziehen Als ein Tatpurusha-Kompositum kann es „Vater des Königs“, „königgleicher Vater“ oder „König, der wie ein Vater ist“ bedeuten. All diese Lesarten sind möglich. Dasselbe gilt für „Asura-Naga“:
(1) Padmani, Butön und Kedrubje interpretieren alle „Asura-Naga“ als Dvandva-Kompositum: „Asuras und Nagas.”
(a) Für Padmani und Butön sind die Asuras und Nagas zwei getrennte Kasten. Dies wird durch die Tatsache gestützt, dass die acht Propheten in zwei Gruppen aufgelistet werden: in einer Dreier- und einer Fünfergruppe.. Nach ihrer Interpretation gehören Adam, Noah und Abraham zur Asura-Kaste; Moses, Jesus, Mani, Mohammed und Mahdi zur Naga-Kaste. Im sechzehnzeiligen Wurzel-Mantra von Vajravega, das oben zitiert wurde, sind Asuras und Nagas klar unterschiedene Gruppen.
Der Padmani-Kommentar ist in seiner Interpretation, wonach es innerhalb der Acht zwei Kasten von Propheten gibt, schlüssig, wenn er schreibt: „Derjenige, der „der Weißgekleidete“ genannt wird, ist Mahamayin. Dieser wird den Dharma der Asuras und so weiter in den Städten des Landes von Mekka und so weiter verbreiten“. Das „und so weiter“ (tib. la-sogs-pa) nach „Asuras“ könnte den Dharma der Propheten der Naga-Kaste mit einschließen.
(b) Kedrubje nimmt an, dass Asuras und Nagas unterschiedliche Arten von Wesen sind, führt jedoch aus, dass sie eine Kaste bilden, nämlich die Asura-Naga Kaste, die letztendlich die Asura-Kaste ist. Als Beweis führt er an, dass sich an anderen Textstellen zahlreiche Passagen auf die gesamte Kaste der nichtindischen Invasoren als Mitglieder der Asura-Kaste beziehen. Alle acht Propheten sind Lehrer des Dharmas der rivalisierenden eifersüchtigen Götter, die die traditionellen indischen Götter herausfordern werden. Da König Manjushri-Yashas die hinduistischen, brahmanischen Weisen von Shambhala vor einer zukünftigen Invasion warnte, die ihre Lebensweise bedrohen würde, würde es Sinn machen, alle acht Propheten als Mitglieder der Kaste der eifersüchtigen Asuras zu bezeichnen.
Darüber hinaus scheint der Padmani-Kommentar in zwei Aussagen seiner eigenen Position zu widersprechen, wonach die Propheten zwei Kasten bilden:
- Nach seiner Paraphrase der ersten drei Verszeilen, die alle acht Namen nennen, kommentiert er: „Diejenigen, die diese Namen von Nichtbuddhisten und so weiter tragen, werden das Dharma der Asuras verbreiten.“
- Kurz darauf beschreibt er Mekka als „[den Ort] in dieser Welt, an dem die Asura-Kaste die Form der mächtigen, gnadenlosen Mlecchas haben wird“.
Wenn es sich bei den Asuras und den Nagas um getrennte Kasten handeln würde, dann würde aus der Tatsache, dass fünf der Propheten, einschließlich Mohammed, in der sogenannten Naga-Kaste aufgeführt werden, der absurde Schluss folgen, dass Propheten aus der Naga-Kaste die Dharmas der Asura-Kaste lehren.
(2) Wenn wir „Asura-Naga” als ein Tatpurusha-Kompositum verstehen, könnte es „acht Asuras“ bedeuten.. Dies würde auch zu Kedrubjes Folgerung führen, wonach alle acht Propheten und ihre Anhänger der Asura-Kaste angehören.
Sowohl „Naga“ als „Schlange“ sind Kodewörter für die Zahl Acht. Die Kalachakra-Literatur enthält oft solche Kodewörter, die in Texten, die sich mit indischer Mathematik, Astronomie, und Astrologie befassen, häufig verwendet werden. Beispielsweise beginnt der Vers des „Gekürzten Kalachakra-Tantra“, der diesem unmittelbar vorangeht, folgendermaßen: „Die sieben Strahlen, Berg, Wochentage, Weisen und so fort.“
- Obwohl Padmani „Naga“ nicht als Kodewort für „Acht“ interpretiert, erklärt er „Berg“ als Kodewort für „Sieben“. Daher könnte man parallel argumentieren, dass „Naga“ „Acht“ bedeutet.
- Kedrubje betrachtet „Berg“ nicht als Kodewort für „Sieben“ sondern interpretiert es als eine gesonderte Kategorie, die sieben Mitglieder umfasst. In ähnlicher Weise interpretiert er „Naga“ nicht als ein Kodewort für „Acht“.
Es ist unmöglich, die Frage zu beantworten, ob man „Asura-Naga“ mit „Asuras und Nagas“ im Sinne von zwei verschiedene Kasten oder von einer Kaste mit „acht Asuras“ oder sogar mit „Naga-gleiche Asuras” übersetzen soll. Der Abschnitt im Tantra trägt zur Lösung dieser Frage nichts bei, da er den Dharma der Asura-Kaste oder den Dharma der Naga-Kaste nicht erwähnt.
„Asura“ ist keine Übersetzung für „Antichrist“
Einige könnten der Meinung sein, dass es sich beim Begriff Asura (Anti-Gott), wenn er im Kalachakra auf die invasorischen Propheten angewandt wird, um eine Übersetzung des biblischen Begriffs Antichrist handelt. Schließlich bedeutet „sura“ auf Sanskrit Gott und „a“ ist das Negationspartikel, das hier sowohl impliziert, dass die Asuras keine Götter sind, als auch, dass sie gegen die Götter sind.
Das deutsche Wort Antichrist kommt vom griechischen Antichristos. „Christos“ bedeutet „der Gesalbte“ und „anti“ ist ein Präfix mit der Bedeutung „gegen“ oder „statt, an Stelle von“. Auf Griechisch erscheint „Antichristos“ als Synonym der Begriffe Pseudoprophetes („der falsche Prophet“, „der lügende Prophet“) und Planos („Der Betrüger“, „der, der in die Irre führt”).
Auf Arabisch wird der falsche Messias „al-masih ad-dajjal“ („der betrügerische Messias“) genannt, was allgemein als „Dajjal“ („der Betrüger“) gekürzt wird. Ein weniger verbreiteter Begriff ist „Idu Masih“, was „Gegen-Messias“ bedeutet. So entsprechen die arabischen Bezeichnungen eher „Pseudoprophetes“ und „Planos” als „Antichristos“.
Der Islam leitete allerdings viele seiner Namen von der syrischen Bibel der nestorianischen Christen ab, und nicht von der älteren griechischen Bibel. Das arabisch Wort Dajjal leitet sich vom Syrischen Daggal ab, das ebenfalls „der Täuscher“ oder „der Lügner“ bedeutet. Indem er sie mit seinen Lügen täuscht, bringt Daggal/Dajjal die anderen dazu, ihn als den Messias anzuerkennen. Seinerseits leitet sich der syrische Begriff hauptsächlich von früheren essenisch-jüdischen Versionen ab, die Begriffe wie „Mann der Lügen“ für den Widersacher des Messias verwandten, und nicht Begriffe, die dem „Antichristen“ entsprachen.
Die Buddhisten, die am abbasidischen Hof in Bagdad Kenntnisse über den Islam, das nestorianische Christentum und die manichäische Schia gewannen, hätten dem griechischen Begriff des Antichristos nicht begegnen können. Sie konnten nur dem arabischen Dajjal und dem syrischen Daggal begegnet sein.
Daher ist es unwahrscheinlich, dass die spätere Assoziierung des Begriffs Asura mit den nichtindischen Propheten eine Übersetzung von „Antichristos“ wäre, der im Sinne von „Anti-Kalki“ gebraucht worden wäre. Außerdem ist die Hauptcharakteristik der Asuras die Eifersucht, nicht die Täuschung. Die Bezeichnung „Asura“ im Kalachakra muss also aus dem rein indischen kulturellen Kontext heraus verstanden werden.
Mögliche Gründe für die Zusammenfassung der letzten fünf Propheten zu einer Gruppe
In der Koran-Liste von fünfundzwanzig Propheten sind fünf als gesetzstiftende Propheten zusammengefasst: Noah, Abraham, Moses, Jesus und Mohammed. Die Kalachakra-Liste allerdings macht Moses, Jesus, Mani, Mohammed und Mahdi zu einer Fünfergruppe. Betrachten wir zwei mögliche Gründe für die Gruppierungsweise des Kalachakra.
(1) Auf der äußeren, historischen Bedeutungsebene stellen vier der Propheten Traditionen dar, die einen Messias vorhersagen, und der fünfte ist der Messias selbst. Moses repräsentiert das Judentum, Jesus das Christentum, Mani den Manichäismus, Mohammed den Islam (speziell die verschiedenen messianischen Schulen des Islams) und Mahdi ist der islamische Messias.
Mahdi, als der Messias der Invasoren, der sich unter verschiedenen Namen im Judaismus, im Christentum, im Manichäismus und im Islam findet, wird der Rivale des indischen Messias Kalki sein, den man sowohl im Hinduismus als im Buddhismus findet.
(2) Auf der alternativen Ebene bedeutet Mathani, die Lautumschrift von Mahdi, „der Zerstörer“. Dies ist eine Parallele zu Krinmati, dem anderen Namen Mahdis, der „eine Geisteshaltung der Zerstörung“ bedeutet. Nach dem „Gekürzten Kalachakra Tantra“ repräsentiert das Pferd, auf dem Mahdi reiten wird, die Unwissenheit. Er wird eine Armee von vier Divisionen führen, die den Hass, die Böswilligkeit, den Groll und das Vorurteil repräsentieren. Zusammen repräsentieren die fünf die Geisteszustände, die sich aus negativer karmischer Kraft ergeben (tib. sdig-pa). Vielleicht ist die Tatsache, dass Mahdi und die vier vorangehenden Propheten als Fünfergruppe zusammengefasst werden, ein Hinweis auf diese fünf Geisteszustände, die der Kalki Raudrachakrin besiegen wird.
Nach Aussage anderer Passagen im Tantra-Text repräsentiert Mohammed überdies den Pfad destruktiven (untugendhaften) Karmas. Die Tatsache, dass sowohl Mahdi als Emanation Mohammeds als auch die vier Divisionen seiner Armee den Lehren des Mohammeds folgen, hat ihre Entsprechung darin, dass sich alle negative karmische Kraft aus dem Pfad des destruktiven Karmas ergibt.
Die Propheten besitzen die Grundeigenschaft des Tamas
Tamas (tib. mun-pa, Dunkelheit) ist in der hinduistischen Samkhya-Schule einer der drei materiellen Grundbestandteile bzw. eine der drei Grundeigenschaften (tib. yon-tan gsum, Skt. triguna, drei Qualitäten). Die anderen beiden sind Rajas (Fleck der Leidenschaft; tib. rdul, Fleckchen Menstruationsblut) und Sattva (tib. snying-stobs, geistige Stärke). Um den hinduistischen Brahmanen verständlicher und zugänglicher zu sein, benutzte das Kalachakra Begriffe aus dem Samkhya, z.B. Tamas, Rajas und Sattva. Es benutzte dieses Dreierschema in verschiedenen Zusammenhängen, aber mit verschiedenen Bedeutungen.
Manchmal wurden die drei bezogen auf die drei giftigen Geisteshaltungen und auf die Befreiung von diesen angewandt. Tamas ist Naivität (tib. gti-mug, Skt. moha) oder Ignoranz; Rajas ist Begierde und Wut und Sattva der Geist, der von allen dreien frei ist.
Manchmal wurden die drei mit Bezug auf Karma und die Befreiung von Karma angewandt. Tamas ist zerstörerisches (untugendhaftes) Verhalten; Rajas ist samsarisch konstruktives (tugendhaftes) Verhalten und Sattva ist das Verhalten, das von beiden getrennt ist und über sie hinausgeht. Alternativ hierzu ist Tamas zerstörerisches Verhalten, Rajas gemischtes konstruktives und destruktives Verhalten und Sattva konstruktives Verhalten.
Nach Padmanis und Butöns Interpretationen bedeutet der Tantra-Vers, dass die konstituierende Grundeigenschaft des Tamas insbesondere auf die letzten fünf Propheten zutrifft. So könnte die Tatsache, dass es fünf Propheten gibt, darauf hinweisen, dass sie fünf Aspekte der Unwissenheit und des destruktiven Verhaltens repräsentieren. Dies würde mit der obigen Analyse übereinstimmen, wonach die fünf als Gruppe zusammengefasst werden können.
Nach Kedrubjes Interpretation bedeutet der Vers, dass die konstituierende Eigenschaft des Tamas auf alle acht Propheten zutrifft.
Die Einordnung der fünf Typen von Wesen in die drei Arten von Wiedergeburtszuständen
Obwohl Kedrubje das Folgende nicht als seine Begründung angibt, stellt die Anwendung von „Tamas“ auf alle acht Propheten eine Parallele zum Gebrauch von „Sattva“ und „Rajas“ im unmittelbar vorangehenden Vers des „Gekürzten Kalachakra Tantras“ dar, wo mit diesen Begriffen auf ganze Listen von Gestalten Bezug genommen wird. Diesem Vers zufolge gehören die sieben Weisen (Skt. rshi, die sagenumwobenen Poeten, die die „Vedas“ verfassten) und die sieben Himmelskörper (im Hinduismus Götter) zum Wiedergeburtsbereich/zur Kaste der Götter, was sich aus einer Vorherrschaft des Sattva ergibt. Die acht Avatare Vishnus – die die Zehnerliste mit Ausnahme der letzten beiden, nämlich Buddha und Kalki – gehören zum Wiedergeburtsbereich/zur Kaste der Elementarwesen (tib. ‘byung-po, Skt. bhuta), was sich aus einer Vorherrschaft des Rajas ergibt.
Es ist kein Einzelfall, dass der Begriff Bhutas hier auf Vishnu angewendet wird. Auch in der Vajrabhairava-Literatur erscheint er mit dieser Bezugnahme auf Vishnu in dem Mantra, das dazu dient, den fünfzehn Richtungsbeschützern (tib. phyogs-skyong) Gaben darzubringen. Vajrabhairava ist die sehr kraftvolle Form des Manjushri und wird ebenfalls in „Ein Konzert der Namen des Manjushri“ erwähnt. Im Kalachakra-Vers versteht Kedrubje „Bhuta“ als die Kaste der Wiedergeburt als Tier und interpretiert es als die menschliche Kaste. Dies folgt aus der Tatsache, dass von den acht Avataren des Vishnu drei eine tierische Form haben, einer halb Mensch halb Tier ist, und vier Menschen sind. Daher passt Kedrubjes Erklärung von Asura-Naga gut.
Padmani versteht „Bhutas“ mit der Bedeutung „Kaste der Pretas (Geister)“ und interpretiert es als Asura-Kaste. Dies folgt der weiter verbreiteten buddhistischen Klassifikation der Bhutas als Elementargeister.
Kedrubjes Interpretation von „Bhutas“ erscheint am sinnvollsten. Aus seiner Analyse können wir folgern, dass sich die fünf Klassen der Wesen zu drei Arten von Wiedergeburtszuständen verdichten. Die Götter sind Sattva, Bhutas (Tiere) und Menschen sind Rajas, während die Asuras und Nagas Tamas sind. Diese Verdichtung der fünf Kasten zu drei entspricht der Verdichtung der fünf Buddha-Kasten (Buddha-Familien) des Anuttarayoga-Tantra zu den drei Buddha-Kasten des Kriya-Tantra.
Emanationen des Buddha
Nach dem Padmani-Kommentar erschien Buddha, um die Geister der Nichtbuddhisten (der Hindus) zu zähmen, als Emanation in der Form sowohl der Sattva-Liste von sieben Weisen und sieben Himmelskörpern, als auch der der Rajas-Liste von acht Avataren. In der Sattva-Liste herrschen konstruktive Gedanken vor, während die Rajas-Liste durch eine Mischung aus konstruktiven und destruktiven Gedanken gekennzeichnet ist. Obwohl dies nicht explizit ausgedrückt wird, herrschen in der Tamas-Liste destruktive Gedanken vor.
Nach Aussage des Tantra-Verses wird die Rajas-Liste der Avatare die Asuras terrorisieren; doch Chakrapani (der dem fünfundzwanzigsten Kalki, Raudrachakrin, entspricht) wird der eigentliche Gegner sein, der sie besiegt. Dies impliziert zwei Ebenen, auf denen man destruktive Gedanken und negatives Karma überwindet: eine provisorische und eine letztendliche.
Auf der provisorischen Ebene terrorisiert das Rajas das Tamas, während das Sattva jenseits des Konfliktes steht. So manifestiert sich Buddha provisorisch als die Avatare des Gottes Vishnu, die den Invasoren Angst einjagen, und als die vedischen Weisen und Götter, die über der Schlacht stehen. Letztendlich allerdings wird Buddha die Invasoren als Kalki und nicht in Form der Weisen besiegen. Eine solche Präsentation war wohl für ein hinduistisches Publikum verständlich und akzeptabel. Die Symbolik der Buddha-Gestalt Kalachakra, die die alternative Bedeutung des Kalki darstellt, ist dann ein Hinweis auf die tiefere Bedeutung, zu der die Zuhörerschaft geleitet werden kann.
Nach Aussage der hinduistischen Samkhya-Schule wird das Universum aus Urmaterie (tib. spyi'i gtso-bo, Skt. prakrti) und individuellen Wesen bzw. individuellem Bewusstsein (tib. skyes-bu, Skt. purusha) gebildet. Die Urmaterie ist eine Verflechtung der drei materiellen Urbestandteile Sattva, Rajas und Tamas, welche die individuellen Wesen und das individuelle Bewusstsein binden. Als Ergebnis der eigenen Handlungen produziert die vorherrschende konstitutive Eigenschaft der Handlung den Typ von Wiedergeburtszustand, in den man übergeht, während verschiedene Kombinationen der drei die vierundzwanzig materiellen Faktoren (tib. de-nyid, Skt. tattva) produzieren, die während dieser Wiedergeburt erfahren werden. Befreiung ist das Erreichen der Freiheit von der Urmaterie und ihren drei Urbestandteilen.
Als geschickte Methode, um ein hinduistisches Publikum zu belehren, stellt die Ikonographie der Buddha-Gestalt des Kalachakra nicht nur den buddhistischen Pfad, sondern auch den des hinduistischen Samkhya dar. Die vierundzwanzig Waffen, die Kalachakra in seinen vierundzwanzig Armen hält, stellen seinen Sieg über die vierundzwanzig materiellen Faktoren dar, die aus Kombinationen von Sattva, Rajas und Tamas gebildet werden. Die Kalachakragestalt selbst repräsentiert das befreite individuelle Wesen bzw. das befreite individuelle Bewusstsein.
Die Bedeutung hiervon ist, dass Kalki („Geist-Vajra,“ das glückselige Klare-Licht-Bewusstsein der Leerheit) nicht nur Tamas überwindet, sondern auch Rajas und Sattva. Er überwindet nicht nur den Wiedergeburtszustand der Asura-Naga, sondern auch den der Bhutas und Menschen sowie den der Götter, und ist damit frei von allen samsarischen Wiedergeburten. Samsara ist sich unkontrollierbar wiederholendes Wiedergeborenwerden, das voll von Leiden und Problemen ist. In anderen Worten überwindet Kalki nicht nur das destruktive Karma, sondern auch das gemischte destruktiv-konstruktive Karma sowie das samsarisch-konstruktive Karma.
Obwohl sich die vorausgesagte apokalyptische Schlacht also gegen die nichtindischen Invasorentruppen des Tamas richtet, geht die spirituelle Schlacht letztendlich gegen alle positiven und negativen samsarischen Kräfte, die von den indischen sowie den nichtindischen Gruppierungen repräsentiert werden. Der Sieg über das Tamas ist nur der erste Schritt auf der spirituellen Reise; Rajas und Sattva müssen auch überwunden werden. Dies bedeutet nicht, dass der Buddhismus darauf erpicht ist, die Welt zu erobern. Der Buddhismus bezweckt die Befreiung aller Wesen aus dem Leiden des Samsara.
Der Tantra-Vers weist also darauf hin, dass der erste Schritt auf dem spirituellen Pfad zur Befreiung darin besteht, dass man das eigene destruktive Verhalten überwindet, indem man in konstruktiver Weise oder mit einer Mischung aus konstruktiven und destruktiven Gedanken handelt. So wie die die Götter außer Reichweite sind, ist reines konstruktives Verhalten zu Beginn jenseits der eigenen Fähigkeiten. Dies wird durch die hinduistischen Avatare dargestellt, die die nichtindischen Propheten terrorisieren, während die vedischen Weisen oberhalb bleiben. Letztendlich jedoch wird Geist-Vajra benötigt, um alles Karma zu überwinden – das negative, das positive und das gemischte. Dies wird durch Kalki dargestellt, der nicht nur den Wiedergeburtszustand/die Kaste der Invasoren zunichte macht, sondern mit der Symbolik seiner vierundzwanzig Arme die Wiedergeburt in allen möglichen Zuständen überwindet.
Mahdi als der Verfinsterte
Nach dem ursprünglichen Sanskrittext (mathani yo ashthama: so ‘ndhaka: syat) wird „Mathani (Mahdi), der achte, der Geblendete sein.” Nach der tibetischen Übersetzung (‘joms-byed brgyad-pa gang-de mun-pa-can) wird „Mathani (Mahdi), der achte, [die primäre konstitutive Eigenschaft der] Dunkelheit (Tamas) haben.” Padmani erklärt die Zeile entsprechend dem ursprünglichen Sanskrit.
Das Sanskritwort Andhaka, das hier als „der Geblendete“ wiedergegeben wird, kann in mehreren Weisen interpretiert werden:
(1) „Andhaka“ ist ein astronomischer Begriff, der sich auf einen Himmelskörper während einer Eklipse bezieht, wenn ihn ein anderer Himmelskörper aus der Sicht blendet.
Das Kalachakra beinhaltet ausgedehnte astronomische Lehren und betont die Parallelen zwischen Merkmalen in der Astronomie, der Physiologie und der Tantrapraxis (äußeres, inneres und alternatives Kalachakra). Daher ist es vernünftig, dass es innerhalb der Darstellung des äußeren Kalachakra auch Parallelen zwischen Merkmalen der Astronomie und der Geschichte liefert.
Nach der ismaelitischen Schia verschwand der siebte Imam – nach der Ithna Ashari Shiah ist es der zwölfte Imam – als Kind, wird aber als der Mahdi wiederkehren. In astronomischen Begriffen wurde das Licht des Imams ausgeblendet, doch es wird in der Zukunft wiederkehren.
(2) „Andhaka“ könnte darauf hinweisen, dass Mahdi tatsächlich blind sei.
In der islamischen Version der Apokalypse wird der Betrüger-Messias Dajjal auf dem rechten Auge blind sein; Mahdi wird allerdings nicht als blind beschrieben. Nach islamischen Kommentaren bedeutet „auf einem Auge blind“, dass dem Dajjal das Auge der Weisheit fehlen wird und dass er blind für die Wahrheit des Islams sein wird.
Wie in zuvor zitierten Beispielen übernimmt das Kalachakra bestimmte Merkmale der islamischen Version als eine didaktische Methode. Vielleicht spricht es deshalb das symbolische Merkmal von Dajjals einem blinden Auge dem Mahdi zu, obwohl es nicht spezifiziert, dass die Blindheit nur eines der Augen betrifft.
Interessanterweise schreibt „Ein Konzert der Namen des Manjushri“ dem Manjushri (von dem Raudrachakrin eine Emanation ist) als Beinamen zu, dass er das eine Auge des tiefen Gewahrseins (tib. ye-shes mig-gcig, Skt: jnana-eka-caksha) besitzt. Ob dies eine absichtliche Parallele darstellt oder nicht, wäre schwierig nachzuweisen.
(3) „Andhaka“ könnte „Einer in der Finsternis“ bedeuten und bezöge sich so darauf, dass Mahdis die primärkonstitutive Eigenschaft des Tamas hätte, wie in der tibetischen Übersetzung des Tantra-Verses.
Der vorangehenden Zeile des Verses zufolge besitzen die letzten fünf Propheten der Invasoren die konstituierende Eigenschaft des Tamas (Dunkelheit). Da Mahdi einer von ihnen ist, müsste er diese Eigenschaft teilen. Die Wiederholung von Tamas könnte der Betonung dienen, nämlich um herauszustreichen, dass Mahdi die Unwissenheit oder die Ignoranz bezüglich der buddhistischen Erklärung der wahren Natur der Realität repräsentiert.
(4) Unabhängig davon, wie viele der obigen Hypothesen korrekt oder falsch sind, könnte „Andhaka“ auch in der Tantrapraxis eine tiefere Bedeutung haben.
Im Kalachakra erscheint Finsternis (tib. mun-pa, Skt. tamas) auch als Synonym für die Ebene des Vakuums der Annäherung (tib. nyer-thob, schwarze Fast-Verwirklichung) des Geistes. In den Stadien der Auflösung der Geistesebenen, die die Dinge als inhärent exisitierend erscheinen lassen, ist das Stadium des Vakuums der Annäherung die Eklipse der unmittelbar vorausgehenden Stadien der Licht-Diffusion (tib. mched-pa, roter Zuwachs) und der Erscheinungs-Erstarrung (tib. snang-ba, weiße Erscheinung). Die zwei Phasen des Stadiums des Vakuums der Annäherung werden durch die Eklipsen verursachenden Planeten Rahu und Kalagni symbolisiert, die Licht-Diffusion durch die Sonne und die Erscheinungs-Erstarrung durch den Mond. Schließlich muss sogar die Eklipse in die feinste Ebene mentaler Aktivität, den Geist des klaren Lichtes, aufgelöst werden.
Im Laufe der Sequenz des Wiederauftauchens ist das Vakuum der Annäherung das erste wiederkehrende Stadium. Mit der Produktion von inhärent existierenden Erscheinungen kommt die Wiederkehr der Unwissenheit (Ignoranz) bezüglich der Tatsache, dass die Erscheinungen nicht der wahren Wirklichkeit entsprechen. Aus dieser Unwissenheit folgen störende Emotionen und destruktives Verhalten.
Raudrachakrin, der Mahdi besiegen wird, repräsentiert den „Vajra-Geist“, in anderen Worten, der Geist des klaren Lichtes mit dem „einen Auge des tiefen Gewahrseins“, das die Leerheit erkennt. Damit die Truppen Shambhalas (des Landes der Glückseligkeit), die das glückselige Bewusstsein der Leerheit repräsentieren, die Truppen Mahdis besiegen können, müssen sich alle im Konflikt stehenden Kasten Shambhalas im Kalachakra-Mandala vereinen und zu einer einzigen Vajrakaste werden. Dies ist eine Darstellung dessen, dass all die widerstreitenden Energie-Winde des Körpers (die die Produktion von Erscheinung inhärenter Existenz unterstützen) in den Geist des klaren Lichtes aufgelöst werden müssen. Nur durch eine solche Auflösung kann der resultierende Vajra-Geist erscheinen und eine Invasion der Produktion von Erscheinung inhärenter Existenz und darauffolgender Unwissenheit besiegen.
So könnte Raudrachakrins Sieg über Mahdi (Finsternis, Blindheit, die Eklipse) darstellen, wie der Geist-Vajra das Stadium des Vakuums der Annäherung wiederauftauchender Energie-Winde (wiederauftauchender trennender Kastenunterschiede) zerstört, so dass es nie wieder eintritt.
Diese Hypothese wird durch das Meditationssystem des Guhyasamaja-Tantra, das dem Kalachakra um mehrere Jahrhunderte vorausgeht, gestützt. Dort repräsentiert die Auflösung des Manjushri (von dem Raudrachakrin eine Emanation ist) aus dem Körpermandala beim Erreichen des Stadiums des Vakuums der Annäherung (gleichwertig mit Mahdi) die Anwendung des tiefen Gewahrseins der Leerheit auf diese Ebene, damit auch sie überwunden und in die Ebene Klaren Lichtes aufgelöst werden kann.. So repräsentiert Manjushri als Symbol, schon vor dem Kalachakra, die Gegenkraft, die in der Lage ist, „den Geblendeten“ zu besiegen.
Padmanis Prophetenliste
Die Zeile in Padmanis tibetischer Übersetzung, „Moses, dieser eine, und der Weißgekleidete, Mohammed und die Emanation“ (tib.‘di-dang dkar-po'i gos-can sbrang-bdag sprul-pa), ist problematisch. Da sich der Text auf Mohammeds Emanation als die achte in der Prophetenliste bezieht, kann die tibetische Übersetzung nur bedeuten, dass sich „dieser eine“ auf Jesus bezieht, und nicht auf Moses zurückverweist. Ansonsten würde Padmani nur sieben Propheten aufzählen. Butön allerdings führt hier explizit Jesus (tib. dBang-po, Skt: Isha) an. Daher ist die tibetische Übersetzung von Padmani unzuverlässig.
Die tibetischen Übersetzer haben offensichtlich „Isha“ – die Sanskrit-Lautumschrift von „Issa“, dem arabischen Namen für Jesus – mit dem Sanskrit-Demonstrativpronomen esha verwechselt, das „dies“ bedeutet. Das Sanskritwort, das diesem vorangeht, ist „Musa“ (die arabische Form von Moses) und nach den Regeln der Sanskritgrammatik würden sich sowohl „Musa Isha“ als auch „Musa Esha“ zu „Musesha“ verbinden. Wenn man „Esha“ mit „Isha“ austauscht, würde sich im Padmani-Kommentar folgende Lesart der Zeile ergeben: „Moses, Jesus, der Weißgekleidete, Mohammed und die Emanation.“ Dies würde mit der Zeile im Tantra, auf die sich dies als Kommentar bezieht, konform gehen.
„Padmanis Kommentar“: „Unter diesen ist derjenige, der ‚der Weißgekleidete’ genannt wird, Mahamayin,” wird sowohl von Butön als auch von Kedrubje verworfen. Padmanis Gleichsetzung von Mani und Mohammed allerdings könnte sich einfach aus der Implikation, dass Mohammed „der Lehrer des Mleccha-Dharma“ ist und aus dem Begriff „weißgekleidete Mlecchas” in „Makelloses Licht“ ergeben haben.
Diese Gleichsetzung könnte auch zwei weitere Erklärungen haben:
- Die nichtindischen Invasoren werden Mani nicht wirklich als einen ihrer Propheten betrachten, da Mani nicht tatsächlich ein separater Prophet war. Dies würde die Hypothese stützen, der zufolge die Zusammensteller der Kalachakra-Texte die manichäischen Schiiten mit den Ismaeliten verwechselten.
- Der Dharma der Invasoren wäre ein Amalgam aus den Lehren des Mani und des Mohammed.
Das „Mahamayin“ einfach als eine Lautumschrift von Mohammed benutzt wird, wird auch von Padmanis tibetischer Übersetzung bestätigt, die lediglich den Namen transkribiert. Die Tatsache, dass „Mahamaya“ („die Große Illusion“, tib. sGyu-‘phrul chen-po) einer der Namen des Manjushri im „Konzert der Namen des Manjushri“ ist, scheint keine Bedeutung zu haben.
Dem schiitischen Islam zufolge verschwand der letzte Imam – der siebte nach den Ismaeliten, der zwölfte nach der orthodoxen Shiah – und wird in der Zukunft als Mahdi wiederkehren. Es ist daher aus einem buddhistischen Gesichtspunkt angebracht, Mahdi „die Emanation“ zu nennen.
Bagdad im Land von Mekka
Im Tantra-Vers heißt es: „Der siebte wird offensichtlich aus der Stadt Bagdad im Land von Mekka kommen“.
Mohammed wurde im Jahr 570 u.Z. in Mekka geboren und starb im Jahr 632, Der zweite Kalif der Abbasiden, al-Mansur, erbaute Bagdad als Hauptstadt des abbasidischen Reiches aber erst im Jahr 762. So konnte Mohammed selbst offensichtlich nicht selbst nach Bagdad kommen. Ferner bezieht sich „das Land von Mekka“ vermutlich auf das abbasidische Reich mit seinen arabischen Ursprüngen. Die abbasidischen Kalifen waren schließlich Nachkommen des Mohammed.
„Padmanis Kommentar“: „…Mahamayin (Mohammed). Dieser wird das Dharma der Asuras und so weiter in den Städten des Landes von Mekka und so weiter verbreiten“ und sein Zusatz von „und so weiter“ nach Bagdad im Tantra-Vers weisen auf eine Interpretation hin, die besser mit den historischen Tatsachen übereinstimmt. In anderen Worten :Mohammeds Lehren über einen eifersüchtigen Gott werden sich nach Bagdad und in andere Städte im abbasidischen Reich verbreiten, und ebenso anderswohin.
Das Verhältnis zwischen der Kaste der Asura und den nichtindischen Invasoren
In der Beschreibung des Landes von Mekka steht im Tantra-Vers:
...(dem Ort) auf dieser Welt, in dem ein Teil der Asura(-Kaste) die Form (Skt. murti) der mächtigen, gnadenlosen Mlecchas haben wird....
Im „Konzert der Namen des Manjushri“ erscheint das Sanskritwort murti im Ausdruck jnanamurti, der physischen Form (Verkörperung) des tiefen Gewahrseins, der bezogen auf Manjushri verwendet wird. Der erste und der fünfundzwanzigste Kalki sind physische Formen, die Manjushri annimmt. Seinerseits ist Manjushri eine Repräsentation des tiefen Gewahrseins der wahren Realität (der Leerheit) in physischer Form. Parallel hierzu werden die nichtindischen Invasoren eine physische Form sein, die ein Teil der Asura-Kaste annehmen wird. Die Asura-Kaste wiederum repräsentiert in einer physischen Form den Mangel an Gewahrsein bezüglich der wahren Realität.
Diese Interpretation passt zu Kedrubjes Übersetzung von „murti“ als „gzugs“ (Körper, Verkörperung) und zu seinem Hinweis, dass Padmanis tibetische Übersetzung den Begriff als „rnam-pa“ (Aspekt) versteht. Schließlich bezieht sich im Kalachakra Leerheit mit einem Aspekt (tib. stong-nyid rnam-pa-can, Skt.: sakara shunyata) auf leere Form (tib. stong-gzugs, shunyatabimba).
Einige Übersetzer verstehen „murti“ als „Idol“ und geben die Zeile mit „Es ist dort, wo das mächtige, gnadenlose Idol der Barbaren, die dämonische Inkarnation, in der Welt lebt.“ Diese Interpretation widerspricht der islamischen Kultur. Alle Formen des Islams verbieten strikt das Anfertigen von Bildern oder Idolen.
Ferner werden nach Butöns und Kedrubjes Definition des Sanskrit-Ausdrucks Asuramshi (ein Teil der Asuras) als „Gruppe“ oder „Abteilung der Asuras“ nur einige der Anhänger des eifersüchtigen Gottes, nicht alle, die nichtindischen Invasoren ausmachen. Den Ausdruck mit „dämonische Inkarnationen“ zu übersetzen, macht wenig Sinn.
So bedeutet die Zeile im Tantra, dass das abbasidische Reich, das Land von Mekka, der Ort ist, an dem eineAbteilung der Anhänger der Lehren eines eifersüchtigen Gottes die Form der nichtindischen Invasoren annehmen wird. Diese Interpretation entspricht der vorangehenden Analyse von Mohammed als „ein Guru und Meister der nichtindischen invasorischen Tadschiken.”
Schluss
Zusammenfassend sind die nichtindischen Invasoren, die im Kalachakra besprochen werden, nicht notwendigerweise die abbasidischen Araber selbst, und auch nicht alle Muslime im Allgemeinen. Sie sind wahrscheinlich die Anhänger messianischer islamischer Schulen, die im abbasidischen Reich entstanden sind und die wohl darauf abzielen, ihren Mahdi als Weltherrscher zu etablieren.
Gemäss der Kalkulation, die im Text des Tantra angeführt wird, wird die apokalyptische Schlacht zwischen dem Kalki Raudrachakrin und dem Mahdi, und damit das Ende des Kaliyugas, nicht bald stattfinden, trotz der islamischen Voraussage, nach der die Welt 500 Jahre nach Mohammed enden wird. Das Kalachakra sagt ein Datum 1800 Jahre nach Mohammed voraus, nämlich das Jahr 2424 u.Z. Dieses Datum stimmt mit der Prophetie überein, nach der das Dharma der Invasoren 1800 Jahre lang andauern wird, wonach die Kalachakra-Lehren zwölf aufeinanderfolgende Perioden von jeweils 1800 Jahren in Blüte stehen werden, eine auf jedem der zwölf Teile des Südlichen Kontinents. 1800 ist eine signifikante Zahl, die in den Kalachakra-Lehren mehrfach mit verschiedenen astronomischen, physiologischen und meditativen Bedeutungen erscheint. Im Gegensatz hierzu wird nach Aussage der hinduistischen Prophetie das Kaliyuga in 360 000 Jahren enden.
Wenn wir das Datum 2424 wörtlich nehmen, können wir nicht gleichzeitig die Identifizierung der Invasoren mit Anhängern messianischer Formen des Islams am Ende des zehnten Jahrhunderts wörtlich nehmen. Die Invasoren müssen entweder die Nachkommen einer langlebigen Dynastie sein, die von einer solchen Gruppe begründet wurde, oder aber Anhänger messianischer Bewegungen, die durch die damals existierenden Bewegungen bloß repräsentiert und vielleicht nach deren Vorbild geformt wurden.
Andererseits nehmen einige moderne Interpreten das im Kalachakra vorausgesagte Datum nicht wörtlich und vertreten die Meinung, dass es sich vielmehr auf die gegenwärtige Situation zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts bezieht. Eine solche Interpretation stützt sich vielleicht auf die Vorhersagen von Nostradamus oder auf die millenarische Sicht, der zufolge das Jahr 2000 eine bedeutende Jahreszahl darstellt. Solche Argumente sind für den kulturellen Kontext des Kalachakra irrelevant.
Wenn wir weder die vorausgesagte Gruppe noch das vorausgesagte Datum wörtlich nehmen, ist die einzige vernünftige Folgerung, die man ziehen kann, die, dass das Kalachakra mit der Vorhersage versuchte, zwischen der Geschichte, der Physiologe und der Meditation Parallelen zu ziehen, so wie es dies mit der Geographie, der Anatomie und der Meditation tat. Infolge dessen musste die Vorhersage nicht nur in den historischen Kontext passen, in dem die Kalachakra-Literatur zuerst erschien. Sie musste auch der Kalachakra-Präsentation des Atem- und Energieflusses im Körper und den Stufen und der Struktur der fortgeschrittenen tantrischen Meditationspraxis entsprechen.
Am Ende des zehnten Jahrhunderts u.Z. herrschte im Mittleren Osten und in Teilen Südasiens der weitverbreitete Glaube, wonach die Apokalypse und das Ende der Welt etwas mehr als ein Jahrhundert später eintreten würden. Die meisten Menschen dieser Zeit beschäftigten sich mit dem Thema des Kommens eines Messias und der Buddhismus reagierte auf ihr Bedürfnis, indem er seinen spirituellen Pfad in einer Struktur präsentierte, die relevant und bedeutend für ihre Situation war. Obwohl die aus der indischen Kultur stammenden Begriffe Tamas, Asura, Naga und Mleccha auf die nichtindischen Invasoren angewandt wurden, ist es wohl überzogen, mehr als dies in die äußere Bedeutungsebene der Kalachakra-Prophetie hineinzulesen.