Analyse der Belagerung von Khotan

Das politische und religiöse Klima unter den Tanguten

Mit der Errichtung kitanischen Liao-Dynastie in der Mongolei, der Mandschurei und in Teilen des nördlichen Han-China im Jahr 947 und mit der Wiedervereinigung des übrigen Han-Chinas durch die Nördlichen Song im Jahr 960 wurden die Tanguten sowohl vom Norden als auch vom Osten bedrängt. Im südlichen Gansu, Ningxia (Ning-hsia) und im westlichen Shaanxi (Shan-hsi) besetzten die Tanguten ein strategisch wichtiges Gebiet am direkten Tor von Zentralasien nach Chang‘an, dem östlichen Endpunkt der Seidenstraße, die im Besitz der Nördlichen Song war. Obwohl die aus dem Westen kommenden Handelswege die Tanguten umgehen konnten, indem die Händler vom Gansu-Korridor aus durch Tsongka zogen, verlief der direkteste Weg durch das Gebiet der Tanguten. Viele Machthaber waren darauf aus, ihnen das Gebiet wegzunehmen. Die Tanguten widerstanden aber allen Angriffen. Nach sich hinziehenden Kriegen gegen die Kitan und die Nördlichen Song, erklärte sich der Tanguten-Herrscher Jiqian (Chi-chìan) (reg. 982 – 1004) im Jahr 982 selbst zum ersten König einer unabhängigen Tanguten-Dynastie (982 – 1226), die im Chinesischen als Xixia (Hsi-hsia) und im Tibetischen als Minyag (Mi-nyag) bekannt war.

Die Tanguten hatten den Wunsch ihr Reich westwärts auszudehnen, um so einen größeren Abschnitt der Seidenstraße kontrollieren zu können. Daher führten sie in den kommenden fünfzig Jahren ununterbrochen Kriege gegen eine Allianz, die sich aus ihren unmittelbaren Nachbarn zusammensetzte, nämlich aus den Gelben Yuguren und den Tibetern von Tsongka. Der Hof der Nördliche Song pflegte sowohl freundschaftliche Beziehungen mit den Gelben Yuguren als auch mit den Tibetern, und versuchte diese aus der Einflusssphäre der Kitan abzuwerben. Folglich hielten die Tanguten ihre feindseligen Beziehungen zu den Han-Chinesen und den ständig drohenden Kitan im Norden weiter aufrecht.

Der Buddhismus kam ursprünglich im siebten Jahrhundert von Tang-China zu den Tanguten. Als die drei tibetischen Mönche, die vor der Verfolgung des Buddhismus in Tibet durch König Langdarma (reg. 836 – 842) flohen, in Tsongka ankamen, gaben sie einem einheimischen Buddhisten, dem sie den spirituellen Namen Gewasang (dGe-ba gsang) gaben, religiöse Unterweisungen. Die Tatsache, dass sich dieser Initiierte dann für weitere Studien ins Territorium der Tanguten begab, weist darauf hin, dass der Buddhismus damals unter den Tanguten ziemlich weit verbreitet war, zumindest in aristokratischen Kreisen.

Die traditionelle Religion der Tanguten war eine Mischung aus einer nicht-konfuzianischen Art der Ahnenverehrung, die mit Formen des Schamanismus und des Tengrismus verbunden wurden, denen die meisten zentralasiatischen Völker folgten, die mit den mongolischen Steppen in Verbindung standen. So wie die Türken, gab es auch bei den Tanguten einen Kult um heilige Berge. Den heiligen Bergen wurde gehuldigt, weil die Menschen annahmen, dass die Berge ein Sitz der Macht für ihre Herrscher seien. Auch wenn der König der Tanguten, Jiqian, nachdem er den Thron eingenommen hatte, seine einheimische Tradition ehrte, indem er einen Ahnentempel errichtete, der enthusiastische Unterstützung beim Volk fand, respektierte er auch den Buddhismus. Er ließ zum Beispiel seinen Sohn, den künftigen König Deming (Te-ming) (reg. 1004 – 1031), als Kind buddhistische Texte studieren.

Top