Irrtümliche ausländische Annahmen hinsichtlich Shambhala

Einleitung

Um die Shambhala-Legende, die man in der Kalachakra-Literatur findet, haben sich zahlreiche fremdländische Mythen entwickelt. Manche, wie die Gleichsetzung Russlands, der Mongolei oder Japans mit Shambhala, wurden verbreitet, um militärische oder politische Unterstützung zu gewinnen. Andere erschienen innerhalb okkultistischer Bewegungen und mischten buddhistische Vorstellungen mit Konzepten aus anderen Glaubenssystemen. Mehrere lösten sogar Expeditionen aus, die das Ziel hatten, das sagenumwobene Land zu finden.

Unter den okkultistischen Versionen ergaben sich zwei Parteien. Die eine Seite sah Shambhala als ein utopisches Paradies an, dessen Volk die Welt erretten würde. Der britische Romanautor James Hilton gehört zu dieser Richtung. Sein Werk „Lost Horizon“ („Verlorener Horizont“) aus dem Jahr 1933 beschreibt Shangrila als ein spirituelles Paradies, das sich in einem unzugänglichen, verborgenen Tal Tibets befindet. Shangrila ist zweifellos eine romantische Verformung von Shambhala. Die andere Seite sah Shambhala als ein Land boshafter Kraft. Mehrere Nachkriegsdarstellungen der Verbindung zwischen dem Nazitum und dem Okkultismus präsentieren diese Interpretation. Es ist wichtig, keine dieser beiden Verdrehungen mit dem Buddhismus selbst zu verwechseln. Wir wollen das Phänomen genauer betrachten.

Theosophie

Madame Helena Blavatsky (1831-1891) wurde in der Ukraine, innerhalb des russischen Adels, geboren. Mit außersinnlichen Kräften begabt, bereiste sie die Welt auf der Suche nach okkultistischen Geheimlehren und verbrachte zahlreiche Jahre auf dem indischen Subkontinent. Von 1867 bis 1870 studierte sie während ihres angeblichen Aufenthalts am Tashilhünpo-Kloster in Tibet den tibetischen Buddhismus mit indischen Meistern, die höchst wahrscheinlich aus den tibetischen Kulturgebieten der indischen Himalayas stammten.

Blavatsky begegnete dem tibetischen Buddhismus in einer Zeit, in der die europäische Orientalistik noch in ihren Kinderschuhen steckte und nur wenige Übersetzungen oder Berichte verfügbar waren. Außerdem konnte sie nur unverknüpfte Fragmente aus seinen weitgestreckten Lehren studieren. In ihren Privatbriefen schrieb sie, dass sie sich, da das westliche Publikum wenig vertraut mit dem tibetischen Buddhismus war, dazu entschlossen hatte, die grundlegenden Begriffe mit allgemein bekannteren Konzepten aus dem Hinduismus und dem Okkultismus zu übersetzen und zu erklären. In ihrer Übersetzung gab sie beispielsweise drei der vier Inselwelten (vier Kontinente) um den Berg Meru als die versunkenen verlorenen Inseln von Hyperborea, Lemuria und Atlantis wieder. In ähnlicher Weise stellte sie die vier humanoiden Rassen, die in den Lehren des Abhidharma und des Kalachakra erwähnt werden (die aus Verwandlung, Feuchtigkeit und Wärme, Eiern und Mutterschößen geboren werden) als die Rassen dieser Inselwelten dar. Ihr Glaube daran, dass die esoterischen Lehren aller Religionen der Welt einen einzigen Korpus okkultistischen Wissens darstellen, bestärkte ihren Entschluss, auf diese Weise zu übersetzen, und sie machte sich daran, dies in ihren Schriften zu demonstrieren.

Im Jahr 1875 gründete Madame Blavatsky mit dem amerikanischen Spiritualisten Colonel Henry Steel Olcott in New York die Theosophische Gesellschaft. Deren internationale Hauptniederlassung wurde kurz darauf ins indische Madras verlegt. Als ihr Kollege Alfred Percy Sinnett in „Esoteric Buddhism“ („Esoterischer Buddhismus“) (1883) die Theosophie mit dem esoterischen Buddhismus identifizierte, verwarf Blavatsky seine Behauptung. Nach ihren posthum publizierten „Letters of H. P. Blavatsky to A. P. Sinnett“ („Briefe H. P. Blavatskys an A. P. Sinnett“) bestand die Position Blavatskys darin, dass die Theosophie die „geheimen okkultistischen Lehren des Transhimalaya“ verbreitete, nicht die Lehren des tibetischen Buddhismus. Nichts desto trotzt kam der Westen als erstes durch ihre Schriften dazu, Shambhala mit dem Okkultismus zu assoziieren und viele verwechselten fortan diese Verbindung mit den tatsächlichen Lehren des Buddhismus.

Im Jahr 1888 erwähnte Blavatsky Shambhala in ihrem Hauptwerk, „The Secret Doctrine“ („Die Geheimlehre“) dessen Lehren sie, wie sie sagte, telepathisch von ihren Meistern in Tibet erhalten habe. Sie schrieb in einem Brief, dass sie ihre Lehrer „Mahatmas“ genannt habe, da der Begriff den Britten in Indien geläufiger sei, obwohl ihre Lehrer reinkarnierte „byang-tzyoobs“ oder „tchang-chubs“ (tib. byang-chub, Skt. bodhisattva) seien.

Blavatsky behauptete, dass die tibetische Quelle der Lehren in „Die Geheimlehre“ die „Stanzas von Dzyan“ seien, der erste Kommentarband zu den sieben geheimen Folios des „Kiu-te“. „Kiu-te“ ist die Lautumschrift des tibetischen „rgyud-sde,” was „Tantra-Abteilung” bedeutet, der Titel des ersten Teils des „Kangyur“, der tibetischen Übersetzung der Worte Buddhas. Dzyan ist die Lautumschrift des Sanskritwortes Dhyana (jap. Zen), das geistige Stabilität bedeutet. Blavatsky war sich dessen bewusst, dass das Kalachakra-Tantra“ der erste Gegenstand in der Tantra-Abteilung des „Kangyur“ war, da sie die Tatsache in einer ihrer Notizen erwähnt. Sie erklärte allerdings, dass die sieben geheimen Folios nicht tatsächlich ein Teil des publizierten „Kiu-te“ seien und dass wir daher nichts, dass den „Stanzas von Dzyan“ ähnelt, in dieser Sammlung finden.

Es ist unklar, inwieweit Blavatsky die Kalachakra-Texte tatsächlich direkt studierte. Das früheste westliche Material zu diesem Thema war ein Artikel von 1833 mit dem Titel „Note on the Origins of the Kalachakra and Adi-Buddha Systems“ („Anmerkung zum Ursprung des Kalachakra und zum System der Adi-Bhuddas“) vom ungarischen Pioniergelehrten Alexander Csomo de Körös (Körösi Csoma Sandor). De Körös stellte 1834 das erste Wörterbuch und die erste Grammatik des Tibetischen in einer westlichen Sprache, dem Englischen, zusammen. Jakov Schmidts „Tibetan-Russian Dictionary and Grammar“ („Tibetisch-Russisches Wörterbuch und Grammatik“) folgte bald darauf, im Jahr 1839. Der größte Teil von Blavatskys Wissen über das Kalachakra stammt allerdings aus dem Kapitel mit dem Titel „Das Kalachakra-System“ in Emil Schlagintweits Buch „Buddhism in Tibet“ („Buddhismus in Tibet“) (1863), was sich daran zeigt, dass sie zahlreiche Passagen aus diesem Buch ihn ihren Werken verwendet. Entsprechend ihrem Übersetzungsprinzip gab sie Shambhala allerdings in den Begriffen ähnlicher hinduistischer und okkultistischer Konzepte wieder.

Die erste englische Übersetzung des „Vishnu Purana“, von Horace Hayman Wallace, war 1864 erschienen, drei Jahre vor Blavatskys angeblichem Besuch in Tibet. Dementsprechend erklärte sie Shambhala in den Begriffen der hinduistischen Präsentation dieses Textes: es ist das Dorf, in dem der künftige Messias, der Kalki Avatar, erscheinen wird. Der Kalki, schrieb Blavatsky, ist „Vishnu, der Messias auf dem Weißen Pferd der Brahmanen; der Buddha Maitreya der Buddhisten; der Sosiosch der Parsen; und der Jesus der Christen.“ Sie behauptete auch, dass Shankaracharya, der Begründer des Advaita Vedanta aus dem neunten Jahrhundert „weiterhin in der Bruderschaft von Shambhala lebt, jenseits des Himalaya.“

Anderswo schrieb sie, dass, als Lemuria sank, ein Teil seines Volkes in Atlantis überlebte, während ein Teil seiner Auserwählten auf die heilige Insel von „Shambhala“ in der Wüste Gobi auswanderte. Allerdings enthalten weder die Kalachakra-Literatur noch das „Vishnu Purana“ irgend eine Erwähnung von Atlantis, Lemuria, Maitreya, oder Sosiosch. Ihre Verbindung mit Shambhala wurde allerdings unter Blavatskys Anhängern fortgeführt.

Es ist nicht überraschend, dass Blavatsky Shambhala in der Wüste Gobi situierte, da die Mongolen, einschließlich der buryatischen Bevölkerung Sibiriens und der Kalmücken der unteren Wolgaregion, große Anhänger des tibetischen Buddhismus waren, insbesondere seiner Kalachakra-Lehren. Jahrhundertelang hatten die Mongolen überall daran geglaubt, dass die Mongolei das Nördliche Land von Shambhala sei und Blavatsky war zweifellos mit den buryatischen und kalmückischen Anschauungen in Russland vertraut.

Blavatsky könnte auch durch die Schriften von Csoma de Körös die Bestätigung für ihre Lokalisierung Shambhalas in der Wüste Gobi erhalten haben. In einem Brief von 1825 schrieb er, dass Shambhala wie ein buddhistisches Jerusalem sei und dass es zwischen dem 45. und dem 50. Längengrad liege. Obwohl er der Meinung war, dass Shambhala vermutlich in der Kizilkum-Wüste in Kasachstan gefunden würde, lag die Wüste Gobi ebenfalls zwischen den beiden Längengraden. Auch andere würden Shambhala später innerhalb dieser Parameter lokalisieren, aber entweder in Ostturkestan (Xinjiang, Sinkiang) oder in den Altaibergen.

Obwohl Blavatsky selbst nie behauptete, Shambhala sei die Quelle der „Geheimlehre“, stellten mehrere spätere Theosophen diese Verbindung her. Die erste unter ihnen war Alice Bailey, in ihren „Letters on Occult Meditation“ („Briefe über okkultistische Meditation“) (1922). Helena Roerich schrieb in ihren „Collected Letters“ („Gesammelte Briefe“) (1935-1936) ebenfalls, dass Blavatsky eine Botschafterin der Weißen Bruderschaft von Shambhala sei. Außerdem teilte sie mit, dass der Herrscher von Shambhala im Jahr 1934 die Mahatmas, die die Geheimlehren an Blavatsky übertragen hatten, zurück nach Tibet gerufen habe.

Dorjievs Behauptung, Russland sei Shambhala

In die erste größere politisch motivierte Ausnutzung der Shambhala-Legende war ebenfalls Russland involviert. Agvan Dorjiev (1854-1938) war ein buryatisch-mongolischer Mönch, der in Lhasa studierte und ein Meisterdebattierpartner (3. Tutor) des Dreizehnten Dalai Lama wurde. Angesichts der britischen und chinesischen Intrigen um die Kontrolle Tibets überzeugte er den Dalai Lama, sich mit der Bitte um militärische Unterstützung an Russland zu wenden. Nach Ekai Kawaguchi in „Three Years in Tibet“ (Drei Jahre in Tibet“), er tat dies, indem er ihm sagte, Russland sei Shambhala und Zar Nicholas II die Reinkarnation des Tsongkhapa, des Gründers der Gelug-Tradition. Dorjiev unternahm mehrere Missionen an den Hof des russischen Kaisers, konnte aber nie irgendwelche Hilfe sichern. Er konnte den Zaren allerdings davon überzeugen, buddhistischen Tempel in St. Petersburg zu bauen.

Die erste öffentliche Zeremonie im Tempel fand 1913 statt. Es handelte sich um ein Ritual für das lange Leben der Romanov-Dynastie während ihres 300-jährigen Jubiläums. Albert Grünwedel, der deutsche Erforscher Zentralasiens, schrieb in „Der Weg nach Shambhala“ (1915), dass Dorjiev die Romanov-Dynastie als Nachkommen der Herrscher von Shambhala bezeichnete.

Die Mongolei, Japan und Shambhala

Die nächste politische Ausnutzung der Shambhala-Legende erfolge in der Mongolei. Baron von Ungern-Sternberg, ein Deutscher, der in Russland lebte, war ein leidenschaftlicher Antibolschewik. Während des Zivilkrieges, der auf die Russische Revolution von 1917 folgte, kämpfte er mit den weißrussischen (zaristischen) Truppen in Sibirien. Im Jahr 1920 eroberte er erfolgreich die Äußere Mongolei, um sie von den Chinesen zu befreien. Ungern, der für seine Grausamkeit bekannt war, massakrierte Tausende von Chinesen, mongolischen Kollaborateuren, russischen Bolschewiken und Juden, wodurch er sich den Spitznamen „der wahnsinnige Baron“ verdiente. Ungern war davon überzeugt, dass alle Juden Bolschewiken waren.

Sukhe Batur gründete in Buryatien die Provisorische Kommunistische Regierung der Mongolei und führte eine mongolische Armee gegen Ungern. Er putschte seine Truppen auf, indem er ihnen sagte, sie würden in der Armee von Shambhala wiedergeboren, wenn sie kämpften, um die Mongolei von der Unterdrückung zu befreien. Mit der Hilfe der sowjetischen Roten Armee eroberte Sukhe Batur im späten 1921 Urga (Ulaan Bator), die mongolische Hauptstadt. Die Mongolische Volksrepublik wurde 1924 gegründet.

Nach der japanischen Übernahme der Inneren Mongolei im Jahre 1937 nutze Japan ebenfalls die Legende von Shambhala zu seinem politischen Vorteil. Es versuchte, die Mongolen als Bündnispartner zu gewinnen, indem es die Propaganda verbreitete, Japan sei Shambhala.

Ossendowski und Agharti

Im Buch „Beasts, Men and Gods“ („Tiere, Menschen und Götter“) von 1922 beschrieb Ferdinand Ossendowski (1876 – 1945), ein polnischer Wissenschaftler, der den größten Teil seines Lebens in Russland verbrachte, seine kürzlichen Reisen in der Äußeren Mongolei, zur Zeit der Kampagnen des Baron von Ungern-Sternberg. Ossendowski berichtete, dass ihm mehrere mongolische Lamas von Agharti erzählt hätten, einem unterirdischen Königreich unter der Mongolei, dass vom König der Erde regiert würde. In der Zukunft, wenn der Materialismus die Welt verwüsten würde, würde ein schrecklicher Krieg ausbrechen. Zu dieser Zeit würde das Volk von Agharti an die Oberfläche kommen und dabei helfen, der Gewalt ein Ende zu bereiten. Ossendowski berichtete, er habe Ungern von seiner Geschichte überzeugt. Ungern habe darauf zweimal von Prinz Poulzig geleitete Missionen ausgesandt, um Agharti zu finden. Die Missionen waren erfolglos und der Prinz kehrte nie von der zweiten Expedition zurück.

Kamil Gizycky war ein polnischer Armeeingenieur, der ebenfalls in Sibirien gegen die Bolschewiken kämpfte und dann in der Mongolei zu den Truppen Ungerns stieß. In seiner Beschreibung der damaligen Ereignisse, „Poprzez Urjanchej i Mongolie“ („Durch Urankhai und Mongolei“) (1929) erwähnte er Agharti nicht. Interessanterweise schreibt er, dass Ossendowski dem Wahnsinnigen Baron half, indem er ihm die Formel für die Herstellung von Giftgas schenkte.

Obwohl die Kalachakra-Texte Shambhala nie als ein unterirdisches Reich beschreiben, weist Ossendowskis Bericht klare Parallelen zu den Darstellungen des Kalki-Herrschers von Shambhala auf, der der Welt zur Hilfe kommen soll, um einen apokalyptischen Krieg zu beenden. Es ist allerdings bemerkenswert, dass Agharti hier auftaucht. Der Name erscheint weder in der Kalachakra-Literatur noch in den Werken von Madame Blavatsky.

Das erste Mal, dass Agarthi (Agharta, Asgartha, Agarthi, Agardhi) erwähnt wird, ist in dem französischen Roman „Les Fils de Dieu“ („Die Söhne Gottes“), von Luis Jacalliot (1873). Ein anderer französische Autor, Joseph-Alexandre Saint-Yves d’Alveidre verbreitete in seinem Roman „Mission de l’Inde en Europe“ („Mission Indiens in Europa“) aus dem Jahr 1886 verbreitete die Legende von Agharti. Er beschrieb es als ein unterirdisches Königsreich mit einer Universität, die ein Schatzhaus des Geheimwissens ist. Es befand sich ursprünglich im indischen Ayodhya, wurde dann aber, 1800 Jahre vor unserer Zeit, an einen Geheimort unter dem Himalayagebirge verlegt. Sein König, ein „Mahatma“, wacht über seine Geheimnisse und hat sie nicht offenbart, da sie es den Truppen des Antichristen erlauben würden, mächtige Waffen zu bauen. Wenn die bösen Kräfte dereinst zerstört sein werden, werden die Mahatmas ihre Geheimnisse zum Wohl der Menschheit offenbaren.

Saint-Yves d’Alveidre könnte für seine Geschichte tatsächlich mehrer Elemente aus der Besprechung Shambhalas im Kalachakra entlehnt haben. Die Zahl 1800 erscheint in der Kalachakra-Literatur wiederholt als Motiv und die klassischen Texte berichten, dass die Herrscher von Shambhala über das Wissen für die Herstellung von Waffen verfügen, um die Invasionstruppen zu besiegen. Trotzdem schrieben die zwei Franzosen ganz klar fiktive Romane.

In „Ossendowski und die Wahrheit“ (1925) wies der schwedische Tibetforscher Sven Hedin Ossendowskis Behauptung, von mongolischen Lamas von Agharti erfahren zu haben, zurück. Er schrieb, der polnische Wissenschaftler habe den Agharti-Mythos von Saint-Yves d’Alveidre übernommen und ihn seiner Geschichte angepasst, um es für ein deutsches Lesepublikum, dass in einem gewissen Umfang mit Okkultismus vertraut war, ansprechend zu machen. Hedin erkannte allerdings an, dass Tibet und die Dalai Lamas die Wächter über geheimes Wissen waren.

Eine zusätzliche Erklärung könnte allerdings sein, dass Ossendowski den Agharti-Mythos benutzte, um von Ungerns Gunst zu gewinnen. Ungern hätte die materialistischen antichristlichen Truppen, bei deren Niederschlagung Agharti geholfen hätte, zweifelsohne mit den Bolschewiken identifiziert, gegen die er kämpfte. Da Sukhe Batur seine Truppen mit dem Versprechen von Shambhala aufwiegelte, konnte Ungern die Geschichte von Agharti in ähnlicher Weise zu seinem eigenen Vorteil nutzen. Falls dies so war, dann könnten wir die Shambhala-Legende, die Shambhala in einem ungünstigen Licht beschreibt, auf diesen Ursprung zurückführen.

Roerich, Shambhala und Agni Yoga

Nikolai Roerich (1874 – 1947), ein russischer Maler und ein brennender Anhänger der Theosophie, war ein Mitglied des Baukomitees des buddhistischen Tempels in St. Petersburg gewesen und hatte dessen farbige Glassfenster entworfen. Seine Frau, Helena, war die Übersetzerin von Blavatskys „Geheimlehre“ ins Russische. Zwischen 1925 und 1928 führte Roerich von Indien eine Expedition durch Tibet bis in die Äußere Mongolei und in das Gebiet der Altaiberge in Sibirien, nördlich von Ostturkestan. Ihr vorgeblicher Zweck waren das Mahlen und die Erforschung von Pflanzen, der Ethnologie und der Sprachen. Ihr Hauptziel war es allerdings, Shambhala zu finden.

Mehreren theosophischen Berichten zufolge bestand die Mission von Roerich darin, ein chintamani (ein „wunscherfüllendes Juwel“), das ihm vom Völkerbund anvertraut worden war, nach Shambhala zurückzubringen. Seine Gruppe behauptete, Shambhala im Altaigebiet lokalisiert zu haben. Sogar heute noch halten Anhänger von Roerich an seiner Überzeugung fest, dass die Altaiberge ein großes spirituelles Zentrum darstellen, dass irgendwie mit Shambhala verbunden ist.

Roerichs Shambhala-Suche war möglicherweise teilweise von Grünwedels „Der Weg nach Shambhala“ inspiriert worden- Dieses Werk enthielt eine Übersetzung vom „Wegweiser nach Shambhala“ (tib. Sham-bha-la’i lam-yig), der in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts vom Sechsten Panchen Lama (1738-1780) verfasst worden war. Der Panchen Lama erklärte allerdings, dass die physische Reise nach Shambhala einen nur in begrenztem Umfang voranbringt. Um dieses sagenumwobene Land zu erreichen, muss man eine enorme Anzahl spiritueller Praktiken vollziehen. In anderen Worten: die Reise nach Shambhala war tatsächlich eine innere Suche. Diese Erklärung scheint allerdings wagemutige Abenteurer wie die Roerichs nicht vom Versuch abgehalten zu haben, Shambhala nur durch einen Fußmarsch erreichen zu wollen.

1929 kreierten die Roerichs den Agni Yoga, indem sie die theosophischen Lehren als Grundlage nahmen. Möglicherweise folgten sie auch Blavatskys Übersetzungsmodel, nach dem die buddhistische Terminologie in geläufigeren Bildern und Begriffen aus Hinduismus und Okkultismus wiedergegeben wurden. Die Roerichs behaupteten schließlich, dass Shambhala die Quelle aller indischen Lehren sei. Sie nannten seine Herrscher auch „die Herren des Feuers, die die Herren der Finsternis bekämpfen werden.“

Agni ist das Sanskritwort für Feuer – spezifischer, für das heilige Reinigungsfeuer der Veden. Dementsprechend erklärte Roerich, dass die Meister von Shambhala seine Kraft für die Reinigung benutzen. Menschen, die Agni Yoga üben, wählen Buddha, Jesus oder Mohammed als Führer für die spirituelle Praxis. Indem sie sich auf den Führer, den sie gewählt haben, konzentrieren, beten sie für den Frieden, während sie einfache Visualisierungen der Bereinigung von Hindernissen üben.

In der buddhistischen Tantrapraxis beenden die Meditierenden intensive Retreats mit sogenannten „Feuerpujas“. In diesen Ritualen bringen sie mehrere Samen und Butter im Feuer dar, um alle Hindernisse, die sich aus Fehlern, die sie bei ihren Meditationen begangen haben könnten, zu bereinigen und zu überwinden. In den Flammen visualisieren sie den Feuergott Agni, eine Figur, die offensichtlich aus dem Hinduismus entlehnt wurde. Roerich könnte entweder im buddhistischen Tempel in St. Petersburg oder während seiner Reisen in den mongolischen Regionen Zeuge solcher Pujas gewesen sein und seine Idee des Agni-Yoga von ihnen abgeleitet haben.

Die Hauptassoziation, die Roerich mit Shambhala verband, war die eines Ortes des Friedens. In „Shambhala: In Search of a New Era“ („Shambhala: Auf der Suche nach einer neuen Ära“) (1930) beschrieb Roerich Shambhala als eine heilige Stadt Nordindiens. Ihr Herrscher offenbart die Lehren des Buddha Maitreya für den universellen Frieden. Jede Tradition beschreibt Shambhala entsprechend ihrer Begriffe und so wäre beispielsweise die Legende vom Heiligen Gral eine Version der Geschichte von Shambhala. Konstantin der Grosse, Dschingis Khan und der Priester Johann seien unter denen, die Botschaften von den Lehren aus dem „Mysteriösen Spirituellen Heim und der Bruderschaft im Herzen Asiens” erhalten hätten.

Roerich prägte sogar den Begriff der „Shambhala-Krieger“, der später, in den 1980er Jahren, von Chögyam Trungpa Rinpoche übernommen wurde, einem tibetischen reinkarnierten Lama der Karma Kagyü- und Nyingma-Linien, der buddhistische Vorstellungen einer modernen amerikanischen Sprache anpasste. Trungpa schrieb allerdings, dass seine Vorstellung eines Shambhala-Kriegers nichts mit den Lehren des Kalachakra oder mit Shambhala selbst zu tun hat. Es handele sich vielmehr um eine Metapher für eine Person, die zum Wohl der Anderen danach strebte, sich selbst zu verbessern. Roerich dagegen benutzte den Begriff für „die Brüder der Menschheit“, die von Shambhala aus den Weltfrieden bringen werden.

Nachdem er aus Asien zurückgekehrt war, reiste Roerich nach New York, wo er im Jahr 1929 die maßgebliche Triebkraft für die Erklärung des Roerich-Paktes wurde, einem internationalen Abkommen zum Schutz von Weltkulturdenkmälern. Das Friedensbanner, dass Roerich vorschlug, enthielt drei Kreise, die, wie er erklärte, in allen spirituellen Traditionen gefunden werden, einschließlich der „Rigden Jyelpos“, der Könige von Shambhala. In den Texten des Kalachakra findet sich allerdings nichts dieser Art. Im Jahr 1935 unterzeichneten zahlreiche Länder auf der ganzen Welt den Pakt, einschließlich der Vereinigten Staaten. Das Symbol der drei Kreise wurde später als Zeichen für physisch behinderte Personen angenommen, dass auf Armbändern getragen wird, um anzuzeigen, dass sie einer behutsamen Behandlung bedürfen.

In „Shambhala: In Search of a New Era“ („Shambhala, auf der Suche nach einer Neuen Ära“) deutete Roerich auch auf eine Ähnlichkeit zwischen Shambhala und Thule, dem verborgenen Land am Nordpol, hin. Dies inspirierte, wie wir weiter unten sehen werden, die Deutschen bei ihrer Suche nach einem geheimen Land. Roerich erwähnte auch die Verbindung von Shambhala mit der unterirdischen Stadt Agharti (Agarthi), die durch unterirdische Gänge durch den Himalaya erreicht würde. Seine Bewohner sollten zur „Zeit der Reinigung“ auftauchen. In ihren „Collected Letters“ („Gesammelte Briefe“) (1935 – 1936) wies Helena Roerich darauf hin, dass Saint-Yves d’Alveidre Shambhala fälschlicherweise mit Agharti identifiziert habe, dass es sich jedoch nicht um den selben Ort handele.

In „Arktos, The Polar Myth in Science, Symbolism and Nazi Survival“ („Arktos. Das Buch der Hohlen Erde“) (1993) identifizierte Jocelyn Godwin die Kraft des Agni mit dem Vril. Vril ist die psychokinetische Kraft, die von den Bewohnern von Thule beschützt werden soll, die die Nazis zu erlangen suchten, um ihre arische Superrasse zu stärken. Roerich allerdings hatte diese Verbindung nie gemacht.

Steiner, Anthroposophie und Shambhala

Blavatsky und Roerich stellten Shambhala als einem wohlwollendes Land dar, das bei der Schaffung des Weltfriedens helfen wird. Im Gegensatz hierzu betonten alternative Versionen den apokalyptischen Aspekt der Legende. Sie assoziierten Shambhala hauptsächlich mit den zerstörerischen Kräften der Regeneration, die die alten, überholten Denkweisen beseitigen und eine neue Weltordnung des Friedens etablieren würden. So ist die zerstörerische Kraft Shambhalas letztlich positiv. Diese Versionen hatten ihre Wurzeln ebenfalls in der Theosophie.

Im Jahr 1884 gründete Dr. Wilhelm Hübbe-Schleiden die Deutsche Theosophische Gesellschaft. Nach einem anfänglichen Scheitern lud Annie Besant Rudolf Steiner (1861-1925), einen österreichischen Spiritisten, dazu ein, die Gesellschaft im Jahr 1902 wieder zu gründen. Steiner verließ die Gesellschaft im Jahr 1909, hauptsächlich deshalb, weil er sich nicht damit einverstanden erklären konnte, dass Besant und C. W. Leadbetter den sechszehnjährigen Krishnamurti zum Messias erklärten. In einer Reihe von Vorlesungen, die er in den Jahren 1910 und 1911 in Berlin und München hielt, lehrte Steiner was einige als „eine verchristlichte Version der Theosophie“ bezeichnet haben. Steiner allerdings behauptete, dass seine Lehren sich aus seiner hellsichtigen Lektüre der „Akasha-Chronik” ableite, und nicht von der Theosophie.

Akasha ist das Sanskritwort für Raum, und diese okkultistischen Schriften enthalten angeblich die gesamte Weisheit der Menschheit. Die Kalachakra-Texte beziehen sich auf die vollkommen purifizierte, feinste Ebene der mentalen Aktivität, die die Basis für das allwissende Bewusstsein eines Buddhas ist, mit der Bezeichnung „raumdurchdringendes Raum-Vajra“. Sie stellen es allerdings nicht als eine Chronik allen Wissens dar, das mit übersinnlichen Mitteln angezapft werden kann.

Steiner zufolge ist Christus der wahre Prophet, der das Land von Schamballa (Shambhala) mit seinem zweiten Kommen offenbaren wird. Shambhala, das vor langer Zeit verschwand, ist der Sitz des Maitreya. In einer Vorlesung mit dem Titel „Maitreya – Christ oder Antichrist“ erklärte Steiner, dass „was auch immer von dem Lippen des Maitreya kommen wird, durch die Kraft Christi kommen wird.“

Steiner betonte den Konflikt zwischen Gutem und Bösem, wie er durch Luzifer und Ahriman personifiziert wird. Blavatsky hatte Luzifer bereits von Satan unterschieden. Nach der Geheimwissenschaft ist Luzifer der „Lichtbringer“, das „Astrallicht“ in dem Geist von jedem von uns, das sowohl den Versucher als den Befreier von der reinen Animalität darstellt. Es dient sowohl dem Schaffen als auch dem Zerstören und manifestiert sich in sexueller Leidenschaft. Obwohl Luzifer die Menschheit auf eine höhere Ebene erheben kann, haben die lateinischen Scholastiker ihn in den rein bösen Satan verwandelt.

Blavatsky schrieb auch über den zoroastrischen Dualismus und über den Kampf zwischen Ahura Mazda und Ahriman, den Kräften des Lichtes und der Finsternis. Steiner allerdings ging einen Schritt weiter als Blavatsky und verwandelte den Dualismus in einen Antagonismus zwischen Luzifer und Ahriman. In „Die Geheimwissenschaft im Umriss“ charakterisierte Steiner Luzifer als Lichtwesen, als Brücke zwischen Mensch und Gott, der uns Christus näher bringt. Die „Kinder Luzifers“ sind also alle, die nach Wissen und Weisheit streben. Ahriman dagegen führt die Menschheit nach unten, zu seiner niedrigeren, materiellen, fleischlichen, tierischen Natur.

Steiner nannte sich selbst einen Luziferianer und, entsprechend seiner Logik, war Maitreya der Antichrist. Da die Menschen die eigentlichen Lehren des Christus verdorben hatten, würde Maitreya als Antichrist von Shambhala kommen und die Welt von ihren Fehlern reinigen und die wahre Botschaft von Christus lehren. 1913 gründeten Steiners Anhänger die Anthroposophische Gesellschaft, obwohl Steiner selbst ihr nicht beitrat, bis er sie im Jahr 1923 neu gründete.

Dem „Kalachakra-Tantra“ zufolge wird Raudrachakrin, der fünfundzwanzigste Herrscher von Shambhala, die nichtindischen Invasoren besiegen, die versuchen werden, die Welt zu erobern. Diese Invasoren werden den Lehren einer Linie von acht Propheten folgen: Adam, Abraham, Noah, Moses, Jesus, Mani, Mohammed und Mahdi. Historische Analysen lassen vermuten, dass das Vorbild für diese Invasoren die Truppen der ismaelitischen Schiiten von Multan (heutiges Pakistan), einem Bündnispartner des ägyptischen Fatimidenreiches aus dem späten zehnten Jahrhundert, waren. Die Fatimiden mit ihrem Mahdi-Messias versuchten, die islamische Welt vor dem vorausgesagten Weltende, das fünfhundert Jahre nach Mohammed stattfinden sollte, zu erobern. Die Menschen in der ganzen Region, einschließlich dem buddhistisch-hinduistisch-muslimischen Gebiet Afghanistans, in dem sich die historischen Kalachakra-Lehren vermutlich entwickelten, lebten in großer Angst vor einer Invasion. Die Voraussage eines Konfliktes und der Niederlage der Invasoren war allerdings eine spirituelle Metapher für den inneren Kampf gegen Angst und Ignoranz. Für die terrorisierten Menschen dieser Zeit stellte sie eine effektive Methode dar, um ihre schwer empfundenen Sorgen zu überwinden.

Steiner war sich des historischen Kontextes und der metaphorischen Bedeutung der Shambhala-Legende vermutlich nicht bewusst. So fassten er und mehrere andere Shambhala als Sitz spiritueller Macht auf, aus dem die Reform des Christentums hervorgehen würde. Steiners Betonung darauf, dass Maitreya und Shambhala die wahren Quellen der zukünftigen Reform des Christentums seien, spiegelt vermutlich auch seine Schockiertheit über die theosophische Verkündigung des Krishnamurti als des neuen Erlösers.

Die Kalachakra-Texte erwähnen die Lehren des Christentums noch nicht einmal. Sie weisen allerdings auf Methoden hin, mit denen Hindus und Muslime in ihren eigenen Religionen alternative Lehrbedeutungen finden konnten, die es ihnen erlauben würde, zusammen mit den Buddhisten eine vereinigte geistige Front zu bilden, um den Schrecken einer Invasion zu begegnen. Sie stellten sogar Lehren des Buddha heraus, die Parallelen zu hinduistischen und muslimischen Bekenntnissen aufwiesen. Wenn die Anhänger dieser Religionen sich dafür interessierten, konnten sie ihre eigenen Glauben als Trittbrett benutzen, um den buddhistischen Pfad zu erreichen. Nichts desto trotz behaupten die Kalachakra-Texte nicht, dass die buddhistischen Lehren die wahre Bedeutung des Hinduismus oder des Islams enthalten. Ferner behaupten sie in keinster Weise, dass Shambhala der Ausgangspunkt einer Reform sein wird, die die Menschen zurück zu den wahren Lehren der Gründer dieser beiden Religionen führen würde, geschweige den zurück zu den reinen Lehren des Christus.

Alice Bailey und die “Shambhala-Kraft”

Die britische Theosophin Alice Bailey (1880-1949) war ein Medium, das behauptete, okkultistische Briefe von einem tibetischen Meister zu channeln und zu empfangen. Nachdem sie ihren Kampf mit Annie Besant um die Leitung der theosophischen Bewegung verloren hatte, gründete sie 1920, in den Vereinigten Saaten, den Luzifer Trust. Nachdem sie ihre Organisation ursprünglich die Tibetische Loge genannt hatte, änderte sie diesen Namen im Jahr 1922 erneut in Lucis Trust um. Ihre Vorlesungen und Schriften lösten die New Age-Bewegung aus. Sie nannte das New Age (Neues Zeitalter) sowohl Zeitalter des Aquarius als Zeitalter des Maitreya.

In „Initiations, Human and Solar“ („Initiation. Menschliche und Solare Einweihung“) (1922), „Letters on Occult Meditation“ („Briefe über Okkultistische Meditation“) (1922), „A Treatise on Cosmic Fire“ („Eine Abhandlung über das Kosmische Feuer“) (1925), und „A Treatise on White Magic“ („Eine Abhandlung über Weiße Magie“) (1934) schrieb Bailey ausführlich über „die Shambhala-Kraft.“ Mit einer Reminiszenz an Roerich hält sie Shambhala für „ den Sitz des kosmischen Feuers“, das eine Kraft der Reinigung ist. Statt sich diese Kraft als ein gutwilliges Agni vorzustellen, folgte sie allerdings Steiners Vorbild und assoziierte es mit Luzifer. So sprach sie davon als von einer Quelle der destruktiven Kraft, die degenerierte Form der Lehren ausstoßen und ein reines Neues Zeitalter (New Age) etablieren könnte.

Die Shambhala-Kraft, erklärte Bailey, ist eine sehr flüchtige Energie des Selbstwillens. Obwohl sie destruktiv ist, in dem Sinne, dass sie extrem zerstörerisch ist, ist sie unpersönlich oder neutral. Wird sie missbraucht, kann sie die Quelle des „Bösen“ sein; wenn sie allerdings als göttlicher Wille angesehen wird, kann sie von Eingeweihten zum letztendlich „Guten“ genutzt werden. Eine „Hierarchie“ in Shambhala, an deren Kopf Maitreya steht, beschützt die Kraft und wird diejenigen, die reif dazu sind, zur rechten Zeit in die „Mysterien der Zeitalter“ initiieren, in „ den Plan“. Man fragt sich, ob ihre Ideen nicht die „Star Wars“-Vorstellung „der Kraft“ als einer Kraft, die für das Gute und das Böse genutzt werden kann und die von einer Bruderschaft von Jedi-Kriegern beschützt wird, inspiriert hat.

Wie Steiner übernahm Bailey nicht nur die Vorstellung Luzifers, sondern auch die des Antichristen und assoziierte sie diesmal mit der Shambhala-Kraft. Unter Anwendung theosophischer Konzepte ließ sie verlautbaren, dass die Shambhala-Kraft ihre Existenz in der Geschichte zwei Mal offenbart habe. Das erste Mal sei während der lemurischen Zeit gewesen, um die Individualisierung der Menschheit anzukündigen. Das zweite war „während der atlantischen Zeit des Kampfes zwischen den Herren des Lichtes und den Herren der Materiellen Form, den Dunklen Mächten“. Heutzutage, fuhr sie fort – wobei sie sich auf die Periode zwischen den beiden Weltkriegen bezog – manifestiert sie sich als die Kraft, die zerstört, was unerwünscht und hemmend in den gegenwärtigen weltweiten Formen der Regierung, der Religion und der Gesellschaft ist.

Doreal und die Bruderschaft des Weißen Tempels

Aus Baileys Lehren gingen mehrere weitere okkultistische Bewegungen hervor, die Shambhala sogar mit noch esoterischeren Vorstellungen assoziierten. Ein Beispiel hierfür ist die Bruderschaft des Weißen Tempels, die 1930 vom amerikanischen Spiritisten Morris Doreal (1902-1963) gegründet wurde. In „Maitreya, Lord of the World“ („Maitreya, Herr der Welt“) schrieb Doreal, dass Shamballa (Shambhala) der Grosse Weiße Tempel Tibets ist, der 75 Meilen unterhalb des Himalayas liegt. Sein Eingang ist unterirdisch, und der Raum, der ihn umringt, ist in eine Welle gebogen, die in ein anderes Universum führt. Er beschrieb Shambhala als aus zwei Hälften bestehend. Die südliche Hälfte ist der Abschnitt, in dem Adepten und große Gurus leben. Die nördliche Hälfte ist das Land, in dem der Avatar oder Weltenlehrer Maitreya lebt. In der Zukunft wird Maitreya mit den Kriegern Shambhalas kommen, die die „Lichtträger des Zeitalters des Aquarius“ sind, um die dunklen Kräfte des Bösen in der Welt zu besiegen.

Doreals Hauptwerk war „The Emerald Tablets of Thoth the Atlantean“ („Die Smaragdtafeln von Toth dem Atlanten“), von denen er behauptete, er habe sie unter der Grossen Pyramide in Ägypten gefunden und aus der atlantischen Sprache übersetzt. Er behauptete auch, von tibetischen Mönchen geheime Initiationen erhalten zu haben.

Haushofer, die Thule-Gesellschaft und Nazideutschland

Nach dem Zweiten Weltkrieg erklärte Bailey die Nazipolitik mit der Behauptung, Hitler habe sich der Shambhala-Kraft bemächtigt und habe sie als „Werkzeug der Dunklen Mächte“ missbraucht um die „Energie des Lichtes“ zu bekämpfen.

Ähnlich wie Bailey behauptete, dass zwischen Hitler und der Shambhala-Kraft eine Verbindung bestünde, haben mehrere Nachkriegsstudien über das Nazitum und den Okkultismus angenommen, dass die Nazis Expeditionen nach Tibet sandten, um den Beistand der Mächte von Shambhala und Agharti bei der Ausführung ihres großen Planes zu erbitten. Bailey nannte allerdings in diesem Zusammenhang nur Shambhala und sagte nichts über Agharti. Diese Darstellungen berichten andererseits, dass die Meister von Shambhala sich weigerten, den Nazi – Expeditionen ihren Beistand zu geben, dass die Adepten von Agharti dies jedoch taten und mit ihnen nach Deutschland zurückkehrten. Ferner schreiben sie die Nazi-Suche nach okkultistischem Beistand den Anschauungen von Karl Haushofer und der Thule-Gesellschaft zu. Haushofer war der Gründer der Vril-Gesellschaft, die in Verbindung zur Thule-Gesellschaft stand, und stellte einen der Haupteinflüsse auf Hitlers okkultistisches Denken dar. Die Thule- und Vril-Gesellschaften kombinierten Anschauungen aus verschiedenen Quellen. Wir wollen kurz einige dieser Glaubensvorstellungen in chronologischer Reihenfolge verfolgen, bevor wir die Nachkriegsstudien betrachten.

Die alten Griechen schrieben nicht nur über die versunkene Insel von Atlantis, sondern auch über Hyperborea, ein nördliches Land, dessen Menschen nach Süden ausgewandert waren, bevor das Eis es zerstörte. Der schwedische Autor Olaf Rudbeck aus dem späten siebzehnten Jahrhundert situierte es am Nordpol und mehrere andere Erzählungen berichten, dass es vor seiner Zerstörung in die Inseln von Thule und Ultima-Thule zerbrach.

Der britische Astronom Sir Edmund Halley stellte, ebenfalls im späten siebzehnten Jahrhundert, die Theorie auf, dass die Erde hohl sei. Der französische Romanautor Jules Verne machte diese Vorstellung mit „Journey to the Center of the Earth“ („Reise zum Mittelpunkt der Erde“) (1864) berühmt. Im Jahr 1871 beschrieb der britische Romanautor Edward Bulwer-Lytton in „The Coming Race“ („Die kommende Rasse“) eine „überlegene Rasse“, die Vril-ya, die unter der Erde leben und planen, die Welt mit Vril, einer psychokinetischen Energie, zu erobern. In „Les Fils de Dieu“ („Die Söhne Gottes“) (1873) brachte der französische Autor Louis Jacolliot Vril mit dem unterirdischen Volk von Thule in Verbindung. Bal Gangadhar Tilak, der Fürsprecher der indischen Freiheit, identifizierte in „The Arctic Home of the Vedas“ („Die arktische Heimat der Veden“) (1903) die südgerichtete Migration der Thuleaner mit dem Ursprung der arischen Rasse. Im Jahr 1908 veröffentlichte der amerikanische Autor Willis George Emerson den Roman „The Smokey God, or A Voyage to the Inner World“ („Der rauchige Gott, oder Eine Reise in die Innere Welt“), der die Reise eines norwegischen Seemanns durch eine Öffnung am Nordpol zu einer verborgenen Welt im Erdinnern beschreibt.

Die Thule-Gesellschaft wurde 1910 von Felix Niedner, dem deutschen Übersetzter der altnordischen „Eddas“, gegründet. Er identifizierte das germanische Volk mit der arischen Rasse, den Nachkommen Thules, und verfolgte das Ziel seiner Verwandlung in eine Superrasse durch Nutzbarmachen der Kraft des Vril. Als Teil seines Emblems übernahm die Gesellschaft das Hakenkreuz, ein traditionelles Symbol für Thor, den nordischen Donnergott. Indem sie dies tat, folgte die Thule – G esellschaft dem Präzedenzfall von Guido von List, der im späten neunzehnten Jahrhundert das Hakenkreuz als Emblem für die neo-heidnische Bewegung in Deutschland übernommen hatte.

Zusammen mit Jorg Lanz von Liebenfels und Phillip Stauff war von List maßgeblich an der Gründung der ariosophischen Bewegung beteiligt gewesen, die vor und während des Ersten Weltkrieges bekannt gewesen war. Die Ariosophie mischte die theosophischen Rassenkonzepte mit deutschem Nationalismus, um die Überlegenheit der arischen Rasse zu behaupten – als Begründung dafür, dass Deutschland als rechtmäßiger Herrscher über die „niedrigeren Rassen“ die weltumspannenden britischen und französischen Kolonialreiche erobern könne. Die Thule-Gesellschaft übernahm die ariosophischen Anschauungen. Es muss allerdings herausgestellt werden, dass die Theosophische Bewegung nie seine Rassenlehren als Rechtfertigung der Behauptung verstand, dass eine Rasse einer andere überlegen war, oder dass eine Rasse das schicksalhaft bestimmte Recht habe, über andere zu herrschen.

Als Rudolf Freiherr von Sebottendorf im Jahr 1918 eine Münchner Zweigstelle der Thule-Gesellschaft gründete, fügte er den Antisemitismus und die sanktionierte Ausübung von Mordanschlägen den Glaubensinhalten der Gesellschaft bei. Er hatte diese Elemente während der Jahre aufgelesen, in denen er in der Türkei gelebt und den dortigen Orden der Assassinen kennengelernt hatte. Dieser Geheimorden ging auf die Nazari-Schule des ismaelitischen Islam zurück, gegen den die Kreuzritter gekämpft hatten.

Später im Jahr 1918, nach der bayerischen kommunistischen Revolution, kam der Antikommunismus ebenfalls zu den Zielen der Thule-Gesellschaft. Im Jahr 1919 gründete die Münchner Thule-Gesellschaft die Deutsche Arbeiterpartei. Hitler trat ihr im selben Jahr bei. Als er 1920 ihr Leiter wurde, benannte er die Partei zu Nazipartei um und übernahm das Hakenkreuz als ihr Wappen.

Karl Haushofer war nach dem Russisch-Japanischen Krieg von 1904-1905 ein deutscher Militärratgeber in Japan. Er war äußerst beeindruckt von der japanischen Kultur, studierte die Sprache, und war später maßgeblich beim Schmieden der Allianz zwischen Nazideutschland und dem kaiserlichen Japan beteiligt. Er lerne auch Sanskrit und studierte angeblich ein Jahr lang in Tibet. Er gründete im Jahr 1918 in Berlin die Vril-Gesellschaft, die sich außer für die Anschauungen der Thule-Gesellschaft auch für die Suche nach dem Vril bei unterirdischen, übernatürlichen Wesen engagierte. Hierfür erschien ihm als wahrscheinlichstes Gebiet Tibet, das er als die Heimat der arischen Migranten aus Thule ansah.

Haushofer entwickelte auch die Geopolitik, der zufolge eine Rasse an Macht gewinnt, indem sie ihren „Lebensraum“ durch die Eroberung ihrer Nachbarländer ausweitet. In den frühen 1920er Jahren leitete Haushofer das Institut für Geopolitik in München. Im Jahr 1923 begann er, Hitler seine Anschauungen zu lehren. Haushofer war maßgeblich daran beteiligt, Hitler zur Gründung des Ahnenerbes (Büro zum Studium des Ahnenerbes), die 1935 stattfand, zu überzeugen. Seine Hauptaufgabe war es, die Ursprünge der arischen Rasse auszumachen, speziell in Zentralasien. 1937 gliederte Himmler dieses Büro in die SS (Schutzstaffel) ein.

In den Jahren 1938-1939 finanzierte das Ahnenerbe die Dritte Tibetexpedition von Ernst Schäffer. Während seines kurzen Aufenthaltes maß der Anthropologe Bruno Beger die Schädel zahlreicher Tibeter und kam zum Schluss, dass sie eine Zwischenrasse zwischen den Ariern und den Mongolen waren und dass sie als Verbindung im deutsch-japanischen Bündnis dienen konnten.

Die Nazi-Suche nach Shambhala und Agharti in den Darstellungen von Pauwels, Bergier und Frére

Eine Reihe von Gelehrten hat die Genauigkeit der Nachkriegsstudien über das Nazitum und den Okkultismus in Frage gestellt. Ob sie das Denken der Nazis während des Dritten Reiches akkurat darstellen oder nicht, handelt es sich bei diesen um eine weitere verbreitete Verzerrung der Legende von Shambhala. Betrachten wir zwei leicht unterschiedliche Versionen unter ihnen.

Nach der Version, die sich in „Le Matin des Magiciens“ („Der Morgen der Magier“) (1962) der französischen Forscher Louis Pauwels und Jacques Bergier und in „Nazisme et Sociétés Secrètes“ („Nazitum und Geheimgesellschaften“) (1974) von Jean-Claude Frére findet, glaubte Haushofer, dass zwei Gruppen von Ariern von Hyperborea-Thule nach Süden wanderten. Die eine ging nach Atlantis, wo sie sich durch Heirat mit den Lemuriern vermischten, die auch dorthin emigriert waren. Man erinnere sich daran, dass Blavatsky die Lemurier mit Atlantis und Shambhala verbunden hatte und dass Bailey sowohl die Lemurier als die Atlanten mit der Shambhala-Kraft assoziiert hatte. Die Nachkommen dieser „unreinen Arier“ wandten sich der schwarzen Magie und der Eroberung zu. Der andere Zweig der Arier emigrierte nach Süden, indem er Nordamerika und Nordasien durchquerte, und schließlich die Wüste Gobi erreichte. Dort gründeten seine Mitglieder Agharti, dessen Mythos durch die Schriften von Saint-Yves d’Alveidre bekannt wurde.

Frére zufolge war Agharti für die Thule-Gesellschaft etymologisch mit Asgard, der Heimat der Götter der nordischen Mythologie, verwandt. Andere behaupten in weniger überzeugender Weise, dass Agharti mit Ariana verwandt sei, einem altpersischen Namen, unter dem bei den alten Griechen das Gebiet, das sich vom östlichen Iran über Afghanistan bis nach Usbekistan erstreckt, bekannt war – die Heimat der Arier.

Nach einer Weltkatastrophe versank Agharti unter die Erde. Dies entspricht Ossendowskis Darstellung. Die Arier teilten sich darauf in zwei Gruppen. Die eine zog nach Süden und gründete unter dem Himalaya ein geheimes Zentrum der Gelehrsamkeit, das ebenfalls Agharti genannt wurde. Dort bewahrten sie die Lehren der Tugend und des Vril. Die andere arische Gruppe versuchte nach Hyperborea-Thule zurückzukehren, gründete jedoch stattdessen Shambhala, eine Stadt der Gewalt, des Bösen und des Materialismus. Agharti war die Behüterin des rechten Pfades und des positiven Vrils, während Shambhala die Behüterin des degenerierten linken Pfades und der negativen Energie war.

Die Unterteilung von rechten und linken Pfaden war bereits in Blavatskys „Geheimlehre“ erschienen. Sie schrieb, dass zur Zeit der Bewohner von Atlantis die Menschheit sich in Zweige des rechtsen und linken Pfades des Wissens teilte, die die Keimzellen der weißen und schwarzen Magie wurden. Sie assoziierte die beiden Pfade allerdings nicht mit Agharti und Shambhala. Tatsächlich erwähnte sie Agharti in ihren Schriften überhaupt nicht. Die Begriffe rechtser und linker Pfad leiten sich von einer Unterteilung innerhalb des hinduistischen Tantra ab. Frühe westliche Autoren charakterisierten das linkeTantra oft als eine degenerierte Form und identifizierten es fälschlicherweise mit dem tibetischen Buddhismus und seinen Lehren des Anuttarayoga Tantra.

Nach Pauwels und Bergier versuchte die Thule-Gesellschaft Shambhala zu kontaktieren und ein Bündnis zu schließen, doch nur Agharti erklärte sich bereit, Hilfe zu bieten. Die französischen Autoren erklären, dass ab 1926 in München und Berlin bereits Kolonien von Indern und Tibetern bestanden, die die Gesellschaft der Grünen Männer genannt wurden und in astraler Verbindung zur Gesellschaft des Grünen Drachens in Japan standen. Die Mitgliedschaft in letzterer erforderte, dass man rituellen japanischen Selbstmord (jap. harakiri, seppuku) beging, wenn man seine Ehre verlor. Hauser war angeblich während seiner frühen Jahre in Japan Mitglied der Gesellschaft geworden. Der Leiter der Gesellschaft der Grünen Männer soll ein tibetischer Mönch gewesen sein, bekannt als „der Mann mit den grünen Handschuhen“, der angeblich oft Hitler besuchte und die Schlüssel von Agharti besaß. Expeditionen nach Tibet sollen von 1926 bis 1943 jährlich erfolgt sein. Als die Russen am Ende des Krieges in Berlin einmarschierten, fanden sie fast tausend Körper von Soldaten, die der himalayischen Rasse angehörten, in Nazi-Uniformen, doch ohne Identifizierungspapiere, die Selbstmord begannen hatten. Haushofer selbst beging Harakiri, bevor er 1946 in Nürnberg verurteilt werden konnte.

Ravenscrofts Darstellung der Nazi-Suche nach Shambhala und Agharti

Eine leicht unterschiedliche Darstellung der Nazi-Suche nach Shambhala und Agharti erschien in „The Spear of Destiny“ („Der Speer des Schicksals“) (1973) des britischen Forschers Trevor Ravenscroft. Dieser Version zufolge glaubte die Thule-Gesellschaft, dass zwei Gruppen von Ariern sich der Anbetung von zwei bösen Kräften zuwandten. Diese Zuwendung zum Bösen verursachte den Niedergang von Atlantis. Darauf gründeten die beiden Gruppen Gemeinschaften in Grotten, die sich in überfluteten Bergen unter dem Atlantischen Ozean in der Nähe von Island befanden. Hieraus entstand die Legende von Thule. Eine Gruppe von Ariern folgte dem Luziferischen Orakel, das Agarthi (Agharti) genannt wurde, und praktizierte den linken Pfad. Die andere Gruppe folgte dem Ahrimanischen Orakel, das Schamballah (Shambhala) genannt wurde, und praktizierte den rechten Pfad. Man beachte, dass Ravenscroft das Gegenteil von den Behauptungen von Pauwels, Bergier und Frére berichtet, nach denen Agharti dem rechten Pfad und Shambhala dem linken folgte.

Des weiteren erklärte Ravenscroft, dass nach der Aussage der „Geheimlehre“ – womit er auf das gleichnamige Buch Blavatskys anspielte – die in Tibet vor zehntausend Jahren erschien, Luzifer und Ahriman die beiden Kräfte des Bösen sind, die beiden großen Gegner der menschlichen Evolution. Luzifer verleitet die Menschen dazu, sich selbst in die Position von Göttern zu stellen und ist mit der Machtlust assoziiert. Luzifer zu folgen kann zu Egoismus, falschem Stolz und dem Missbrauch magischer Kräfte führen. Ahriman strebt danach, ein rein materielles Reich auf Erden zu schaffen und benutzt in Riten der schwarzen Magie die perversen sexuellen Begierde der Menschen.

Man erinnere sich: obwohl Blavatsky über Luzifer und Ahriman geschrieben hatte, machte sie die beiden nicht zu einem Paar und assoziierte die beiden ebenso wenig mit Shambhala oder Agharti. Außerdem erklärte Blavatsky: obwohl lateinische Scholastiker Luzifer in einen rein bösen Satan verwandelt hatten, hatte Luzifer sowohl die Macht zu zerstören als auch die Macht zu erschaffen. Er repräsentierte die lichtbringende Gegenwart im Geist aller, der die Menschen aus der Animalität befreien und eine positive Verwandlung auf eine höhere Existenzstufe vollbringen konnte.

Es war Steiner, der betont hatte, dass Luzifer und Ahriman die beiden Pole der zerstörerischen Kraft repräsentierten. Steiner beschrieb Luzifer allerdings als die letztendlich wohlwollende zerstörerische Kraft der Regeneration und Ahriman als rein bösartig. Außerdem assoziierte Steiner Luzifer mit Shambhala, nicht mit Agharti – tatsächlich erwähnte er, wie Blavatsky und Bailey, Agharti überhaupt nicht. Ferner beschrieb keiner dieser drei okkultistischen Autoren Shambhala als unterirdisch. Nur die Roerichs hatten Shambhala mit der unterirdischen Stadt Agharti assoziiert, hatten jedoch klar gemacht, dass die beiden unterschiedlich waren und hatte nie behauptet, dass Shambhala unterirdisch sei.

Wie Pauwels, Bergier und Frére behauptete auch Ravenscroft, dass infolge der Initiativen von Haushofer und anderer Mitglieder der Thule-Gesellschaft von 1926 bis 1942 jährlich Erkundungsteams nach Tibet geschickt wurden, um mit unterirdischen Höhlengemeinschaften Kontakt aufzunehmen. Sie sollten die dortigen Meister davon überzeugen, die Hilfe der luziferischen und ahrimanischen Kräfte zu gewinnen, um die Ziele der Nazis zu unterstützen, besonders, um eine arische Superrasse zu schaffen. Die Adepten von Shambhala verweigerten ihre Hilfe. Als Anhänger des Ahrimanischen Orakels interessierten sie sich ausschließlich dafür, den Materialismus zu verbreiten. Außerdem hatte sich Shambhala bereits mit bestimmten Logen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten verbündet. Dies war möglicherweise ein Verweis auf Doreal, dessen Bruderschaft des Weißen Tempels in Amerika die erste größere okkultistische Bewegung war, die behauptete, Shambhala sei eine unterirdische Stadt. Außerdem passt diese Darstellung auch gut zu Haushofers Missachtung der westlichen materialistischen Wissenschaft, die er zu Gunsten der „nordischnationalistischen Wissenschaft“ als „ jüdisch-marxistisch-liberale Wissenschaft“ verwarf.

Ravenscroft fuhr fort, dass die Meister von Agharti sich bereit erklärten, die Nazi-Ziele zu unterstützen und dass ab 1929 Gruppen von Tibetern nach Deutschland kamen, wo sie als die Gesellschaft der Grünen Männer bekannt wurden. Zusammen mit Mitgliedern der japanischen Gesellschaft des Grünen Drachens, die zu ihnen stießen, gründeten sie in Berlin und anderswo okkultistische Schulen. Man beachte, dass Pauwels und Bergier behauptet hatten, dass sich nicht nur tibetische, sondern auch hinduistische Kolonien ab 1926, nicht erst ab 1929, in Berlin und München befanden.

Himmler soll von diesen Gruppen von Adepten aus Tibet und Agharti angezogen gewesen sein und soll aufgrund ihres Einflusses im Jahr 1935 das Ahnenerbe gegründet haben. Man erinnere sich daran, dass Himmler das Ahnenerbe nicht gründete, sondern es vielmehr 1937 in die SS eingliederte.

Eine Theorie, um die Anti-Shambhala und Pro-Agharti Einstellung der deutschen okkultistischen Bewegungen zu erklären

Es lässt sich schwer feststellen, ob Haushofer und die Thule-Gesellschaft tatsächlich irgendeine der obigen Ansichten vertraten, in denen okkultistische Beschreibungen Shambhala mit Ossendowskis Darstellung Aghartis sowie mit den Legenden von Thule und vom Vril vermischt werden. Es ist ebenfalls schwierig festzustellen, ob Haushofer den Versuch machte und dabei erfolgreich war, Hitler und offizielle Naziinstitutionen wie das Ahnenerbe, davon zu überzeugen, Expeditionen nach Tibet zu schicken, um sich die Hilfe der beiden vermuteten unterirdischen Länder zu sichern – oder sogar ob die Thule-Gesellschaft selbst solche Expeditionen aussandte. Die einzige Mission nach Tibet, die offiziell vom Ahnenerbe geführt wurde – die dritte Tibet-Expedition (1938-1939) von Ernst Schäffer – hatte offensichtlich einen anderen, wenn auch gleichermaßen okkultistischen Zweck. Ihr Hauptziel war das Messen von Schädeln von Tibetern um festzustellen, ob sie den Ursprung der Arier und eine Zwischenrasse zwischen den Ariern und den Japanern darstellten.

Abgesehen von einigen faktischen Ungenauigkeiten und Wiedersprüchen zwischen den beiden obigen Darstellungen der Anschauungen, die Haushofer und die Thule-Gesellschaft vertreten haben sollen, erscheinen zwei übereinstimmende Punkte bedeutsam. Erstens assoziierten Steiner und Bailey Shambhala mit der regenerierenden Kraft, die überkommene Ordnungen zerstören und neue, reformierte, etablieren konnte. Sie stellten Luzifer als diese letztendlich wohlwollende Kraft hin. Auf der anderen Seite assoziierten anscheinend Haushofer und die Thule-Gesellschaft Luzifer und diese wohlwollende Kraft mit Agharti. Für sie wurde Shambhala zu einem Land rein böswilliger, zerstörerischer Kraft, die von Ahriman und vom zügellosen Materialismus repräsentiert wurde. Zweitens: obwohl die Thule-Gesellschaft und die Nazis zunächst die Hilfe Shambhalas zu gewinnen suchten, das den bösen Pfad des Materialismus repräsentierte, wurde ihr Gesuch abgelehnt. Stattdessen erhielten sie die Unterstützung Aghartis, das die letztendlich positive Kraft der Zerstörung der Schwachen und der Schaffung der „Herrenrasse“ als nächstem Schritt in der Evolution der Menschheit repräsentierte.

Lassen wir vorerst die Frage beiseite, ob die Thule-Gesellschaft und das Ahnenerbe tatsächlich Missionen nach Tibet sandten, um Hilfe von Shambhala und Agharti zu ersuchen. Nehmen wir, ebenfalls nur vorerst, an, dass Haushofer tatsächlich die Legenden von Shambhala und Agharti mit den Anschauungen der Thule-Gesellschaft kombinierte und dass die sich hieraus ergebende Mischung die Position der Nazis in Sachen Okkultismus repräsentierte. Wäre dies der Fall, so wäre eine mögliche Theorie, um die Behauptung zu erklären, nach der Shambhala den Annäherungsversuch der Nazis ablehnte, während Agharti ihn annahm, die folgende:

Durch Dorjiev wurde Shambhala mit Russland und später mit dem Kommunismus assoziiert, während Agharti durch Ossendowski mit den antikommunistischen und antisemitischen Truppen des deutschen Barons von Ungern-Sternberg assoziiert wurden. Seit der Bayerischen Kommunistischen Revolution von 1918 waren die Thule-Gesellschaft und Hitler streng antikommunistisch. Zuvor waren sie bereits beide antisemitisch gewesen. So war Shambhala in ihren Augen eine finstere, negative Kraft, die rein materialistische „jüdisch-marxistisch-liberale Wissenschaft“ unterstützte. Mit seinen antikommunistischen Vorurteilen unterzeichnete Hitler im November 1936 den Antikommintern-Pakt mit Japan, in dem beide Länder ihre Feindschaft gegen die Ausbreitung des internationalen Kommunismus erklärten. Beide stimmten damit überein, dass sie keine politischen Abkommen mit der Sowjetunion unterschreiben würden. Um einen Zweifrontenkrieg in Europa zu vermeiden unterzeichnete Hitler trotzdem im August 1939 mit Stalin einen Nazi-Sowjetischen Pakt. Er brach diesen Pakt allerdings im Juni 1941, als die Truppen der Nazis in die Sowjetunion eindrangen.

Eine okkultistische Erklärung für Hitlers Kehrtwende mag sich in einer Allegorie finden. Shambhala (die Sowjetunion, der Kommunismus und die Juden) waren grundlegend böse (dies wurde durch den Anti-Kommintern-Pakt anerkannt). Trotzdem suchte Hitler zunächst ein Bündnis mit Shambhala (der Hitler-Stalin Pakt). Shambhala weigerte sich (Hitler gab der Sowjetunion die Schuld dafür, dass er den Pakt brach). Hitler wandte sich dann an Agharti und erhielt von hier Hilfe. (Ungern, ein früherer antisemitischer und antibolschewistischer Deutscher hatte ebenso die Hilfe Aghartis gesucht, hatte das sagenumwobene Land aber nicht lokalisieren können. Daher war Ungern in seiner Mission gescheitert. Da Hitlers Expeditionen Agharti-Asgaard gefunden hatten und dessen Unterstützung erhalten hatten, würden die Nazis sicherlich Erfolg haben.)

Belege, die diese Theorie stützen

Die folgenden Tatsachen würden die obige Theorie stützten, die erklärt, warum der deutsche Okkultismus Shambhala als ein Land bösartiger Kräfte darstellte. In „Der Weg nach Shambhala“ (1915) berichtete der deutsche Zentralasienforscher Albert Grünwedel, dass Dorjiev die Romanov-Dynastie als Nachkommen der Herrscher von Shambhala bezeichnet hatte.

In „Sturm über Asien“ (1924) verband der deutsche Spion Wilhelm Filchner den sowjetischen Vormarsch um Zentralasien einzunehmen, mit dem Interesse, dass die Romanovs seit des Anfangs des Jahrhunderts für Tibet gehegt hatten. Im Jahr 1926 überreichten die Roerichs dem sowjetischen Außenminister Chicherin Erde, angeblich von den Mahatmas von Tibet, um sie auf das Grab Lenins zu streuen. Helena Roerich bezog sich sowohl auf Marx als auch auf Lenin mit der Bezeichnung von „ Mahatmas“ und behauptete, dass Botschafter der himalayischen Mahatmas sich sogar mit Marx in England und Lenin in der Schweiz getroffen hatten. Die Mahatmas unterstützten die kommunistischen Ideale universeller Bruderschaft.

In „Aus den letzten Jahrzehnten des Lamaismus in Russland“ zitierte der deutsche Gelehrte W. A. Unkrig Filchners Buch und wiederholte Grünwedels Bericht über Dorjiev, die Romanovs und Shambhala. Er berichtete ebenfalls über die Zeremonie im buddhistischen Tempel in St. Petersburg, bei der das dreihundertjährige Bestehen des Romanov-Reiches gefeiert wurde. Unkrig warnte vor dem Einfluss dieses Tempels und vor einem Bündnis zwischen der Sowjetunion, der Mongolei und Tibet, und beendete seinen Artikel mit dem lateinischen Zitat: „Domine, libera nos a Tartaris (Herr, errette uns von den Tartaren).“ Dies passte gut zu Haushofers Geopolitik und zu seiner Empfehlung, dass sich Deutschland in Zentralasien, der Heimat der arischen Rasse, Lebensraum erobern sollte.

Schon im Jahr 1910 hielt Steiner in Berlin und München Vorlesungen, in denen er Shambhala als Sitz Maitreyas darstellte, des Antichristen, der die Welt von verdrehten spirituellen Lehren befreien würde. „Tiere, Menschen und Götter “, die vielgelesene deutsche Übersetzung von Ossendowskis Buch, erschien im Jahr 1923. Es stellte Agharti als eine Machtquelle dar, die Baron von Ungern-Sternberg als Unterstützung in seinem Kampf gegen den mongolischen Kommunistenführer Sukhe Batur gesucht hatte, der seine Truppen mit Geschichten über Shambhala aufwiegelte. Man erinnere sich daran, dass die Thule-Gesellschaft Agharti mit Asgaard identifizierte, der Heimat der nordischen arischen Götter.

Während der ersten Hälfte der 1920er Jahre erfolgte ein sogenannter „okkultistischer Krieg“ unter den okkultistischen Gesellschaften und Geheimlogen in Deutschland. Zum Beispiel hat Hitler in der Zeitung „Völkischer Beobachter“ Steiner beschuldigt ein Jude zu sein; und andere Rechtsextremisten haben zum „Krieg gegen Steiner“ aufgerufen. Viele haben vermutet, dass die Thule-Gesellschaft für diese Attacken verantwortlich war. In späteren Jahren führte Hitler die Verfolgung von Anthroposophen, Theosophen, Freimaurern und Rosenkreuzern fort. Mehrere Gelehrte schreiben diese Maßnahmen Hitlers Wunsch zu, jegliche okkultistischen Rivalen seiner Herrschaft zu eliminieren. Steiner beispielsweise hatte Bulwer-Lyttons Roman „The Coming Race“ unter dem expliziteren deutschen Titel „Vril, oder einer Menschheit der Zukunft“ auf Deutsch übersetzen lassen. Außerdem: da Steiner und die Anthroposophie von Shambhala als dem Land des künftigen Messias und des Guten sprachen, macht es Sinn, dass die Thule-Gesellschaft und Hitler es auf die entgegengesetzte Weise, als Land des Bösen, beschreiben.

Zwischen 1929 und 1935 erschienen fünf Bücher der französischen Abenteuerin Alexandra David-Neel in deutscher Übersetzung, wie etwa „Heilige und Hexer“ („Mystiques et Magiciens du Thibet“). David-Neel hatte zahlreiche Jahre mit Studium und Reisen in Tibet verbracht und sie berichtete, dass die dortigen Adepten übernatürliche Kräfte besaßen, die es ihnen erlaubten, die Schwerkraft zu überwinden und mit übermenschlicher Geschwindigkeit zu rennen. Als Konsequenz daraus wucherten wilde Fantasien über Tibet als dem Land mysteriöser magischer Kräfte.

Im Jahr 1936 veröffentlichte Theodor Illion, ein deutscher Froscher, der in den frühen 1930er Jahren Tibet bereist hatte, unter dem Pseudonym Theodor Burang „Rätselhaftes Tibet“. In diesem Buch beschrieb auch er übernatürliche Kräfte, die die tibetische Adepten besaßen. In seinem zweiten Buch, „Finsternis über Tibet“ (1937) beschrieb er, wie er in eine unterirdische Stadt im „Tal der Mysterien“ in eine unterirdische Stadt geführt wurde, in dem eine „Geheimbruderschaft“ spirituelle Energie kanalisierte, um Macht zu gewinnen. Ihr Herrscher war der Hexenmeister Prinz Mani Rimpotsche. Obwohl dieser „Prinz des Lichtes“ vorgab, ein gütiger Herrscher zu sein, war er tatsächlich der Leiter eines boshaften Kultes, ein „Prinz der Finsternis“. Illion erwähnte Shambhala nie, doch seine vielgelesenen Bücher verliehen der okkultistischen Behauptung der Nazis, Shambhala sei ein Land boshaften Zaubers, Gewicht.

Belege, die der Behauptung widersprechen, es habe seitens der Nazis offizielle Unterstützung der deutschen okkultistischen Anschauungen über Shambhala gegeben

Nehmen wir an, dass die nazi-okkultistische Bewegung, wie sie von der Thule-Gesellschaft repräsentiert wird, die Allegorie von Shambhala-Agharti benutzte, um den Kurswechsel in Hitlers Sowjetunion-Politik zu rechtfertigen. Trotzdem scheint es weiterhin höchst unwahrscheinlich, dass offizielle Nazi-Institutionen wie das Ahnenerbe Shambhala und Agharti auf ihrem Programm hatten – selbst, wenn es sich um ihr geheimes Programm handelte. Betrachten wir die Belege, die diese Folgerung stützen würden.

Hitler wurde 1933 deutscher Reichskanzler. Im selben Jahr veröffentlichte Sebottendorf, der Gründer der Münchner Zweigniederlassung der Thule-Gesellschaft, „Bevor Hitler kam“, in dem er darstellte, was Hitler dem „Thulismus“ verdankte. Hitler ließ das Buch rasch verbieten und zwang Sebottendorf, zurückzutreten. Obwohl Hitler offensichtlich die Anschauungen der Thule-Gesellschaft vertrat, bestritt er jegliche Verbindung zu etablierten okkultistischen Bewegungen. Er wollte einer möglichen Konkurrenz keine Chance lassen, egal welcher Richtung sie auch sei.

Haushofer und die Thule-Gesellschaft waren allerdings nicht die einzigen, die hinter den Kulissen einen Einfluss auf das Ahnenerbe ausübten. Sven Hedin, der schwedische Tibet-Forscher und Favorit der Nazis, spielte ebenfalls eine bedeutende Rolle. Zwischen 1922 und 1944 schrieb er auf Deutsch mehrere beliebte Bücher über seine Tibetreisen, wie etwa „Tsangpo Lamas Wallfahrt“ (1922). Mehrere andere wurden aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt, wie „My Life as an Explorer“ (1926) (deutsch: „Mein Leben als Entdecker“, 1928) und „A Conquest of Tibet“ (1934) (deutsch: „Eroberungszüge in Tibet“, 1941). Ferner stellte Hedin in „Ossendowski und die Wahrheit“ (1925) Ossendowskis Behauptung, dass ihm mongolische Lamas von Agharti erzählt hatten, bloß. In diesem Werk zeigte er, dass Agharti eine Fantasie war, die aus Saint-Yves d’Alveidres Roman aus dem Jahr 1886 übernommen worden war.

Frederick Hielscher, dem Hitler 1935 erlaubte, das Ahnenerbe zu gründen, war ein Freund Sven Hedins. Hitler lud Hedin außerdem dazu ein, 1936 die Eröffnungsrede zu den Olympischen Spielen in Berlin zu halten und 1937 publizierte Hedin „Deutschland und der Weltfrieden“. Von 1939 bis 1943 machte Hedin mehrere diplomatische Missionen nach Deutschland und führte seine nazifreundlichen Veröffentlichungsaktivitäten fort. Der klarste Beleg für seinen Einfluss auf das Ahnenerbe ist die Tatsache, dass dessen Tibetinstitut 1943 in „Sven Hedin-Institut für Innerasien und Expeditionen“ umbenannt wurde.

Haushofer war tatsächlich maßgeblich für die Gründung des Ahnenerbe und dafür, dass dessen Ziele auf zahlreichen Glaubensinhalten der Thule-Gesellschaft basierten. Nichts desto trotz ist es wegen Hedin unwahrscheinlich, dass das Ahnenerbe die Unterstützung Aghartis in Tibet suchte und fand. Hedin erkannte an, dass Tibet eine Schatzkammer alten, verborgenen Wissens war, schrieb diesem aber keine okkultistische Bedeutung zu. Ebensowenig assoziierte er dieses Wissen mit Shambhala oder Agharti.

Ferner erscheint es als höchst unwahrscheinlich, dass sich seit 1926 oder 1929 unter der Schirmherrschaft der Thule-Gesellschaft Gruppen von Tibetern in Berlin und München befanden. Wäre dies der Fall gewesen, dann hätte es das Ahnenerbe, dass inoffiziell mit der Thule-Gesellschaft verbunden war, nicht nötig gehabt, eine Expedition nach Tibet zu schicken, um die Schädel von Tibetern zu messen. Sie hätten die Messungen auch in Deutschland machen können. Daher erscheint auch die Behauptung, dass die Thule-Gesellschaft von 1926 bis 1942 jährliche Expeditionen nach Tibet finanzierte, ebenfalls höchst unwahrscheinlich.

Die kalmückische Verbindung

Der Bericht von Pauwels und Bergier, demzufolge die Russen am Ende des Krieges in Berlin eine große Anzahl von Soldatenleichen fanden, die der himalayischen Rasse angehörten und in Nazi-Uniformen gekleidet waren, die Selbstmord begangen hatten, muss ebenfalls näher untersucht werden. Die unausgesprochene Vermutung ist, dass die Russen die Leichen der Adepten aus Tibet-Agharti gefunden hätten, die die Sache der Nazis unterstützten und, wie Haushofer, rituellen Selbstmord begangen hatten.

Erstens war das Harakiri ein Brauch der japanischen Samurai, den zahlreiche japanische Soldaten im Zweiten Weltkrieg anwandten, um nicht in Gefangenschaft zu geraten. Die Anhänger des tibetischen Buddhismus allerdings sehen den Selbstmord als eine extrem negative Handlung mit schrecklichen Folgen für die folgenden Leben an. Er ist nie zu rechtfertigen. Dieser Bericht schreibt Tibetern in unangebrachter Weise japanische Bräuche zu. Zweitens wären irgendwelche Soldaten himalayischen Ursprungs, die man in Naziuniform fand, am wahrscheinlichsten kalmückische Mongolen, nicht Tibeter. Außerdem beweist die Tatsache, dass die Kalmücken in der deutschen Armee kämpften, nicht, dass sie oder ihr tibetisch-buddhistischer Glaube die Nazi-Ideologie unterstützte. Betrachten wir die historischen Tatsachen, indem wir sie mit Informationen anreichern, die in Interviews mit in München lebenden Kalmücken gewonnen wurden, die in zahlreichen der unten beschriebenen Ereignisse teilnahmen.

Die kalmückischen Mongolen sind Anhänger des tibetischen Buddhismus und blicken auf eine lange Geschichte von Beziehungen mit Deutschen zurück. Eine große Gruppe von ihnen emigrierte zwischen 1609 und 1632 von den Duzungar-Gebieten in Ostturkestan nach Westen. Sie ließen sich in Russland entlang der untere Wolga nieder, wo diese ins Kaspische Meer mündet. Dort führten sie ihr nomadisches Leben als Viehzüchter weiter.

Im Jahr 1763 lud die Zarin Katherina II die Grosse fast dreißigtausend Deutsche dazu ein, die Wolgagebiete nördlich der Kalmücken zu besiedeln. Sie wollte, dass sie das fruchtbare Land bebauten und es gegen die „Tataren“ sicherten. Sie versuchte, die Kalmücken zum Christentum und zur Landwirtschaft zu bekehren und bewog so im Jahr 1771 viele von ihnen zur Flucht zurück nach Dzungarien. Schließlich wurden diejenigen, die in Russland geblieben waren, jedoch akzeptiert, besonders, da sie ausgezeichnete Soldaten waren. Während der Napoleonischen Kriege (1812-1815) zum Beispiel hatte die russische Armee ein Kalmücken-Regiment. Im Laufe des folgenden Jahrhunderts spielten kalmückische Soldaten in Divisionen in der gesamten zaristischen Armee eine wichtige Rolle.

Obwohl die Lebensstile und die Bräuche der Landwirtschaft treibenden Wolgadeutschen und der nomadischen kalmückischen Viehzüchter sich stark unterschieden, entwickelten die Nachbarn im Laufe der Zeit Respekt für einander. Die Deutschen interessierten sich für die Kalmücken. Bereits im Jahr 1804 publizierte Benjamin Bergmann unter dem Titel „Nomadische Streifereien unter der Kalmüken in den Jahre 1802 und 1804“ ein Werk in vier Bänden über ihre Sprache und ihre Religion. Sven Hedin durchquerte Kalmückien auf einer seiner frühen Expeditionen nach Dzungarien und äußerte große Bewunderung für seine Bewohner.

Nach der kommunistischen Revolution von 1917 blieben zahlreiche Kalmücken den zaristischen Truppen loyal und kämpften auf der weißrussischen Seite weiter, besonders unter den Generälen Vrangel und Deniken. Bevor die Rote Armee am Ende des Jahres 1920 zur Krimhalbinsel durchbrach, flohen etwa zwanzig kalmückische Familien mit Vrangel über das Schwarze Meer und ließen sich im polnischen Warschau und im tschechoslowakischen Prag nieder. Von der viel größeren Anzahl, die mit Deniken floh, ließ sich der Hauptteil im serbischen Belgrad nieder, während kleinere Gruppen nach Sofia in Bulgarien und nach Paris und Lyon in Frankreich gingen. Die kalmückischen Flüchtlinge in Belgrad erbauten dort im Jahr 1929 einen buddhistischen Tempel. Die Kommunisten bestraften die Kalmücken, die zurückgeblieben waren, aufs strengste, indem sie zehntausend von ihnen köpfen ließen.

Im Jahr 1931 ließ Stalin die Kalmücken kollektivieren, schloss die buddhistischen Klöster und verbrannte die religiösen Texte. Er deportierte alle Viehzüchter, die mehr als fünfhundert Tiere besaßen, und alle Mönche nach Sibirien. 1932 bis 1933 brach eine große Hungersnot aus, die teilweise von Stalins Kollektivierungspolitik verursacht worden war. Etwa sechzigtausend Kalmücken starben.

Nachdem Hitler im September 1941 die Invasion Russlands begonnen hatte, lud Goebbels mehrere prominente Kalmücken aus Belgrad, Paris, und Prag nach Berlin ein, um bei einer Propagandakampagne mitzuwirken. Die Nazis wollten die Kalmücken gegen die Russen auf die deutsche Seite gewinnen und schickten nie einen derjenigen Kalmücken, die sich in ihrem Herrschaftsbereich befanden, in ein Konzentrationslager. So organisierte Goebbels diesen harten Kern zu einem Komitee zur Befreiung der Kalmücken vom kommunistischen Regime. In diesem Zusammenhang half er ihnen beim Druck einer Zeitung in kalmückischer Sprache und benutzte sie, um Radionachrichten auf Kalmückisch nach Kalmückien zu senden.

Als die Sechzehnte Panzerdivision der Nazis unter Feldmarschall Mannstein zu Beginn des Jahres 1942 Kalmückien einnahm, wurde sie von drei Mitgliedern dieses Komitees begleitet. Eine Anzahl Belgrader Kalmücken, die nach der Nazibesetzung Serbiens im April 1941 der deutschen Armee beigetreten waren, nahmen ebenfalls an der Invasion teil. Die kalmückische Bevölkerung hieß die deutsche Armee als Befreierin von Stalins unterdrückerischer Herrschaft mit Butter und Milch willkommen, den traditionellen Gaben, mit denen man Gäste empfing. Die Deutschen kündigten an, sie würden die Kollektive abbauen und das Land aufteilen und privatisieren. Sie erlaubten den Kalmücken, den Buddhismus wieder zu praktizieren. Hierauf bargen die Kalmücken die religiösen Texte, die sie zum Schutz begraben hatten und bauten einen behelfsmäßigen provisorischen Tempel. Doch im November und Dezember des Jahres 1942 nahm die Rote Armee Kalmückien wieder ein und zerstörte alles, was die Menschen wieder aufgebaut hatten.

Die deutschen Truppen luden die Kalmücken dazu ein, sich zurückzuziehen und mit ihnen weiterzukämpfen. Etwa fünftausend traten der Naziarmee bei und formten das Freiwillige kalmückische Kavalleriekorps. Nur wenige Frauen und Kinder begleiteten sie. Die kalmückischen Truppen kämpften mit den Nazis hinter den Linien, besonders um den Azovsee. Die Mehrheit der kalmückischen Bevölkerung blieb allerdings in Kalmückien. Im Dezember 1943 erklärte sie Stalin alle zu deutschen Kollaborateuren und deportierte sie nach Sibirien. Erst in der Chruschtow -Ära, zwischen 1957 und 1960, kehrten sie zurück.

Zu Beginn des Augusts des Jahres 1944, flohen zahlreiche Belgrader Kalmücken angesichts der bevorstehenden russischen Invasion Serbiens, nach München, um der kommunistischen Verfolgung zu entgehen. Ein gelehrter buddhistischer Lehrer und mehrere Mönche begleiteten sie. Ende 1944 zogen sich die kalmückischen Kavalleriesoldaten, die in Russland überlebt hatten, mit ihren Familien mit der deutschen Armee zurück. Etwa zweitausend gingen ins polnische Schlesien und fünfzehnhundert nach Zagreb, in Kroatien, wo sie neu organisiert wurden, um gegen die Partisanen zu kämpfen.

Obwohl sich daher in den letzten Monaten des Krieges eine Anzahl von Kalmücken in Deutschland und in den von den Nazis besetzen Gebieten befanden, waren nur wenige, die sich weiterhin mit Propagandaarbeit befassten, im Gebiet Berlins. Die kalmückischen Soldaten in Naziuniformen befanden sich in Polen und Kroatien, nicht in Deutschland. Obwohl mehrere kalmückische Mönche tibetisch-buddhistische Rituale in den Baracken und Häusern der Kalmücken in den von den Nazis kontrollierten Gebieten zelebrierten, beteten sie hierbei für den Frieden und für das Wohl aller Wesen. Es waren keine Tibeter unter ihnen und sie vollzogen keine „okkultistischen“ Zeremonien für den Sieg der Nazis, wie es einige okkultistische Darstellungen aus der Nachkriegszeit berichten.

Nach dem Krieg wurden die Kalmücken, die in Westeuropa übriggeblieben waren, in Lager für Umgesiedelte in Österreich und Deutschland interniert, besonders im Gebiet um München. Als sie 1951 freigelassen wurden, zogen sie zuerst nach München. Später im selben Jahr siedelte die Anna Tolstoy-Stiftung die Mehrheit von ihnen in die Vereinigten Staaten, nach New Jersey, um. Tito lieferte diejenigen, die sich noch in Serbien befanden an die Sowjets aus, die sie prompt nach Sibirien deportierten.

Nachkriegsbehauptungen bezüglich Shambhala und fliegenden Untertassen

Okkultistische Interpretationen anderer Aktivitäten der Nazis, die mit Shambhala assoziiert wurden, erschienen ebenfalls nach dem Krieg. Eine deutsche Expedition in die Antarktis aus dem Jahr 1939 beispielsweise, die von Kapitän Alfred Ritscher geleitet wurde, kartographierte ein Fünftel des Kontinents, forderte ihn für Deutschland und nannte ihn Neuschwabenland. Weitere Nazi-Expeditionen in die Antarktis und nautische Aktivitäten im Südatlantik wurden bis zum Ende des Krieges fortgeführt.

Unabhängig hiervon stellte in den späten 1950er Jahren Henrique Jose de Souza, der damalige Präsident der Theosophischen Gesellschaft Brasiliens, eine neue Theorie der Hohlen Erde vor. Innerhalb der Erde liegt Agharti mit seiner Hauptstadt Shambhala, als Ausgangspunkt fliegender Untertassen, die durch Tunnels an den Nord- und Südpolen an die Oberfläche kommen. Dementsprechend baute die Theosophische Gesellschaft Brasiliens in São Lourenço, Minas Gerais, einen Tempel im griechischen Stil, der Agharti gewidmet war. Ein Schüler De Souzas, O. C. Hugenin, verbreitete die Theorie seines Lehrers in „From the Subterranean World to the Sky: Flying Saucers“ („Von der Unterirdischen Welt in den Himmel: Fliegende Untertassen“) (1957). In seinem Buch „The Hollow Earth“ („Die Hohle Erde“) von 1964, ließ R. W. Bernard die fliegenden Untertassen aus Shambhala im unterirdischen Agharti durch geheime Tunnels im Himalaya unter Tibet hervorkommen.

Indem er sich auf die Antarktis-Expeditionen der Nazis und auf die obigen Darstellungen stützte, schrieb der deutsche Okkultismus-Autor Ernst Zündel in den 1970er Jahren mehrere Bücher einschließlich „UFO’s: Nazi-Geheimwaffen?“, in dem er behauptete, dass die Nazis einen geheimen Stützpunkt in einem Gebiet von Warmwasserseen, die sie in der Antarktis gefunden hatten, besaßen. Dort versteckten sie ihre Geheimwaffe, die UFOs. Zündel ist ebenfalls verschrieen als der ausgesprochenste Vertreter der Ansicht, dass der Holocaust nie stattgefunden habe.

Die Verbindung fliegender Untertassen mit Shambhala leitet sich von der Darstellung des allegorischen, zukünftigen apokalyptischen Krieges ab, die sich im Kommentar „Das makellose Licht“ zum „Gekürzten Kalachakra-Tantra“ findet. In dieser Darstellung wird Raudrachakrin, der fünfundzwanzigste Kalki-Herrscher Shambhalas, auf einem Steinpferd reitend mit der Kraft des Windes aus seinem Land kommen und Mahdi, den Führer der nichtindischen Horden, besiegen. Obwohl Raudrachakrin das tiefe Gewahrsein der Leerheit mit der feinsten Ebene mentaler Aktivität repräsentiert und das Steinpferd die feinste Ebene des Energie-Windes, auf dem dieses Bewusstsein reitet, haben einige dieses Bild als eine fliegende Untertasse interpretiert, die von Shambhala kommt.

Abschließende Betrachtungen

Die Kalachakra-Darstellung von Shambhala hat die Vorstellungen zahlreicher ausländischer politischer Persönlichkeiten und okkultistischer Autoren angeheizt. Indem sie die ursprüngliche Legende verdrehten und mit Fantasievorstellungen vermischten, haben sie diesen Mythos in ihre Schriften eingefügt, um ihren eigenen Zwecken zu dienen. Es ist eine Ungerechtigkeit dem Buddhismus gegenüber, ihm diese Verdrehungen der ursprünglichen Absicht der Kalachakra-Lehren zuzusprechen. Weiterführende Forschung wird mehr von der Wahrheit herausarbeiten.

Top