Shambhala-Legende als Machtmittel über die Mongolei

Die Teilung der Mongolei durch fremde Eroberer

Die Mandschus, Chinesen, Russen und Japaner haben lange um die Kontrolle Nordostasiens, besonders der mongolischen Gebiete, rivalisiert. Seit den Tagen Dschingis Khans und des Mongolischen Reiches im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert sahen alle benachbarten Regionalmächte die Mongolen als potentiell gefährliche Militärmacht. Sie musste entweder neutralisiert werden, indem man die mongolische Einheit verhinderte, oder aber für die eigenen Zwecke eingespannt werden, indem man diese Einheit förderte.

Die Mandschus schufen die Teilung der Mongolei in einen Äußeren und einen Inneren Teil, als sie 1636 die Innere Mongolei einnahmen und sie als Basis für ihre Eroberung Chinas und die Etablierung der Qing-Dynastie (1644-1911) benutzten. Nachdem sie 1691 die Kontrolle über die Äußere Mongolei gewonnen hatten, behielten die Mandschus die künstliche Trennung zwischen Äußerer und Innerer Mongolei bei, um die Mongolen daran zu hindern, sich gegen sie zu vereinigen. 1729 eroberte und annektierte Russland Buryatien, die mongolische Region nördlich der Äußeren Mongolei, in der Nähe des Baikalsees, und schwächte so die mongolische Einheit weiter.

Der Beginn der Chinesisch-Russisch-Japanischen Rivalität in Nordostasien

Während des fortschreitenden Niedergangs der Qing-Dynastie in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts versuchten verschiedene Mächte, die Situation auszunutzen und ihre politischen und wirtschaftlichen Imperien auszuweiten. Dies waren nicht nur europäische Staaten wie Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Portugal, sondern auch asiatische Mächte.

Betrachten wir den Kampf zwischen Russland und Japan um die Mandschurei, den östlichen Nachbarn der Mongolei: Die Mandschurei befand sich nicht nur wegen ihren eisfreien Häfen, die an ihrer Südküste, entlang des Bohaigolfes, lagen, in einer strategischen Position, sondern auch, weil sie den Qing-Kaisern als Stützpunkt diente, um die Mongolei zu kontrollieren.

Durch ihren Sieg im Chinesisch-Japanischen Krieg von 1894-1895 gewannen die Japaner die Halbinsel von Liaodong in der südlichen Mandschurei mit Port Arthur (Dalian, Darien) an ihrer Spitze. 1896 schloss Zar Nikolaus II mit China ein Bündnis gegen Japan und erhielt das Recht, die Transsibirische Eisenbahn durch die nördliche Mandschurei zu verlängern, um die Verbindung mit dem russischen Pazifikhafen Wladiwostok herzustellen. Hierdurch gewann Russland die nominelle Kontrolle über die nördliche Mandschurei. Darauf zogen sich die Japaner aufgrund intensiven Drucks von Seiten Russlands und Chinas von der südlichen Mandschurei zurück.

Auf der anderen Seite der Mündung des Bohaigolfes, gegenüber von Port Arthur, lag die Halbinsel von Shandong. Nachdem Deutschland 1897 ihren Haupthafen Qingdao (Tsingtao) eingenommen hatte, forderte Russland weitere Konzessionen von der Chinesischen Regierung. 1898 erhielten die Russen die Kontrolle Port Arthurs und seines mandschurischen Hinterlandes und verbanden es prompt per Bahn mit Wladiwostok. Japan sah das mit Besorgnis, denn es war darauf bedacht, wieder eine Machtbasis auf dem asiatischen Festland zu etablieren.

Der Russisch-Japanischen Krieg brach 1904 wegen der Mandschurei aus. Als die Japaner 1905 siegten, sprach ihnen das Abkommen von Portsmouth einen langzeitigen Pachtvertrag über Port Arthur zu, der dem ähnelte, den sich die Briten mit der Zweiten Konvention von Peking 1898 über Hong Kong und die New Territories gesichert hatten. Die Japaner und die Russen erklärten sich einvernehmlich bereit, die chinesischen Kontrolle über die Mandschurei wiederherzustellen, warteten aber auf jede Gelegenheit, sie wieder einzunehmen. 1910 eroberte und annektierte Japan Korea, das an den östlichen Teil der Liaodong-Halbinsel angrenzte.

Der Beginn der Mongolisch-Japanischen Freundschaft

Im Jahr 1911, am Vorabend der Chinesischen Nationalistischen Revolution, die die Qing-Dynastie stürzte, erklärte der Achte Jebtsundamba die Unabhängigkeit der Äußeren Mongolei von China. Die Jebtsundambas (Bogdo Khans) waren die traditionellen buddhistischen spirituellen und politischen Herrscher der Mongolei, die, wie die Dalai Lamas von Tibet, durch Reinkarnation gefunden wurden. Doch der Druck aus Russland und China zwang den Jebtsundamba 1912, eine Autonomie unter der neuen nationalistischen chinesischen Regierung zu akzeptieren, bei russischer Unterstützung zur Aufrechterhatung dieses Status.

Die Japaner profitierten von der neuen Situation in China und weiteten bald ihre Kontrolle von Port Arthur und Korea auf die südliche Mandschurei und auf den Osten der Inneren Mongolei aus. 1914 verbündete sich Russland im Ersten Weltkrieg mit England gegen Deutschland und die Türkei. Da Russland in Europa beschäftigt war, unterzeichnete es 1914-1915 mit China das Abkommen von Khiakta, in dem es die chinesische Oberherrschaft über die Mongolei bestätigte, und akzeptierte die Expansion Japans auf dem asiatischen Festland.

Währendessen trat Japan auf alliierter Seite in den Krieg ein und eroberte die deutschen Besitzungen auf der Halbinsel von Shandong. In den „Einundzwanzig Forderungen“, die 1915 zwischen Japan und China unterzeichnet wurden, erkannte China die japanische Übernahme Shandongs und Japans Herrschaft über die südliche Mandschurei und den Osten der Inneren Mongolei an.

Nach der Russischen Revolution von 1917 zerriss Lenin die Nichteinmischungsabkommen, die der Zar mit China bezüglich der Mongolei unterschrieben hatte. Er hoffte, den Kommunismus in ganz Asien zu verbreiten. Der anhaltende Weltkrieg und der Ausbruch eines Bürgerkrieges in Russland, besonders in Sibirien, hinderte ihn daran, sofort zu handeln.

Dem Jebtsundamba missfielen sowohl die Chinesen als die Russen. Er wünschte stattdessen die Gründung einer Großen Mongolei, die sich von Buryatien in Sibirien bis zur Inneren Mongolei und der nordwestlichen Mandschurei erstrecken sollte. Unter den Militärmächten der Region gefiel dem Jebtsundamba Japan am besten in der Rolle des Förderers und Beschützers des von ihm geplanten Staates. Japan war schließlich ein buddhistisches Land. Die Japaner wiederum waren bestrebt, ihre nordostasiatische Einflusssphäre auf die gesamte Mongolei auszudehnen. So gründeten die Japaner 1918 eine Japanisch-Mongolische Buddhistische Vereinigung und unterstützten den Plan einer Großen Mongolei.

Die Etablierung des Kommunismus in der Mongolei

Am Ende des Jahres 1919 verzichteten mehrere mongolische Fürsten unter intensivem Druck von Seiten der Chinesen und ohne das Einverständnis des Jebtsundamba auf den autonomen Status der Äußeren Mongolei und unterwarfen sich der chinesischen Herrschaft. Darauf nahm die chinesische Einmischung in der Mongolei zu, unter dem Vorwand, sie diene dem Schutz vor der sowjetischen Aggression und vor der von den Japaner unterstützten pan-mongolischen Bewegung.

Zwei mongolische Gruppen baten um sowjetische Hilfe, um die Chinesen vor die Tür zu setzten und eine Form mongolischer Autonomie zu etablieren. Die eine war die Mongolische Volkspartei, die von Sukhe Batur geleitet wurde. Sie zielte darauf ab, eine kommunistische Regierung in voller Allianz mit der Sowjetunion zu etablieren. Die andere war die konservative Gruppe um den Jebtsundamba. Korea hatte soeben seine Unabhängigkeit von Japan proklamiert. Da das japanische Militär damit beschäftigt war, die koreanische Unabhängigkeitsbewegung zu unterdrücken, konnte der Jebtsundamba nicht Japan um Hilfe bitten. Schließlich fanden die beiden mongolischen Gruppen einen Kompromiss, indem Sukhe Batur den Jebtsundamba als einen konstitutionellen Monarchen anerkannte.

Baron Roman von Ungern-Sternberg, ein deutscher Adliger, dessen Familie sich in Russland niedergelassen hatte, war seit seiner Jugend am Buddhismus interessiert. Er war im Übrigen notorisch grausam und ein fanatischer Anti-Bolschewik. Nachdem er die Bolschewiken in Sibirien bekämpft hatte, fiel er 1920 mit einer weißrussischen (zaristischen) Armee, ermutigt durch die Japaner, in die Äußere Mongolei ein. Die Chinesen hatten den Jebtsundamba in der mongolischen Hauptstadt Urga (Ulaan Baatar) inhaftiert und Ungern machte es sich zum heiligen Auftrag, ihn zu befreien.

Ungern befürwortete das Projekt einer von Japan gestützten Großen Mongolei. Nachdem er zu Beginn des Jahres 1921 Urga eingenommen hatte, setzte er daher den Jebtsundamba wieder auf seinen Thron. Der mongolische Herrscher erklärte seinen Befreier zur Inkarnation des zornvollen Beschützers Jamsarang (Jamsing). Ungern machte sich dann daran, alle Chinesen, mongolischen Kollaborateure, russischen Bolschewiken und Juden, die er finden konnte, zu massakrieren. Er war der Überzeugung, dass alle Juden Bolschewiken seien.

Sukhe Batur gründete die Provisorische Mongolische Kommunistische Regierung, während er noch in Buryatien war und führte eine mongolische Armee gegen den sogenannten „Weißen Baron“, der auch als der „Verrückte Baron“ bekannt war. Die kommunistischen Befehlshaberver sammelten ihren Truppen, indem sie den Glauben der Mongolenan das Kalachakra ausnutzten und dessen Lehren verdrehten. Sie sagten den Mongolen, sie würden in der Armee Shambhalas wiedergeboren, wenn sie für die Befreiung der Mongoleiaus der Unterdrückung kämpften. Mit Hilfe der Sowjetischen Roten Armee nahm Sukhe Batur im Laufe des Jahres 1921 Urga ein und beschränkte die Autorität des Jebtsundamba stark. Danach blieben sowjetische Truppen bis 1924 in Urga. Die Japaner waren gezwungen, Distanz zu halten, aber nur vorübergehend.

Ungern wurde 1922 von seinen eigenen Truppen ermordet. Sukhe Batur starb 1923, Lenin Anfang 1924 und der Jebtsundamba später im selben Jahr. Die Proklamation der Mongolischen Volksrepublik erfolgte kurz darauf. Das Regime führte die Politik fort, indem sie die Legende von Shambhala ausnutzte, um jeden Rivalen im Kampf um die Macht auszuschalten. So erklärte der Kongress der mongolischen Kommunistischen Partei von 1925, der Jebtsundamba werde sich nicht mehr mit dem bisherigen religiösen und politischen Status reinkarnieren. Vielmehr würde er als General Hanumant in Shambhala wiedergeboren. Sie kündigten an, sie würden mit dem Dalai Lama Rücksprache halten, um ihre Behauptung zu verifizieren, doch es ist zweifelhaft, dass sie dies je taten.

Der Shambhala-Krieg

Anfänglich tolerierte das mongolische kommunistische Regime den Buddhismus, da in der Mönchsgemeinde führende Persönlichkeiten wie Darva Bandida eine Rückkehr zu den frühbuddhistischen Prinzipien der Einfachheit vertraten. Ähnlich wie die „Bewegung für die Wiedererweckung des Glaubens“, die von den Buryaten in der Sowjetunion geführt wurde, versuchten mongolische Mönche, den Buddhismus mit der kommunistischen Theorie zu versöhnen. Der buryatische Gelehrte Jamsaranov unterstützte den Bandida (Pandit) in seinen Bemühungen und die Bewegungen für den Reinen Buddhismus und für die Erneuerung erhielten in der Mongolei ab 1926 Aufwind.

Stalin übernahm 1928 die Kontrolle der Sowjetunion. Als er 1929 seine Kampagnen für die Kollektivierung und gegen die Religionen begann, folgte ihm das mongolische kommunistische Regime. 1929 verdammte der Siebte Parteikongress die buddhistischen Versöhnungsbewegungen und sprach ein formelles Verbot gegen die Einsetzung eines Neunten Jebtsundamba aus, obwohl dessen Reinkarnation in Tibet gefunden worden war. Von Stalins Beispiel inspiriert ging die Partei sogar noch weiter. Von 1930 bis 1932 führte sie eine Politik der fanatischen Kollektivierung und Religionsverfolgung durch. Zahlreiche Mönche, die von buryatischen Intellektuellen unterstützt wurden, die in die Mongolei geflohen waren um Stalins Maßnahmen zu entgehen, rebellierten. Einige ersuchten die Hilfe des Panchen Lama.

Seit 1924 hatte der Neunte Panchen Lama wegen eines Streites mit dem Dreizehnten Dalai Lama in China residiert. Der Panchen Lama forderte eine relative Autonomie gegenüber Lhasa, die Befreiung von Steuern und das Recht, eigene bewaffnete Truppen zu unterhalten. Die Chinesische Nationalistische Regierung hatte ihn mit Soldaten versorgt, doch der Dalai Lama wollte ihn nicht nach Tibet zurückkehren lassen, da er den chinesischen Absichten gegenüber misstrauisch war. Die mongolischen Rebellen baten den Panchen Lama, mit seiner chinesischen Armee in die Mongolei einzufallen, ihr Volk vom Kommunismus zu befreien, die nördliche Grenze gegen die Sowjets zu sichern und unter chinesischer Oberherrschaft den Neunten Jebtsundamba einzusetzen. Sie verglichen den Panchen Lama und seine chinesischen Truppen mit dem König von Shambhala und seiner tapferen Armee, die die barbarischen Kräfte besiegen würden. Obwohl der Panchen Lama einen Brief schickte, der die Revolte befürwortete, kam er nie in die Mongolei und schickte auch keine militärische Unterstützung. Nichtsdestoweniger wurden die Rebellion und die darauffolgenden brutalen Schlachten „Der Shambhala-Krieg“ genannt.

Währendessen attackierte Japan im Jahr 1931 Nordchina und gründete 1932 Manchukuo auf den Gebieten, die es seit vielen Jahren in der Mandschurei und in der östlichen Inneren Mongolei kontrollierte. Stalin war voller paranoischer Angst, dass die Japaner den Buddhismus benutzen würden, um in Asien weiter vorzudringen, indem sie mit den Buddhisten in Buryatien und in der Äußeren Mongolei gemeinsame Sache machen würden. Daher schickte er 1932 die sowjetische Armee in die Mongolei, nicht nur, um die Rebellion niederzuwerfen und den Shambhala-Krieg zu beenden, sondern auch, um die „linke Abweichung“ der mongolischen kommunistischen Partei zu korrigieren. Unter sowjetischer Führung inszenierte die Partei von 1932 bis 1934 eine Politik der Neuen Wende, indem sie ihre Verfolgung des Buddhismus milderte. Sie erlaubten sogar die Wiedereröffnung einer Anzahl von Klöstern. Stalin war der Ansicht, dass sich die Buddhisten leichter Japan zuwenden würden, wenn er sie zu bekämpfte. Der Buddhismus erholte sich in der Mongolei allerdings nicht.

Japanische Annäherungsversuche an die Mongolei

1934 wurde Kirow, Stalins rechte Hand, ermordet. Dieser Mord führte zu den „Großen Säuberungen“ der Jahre 1934-1938, die darauf abzielten, alle anti-stalinistischen Elemente zu eliminieren. Die Säuberungen weiteten sich auf die Mongolei und die dortigen Buddhisten aus. Als 1935 zwischen den japanischen Kräften in Manchukuo und den sowjetischen Truppen in der Mongolei Grenzscharmützel ausbrachen, warf Stalin den hohen Lamas in Buryatien und der Mongolei vor, sie kollaborierten mit den Japanern.

Um die Unterstützung der Mongolen zu gewinnen, benutzten die Japaner die lang bewährte Methode, zu behaupten, Japan sei Shambhala. Sie schlugen vor, mit der Gutheißung aus Lhasa den Neunten Jebtsundamba in Urga wiedereinzusetzen, damit er als Integrationsfigur einer pan-mongolischen Bewegung fungieren könnte, die Buryatien miteinschließen würde. 1937 nahm Japan die restliche Innere Mongolei und Nordchina ein. Stalin warf den hohen buryatischen und mongolischen Lamas vor, sie würden japanische Propaganda über Shambhala verbreiten und führte noch weiterreichende Säuberungen und Zerstörungen von Klöstern durch.

1939 drangen die Japaner in die Äußere Mongolei ein, erlitten aber gegen die verbündeten sowjetischen und mongolischen Armeen Niederlagen. Ab diesem Zeitpunkt richteten die Japaner ihre Aufmerksamkeit nach Süden, auf Indochina und den Pazifik. Nun hinderte Stalin niemand mehr daran, die Repression des Buddhismus in der Sowjetunion und in der Äußeren Mongolei zu vollenden. Als sowjetische Truppen 1945 Manchukuo aus japanischer Hand „befreiten“, weitete Stalin seine Verfolgung des Buddhismus auch dorthin aus. So hatte Stalin bereits lange vor der Herrschaft der chinesischen Kommunisten die meisten buddhistischen Klöster in der Mandschurei und im östlichen Teil der Inneren Mongolei zerstört. In diesem Gebiet erholte sich der Buddhismus nie mehr.

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