Wissen voneinander in buddhistischer und muslimischer Welt

Die Präislamische Periode

Buddha Shakyamuni lebte von 566 bis 485 v.u.Z. im Norden Zentralindiens. Er lehrte einen spirituellen Pfad der Meditation und der Schulung, der in den Kontext des Denkens passte, welches zu jener Zeit in Indien verbreitet war. Buddha akzeptierte die grundlegenden Aussagen, die sich in den meisten indischen philosophischen Schulen fanden. Diese beinhalteten zum Beispiel wiederholte Wiedergeburten (Skt. samsara) in einer weiten Bandbreite von Lebensformen, nicht nur als Mensch. Diese Wiedergeburten sind durch Leiden charakterisiert, werden durch fehlendes Gewahrsein oder durch Verwirrung verursacht und stehen unter dem Einfluss verhaltensbedingter Ursachen und Wirkungen (Skt. karma). Das spirituelle Ziel besteht darin, durch korrektes, vollständiges Verstehen der Natur des Selbst oder der „Seeleʺ (Skt. atman) und aller anderen Phänomene Befreiung von diesen Wiedergeburten zu erlangen. Die Methoden, um dieses Ziel zu erreichen, sind vor allem ethische Selbstdisziplin, Reinigung, vollkommene Konzentration, Studium und Meditation.

Buddha kannte die anderen indischen philosophischen und religiösen Systeme seiner Zeit. Er stimmte allerdings weder mit den Methoden überein, die darin zur Reinigung gelehrt wurden, noch mit ihren Behauptungen über die Natur des Selbst und aller anderer Phänomene. Daher hatte seine Darstellung dieser Themen oft die Form einer Widerlegung der anderen Sichtweisen. Spätere indische buddhistische Meister blieben hinsichtlich der philosophischen Entwicklungen in diesen anderen indischen Schulen auf dem Laufenden und debattierten oft energisch mit deren Vertretern.

In den Jahrhunderten, die auf Buddhas Leben folgten, verbreiteten sich die buddhistischen Lehren vom indischen Subkontinent ins heutige Afghanistan, in den östlichen Iran, nach Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan. Buddhistische Laien- und Mönchsgemeinschaften florierten dort. In diesen Gebieten begegnete der Buddhismus den Glaubensinhalten und Sitten des Zoroastrismus, des Mithraismus, des Neo-Platonismus und schließlich des Manichäismus. Die buddhistischen Meister interessierten sich für diese einheimischen Religionen der Gebiete, in die sich der Buddhismus verbreitete, und lernten sie kennen. Verdeutlicht wird dies durch die Tatsache, dass der Buddhismus manchmal lokale Sitten übernahm, wie etwa den Vegetarismus in neo-platonischen Kulturgebieten. In anderen Fällen betonte der Buddhismus Aspekte des indischen Buddhismus, die mit bestimmten Aspekten des einheimischen Glaubens im Einklang standen. So haben beispielsweise das Bodhisattva-Ideal, die reinen Länder und Amitabha, der Buddha unendlichen Lichts, Parallelen im Zoroastrismus, den man in den iranischen Kulturgebieten vorfand.

Die buddhistischen Texte zögerten allerdings auch nicht, auf ethisch fragwürdige Sitten dieser Gebiete hinzuweisen. Der große Kommentar (Skt. Mahavibhasa) zum Beispiel, welcher im 2. Jahrhunderts u.Z. in Kaschmir zusammengestellt wurde, beschrieb, dass die Lehren der Yonaka Inzest und das Töten von Ameisen guthießen. Wörtlich bezieht sich „Yonakas“ auf die griechischen Siedler der baktrischen Region des Kushan-Imperiums, genauer genommen jedoch auf die dort lebenden Indo-Skythen, welche dem Zoroastrismus und Mithras-Kult folgten.

Das Kalifat der Umayyaden (661 – 750 u.Z.)

Mohammed lebte von 570 bis 632 u.Z. in Arabien, also fast tausend Jahre nach Buddha. Daher enthielt die buddhistische Literatur während des Großteils des Zeitraums, in dem sie sich in Indien herausbildete, keine Verweise auf den Islam oder seine Lehren. Doch selbst nach der Zeit des Propheten nahmen die buddhistischen Quellen nur selten Bezug auf die Inhalte des islamischen Glaubens, der sich in Gebiete ausbreitete, in denen der Buddhismus bereits gut etabliert war. Dies stand im klaren Gegensatz zu dem Wissensdrang, den buddhistische Meister an den Tag gelegt hatten, wenn der Buddhismus selbst in neuen Regionen eingeführt wurde. Muslimische Gelehrte zeigten hingegen größeres Interesse an den buddhistischen Sitten, auf die sie trafen, als sich der Islam von der arabischen Halbinsel aus verbreitete.

Ab der Mitte des 7. Jahrhunderts u.Z., drei Jahrzehnte nach der Zeit des Propheten, kamen die Gebiete des Irans, Afghanistans und Westturkestans, in die sich der Buddhismus verbreitet hatte, unter die Herrschaft des arabischen Kalifats der Umayyaden. Damit kam es zum ersten Kontakt zwischen der muslimischen und der buddhistischen Zivilisation.

Indische Gemeinschaften waren bereits seit Jahrhunderten in Arabien und in vielen der nahegelegenen Häfen ansässig, wie etwa in Basra im heutigen südlichen Irak, bevor der Islam diese Gebiete erreichte. Diese Gemeinschaften bestanden größtenteils aus Jats, die aus dem Sindh stammten. Laut der „Geschichte der Propheten und Könige“ (arab. Tarikh al-Rasul wa al-Muluk, auch bekannt unter seinem abgekürzten Namen Tarikh al-Tabari) von Muhammad Ibn Jarir Al-Tabari (830 – 923) befanden sich unter ihnen „Rotgekleidete“ (arab. ahmara), d.h. buddhistische Mönche. Der Gründer der Mu’tazilah-Schule, der umayyadische islamische Gelehrte Wasil Ibn ‘Ata’ (700 -748) war angeblich mit buddhistischen Vorstellungen wohlvertraut. Wie der Buddhismus betont die Mu’tazilah die Suche nach höherem Wissen mittels rationaler Disputation und Logik. Des Weiteren vertritt auch sie den Standpunkt, dass man seine Sünden durch wiederholte Wiedergeburt bereinigt. Wie viel Kenntnis des Buddhismus Wasil Ibn ‘Ata’ tatsächlich besaß und inwieweit er vom antiken griechischen rationalen Denken beeinflusst war, das zu jener Zeit auch in Basra zu finden war, ist schwer zu überprüfen.

Ein klareres Beispiel muslimischer Kenntnis des Buddhismus in der Periode der Umayyaden ist ‘ Umar Ibn Al-Azraq Al-Kermani. Dieser persische Autor interessierte sich dafür, seiner islamischen Leserschaft den Buddhismus zu erklären. So schrieb er zu Anfang des 8. Jahrhunderts u.Z. eine detaillierte Schilderung des Klosters Nava Vihara in Balkh, Afghanistan. Nava Vihara war das wichtigste Zentrum für höhere buddhistische Studien in ganz Zentralasien und das größte Kloster der gesamten Region. Al-Kermani erklärte die grundlegenden buddhistischen Sitten dort im Zusammenhang mit analogen Elementen im Islam. So beschrieb er einen Steinquader im Zentrum des Haupttempels; dieser war mit Stoff bedeckt und wurde von Gläubigen umschritten, die ihm auch mit Niederwerfungen huldigten, wie es mit der Kaaba (arab. Ka’bah) in Mekka der Fall ist. Er besprach allerdings keinen der buddhistischen Glaubensinhalte.

Al-Kermanis Schriften sind in einem Werk aus dem 10. Jahrhundert u.Z. erhalten, dem „Buch der Länder“ (arab. Kitab al-Buldan) von Ibn Al-Faqih Al-Hamadhani. Allerdings scheinen buddhistische Gelehrte kein entsprechendes Interesse daran gehabt zu haben, ihrem buddhistischen Publikum muslimische Bräuche und Glaubensinhalte zu erklären. Es gibt keine Hinweise auf irgendwelche derartigen Beschreibungen zu jener Zeit.

Das Kalifat der Abbasiden (750 – 1258 u.Z.)

Die frühesten tiefer gehenden Kontakte zwischen buddhistischen und muslimischen Gelehrten begannen in der Mitte des 8. Jahrhunderts u.Z. während der Frühzeit des Kalifats der Abbasiden. Ihr zweiter Kalif, Al-Mansur (herrschte 754 – 775 u.Z.), stellte indische Architekten ein, um eine neue Hauptstadt für sein Imperium zu bauen. Er nannte sie „Bagdad” – ein Sanskritname mit der Bedeutung „Geschenk Gottes”. Als Teil des Stadtplanes ließ der Kalif ein Haus des Wissens (arab. Bayt al-Hikmat) bauen. Es diente dem Studium und der Übersetzung von Literatur aus der griechischen und der indischen Kultursphäre, besonders zu naturwissenschaftlichen Themen. Der nächste abbasidische Herrscher, Kalif Al-Mahdi (Regierungszeit 775 – 785 u.Z.) lud zahlreiche gelehrte buddhistische Mönche aus den Klöstern des indischen Subkontinents und aus Afghanistan ein, in diesem Haus des Wissens zu arbeiten. Er beauftragte sie, bei der Übersetzung medizinischer und astronomischer Texte aus dem Sanskrit ins Arabische zu helfen.

Der wichtigste Minister des fünften abbasidischen Kalifen Harun Al-Rashid (Regierungszeit 786-809 u.Z.) war Yahya Ibn Barmak, ein muslimischer Enkel eines der buddhistischen Verwaltungsleiter des Klosters Nava Vihara in Balkh. Obwohl sich zu jener Zeit bereits zahlreiche buddhistische Gelehrte am Haus des Wissens in Bagdad befanden, lud Yahya noch weitere ein, besonders aus Kaschmir. Der Schwerpunkt lag auf der Übersetzung buddhistischer Texte zur Medizin, insbesondere Raviguptas „Ozean der Errungenschaften“ (Skt. Siddhasara), aus dem Sanskrit ins Arabische.

Es scheint allerdings, dass es zu jener Zeit auch zu Diskussionen über religiöse Glaubensinhalte zwischen buddhistischen und islamischen Gelehrten kam. Hinweise dafür finden sich im „Buch der Religionen und Glauben“ (arab. Kitab al-Milal wa al-Nihal), einem Werk über islamische Häresien, in dem Al-Shahrastani, der ismaelitische Theologe des 12. Jahrhunderts u.Z. eine kurze Darstellung des Buddhismus-Bildes gibt, das sich ein islamischer Gelehrte zu der Zeit von Kalif Harun Al-Rashid machte. Da das Interesse im Haus des Wissens allerdings hauptsächlich auf griechisches Denken gerichtet war, war das Studium des Buddhismus nicht tiefgehend. Nichtsdestotrotz listet Ibn Al-Nadims „Buch der Kataloge“ (arab. Kitab al-Fihrist) aus dem späten 10. Jahrhundert u.Z. mehrere buddhistische Werke auf, die zu dieser Zeit ins Arabische übertragen wurden. Dazu gehört beispielsweise eine Erzählung über Buddhas frühere Leben, das „Buch vom Buddha“ (arab. Kitab al-Budd). Der Text basierte auf zwei Sanskrit-Werken: „Ein Kranz von Erzählungen früherer Leben“ (Skt. Jatakama la) und Ashvaghoshas „Taten des Buddha“ (Skt. Buddhacarita).

Solche Übersetzungen führten nicht nur dazu, dass arabische Leser gewisse Besonderheiten des Buddhismus kannten, sondern auch dazu, dass Anleihen aus der buddhistischen Literatur in die muslimische Kultur aufgenommen wurden. Gelegentlich gelangten diese Anleihen über manichäische Quellen in die Kultur des Islam. Ein mögliches Beispiel dafür ist die Erzählung früherer Leben Buddhas als Bodhisattva, die in mittelalterlichen christlichen Quellen als „Barlaam und Josaphat“ bekannt ist. Es ist wohlbekannt, das manichäisch-sogdische Versionen dieser Erzählungen geschrieben wurden, bevor die erste Version in arabischer Sprache unter dem Titel „Das Buch von Bilawhar und Yudasaf“ (arab. Kitab Bilawhar wa-Yudasaf) erschien, die von Aban Al-Lahiki (750-815 u.Z.) in Bagdad zusammengestellt wurde. Die islamische Wiedergabe beinhaltet Teile aus dem „Buch vom Buddha“. Da uns Al-Lahikis Text nicht überliefert ist, ist unklar, wie viel Material er auch aus manichäischen Quellen aufgenommen hat. Falls solche darin Eingang gefunden haben, so geschah dies höchstwahrscheinlich unter dem Einfluss von Dialogen zwischen buddhistischen und manichäisch-muslimischen Gelehrten, die sich zu jener Zeit am Hofe der Abbasiden aufhielten.

Einige Gelehrte haben über einen möglichen Einfluss des Buddhismus auf den frühen Sufismus spekuliert. Das ist umstritten. Beispielsweise führte Abu Yazid Bistami (804-874 u.Z.) die Konzeptefana' (Beendigung der Existenz – vollkommene Vernichtung des individuellen Egos im Einswerden mit Allah) und khud’a (Täuschung oder Trick – als Beschreibung der materiellen Welt) in den Sufismus ein. Hierbei war er beeinflusst von seinem Lehrer Abu ‘Ali Al-Sindi. Zaehner hat allerdings überzeugend argumentiert, dass Al-Sindi, der bekannterweise ein Konvertit aus einer anderen Religion war, das erstere Konzept höchst wahrscheinlich aus dem Chandogya Upanishad herleitete und das zweite aus dem Svetashvetara Upanishad, wie sie vom Gründer des Advaitya Vedantas, Shankara (788-820 u.Z.), interpretiert wurden. Zwar ist es zutreffend, dass sich alle Formen des Buddhismus mit einem ähnlichen Thema befassen, nämlich Nirvana (Befreiung von fortgesetzten Wiedergeburten im Kreislauf der Existenz), und dass viele Mahayana-Schulen behaupten, die Welt der Erscheinungen sei ähnlich wie – allerdings nicht gleichbedeutend mit – Maya, Illusion, aber dennoch ist es kaum wahrscheinlich, dass eine dieser buddhistischen Formulierungen eine Rolle bei der Entwicklung der Gedanken des Sufismus gespielt hat.

Die Kalachakra-Literatur

Obwohl sich die muslimischen Gelehrten in Bagdad für buddhistische Gedanken und Literatur interessierten, scheinen die dortigen buddhistischen Gelehrten kaum Interesse für die Lehren oder die Kultur des Islams aufgebracht zu haben. Es gibt keinerlei Berichte über irgendwelche arabischen Werke, die zu jener Zeit ins Sanskrit übersetzt worden wären. Obwohl die Mönche an den buddhistischen Klosteruniversitäten in Afghanistan und auf dem indischen Subkontinent zu jener Zeit lebhaft über die Behauptungen der verschiedenen nicht-buddhistischen Lehrsysteme debattierten, gibt es keine Hinweise darauf, dass eine solche Debatte mit muslimischen Gelehrten erfolgte. Weder damals noch später wurden in irgendeiner der auf Sanskrit verfassten buddhistischen philosophischen Abhandlungen islamische Glaubensinhalte erwähnt.

Die einzige buddhistische Texttradition, die überhaupt islamische Sitten oder Glaubensinhalte erwähnt, ist die auf Sanskrit verfasste Literatur des Kalachakra Tantra, die im späten 10. und frühen 11. Jahrhundert u.Z. entstand.

Vor dieser Zeit scheint der Buddhismus den Islam nicht als eine rivalisierende Religion angesehen zu haben. Es war auch nicht so, dass der Buddhismus sich in traditionell islamische Regionen verbreitete und man das Bedürfnis verspürte, die einheimischen Glaubensinhalte zu erklären, die dort vorgefunden wurden. Doch nun trat einer neuartigen Situation auf: Buddhistische Meister sahen in einer bestimmten muslimischen politischen Gruppierung eine Bedrohung für ihre Gesellschaft. Folglich scheinen sie es als notwendig empfunden zu haben, ihre Anhänger über die Glaubensinhalte der möglichen „Invasoren” zu informieren.

Kalachakra bedeutet „Zeitzyklen“. Es handelt sich um ein System tantrischer Praktiken des Mahayana-Buddhismus. Sein Ziel ist, Erleuchtung zu erlangen, um so vielen Wesen wie möglich helfen zu können. Das Kalachakra-System beschreibt drei parallele Zeitzyklen: die äußeren, inneren und alternativen Zyklen. In den äußeren Zyklen geht es um Planetenbewegungen, astrologische Muster und historische Zyklen, einschließlich periodisch auftretender Invasionen durch ausländische Armeen. Die inneren Zyklen beziehen sich auf biologische und psychologische Rhythmen. Die alternativen Zyklen sind wiederholte Meditationsübungen mit dem Ziel, sich von der Macht der äußeren und inneren Zyklen zu befreien.

Der Teil der Literatur, der sich mit den äußeren Zyklen befasst, bezeichnet die Invasoren als Mleccha. Dies ist der traditionelle Sanskritname für ausländische Invasoren auf dem indischen Subkontinent, beginnend mit Alexander dem Großen und einschließlich der Kushan und der hepthalitischen Hunnen. Der Begriff bezeichnet Menschen, die unverständliche, nicht-indische Sprachen sprechen. Charakteristisch für die Mleccha sind ihre gnadenlos einfallenden Armeen. Der andere Hauptbegriff, der für die Invasoren benutzt wird, lautet „Tayi.“ Tayi ist im Sanskrit die phonetische Transkription für das arabische Wort tayy (plural: tayayah, tayyaye) bzw. für dessen persische Form tazi. Die Tayyayah waren der stärkste der vormuslimischen arabischen Stämme, der Tayy’id, und „Tazi“ wurde das persische Wort für Araber. Dies war der Begriff, mit dem beispielsweise der letzte Sassaniden-Herrscher Yazdgird III die arabischen Invasoren im Iran bezeichnete.

Identifizierung der in der Kalachakra-Literatur erwähnten islamischen Schule

Historischer Bezugspunkt für die in der Kalachakra-Literatur erwähnten Mleccha sind nicht alle Araber oder Muslime im allgemeinen, sondern höchstwahrscheinlich speziell die Anhänger der östlichen ismaelitischen Schia des späten 10. Jahrhunderts u.Z., die im Königreich von Multan (968 – 1010 u.Z.) im Norden des heutigen Zentralpakistans befolgt wurde. Das Königreich von Multan war ein Vasallenstaat des arabischen ismaelitischen Fatimidenreichs (910 – 1171 u.Z.), dessen Zentrum in Ägypten lag. Die Fatimiden und ihre multanesischen Vassalen umringten das zerbröckelnde Abbasidenreich von beiden Seiten und stellten in ihrem Streben nach der Oberhoheit über die islamische Welt eine ernsthafte Bedrohung dar; eine Invasion war zu befürchten.

In der Bevölkerung der abbasidischen Gebiete unmittelbar nördlich und westlich von Multan – des östlichen heutigen Afghanistans und Nordwest-Pakistans – gab es damals eine große Anzahl von Buddhisten und Hinduisten. Von 876 bis 976 u.Z. stand die gesamte Region unter der Herrschaft der hinduistischen Shahis. Die sunnitisch-muslimischen Ghaznaviden, die Vasallen der Abbasiden waren, eroberten 976 u.Z. die afghanische Seite und stürzten schließlich 1010 u.Z. die hinduistischen Shahi-Herrscher der verbleibenden pakistanischen Seite. Die Ghaznaviden ließen gegenüber dem Buddhismus und Hinduismus im vormaligen Reich der hinduistischen Shahis Toleranz walten. Al-Biruni (976 – 1048 u.Z.), ein persischer Gelehrter und Autor im Dienste des ghaznavidischen Hofes, berichtet, dass um die Jahrtausendwende die buddhistischen Klöster im heutigen östlichen Afghanistan, einschließlich des Nava Viharas, weiterhin in Betrieb waren. Die ghaznavidischen Herrscher waren allerdings intolerant gegenüber allen islamischen Schulen außer ihrer eigenen orthodoxen sunnitischen Art des Islams, der sie angehörten. Insbesondere das ismaelitische Königreich von Multan betrachteten sie als Bedrohung ihrer Herrschaft und ihres Glaubens.

Die Prophetenliste der zukünftigen Invasoren

Der wichtigste Beleg für die Hypothese, dass die in der Kalachakra-Literatur erwähnten Tayi- Mleccha-Invasoren die Ismaeliten von Multan seien, findet sich in dem Text „Das königliche zusammengefasste Kalachakra-Tantra“ (bsDus-pa’i rgyud-kyi rgyal-po dus-kyi ‘khor-lo, Skt. Laghu-kalachakra-tantra-raja), Vers I.153. Dieser Vers präsentiert eine Liste von acht Propheten der zukünftigen Invasoren:

Adam, Noah, Abraham und fünf weitere – Moses, Jesus, der Weißgekleidete, Mohammed und Mahdi … Der achte wird der Geblendete sein. Der siebte wird sich offenkundig zur Stadt Bagdad im Lande von Mekka begeben, (dem Ort) auf dieser Welt, an dem ein Teil der Asura(-Kaste) die Form der mächtigen, gnadenlosen Mlecchas haben wird.

Diese Aufzählung ist die standardmäßige ismaelitische Liste von sieben Propheten und führt zusätzlich den Weißgekleideten auf. Man könnte argumentieren, dass es sich bei diesem um Mani handelt, dem Begründer des Manichäismus, der im 3. Jahrhundert lebte. Denn die frühen ismaelitischen Denker hatten über den „manichäischen Islam” gewisse Einflüsse aus dem Manichäsimus übernommen. Über ‘Abd Allah Ibn Maymum Al-Qaddah (gestorben 825 u.Z.) zum Beispiel, den mutmaßliche Begründer des ismaelitischen Glaubens und Vorvater der fatimidischen Imame, wird berichtet, dass er stark von Mani beeinflusst war.

Ein möglicher Grund dafür, dass die Prophetenliste im Kalachakra acht Propheten statt den standardmäßigen sieben der Ismaeliten aufzählt, könnte darin bestehen, dass damit eine Parallele zu den acht Inkarnationen Vishnus geschaffen werden sollte, die im unmittelbar vorangehenden Verse I.152 genannt werden. Dies wird dadurch nahegelegt, dass die Anhänger der Propheten als Mitglieder der Asura-Kaste bezeichnet werden. In der buddhistischen Kosmologie sind die Asuras, eine Art eifersüchtiger Halbgötter, Rivalen der hinduistischen Götter, mit denen sie ständig Krieg führen. Wenn es acht Inkarnationen des hinduistischen Gottes Vishnu gibt, dann braucht man auch acht Asura-Propheten, um es mit ihnen aufzunehmen.

Die Darstellung der Glaubensinhalte und Sitten der Mleccha

Die Kalachakra-Texte erwähnen einige der Bräuche und Glaubensinhalte der Tayi- Mleccha. Die meisten dieser Glaubensinhalte sind im gesamten Islam von grundlegender Bedeutung. Einige scheinen speziell zum damaligen ismaelitischen Denken zu gehören, während andere im Widerspruch zu diesem Denken stehen. Diese Diskrepanz weist möglicherweise darauf hin, dass die Herausgeber der Kalachakra-Literatur unvollständige Information über die in Multan gepflegten ismaelitische Glaubensinhalte hatten, und dass sie daher ihre Darstellung mit Informationen aus anderen, ihnen bekannten Islam-Formen vervollständigten. Andererseits könnte es auch ein Hinweis darauf sein, dass die theologischen Ansichten des wichtigsten damaligen ismaelitische Denkers – Abu Ya’kub Al-Sijistani, ein ausgesprochener Befürworter des fatimidischen Staates – sich in Multan noch nicht weit verbreitet hatten. Dies wäre möglich, obwohl Al-Sijistanis Werke die offizielle fatimidische Lehre darstellen, wie sie in den östlichen ismaelitische Gebieten dieser Zeit vorherrschend waren.

Gelegentlich erklärt die Kalachakra-Literatur bestimmte Merkmale des Islams in Begriffen, die einem gemischten Publikum von Buddhisten und Hindus verständlich sind. So schreibt zum Beispiel Pundarika in seinem Text „Makelloses Licht: Ein Kommentar zur Erklärung des ‚königlichen zusammengefassten Kalachakra-Tantras’“ (tib. bsDus-pa’i rgyud-kyi rgyal-po dus-kyi ‘khor-lo’i ‘grel-bshad dri-ma med-pa’i ‘od, Skt. Vimalaprabha-nama-laghu-Kalachakra-tantra-raja-tika):

Was die Mlecchas betrifft. so war Mohammed ein Avatar von Rahman. Als Verkündiger der Mleccha-Lehren war er der Guru und Meister der Mleccha-Tayis.

Im Hinduismus ist ein Avatar eine Inkarnation der Seele eines Gottes in einer anderen Form. Wenn Mohammed also als Avatar von Rahman beschrieben wird, entspricht dies der hinduistischen Darstellung von Krishna als Avatar des Gottes Vishnu. In den meisten Fällen jedoch präsentiert die Kalachakra-Literatur den muslimischen Glauben nicht in Begriffen, die aus der indischen Kultur abgeleitet sind.

Die Schöpfung und der Gehorsam gegenüber Allah

In dem Text „Das königliche abgekürzte Kalachakra-Tantra“, Vers II.164cd, heißt es:

Geschaffen vom Schöpfer ist alles, was entsteht, was sich bewegt und unbewegt ist. Wenn man ihm wohlgefällig ist, und das ist für die Tayi die Ursache für die Befreiung, gewinnt man den Himmel. Dies ist tatsächlich die Lehre Rahmans für die Menschen.„Rahman“, einer der Namen Allahs, bedeutet auf Arabisch „Mitfühlender“.

Pundarika erläutert in der Schrift „Makelloses Licht: Ein Kommentar zur Erklärung des ‚ königlichen zusammengefassten Kalachakra-Tantras’“ (tib. bsDus-pa’i rgyud-kyi rgyal-po dus-kyi ‘khor-lo’i ‘grel-bshad dri-ma med-pa’i ‘od, Skt. Vimalaprabha-nama-laghu-Kalachakra-tantra-raja-tika):

Nun zu den Aussagen der Tayi- Mlecchas, wonach der Schöpfer Rahman alle wirksamen Phänomene, sowohl die sich bewegenden als die unbewegten, entstehen lässt. Für die Tayis, die weißgekleideten Mlecchas, besteht die Ursache für die Befreiung darin, Rahman zu erfreuen, und dies bringt den Menschen mit Sicherheit eine höhere Wiedergeburt (im Paradies). Daraus, dass man ihm nicht gefällig ist, folgt (eine Wiedergeburt in der) Hölle. Dies sind die Lehren von Rahman, die Ansichten der Tayis.

Der Islam vertritt allgemein den Standpunkt, dass Allah Himmel und Erde schuf. Al-Sijistani jedoch erläutert diesen Prozess auf ganz spezielle Weise. Seiner Erklärung nach schuf Allah durch Seinen Befehl oder Sein Wort den universellen „Intellekt“. Der universelle „Intellekt“ ist ein ewiges, bewegungsloses, unveränderliches und vollkommenes ursprüngliches Wesen. Es ist ein undifferenziertes Allumfassendes, etwa in der Art eines universalen „Geistes“, aber in Form eines Wesens. Aus dem universalen „Intellekt“ ging als Emanation eine universelle „Seele“ hervor, die ebenfalls ewig ist, sich aber in ständiger Bewegung befindet und unvollkommen ist. Aus der universellen „Seele“ geht die physikalische Welt der Natur hervor. Die universelle „Seele“ hat zwei entgegengesetzte Veranlagungen: Bewegung und Stillstand. In der physikalischen Realität schafft Bewegung die Form, Stillstand schafft die Materie. Die Materie bleibt unbewegt und statisch, während sich ihre Formen ständig bewegen und wandeln.

Daher liegt möglicherweise ein Bezug auf Al-Sijistanis Erklärung der Schöpfung vor, wenn „Das königliche abgekürztee Kalachakra-Tantra“ bemerkt: „Geschaffen vom Schöpfer ist alles, was entsteht, sei es bewegt oder unbewegt.“ Die Vorstellungen eines universellen „Intellekts“ und einer universellen „Seele“ blieben im ismaelitischen Denken weiterhin vorherrschend, kommen aber in anderen Formen des Islams nicht vor.

Al-Sijistani behauptet allerdings nicht, dass Allah zu erfreuen – im allgemeinen islamischen Sinne, den Gesetzen der Scharia zu folgen, bzw. im allgemeinen schiitischen und später ismaelitischen Sinne, die Unfehlbarkeit der Linie der Imame anzuerkennen – die Ursache für „eine höhere Wiedergeburt im Paradies“ ist. Seine Darstellung der Ursache dafür, dass man ins Paradies kommt, unterscheidet sich beträchtlich davon.

Gemäß Al-Sijistani lässt die universale „Seele“ individuelle, einzelne Seelen entstehen, die in die physische Welt der Materie und Form herabsteigen. In jedem einzelnen, individuellen menschlichen Wesen macht sich die individuelle Seele einen individuellen Anteil des universellen „Intellekts“ zu eigen, der somit partiell und limitiert ist. Die Ursache dafür, ins Paradies einzugehen, ist eine von der individuellen Seele getroffene Unterscheidung, durch die sie sich von den Freuden der körperlichen Welt abwendet und stattdessen dem reinen Reich des universellen „Intellekts“ zuwendet. Indem sie dies tut, lernt eine individuelle Seele die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Falschheit sowie zwischen Gut und Böse.

Beschneidung, der Fastenmonat Ramadan und Halal

Pundarika erklärt in seiner Schrift „Der glorreiche tiefste Dienst“ (tib. dPal don-dam-pa’i bsnyen-pa, Skt. Shriparamartha-seva):

Nach Auffassung anderer führt es zu einer höheren Wiedergeburt (im Paradies), wenn man sich die Haut an der Spitze des Penis abschneiden lässt und sein Essen am Ende des Tages und zu Anfang der Nacht zu sich nimmt. Dies ist mit Sicherheit das, was die Tayis tun. Sie essen nicht das Fleisch von Tieren, die durch ihr eigenes Karma (eines natürlichen Todes) gestorben sind. Vielmehr essen sie solche, die geschlachtet wurden. Ansonsten gibt es kein Erreichen einer höheren Wiedergeburt (im Paradies) für die Menschen.

In der Schrift „Makelloses Licht“ verstärkt Pundarika den zweiten Teil dieser Zeilen:

Mit einem Hackmesser schneiden sie dem Vieh mit dem Mantra des Mleccha-Gottes, den Worten ‚Bishimilla‘ (arab. Bismillah - „im Namen Allahs“) , die Gurgel durch, und dann essen sie das Fleisch dieser Tiere, die mit dem Mantra ihres Gottes geschlachtet wurden. Das Fleisch derjenigen, die (eines natürlichen Todes) gestorben sind, essen sie nicht.

Diese Textstellen verweisen auf die allgemeinen islamischen Bräuche der Beschneidung, des Essens nach Sonnenuntergang während des Fastenmonats Ramadan und das Befolgen der Essensvorschriften des Halals. Allerdings hält Pundarika in seiner Schrift „Makelloses Licht“ die Halal-Methode des Schlachtens fälschlicherweise für ein Opfer an Gott, das dem vedischen Ritual ähnelt. Indem er sich an eine hinduistische Leserschaft wendet, schreibt Pundarika:

Aufgrund der Worte in euren (vedischen) Schriften: ‚Benutzt Vieh für die Opfer’ werdet ihr diese Lehre der (Tayi) für gültig halten.

Ethik, Gebet und Verbot von Statuen, die Gott darstellen

In der Schrift „Die Essenz des weiteren Tantras des glorreichen Kalachakra-Tantra“ (tib. dPal dus-kyi ‘khor-lo’i rgyud phyi-ma rgyud-kyi snying-po, Skt. Shri-Kalachakra-tantrottaratantra-hrdaya) steht:

Indem sie den Lehren derer folgen, deren Frauen Schleier tragen … zerstören die Pferdereiter-Horden der Tayi in der Schlacht jegliche Statuen von Göttern, die da sein mögen, ausnahmslos. Sie haben eine einzige Kaste, stehlen nicht und sprechen die Wahrheit. Sie halten sich sauber, meiden die Gattinnen anderer, folgen speziellen asketischen Übungen und bleiben ihren eignen Frauen treu. Nachdem sie sich zuvor gewaschen haben, bringen die Tayi, die Nicht-Buddhisten (tib. mu-stegs-pa, Skt. tirthika), zu einer speziell gewählten Zeit während der pechschwarzen Nacht und zu Mittag, in der Dämmerung, zur Mitte des Nachmittags und wenn die Sonne über die Berge steigt, fünf Mal (täglich) ihre Verehrung dar, indem sie sich in Richtung ihres Heiligen Landes zu Boden werfen und einzig Zuflucht nehmen zum ‚Herren derjenigen mit Tamas’ im himmlischen Reich über der Erde.

Hier erklärt der Kalachakra-Text auch Glaubensinhalte, die allen Muslimen gemeinsam sind: keine „götzenbildnerischen“ Statuen anzufertigen, die Gleichheit aller Gläubigen im Islam zu respektieren, sich an strenge ethische Regeln zu halten und fünf Mal täglich zu beten.

Die oben zitierten Beispiele geben die allgemeine muslimische Einstellung zu Statuen wieder, von denen angenommen wird, dass sie einen Gott darstellen und als Götze angebetet werden. Trotzdem war die islamische Welt auch beeindruckt von der Schönheit vieler dieser

Statuen und der Klöster und Tempel, in denen sie standen. Die damalige persische Poesie zum Beispiel verwendete im Hinblick auf Paläste oft den Vergleich, dass sie „so schön wie Nowbahar (Nava Vihara)” seien. Die Tatsache, dass die Darstellungen der Buddhas, insbesondere des zukünftigen Buddha Maitreya, im Nava Vihara und in Bamiyan Mondscheiben hinter deren Köpfen aufwiesen, führte überdies zu dem poetischen Ausdruck für reine Schönheit, jemand habe „das mondförmige Antlitz eines Buddhas” (persisch: bot-e mahruy). Der persische Begriff but oder bot, der sich vom sogdischen purt ableitete, wurde sowohl für Buddha als auch für götzenbildnerische Statuen verwendet. Der arabische Begriff für Buddha, Al-Budd, wurde auch für alle Götterbilder aus Indien benutzt. Nichtsdestotrotz wurde in persischen Gedichte aus dem 11. Jahrhundert, z.B. Varqa va Golshah von ‘Ayyuqi, das Wort bot im positiven Sinne für „Buddha” verwendet und nicht in seiner zweiten, abschätzigen Bedeutung „Götze.” Das Wort bot impliziert das Ideal asexualer Schönheit bei Männern wie bei Frauen.

Das Leben nach dem Tod

Das königliche abgekürztee Kalachakra-Tantra“, II.174, besagt:

Die Tayis glauben: Durch das (ewige) Leben nach dem Tod erfährt eine Person (die Wirkung ihrer) früher begangenen karmischen Handlungen dieser Welt. Wenn das tatsächlich so wäre, dann würde nicht von einer Wiedergeburt zur nächsten der Abbau des Karmas von Menschen erfolgen. Es gäbe kein Verlassen von Samsara und keinen Eintritt in die Befreiung, noch nicht einmal im Sinne unermesslicher Existenz. Die obige Denkweise findet sich unter den Tayis, obwohl sie von anderen Gruppen verworfen wird.

Pundarika erläutert diese Stelle in der Schrift „Makelloses Licht“:

Die Behauptung der Mleccha Tayis ist, dass Menschen, die sterben, Glück oder Leid in einer höheren Wiedergeburt (im Paradies) oder in der Hölle mit ihrem menschlichen Körper erfahren, aufgrund von Rahmans Entscheidung.

Dieser Abschnitt bezieht sich auf den allgemeinen islamischen Glauben an den Tag des Jüngsten Gerichts, an dem alle Menschen in ihrem menschlichen Körper von den Toten auferstehen und von Allah beurteilt werden. Aufgrund ihrer vergangenen Taten werden sie entweder ins ewige Glück im Paradies oder zu ewigem Leiden in der Hölle fortschreiten, wobei sie weiterhin ihren menschlichen Körper behalten. Die ismailitischen Lehren dagegen, wie sie Al-Sijistani formuliert, verneinen die Wiederauferstehung des menschlichen Körpers. Nach Al-Sijistani werden das Glück des Paradieses und das Leiden der Hölle von der individuellen Seele rein geistig erlebt, ohne irgendeinen physischen Aspekt.

Der Buddhismus hingegen vertritt mit seiner Lehre vom Karma, dass durch die Kraft der eigenen karmischen Handlungen, die durch störende Emotionen und Geisteshaltungen motiviert sind, immer weitere Wiedergeburten stattfinden (Skt. samsara). Destruktive Handlungen, die von Wut, Gier, Anhaftung oder Naivität in Bezug auf verhaltensbedingte Ursachen und Wirkungen motiviert sind, führen zu einer Wiedergeburt in einer Hölle oder als Geist oder als Tier. Konstruktive Handlungen, die aber weiterhin mit Naivität bezüglich der Realität verbunden sind, führen zu Wiedergeburten Existenzen als Mensch, als Asura („Gegen-Gott“) oder in einem Himmel. Jede dieser Arten von Wiedergeburt, die jeder erfahren kann – einschließlich der Wiedergeburt in einem Himmel oder einer Hölle – , geht mit ihrer eigenen Art von Körper einher, der für diesen Daseinsbereich typisch ist. Man kann nicht mit einem menschlichen Körper in einen Himmel oder in einer Hölle wiedergeboren werden.

Des weiteren lehrt der Buddhismus, dass die karmische Hinterlassenschaft jeder karmischen Handlung nur für eine begrenzte Zeit als Glück oder Leiden reift. Wenn die Reifung dieser karmischen Hinterlassenschaft stattgefunden hat, ist sie verbraucht. Man stirbt dann in jener himmlischen oder höllischen Existenz und wird wieder in einem anderen samsarischen Daseinsbereich erneut geboren. Vom buddhistischen Gesichtspunkt kann die Existenz in einem Himmel oder in einer Hölle nicht ewig währen. Die eigenen immer wieder stattfindenden samsarischen Wiedergeburten werden sich hingegen, eine nach der anderen, ewig fortsetzen, außer wenn man sich vollkommen von ihren wahren Ursachen befreit. Außerdem gilt: Sogar das Glück einer himmlischen Wiedergeburt ist eine Form von Leiden, da es nie zufriedenstellt und irgendwann zu einem Ende kommt.

Somit lehrt der Buddhismus Folgendes: Wenn man sich von allen störenden Emotionen und Geisteshaltungen befreit, hört man auf, karmische Handlungen zu begehen, die zu immer weiteren samsarischen Wiedergeburten führen würden, ob in einem Himmel, einer Hölle, auf diesem Planeten oder anderswo. Auf ähnliche Weise befreit man sich von der bereits angesammelten karmischen Hinterlassenschaft. Dann erreicht man auf der Grundlage konstruktiver Handlungen, welche ohne Naivität in Bezug auf die Realität ausgeführt werden, einen dauerhaften, friedlichen, freudigen Zustand des Nirvana, d.h. Befreiung von den fortgesetzten samsarischen Wiedergeburten. Es gibt keinen Tag des Gerichts und keinen Richter. Immer wieder stattfindende samsarische Wiedergeburt ist keine Strafe und das Erreichen des Nirvanas keine Belohnung. Die Verbindung zwischen verhaltensbedingten Ursachen und Wirkungen geschieht rein mechanisch, ohne göttliches Eingreifen.

Der wesentliche Punkt, den die buddhistischen Texte in Frage stellen, ist also, dass die Widergeburt im Himmel das letztendliche spirituelle Ziel und die höchste Errungenschaft ist, die jemand erreichen kann – denn dies widerspricht der zentralen buddhistischen Annahme letztendlicher Befreiung von Karma und Wiedergeburt.

Die atomare Natur der Materie und die Natur der Seele

Im Falle einiger anderer Punkte versucht die Kalachakra-Literatur die Ansichten der Mleccha in einen buddhistischen Kontext zu stellen, um sie ihrer Leserschaft verständlicher zu machen. Der tibetische Kommentator Mipam (Mi-pham ‘Jam-dbyangs rnam-rgyal rgya-mtsho) zum Beispiel, der im 19. Jahrhundert u.Z. lebte, erklärt in seiner Schrift „Das Leuchten der Vajra-Sonne, das die Bedeutung der Worte des ‚ Glorreichen Kalachakra-Tantra’ klärt – ein Kommentar zum Kapitel (Fünf). ‚Tiefes Gewahrsein’“ (dPal dus-kyi ‘khor-lo’i rgyud-kyi tshig don rab-tu gsal-byed rdo-rje nyi-ma’i snang-ba Ye-shes le’u’i ‘grel-chen):

Die Mleccha vertreten zwei (philosophische Inhalte): Sie vertreten die Ansicht, dass äußere Phänomene die Natur einer Ansammlung von Atomen haben, und sie vertreten die Ansicht, dass ein Selbst einer Person existiert, welches vorübergehend Geburt annimmt bzw. einen Aspekt hat, der in Samsara Geburt annimmt. Das Ziel ist, die Frucht des Glücks der Götter im Paradies zu gewinnen. Eine Art von Nirvana, die anders wäre als das, vertreten sie nicht.

Mipam fährt fort mit dem Hinweis, dass die Ansicht der Mleccha, die Natur von Materie sei atomar, mit den buddhistischen Anschauungen übereinstimmt. Er erklärt, dass die Vaibhashika- und Sautrantika-Schulen des Hinayana-Buddhismus teilelose, nicht weiter aufzuspaltende Atome annehmen, während die Chittamatra- und Madhyamaka-Schulen des Mahayana-Buddhismus den Standpunkt vertreten, dass Atome endlos weiter teilbar sind.

Mipam führt die muslimische Position in Bezug auf die Atome nicht weiter aus. Innerhalb der philosophischen Sichtweisen, die sich im Islam vor der Mitte des 10. Jahrhunderts entwickelt hatten, vertraten einigen Autoren ebenfalls die Unteilbarkeit von Atomen. Dazu gehörten Al-Hakam und Al-Nazzam in der schiitischen Mu’tazili-Schule der Disputation und der sunnitische Theologe Al-Ash’ari. Die meisten damaligen und auch späteren islamischen Theologen vertreten den Standpunkt, Atome seien unendlich teilbar. Al-Sijistanis Standpunkt in Bezug auf die Teilbarkeit von Atomen erscheint allerdings unklar.

Mipam fährt fort:

Da er ihre Neigungen und Gedanken kannte, lehrte Buddha Sutras mit Inhalten, die sie (die Tayis) akzeptieren konnten. Im „Sutra vom Tragen der Verantwortung (Khur ‘khu-ba’i mdo) zum Beispiel sagte Buddha, dass die Personen, die Verantwortung (für ihre Handlungen) tragen, existieren, ohne jedoch davon zu sprechen, dass die Seele einer Person beständig oder unbeständig sei. Diese Punkte sind oberflächlich betrachtet wahr und entsprechen den Aussagen (der Tayi). Die Bedeutung, die der Buddha im Sinn hatte, ist, dass Personen als Kontinuität eines Selbst existieren, welches die Verantwortung für sein Karma trägt, aber lediglich einem Kontinuum zugeschrieben wird und von seiner Natur her weder beständig noch unbeständig ist.

Der Buddhismus lehrt, dass es eine endliche, aber unzählbare Anzahl individueller Personen und geistiger Kontinua gibt. Eine individuelle Person ist ein Phänomen, das einem individuellen geistigen Kontinuum zugeschrieben wird, ähnlich wie eine Gewohnheit einem Kontinuum von wiederholten Formen ähnlichen Verhaltens zugeschrieben werden kann.

Die Kontinuität jeder individuellen Person, ebenso wie die Kontinuität eines jeden individuellen geistigen Kontinuums, ist ewig, aber nicht statisch. Diese Kontinuitäten sind ewig in dem Sinne, dass sie keinen Anfang und kein Ende haben. In dem Sinne, dass sie sich von Augenblick zu Augenblick verändern, sind sie jedoch nicht-statisch. Jede Person tut jeden Moment etwas anderes, zum Beispiel nimmt sie dauernd andere Objekte wahr.

Während sie unter dem Einfluss von Naivität steht, begeht jede Person karmische Handlungen und trägt Verantwortung für diese Handlungen. Die karmischen Vermächtnisse dieser Handlungen reifen durch eine Kontinuität von Wiedergeburten als Erfahrung dieser Person von samsarischem Glück oder Leiden. Wenn eine Person imstande ist, kontinuierlich ein korrektes Gewahrsein der Realität aufrechtzuerhalten, wird sie frei davon, das Reifen dieser Vermächtnisse je erleben zu müssen. So endet die Kontinuität samsarischer Existenz dieser Person für immer und die Person erlangt die Befreiung, das Nirvana. Dennoch setzt sich die ständig wandelnde Kontinuität dieser individuellen Person und des geistigen Kontinuums, dem diese individuelle Person zugeschrieben wird, ewig fort, selbst nach dem Erreichen des Nirvana.

Kurz, nach Ansicht des Mahayana-Buddhismus, dem buddhistischen Zweig, zu dem das Kalachakra gehört, ist eine individuelle Person nicht beständig im Sinne von statisch, und ebenso wenig ist eine individuelle Person unbeständig im Sinne von temporär. Zudem ist die samsarische Existenz einer individuellen Person nicht beständig im Sinne von ewig; und ebenso wenig ist die nirvanische Existenz einer individuellen Person unbeständig im Sinne von temporär.

Mipams Beschreibung des Standpunktes der Mleccha in Bezug auf die Seele entspricht in etwa Al-Sijistanis Erklärung. Al-Sijistani vertritt auch, dass Personen – in diesem Fall: Seelen – Verantwortung für ihre Handlungen tragen und dass sie weder beständig noch unbeständig sind. Allerdings ist die metaphysische Grundlage für seine Aussagen recht verschieden von der buddhistischen. Die universale „Seele“ ist nicht beständig im Sinne von statisch, sondern vielmehr in fortwährender Bewegung, in einem ständigen Fluss. Sie ist jedoch auch nicht unbeständig im Sinne von temporär, sie ist vielmehr ewig.

Gemäß Al-Sijistani sind alle individuellen Seelen von Menschen Teile oder Segmente derselben universalen „Seele“. Wenn eine individuelle Seele einen menschlichen Körper verlässt, kommt ihre zeitweilige körperliche Existenz zu einem Ende. Sie kehrt zurück zur undifferenzierten universellen „Seele“ und wird bis zum Tag des Jüngsten Gerichts keine weitere körperliche Existenz mehr annehmen. Trotzdem behält eine unverkörperte Seele irgendwie ihre Individualität. Zur Zeit der Wiederauferstehung und des Gerichts erlangt die individuelle Seele die geistigen Freuden des ewigen Paradieses, wenn sie durch ihre Verbindung mit einem individuellen Intellekt, während sie verkörpert war, ausreichend sinnvolle Kenntnis der Wahrheit erlangt hat. Wenn die individuelle Seele während der Zeit ihrer Verkörperung in physische Sinnlichkeit verstrickt geblieben ist und keine vernünftige Kenntnis der Wahrheit gewonnen hat, erlangt sie ewige geistige Qualen in der Hölle.

Die individuelle Seele ist also nicht beständig – in dem Sinne, dass sie nicht ewig in ihrem verkörperten Zustand verbleibt. Allerdings ist sie auch nicht unbeständig – in dem Sinne, dass sie nach der Wiederauferstehung und dem Letzten Gericht für immer fortbesteht, verantwortlich für ihre Handlungen während der Zeit ihrer Verkörperung.

Die Dynastie der Ghaznaviden (975 – 1187 u.Z.)

Es gibt keine Hinweise darauf, dass muslimische Gelehrte nach dem Aufkommen der Kalachakra-Literatur im späten 10. und frühen 11. Jahrhundert u.Z. auf die darin enthaltenen Beschreibungen ihres Glaubens aufmerksam wurden. Interesse am Buddhismus bestand bei ihnen allerdings weiterhin, wie aus mehreren historischen Werken ersichtlich ist. Die Buddhisten hingegen zeigten in den darauffolgenden Jahrhunderten, abgesehen von exegetischen Kommentaren zum Kalachakra, kein Interesse am Islam.

Der persische Historiker Al-Biruni zum Beispiel begleitete in der Zeit der Ghaznaviden-Dynastie Mahmud von Ghazni zu Beginn des 11. Jahrhunderts u.Z. bei dessen Invasion des indischen Subkontinents. Auf der Grundlage dessen, was er dort lernte, schrieb Al-Biruni sein „Buch über Indien“ (arab. Kitab al-Hind). Darin schilderte er die grundlegenden buddhistischen Sitten und Anschauungen und stellte fest, dass die Inder Buddha als einen Propheten ansahen. Das heißt natürlich nicht, dass er andeutete, die Moslems sollten Buddha als einen Propheten Allahs annehmen, doch es zeigt sein Verständnis, dass die Buddhisten Shakyamuni nicht als ihren Gott ansehen. Der unter der Seldschuken-Dynastie dienende Al-Shahrastani wiederholte Al-Birunis Darstellung des Buddhismus in seinem Werk aus dem 12. Jahrhundert u.Z.: „Das Buch der Religionen und Glaubensinhalte“ (arab. Kitab al-Milal wa al-Nihal).

Auch in der Zeit der Ghaznaviden finden sich in der islamischen Literatur weiterhin Beispiele literarischer Anleihen aus dem Buddhismus. Das buddhistische Bild einer Gruppe von Blinden, von denen jeder einen Elephanten anders beschreibt, da jeder von ihnen einen anderen Teil des Tiers berührt, fand durch die Schriften des persischen Gelehrten Abu Hamid Al-Ghazali (1058-1111 u.Z.) seinen Weg in den Sufismus. Als Vertreter eines philosophischen Skeptizismus benutzte Al-Ghazali das Bild um zu illustrieren, dass die islamischen Theologen nur jeweils einen Teil der Wahrheit zum Ausdruck bringen, während Buddha das Bild im „Sutta der nicht-buddhistischen religiösen Gruppen“ (Pali: Tittha Sutta) einsetzte, um die Nutzlosigkeit der Debatten zu zeigen, in denen nicht-buddhistische Philosophen miteinander über ihre Sichtweisen stritten.

Die Dynastie der Ilkhaniden (1258 – 1336 u.Z.)

1258 u.Z. eroberte Hulegu, ein Enkel des Dschingis Khan, den Iran. Er stürzte das Abbasiden-Kalifat in Bagdad und gründete die Dynastie der Ilkhanate. Hulegu folgte der tibetischen Form des Buddhismus; er lud bald zahlreiche buddhistische Mönche aus Kaschmir und Ladakh an seinen Hof im nordwestlichen Iran ein. Der sechste Ilkhan, Ghazan (Regierungszeit 1295-1304 u.Z.), konvertierte allerdings unter dem Einfluss des schiitischen Sufimeister Sadr Ad-Din Ibrahim vom Buddhismus zum Islam.

Nichtsdestotrotz gab er seinem Minister Rashid Al-Din, den er beauftragt hatte, eine „Universale Geschichte“ (arab. Jami’ al-Tawarikh) zu schreiben, die Anweisung, auch die Glaubenssysteme der verschiedenen Völker zu beschreiben, die die Mongolen vorgefunden hatten, einschließlich des Buddhismus. Aus diesem Grund lud Ghazan einen buddhistischen Mönch aus Kaschmir, Bakshi Kamalashri, an seinen Hof ein, um Rashid Al-Din mit seiner Arbeit zu helfen. Das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit war der Text „Das Leben und die Lehren Buddha“, der sowohl in einer arabischen als auch in einer persischen Version als Abschnitt drei des Buches „Geschichte Indiens“, dem zweiten Band der „Universalen Geschichte“, erschien.

Wie die vorangehenden Werke Al-Kermanis und Al-Birunis erklärte Rashid Al-Din den Buddhismus in der Begrifflichkeit des Islams. So zählte er Buddha als einen der sechs Religionsgründer auf, die von den Indern als Propheten akzeptiert wurden: drei theistische – Shiva, Vishnu und Brahma – und drei nicht-theistische – Arhanta für den Jainismus, Nastika für das Charvaka-System und Shakyamuni für den Buddhismus. Ferner beschrieb er die Deva-Götter als Engel und Mara als ‘Iblis, den Teufel. Der Text erwähnt auch die sechs Bereiche möglicher Wiedergeburten, die Gesetze karmischer Ursachen und Wirkungen und die Tatsache, dass die Worte Buddhas im Kangyur, der Sammlung ihrer tibetischen Übersetzungen, bewahrt sind.

Rashid Al-Din berichtet auch, dass zu seiner Zeit elf buddhistische Texte in arabischer Übersetzung im Iran zirkulierten. Es handelte sich unter anderem um Mahayana-Texte wie das „Sutra über die Anordnung des Reinen Landes der Glückseligkeit“ (Skt. Sukhavativyuha Sutra) über Amitabhas Reines Land, das „Sutra über die Anordnung wie ein geflochtener Korb“ (Skt. Karandavyuha Sutra) über Avalokiteshvara, die Verkörperung des Mitgefühls und eine „Darstellung über Maitreya“ (Skt. Maitreyavyakarana), den Buddha der Zukunft und die Verkörperung der Liebe. Einige Aspekte von Rashid Al-Dins Beschreibung waren allerdings recht fantasievoll. Er behauptete zum Beispiel, dass vor dem Islam die Einwohner Mekkas und Medinas Buddhisten waren und in der Kaaba Götzen anbeteten, die wie Buddha aussahen.

Etwas mehr als ein Jahrhundert später, im frühen 15. Jahrhundert u.Z., stellte der in Samarkand am Hof von Shahrukh aus der Timuriden-Dynastie dienende Hafiz-I Abru eine „Sammlung der Geschichtsschreibungen“ (arab. Majma at-Tawarikh) zusammen. Der Teil, der sich mit Buddha und dem Buddhismus befasste, basiert auf Rashid Al-Dins Werk.

Obwohl die von muslimischen Gelehrten verfassten Geschichten Indiens Beschreibungen des buddhistischen Glaubens enthalten, finden sich keine vergleichbaren Darstellungen des islamischen Glaubens in den von tibetischen oder mongolischen Autoren verfassten Geschichten Indiens, die geschrieben wurden, nachdem sich der Islam nach Indien verbreitet hatte. In der „Geschichte des Buddhismus in Indien“ (tib. rG-ya-gar chos ‘byung) des tibetischen Gelehrten Taranatha aus dem frühen 17. Jahrhundert u.Z. zum Beispiel beschreibt der Autor die Zerstörung der buddhistischen Klöster im zentralen Nordindien durch die muslimischen Armeen der Guzz -Türken zur Zeit der Ghuriden -Dynastie im frühen 13. Jahrhundert u.Z. Über den Islam selbst jedoch schrieb er kein Wort.

Gegenwärtige Aussichten

In der Vergangenheit haben sich muslimische Gelehrte wiederholt dafür interessiert, Wissen über den Buddhismus zu gewinnen, während buddhistische Gelehrte vergleichsweise weniger Interesse daran hatten, den Islam kennenzulernen. Doch diese Situation ändert sich jetzt allmählich. Seine Heiligkeit der Vierzehnte Dalai Lama hat in einem Vortrag im Dezember 2007 in Mailand diese sich wandelnde Geisteshaltung sehr deutlich gezeigt:

Obwohl ich Buddhist und somit im Hinblick auf den Islam ein Außenstehender bin, habe ich seit dem 11. September willentlich Anstrengungen unternommen, den großen Islam zu verteidigen. Viele meiner muslimischen Brüder – sehr wenige Schwestern – erklären mir, dass es nicht dem Islam entspricht, wenn irgendjemand Blut vergießt. Der Grund dafür ist, dass ein wahrer Moslem, ein wahrer Anhänger des Islams, die gesamte Schöpfung lieben sollte, genau wie er oder sie Allah liebt. Alle Geschöpfe wurden von Allah geschaffen. Wenn man Allah respektiert und liebt, dann muss man all seine Geschöpfe lieben.
Ein befreundeter Reporter verbrachte während der Regierung von Ayatollah Khomeini eine Zeit lang in Teheran. Später erzählte er mir, dass der Mullah dort bei reichen Familien Geld sammelte und dieses an ärmere Familien verteilte, um der Armut abzuhelfen und Bildung zu fördern. Das ist der wirkliche sozialistische Prozess. In muslimischen Ländern wird den Banken abgeraten, Zinsen zu nehmen. Wenn wir also den Islam kennen und sehen, wie Anhänger des Islams ihn ehrlich umsetzen, dann ist er, wie alle anderen Religionen, etwas wirklich Wunderbares. Im Allgemeinen ist es so, dass wir, wenn wir die Religionen der anderen kennen, uns gegenseitig respektieren, bewundern und bereichern können. Darum ist es notwendig, dass wir uns ständig bemühen, interreligiöses Verständnis zu fördern.

Auch muslimische Gelehrte und führende religiöse Persönlichkeiten interessieren sich zunehmend für interreligiöses Verständnis und für den Dialog. Deshalb haben verschiedene internationale Organisationen in den vergangenen Jahren zu buddhistisch-muslimische Konferenzen eingeladen. In September 2008 zum Beispiel organisierte die Globale Familie für Liebe und Frieden in Zusammenarbeit mit dem Museum der Weltreligionen von Taipei die zehnte Veranstaltung einer Reihe buddhistisch-muslimischer Dialoge unter dem Titel „In Richtung einer globalen Familie” am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York und feierte damit den 60. Jahrestag der Allgemeinen Menschenrechtserklärung. Zu den früheren Konferenzen dieser Reihe gehörten u.a. die „Konferenz des buddhistisch-muslimischen Dialogs über globale Ethik und verantwortungsbewusste Regierungsführung” am Hauptsitz des UNESCO in Paris im Mai 2003 und ein Symposium über „Dharma, Allah und Regierungsführung: Ein buddhistisch-muslimischer Dialog” als Teil des Parlaments der Weltreligionen im Juli 2004 in Barcelona. Führende buddhistische und muslimische Persönlichkeiten stimmen darin überein, dass interreligiöses Verständnis, das durch solche Dialoge gefördert wird, zweifellos stark zu religiöser Harmonie und zum Weltfrieden beitragen wird.

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