Detail zur Vollkommenheit der Großzügigkeit

Lassen Sie uns nun die sechs weit reichenden Geisteshaltungen selbst betrachten. Die erste davon ist Großzügigkeit.

Die Definition von Großzügigkeit

Großzügigkeit wird als Bereitschaft zum Geben definiert. Sie ist eine Einstellung, ein Geisteszustand. Shantideva schrieb:

9) Wenn die Vollkommenheit der Großzügigkeit Die Armut der umherwandernden Wesen beseitigen würde, Wie könnten die Beschützer aus vergangenen Zeiten Sie vervollkommnet haben, Da doch die umherwandernden Wesen Bis zum heutigen Tag noch Hunger leiden.

10) Von der Vollkommenheit der Großzügigkeit wird gesagt, Sie (entspringe) einer Geisteshaltung, Allen Wesen all das zu geben, was mir gehört, (Und dies) zusammen mit den Früchten (einer solchen Geisteshaltung); Daher handelt es sich bei (der Vollkommenheit der Großzügigkeit) Um eine Geisteshaltung.

Großzügigkeit bedeutet nicht, dass wir selbst arm werden und alles verschenken müssen, was wir haben. Es geht nicht um Armut als Tugend, wie es in anderen Religionen möglicherweise der Fall ist. Es geht um die Bereitwilligkeit, ohne zu zögern und ohne Umschweife etwas zu geben – wenn es angemessen ist. Wir müssen dabei unser Unterscheidungsvermögen benutzen. Wir geben nicht jemandem ein Gewehr, sodass er losgehen und schießen kann: „O ja, ich bin großzügig. Hier hast du ein Gewehr“ oder „Hier ist das Geld, damit du dir ein Gewehr kaufen kannst.“ „Hier hast du Geld, um dir Drogen zu kaufen.“

Selbst wenn wir sehr arm und mittellos sind, können wir trotzdem bereitwillig sein zu geben. Sonst könnten arme Leute keine Großzügigkeit entwickeln. Wir können Großzügigkeit üben, wenn wir einen wunderschönen Sonnenuntergang sehen: „Möge jeder diesen herrlichen Sonnenuntergang genießen. Mögen sich alle an dieser schöne Landschaft erfreuen. Mögen alle das schöne Wetter genießen.“ Seien Sie großzügig mit dem, was Sie besitzen, und mit dem, was Ihnen nicht gehört. Großzügigkeit ist das Gegenteil von Geiz. Geiz ist die Einstellung: „Ich will das – egal, was es ist – nicht mit jemandem teilen. Ich will es für mich selbst behalten. Wenn ich jemandem etwas abgebe, wird nicht genug für mich übrig bleiben.“

Aber wir müssen natürlich aufpassen, dass wir nicht fanatisch werden. Denn auch wenn wir damit beschäftigt sind, anderen zu helfen, müssen wir essen und schlafen – wir brauchen so etwas. Es geht hier mehr darum, etwas mit anderen zu teilen. Wir können nicht alles weggeben, sodass wir verhungern. Wenn wir ganz weit fortgeschrittene Bodhisattvas sind, ist das natürlich etwas anderes, aber das sind wir nicht. Als äußerst weit fortgeschrittene Bodhisattva können wir unser Leben hingeben, um anderen zu helfen, aber nicht auf unsere Stufe. Wir können es anstreben, dazu imstande zu sein. Aber wenn wir noch nicht so weit sind, entwickeln wir bei dem Versuch, so etwas zu tun, meist bloß einen sehr negativen Geisteszustand; das ist also nicht die nützlichste Vorgehensweise. Wir sind noch nicht so weit. Wie etwa in dem Beispiel des Buddha in einem früheren Leben, als er seinen Körper einer hungrigen Tigerin zum Fraß gab – so weit sind wir noch nicht.

Aber es ist erforderlich, dass wir unserer Ebene entsprechend bereit sind, unseren Körper für andere einzusetzen. Das könnte zum Beispiel sein, ihnen bei einer schwierigen Arbeit zu helfen, anderen körperlich zu helfen, ohne Angst zu haben, uns die Hände schmutzig zu machen und dergleichen mehr. Oder auch wenn es gefährlich ist, jemanden zu retten, es tatsächlich zu tun. Und natürlich unsere Besitztümer herzugeben, wenn sie gebraucht werden und jemandem von Nutzen sein können, sowie auch unsere so genannten Tugendwurzeln (tib. dge-ba’i rtsa-ba) mit anderen zu teilen – d.h. im Grunde das Potenzial der positiven Kraft, die wir aufgebaut haben, mit anderen zu teilen. Mit anderen Worten, nur als Beispiel - lassen Sie mich ein Beispiel aus meinem eigenen Leben anführen: Wenn ich als Resultat positiver Kraft aus früheren Leben so viele Verbindungen überall auf der Welt und zu großartigen Dharma-Lehrern und großen Meistern in Indien aufgebaut habe, dies dann mit anderen zu teilen und nicht bloß für mich zu behalten. Wenn es angemessen ist, jemanden dort vorzustellen oder einzuführen, stelle ich die Verbindung her und nutze sie nicht nur für mich selbst; es geht darum, das Potenzial zu nutzen, dass man aufgebaut hat, um anderen zu helfen, und es nicht nur für sich selbst zu behalten. „Möge all die harte Arbeit, die ich in meine Ausbildung und meine Studien in Indien gesteckt habe, anderen zum Nutzen gereichen.“ Davon ist hier die Rede. Anderen die Türen zu öffnen.

Die Großzügigkeit, materielle Unterstützung zu geben

Es werden drei oder vier Arten von Großzügigkeit aufgezählt. Die erste ist die Großzügigkeit, materielle Unterstützung zu geben. Das heißt: etwas zu geben, das wir besitzen, das uns gehört, seien es Nahrungsmittel, Kleidungsstücke, Geld, was auch immer, – je nachdem was wir haben. Doch abermals – wir werden darauf noch zu sprechen kommen – geht es darum, zu geben, was angemessen ist. Wir können auch etwas geben, das wir nicht besitzen, etwas, das sozusagen öffentlich ist. Das heißt natürlich nicht, dass wir losgehen und etwas stehlen. Es geht darum, etwas Öffentliches zu geben, etwa die Umgebung zu säubern, damit andere sie genießen können. Auch das ist ein Geschenk an andere. Und wie ich schon sagte: „Möge jeder das schöne Wetter genießen können“ usw.

Wir sollten hier auch nicht nur an physische Dinge denken; wir geben auch (wie schon im Zusammenhang mit dem Körper erwähnt) unsere Arbeit, unsere Zeit, unser Interesse, all so etwas, wir geben Energie, Ermutigung usw. Das bedeutet großzügig zu sein.

Die Großzügigkeit, Dharma zu geben

Die zweite Art der Großzügigkeit ist Dharma zu geben. Das bezieht sich nicht nur darauf, zu lehren, zu übersetzen, Lehren niederzuschreiben, Bücher zu veröffentlichen, Stupas zu bauen und all das. Das ist nur ein Aspekt davon. Dharma-Zentren aufzubauen, dort zu arbeiten und dergleichen mehr. Aber dazu gehört auch, Fragen zu beantworten, die jemand hat, Informationen zu geben, wenn jemand sie braucht usw. Alles von dieser Art.

Auch das, worauf in der Sakya-Tradition hingewiesen wird: das so genannte Darbringen von Samadhi (bzw. Konzentration). Das bezieht sich darauf, anderen all die verschiedenen Aspekte der eigenen Dharmapraxis darzubringen bzw. zu geben. Alles, was wir gelesen oder studiert haben, stellen wir anderen zur Verfügung; wir nutzen es, um anderen zu helfen. Alles Wissen, das wir erlangt haben, machen wir zugänglich und nutzen es. Auch unsere Überzeugung im Hinblick auf den Dharma und so etwas. Wir nutzen unsere Konzentration. Es gibt eine ganze Liste dieser Dinge. Sie alle gehören zu dieser Kategorie der Großzügigkeit, Dharma zu geben, unsere Praxis zu geben.

Die Großzügigkeit, Schutz vor Furcht zu geben

Die dritte Art der Großzügigkeit besteht darin, Schutz vor Furcht zu geben. Das kann sich natürlich darauf beziehen, anderen das Leben zu retten, z.B. Tieren, die geschlachtet werden sollen, oder Lebewesen, die in Käfigen eingesperrt sind – seien es Vögel oder Menschen oder was auch immer -, Fliegen zu retten, die im Wasserbecken am Ertrinken sind, und so weiter. Es muss auch nicht unbedingt Rettung vor dem Tod sein, sondern auch Tiere vor Kälte oder extremer Hitze zu schützen gehört dazu. Wenn wir einen Käfer in unserer Wohnung finden, werfen wir ihn nicht einfach vom fünften Stock aus dem Fenster: „Die vertragen das schon, wenn sie so landen.“ Wenn wir ihn in der Wohnung nicht haben wollen, bringen wir ihn hinaus, wir werfen ihn nicht einfach zum Fenster hinaus oder spülen ihn die Toilette hinunter und wünschen ihm dabei viel Glück.

Zu dieser Art Großzügigkeit gehört auch, anderen Trost zu geben, wenn sie große Angst haben, seien es unsere Kinder, ein gehetztes Tier oder jemand, der verfolgt wird. Wir versuchen, sie zu schützen. Wenn eine Fliege sich in einem Spinnennetz verfangen hat, nehmen wir sie heraus. Das ist eine problematische Situation, denn wir könnten sagen: „Sind wir damit nicht unbarmherzig gegenüber der Spinne?“ Aber ich nehme nicht an, dass Sie 24 Stunden am Tag dastehen und die Spinne beobachten, sodass sie keine Nahrung bekommt. Wenn wir die Möglichkeit haben, irgendein Geschöpf zu retten, dann ist es gut. Aber wir müssen nicht die Spinne bewachen. Wenn die Katze eine Maus quält, die sie gefangen hat, nehmen wir die Maus weg und retten sie.

Das bringt uns zu einem sehr schwierigen Thema, nämlich dem Thema Euthanasie, insbesondere für Tiere. Wenn ein Hund oder eine Katze wirklich leidet – sollen wir ihn bzw. sie dann einschläfern oder nicht? Bzw. einschläfern lassen, normalerweise machen wir das ja nicht selbst. Das ist keineswegs ein einfaches Thema. In gewisser Hinsicht unterbrechen wir, wenn wir bei einem Tier - oder auch einem Menschen – den natürlichen Vorgang des Todes und das Leid, das es erfährt, unterbrechen, damit das Reifen von leidvollem, negativem Karma. Und wenn wir das unterbrochen haben, dann wird dieses Wesen in irgendeinem zukünftigen Leben dieser Art von Leiden noch erleben müssen. Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen ist das also nicht so klug. Aber von einem anderen Gesichtspunkt aus gesehen ist es durchaus angemessen, wenn wir den Schmerz, den jemand erlebt, irgendwie verringern, z.B. bei Krebs Schmerzmittel geben usw. Das ist ein ganz schwieriges Thema.

Seine Heiligkeit hat verschiedentlich auf derartige Fragen geantwortet. Denn gelegentlich kommt die Sprache darauf, dass jemand nur mit Apparaten am Leben erhalten wird und im Grunde schon tot ist. Oder dass eine Million Dollar ausgegeben wird – was ich für unwahrscheinlich halte -, um eine noch nicht lebensfähige Frühgeburt zu retten. Seine Heiligkeit sagt: Einerseits, wenn es unbegrenzte Mittel gibt, mag das eine Option sein, aber wenn die Mittel begrenzt sind, wendet man nicht eine Million Dollar auf, um jemanden am Leben zu erhalten, der eigentlich hirntot ist, während nicht genug Geld da ist, um Menschen zu behandeln, die man heilen könnte. Es hängt also viel von den Umständen ab. Ähnlich ist es bei Themen wie Abtreibung usw.

Wir müssen hier absurde Extreme vermeiden. Wenn man die Aussage: „Das Tier muss sein Leiden erfahren, um das negative Karma zu verbrennen, das da reift“ ins Extrem treibt, käme man zu der absurden Folgerung, dass das bedeuten würde, man dürfe niemals jemandem eine Arznei geben: „Sie müssen eben die leidvollem Konsequenzen ihres negativen Karmas für Krankheit durchmachen.“ Das ist natürlich hier keineswegs die beabsichtigte Bedeutung, denn wir geben auch Medizin und versuchen, anderen zu helfen, sodass es ihnen besser geht, und wenn sie das Karma haben, wie Krankheit zu überwinden, werden sie mittels der Medizin genesen. Natürlich geben wir medizinische Hilfe.

Doch im Falle von jemandem, der hirntot ist, und wenn keinerlei Möglichkeit besteht, dass sich sein Zustand bessert, ist die Situation eine andere. Was das Thema Abtreibung betrifft: Wenn jemand aus irgendeinem Grund tatsächlich eine Abtreibung vornehmen lässt, kann etwas sehr hilfreich sein, was eine japanische Zen-Priesterin in Amerika praktiziert. Ich bin nicht ganz sicher, wo sie das her hat, ob es traditionell in Japan so gemacht wurde oder nicht, aber sie tut etwas überaus Hilfreiches: Sie ermutigt die Eltern (bzw. die Frau, wenn der Vater nicht da ist), dem abgetriebenen Embryo oder Fötus einen Namen zu geben, somit anzuerkennen, dass es sich um ein lebendes Wesen handelte, und ein Ritual und eine Bestattung zu Ehren dieses Wesens durchzuführen, dessen Entwicklung sie aus irgendeinem Grund nicht zuließen, das zu bedauern und viele, viele Gebete für eine wundervolle Wiedergeburt in einer förderlichen Situation zu machen. Sodass sie auf diese Weise eine positive Einstellung zu dem Fetus entwickeln, der abgetrieben wurde. Das scheint äußerst hilfreich zu sein, insbesondere für die betreffende Frau – auch für den Mann, aber vor allem für die Frau -, da eine Abtreibung zu haben später zu allerlei psychischen Problemen und Schuldgefühlen führen kann.

Die Großzügigkeit, anderen unseren Gleichmut zu geben

Im Tantra gibt es im Hinblick auf die Großzügigkeit, anderen Schutz vor Furcht zu geben, noch eine weitere Interpretation, nämlich dahingehend, anderen unseren Gleichmut zu schenken. Mit anderen Worten: Andere haben von uns nichts zu befürchten, weil wir uns weder mit Anhaftung an sie klammern noch sie mit Ärger und Feindseligkeit zurückweisen noch sie mit unserer Naivität ignorieren, sondern jedem gegenüber offen sind. Sie haben also nichts von uns zu befürchten, etwa dass wir uns an sie klammern, sie zurückweisen oder ignorieren würden. Das ist etwas ganz Wunderbares. Ein großes Geschenk.

Die Großzügigkeit, Liebe zu geben

Im Tantra ist auch von einer vierten Art der Großzügigkeit die Rede, nämlich Liebe zu geben. Liebe zu geben heißt nicht, herumzulaufen und jeden zu umarmen, sondern bezieht sich darauf, jedem unseren Wunsch zukommen zu lassen, dass er oder sie glücklich sein möge – das ist ja die Definition von Liebe – und die Ursachen dafür haben möge, glücklich zu sein.

Großzügigkeit: Wie man auf richtige Weise gibt

Heute Morgen haben wir über Großzügigkeit gesprochen. Bei der Übung jeder dieser weit reichenden Geisteshaltungen versuchen wir, auch die Übung der anderen mit einzubeziehen. Im Zusammenhang mit der Übung von Großzügigkeit bedeutet das:

  • Die ethische Disziplin besteht bei der Großzügigkeit darin, uns von allen falschen oder unangemessenen Hintergedanken zu befreien.
  • Mit Geduld lassen wir uns nicht von Schwierigkeiten beeinträchtigen, die dabei auftreten; wir können Schwierigkeiten hinnehmen.
  • Freudige Ausdauer bei der Großzügigkeit besteht darin, dass wir Freude daran haben, etwas zu geben, und es nicht nur aus Pflichtgefühl tun oder weil wir meine, es jemandem schuldig zu sein.
  • Geistige Beständigkeit ist hier die Konzentration auf die Widmung der positiven Kraft, die aus dem Geben entstanden ist.
  • Und mit unterscheidenden Gewahrsein erkennen wir, dass der Gebende (wir selbst), der Empfänger (die Person, die empfängt, was wir geben) und das Objekt, das gegeben wird, allesamt nicht wahrhaft inhärent von sich aus existieren, sondern voneinander abhängig sind. Es gibt keinen Gebenden ohne jemanden, der empfängt.

Es gibt also viele Situationen, in denen die Übung des Gebens nicht richtig oder nicht angemessen durchgeführt wird. Das müssen wir vermeiden. Zunächst einmal müssen wir vermeiden, etwas in der Hoffnung zu geben, dass andere davon beeindruckt sein werden, oder in dem Gedanken, dass wir besonders fromm oder religiös und eben großartig sind. Wenn wir etwas geben, ist es nicht angemessen, dafür etwas als Gegenleistung zu erwarten, nicht einmal ein Dankeschön, geschweige denn einen großen Erfolg hinsichtlich der tatsächlichen Situation der anderen Person. Ob sich deren Situation verbessert oder nicht, ist wirklich abhängig von ihrem eigenen Karma. Wir können helfen, aber keinen Erfolg erwarten und erst recht keinen Dank.

Ich kann mich erinnern, dass ich einmal in Dharamsala, in Indien, eine Maus aus dem Wasser gezogen habe, die fast im Abwassergraben ertrunken wäre, und sie auf trockenen Boden setzte. Und während sie da lag und sich erholte, stieß ein Habicht herab und nahm sie mit sich. Alles hängt vom Karma des Einzelnen ab, selbst wenn wir ihm helfen. Wir können jemandem alle Möglichkeiten geben und versuchen zu helfen, dass ihm etwas gelingt, aber es kann sein, dass er trotzdem schlimme Fehlschläge erlebt. Ich habe diese Erfahrung schon gemacht. Und es ist wichtig, sich der betreffenden Person gegenüber nicht zu brüsten und sie daran zu erinnern, was wir alles für sie getan oder was wir alles gegeben haben, und nicht zu erwarten, dass sie eine Gegenleistung erbringen.

Eine unangebrachte Motivation ist auch, etwas aus einer Art Pflicht- oder Schuldgefühl heraus zu geben, etwa weil jemand anderes etwas gespendet hat und wir nun das Gefühl haben, gleichziehen und das noch übertreffen zu müssen, indem wir mehr geben oder mehr tun. Aufgrund von Schuldgefühl oder Konkurrenzdenken oder so etwas.

Der einzige Gedanke soll darin bestehen, der betreffenden Person einfach nur zu nutzen, sowohl zeitweise als auch im letztlichen Sinne. Wir versuchen unser Bestes – und egal, ob es erfolgreich ist, wir versuchen es wenigstens.

Wichtig ist auch, nicht nur auf abstrakter Ebene zu denken: „Ja, ich will allen Lebewesen helfen“ , aber keineswegs etwa beim Abwasch zu helfen. Und es ist wichtig, die Menschen, denen wir etwas geben, nicht geringzuschätzen und zu meinen, wir täten ihnen einen großen Gefallen. Sie tun uns einen Gefallen, indem sie es annehmen und uns die Möglichkeit geben, positive Kraft aufzubauen, die uns zur Erleuchtung bringen und in die Lage versetzen wird, anderen zu helfen. Sie erweisen uns die große Gefälligkeit, etwas anzunehmen.

Von Bedeutung ist auch, wenn andere etwas für uns tun. Viele Menschen sind sehr stolz und wollen keine Hilfe annehmen. Sie nehmen keine Einladungen an und akzeptieren es nicht, wenn jemand anbietet, für sie zu bezahlen. Sie enthalten ihm damit die Möglichkeit vor, positive Kraft aufzubauen. Es ist übrigens Bestandteil der Bodhisattva-Gelübde, Einladungen anzunehmen und Hilfe anzunehmen, wenn andere sie uns anbieten – außer natürlich, wenn es von Schaden für sie wäre.

Ich erinnere mich an eine Situation, als ich mit Serkong Rinpoche in Italien unterwegs war; jemand suchte ihn in seinem Zimmer auf, stellte ihm ein paar Fragen usw., und als er ging, ließ er einfach einen Umschlag mit einer Spende auf dem Tisch in der Nähe der Tür liegen. Serkong Rinpoche sagte anschließend zu mir: „Das ist die richtige Art zu geben. Nicht wie die Leute, die hereinkommen und einen großen Wirbel davon machen, dem Lama etwas persönlich zu übergeben, damit der Lama weiß, von wem es kommt und das würdigt und einen besseren Eindruck von dieser Person hat.“ Besser ist es, im Stillen zu geben, anonym, ohne es zur Schau zu stellen, und es mit Freuden zu tun, auf freundliche und respektvolle Art.

Auch lässt man die andere Person nicht warten – „Ich werde es dir schon geben, aber du musst bis später warten. Ich helfe dir, aber erst morgen“, und dann lässt man sie warten und warten. Dafür gilt dasselbe. Serkong Rinpoche sagte immer, dass er es ziemlich rücksichtslos fand … Er war einer der Lehrer Seiner Heiligkeit des Dalai Lamas, und viele Leute suchten ihn auf und warteten vor seinem Zimmer. Er sagte, das sei lächerlich, denn sie warteten, bis sie direkt vor ihm waren, um dann eine ausgestreckte Niederwerfung vor ihm zu machen. Er sagte: „Das verschwendet bloß meine Zeit. Besser wäre – ich brauche nicht zu sehen, dass sie Niederwerfungen machen; sie machen sie ja nicht für mich. Sie sollten die Niederwerfung machen, bevor sie in mein Zimmer kommen, und dann einfach hereinkommen und tun, wozu sie hergekommen sind.“ Es waren meistens Tibeter, die bloß Katas (festliche Schals) darbrachten oder so etwas. Aber man sollte keine Schau daraus machen. Man versucht nicht, jemanden zu beeindrucken, indem man ihm etwas gibt, und auch nicht, indem man seinen Respekt zur Schau stellt, wie etwa durch Niederwerfungen. Das ist wichtig zu bedenken, wenn Lamas zu Besuch kommen. Die Niederwerfung gereicht uns zum Nutzen, nicht dem Lehrer.

Was immer es sein mag, was wir uns zu geben entschließen – es ist wichtig, dass wir es selbst darbringen. Atisha hatte einen Assistenten, der für seinen Lehrer die Darbringungen machen wollte – all die Wasserschälchen füllen usw. -, und der Lehrer sagte: „Willst du denn auch noch für mich essen?“ Wenn wir etwas geben wollen, sollten wir es nach Möglichkeit persönlich tun. Und es uns nicht hinterher anders überlegen oder es bedauern. Wenn wir uns entschieden haben, jemandem etwas zu geben, ist es wichtig, unsere Meinung nicht zu ändern oder Bedauern zu empfinden oder etwas wieder zurückzunehmen. Oder, wenn wir schon etwas gegeben haben, nicht darauf zu bestehen, dass die betreffende Person es so verwendet, wie wir es möchten, und insbesondere wenn wir jemandem Geld gegeben haben, nicht zu verlangen, dass er es auf bestimmte Weise verwendet. Beispielsweise nicht verletzt zu sein, wenn wir jemandem ein Bild geschenkt haben und es nicht an der Wand hängt, wenn wir das nächste Mal kommen. Sobald wir es weggegeben haben, ist es seins und nicht unseres.

Ich erinnere mich noch an dieses Kloster in Dharamsala, wo das Essen nicht gut war und es den Mönchen nicht besonders gut ging. Also haben wir Westler etwas Geld zusammengelegt und es ihnen gegeben, damit sie sich besseres Essen kaufen und sich besser ernähren konnten. Natürlich haben sie dann, kaum dass sie Geld hatten, Ziegelsteine dafür gekauft, um einen besseren, größeren Tempel zu bauen. Viele von den Westlern waren darüber sehr verärgert und fingen an, ein ziemliches Theater darum zu machen: „Ihr musst bessere Lebensmittel kaufen“ usw. Nun, die Lösung ist: Wenn wir wollen, dass sie besser essen, kaufen wir ihnen Nahrungsmittel und geben ihnen diese. Wir geben ihnen die Lebensmittel, und dann bleibt ihnen nichts anderes übrig als sie zu essen. Wir geben ihnen nicht das Geld. Man muss also ein wenig geschickt vorgehen. Und ihnen etwas kaufen, das sie gerne essen. Für Tibeter heißt das: Fleisch – auch wenn das manchen Westlern nicht gefällt. Aber ihnen Sojabohnen oder Tofu oder so etwas zu kaufen, was sie nicht mögen und nie essen würden, ist nicht angebracht.

Genauso – ich habe Serkong Rinpoche immer etwas mitgebracht, wenn ich zu ihm ging, und ich sah ihn fast jeden Tag. Aber ich habe trotzdem immer irgendeine Kleinigkeit mitgebracht. Nach einer Weile schimpfte er mich aus und sagte: „Warum bringst du mir all diese Katas und Räucherstäbchen? Ich brauche den Krempel nicht.“ Er nannte es Krempel. „Furchtbar. Jeder bringt solchen Krempel. Was soll ich mit tausend Katas, mit all diesen Schals?“ Und er fügte hinzu: „Wenn du mir etwas mitbringen möchtest, dann bringe etwas, das ich mag und das ich gebrauchen kann.“ Da ich wusste, dass er gern Bananen aß, brachte ich ihm das nächste Mal eine Banane mit. Wenn Sie jemandem etwas schenken wollen – bringen Sie ihm etwas, was er oder sie mag.

Des Weiteren ist es wichtig, etwas von guter Qualität zu geben, nicht: „Ach, mir gefällt das nicht sonderlich, hier, nimm du es.“ Allerdings muss man manchmal etwas geschickt vorgehen bei Menschen, die nichts annehmen wollen, etwa indem man sagt: „Das hat mir jemand geschenkt und ich werde es sowieso nie brauchen. Bitte, ich möchte es nicht wegwerfen. Wenn es Ihnen gefallen würde …“ Man muss also Mittel und Wege finden, wenn es darum geht, jemandem etwas zu geben. Aber glauben Sie mir, diese Lamas haben genug Räucherstäbchen, sie brauchen keine 200 Schachteln davon.

Es gibt bestimmte Dinge, die zu geben nicht angemessen ist. Etwa wenn jemand sich an bestimmte Diätvorschriften hält, dann gibt man ihm keine Lebensmittel, die er als unzuträglich betrachtet. Einem Vegetarier gibt man keinen Hamburger als Geschenk; und wenn jemand eine Diät macht, bringt man ihm keinen Kuchen mit.

Und wenn jemand nur aus Ärger oder Anhaftung oder Anmaßung oder auch bloß aus eitler Neugier mit uns diskutieren möchte, ist es unangemessen, sich auf die Diskussion einzulassen oder ihm den betreffenden buddhistischen Text zu geben usw. Wir lehren und erörtern Dharma und so etwas mit Menschen, die empfänglich dafür sind. Wenn sie nicht aufgeschlossen sind und bloß mit uns herumstreiten und uns herabsetzen wollen, ist es unangebracht, sie etwas zu lehren oder mit ihnen zu diskutieren. Das ist Zeitverschwendung und trägt bloß zu ihrem negativen Geisteszustand und ihrer Feindseligkeit bei. Man lehrt diejenigen, die offen dafür sind und etwas lernen möchten.

Und wenn wir lehren, ist es wichtig, entsprechend der Ebene der jeweiligen Person zu lehren. Wir überschütten sie nicht mit dem ganzen Meer unseres Wissens und unserer Bildung, um zu zeigen, wie klug wir sind. Es ist wichtig, nicht allzu fortgeschrittene Lehren zu geben, doch manchmal ist es von Vorteil, Lehren zu geben, die etwas fortgeschrittener als die betreffenden Menschen selbst sind, um sie zu inspirieren, mehr Anstrengung aufzubringen – man kann einen kleinen Teil zugänglich machen, um das erkennen zu können. Das ist auch hilfreich, wenn jemand etwas arrogant ist. Seine Heiligkeit der Dalai Lama lehrt manchmal vor Universitätsprofessoren auf sehr komplizierte Weise, um zu zeigen, wie ausgefeilt buddhistische Lehren sind, weil die Zuhörer der Meinung sind: „Ach, das ist doch primitiv“ oder so etwas.

Ich weiß auch noch, wie ich einmal mit Serkong Rinpoche ein westliches Dharma-Zentrum besuchte und die Leute dort wollten, dass Rinpoche das Kapitel über die Leerheit aus Shantidevas Text in zwei Tagen lehren sollte. Das ist total anmaßend; für solche Inhalte braucht man etwa ein Jahr, um sie einigermaßen gründlich durchzugehen. Rinpoche lehrte dann am Anfang eine Weile auf solch fortgeschrittener Ebene, dass niemand etwas verstand, einfach nur, um aufzuzeigen, wie arrogant es war zu denken, das Thema wäre so einfach, dass man es in zwei Tagen komplett schaffen könne. Sie hatten ja nicht um eine Einführung oder einen Überblick gebeten, sondern: „Lehren Sie uns dieses Kapitel.“

Manchmal kann es also erforderlich sein, auf fortgeschrittenere Weise zu lehren, um den Leuten so etwas wie eine Lektion zu erteilen. Aber im Allgemeinen ist es wichtig, entsprechend der Ebene zu lehren, die die Zuhörer verstehen können. Aber insbesondere vor einer großen Zuhörerschaft … Sehen Sie, wenn Seine Heiligkeit der Dalai Lama lehrt, lehrt er für jede Ebene der anwesenden Zuhörer etwas. Die meiste Zeit über lehrt er auf einer sehr fortgeschrittene Ebene. Er tut das, weil er eigentlich die großen Lamas und Geshes und Khenpos lehrt, die zugegen sind. Denn er ist der einzige, der weiter fortgeschritten als alle anderen ist und sie etwas lehren kann, sodass sie diese Lehren dann ihren Schüler weitergeben und ihnen erklären können. Man lehrt nicht entsprechend dem kleinsten gemeinsamen Nenner, denn das können auch andere tun. In einer solchen Situation lehrt man auf höchster Ebene, sodass es sozusagen nach unten weitergereicht werden kann.

Diese Geschichte mit Serkong Rinpoche ging dann so weiter, dass er – bloß um bei jedem Wort zu zeigen, wie kompliziert es war – nur die ersten paar Wörter jenes Kapitels auf solche fortgeschrittene und komplizierte Weise lehrte, doch nicht das Ganze.

Und natürlich ist es beim Geben unangemessen, Menschen Gift oder Waffen oder dergleichen zu geben, was sie benutzen können, um sich selbst oder andere zu verletzen. Außerdem ist es von Belang, anderen nur solche Dinge zu geben, die sie benötigen. Wenn jemand etwas nicht benötigt und nur aus Gier oder Anhaftung haben möchte, etwa wie Kinder, die den ganzen Tag Schokolade wollen, ist es nicht angemessen, es ihnen zu geben. Sie brauchen auch nicht den ganzen Tag Fernsehen zu schauen. Also ist unterscheidendes Gewahrsein erforderlich – im Hinblick darauf, was angemessen ist, was unangemessen ist, wann etwas angemessen oder unangemessen ist und für wen es angemessen ist oder nicht usw. Damit wir nicht das üben, was Trungpa Rinpoche mit dem wunderbaren Wort „idiotisches Mitgefühl“ bezeichnet hat. Wir sollten nicht denken: „Nichts wie los – ich muss jedem bei allem helfen!“, während es doch manchmal ziemlich unpassend oder töricht wäre.

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