Bodhichitta als Kontext für die Sechs Vollkommenheiten

Relatives Bodhichitta und Tiefstes Bodhichitta

Bodhichitta hat zwei Facetten: relatives Bodhichitta und tiefstes Bodhichitta. Beides Bodhichitta sind auf unsere eigene individuelle, zukünftige Erleuchtung ausgerichtet, die noch nicht stattgefunden hat, die aber auf der Grundlage unserer Buddha-Natur und einer beträchtlichen Menge an Arbeit und Anstrengung unsererseits eindeutig erreicht werden kann. Weil wir überzeugt sind, dass sie erreichbar ist, und eine genaue Vorstellung davon haben, was sie eigentlich ist, streben wir mit relativen Bodhichitta tatsächlich das an, was diese künftige Erleuchtung ist bzw. sein wird, ihre Qualitäten usw., und zwar mit zweierlei Absicht: der Absicht, diese Erleuchtung durch die realistischen Methoden zu erreichen, die uns tatsächlich dorthin bringen werden, und der Absicht, durch diese Errungenschaft allen Lebewesen so viel wie möglich von Nutzen zu sein. Wir verstehen voll und ganz, dass wir nicht zu einem allmächtigen Gott werden, der einfach mit den Fingern schnipst – oder nicht einmal das zu tun braucht – und schon sind die Probleme aller Wesen verschwunden. Das ist unmöglich: doch wir können andere durch effektive Anleitungen sowie auch durch unser Beispiel lehren, wie man zur Erleuchtung gelangt. Dann liegt es an ihnen, das auch wirklich in die Tat umzusetzen.

Genauer gesagt: Konventionelles Bodhichitta richtet sich auf den Geisteszustand unserer noch nicht geschehenen Erleuchtung - auf den Dharmakaya tiefen Gewahrseins. Tiefstes Bodhichitta richtet sich auf die Leerheit und die wahren Beendigungen in unserer nocht nicht geschehenen Erleuchtung - auf den Svabhavakaya (essentieller Naturkörper, Körper der essentiellen Natur).

Geisteszustände, die mit Bodhichitta einhergehen

Bodhichitta geht mit verschiedenen anderen Geisteszuständen einher, die gleichzeitig damit auftreten und Teil der Motivation sind, mit der wir Erleuchtung anstreben. Diese Geisteszustände sind nicht auf unsere zukünftige Erleuchtung gerichtet, sie richten sich mit Liebe auf alle Lebewesen, und zwar völlig gleichermaßen auf ausnahmslos jedes lebende Wesen (Wesen mit einem begrenzten Körper und einem begrenzten Geist) – dazu gehört auch jedes noch so kleinste Insekt, eben einfach alle –, und zwar mit dem Wunsch, dass sie alle glücklich sein und die Ursachen dafür haben mögen, und auch voller Mitgefühl, d.h. mit dem Wunsch, dass sie frei von Leiden und den Ursachen dafür sein mögen. Liebe ist also eigentlich auf das Glück und Wohlergehen der Lebewesen ausgerichtet, sie besteht in dem Wunsch, dass es zunimmt und weiter anwächst. Mitgefühl ist auf ihr Leiden gerichtet; es ist der Wunsch, dass sie frei davon sein mögen.

Wir müssen gut verstehen, worauf diese Geisteszustände ausgerichtet sind und wie sie darauf ausgerichtet sind, damit wir sie tatsächlich hervorbringen können. Andernfalls haben wir keine klare Vorstellung davon, was um alles in der Welt wir mit unserem Geist und unseren Gefühlen anstellen sollen, wenn wir über Liebe und Mitgefühl - oder auch Bodhichitta, in unserem Fall - meditieren. Mitgefühl besteht, wie Seine Heiligkeit der Dalai Lama erklärt, nicht nur darin, dass man wünscht, die Probleme der Lebewesen mögen verschwinden, ohne die Vorstellung bzw. Überzeugung zu haben, dass es für sie auch tatsächlich möglich ist, ihre Probleme loszuwerden. Es basiert auf dem Verständnis, dass es möglich ist, sie zu beseitigen. Sonst wäre es ein sinnloser Wunsch. Es wird auch begleitet von dem Verständnis, wie sie ihre Probleme loswerden können. Es ist nicht so, dass irgendein allmächtiger Retter daherkommt und sie erlösen wird; doch das Mitgefühl beinhaltet den Mut, den Lebewesen tatsächlich zu helfen, ihre Probleme zu überwinden. Dazu gehört Verständnis – Verständnis ist immer vorhanden –, zusammen mit diesen Emotionen, positiven Gefühlen.

Noch ein weiterer Geisteszustand – bzw. eine Emotion oder wie immer wir es nennen wollen – begleitet unser Bodhichitta, nämlich der so genannte außergewöhnliche Entschluss oder Vorsatz (tib. lhag-bsam, Skt. adhyashaya). Indem er auf alle Wesen und ihre jeweilige Situation gleichermaßen gerichtet ist, ist dies der außergewöhnliche Entschluss, auf den Seine Heiligkeit manchmal Bezug nimmt. Es handelt sich um allumfassende Verantwortlichkeit; es ist nicht nur der Mut zu versuchen, ihnen zu helfen, sondern der ganz und gar entschiedene Entschluss: „Ich werde so viel wie möglich versuchen, ihnen zu helfen und ihnen von Nutzen zu sein. Ich habe dieses Verantwortungsgefühl: Ich übernehme die Verantwortung, etwas dafür zu tun und es in die Tat umzusetzen.

Also: Liebe, Mitgefühl, allumfassende Verantwortlichkeit, Bodhichitta. Das alles sind recht verschiedene Geisteszustände, obwohl sie natürlich gut zueinander passen. Aber es ist wichtig, sie nicht durcheinander zu bringen, sondern eine klare Vorstellung von jedem einzelnen davon zu haben – was er ist, worauf er ausgerichtet ist, auf welche Weise er sich auf sein Objekt richtet –, um sicherzustellen, dass in unserem Geisteszustand nichts davon fehlt und alles auf richtige Weise vorhanden ist.

Tiefstes Bodhichitta ist darauf ausgerichtet, wie diese Erleuchtung – unsere zukünftige Erleuchtung, die wir anstreben – existiert. Mit anderen Worten, es richtet sich auf die Leerheit.

Zuordnung der weit reichenden Geisteshaltungen zu den zwei Netzwerken

Was die allgemeine Zuordnung der sechs weit reichenden Geisteshaltungen zu den zwei oder drei Netzwerken betrifft, so ist es jedenfalls nicht von Nutzen, einfach zu denken: „Ach, das ist bloß ein intellektuelles Schema; das ist nicht von Belang“, sondern wir können, wie gesagt, erkennen: „Was wird sich in das verwandeln, was all diese Formen hat, sodass wir darauf beruhend als Buddha anderen wirklich helfen können?“ Folgendes: Großzügigkeit, indem man anderen im Speziellen wirklich hilft. Und wir brauchen die Disziplin, die darin besteht, anderen zu helfen und ihnen nicht zu schaden. Und Geduld, sodass wir nicht den Mut verlieren bei dem Versuch, anderen zu helfen, denn das ist nicht immer einfach; und während wir versuchen, anderen zu helfen, werden wir auch Geduld mit unseren eigenen Problemen und Unzulänglichkeiten brauchen – natürlich müssen wir daran arbeiten, aber wir dürfen nicht aufgeben. Diese Kombination ist es, die sich verwandeln und dazu führen wird, dass wir alle die Formen und Fähigkeiten haben werden, die ein Buddha hat, um anderen zu helfen.

Und was verwandelt sich in den Geist eines Buddha? Nun, wir brauchen natürlich das unterscheidende Gewahrsein. Wir brauchen geistige Beständigkeit, d.h. nicht nur Konzentration, sondern auch die Fähigkeit, uns nicht von dem Auf und Ab unserer Stimmungen und störenden Emotionen beeinträchtigen zu lassen. Wir brauchen Geduld, sodass wir uns nicht von den Schwierigkeiten bei der Ausübung von Dharma entmutigen lassen, insbesondere beim Meditieren und wenn wir versuchen, die so genannte Weisheit zu erlangen. Das ist es, was sich dahingehend verwandelt, dass man den Geist eines Buddha hat.

Freudige Ausdauer brauchen wir für beides. Ganz allgemein gesprochen bedeutet das: Wir müssen bei dem bleiben, was wir tun, ohne aufzugeben, und tatsächlich Freude daran haben, sowohl anderen zu helfen als auch zu meditieren. Das trägt zu beidem bei: Zum Aufbau positiver Kraft, indem wir anderen helfen, und zum Aufbau tiefen Gewahrseins, indem wir meditieren. Natürlich trägt beides – sowohl anderen zu helfen als auch zu meditieren – dazu bei, positive Kraft und tiefes Gewahrsein zu entwickeln. Ich treffe hier nur eine ganz allgemeine Aussage, um die Sache einfacher zu machen.

Ganz gleich, was wir tun – es ist erforderlich, dabeizubleiben und nicht aufzugeben. Das ist Ausdauer. Und Freude daran haben, nicht die Einstellung hegen: „Bah, das ist schrecklich, ich verabscheue es, das zu tun, aber ich tue es trotzdem, weil ich mich dazu verpflichtet fühle oder mich schuldig fühlen würde, wenn ich es nicht täte.“ Es genießen. „Ich meditiere gern. Ich helfe gern anderen Menschen. Das bringt mir viel Freude.“ „Ich übersetze gern. Das macht mir großen Spaß. Es gibt nichts, was mich glücklicher macht.“

Ich habe den genauen Wortlaut vergessen, aber Shantideva sagte in etwa: „Ein Bodhisattva ist jemand, der nicht glücklich ist, ohne wirklich etwas zu tun, um anderen zu helfen bzw. anderen von Nutzen zu sein.“ Wenn man Freude an seiner Arbeit hat, wird man nicht glücklich sein, ohne sie zu tun. Es geht hier nicht darum, ein Workaholic im Büro zu werden, sondern darum, anderen zu helfen. Ohne tatsächlich etwas zu tun, das anderen von Nutzen ist, fühlen wir uns nicht recht glücklich. „Ich möchte immer etwas tun, was anderen hilft. Das ist es, was mir am meisten Freude im Leben macht.“ Darum geht es bei der freudigen Ausdauer. Es spielt keine Rolle, was wir tun, um anderen zu helfen – sei es, dass wir uns um unsere Kinder kümmern, in einem Unternehmen arbeiten, das auf irgendeine Weise altruistisch orientiert ist, Dharma lehren oder was auch immer. Wir tun irgendetwas, wozu wir die Fähigkeit haben.

Nun zum Prasangika. Wenn ich vom Prasangika spreche, meine ich die Gelug-Tradition des Prasangika-Systems. Tsongkhapa war ein unglaublich bahnbrechender Denker und unfassbar mutig. Er untersuchte die indischen Texte sehr, sehr gründlich und stellte fest, dass die Prasangika-Texte tatsächlich einige ganz spezielle Erklärungen enthielten. So kristallisierte sich ein Prasangika-System gemäß der Gelug-Tradition heraus. Die früheren Systeme – Nyingma, Sakya und Kagyü - haben ein anderes Verständnis von dem Prasangika-Standpunkt. Dem Prasangika-System in der Gelug-Tradition entsprechend legt Tsongkhapa hier eine andere Art der Einteilung dieser sechs weit reichenden Geisteshaltungen dar. (Ich erwähne das, weil hier sowohl Leute aus einem Kagyü-Zentrum aus der Tradition der Drikung Kagyü als auch aus einem Gelug-Zentrum anwesend sind.) Tsongkhapa differenziert die sechs weit reichenden Geisteshaltungen anhand der zwei Wahrheiten. Das weit reichende unterscheidende Gewahrsein – und dabei geht es hier nicht um das unterscheidende Gewahrsein dessen, was konstruktiv und destruktiv im Hinblick auf Karma ist, sondern um das unterscheidende Gewahrsein in Bezug auf die tiefste Wahrheit, die Leerheit – trägt zum Netzwerk tiefen Gewahrseins bei, zur Transformation in den Geist eines Buddha. Alle anderen weit reichenden Geisteshaltungen einschließlich des unterscheidenden Gewahrseins in Bezug darauf, was hilfreich und was schädlich ist, tragen zum Netzwerk positiver Kraft bei, um die Formkörper eines Buddha zu entwickeln. Das ist nur eine andere Art der Einteilung, nämlich entsprechend den zwei Wahrheiten. Diese beiden unterschiedlichen Erklärungen werden Sie hören, und tatsächlich sind beide sehr hilfreich.

Anmerkung zu rotem und weißem Bodhichitta

Nebenbei möchte ich noch anmerken, dass in der höchsten Tantraklasse manchmal von weißem und rotem Bodhichitta die Rede ist. Da man im Tantra gelegentlich auf diese Begriffe stößt und dies recht verwirrend sein kann, sollte ich sie wohl kurz erwähnen. Es handelt sich dabei um Arten sehr subtiler materieller Phänomenen, physischer Phänomene. Es sind keine Geisteszustände. Es sind überaus subtile – schwierig, ein passendes Wort dafür zu finden, nennen wir sie mal: kreative Energiefunken, die jeder von uns hat. Auf den weit fortgeschrittenen Stufen der höchsten Tantra-Klasse, auf denen man die entsprechende Fähigkeit dazu erlangt – was enorm schwierig ist –, können wir diese überaus subtilen kreativen Energien in unserem Körper bewegen und sie in unserem Herz-Chakra auflösen, um Zugang zur subtilsten Ebene des Geistes zu gewinnen. Diese Art von Geist wird Geist des klaren Lichts genannt (tib. ’od-gsal). Diesen verwenden wir dann, um uns auf die Leerheit zu konzentrieren und Erleuchtung zu erlangen, denn er ist die wirksamste Bewusstseinsebene.

Weißes und rotes Bodhichitta sind also Substanzen und Methoden, die man einsetzt, um tatsächlich tiefstes Bodhichitta zu erreichen, den Geist des klaren Lichts, der auf die Leerheit gerichtet ist. Im Buddhismus wird oftmals der Name des Resultats auch für die Ursache verwendet, und so wird hier der Name des Resultats – nämlich tiefstes Bodhichitta – auch als alternative Bezeichnung für diese zwei Arten kreativer subtiler Energie im Körper verwendet. Das ist der Grund, warum weißes und rotes Bodhichitta mit dem Namen „Bodhichitta“ bezeichnet werden.

Ich erwähne das nur, damit Sie sich von diesen Bezeichnungen nicht verwirren lassen, denn ich weiß, dass es furchtbar verwirrend sein kann, wenn man auf diese Namen stößt. Es handelt sich um Begriffe im Kontext sehr weit fortgeschrittener Ebenen. Auf unserer Ebene der Praxis haben wir damit nichts zu tun. Und, damit keine Verwirrung auftritt, sei noch erwähnt: Sowohl Männer als auch Frauen haben beides, sowohl weißes als auch rotes Bodhichitta. Es gibt zwar unterschiedlich subtile oder grobe Ebenen davon, aber wir sollten das nicht mit den gröbsten Repräsentation in Verbindung bringen und denken, Männer hätten nur weißes und Frauen nur rotes; das stimmt nicht.

Anstrebendes und ausübendes Bodhichitta

Um nun unsere Übersicht fortzusetzen: Innerhalb des relativen Bodhichitta gibt es die Ebene des Wünschens (tib. smon-sems, anstrebendes Bodhichitta), die darin besteht, dass wir wünschen, Erleuchtung zu erlangen, um allen Wesen von Nutzen zu sein, und die Ebene des Ausübens (tib. ’jug-sems), auf der wir tatsächlich mit dem Verhalten beschäftigt sind, das zu diesem Ziel führt. Zuerst entwickeln wir also die Ebene des Wunsches und dann die des Ausübens.

Die Ebene des Wünschens wiederum besteht aus der Phase des bloßen Wünschens (tib. smon-sems smon-pa-tsam, bloß anstrebende Phase des anstrebenden Bodhichittas), in der wir lediglich den Wunsch haben, Erleuchtung zu erlangen, und der Phase, die manchmal als „versprechende“ oder „verbindliche“ Phase übersetzt wird (smon-sems dam-bca’-can, anstrebendes Bodhichitta, das mit einem Gelöbnis verbunden ist). In dieser Phase sind wir sehr stark entschlossen und entscheiden, dass wir uns nie wieder davon abwenden werden. Wenn wir diesen engagierten Zustand des relativen Bodhichitta erreichen, gehört dazu auch, dass wir die Bodhisattva-Gelübde ablegen. Beides gehört zusammen. Man kann dieses engagierte Bodhichitta nicht weiterentwickeln, ohne die Bodhisattva-Gelübde abzulegen. 

Ein Gelübde (tib. sdom-pa, Skt. samvara) ist eine Formung unseres Geistes, eine Gestaltung unseres Verhaltens. Es setzt gewisse Grenzen, die wir nicht überschreiten werden. „Ich werde vermeiden, mich selbst zu rühmen und andere herabzusetzen, etwa weil ich an meinem Ruf hänge und daran, dass man mich mag, an Zuneigung, an Geld und all dem.“ Wir verpflichten uns, etwas zu unterlassen, weil es, wenn wir es täten, unserer Fähigkeit, anderen zu helfen, erheblich schaden würde. Jemandem, der andere ausnutzt und behauptet „Ich bin der Beste“ - wie z.B. Amtsanwärter für Regierungsposten, die diese nur anstreben, um Machtbefugnisse zu erlangen, und Kampagnen in die Wege leiten: „Ich bin am besten, und der andere Kandidat ist ein Scheusal“ – kann man nicht trauen. Derartiges Verhalten beeinträchtigt die Fähigkeit, anderen zu helfen, erheblich, denn solche Menschen wollen ihr Ansehen vergrößern, um Macht zu erlangen. Aus diesem Grund sind Wahlkämpfe und – kampagnen den Tibetern sehr fremd und es fällt ihnen schwer, so etwas zu planen oder sich daran zu beteiligen, denn so, wie es in vielen Ländern vor einer Wahl abläuft, widerspricht es ganz und gar den Bodhisattva-Grundsätzen, z.B. zu sagen: „Ich bin der Beste, der andere taugt nichts.“

Shantideva, der große indische Meister, der den Text „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattva“ (Skt. Bodhicharyavatara) verfasst hat, schrieb: 

IV.2) In dem Falle, wo ich ganz spontan gehandelt habe, oder in Bezug auf eine Sache, die ich nicht gut durchdacht habe, ist es, selbst dann, wenn ich etwas bereits versprochen habe, angemessen zu erwägen: „Mach’ ich’s oder lass ich’s bleiben?“
IV.3) Aber wie kann ich jemals (von der Aufgabe) zurücktreten, die von den Buddhas und ihren spirituellen Nachkommen mit großem unterscheidenden Gewahrsein untersucht worden ist, und die ich auch selber wiederholt durchdacht habe? 

Das ist ein sehr wichtiger Ausspruch in zwei Versen, der besagt: Bevor wir die Bodhisattva-Gelübde ablegen und zu diesem engagierten Bodhichitta übergehen, ist es wichtig und angebracht, diese Gelübde zu studieren (sie sind mit vollständigen Erklärungen auf meiner Website zu finden: im Bereich „Gelübde und Verpflichtungen“ auf berzinarchives.com), um zu erkennen und zu überprüfen: Buddha sagte: „Wenn man Erleuchtung erreichen möchte, muss man dieses Verhalten vermeiden, um anderen wirklich von Nutzen sein zu können“. Dann stellen wir uns selbst eingehend die Frage: „Ist das etwas, das ich einhalten kann oder nicht?“ Erst dann legt man diese Gelübde ab. Das ist nicht etwas, das man ganz plötzlich tut, weil alle anderen es auch tun und gerade ein Lama da ist, der die Gelübde erteilt, sodass wir sie dann ablegen, ohne das alles genau untersucht zu haben. Shantideva macht das sehr klar.

Die Svatantrika und Prasangika Definitionen der Vollkommenheiten

Was gehört dazu, die Bodhisattva-Gelübde tatsächlich einzuhalten? Im wesentlichen gehört dazu, die sechs … im Sanskrit heißt es paramita (tib. pha-rol-tu phyin-pa), was meistens als „Vollkommenheiten“ übersetzt wird, aber ich bevorzuge eine wörtlichere Übersetzung des Begriffs, nämlich „weit reichende Geisteshaltungen“. Sie bringen uns sehr, sehr weit, nämlich den ganzen Weg bis hin zum anderen Ufer: zur Erleuchtung.

Im indischen Buddhismus gibt es eine Anzahl verschiedener Systeme, und gemäß einem dieser Systeme (dem so genannten Svatantrika) ist es nur auf der Stufe eines Buddha der Fall, dass hier die tatsächlichen weit reichenden Geisteshaltungen vorhanden sind – hier wäre das Wort eher im Sinne von „Vollkommenheiten“ zu verstehen. Als Bodhisattvas im Verlauf der Stufen vor der Buddhaschaft arbeiten wir mit diesen weit-reichenden Geisteshaltungen nur als Annäherung an ihre eigentliche volle Entfaltung (und sogar schon bevor wir Bodhisattvas sind, wenn wir diese Bodhisattva-Gelübde genommen haben – denn wir werden, wie ich gestern erklärt habe, erst dann Bodhisattvas, wenn wir das nicht künstlich erzeugte Bodhichitta haben, also nicht mehr den Gedankenverlauf „Jede/r war meine Mutter“ usw. durchgehen müssen, um es zu empfinden, sondern es die ganze Zeit über Tag und Nacht haben).

Im Prasangika-System hingegen werden beide Ebenen - angefangen von den Bodhisattva-Gelübden bis hin zur Buddhaschaft sowie auch in der Buddhaschaft selbst – als „weit reichende Geisteshaltungen“ bezeichnet.

Doch ganz gleich, welchem dieser Systeme wir folgen, es geht um dieselbe Angelegenheit. Ich habe das nur erwähnt, weil manche der tibetischen Schulen dem einen und manche dem anderen System folgen.

Die zehn Vollkommenheiten 

Außerdem sollte ich noch erwähnen, dass es auch noch eine weitere Erklärung gibt, in der zehn solche weit reichenden Geisteshaltungen aufgeführt werden, wobei die vier zusätzlichen im Grunde Unterteilungen der sechsten sind, nämlich des weit reichenden unterscheidenden Gewahrseins bzw. der Weisheit. Aber ob nun von sechs oder, in der ausführlicheren Form, von zehn dieser weit reichenden Geisteshaltungen die Rede ist, auf jeden Fall handelt es sich um Geisteszustände - Einstellungen -, nicht notwendigerweise um Verhaltensformen, obwohl diese Geisteshaltungen natürlich unser Verhalten prägen: Wir handeln dementsprechend, setzen sie in die Praxis um, so gut wir können und entsprechend der jeweiligen Situation, unseren Fähigkeiten usw. Aber das, was wir zu entwickeln versuchen, sind diese Einstellungen, diese Geisteszustände. Shantideva bringt das ganz klar zum Ausdruck.

Wir sollten auch nicht denken, dass es solch ein System von zehn weit reichenden Geisteshaltungen ausschließlich im Mahayana gibt. Auch im Hinayana, im Theravada, ist es vorhanden. Dort findet sich eine leicht unterschiedliche Aufzählung von zehn: viele davon sind gleich, aber einige sind verschieden. Wie wir bereits erwähnt haben, besteht der Unterschied zwischen Hinayana und Mahayana - da ja vieles von dem, was praktiziert wird, gleich ist darin, wie die Widmung ausgerichtet ist: ob die positive Kraft dem Erlangen von Befreiung oder dem Erlangen der Erleuchtung gewidmet wird. Im Hinayana werden also zehn weit reichende Geisteshaltungen geübt, mit der Widmung, dass diese positive Kraft zur Befreiung beiträgt

Wir sollten also nie denken, dass Praktizierende des Hinayana nicht danach streben würden, anderen zu nutzen, großzügig oder geduldig zu sein usw. Selbstverständlich tun sie das. Und sie entwickeln Liebe und Mitgefühl und all das. In den Mahayana-Texten wird der Hinayana-Standpunkt sozusagen ins Extrem getrieben – etwa dass man dann nur für den eigenen Nutzen arbeitet und einem die anderen egal sind -, um auf eine extreme Haltung hinzuweisen, die wir vermeiden müssen. Wir sollten nicht denken, dass die tatsächlichen Praktizierenden des Theravada, insbesondere in der heutigen Zeit, so sind. Man findet solche Menschen unter den Praktizierenden des Mahayana genauso wie unter den Praktizierenden des Hinayana

In der Prasangika-Schule des Madhyamaka-System im Mahayana wird es als eine Methode eingesetzt, die Dinge ins Extrem zu treiben und absurde Folgerungen aufzuzeigen, um den Menschen zu helfen, Gefahren zu vermeiden, die bei bestimmten Denkweisen auftreten könnten. Und ebenso, wie eine absurde Folgerung aus dem Streben nach Befreiung lauten würde, dass man dabei völlig selbst bezogen wird und sich um niemand anderen kümmert - nichts tut, um anderen zu helfen, keine Liebe und kein Mitgefühl hat -, könnte man sagen, dass die extreme, absurde Folge des Mahayana wäre, nur loszugehen und immerzu anderen zu helfen, ohne dass man daran arbeitet, den eigenen Ärger, die eigene Anhaftung usw. zu überwinden, was gleichfalls ein großer Fehler wäre. Wir müssen also die Methodik verstehen, die hier eingesetzt wird, und dürfen nicht in eine Art sehr irrtümliches Sektierertum verfallen und denken, dass das Hinayana im Mahayana derart scharf kritisiert würde. Aus diesem Grund gibt es einige Bodhisattva-Gelübde, in denen es speziell darum geht, das Hinayana nicht herabzusetzen

Lassen Sie uns bei dem kürzeren, grundlegenden System von sechs weit reichenden Geisteshaltungen bleiben. Darin werden sie folgendermaßen aufgezählt

  • Großzügigkeit (tib. sbyin-pa),
  • ethische Selbstdisziplin (tib. tshul-khrims),
  • Geduld (tib. bzod-pa),
  • Ausdauer (tib. brtson-’grus),
  • geistige Beständigkeit (tib. bsam-gtan, geistige Stabilität)
  • und unterscheidendes Gewahrsein (tib. shes-rab). Das wird häufig auch „Weisheit“ genannt, aber „Weisheit“ wird als Übersetzung für so viele verschiedene Fachbegriffe benutzt, die alle etwas anderes bedeuten, sodass bei der Verwendung dieses Wortes all die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ursprungsbegriffen verloren gehen; deswegen verwende ich für diesen speziellen Ausdruck, um den es hier geht, das Wort „unterscheidendes Gewahrsein“.

Wir werden uns mit den jeweiligen Definitionen dieser weit reichenden Geisteshaltung befassen, wenn wir sie einzeln erörtern. Für die fünfte verwende ich übrigens lieber das Wort „geistige Beständigkeit“ als „Konzentration“, weil es mehr umfasst als nur einfache Konzentration.

Der Unterschied zwischen unterscheidendem Gewahrsein und tiefem Gewahrsein

Ich mache in der Übersetzung einen Unterschied zwischen zwei tibetischen Begriffen – die auch im Sanskrit unterschiedlich sind , welche oft beide als „Weisheit“ übersetzt werden und dann geht der Unterschied zwischen den beiden Begriffen verloren. Der eine wird „ unterscheidendes Gewahrsein“ genannt; das Wort lautet sherab (shes-rab) im Tibetischen bzw. „prajna“ im Sanskrit . Der andere wird „tiefes Gewahrsein“ genannt, und das entsprechende Wort lautet „yeshe“ (ye-shes) ) im Tibetischen bzw. „ jnana“ im Sanskrit. Die Begriffe sind sehr verschieden. Ich werde den Unterschied erklären.

Es gibt zwar viele unterschiedliche Verwendungen für jedes dieser Wörter, aber wenn wir etwas Klarheit suchen – die Definition von unterscheidendem Gewahrsein ist, dass dieses der Unterscheidung (tib. du-shes) Gewissheit hinzufügt. Unterscheidung – oft als „Erkennen“ übersetzt – bedeutet: Unterscheiden, dass etwas dies und nicht jenes ist. Das unterscheidende Gewahrsein fügt dem völlige Gewissheit hinzu. Es unterscheidet, was konstruktiv und was destruktiv ist, was hilfreich und was nicht hilfreich ist, was angemessen und was nicht angemessen ist, was korrekt und was nicht korrekt ist (im Hinblick darauf, was Realität und was nicht Realität ist). Meist wird es mit Leerheit in Verbindung gebracht. Das Verständnis der Leerheit trifft die Differenzierung, dass Dinge nicht auf unmögliche Art existieren, sondern auf eine Art und Weise, die tatsächlich möglich ist. Das ist unterscheidendes Gewahrsein.

Selbst ein Wurm hat unterscheidendes Gewahrsein. Ein Wurm kann sehr sicher unterscheiden: Essbares, nicht Essbares. Eine Kuh kann zwischen der offenen Scheunentür und der Scheunenwand unterscheiden, sodass sie nicht gegen die Wand läuft. Das als „Weisheit“ zu bezeichnen, ist hier allerdings nicht die glücklichste Wahl.

Wenn es um Leerheit geht, ist unterscheidendes Gewahrsein einzig ein Gewahrsein der tiefsten Wahrheit über die Dinge, nämlich der Leerheit.

Der andere Ausdruck, tiefes Gewahrsein, ist Gewahrsein der zwei Wahrheiten; entweder der zwei Wahrheiten zusammen oder der zwei Wahrheiten in gegenseitigem Kontext. Doch tiefes Gewahrsein ist auch Teil der Buddha-Natur, die sehr tiefgründig ist und die jeder hat: es bezieht sich somit auf das spiegelgleiche tiefe Gewahrsein (tib. me-long lta-bu’i ye-shes) (die Fähigkeit, Informationen aufzunehmen), das gleichsetzende tiefe Gewahrsein (tib. mnyam-nyid ye-shes) (die Fähigkeit, Strukturen zu erkennen und Dinge zusammenzufügen), individualisierendes tiefes Gewahrsein (sor-rtog ye-shes) (sich der Besonderheit von diesem oder jenem gewahr sein) usw.

Diese Aspekte der Buddha-Natur hat auch ein Wurm. Auch hier scheint es nicht ganz passend, das Weisheit zu nennen.

Der Ausdruck „tiefes Gewahrsein“ kann in verschiedenen tibetischen Traditionen etwas unterschiedlich verwendet werden. Aber jedenfalls ist es nicht dasselbe wie unterscheidendes Gewahrsein. In der Gelug-Tradition wird das Wort auch für das Gewahrsein benutzt, das ein Arya (tib. ’phags-pa) – jemand, der die Leerheit auf unbegriffliche Weise erkennt – hat; das ist eine zusätzliche Bedeutung des Wortes.

Die zwei Netzwerke (zwei Ansammlungen)

Wir haben auch darüber gesprochen, dass wir, um Erleuchtung – und jedes der spirituellen Ziele im Buddhismus – zu erlangen, zwei Netzwerke stärken und ausbauen müssen. Wir alle besitzen diese zwei Netzwerke in gewissem Ausmaße als Teil unserer Buddha-Natur; es ist nicht so, dass wir bei Null anfangen müssten. Aber wir müssen sie stärken und immer weiter ausbauen. Je nachdem, wofür sie gewidmet werden, können sie zum Aufbau von Samsara führen (indem wir keinerlei Widmung vornehmen und die Aktivität sich nur dahingehend auswirkt, dass Samsara besser für uns wird), oder zur Befreiung beitragen (indem wir sie der Befreiung widmen) oder zur Erleuchtung (indem wir die beiden Netzwerke dafür widmen, Erleuchtung zu erreichen). Auch hier ist wieder die Widmung von entscheidender Bedeutung.

Die beiden Netzwerke vernetzen sich miteinander, denn alles darin verbindet sich, wirkt zusammen und verstärkt sich gegenseitig. Und es wächst; es ist nicht so wie eine Briefmarkensammlung. Die Übersetzung für das eine Netzwerk lautet für gewöhnlich „Ansammlung von Verdienst“ (tib. bsod-nams-kyi tshogs, Skt. punyasambhara), aber es geht nicht um eine Punktesammlung, sondern „Verdienst“ bedeutet eigentlich positive Kraft; es ist also das Netzwerk positiver Kraft, das daraus entsteht, dass man konstruktiv handelt usw. Das andere ist das Netzwerk tiefen Gewahrseins (tib. ye-shes-kyi tshogs, Skt. jnanasambhara), das manchmal auch „Netzwerk der Weisheit“ genannt wird, aber es handelt sich hier um einen anderen Begriff als beim „ unterscheidenden Gewahrsein“, nämlich um tiefes Gewahrsein. Anderen zu helfen z.B. einfach so, ohne jede Widmung wird natürlich unser Samsara verbessern, aber wenn wir es nicht der Befreiung oder Erleuchtung widmen, wird es dazu nicht beitragen.

Zuordnung der weit reichenden Geisteshaltungen zu den zwei Netzwerken

Die allgemeine Mahayana-Darstellung, wie diese sechs weit reichenden Geisteshaltungen diesen beiden Netzwerken zugeordnet werden, beinhaltet ein bestimmtes Schema. Wenn die Unterteilung jedoch entsprechend der Prasangika-Schule vorgenommen wird, einer speziellen Abteilung des Mahayana, finden wir eine andere Art der Unterteilung. Um das zu verstehen, ist es hilfreich, sich klarzumachen: „Was ist denn der Zweck dieser Netzwerke? Was bewirken sie?“ Wie ich diese Woche schon erklärt habe, können sie auf vielerlei Art eingeteilt werden, aber man kann sie in Zusammenhang mit den so genannten Buddha-Körpern bringen - Körpern im Sinne von Korpus, denn auch sie sind eigentlich ein Netzwerk verschiedener Dinge und nicht nur ein Körper wie dieser unser Körper, sondern ein Geflecht von zahlreichen Komponenten. Es gibt den Dharmakaya (tib. chos-sku, alles umfassender Körper): das gesamte Netzwerk des allwissenden Geistes eines Buddha und die Leerheit dieses Geistes usw. Des Weiteren gibt es das „Netzwerk erleuchtender Formen“ (tib. gzugs-sku, Skt. Rupakaya, Körper der Formen), zu dem subtile Formen (Skt. Sambhogakaya, tib. longs-spyod rdzogs-pa’i sku, Körper vollen Gebrauchs) und grobe Formen (Skt. Nirmanakaya, tib. sprul-sku, Ausstrahlungskörper) gehören. Es gibt überaus viele Formen, in denen ein Buddha gleichzeitig erscheinen kann - Millionen von Formen -, deswegen sprechen wir von einem Netzwerk, denn es ist nicht nur ein Körper. Und ein Buddha erkennt alles gleichzeitig. Es geht nicht nur um eine Sache. Ein Netzwerk.

Was nun die beiden Erleuchtung bildenden Netzwerke betrifft, so sind sie, bezogen auf die Buddhaschaft, wie [bestimmte Arten von Ursachen]. Im Buddhismus spricht man von sechs verschiedenen Arten von Ursachen und allerlei verschiedenen Arten von Umständen. Enorm komplex. Eine Art von Ursachen ist, wenn wir sie mit einem Beispiel veranschaulichen wollen, mit dem Teig vergleichbar, aus dem man Brot macht. Sie ist die Substanz, die zu Brot wird; aber wenn man das Brot hat, hat man nicht mehr den Teig. Der Teig verwandelt sich gewissermaßen in Brot, wenn er gebacken wird.

Die Erleuchtung bildenden Netzwerke sind wie der Teig: Sie verwandeln sich, sie sind die Substanz, die sich im Falle des Netzwerks positiver Kraft in das Netzwerk erleuchtender Formen verwandelt, um anderen zu helfen. Tiefes Gewahrseins ist der Teig, der sich in das Netzwerk des Dharmakaya, des allwissenden Geistes eines Buddha verwandelt. Aber man braucht beide, um jedes der resultierenden Netzwerke zu verwirklichen. Sie müssen sich gegenseitig unterstützen. Man kann nicht nur auf eines hinarbeiten und nur eines von beiden erlangen. Beide müssen zusammenwirken.

Für jedes der beiden Resultate wirkt eines der Netzwerke als Teig. Für jedes der erleuchtenden Netzwerke eines Buddha wirkt eines der Erleuchtung bildenden Netzwerke als der Teig und das andere etwa so wie die Hitze im Ofen. Der Teig wird sich nicht einfach in Brot verwandeln ohne die Hitze des Ofens. Auf diese Weise unterstützen sie einander. Man braucht beide, um jeden der Körper eines Buddha zu erlangen - für jeden dieser Körper bzw. Netzwerke eines Buddha sind beide erforderlich.

Es gibt, wie gesagt, zwei Arten, die sechs weit reichenden Geisteshaltungen diesen zwei Erleuchtung bildenden Netzwerken zuzuordnen. Wir müssen nun diese beiden Darstellungen eine nach der anderen durchgehen, damit Sie das klar verstehen, und darauf werde ich Rücksicht nehmen. Zunächst werde ich die Aufstellung, welche der sechs Geisteshaltung zu welchem der beiden Erleuchtung bildenden Netzwerke bei trägt, entsprechend des allgemeinen Mahayana darstellen.

Demgemäß werden dem Erleuchtung bildenden Netzwerk positiver Kraft folgende der weit reichenden Geisteshaltungen zugeordnet: zuerst die Großzügigkeit und dann die ethische Selbstdisziplin. Geduld beinhaltet drei verschiedene Formen, und zwei davon tragen zum Netzwerk positiver Kraft bei, nämlich die Geduld, bei Schwierigkeiten mit anderen nicht ärgerlich zu werden, und die Geduld, sich nicht über die eigenen Probleme zu ärgern.

Und welche tragen zum Netzwerk tiefen Gewahrseins bei? Zunächst die weit reichende Geisteshaltung des unterscheidenden Gewahrseins und die weit reichende geistige Stabilität und zudem die dritte Art der Geduld, nämlich die Geduld, sich von Schwierigkeiten bei der Dharma-Praxis nicht entmutigen zu lassen.

Die weit reichende Geisteshaltung des positiven Enthusiasmus bzw. der freudigen Ausdauer trägt zu beiden Netzwerken bei und stärkt beide.

Im Kalachakra-System ist von drei Erleuchtung bildenden Netzwerken die Rede. Dabei ist das dritte das „Netzwerk der ethischen Disziplin“. In diesem Klassifikationsschema wird die ethische Disziplin - die gemäß der allgemeinen Mahayana-Darstellung zum Netzwerk positiver Kraft beiträgt - nun gesondert aufgeführt als etwas, das ein Netzwerk ethischer Disziplin aufbaut.

Weitere Details über die Zuordnung der weit reichenden Geisteshaltungen zu den zwei Netzwerken

Was die allgemeine Zuordnung der sechs weit reichenden Geisteshaltungen zu den zwei oder drei Netzwerken betrifft, so ist es jedenfalls nicht von Nutzen, einfach zu denken: „Ach, das ist bloß ein intellektuelles Schema; das ist nicht von Belang“, sondern wir können, wie gesagt, erkennen: „ Was wird sich in das verwandeln, was all diese Formen hat, sodass wir darauf beruhend als Buddha anderen wirklich helfen können?“ Folgendes: Großzügigkeit, indem man anderen im Speziellen wirklich hilft. Und wir brauchen die Disziplin, die darin besteht, anderen zu helfen und ihnen nicht zu schaden. Und Geduld, sodass wir nicht den Mut verlieren bei dem Versuch, anderen zu helfen, denn das ist nicht immer einfach; und während wir versuchen, anderen zu helfen, werden wir auch Geduld mit unseren eigenen Problemen und Unzulänglichkeiten brauchen – natürlich müssen wir daran arbeiten, aber wir dürfen nicht aufgeben. Diese Kombination ist es, die sich verwandeln und dazu führen wird, dass wir alle die Formen und Fähigkeiten haben werden, die ein Buddha hat, um anderen zu helfen.

Und was verwandelt sich in den Geist eines Buddha? Nun, wir brauchen natürlich das unterscheidende Gewahrsein. Wir brauchen geistige Beständigkeit, d.h. nicht nur Konzentration, sondern auch die Fähigkeit, uns nicht von dem Auf und Ab unserer Stimmungen und störenden Emotionen beeinträchtigen zu lassen. Wir brauchen Geduld, sodass wir uns nicht von den Schwierigkeiten bei der Ausübung von Dharma entmutigen lassen, insbesondere beim Meditieren und wenn wir versuchen, die so genannte Weisheit zu erlangen. Das ist es, was sich dahingehend verwandelt, dass man den Geist eines Buddha hat.

Ausdauer brauchen wir für beides. Ganz allgemein gesprochen bedeutet das: Wir müssen bei dem bleiben, was wir tun, , ohne aufzugeben, und tatsächlich Freude daran haben, sowohl anderen zu helfen als auch zu meditieren. Das trägt zu beidem bei: Zum Aufbau positiver Kraft, indem wir anderen helfen, und zum Aufbau tiefen Gewahrseins, indem wir meditieren. Natürlich trägt beides – sowohl anderen zu helfen als auch zu meditieren – dazu bei, positive Kraft und tiefes Gewahrsein zu entwickeln. Ich treffe hier nur eine ganz allgemeine Aussage, um die Sache einfacher zu machen.

Ganz gleich, was wir tun – es ist erforderlich, dabeizubleiben und nicht aufzugeben. Das ist Ausdauer. Und Freude daran haben, nicht die Einstellung hegen: „Bah, das ist schrecklich, ich verabscheue es, das zu tun, aber ich tue es trotzdem, weil ich mich dazu verpflichtet fühle oder mich schuldig fühlen würde, wenn ich es nicht täte.“ Es genießen. „Ich meditiere gern. Ich helfe gern anderen Menschen. Das bringt mir viel Freude.“ „Ich übersetze gern. Das macht mir großen Spaß. Es gibt nichts, was mich glücklicher macht.“

Ich habe den genauen Wortlaut vergessen, aber Shantideva sagte in etwa: „Ein Bodhisattva ist jemand, der nicht glücklich ist, ohne wirklich etwas zu tun, um anderen zu helfen bzw. anderen von Nutzen zu sein.“ Wenn man Freude an seiner Arbeit hat, wird man nicht glücklich sein, ohne sie zu tun. Es geht hier nicht darum, ein Workaholic im Büro zu werden, sondern darum, anderen zu helfen. Ohne tatsächlich etwas zu tun, das anderen von Nutzen ist, fühlen wir uns nicht recht glücklich. „ Ich möchte immer etwas tun, was anderen hilft. Das ist es, was mir am meisten Freude im Leben macht.“ Darum geht es bei der freudigen Ausdauer. Es spielt keine Rolle, was wir tun, um anderen zu helfen – sei es, dass wir uns um unsere Kinder kümmern, in einem Unternehmen arbeiten, das auf irgendeine Weise altruistisch orientiert ist, Dharma lehren oder was auch immer. Wir tun irgendetwas, wozu wir die Fähigkeit haben.

Nun zum Prasangika. Wenn ich vom Prasangika spreche, meine ich die Gelug-Tradition des Prasangika-Systems. Tsongkhapa war ein unglaublich bahnbrechender Denker und unfassbar mutig. Er untersuchte die indischen Texte sehr, sehr gründlich und stellte fest, dass die Prasangika-Texte tatsächlich einige ganz spezielle Erklärungen enthielten. So kristallisierte sich ein Prasangika-System gemäß der Gelug-Tradition heraus. Die früheren Systeme – Nyingma, Sakya und Kagyü - haben ein anderes Verständnis von dem Prasangika-Standpunkt. Dem Prasangika-System in der Gelug-Tradition entsprechend legt Tsongkhapa hier eine andere Art der Einteilung dieser sechs weit reichenden Geisteshaltungen dar. (Ich erwähne das, weil hier sowohl Leute aus einem Kagyü-Zentrum aus der Tradition der Drikung Kagyü als auch aus einem Gelug-Zentrum anwesend sind.) Tsongkhapa differenziert die sechs weit reichenden Geisteshaltungen anhand der zwei Wahrheiten. Das weit reichende unterscheidende Gewahrsein – und dabei geht es hier nicht um das unterscheidende Gewahrsein dessen, was konstruktiv und destruktiv im Hinblick auf Karma ist, sondern um das unterscheidende Gewahrsein in Bezug auf die tiefste Wahrheit, die Leerheit – trägt zum Netzwerk tiefen Gewahrseins bei, zur Transformation in den Geist eines Buddha. Alle anderen weit reichenden Geisteshaltungen einschließlich des unterscheidenden Gewahrseins in Bezug darauf, was hilfreich und was schädlich ist, tragen zum Netzwerk positiver Kraft bei, um die Formkörper eines Buddha zu entwickeln. Das ist nur eine andere Art der Einteilung, nämlich entsprechend den zwei Wahrheiten. Diese beiden unterschiedlichen Erklärungen werden Sie hören, und tatsächlich sind beide sehr hilfreich.

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