Kommentar zu „Acht Verse des Geistestrainings“ – Geshe Ngawang Dhargye

Hintergrund

Dieser Text wurde durch Geshe Langri Tangpa (Langtangpa) in acht Versen verfasst. Diese Lehre kann bis zu den Kadam-Meistern zurückverfolgt werden. Geshe Potowa, der als Wiedergeburt von Majushri gilt, übermittelte sie an Geshe Sharawa und dann Geshe Langri Tangpa. Diese beiden werden Sonne und Mond der Kadam Schüler genannt.

Es ist Tradition, kurz den Lebenslauf des Autors zu beschreiben, um in den Schülern Vertrauen zu erwecken und zu zeigen, dass die Quelle der Lehre stichhaltig ist, aber wir haben keine Zeit, die ganze Geschichte zu erzählen.

Es war Geshe Chekawa, der nach dieser Lehre suchte, Autor des TextesGeistestraining in sieben Punkten“. Als er einen Freund besuchte, sah er in einem kleinen Heftchen eine Zeile, die lautete: „Schenk den anderen deinen Verdienst und nimm die Last der anderen auf dich.“ Blitzartig erkannte er dessen Bedeutung für diese heruntergekommen Zeiten. Er fragte nach der Herkunft dieser Zeile und wurde in den Penbo-Bezirk geschickt, um Geshe Langtangpa aufzusuchen, der dies geschrieben hatte. Als er dort ankam, musste er feststellen, dass Geshe Langtangpa bereits gestorben war, und konnte daher keine mündliche Übermittlung dieser Lehre erhalten. Da er mit dem Zustand des dortigen Klosters unzufrieden war, ging er zu einem anderen Ort.

Er gelangte dann in ein Kloster, in dem Geshe Sharawa eine Lehrrede über einen Hinayana-Text namens „Shravakabhumi – Shravaka(Hörer)-Ebenen des Geistes“ gab. Die Lehrrede interessierte ihn nicht sonderlich. Er hatte gehofft, Worte des Mahayana zu hören, aber er hörte keine, deswegen war er enttäuscht. Nach dem Lehrvortrag begann Geshe Sharawa das Kloster zu umschreiten und Chekawa ging hin, um ihm dabei zu begegnen. Er nahm seinen klösterlichen Kissenbezug, legte ihn auf eine Plattform und bat Geshe Sharawa anzuhalten und zu lehren. Sharawa antwortete: „Ich habe die Zweifel meiner Schüler durch meine Lehrrede von meinem Thron herab gestillt. Warum werde ich nun hier an solch einem ungewöhnlichen Ort aufgehalten?“ Also erzählte ihm Chekawa von der Lehre, die ihn so sehr beeindruckt hatte, und bat ihn darum, mehr über sie hören zu dürfen. Sharawa hielt in der Rezitation seines Mantras inne, wand seine Gebetskette um sein Handgelenk und sagte „Ob dich diese Lehre nun beeindruckt oder nicht, es ist der einzige Weg, Erleuchtung zu erlangen.“ Chekawa fragte: „Warum hast du in deinem Lehrvortrag vorhin nichts aus den Mahayana-Lehren gesagt?“ Sharawa antwortete: „Was bringt es, meine Wörter an diejenigen zu vergeuden, die sie nicht in die Praxis umsetzen werden?“

Obwohl das Gespräch Chekawa beeindruckt hatte, fragte er nach weiteren Quellen dieser Lehre. Er wollte wissen, wo sie ihren Ursprung hat. Sharawa erwiderte: „Nagarjuna wird von allen Anhängern des Mahayanas als der Wegbereiter ihrer Tradition erkannt. Sie erkennen ihn alle an. Diese Lehre beruht auf seinem Vers „Nimm die Niederlage als deine an und überlasse den Sieg den anderen“ am Ende des Textes ‚Ratnavali (Kostbare Girlande)’.“ Darauf warf sich Chekawa nieder und sprach: „Bitte gib mir dazu Belehrungen.“ Sharawa stimmte dem zu. Als Chekawa nach Hause kam, las er im „Ratnavali“ und fand jenen Vers, wie Sharawa gesagt hatte. Chekawa verbrachte 14 Jahre bei Sharawa und wurde ein großer Bodhisattva, der immer an Bestattungsplätzen meditierte – jene Orte, an denen die Menschen die Leichname entsorgen, indem sie diese zerhacken und an die Geier verfüttern.

Die acht Verse

Die Schulung der Geisteshaltung (tib. lojong, Geistestraining) ist hilfreich, da sie uns dazu anregt, uns weiterzuentwickeln. Atisha lobte die Schulung der Geisteshaltung, indem er sagte, „Der Schulung der Geisteshaltung zu folgen und Achtung für alle Traditionen zu haben, nicht sektiererisch zu sein, sich die guten Elemente aller Schulen anzueignen – dies ist, wie man sich selbst verbessert.“ Wenn wir Erleuchtung erlangen möchten, müssen wir diese acht Punkte der Praxis kennen, da wir sonst verloren wären.

Der Text lautet:

(1) Möge ich stets alle begrenzten Wesen hoch schätzen, indem ich bedenke, dass sie viel wertvoller sind als Wunsch erfüllende Edelsteine, um das höchste Ziel zu erreichen.

Wunscherfüllende Juwelen können nur Wünsche in diesem Leben erfüllen, aber begrenzte Wesen (fühlende Wesen) wertzuschätzen, bringt Nutzen in diesem Leben und in der Zukunft. Dadurch, dass wir alle anderen begrenzten Wesen wertschätzen, können wir letztendlichen Gewinn für uns selbst und andere erreichen, das heißt, Erleuchtung erlangen.

Das eigene Erlangen der Erleuchtung beruht auf zwei Dingen – das Wohlwollen begrenzter Wesen und das Wohlwollen von spirituellen Lehrern. Die beiden sind gleichwertig. Ein Meister sagte, „Die Geisteshaltung der Menschen ist sehr dürftig. Sie ignorieren begrenzte Wesen und schenken den Gurus zu viel Aufmerksamkeit, aber das Wohlwollen beider ist gleichwertig.“ Geshe Chengawa sagte, „Als Menschen des Dharma sollten wir das Gegenteil von dem tun, was gewöhnliche Menschen machen, diese verehren berühmte Menschen und ignorieren unwichtige Menschen. Wir also sollten begrenzte Wesen mehr in Ehren halten als Buddhas.“

(2) Wann immer ich in Gesellschaft anderer bin, möge ich mich als den Geringsten von allen betrachten, und aus tiefstem Herzen andere für höher als mich selbst erachten.

Wenn wir uns diese Haltung zu eigen machen, dann verhindert sie von selbst, dass wir andere herabsetzen und auf sie herabsehen. Indem wir uns an ihre guten Eigenschaften erinnern, können wir eine positive Haltung des Mitgefühls gegenüber allen entwickeln, denen wir begegnen. Kadam-Meister setzen diese Lehre wirklich in die Praxis um:

Drom (Dromtönpa) reiste einmal zu einem Kloster, wo man ihm einen großen Empfang bereitete. Auf dem Weg dorthin traf er einen Mann, der von einer Puja kam und zu müde war, seine Schuhe zu tragen. Er erkannte Drom nicht, der sehr ärmlich gekleidet war, und deswegen bat er Drom, ob dieser nicht die Schuhe für ihn tragen könne. Drom empfing sie mit beiden Händen und meinte: „Aber sicher“, und lud sie auf seine Schulter. Beim Kloster wurde er von einer großen Prozession empfangen. Der Mann, der ihn gebeten hatte, seine Schuhe zu tragen, geriet dadurch so in Verlegenheit, dass er fortrannte.

Es gab einmal einen Mann, der ständig über den Dharma sprach. Als Drom vorbeiging, rief der Mann aus, „He du! Werfe dich vor mir nieder, dann werde ich dich belehren.“ Drom tat dies und lauschte seiner schwachen Dharma-Rede. Drom stellte immer wieder höflich Fragen und am Ende war es Drom, der mehr sprach als der Mann. Dem Mann kamen Bedenken und er sagte: „Vielleicht bist du Drom“. Drom sagte: „So nennen sie mich.“

Wir alle sorgen uns darum, dass andere unsere Qualitäten nicht kennen. Wir erstellen Lebensläufe und geben damit vor anderen an, bevor wir anfangen zu sprechen. Drom war niemals auf Außenwirkung bedacht. Er hatte einen Schatz von Erkenntnissen in sich, aber äußerlich war er sehr unauffällig. Er handelte entsprechend seines Ausspruchs: „Niedere Stellungen sind eine Stadt des Glücks; hohe Stellungen eine Stadt des Unglücks.“

(3) Möge ich in all meinem Verhalten den Fluss meines Geistes überprüfen und störenden Emotionen oder Vorstellungen, sobald sie auftauchen, mit aller Kraft entgegentreten und sie von mir weisen, weil sie mir und anderen nicht gerecht werden.

Was auch immer du machst - ob du sitzt, läufst oder schläfst –, beobachte dich selbst. Beobachte nicht die ganze Zeit die anderen. Beobachte dich selbst. Die Aufgabe eines wirklichen Menschen des Dharma ist, sich selbst zu beobachten, nicht andere. Aber bei anderen sind wir professionelle Detektive. Bei anderen finden wir immer Fehler. Es ist, als würden wir den Schein einer Taschenlampe dauernd auf die anderen richten, aber nicht auf uns selbst. Der Achte Dalai Lama sagte: „Wir suchen so sehr nach den Fehlern der anderen und verwenden so wenig Aufmerksamkeit auf unsere eigenen Fehler, dass da wenig Chancen sind, andere an einen höheren Ort zu führen.“ Wenn sich unsere Nachbarn streiten und wir schauen einfach nur zu und reden dann mit anderen darüber, werden wir keine große Hilfe für irgendjemanden sein. Jetzt ist der Zeitpunkt, um den Lichtstrahl auf uns selbst zu lenken und damit anzufangen, unsere eigenen Fehler wahrzunehmen.

Wenn wir störende Emotionen empfinden, brauchen wir den Dharma. Er ist das Gegenmittel dafür. Wenn wir den Dharma bei störenden Emotionen nicht nutzen, wann werden wir es sonst nutzen? Guntang Rinpoche sagte: „Du sollst kein Mensch des Dharma nur dem äußeren Erscheinen nach sein, so wie ein Mensch, der in Übereinstimmung mit dem Dharma handelt, wenn er satt gegessen ist, sich aber in schwierigen Situationen schlimmer verhält als jeder normale Mensch.“

(4) Wenn ich ein Wesen sehe, das instinktiv böse handelt, überwältigt von Lastern und heftigem Leid, möge ich es für so wertvoll halten, als sei ich auf einen schwer zu findenden, kostbaren Schatz gestoßen.

Es ist eine seltene Chance, in der Lage zu sein, jemanden helfen zu können, daher sollten wir uns davon nicht zurückziehen, sondern diese Gelegenheit wie eine Kostbarkeit schätzen. Diejenigen, denen man etwas geben kann und mit denen man Geduld üben kann, sollten wie Objekte der Zuflucht behandelt werden.

(5) Wenn andere mich aus Neid ungerecht behandeln, beschimpfen, verleumden und dergleichen, möge ich Niederlagen akzeptieren und den Sieg anderen überlassen.

Objekte für Geduld sind seltener als solche, denen man etwas geben kann. Es gibt zahlreiche Bettler in der Welt; aber damit jemand dir etwas Böses tut und zu einem Objekt für Geduld wird, musst du ihm erstmal etwas Böses tun. Wenn sich also jemand freiwillig als ein Objekt für Geduld anbietet, sollte man sich die Gelegenheit, geduldig mit ihm zu sein, nicht entgehen lassen. Shantideva rät in seinem Text „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“:

(VI.106) Almosen-Suchende gibt es viele in diesem Leben, aber rar sind jene, die (mir) Leid zufügen, weil mir niemand Leid zufügen wird, dem ich nicht (in vorherigen Leben) geschadet habe.
(VI.107) Daher sollte ich mich über einen Feind freuen, der wie eine Kostbarkeit plötzlich in meinem Haus aufgetaucht ist und der ohne Anstrengung in meinen Besitz gelangt ist, – denn er wird mein Helfer für mein Bodhisattva-Verhalten.

Sei also nicht ungeduldig, wenn du kritisiert wirst. Dies hilft, deine eigenen Fehler zu sehen. Wann immer wir gelobt werden, werden unsere Fehler verdeckt und wir können Überheblichkeit entwickeln. Kritik lässt dich darüber nachdenken, was du falsch gemacht hast, und dann kannst du deine eigenen Fehler korrigieren.

Geshe Langtangpa sagte in einem anderen Werk: „Alle Fehler, die in den Lehren des Mahayana beschrieben werden, sind meine eigenen, alle guten Eigenschaften gehören anderen.“ Spätere Meister sagten, dies zeigte sein volles Verständnis der Übung des Austauschens von Selbst und Anderen.

Die Kadam-Meister sagen, dass Bodhisattvas sowohl mit Lob als auch mit Kritik so umgehen, als seien sie Echos. Wenn sie gelobt werden, erkennen sie, dass andere ihnen genauso gut Vorwürfe machen könnten und umgekehrt. Deshalb sind Bodhisattvas sehr stabil und führen ein ausgeglichenes Leben – sie sind nicht allzu begeistert wenn sie gelobt und nicht niedergeschlagen, wenn ihnen etwas vorgeworfen wird. Deswegen wird „Schulung der Geisteshaltungen“ auch „Stadt der Befreiung“ genannt.

(6) Selbst wenn jemand, dem ich geholfen habe und in den ich große Erwartungen setze, mir völlig unberechtigt schaden würde, möge ich sie oder ihn als vortrefflichen Lehrer ansehen.

Menschen, zu denen man freundlich war und die im Gegenzug gehässig zu einem sind, gelten als Lehrer für Ursache und Wirkung. Wir haben ihnen in der Vergangenheit etwas Böses angetan, deswegen ist ihre Gehässigkeit ein Ergebnis unserer vorherigen, auf sie gerichteten destruktiven Handlungen. Deswegen müssen wir uns selbst versprechen, immer den Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu erkennen. Versprich dir auch, dass ganz gleich, welche Reaktionen Menschen in Bezug auf unsere Handlungen zeigen, wir uns weder entmutigen lassen, noch ärgerlich werden; wir werden eher noch mehr Gutes für andere tun. Wenn irgendetwas geschieht, denk niemals (nur) an die Spanne dieses Lebens. Untersuche, was wir in der Vergangenheit getan haben, damit dies zustande kam, und nicht nur, was wir jetzt getan haben, um dies zu verdienen. Sei dankbar, dass die Folgen nicht noch schlimmer sind, in Anbetracht all der negativen Dinge, die wir in der Vergangenheit getan haben.

Die spirituellen Meister sagen, dass wir uns niemals durch die destruktiven Dinge, die wir in der Vergangenheit getan haben, entmutigen lassen sollen. Auch wenn jemand anderer in der Vergangenheit böse war und sich nun gebessert hat - wenn wir dann auf seinen negativen Handlungen herumreiten, zeigt dies, dass wir kein Vertrauen zum Dharma und dessen Kraft zur Verbesserung haben. Deswegen urteile nicht in Bezug auf die Vergangenheit, sondern hinsichtlich der Gegenwart.

Ganz gleich, was wir an Gutem tun, es sollte niemals davon motiviert sein, irgendeine Gegenleistung zu erhalten. Vielmehr betrachten wir jene Menschen wie spirituelle Meister, die uns etwas über die Fehler der Selbstbezogenheit (sich nur um das eigene Wohl zu kümmern) lehren und unsere selbstsüchtige Art dadurch aufdecken, wie wir uns fühlen, wenn wir keine positive Reaktion auf das Guten erhalten, das wir tun. Wie in dem Text „Das Rad der scharfen Waffen“ gesagt wird: Nimm diese Lehren an, um deine eigene Natur zu untersuchen und den Mut zu entwickeln, weiter auf eine selbstlose Weise zu praktizieren.

Die Kadam-Meister sagen, dass es viele mögliche Wege gibt, wie Menschen dein Guru sein können. Weder müssen sie irgendetwas sagen, noch ein ordinierter Mönch in einem Kloster und so etwas sein. Selbst Krankheit und unliebsame Umstände können für uns spirituelle Meister sein, die uns Folgendes lehren: Wenn wir nicht leiden wollen, müssen wir uns auf konstruktive Weise verhalten.

(7) Kurz gesagt, möge ich all meinen Müttern, alles zukommen lassen, was ihnen nützt und sie glücklich macht, sei es direkt oder indirekt, und möge ich insgeheim all ihre Schwierigkeiten und ihr Leid übernehmen.

Dies bezieht sich auf die wichtige Bodhisattva -Übung des Gebens und Nehmens (tib. tonglen) und des Austauschs von [der Einstellung zu sich] selbst und anderen. Welche Übung auch immer wir praktizieren, es sollte nicht für den äußeren Schein sein. Wir sollten sie aufrichtig, mit einer von Herzen kommenden Motivation des Mitgefühls, machen. Zum Beispiel: Gib nicht einem Bettler etwas zu essen, damit andere sehen, wie mitfühlend du bist.

Bis zu dieser Stelle enthält der Text eine Schulung der Geisteshaltungen aus Sicht des konventionellen Bodhichittas. Beim nächsten Vers geht es um die Schulung der Geisteshaltung in Bezug auf das tiefste Bodhichitta. Zuerst konventionelles Bodhichittas und darauf folgend tiefstes Bodhichitta zu entwickeln ist für Menschen wie uns, mit geringer Intelligenz, gedacht. Für diejenigen mit schärferem Verstand kann tiefstes Bodhichitta zuerst gelehrt werden.

(8) Möge ich während all dessen unbeeinträchtigt von den Makeln der Gedanken an die acht flüchtigen, weltlichen Belange sein. Möge ich in dem Wissen, dass alle Phänomene gleich Illusionen sind, nicht daran hängen und mich von allen Fesseln befreien.

Die Übungen der vorangegangenen Verse sollten niemals auf äußerliche Weise, gemischt mit Sorge um die acht vergänglichen Belange des Lebens ausgeführt werden. Dies wird als ein Zeichen der Unreife beschrieben und gleicht dem Verhalten von Kindern.

Nagarjunas Text „Suhṛllekha“ (Brief an einen Freund) zählt die acht vergänglichen Angelegenheiten des Lebens auf – Gewinne oder Verluste, Angelegenheiten, die gut oder schlecht laufen, Lob oder Kritik, Hören guter und schlechter Neuigkeiten. Es kann schwer sein, die acht vergänglichen Angelegenheiten im Leben zu erkennen. Sie treten in drei Abstufungen auf – schwarz, weiß und gemischt. Schwarz ist, wenn die betreffenden aufgrund von Anhaften an das Glück dieses Lebens zusammen mit einer selbstsüchtigen Einstellung und dem Greifen nach einem wahrhaft existenten Ich auftreten. Gemischt ist es, wenn sie ohne ein solches Anhaften, aber dennoch mit den beiden anderen Motive auftreten. Weiß ist, wenn sie weder mit Anhaften an das Glück dieses Lebens noch mit Selbstbezogenheit auftreten, sondern lediglich noch mit dem Greifen nach einem wahrhaft existenten Selbst.

Egal, ob wir der aktive oder der empfangende Beteiligte einer dieser acht Angelegenheiten sind: Normalerweise überreagieren wir und geraten aus dem Gleichgewicht, regen uns auf, fühlen uns niedergeschlagen oder unwohl. Die acht vergänglichen Angelegenheiten des Lebens aufzugeben bedeutet das Sorgen um diese acht Angelegenheiten aufgeben; nicht jedoch, unsere Eltern, Frau, Kinder, Heim und so weiter aufzugeben. Es geht nicht darum, zu versuchen, vor unserem Alltag und unseren Aufgaben zu fliehen. Es gibt Lehren darüber, diese entgegengesetzten Gefühle auf ausgewogenen Weise ins Gleichgewicht zu bringen, in der Drugpa Kagyü-Tradition der sogenannten sechs Bereiche mit gleichem Geschmack.

Als Milarepa einmal in einer Höhle meditierte, sah er, dass sie undicht war, und versuchte, die Löcher abzudichten und die Höhle komfortabel zu machen. Da erkannte er, dass die Sorge um die acht vergänglichen Angelegenheiten des Lebens ihm bis in seine Höhle gefolgt war.

Ein Kind erkrankte und die Mutter befragte einen Astrologen, um herauszufinden, was zu tun sei. Sie erfuhr: Die einzige Möglichkeit, das Kind zu retten, war, es zu einem Lama zu bringen und diesen dazu zu bewegen zu sagen, das Kind wäre seines. Während er eine Lehrrede vor tausenden Schülern hielt, überreichte die Mutter das Kind an Geshe Langtangpa und sagte, „Hier, es ist deines“. Glücklich nahm er es an und sagte: „Für all meine Leben bist du mein Kind.“ Die eine Hälfte seiner Schüler verlor den Glauben an ihn und meinte, er habe das Kind gezeugt. Die übrigen blieben. Am Ende der Lehrrede brachte die Frau ihm Gaben dar und entschuldigte sich und er gab ihr das Kind zurück. Er war in vollkommen ausgeglichener Verfassung. Der Glaube derjenigen Hälfte seiner Schüler, die geblieben war blieb gleich – vollkommen im Gleichgewicht. Aber wir wären nicht in der Lage gewesen, dies zu ertragen; wir hätten eine große Szene gemacht und versucht, unsere Unschuld zu beweisen. Aber für Geshe Langtangpa machte das keinen Unterschied. Wenn wir unsere innere Reinheit aufrechterhalten, brauchen wir nicht zu versuchen, die Menschen mit unserer äußeren Reinheit zu beeindrucken – sich wie ein Scharlatan heilig zu geben oder zu versuchen, uns selbst vor der Welt zu verstecken.

Wie man Geduld entwickelt, um diese Lehren zu praktizieren

Der Inhalt aller Sutra- und Tantra-Lehren lässt sich gliedern in entweder a) begrenzten Wesen Nutzen zu bringen oder b) zu verhindern oder uns davon zurückzuhalten, anderen Schaden zuzufügen. Um dies tun zu können, ist die Übung von Geduld nötig. Wenn wir nicht Geduld üben, haben wir das Gefühl, dass wir uns für das Leid, das wir durch andere erleben, wiederum revanchieren müssen, und deshalb können wir ihnen nicht nutzen. Wenn wir andere im Gegenzug wiederum verletzen, kann es geschehen, dass wir vergessen, wie das alles angefangen hat – es entsteht ein endloser Kreislauf der Rache. Der Weg, den Kreislauf der Rache zu beenden ist, ist, ihn gleich auf der Stelle zu beenden, wenn wir von anderen verletzt werden. Dafür ist es nötig, sich an die vier Methoden der Übung von Geduld zu halten, die in den traditionellen mündlichen Lehren gegeben werden: zielgerechte Geduld, die Geduld der Liebe und des Mitgefühls, die Geduld von Lehrer und Schüler und die Geduld der Ebene der Leerheit.

Zielgerechte Geduld

Wenn wir zum Ziel für Unrecht, Kritik und so weiter werden, dann hat das seinen Grund in destruktiven Handlungen in unserer Vergangenheit. Hätten wir in einem vorangegangen Leben keine Zielscheibe für destruktive Handlungen aufgebaut, hätte niemand in diesem Leben darauf geschossen. Also immer wenn wir Kritik erfahren, sollten wir, anstatt ärgerlich zu werden, über unser gegenwärtiges und unsere vergangen Leben nachdenken und was wir möglicherweise getan haben, um derartige Kritik zu erfahren. Ein indischer Mahasiddha sagte: „Wenn wir unsere Gegenmittel nicht nutzen, wenn wir sie brauchen, was ist dann ihr Sinn?“

Die Geduld der Liebe und des Mitgefühls

Wenn jemand böse auf dich ist, betrachte ihn als geistig gestört und unter dem Einfluss seiner eigenen Verblendungen – er hat nicht wirklich die Absicht, dir zu schaden. Und denke daran, dass du ebenfalls verblendet bist. Wenn ein Verrückter dich jagt, dich anschreit und dich misshandelt und wenn du dann mit Wut reagierst, dann bist du selbst auch verrückt.

Natürlich gibt es dauerhaftere Formen der Verrücktheit wie Geisteskrankheit und Geistesschwäche, aber ein vorübergehender Wutausbruch ist wie ein Blitz von Verrücktheit. Bei einer wütenden Person geht alles wie Kraut und Rüben durcheinander – sie können ihren innig geliebten Besitz zerschlagen; sie können den Wert des Lebens vergessen und dann andere töten oder sogar sich selbst. Deswegen müssen wir ihnen mit Liebe und Mitgefühl begegnen, so als wären sie verrückt.

Die Geduld von Lehrer und Schüler

Ohne Lehrer kann ein Schüler nichts lernen. Wenn sich niemand so verhält, dass er ein Objekt der Geduld für uns ist kann, können wir auch keine Geduld entwickeln.

Shantideva rät, wir sollten unseren Feinden Gaben darbringen. Im „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ betont er, dass ein Objekt der Geduld seltener sei als ein Empfänger für Großzügigkeit. Die Welt ist voller Bettler, aber damit jemand zum Objekt für Geduld werden kann, müssen wir ihm erst etwas antun.

Die Geduld der Ebene der Leerheit

Meditiere darüber, dass es keine durch sich selbst begründete Existenz von Ärger, Geduld und so weiter gibt. Es gibt kein wahrhaft existentes Objekt, welches verursacht, dass man Leid bewirkt oder Leid erfährt, oder welche Ärger verursacht oder dass man geärgert wird – so ist das. Sag dir: „Alle diese Feinde erscheinen mir aufgrund meiner eigenen Unwissenheit, Verblendung und meines Greifens nach wahrhafter Existenz. Buddhas und Bodhisattvas haben niemals Feinde. Ich habe welche aufgrund meiner Verblendung.“ Erkenne ihre leere Natur. Erkenne sie ohne Verblendungen.

In anderen Texten wird gesagt, man solle Feinde und Schaden so behandeln, als wären sie ein Traum. Wenn wir träumen, fühlt sich alles real an, aber wenn wir aufwachen, erkennen wir, dass nichts geschehen ist.

Natürlich werden wir ärgerlich, aber wir können zumindest versuchen, die Dauer unseres Ärgers zu verkürzen und nicht für lange Zeit zu grollen. Shantideva sagt, es gebe keine negative Kraft, die so ernst zu nehmen sei wie Ärger und keine bessere Askese-Praxis als die der Geduld. Ärger ist sehr viel schlimmer als Anhaften. Anhaften beinhaltet keine Gewalt und befindet sich im Innern von jemandem. Ärger jedoch ist gewalttätig, er beeinträchtigt einen selbst und andere, wirkt zerstörend auf das Umfeld und so weiter. Einer der Hauptgründe für destruktives Handeln ist, dass wir immer ärgerlich werden. Wenn wir uns ärgern, schmeckt selbst das leckerste Essen nicht mehr. Wenn wir uns ärgern, sehen wir hässlich aus, ganz gleich, wie viel Makeup, Schmuck und hübsche Kleider wir tragen – unser Gesicht verändert seine Farbe und so weiter. Für einen Bodhisattva ist die Übertretung seiner Gelübde durch auch nur geringen Ärger viel schlimmer, als würde er sie hundert Mal aufgrund von Anhaftung übertreten.

Die Bedeutung einer ununterbrochenen Überlieferung

Damit schließt diese Erklärung, die aus einer ununterbrochene Überlieferungslinie stammt. Es ist sehr wichtig, diese Linie unverfälscht aufrechtzuerhalten. Es ist eine Linie der Inspiration, die direkt auf den Buddha zurückgeht. Es gibt einen Witz über einen Lama, der während einer Erklärung sagte, „Ich habe niemals die mündliche Überlieferung vermittelt bekommen, aber nun habe ich sie an euch weitergegeben.“

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