Einführung
Wenn wir einen ersten Blick auf den Buddhismus werfen, ist es sinnvoll, zunächst die vier edlen Wahrheiten zu betrachten. Das ist auch insofern angemessen, als dies das erste Thema war, mit dem der Buddha zu lehren begann. Zu Buddhas Lebzeiten gab es bereits eine Vielzahl religiöser und philosophischer Systeme, und heutzutage sehen wir uns einer noch größeren Spannweite spiritueller Lehren gegenüber. Wenn wir uns mit dem Buddhismus befassen, ist es wichtig, die Besonderheiten herauszufinden, die dieser Ansatz bietet. Natürlich hat der Buddhismus viele Lehren mit anderen Religionen gemeinsam, z.B. dahingehend, dass man versucht, ein gütiger, liebevoller Mensch zu sein, anderen nicht zu schaden usw. Diese Aspekte finden wir in fast jeder Religion und Philosophie, und um sich mit ihnen zu befassen, braucht man sich nicht unbedingt speziell dem Buddhismus zuzuwenden, obwohl der Buddhismus eine reichhaltige Vielzahl an Methoden zur Entwicklung von Güte, Liebe und Mitgefühl bereithält. Diese Methoden können uns von Nutzen sein, ungeachtet dessen, ob wir irgendwelche anderen Inhalte der buddhistischen Lehren akzeptieren oder nicht.
Wenn wir jedoch herausfinden möchten, was das Besondere am Buddhismus ist, müssen wir die vier edlen Wahrheiten betrachten. Und selbst darin werden wir Vieles finden, was der Buddhismus mit anderen Systemen gemeinsam hat.
Der Ausdruck „edle Wahrheit“ ist eigentlich eine recht seltsame Übersetzung. Das Wort „edel“ mag an mittelalterlichen Adel erinnern; tatsächlich aber bezieht sich das Wort auf spirituell sehr weit fortgeschrittene Menschen. Die vier edlen Wahrheiten sind Tatsachen, die von denjenigen als wahr erkannt werden, welche die Realität auf eine Art und Weise sehen, die unbeeinträchtigt von Begriffen ist. Obwohl diese vier Tatsachen wahr sind, verstehen die meisten Menschen sie nicht, und die Mehrheit ist sich ihrer nicht einmal bewusst.
Die erste edle Wahrheit
Die erste edle Wahrheit wird normalerweise „Leiden“ genannt. Buddha hob hervor, dass unser Leben voller Leiden ist und dass sogar das, was wir gewöhnlich für Glück halten, mit einer ganzen Reihe von Problemen einhergeht. Das Wort, das hier als „Leiden“ übersetzt wird, lautet auf Sanskrit „duhkha“. Man spricht von „sukha“, Glück, und „duhkha“, Unglücklichsein. Linguistisch betrachtet, bedeutet „kha“ Raum, und „duh“ ist eine Art Vorsilbe mit der Bedeutung, dass etwas unbefriedigend und unangenehm ist. Wir verwenden besser keine urteilenden Wörter wie „schlecht“, aber die Bedeutung dieses Begriffs geht in diese Richtung. Das Wort „Duhkha“ beinhaltet, dass etwas mit diesem Raum nicht stimmt, und bezieht sich dabei auf unseren geistigen Raum sowie auf den Raum unseres Lebens im Allgemeinen; es bedeutet, dass es sich um eine unangenehme Situation handelt.
Was ist das Unangenehme daran? Zunächst einmal die Tatsache, dass wir offensichtliches Leid erleben, z.B. Schmerz, Unglücklichsein und Traurigkeit. Das ist etwas, was wir alle kennen, und jeder, sogar Tiere, möchte es vermeiden. In dieser Hinsicht unterscheidet der Buddhismus sich nicht von anderen Systemen, in denen darauf hingewiesen wird, dass Schmerz und Unglücklichsein eine unangenehme Situation kennzeichnen, die man tunlichst verlassen sollte. Die zweite Art des Leidens wird „Leiden der Veränderung“ genannt. Dabei geht es um unser gewöhnliches, alltägliches Glück. Was ist an dieser Art von Glück auszusetzen? Das Problem besteht darin, dass es nicht anhält; es ändert sich ständig. Wenn das, was wir normalerweise für Glück halten, wirklich wahres Glück wäre, dann müsste es so sein, dass wir, je mehr wir davon genießen, immer glücklicher würden. Wenn wir z.B. das Glück betrachten, das der Genuss von Schokolade uns verschaffen kann, so müssten wir, je mehr wir davon essen, und sei es stundenlang, dadurch immer glücklicher werden. Doch wir wissen selbst, dass das offensichtlich nicht der Fall ist. Oder stellen wir uns vor, der Mensch, den wir lieben, würde unsere Hand streicheln – stundenlang. Das angenehme Gefühl würde bald in Schmerz übergehen oder sich zumindest recht seltsam anfühlen. Dadurch wird die einfache Tatsache ersichtlich, dass gewöhnliches Glück der Veränderung unterliegt. Und wir bekommen natürlich nie genug, sind nie dauerhaft zufrieden. Wir wollen immer mehr Schokolade, vielleicht nicht sofort, aber schon bald wieder.
Eine interessante Überlegung ist: Wieviel von unserer Lieblingsspeise müssen wir essen, um sie zu genießen? Ein kleiner Bissen müsste dafür reichen, aber tatsächlich wollen wir immer mehr und mehr. Der Wunsch, dieses Problem des gewöhnlichen weltlichen Glücks zu überwinden, ist jedoch ebenfalls kein ausschließlich buddhistisches Ziel. Es gibt viele Religionen, in denen gelehrt wird, über weltliches Vergnügen hinauszugehen, um in einer Art Paradies ewige Glückseligkeit zu finden.
Die dritte Art des Leidens wird jedoch speziell im Buddhismus aufgezeigt; sie wird als „das alles durchdringende Leiden“ bezeichnet. Man könnte sie auch das alles durchdringende Problem nennen. Dieses Leiden erstreckt sich auf alles, was wir erleben. Es bezieht sich darauf, dass wir keine Macht darüber haben, wie und ob wir Geburt annehmen, und das ist die Grundlage für all das Auf und Ab in unserem Leben. Mit anderen Worten: Immer wieder und wieder mit Geisteszuständen und Körpern wie den unseren geboren zu werden ist die Grundlage für die beiden erstgenannten Arten des Leidens. Hiermit wird das Thema der Wiedergeburt angesprochen, über das wir später noch mehr erfahren werden.
Es gibt natürlich noch viele andere indische philosophische Systeme, in denen Wiedergeburt gelehrt wird; auch das war also nichts Neues, das im Buddhismus gelehrt wurde. Buddha verstand und beschrieb jedoch den Mechanismus der Wiedergeburt auf erheblich tiefer gehende Weise als jede andere Philosophie oder Religion jener Zeit ihn erklären konnte. Er gab eine sehr tiefgründige Erklärung dafür, wie es zu solcher Art von Wiedergeburt kommt und dass der Körper und Geist dieses Auf und Ab bzw. diesen ständigen Wechsel von Schmerz und gewöhnlichem Glück erfährt.
Die zweite edle Wahrheit
Die zweite edle Wahrheit befasst sich mit der wahren Ursache für all das Unglücklichsein, das wir erleben. Wir brauchen in diesem Zusammenhang das Thema wie Wiedergeburt nicht mit heranzuziehen; wir können stattdessen einfach versuchen zu verstehen, was Buddha auf einfache und logische Weise erklärte. Wir sprechen davon, dass Leiden und gewöhnliches Glück aus Ursachen entstehen, und Buddha ging es um die „wahren Ursachen“. Wir könnten z.B. denken, dass Glück und Schmerz uns als eine Art Belohnung oder Strafe zukommen oder dergleichen. Buddha hingegen sprach davon, dass die wahre Ursache destruktives und konstruktives Verhalten sei.
Was ist mit destruktivem Verhalten gemeint? Geht es nur um etwas, das Schaden bewirkt? Wenn von Schaden die Rede ist, kann es sich um Schaden für andere oder für uns selbst handeln. Im Grunde ist es sehr schwierig, zu wissen, welche Folgen unser Verhalten für andere haben kann, und ob es sich schädlich oder nützlich auf sie auswirkt. Es kann z.B. sein, dass wir jemandem einen großen Geldbetrag geben und dieser Mensch dann überfallen und umgebracht wird, weil jemand anders das Geld rauben will. Unser Ziel mag sein, jemandem zu helfen, aber es gibt keine Garantie dafür, dass es sich tatsächlich zu seinem Nutzen auswirkt. Was mit Sicherheit festgestellt werden kann, sind jedoch die Verhaltensweisen, die sich destruktiv auf uns selbst auswirken. Das ist es, was Buddha mit destruktivem Verhalten meinte: Verhalten, das selbstzerstörerisch wirkt.
Dieses Verhalten wiederum ist dadurch bedingt, dass man unter dem Einfluss von störenden Emotionen handelt, spricht oder denkt. Störende Emotionen sind schlicht und einfach etwas, das stört: Sie bewirken, dass wir den inneren Frieden verlieren und uns nicht beherrschen können. Sie umfassen Ärger, Gier, Anhaftung, Eifersucht, Arroganz, Naivität – die Liste lässt sich beliebig erweitern. Wenn unser Denken in einer dieser Emotionen verfangen ist und wir dann unter ihrem Einfluss sprechen oder handeln, führt das für uns zu unglücklichen Zuständen. Nicht unbedingt gleich, aber langfristig wird dadurch Unglück verursacht, denn es wird eine Tendenz aufgebaut, diese Verhaltensweise fortzusetzen.
Konstruktives Verhalten hingegen ist Verhalten, das nicht unter dem Einfluss solcher störenden Emotionen entsteht; es kann überdies von positiven Emotionen wie beispielsweise Liebe, Mitgefühl oder Geduld motiviert sein.
Sich konstruktiv zu verhalten führt zu Glück. Der Geist ist dann ruhiger und wir sind allgemein gelassener. Es fällt uns leichter, uns zu beherrschen, und wir verhalten uns nicht auf törichte Weise oder sagen Dinge, die zu Problemen führen. Auch die Wirkung dessen muss nicht sofort eintreten, doch langfristig bewirkt solches Verhalten Glück. Allerdings liegt ihm dennoch eine gewisse Naivität in Bezug darauf zugrunde, wie wir existieren, wie andere existieren und in Bezug auf die Realität überhaupt.
Unser gewöhnliches Glück und Unglücklichsein sind keine Belohnungen oder Strafen, die von irgendeiner äußeren richterlichen Instanz erteilt werden. Glück und Unglücklichsein folgen Gesetzmäßigkeiten, die beinahe physikalischen Gesetzen gleichen. Was liegt diesen Zuständen zugrunde? Die Grundlage dafür ist unsere Verwirrung, insbesondere in Bezug auf uns selbst. Wir denken, wir seien das Wichtigste überhaupt und alles sollte nach unserem Willen gehen. Wir möchten im Supermarkt die ersten in der Schlange sein: „Ich sollte zuerst dran kommen.“ Wir sind eifrig darauf bedacht, nach vorn zu kommen, und ärgern uns über diejenigen, die vor uns dran sind. Wir werden ungeduldig, weil die Person vor uns so umständlich ist und so lange braucht, und unser Geist füllt sich mit allen möglichen missgünstigen Gedanken über sie. Und selbst, wenn wir uns konstruktiv verhalten, liegt diesem Verhalten eine Menge Verwirrung in Bezug auf „mich“ zugrunde. Wir helfen anderen z.B., weil wir möchten, dass sie uns mögen oder dass sie sich revanchieren, indem sie etwas für uns tun, oder weil es uns das Gefühl gibt, dass wir gebraucht werden. Das Allermindeste, was wir erwarten, ist doch wohl ein Dankeschön!
Obwohl es uns ein Gefühl von Glück verschaffen kann, anderen auf diese Art zu helfen, ist es unterschwellig nicht so recht angenehm. Diese Art von Glück, das wir vielleicht erleben, hält nie an. Sie verwandelt sich in etwas Unbefriedigendes. Das geht das ganze Leben immer so weiter und setzt sich, vom buddhistischen Standpunkt aus gesehen, auch in zukünftigen Leben fort.
Bei genauerer Betrachtung lässt sich feststellen, dass wir in Bezug auf alles verwirrt sind - etwa, wenn wir jemanden so sehr lieben, dass wir seine guten Eigenschaften total übertreiben, oder wenn wir eine solche Abneigung gegen jemanden hegen, dass wir seine negativen Eigenschaften übertreiben und gar nicht imstande sind, irgendetwas Gutes an ihm zu finden. Je mehr wir die Zusammenhänge untersuchen, umso mehr entdecken wir, dass allem, was wir erleben, Verwirrung zugrunde liegt.
Wenn wir noch tiefer gehen, können wir erkennen, dass die Grundlage dafür unsere eigenen Begrenzungen sind. Mit dieser Art von Körper und Geist, die wir haben, sind Beschränkungen verbunden. Wenn wir die Augen schließen, ist es so, als gäbe es den Rest der Welt nicht, sondern nur uns selbst. Es scheint, als gäbe es ein Ich in mir, eine Art Stimme im Kopf, die „ich“ zu sein scheint. Es ist diejenige, die sich immer Sorgen macht. Uns scheint, dass diese Stimme in unserem Kopf etwas Besonderes und Einzigartiges ist und unabhängig von allem anderen existiert, denn wenn wir die Augen schließen, ist außer „mir“ nichts da.
Das ist eine sehr verwirrte Sichtweise, denn natürlich existieren wir nicht unabhängig von allem anderen, und im Grunde gibt es nichts übermäßig Besonderes an irgendjemanden. Wir alle sind Menschen. Stellen Sie sich hunderttausend Pinguine vor, die in der kalten Antarktis eng beieinander stehen - was macht da den einen mehr besonders als den anderen? Im Grunde sind sie gleich. Und wir auch. Für Pinguine sehen Menschen vermutlich alle gleich aus. Aufgrund der Sichtweise, etwas Besonderes und unabhängig von allen anderen zu sein, meinen wir jedoch, dass alles nach unserem Willen gehen sollte, und werden ärgerlich, wenn das nicht der Fall ist.
Die Hardware - die physische Ausstattung von Körper und Geist - begünstigt diese Art von Verwirrung. So seltsam es auch scheint - wir sehen die Welt hauptsächlich durch zwei Öffnungen an der Vorderseite unseres Kopfes. Wir sehen nicht, was sich hinter uns befindet, und sehen nur, was gegenwärtig vorhanden ist; wir können nicht sehen, was dem voranging oder nachfolgt. Das ist eine ziemlich eingeschränkte Wahrnehmung. Und wenn wir älter werden und nicht mehr so gut hören, kann es öfter vorkommen, dass jemand etwas sagt und wir es nicht richtig verstehen, vielmehr meinen, er hätte etwas anderes gesagt, und ärgerlich werden. Wenn man über all das genauer nachdenkt, wirkt es eigentlich ziemlich lächerlich.
Das alles durchdringende Problem besteht darin, dass wir immer weitere Wiedergeburten mit dieser Art von Körper und Geist annehmen, welche die Verwirrung fortsetzen. Aufgrund dieser Verwirrung handeln wir destruktiv oder bestenfalls auf gewöhnliche Weise konstruktiv, und all das führt zu den Zuständen von Unglücklichsein oder gewöhnlichen Glück, die wir erleben.
Wenn wir das Ganze noch tiefer gehend betrachten, wird es kompliziert, aber darauf brauchen wir jetzt nicht näher ein zu gehen. Jedenfalls ist es die Verwirrung selbst, die uns zu diesen immer wieder stattfindenen Wiedergeburten treibt, über die wir keine Macht haben. Diese Verwirrung bzw. dieses mangelnde Gewahrsein wird oft als „Unwissenheit“ (engl. „ignorance“) übersetzt. Ich verwende dieses Wort im Englischen nicht gerne, weil es so klingt, als wären wir dumm - aber das entspricht nicht der Bedeutung des Begriffs, um den es hier geht. Der Ausdruck „mangelndes Gewahrsein“ hingegen beinhaltet, dass wir nicht wissen, wie wir und auch andere Phänomene existieren; wir sind uns dessen nicht bewusst. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn wir meinen, wir wären das Allerwichtigste, wären der Mittelpunkt der Welt, obwohl das ganz und gar im Widerspruch zur Realität steht. Real ist, dass wir alle zusammen hier sind. Es ist nicht so, dass wir dumm wären, aber unser Körper und Geist führen dazu, dass wir so denken wie oben beschrieben.
Der Grund dafür, dass man von „edlen Wahrheiten“ spricht, ist, dass diejenigen, die die Realität wirklich erkennen, sie anders sehen als andere Menschen. Wir gewöhnliche Menschen glauben, dass unsere Verwirrung und die Projektionen, die sie hervorbringt, der Realität entsprechen. Wir glauben, das, was wir sehen, sei wahr. Wir denken eigentlich gar nicht darüber nach, denn unsere instinktive Sichtweise impliziert, dass wir selbst am wichtigsten sind, dass alles nach unserem Willen gehen sollten und dass jeder uns mögen sollte. Einige glauben auch das Gegenteil, nämlich dass sie nichts taugen und niemand sie mag. Das ist im Grunde nichts Anderes; es ist nur die Kehrseite der Medaille. Diese verwirrte, unrealistische Sicht ist die wahre Ursache des Leidens.
Die dritte edle Wahrheit
Die dritte edle Wahrheit kann als „wahre Beendigung“ bezeichnet werden. Oft wird sie auch als „wahres Erlöschen“ übersetzt; sie bezieht sich auf die Tatsache, dass es möglich ist, diese Verwirrung zum Aufhören zu bringen und so zu beseitigen, dass sie nie wieder auftritt. Wenn wir die Verwirrung beseitigen, welche die wahre Ursache ist, werden wir die Probleme los. Wir befreien uns von dem Auf und Ab und den immer wieder auftretenden Wiedergeburten, denen wir unfreiwillig ausgeliefert sind. Wenn wir das tun, erlangen wir das, was „Befreiung“ genannt wird. Sie alle haben sicher schon die Sanskritwörter dafür gehört oder gelesen, nämlich „Samsara“ – das Sanskrit-Wort für diese unfreiwillig stattfindenden Wiedergeburten, und „Nirvana“, das Wort für den Zustand, in dem man frei davon ist.
Schon zu Zeiten Buddhas gab es auch andere indische Systeme, in denen von „Befreiung von Samsara“ die Rede war. Das war ein in Indien üblicher Grundgedanke. Buddha erkannte jedoch, dass jene anderen Systeme keine ausreichend tiefgründige Erklärungen boten, um die wahre Ursache festzustellen. Man konnte mit Hilfe jener Systeme möglicherweise eine Unterbrechung der immer wieder unkontrolliert auftretenden Probleme erreichen, z.B. durch Wiedergeburt in einem Bereich tiefer geistiger Versenkung, in dem man äonenlang verharren konnte, der aber irgendwann doch wieder zu Ende ging. Wahre Befreiung gab es nicht in jenen Systemen.
Buddha lehrte über die wahre Beendigung, und es ist wichtig zu verstehen und die Überzeugung zu gewinnen, dass es tatsächlich möglich ist, die Verwirrung loszuwerden, und zwar so, dass sie nie wiederkehrt. Wenn einem nichts daran liegt, Verwirrung für immer zu beseitigen, gibt man sich besser damit zufrieden, akzeptiert die Situation und macht das Beste daraus. Viele Therapien haben genau das zum Ziel: zu lernen, mit bestimmten Bedingungen zu leben oder Medikamente zu nehmen.
Die vierte edle Wahrheit
Die vierte Wahrheit wird meist als „wahrer Pfad“ übersetzt, und sie hilft uns, die dritte Wahrheit zu verstehen. Der Ausdruck bezieht sich auf einen Geisteszustand, welcher, wenn wir ihn entwickeln, zu einem Pfad wird, der zur Befreiung führt. Wir könnten ihn auch einen „Pfad-Geist“ nennen, aber dieser Ausdruck klingt in vielen Sprachen ziemlich hölzern und schwerfällig.
Unser Geist projiziert lauter Unsinn. Doch es gibt verschiedene Ebene der Projektion von Unsinn. Die extremsten Projektionen sind diejenigen, die bei Schizophrenie oder Paranoia auftreten, indem jemand denkt, alle wären gegen ihn. Eine weniger extreme Variante ist die Vorstellung: „Das ist das wunderbarste Stück Kuchen, das ich je finden kann, und wenn ich es esse, werde ich vollkommen glücklich sein.“ Das habe ich auf dem Flug hierher erlebt: Während des Zwischenstopps in Wien dachte ich, der Wiener Apfelstrudel sei sicher der beste auf der Welt, also bestellte ich mir ein Stück, und es war nicht der beste. Meine Projektionen, was er hätte sein sollen, stellten sich als Unsinn heraus. Den Apfelstrudel gab es - das war keine Projektion meines Geistes; aber dass er als das wundervollste Ding existieren sollte, das mich wirklich glücklich machen würde, hatte mein Geist darauf projiziert.
Ähnlich gilt: Ich existiere und Sie existieren. Im Buddhismus wird nicht behauptet, dass wir nicht existieren würden. Es wird lediglich die Tatsache festgestellt, dass wir eine Existenzweise projizieren, die ganz und gar nicht der Realität entspricht. Wir haben wirklich die Vorstellung, dass die Dinge unabhängig voneinander ganz für sich existieren, doch solch eine Existenzweise gibt es nicht, sie ist unmöglich. Die Dinge entstehen aus Ursachen und Umständen, und sie ändern sich ständig. Doch das sehen wir nicht; wir sehen nur, was direkt vor unseren Augen liegt. Nehmen wir an, wir wollten uns mit jemandem treffen und er kommt nicht. Es scheint uns, dass er ein schrecklicher Mensch ist, uns einfach hier so stehen zu lassen, dass wir ihm nichts wert sind; wir meinen, er würde unabhängig von Verkehr, Überstunden oder weiß der Himmel was existieren. Doch da alles aus Ursachen und Umständen entsteht, kann es nicht sein, dass er von sich aus, unabhängig von allem anderen, einfach nur ein schrecklicher Mensch ist. Dennoch projiziert unser Geist diese Vorstellung, hält daran fest, und schafft Ärger, eine destruktive Emotion. Wenn wir die Person dann das nächste Mal sehen, treten wir ihr ganz anders gegenüber, schreien sie an, ohne ihr auch nur die Möglichkeit zu geben, den Vorfall zu erklären. Und die ganze Zeit sind wir diejenigen, die sich ziemlich mies und unglücklich fühlen, nicht wahr?
Wir existieren also, aber die Art und Weise, wie wir zu existieren meinen - nämlich als etwas Besonderes und unabhängig von allem anderen - ist ganz und gar projiziert. Sie ist Unsinn. Sie entspricht nichts Realem. Das ist es, was im Buddhismus „Leerheit“ genannt wird. Im Sanskrit ist das Wort das gleiche wie für „null“; und bedeutet: „nichts“; in diesem Fall bezieht es sich auf die Bedeutung: „nichts Reales“. Es gibt nichts Reales, was der Projektion entspricht. Wenn wir z.B. projizieren, dass ein neuer Partner der perfekte Märchenprinz oder die -prinzessin sei, so bezieht sich das auf etwas Unmögliches. Es gibt niemanden, der auf diese Weise existiert, und dennoch suchen wir dauernd danach. Und wenn dann die Person unsere Erwartungen nicht erfüllt, sind wir enttäuscht und suchen uns jemand anderen, doch suchen wir dabei nach etwas, das unmöglich auf diese Weise existieren kann.
Ein wahrer Pfad des Geistes ist also das Verständnis, dass all das Unsinn ist, d.h. dass es nichts Reales gibt, das unserer Projektion entsprechen würde. Im Hinblick auf die wahre Ursache bedeutet das: Das Leiden rührt daher, dass wir glauben, unsere Projektionen würden sich auf etwas Reales beziehen. Der wahre Pfad besteht darin, zu erkennen, dass sie sich nicht auf etwas Reales beziehen; und korrektes Verständnis heißt, zu erkennen, dass es so etwas nicht gibt. Ich wiederhole: Die Verwirrung besteht darin, zu denken, dass die Projektion sich auf etwas Reales bezieht, und korrektes Verständnis bedeutet, zu erkennen, dass es so etwas nicht gibt. Entweder gibt es etwas oder nicht. Es handelt sich um die schlichte Option: ja oder nein; beides zusammen geht nicht.
Nun können wir untersuchen, was bei uns stärker ist: das „Ja“ oder das „Nein“? Wenn wir die Angelegenheit logisch untersuchen, kommen wir natürlich zu dem Schluss: „Nein [so etwas gibt es nicht]“, denn ein „Ja“ würde der Logik nicht standhalten. Hört alles andere auf zu existieren, wenn ich die Augen schließe? Nein, natürlich nicht. Stimmt es, dass ich immer meinen Willen bekommen sollte, weil ich der wichtigste Mensch auf der Welt bin? Nein, das ist lächerlich. Je mehr wir diese Dinge überprüfen, umso mehr können wir beginnen, dieses kleine „Ich“ in unserem Kopf in Frage zu stellen. Natürlich führe ich Aktivitäten aus: Ich tue dies und das, ich rede usw. Das wird nicht bestritten. Was bestritten wird, ist, dass es ein festes „ich“ gäbe, nach dessen Willen alles gehen sollte, denn so etwas ist logisch nicht haltbar. Mittels Argumenten und Untersuchungen können wir feststellen, dass so etwas nicht existiert. Die Verwirrung [die in der Annahme besteht, unsere Projektionen würden sich] auf etwas Reales beziehen, wird also durch nichts untermauert.
Wozu führte es, wenn man meint, man würde auf eine solche unmögliche Weise existieren? Man macht sich das Leben schwer. Wozu führt es, wenn man denkt, dass es nichts gibt, was auf solche Weise existiert? Man befreit sich von all den Problemen. Wenn ich denke: „So etwas gibt es nicht, das ist Unsinn“, ist es unmöglich, gleichzeitig zu meinen, es gäbe etwas Reales, dass der Projektion entspricht. Korrektes Verständnis kann falsches Verständnis ersetzen. Wenn wir die ganze Zeit auf das korrekte Verständnis konzentriert bleiben könnten, würde die Verwirrung nie mehr auftreten.
Auch in diesem Zusammenhang setzte Buddha Lehren ein, die es nicht nur im Buddhismus gibt. In anderen indischen Systemen gab es Methoden, durch Meditation vollkommene Konzentration zu erlangen, die angewendet werden kann, um uns mit diesem korrekten Verständnis vertraut zu machen. Dann können wir die wahre Beendigung der wahren Ursache und somit wahre Beendigung des Leidens erreichen.
Was unserem Geist die Kraft gibt, bei diesem Verständnis zu bleiben und all die destruktiven Emotionen zu durchbrechen, ist die Motivation. In diesem Zusammenhang sind Liebe, Mitgefühl usw. von entscheidender Bedeutung. Wir erkennen, dass wir alle miteinander in Verbindung stehen, dass alle insofern gleich sind, als jeder Glück erlangen möchte, und dass wir unsere Verwirrung loswerden müssen, um anderen vollständig nutzen zu können.
Das ist die grundlegende Darstellung der vier edlen Wahrheiten. Um sie tiefer gehend zu verstehen, müssen wir uns etwas mehr mit Karma und Wiedergeburt befassen.
Zusammenfassung
Buddhismus hat zwar vieles mit anderen großen Religionen und philosophischen Systemen gemeinsam, doch die vier edlen Wahrheiten, Buddhas erste Unterweisung, sind eine einzigartige Darstellung der Art und Weise, wie wir existieren, des Leidens, das wir erleben, und wie wir unsere Probleme überwinden können.
Buddha wird oft mit einem Arzt verglichen. Ein Arzt stellt fest, dass wir krank sind. Ähnlich stellte Buddha die Vielzahl der Leiden fest, die Wesen überall erleben. Ein Arzt wird nach der Ursache unserer Krankheit suchen. Analog dazu wies Buddha darauf hin, dass die wahre Ursache die Verwirrung in Bezug darauf ist, wie wir existieren. Sodann wird der Arzt uns mitteilen, ob wir geheilt werden können oder nicht, und uns bestimmte Behandlungen oder Medizin verschreiben. Entsprechend lehrte Buddha die wahre Beendigung und den Pfad, um sie zu erreichen. Letztlich bleibt es jedem selbst überlassen, die Medizin zu nehmen bzw. den Pfad zu beschreiten, um sein Leiden zu beseitigen.