Eine Gesunde Verhaltensweise gegenüber einem Spirituellen Lehrer

Eine gesunde Verhaltensweise gegenüber einem spirituellen Lehrer, wie sie in den traditionellen Texten zu diesem Thema beschrieben wird, bezieht sich darauf, wie wir generell in Gegenwart unseres Lehrers reden und handeln. In diesen Darstellungen geht es oft nicht um die Umgangsformen und Etikette beim Empfangen von Belehrungen. Dies kann man an anderen Stellen finden und umfasst solche Dinge, wie: keinen Hut zu tragen, keine Waffe bei sich zu führen, die Füße nicht Richtung Lehrer oder einem Buddha-Thangka auszustrecken usw. Meiner Meinung nach gehört all das jedoch in die Kategorie des Respektierens.

Opfergaben darbringen

In der traditionellen Darstellung werden drei Punkte in Bezug auf unser Verhalten gegenüber einem spirituellen Lehrer aufgeführt. Der erste ist das Darbringen von Opfergaben. Wenn wir den Lehrer als einen Buddha betrachten, mag das vielleicht etwas heikel werden, denn der Lehrer braucht unsere Opfergaben nicht. Ein Buddha braucht gar nichts und ganz bestimmt keine Räucherstäbchen oder Katas (zeremonielle Schals).

Das Darbringen von Opfergaben sollte man nicht missverstehen und etwa denken, wir müssten dem Lehrer all unser Geld geben. Wir sollten vorsichtig sein, dass sich dies nicht zu einer extremen Situation entwickelt, in der ein Lehrer finanzielle Forderungen an all seine Schüler stellt. In der Vergangenheit sind solche Dinge bei bestimmten, nicht unbedingt buddhistischen, Lehrern vorgefallen.

Als ich begann, bei Serkong Rinpoche zu lernen, brachte ich ihm immer ein Räucherstäbchen und einen Kata. Aber schon bald wies er mich zurecht und sagte: „Ich brauche dieses Zeug nicht. Warum gibst du mir all das? Was denkst du, wie viele Räucherstäbchen ich brauche? Und wie viele Katas, Hunderte von Katas, brauche ich wohl? Wenn du etwas mitbringst, dann bringe etwas Vernünftiges, von dem du weißt, dass ich es mag.“ Er mochte Bananen und das war es, was ich ihm dann brachte.

Der entscheidende Punkt ist, nichts Nutzloses zu bringen, wenn wir unserem Lehrer etwas geben wollen, sondern vielmehr herauszufinden, was der Lehrer tatsächlich braucht oder mag. Wenn der Lehrer übergewichtig oder auf Diät ist, hilft es keineswegs, ihm Kuchen und Süßigkeiten zu bringen. Wenn er auch nur ein wenig Selbstbeherrschung hat, wird er solche Dinge dem nächsten, der vorbeikommt, weitergeben, was völlig in Ordnung ist. Wenn wir etwas aussuchen, sollten wir das mit viel Feingefühl tun und darauf achten, welche Art der Gabe angemessen und schön ist.

Die Gemeinschaft unserer Familie als Gabe darbringen

Das Darbringen von Opfergaben bezieht sich nicht nur auf materielle Dinge. Man kann es in einem viel breiteren Rahmen anwenden, um den Lehrer zu unterstützen. Beispielsweise kann man in den klassischen Texten lesen, dass wir dazu bereit sein sollten, unsere Familie – den Ehepartner, die Kinder usw. – dem Lehrer darzubringen. Das heißt mit Sicherheit nicht, sie ihm als Diener oder Sklaven zu übergeben. In der heutigen Zeit kann man das anders interpretieren: Viele der tibetischen Lehrer, die in den Westen kommen, sind ganz und gar nicht daran gewöhnt, allein zu leben. In den Klöstern gibt es immer viele Menschen und außerdem sind die Tibeter sehr soziale Wesen. Es ist beispielsweise eine schöne Gabe, sie zu uns nach Hause einzuladen, um zusammen mit unserer Familie zu essen. Das ist eine Opfergabe unserer Familie.

Es ist so eine romantische Vorstellung, die viele von uns haben, dass alle tibetischen Lehrer für sich allein dasitzen und die ganze Zeit meditieren. Die meisten Tibeter in Indien verhalten sich da ganz anders. Gewiss wird viel debattiert, es gibt eine Menge, Rituale, Meditationen usw., aber, wie gesagt, sind sie sehr gesellig. Sie trinken gern Tee zusammen mit Freunden und lieben es zu plaudern und Scherze zu machen. Es sind auch Menschen. Man kann sie sowohl als Buddhas, als auch als menschliche Wesen sehen, die menschliche Wärme und menschlichen Kontakt brauchen und genießen.

Ich gebe immer Beispiele von Serkong Rinpoche. Da ich neun Jahre mit ihm zusammen verbracht habe, bin ich sehr vertraut damit, wie er mit Menschen umgegangen ist. Andere Lehrer haben bestimmt auch andere Sitten. Ich rede von der früheren Generation von Lehrern, die in Tibet aufgewachsen sind und dort ihre Ausbildung bekommen haben, bevor sie nach Indien kamen. 

Als ich mit ihm zusammen in den Westen nach Mailand, Italien, reiste, wohnten wir in einem großen Haus der Familie von einem der Schüler. Alle Lehrer, die in dieser Zeit nach Mailand kamen, wohnten immer in diesem Haus. Es gab eine Menge Zimmer. Es war eine dieser wunderbaren italienischen Familien, in denen vier Generationen zusammen lebten. Die Großmutter war eine fantastische Köchin. Sie war ziemlich dick und rund, und Rinpoche selbst war auch eher wohlbeleibt. 

Viele der hohen Lamas, die dort wohnten, folgten einem eher traditionellen Brauch, allein in ihrem Zimmer zu essen und keinen großen Austausch mit der Familie zu haben; Serkong Rinpoche aber war da ganz anders. Morgens kam er einfach nur in seiner Kleidung, die er normalerweise unter der Robe trug, und setzte sich an den Küchentisch, während die Großmutter das Frühstück zubereitete. Dort rezitierte er dann seine Verse. Die Großmutter empfand ihn, von all den Lamas, die bei ihnen wohnten, als den Größten, weil er so entspannt und natürlich mit der Familie umging. Er genoss es, diese Art von echtem menschlichen Kontakt mit der Großmutter in der Küche zu haben.

Es war sehr lustig, denn als wir gingen, umarmte die Großmutter Rinpoche und gab ihm einen Kuss auf die Wange, was alle ein wenig schockierte. Rinpoche ging vollkommen entspannt damit um. Ich würde aber nicht empfehlen, das mit anderen Lehrern zu machen, denn es könnte leicht missverstanden werden. Es geht darum, dass Rinpoche es wirklich schätzte, diese Möglichkeit zu haben, in einer netten und liebenswürdigen Familie mit vier Generationen zu leben. Für ihn war es ein Hochgenuss.

Der Fünfte Dalai Lama weist in seinem Lam-rim-Text, im Abschnitt zum Darbringen von Opfergaben, darauf hin, die angemessene Zeit, den angemessenen Ort und das angemessene Maß zu berücksichtigen. Das „Maß" bezieht sich hier auf die Menge, die wir geben. Was im alten Indien angebracht war, mag vielleicht in unserer heutigen, modernen Zeit nicht angemessen sein. Es ist notwendig, feinfühlig zu sein und unterscheidendes Gewahrsein zu benutzen, um herauszufinden, was geeignet ist.

Die Arbeit des Lehrers unterstützen

Eine andere hilfreiche Form, Gaben darzubringen, besteht darin, die Arbeit des Lehrers zu unterstützen. Durch seine Arbeit versucht unser Lehrer, allen so viel wie möglich von Nutzen zu sein. Wie können wir ihm dabei helfen? Wir können ihn finanziell unterstützen, oder wir können ihm helfen, indem wir für ihn übersetzen, kochen, Visa besorgen, ihn mit dem Auto herumfahren, oder was auch immer. Wir können ihm Raum und Zeit geben. Manchmal, wenn Lehrer in den Westen kommen, sind die Menschen einfach nur gierig und wollen den Lehrer ausnutzen, indem sie versuchen, so viel wie möglich von ihm zu bekommen. Beispielsweise nehmen sie ihnen die Zeit für ihre tägliche Praxis oder die Zeit, sich etwas zurückzuziehen und zu entspannen, wenn sie schon älter sind. Sich um das Wohlergehen des Lehrers auf verschiedene Weise zu kümmern, kann als Darbringen von Gaben bezeichnet werden.

Ein Missverständnis, zu dem es eventuell kommen kann, ist Folgendes: Wenn der Lehrer krank wird, mögen einige Schüler vielleicht sagen: „Oh, er ist ein Buddha. Er macht das nur, um uns eine Lektion zu erteilen“, und dann beten sie einfach nur: „Oh Lama, Lama, Lama.“ Das ist vollkommen naiv und rücksichtslos. Stattdessen können wir dem Lehrer anbieten, ihn zum Arzt zu bringen und Medikamente zu besorgen. Wir sollten ihn nicht einfach leiden lassen.

Keine große Show aus dem Darbringen von Gaben machen

Wir sollten auch aus dem Darbringen von Opfergaben keine große Show machen, nur damit jeder sieht, dass wir etwas geben und wir sollten auch kein persönliches Dankeschön erwarten. Als ich beispielsweise mit Serkong Rinpoche, wieder in Italien, unterwegs war, kam jemand, um ihn zu sehen und als er nach dem Gesprach wieder ging, legte er ganz diskret einen Umschlag mit etwas Geld auf einen Tisch an der Seite. Er präsentierte es ihm nicht in einer auffallenden Weise. Rinpoche meinte dazu, dies wäre eine sehr gute Art und Weise, eine Gabe darzubringen, wenn es die Umstände erlauben. Wenn nicht, sollten wir die Gabe unauffällig darbringen, ohne damit große Aufmerksamkeit auf uns zu lenken, oder es so auffallend zu tun, damit alle es sehen.

Das gilt auch für Niederwerfungen. Einmal war ich mit Rinpoche in Spiti, einem Tal in Indien, an der Grenze zu Tibet. In diesem Gebiet war der Buddhismus wirklich fast verloren gegangen, aber Rinpoche hat wieder Kontakt zu den Traditionen und Linien geschaffen und den Buddhismus in dieser Region wiederbelebt. Er wird dort fast wie ein Heiliger dieses Tals angesehen. Dort starb er auch und wurde dort wiedergeboren. Immer wenn er dorthin ging, kamen natürlich so viele Menschen wie möglich, um ihn zu sehen. Und jeder machte eine Niederwerfung, bevor er zu ihm ging, um ihn einen Kata oder was auch immer zu geben. 

Weil ich so eine vertraute Beziehung mit Rinpoche hatte, lies er mich oft an seinen Gedanken teilhaben. In diesem Fall fand er es wirklich absurd, dass alle draußen in einer langen Schlange warten mussten, damit jeder hereinkommen und vor ihm eine Niederwerfung machen konnte. Es dauerte ewig, bis sie alle durch waren und er meinte: „Sie sollten einfach draußen ihre Niederwerfungen machen, bevor sie hereinkommen und nicht so viel von meiner Zeit vergeuden.“

Es ist also wichtig, auf die Zeit des Lehrers Acht zu geben und aus dem Darbringen von Gaben, oder was auch immer wir tun, keine egoistische Show zu machen: „Schaut her, wie heilig und wunderbar ich bin!“ Hauptsächlich geht es um unsere Geisteshaltung.

Dem Lehrer behilflich sein und Respekt zeigen

Die zweite der drei Arten von gesundem und angemessenem Verhalten gegenüber unserem Lehrer wird in den Texten mit einem zusammengesetztem Begriff angegeben: „nyenkur“ (bsnyen-bkur). Das erste Wort, „nyen” (bsnyen), wird oft als „dienen” übersetzt, aber diese Übersetzung hilft uns vielleicht nicht viel weiter. Genau genommen bedeutet es „helfen.“ Das Wort hat zwei Bedeutungen. Zuerst einmal helfen wir, aber nicht in dem Sinne eines Dieners. Manchmal deutet es, wegen der hierarchischen Struktur in Indien und Tibet, darauf hin. Ein Diener zu sein passt jedoch nicht in unsere Zeit, da wir diese Position als sehr niedrig und unterwürfig betrachten. Vielmehr weist die Bedeutung auf einen so genannten „Begleiter“ hin. Was ist die Aufgabe eines Begleiters? Rinpoche war beispielsweise etwas älter und übergewichtig. Ich reichte ihm mein Arm oder meine Hand, um aus dem Auto auszusteigen, oder half ihm beim Einsteigen usw. Ich habe Besorgungen für ihn gemacht, damit er nicht selbst losgehen musste.

Die andere Bedeutung dieses Wortes bezieht sich darauf, „sich jemandem anzunähern“. Wir kommen ihm näher, wenn wir ihn betreuen und helfen, aber die Bedeutung dieses Wortes, die normalerweise benutzt wird, ist „sich einer Person anzunähern, indem man ihr gutes Verhalten und ihre Eigenschaften nacheifert.“ Das gleiche Wort finden wir in dem Begriff „genyen” (dge-bsnyen, Skt. upasaka), jemand mit Laiengelübden. „Nyen” (bsnyen) bedeutet „sich annähern” und „ge” (dge) ist „konstruktives oder tugendhaftes Verhalten.” Wir nähern uns den Mönchen und Nonnen an, indem wir die fünf Laiengelübde einhalten.

Der Begriff wird auch für diese langen tantrischen Retreats, drei Jahre oder mehr, benutzt, in denen wir uns auf die Praxis einer Gottheit ausrichten. In diesem Falle bedeutet der Begriff „sich annähern". Manchmal wird es auch als „Retreat der Annäherung“ bezeichnet, da wir die Gottheit in unserer Visualisation nachahmen, uns anzunähern, um selbst zu dieser Gottheit zu werden. Das ist die Bedeutung des Wortes.

Ganz einfach gesagt, nähern wir uns dem Lehrer an. Darum geht es hier. Wir kommen ihm näher, indem wir ihm helfen und ihn betreuen, und auch, indem wir in gewissem Sinn im Einklang mit ihm sind und sein Verhalten und seine guten Eigenschaften nacheifern. All das beinhaltet dieser Begriff. Das ist es, was den spirituellen Lehrer erfreut: wenn wir seiner Praxis folgen, versuchen von ihm zu lernen und seinen guten Eigenschaften nacheifern.

Der zweite Teil dieses zusammengesetzten Wortes „kur” (bkur) bedeutet, „Respekt zu zeigen.” Laut dem Fünften Dalai Lama sollten Ort und Zeit in Bezug darauf angemessen sein, wie wir Respekt zeigen. Offensichtlich wäre es nach heutigem Standard vollkommen künstlich, wenn wir den eher traditionellen tibetischen Sitten folgen würden: uns beispielsweise zu bücken und unsere Zunge herauszustrecken, um zu zeigen, dass sie nicht schwarz ist und wir keine Dämonen sind, oder wenn wir vor einem Lama stehen und Luft einzusaugen, um ihn nicht mit unserem Atem zu kontaminieren.

Machen wir vor einem Lehrer Niederwerfungen? Wenn es ein tibetischer Lehrer ist und es zu seinem Brauch gehört, können wir es machen. Ist es angebracht, wenn es sich um westliche Lehrer und westliche Schüler handelt, die dem traditionellen tibetischen System des Erweisens von Respekt folgen? Das ist eine sehr interessante Frage. Das Problem ist Folgendes: Wenn wir dem tibetischen – oder indischen, chinesischen, japanischen – System folgen, um Respekt zu erweisen, kann das sehr künstlich wirken. Wenn wir daher eine andere Kultur einfach wie ein Affe imitieren, neigen wir dazu, diese Dinge nicht mit der korrekten Geisteshaltung zu tun. 

Würden wir aber bestimmte westliche Bräuche annehmen und uns, wie beispielsweise vor der Königin, verbeugen und einen Knicks machen, oder unsere Hacken zusammenschlagen und salutieren, wäre das genauso absurd, nicht wahr? Das ist eine Sache, die sich entwickeln muss, um zu sehen, was für uns Westler angebracht erscheint, um Respekt gegenüber westlichen Lehrern zu zeigen. Es wird sich in der Zukunft zeigen und zum Teil geschieht das schon jetzt. Wir folgen bereits bestimmten Bräuchen, die aus den traditionellen Texten stammen. Wenn der Lehrer hereinkommt, stehen wir auf; wir warten, bis sich der Lehrer hinsetzt, bevor wir uns selbst hinsetzen. Wir sind leise; wir hören auf, miteinander zu reden und schalten unsere Mobiltelefone aus. Auf diese Weise zeigen wir Respekt. Wir schreiben während der Vorlesung keine Textnachrichten, denn das wäre sehr respektlos.

Es gibt noch andere Wege, Respekt zu zeigen. Wir kleiden uns angemessen und tragen keine zu zwanglose oder aufreizende Kleidung, schminken uns nicht übermäßig und tragen auch nicht unverhältnismäßig viel Schmuck. Das ist nicht notwendig und es ist auch nicht sehr respektvoll. Wir kommen rechtzeitig und stehen nicht mittendrin auf, um wieder zu gehen. So können wir in angemessener Weise Respekt zeigen. Von Generation zu Generation mag es da Unterschiede geben. Für die ältere Generation ist es beispielsweise viel wichtiger, wie man sich kleidet, als für die jüngeren Leute.

Der Punkt ist, darauf zu achten, was gegenüber der Person und ihrem Alter angebracht ist, und wie der Fünfte Dalai Lama sagte, Zeit, Ort, Maß, Form usw. in Betracht zu ziehen. Sehen wir uns die Menschen an, die Seine Heiligkeit den Dalai Lama auf Seinen Reisen begleiten. Die Männer tragen immer Anzug und Krawatte als Zeichen des Respekts. Ich tue das auch. Es geht nicht so sehr darum, lediglich Seiner Heiligkeit gegenüber Respekt zu erweisen – das ist nur ein Teil des ganzen. Auch das Publikum wird gegenüber allen viel mehr Respekt haben, wenn sie nicht in lässiger, ungezwungener oder schmutziger Kleidung erscheinen. Letztendlich macht es natürlich keinen Unterschied, aber das sollte kein Argument sein, den anerkannten Konventionen des Erweisens von Respekt nicht zu folgen.

Die Art des angemessenen Verhaltens ist also der zweite Punkt, wie wir mit unserem Lehrer umgehen sollten: sich durch Betreuen und Helfen anzunähern und so dem Lehrer auf verschiedene Weise näherzukommen, sowie dem Lehrer durch unseren Umgang mit ihm Respekt zu erweisen.

Den Lehrer umarmen

Natürlich gibt es ganz unterschiedliche Ebenen von Lehrern und alle Lehrer sind anders; sie haben ihren eigenen Charakter. Einige Lehrer sind sehr liebevoll im Umgang, andere wieder nicht. Das ist etwas, worauf wir achten sollten. Mir fallen da viele Beispiele ein. Manchmal passiert es, dass Seine Heiligkeit der Dalai Lama andere umarmt, aber man sollte nicht zu ihm gehen und ihn umarmen. Der alte Lama Yeshe war sehr liebevoll im Umgang mit anderen und umarmte sie. Serkong Rinpoche hat nie jemanden umarmt und niemand hat ihn jemals umarmt – außer diese alte, italienische Großmutter. Wir sollten mit viel Feingefühl darauf achten, was gegenüber dem Lehrer angebracht ist und nicht einfach tun, wozu uns gerade ist: „Ich denke, ich werde dich einmal fest drücken."

Gerade denke ich darüber nach, wie man wegen Bräuchen in verschiedenen Ländern in große Schwierigkeiten geraten kann. Sie sind alle sehr verschieden. Beispielsweise der Brauch, jemanden zur Begrüßung mit lautem Schmatzen auf die Wange zu küssen. In manchen Ländern macht man das einmal, in anderen zweimal, oder sogar drei- oder viermal. In manchen Ländern berührt man die Wange der anderen Person nicht mit den Lippen, in anderen schon. In manchen Ländern machen es nur Männer und Frauen gegenseitig und bei den Türken und Arabern tun es die Männer untereinander. Man kann in große Schwierigkeiten geraten, wenn man es in einem bestimmten Land nicht richtig macht (mir ist das so passiert). Es wird dann völlig missverstanden, wenn man eine Person auf die falsche Weise begrüßt. Am besten man schaut erst einmal zu, wie die anderen es machen. Wir reden hier nicht davon, wenn man als Lehrer kommt, denn dann wäre es unangemessen, die Schüler mit einem Kuss auf die Wange zu begrüßen. Aber einfach im Allgemeinen ist es wichtig, auf die lokalen Bräuche zu achten.

Den Ratschlag des Lehrers annehmen

Die dritte Verhaltensweise gegenüber dem Lehrer – sie wird als die beste angesehen – besteht darin, so zu praktizieren, indem man ihrem Ratschlag folgt.

Wenn wir den Lehrer bitten, uns bei einer bestimmten Entscheidung zu helfen, setzt das voraus, dem Rat des Lehrers dann auch zu folgen. Warum würden wir ihn sonst fragen? Dabei sollten wir nicht wegen irgendwelchen dummen, trivialen Dingen zu ihm gehen, um eine Weissagung oder einfach nur einen Rat von ihm zu bekommen, sondern es sollte sich um etwas wirklich Wichtiges handeln. Manchen Menschen gefällt die Antwort eines Lehrers nicht und dann gehen sie zu anderen Lehrern, bis sie schließlich die Antwort bekommen, die sie hören wollen – das ist eine vollkommen falsche Herangehensweise. Wenn man beispielsweise eine Münze wirft, um herauszufinden, was zu tun ist und einem dann die Antwort nicht gefällt, sagt man sich: „Nun gut, dann werfe ich eben dreimal.“ Und wenn man mit dem Ergebnis immer noch nicht zufrieden ist, wirft man fünfmal. So sollten wir nicht vorgehen. Auf diese Weise sollten wir einen Lehrer nicht um Rat bitten. Wenn wir erst einmal gefragt haben, ist es wichtig zu tun, was uns der Lehrer empfiehlt. Dann können wir ihm später berichten: „Ich habe es so gemacht, wie du es mir empfohlen hast.“

Wir sollten den Ratschlag des Lehrers natürlich abwägen. Wenn uns der Lehrer aufträgt, etwas jenseits unserer Möglichkeiten zu tun, sollten wir sagen: „Bitte erkläre mir, wie du das meinst. Das wird wirklich schwierig sein.“

Am besten ist es natürlich, ihn danach zu fragen, welche Praktiken wir ausführen sollten. Und, wie gesagt, ist es von großer Wichtigkeit, auch bereit dafür zu sein, es zu tun und sich nicht zu beschweren. Mein guter Freund Alan Turner, der vor ein paar Jahren gestorben ist, war auch ein sehr enger Schüler von Serkong Rinpoche. Er war ein wirklich sehr ernsthafter Praktizierender. Rinpoche nannte ihn „mein westlicher Yogi.“ Als es für ihn an der Zeit war,  Ngöndro (sngon-’gro), die vorbereitenden Übungen, zu praktizieren, bat er Rinpoche um Erklärungen zu den einhunderttausend Niederwerfungen – was man visualisieren und rezitieren sollte – und dann tat er es. Als er Rinpoche das nächste Mal traf, fragte ihn Rinpoche: „Na, wie geht es voran?“ Er erwiderte: „Ich habe bereits achtzigtausend gemacht.“ Da fragte ihn Rinpoche: „Was visualisierst du? Was rezitierst du?“ Als er es ihm sagte, antwortete Rinpoche, „Nein, nein. Das ist nicht gut so. Du solltest es anders machen Fang noch einmal von vorn an.“ Und damit gab er ihm etwas anderes, was er visualisieren und rezitieren sollte. Alan tat es, ohne sich zu beschweren. Er sagte nicht: „Aber du hast mir diese andere Methode erklärt!“ Er war ein wirklich guter Praktizierender.

Einmal machte ich das Langlebens-Retreat der Weißen Tara. Die Feuerpuja, die man am Ende machen muss, ist eine der Schwierigsten. Das liegt daran, dass man jeweils zwei Halme dieses besonderen langen Grases (eine Art Schilfgras aus Indien) zehntausend Mal, zusammen mit einem Mantra, ins Feuer opfern muss. Man muss es also zügig machen, denn sonst dauert es eine Ewigkeit, wenn man zu langsam ist. Ich machte also das Retreat und am Ende die Feuerpuja. Ein Mönch half mir, dieses Gras zu sammeln, aber als ich es in das Feuer opferte, merkte ich, dass es keine zehntausend Halme waren; es fehlten welche. Als ich Rinpoche davon berichtete, lies er mich das ganze noch einmal machen – nicht das ganze Retreat, aber die ganze Feuerpuja. Ich musste noch einmal zehntausend Paar dieser Halme besorgen.

Wir müssen also dem Ratschlag unseres Lehrers folgen. Und wir sollten daran denken, dass wir sozusagen schon diesen stillschweigenden Vertrag eingegangen sind, niemals auf ihn oder sie wütend zu werden.

Wenn wir unseren Lehrer in Bezug auf etwas anderes als unsere Praxis um Rat bitten, sollten wir uns darüber bewusst sein, dass es in der traditionellen Lehrer-Schüler Beziehung nicht Brauch war, persönliche Ratschläge in Bezug auf das Privatleben zu bekommen. In den neun Jahren, die ich mit ihm zusammen war, fragte mich Serkong Rinpoche nie etwas über mein persönliches Leben, meine Vergangenheit, meine Familie, oder so etwas. Er fragte mich nie danach und ich redete nie darüber. Die ganze Beziehung drehte sich um den gegenwärtigen Moment, in dem er mich belehrte und als Übersetzer und Lehrer ausbildete und ich ihm half, diese Lehren anderen zugänglich zu machen.

Wie man um Rat bittet

Es ist wirklich unangemessen, den Lehrer um Rat in Bezug auf Probleme in der Partnerschaft oder im Sexualleben zu fragen, besonders wenn er oder sie ein Mönch oder eine Nonne ist. Das geht wirklich nicht. Ein buddhistischer Lehrer ist nicht einfach ein billiger Psychiater, oder Psychotherapeut. Traditionell reden wir mit einem buddhistischen Lehrer nicht über uns selbst. Der Lehrer redet und gibt Unterweisungen und dann liegt es an uns als Schüler, sie in die Praxis umzusetzen. Wenn wir dann Fragen in Bezug auf die Praxis oder die Unterweisungen haben, bitten wir um Klärung. Und wenn wir dann eine Frage bezüglich des Ausführens einer bestimmten Praxis oder der Teilnahme an einer Unterweisung haben, tun wir es folgendermaßen: „Hast du etwas dagegen, wenn ...“ Das ist die klassische Formulierung, wenn wir etwas fragen.

Hier ist ein Beispiel: Ich habe mit Serkong Rinpoche zwei Auslandsreisen als sein Dolmetscher, Sekretär, Reisebegleiter usw. gemacht. Gegen Ende der zweiten Reise, als Rinpoche wieder auf dem Rückweg nach Indien war, fragte ich ihn: „Hast du etwas dagegen, wenn ich noch ein paar Wochen in Amerika bleibe und meine Mutter besuche?“ In den meisten Fällen würde er sagen: „Nein, ich habe nichts dagegen.“ Dieses Mal sagte er aber: „Tu das nicht. Komm mit mir mit, zurück nach Indien und wir reisen zusammen nach Südindien. Es gibt dort ein ganz besonderes Ereignis, mit einem Ritual, Initiationen usw., und Seine Heiligkeit und Ling Rinpoche werden auch dabei sein. Ich tat das und tatsächlich war es etwas ganz Besonderes, denn es war das letzte Mal, dass alle drei – Seine Heiligkeit, Ling Rinpoche und Serkong Rinpoche – zusammen an einem Ritual teilnahmen. Rinpoche hatte das Gefühl, dass es sehr wichtig für mich war, dabei zu sein.

Eine Vorgehensweise vorzuschlagen und dann den Lehrer zu fragen, ob er etwas dagegen einzuwenden hat, ist eine viel reifere Art und Weise des Fragens, als zum Guru zu gehen und zu ihm zu sagen: „Was soll ich tun?“ Wenn wir so eine Frage stellen, sind wir praktisch dafür bereit, alles zu tun, was er uns aufträgt. Wenn wir beispielsweise in einem buddhistischen Zentrum tätig sind, sagt er uns vielleicht, in ein anderes Zentrum, irgendwo weit weg zu gehen und dort zu arbeiten, und das kann zu erheblichen Schwierigkeiten führen, wie es schon vielen passiert ist. Daher sollten wir uns dem Lehrer nicht mit dieser Haltung nähern: „Ich bin nichts. Ich habe keine Ahnung. Bitte sage mir, was ich tun soll.“ Das ist keine reife und gesunde Haltung. 

Es geht darum, nicht abhängig vom Lehrer zu werden. Ein guter Lehrer zeigt uns, wie wir auf unseren eigenen Füßen stehen können. Wir sollten also selbst eine Idee haben, was wir als nächstes in unserem Leben tun wollen und dann fragen: „Hast du diesbezüglich irgendwelche Einwände?“ Wenn der Lehrer den Eindruck hat, dass es nicht nützlich für uns ist, wird er oder sie uns das sagen; andernfalls werden sie uns ihre Zustimmung geben.

Westliche Studenten und Westliche Spirituelle Lehrer

Die Beziehung zwischen westlichen Schülern und westlichen spirituellen Lehrern scheint jedoch in eine etwas andere Richtung zu gehen, als es traditionell der Fall ist und so muss man es den unterschiedlichen Situationen entsprechend anpassen. Ich denke, es ist etwas ganz anderes, wenn Tibeter oder Westler unter sich sind, oder ob Tibeter mit Westler, oder Westler mit Tibetern eine Beziehung haben, denn der kulturelle Hintergrund ist so verschieden. Ich weiß nicht, wie es hier in Russland mit der Orthodox-Christlichen Kirche ist, aber die Menschen im Westen, die mit anderen Formen des Christentums aufgewachsen sind, sehen einen spirituellen Lehrer mehr wie einen Pfarrer, den sie um Rat in Familienangelegenheiten bitten können. Und so scheint es etwas besser zu funktionieren, wenn die Beziehung zwischen zwei Westlern ein wenig in diese Richtung geht – zumindest scheint mir das so, aus meiner Erfahrung als Lehrer. Meine Beziehung zu Serkong Rinpoche war ganz anders. Ich würde sie als „persönlich unpersönlich“ bezeichnen. Sie war unpersönlich, weil er nie fragte: „Was für eine Familie hast du? Wie bist du aufgewachsen?“ aber sie war auch sehr persönlich, weil wir miteinander auf sehr persönliche Weise umgingen.

Ich glaube, die Form der Beziehung zwischen einem westlichen Schüler und einem westlichen Lehrer ist noch in der Entwicklung und wird wahrscheinlich eine etwas andere Form in den verschiedenen Ländern annehmen. Beispielsweise sind meine Schüler in Berlin auch meine engen Freunde. Wir gehen zusammen aus – ins Kino, ins Restaurant oder so etwas. Dennoch haben sie großen Respekt mir gegenüber, aber sie machen gewiss keine Niederwerfungen oder bringen mir Katas. Die Art der Beziehung hängt auch von den einzelnen Menschen ab. Aber ich finde es sehr ungesund, wenn der Lehrer auf dem so genannten Trip des „großen weißen Gurus“ ist und die Schüler diese Art des Gurus auf ihn projizieren – wenn ein westlicher Lehrer versucht, sich wie ein großer tibetischer Lama zu benehmen. Das ist einfach nur absurd.

Wenn es dazu kommt, dass westliche Lehrer auf der Ebene sind, auf der sie Ermächtigungen, tantrische Initiationen, geben können, dann ist das eine ganz andere Sache. Nur weil sie Westler sind, heißt das nicht, sie wären nicht qualifiziert, große tantrische Meister zu werden. Auch die Tibeter waren keine Inder, haben sich aber trotzdem zu großen tantrischen Meistern entwickelt. Aber weil Westler dazu tendieren, misstrauischer gegenüber westlichen Lehrern zu sein und auch die Tibeter sehr misstrauisch gegenüber westlichen Lehrern sind, müssen diese Lehrer wirklich sehr qualifiziert sein, wenn sie tantrische Meister werden wollen – was jedoch nicht bedeutet, herumzulaufen und Werbung zu machen („Ich gebe eine Initiation“), sondern vielmehr sollte das von den Schülern kommen, die darum bitten. Und es ist wirklich notwendig, die Genehmigung dafür von den eigenen Lehrer zu haben und keine große Sache daraus zu machen, wenn man Initiationen gibt.

Ich liebe die Art und Weise des alten Serkong Rinpoche. Er war einfach großartig. Wenn wir in Europa und Nordamerika unterwegs waren, hatte er keine rituellen Instrumente oder irgendwelche speziellen Gegenstände dabei, nichts dergleichen. Wenn er im Westen eine Initiation gab, hat er einfach anstatt der rituellen Vase eine Milchflasche, eine Limoflasche oder so etwas in der Art benutzt. Manche Rituale erfordern, dass man kleine Bilder von Gottheiten und Symbolen hochhält. Dafür brachte er keine speziellen Bilder mit, sondern zeichnete sie selbst mit der Hand, wenn es notwendig war. Einmal baten ihn die Schuüler in einem Zen-Zentrum in New York um eine Manjushri-Ermächtigung, in der man die Genehmigung für die Praxis bekommt. Rinpoche gab sie, auf dem Boden sitzend, ohne jegliche rituelle Gegenstände!

Es ist also sehr wichtig, in solchen Situationen demütig zu sein. Meiner Meinung nach gehören diese Aspekte der Demut und Aufrichtigkeit, besonders für westliche Lehrer, zu den wichtigsten Qualifikationen. Wenn westliche Lehrer mit einem großen Namen herumstolzieren und man sie bei diesem Namen nennen und sie wie Tibeter behandeln muss, sollte man etwas misstrauisch sein und sich fragen, welche Motivation hinter all dem steckt. In manchen Situationen mag es angebracht sein; in anderen vielleicht eher nicht. Vielen Dank.

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