Störende Gefühle
Wir alle erleben störende Emotionen – Geisteszustände, die, wenn sie sich entwickeln, bewirken, dass wir unseren inneren Frieden verlieren und uns erheblich beeinträchtigen, so dass wir die Selbstbeherrschung verlieren. Die üblichen Beispiele dafür sind Gier, Anhaftung, Feindseligkeit, Ärger, Neid und Eifersucht. Sie sind Auslöser dafür, dass bestimmte geistige Antriebe (Karma) auftreten, meistens solche, die zu zerstörerischem Verhalten führen. Diese Antriebe können zerstörerisch im Hinblick auf andere ausgerichtet sein oder sich in selbstzerstörerischer Weise auswirken. Das Ergebnis davon ist, dass wir Probleme und Leiden für andere und unweigerlich auch für uns selbst schaffen.
Es gibt ein großes Spektrum störender Emotionen. In jeder Kultur zieht man im Geist eine willkürliche Linie um eine Gruppe von üblichen emotionalen Erfahrungen, die die meisten Menschen in der jeweiligen Gesellschaft erleben, bestimmt gewisse definierende Charakteristika, die diesen Emotionen als Kategorie gemeinsam sind, und versieht diese Kategorie mit einer Bezeichnung. Natürlich wählt jede Kultur unterschiedliche Gruppen von üblichen emotionalen Erfahrungen und unterschiedliche definierende Merkmale für deren Beschreibung und formt auf diese Weise unterschiedliche Kategorien von störenden Emotionen.
Die Kategorien störender Emotionen, die von verschiedenen Kulturen bestimmt werden, sind normalerweise nicht deckungsgleich, da die Definitionen der Emotionen etwas unterschiedlich sind. Zum Beispiel gibt es im Sanskrit und im Tibetischen jeweils ein Wort, das für gewöhnlich als „Eifersucht“ übersetzt wird (Skt. irshya, tib. phrag-dog), während es in den meisten westlichen Sprachen zwei Wörter dafür gibt. Im Englisch benutzt man die Begriffe „jealousy“ und „envy“, im Deutschen „Eifersucht“ und „Neid“. Der Unterschied zwischen den beiden englischen Begriffen ist nicht genau derselbe wie derjenige, der zwischen den beiden deutschen Begriffen besteht, und ebenso wenig decken sich die Begriffe im Sanskrit oder im Tibetischen genau mit denen im Englischen oder Deutschen. Als Westler erfahren wir emotionale Probleme in der allgemeinen Kategorie, welche bestimmt ist durch die Kategorien, welche in unserer eigenen Kultur und Sprache formuliert wurden. Wenn wir buddhistische Methoden kennenlernen wollen, um solche emotionalen Probleme zu überwinden, kann es erforderlich sein, diese Emotionen, wie wir sie begrifflich erfassen, zu analysieren, in ihre Bestandteile zu zerlegen und in eine Kombination etlicher störenden Emotionen, wie sie im Buddhismus definiert sind, zu bündeln.
Hier wollen wir die Aufmerksamkeit auf den buddhistischen Begriff in seiner Bedeutung als „Neid“ richten, denn das kommt seiner traditionellen Definition näher. „Eifersucht“, wie sie z.B. in engen Beziehungen auftritt, haben wir gesondert im Abschnitt „Grundlagen“ erörtert [Wie man Eifersucht in Beziehungen behandelt].
Was ist Neid?
Die buddhistischen Texte klassifizieren „Neid“ als zur Feindseligkeit gehörig. Sie definieren ihn als „eine störende Emotion, die sich auf die Errungenschaften anderer Menschen – zum Beispiel ihre guten Qualitäten, ihren Besitz oder ihren Erfolg) – bezieht und dadurch gekennzeichnet ist, dass man sie nicht ertragen kann, weil man übermäßig daran hängt, selbst Gewinn, Erfolg oder Anerkennung zu erlangen.
„An etwas zu hängen“ bzw. „Anhaftung“ bedeutet hier, dass wir uns auf einen Lebensbereich konzentrieren, in dem andere mehr erreicht haben als wir, und die positiven Aspekte davon überbewerten. In unserem Geist machen wir diesen Lebensbereich zum wichtigsten Aspekt des Lebens und gründen unser Selbstwertgefühl darauf. Dazu gehört auch, dass man übertrieben mit sich selbst beschäftigt ist und am eigenen „Ich“ hängt. Wir sind also neidisch, weil wir in Bezug auf diesen Lebensbereich „am eigenen Gewinn oder an der Anerkennung hängen, die wir bekommen“. Wir fixieren uns z.B. darauf, wieviel Geld wir besitzen oder wie gut wir aussehen. Als eine Aspekt von Feindseligkeit fügt Neid dieser Anhaftung ein starkes Element von Ärger darüber hinzu, was andere auf dem jeweiligen Gebiet erreicht haben. Sie ist das Gegenteil von Mitfreude, dem Gefühl der Freude daran, was andere erlangt haben.
Neid beinhaltet oft auch ein Element von Feindseligkeit in Bezug auf die Person, von der wir annehmen, dass sie uns gegenüber im Vorteil ist. Ob dem wirklich so ist oder nicht, sei dahingestellt, aber auf jeden Fall drehen sich unsere Gedanken dabei vor allem um uns selbst
Außerdem deckt der Begriff „Neid“, wie er im Buddhismus definiert wird, einen Teil, aber nicht alles ab, was das englischen Wort „envy“, Neid, beinhaltet. Der Begriff Neid fügt noch ein bisschen mehr hinzu und zwar das, was im Buddhismus „Begehren“ genannt wird. „Begehren“ wird als „übersteigertes Bedürfnis nach etwas, was jemand anderer besitzt“ beschrieben. Die Definition von „Neid“, wie der Begriff im Englischen verstanden wird, ist also „ein schmerzliches und ärgerliches Gewahrsein eines Vorteils, dessen sich jemand anderer erfreut, verbunden mit dem Verlangen, selbst den gleichen Vorteil zu genießen.“ Mit anderen Worten: Zusätzlich zu der Unfähigkeit die Errungenschaften eines anderen in einem bestimmten Lebensbereich zu ertragen – den wir, wie im Buddhismus deutlich gemacht wird, überbewerten – ist Neid auch der Wunsch, diese Errungenschaften für uns selbst zu haben. Dabei kann es sein, dass wir in diesem Bereich ärmlich ausgestattet sind bzw. einen Mangel haben, oder bereits ein angemessenes oder sogar überdurchschnittliches Ausmaß darin erreicht haben. Wenn wir neidisch sind und immer noch mehr haben wollen, ist unser Begehren zur Gier herangewachsen. Häufig, aber nicht notwendigerweise, beinhaltet Neid zudem auch noch den Wunsch, dass anderen entzogen wird, was sie haben, sodass wir es stattdessen bekommen können. In dem Fall kommt noch ein weiterer Bestandteil zu der Emotion hinzu: Bosheit.
Neid in Kombination mit Begehren führt zu Konkurrenzdenken. Daher nennt Trungpa Rinpoche Neid eine störende Emotion, die uns dazu bringt, in hohem Maße miteinander zu konkurrieren und wie besessen darauf hinzuarbeiten, andere oder uns selbst zu übertreffen. Das ist mit extrem kraftvollem Handeln verbunden – extrem kraftvolles Handeln wird der „Karmafamilie“ zugerechnet. Weil wir neidisch darauf sind, was andere erreicht haben, treiben wir uns und andere, die uns unterstehen, dazu an, immer mehr zu leisten, so wie es im extremen Wettbewerb im Sport und im Geschäftsleben stattfindet. Im Buddhismus wird deshalb das Symbol des Pferdes verwendet, um Neid zu repräsentieren: Es rennt mit anderen Pferden um die Wette; es kann nicht ertragen, dass ein anderes Pferd schneller läuft.
Neid und Konkurrenz
Es trifft zu, dass im Buddhismus Neid eng mit Konkurrenz in Verbindung gebracht wird, obwohl er nicht unbedingt dazu führen muss. Es kann sein, dass jemand neidisch ist, aber aufgrund von geringem Selbstwertgefühl nicht einmal versucht, in einen Wettstreit zu treten. Und umgekehrt muss Rivalisieren nicht notwendigerweise mit Neid einhergehen. Manche Menschen wetteifern im Sport einfach nur zum Spaß, um sich und die Gesellschaft anderer zu genießen, und nicht, weil sie Punkte machen wollen.
Buddhismus bringt Neid und Wettbewerb jedoch auf eine andere Weise miteinander in Verbindung. Beispielsweise in dem Text: „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ erörtert Shantideva den Neid gegenüber denjenigen in höheren Positionen, das Wetteifern mit Gleichgestellten und die Arroganz gegenüber solchen, die einen niedrigeren Status haben, gemeinsam in einem Abschnitt. Er erläutert diese Besonderheiten im Zusammenhang mit dem Thema, wie man es lernen kann, alle Wesen als gleich zu betrachten.
Das Problem, das der Buddhismus hier anspricht, ist das Gefühl, das allen drei störenden Emotionen zugrunde liegt, nämlich dass das „Ich“ etwas Besonderes sei. Wenn man denkt und das Gefühl hat, „ich“ sei der Einzige, der es verdient, etwas Bestimmtes zu tun oder zu erreichen, z.B. Karriere zu machen, und neidisch wird, wenn jemand anderer erfolgreich ist, dann beginnt man zu konkurrieren. Dann muss man die andere Person übertrumpfen, selbst wenn man schon einigermaßen erfolgreich ist. Hier beinhaltet Neid ein starkes Gefühl von „Ich“ und ein stark vorherrschendes Denken nur an sich selbst. Wir betrachten andere nicht auf die gleiche Weise wie uns selbst. Wir halten uns selbst für etwas Besonderes.
Das Mittel, das der Buddhismus anbietet, um den Problemen und dem Unglücklichsein abzuhelfen, die durch Neid, Rivalität und Überheblichkeit zustande kommen, besteht darin, die zugrunde liegende falsche Vorstellung in Bezug auf „Ich“ und „Du“ zu berichtigen. Es ist notwendig, jeden als gleich zu verstehen und zu sehen. In dem Sinne, dass ein jeder Buddha-Natur besitzt – das Potenzial, das es ermöglicht, Erleuchtung zu erlangen –hat jeder die gleichen grundlegenden Fähigkeiten. Jeder hat auch den gleichen Wunsch, glücklich und erfolgreich zu sein, und möchte nicht unglücklich sein oder versagen. Und jeder hat das gleiche Recht, glücklich und erfolgreich zu sein und nicht unglücklich zu sein oder Fehlschläge zu erleiden. In dieser Hinsicht bin „ich“ nichts Besonderes. Dementsprechend wird im Buddhismus auch Liebe gelehrt, der Wunsch, dass jeder gleichermaßen glücklich sein möge.
Wenn wir lernen, unter den Gesichtspunkten von Buddha-Natur und Liebe jeden als gleich anzusehen, dann sind wir offen dafür, unser Augenmerk darauf zu richten, wie wir mit jemandem umgehen, der mehr Erfolg hatte als wir oder der erfolgreich war, während wir es nicht waren. Wir freuen uns mit an seinem oder ihrem Erfolg, weil wir wollen, dass jeder glücklich ist. Wir versuchen auch, denjenigen zu helfen, die mit uns auf der gleichen Stufe stehen, statt mit ihnen zu konkurrieren und zu versuchen, sie zu übertreffen. Denjenigen, die weniger erfolgreich als wir sind, versuchen wir zu helfen, voranzukommen, anstatt in Schadenfreude zu schwelgen und uns auf arrogante Weise besser zu dünken als sie.
Kulturelle Verstärkung von Neid und Konkurrenzdenken
Diese vorgeschlagenen buddhistischen Methoden sind sehr weit entwickelt und besonders schwer anzuwenden, wenn unser von selbst aufsteigender Neid und entsprechendes Konkurrenzdenken verstärkt und sogar belohnt wird von bestimmten kulturellen Wertvorstellungen, die vor allem in westlichen Gesellschaften vorherrschen. Fast alle Kinder freuen sich, wenn sie gewinnen, und weinen, wenn sie verlieren. Aber zusätzlich wird in vielen westlichen Kulturen gelehrt, Kapitalismus sei naturgemäß die beste Form einer demokratischen Gesellschaft. Dem liegt die Theorie vom Überleben des Stärkeren zugrunde, welche den Wettkampf zur treibenden Kraft des Lebens erhebt, anstatt Liebe und Zuneigung zu fördern. Überdies bestärken die westlichen Kulturen die Bedeutung von Gewinn und Erfolg durch geradezu besessene Betonung sportlicher Wettkämpfe und Verherrlichung der besten Athleten und der reichsten Menschen der Welt.
Darüber hinaus ist das gesamte politische System der Demokratie und der Wahlen mit Konkurrenz verbunden - etwa, wenn man sich als Kandidat anbietet, sich als Kandidat „verkauft“ und öffentlich darstellt, um wie viel besser man für ein Amt geeignet ist als die Rivalen. Werbekampagnen sind im Westen eine übliche Praxis, die das Bemühen verstärkt, jeden nur möglichen Schwachpunkt des rivalisierenden Kandidaten zu finden und auszunutzen, sogar was sein Privatleben betrifft. Dann werden diese Schwachpunkte über alle Maßen aufgeblasen und überall bekannt gemacht, um den oder die andere in Misskredit zu bringen. Viele Menschen betrachten solch ein Verhalten, das auf Neid und Wettkampf gegründet ist, als gerechtfertigt und lobenswert. Hier ist die Übersetzung des buddhistischen Begriffs als „Eifersucht“ angemessener als „Neid“, die emotionale Dynamik ist jedoch dieselbe.
Die tibetische Gesellschaft hingegen missbilligt jeden, der andere abschätzig behandelt und behauptet, etwas Besseres zu sein. Dies gilt als schlechte Charaktereigenschaft. Tatsächlich beinhaltet das erste Gelübde für Bodhisattvas, das wie eine Wurzel heilsamer Eigenschaften betrachtet wird: sich gegenüber Menschen, die sich in einer niedrigeren Position als man selbst befinden, niemals selbst zu rühmen und andere nicht herabzusetzen – was auch einschließt, derartige Werbung für sich selbst öffentlich einer Wählerschaft zu verkünden. Die Motivation wird hier spezifiziert als Verlangen nach Profit, Lob, Liebe, Respekt von den angesprochenen Personen und Eifersucht gegenüber denjenigen, die man durch solche Äußerungen herabsetzt. Dabei ist es nicht von Belang, ob das, was gesagt wird, stimmt oder nicht. Hingegen gilt äußerste Bescheidenheit in Äußerungen über sich selbst und Herunterspielen der eigenen Qualitäten – etwa indem man sagt: „Ich selbst habe keine guten Qualitäten, ich weiß gar nichts“ – als lobenswert. Wahlkampf wie in den westlichen Demokratien ist daher für Tibeter etwas sehr Befremdliches und würde in der tibetischen Gesellschaft überhaupt nicht funktionieren, wenn er auf die Art und Weise durchgeführt würde, wie es in westlichen Ländern üblich ist.
Schon auch nur zu sagen, dass man für ein Amt kandidieren will, wird als ein verdächtiges Zeichen von Arroganz und als ein Charakterzug angesehen, der nicht auf altruistische Motive schließen lässt. Der einzig mögliche Kompromiss könnte darin bestehen, dass Repräsentanten des Kandidaten, niemals aber der Kandidat selbst, gegenüber anderen über dessen gute Qualitäten und Errungenschaften sprechen, ohne diese jedoch mit denen der anderen Kandidaten zu vergleichen oder etwas Schlechtes über sie zu sagen. Auch diese Variante kommt aber selten zur Anwendung. Normalerweise werden bekannte Kandidaten, z.B. aus wohlhabenden Familien oder inkarnierte Lamas, ernannt, oft sogar ohne sie zu fragen, ob sie sich überhaupt für das betreffende Amt bewerben möchten. Wenn sie dann ablehnen, wird das als ein Zeichen von Bescheidenheit angesehen, denn wenn sie sofort „ Ja“ sagen würden, würde das auf Arroganz und Streben nach Macht schließen lassen. Für jemanden, der nominiert wurde, ist es fast unmöglich abzulehnen. Die Wahl findet dann statt, ohne dass ein Wahlkampf vorangegangen wäre. Man wählt üblicherweise den Kandidaten, der am bekanntesten ist.
Die buddhistische Methode, sich am Sieg anderer zu erfreuen – oder sogar anderen den Sieg zu überlassen und freiwillig Niederlagen auf sich zu nehmen – ist also vielleicht nicht das am besten geeignete Mittel zum Ausprobieren für Menschen im Westen, die voll und ganz von den Vorteilen des Kapitalismus und dem westlichen Wahlsystem mit seinen Wahlkämpfen überzeugt sind. Wir Westler müssen vielleicht zuerst einmal die Gültigkeit unserer kulturellen Werte überprüfen und uns mit den Formen von Eifersucht, Neid und Konkurrenz befassen, die auf bestimmten Lehrsystemen beruhen und daraus hervorgehen, wenn man solche Wertvorstellungen übernimmt, bevor wir uns näher mit den Formen der Eifersucht beschäftigen, die von selbst im Geist entstehen.
Wie relativ die Eifersucht und Rivalität ist, die auf den Werten westlicher Kulturen beruhen, kann vielleicht dadurch veranschaulicht werden, wie die indischen Märkte aufgebaut sind. In Indien gibt es Märkte für Kleidung, Märkte für Schmuck, Märkte für Gemüse usw. Sie bestehen aus Reihen von Ständen und Geschäften, eines neben dem anderen, die alle fast genau die gleichen Dinge verkaufen. Die meisten Ladenbesitzer sind miteinander befreundet und sitzen oft zusammen vor ihrem Geschäft und trinken Tee. Ihre Einstellung ist, dass es von ihrem Karma abhängt, ob ihr Geschäft gut läuft oder nicht.
Die trügerischen Erscheinungen, die Neid zugrunde liegen
Wie gesagt bedeutet Neid die Unfähigkeit, zu ertragen, dass jemand Errungenschaften in einem Bereich hat, dessen Wichtigkeit wir überbewerten, beispielsweise finanziellen Erfolg. Neidisch darauf, wünschen wir uns, dass stattdessen wir dies erlangen. Eine Variante davon tritt in Erscheinung, wenn jemand etwas von jemanden bekommt, zum Beispiel Liebe und Zuneigung. Auch in dem Fall wünschen wir uns, statt der oder des anderen könnten wir sie bekommen.
Dieses störende Gefühl von Neid rührt aus zwei trügerischen Erscheinungen her, die unser Geist aufgrund seiner Verwirrung und Unwissenheit, wie die Dinge wirklich existieren, hervorbringt und projiziert. Es handelt sich um die dualistische Erscheinung (1) eines scheinbar festen „Ichs“, dem es naturgemäß zusteht, etwas Bestimmtes zu erlangen oder zu erhalten, das dies aber nicht erhalten hat, und (2) eines scheinbar feststehenden „Du“, dem es naturgemäß nicht zusteht, es zu erhalten. Unbewusst haben wir das Gefühl, dass die Welt uns etwas schuldet und dass es unfair ist, wenn stattdessen andere es bekommen. Wir teilen die Welt in zwei feste Kategorien ein: „Verlierer“ und „Gewinner“, und wir meinen, die Menschen würden wahrhaft in diesen Schubladen existieren und zu finden sein, die scheinbar feststehende wahre Kategorien sind. Dann ordnen wir uns selbst der festen, dauerhaften Kategorie „Verlierer“ zu und die andere Person der festen, dauerhaften Kategorie „Gewinner“. Möglicherweise ordnen wir sogar alle außer uns selbst der Gewinner-Schublade zu. Dann empfinden wir nicht nur Groll, sondern fühlen uns zum Unheil verdammt. Das wiederum führt zur Fixierung auf die schmerzlichen Vorstellung „Ich Armer“.
Neid wird gewöhnlich von Naivität hinsichtlich Ursache und Wirkung von Verhalten begleitet. Wir verstehen z.B. nicht oder bestreiten sogar, dass eine bestimmte Person, die eine Beförderung oder Zuneigung erhält, etwas dafür getan hat, um sich dies zu verdienen. Außerdem haben wir das Gefühl, dass eigentlich wir diejenigen sind, denen das zusteht, ohne etwas Besonderes dafür getan zu haben. Oder wir haben das Gefühl, dass wir selbst viel dafür getan haben und trotzdem nicht dafür belohnt wurden. Unser Geist bringt also eine zweite trügerische Erscheinung hervor und projiziert sie auf die Realität. Unser verwirrter Geist lässt Dinge so erscheinen, als würden sie vollkommen ohne Grund geschehen, oder nur aus einem einzigen Grund: aufgrund von etwas, das allein wir getan haben.
Trügerische Erscheinungen abbauen
Diese zwei trügerischen Erscheinungen gilt es abzubauen. Unsere Kultur hat uns vielleicht gelehrt, dass die treibende Kraft, die der Welt der Lebewesen naturgemäß innewohnt, der Wettbewerb ist: der Antrieb zu gewinnen und das Überleben des Stärkeren. Aber diese Voraussetzung ist möglicherweise nicht wahr. Nichtsdestotrotz, wenn wir sie akzeptierten, glauben wir, dass die Welt von Natur aus aufgeteilt ist in eine unauflösliche Dichotomie von Gewinnern und Verlierern. Folglich nehmen wir die Welt in festen gedanklichen Kategorien von Gewinnern und Verlierern wahr und natürlich auch uns selbst in demselben gedanklichen Rahmen.
Obwohl diese begrifflichen Vorstellungen von Gewinnern, Verlierern und Wettkampf nützlich sein können, um die Evolution zu beschreiben, ist es wichtig zu erkennen, dass es sich um willkürliche geistige Konstruktionen handelt. „Gewinner“ und „Verlierer“ sind nur geistige Benennungen. Es sind bequeme geistige Kategorien, die man verwendet, um bestimmte Ereignisse zu beschreiben, zum Beispiel, wenn jemand bei einem Rennen zuerst ins Ziel geht, bei der Arbeit befördert wird oder jemand einen Klienten oder Studenten an jemand anderen verliert. Genauso leicht können wir Leute in die Kategorien „netter Mensch“ und „kein netter Mensch“ einteilen, je nachdem, was wir unter „nett“ verstehen.
Wenn wir erkennen, dass all diese dualistischen Kategorien-Paare bloß geistig konstruiert sind, beginnen wir zu verstehen, dass es auf Seiten des „Ich“ und „Du“ nichts Innewohnendes gibt, das sie in derartige feste Kategorien einsperren würde. Es ist nicht so, dass wir grundsätzlich und von Natur aus Verlierer sind, und dass wir, indem wir uns selbst für Verlierer halten, schließlich die Wahrheit entdeckt haben, nämlich dass das wirkliche „Ich“ ein „Verlierer“ ist - „Ich Armer!“ Vielmehr ist es so, dass wir außer der Tatsache, einen Klienten an jemand anderen verloren zu haben, noch viele andere Eigenschaften haben. Warum sollten wir also in diesem einen Attribut schwelgen, als sei es das wirkliche „Ich“?
Im Übrigen liegt es nur an unserem begrenzten Geist und unserem Vertieftsein in die Vorstellung „ich Armer“ oder „du Mistkerl“, dass es so erscheint, als würden Erfolg oder Versagen, Gewinn oder Verlust aus keinem oder einem unerheblichen Grund geschehen. Deswegen denken wir, was uns widerfährt, sei ungerecht. Doch was auch immer im Universum geschieht, geschieht aufgrund eines gigantisches Netzwerks von Ursachen und Wirkungen. So viele Sachverhalte haben Einfluss darauf, was mit uns und anderen geschieht – es geht weit über unser Vorstellungsvermögen hinaus, jeden Faktor mit einzubeziehen.
Wenn wir diese beiden trügerischen Erscheinungen (Gewinner und Verlierer und dass Dinge anscheinend ohne guten Grund geschehen) abbauen und aufhören sie auf die Realität zu projizieren, entspannen sich unsere Gefühle bezüglich Ungerechtigkeit. Unterhalb unserer Eifersucht liegt bloßes Gewahrsein dessen, was erreicht wurde und was geschehen ist. Wir haben einen Klienten an jemand anderen verloren und nun hat jemand anderes diesen Klienten. Dies macht uns bewusst, dass man etwas erlangen kann. Wenn wir jemand anderem nicht missgönnen, dass er etwas erreicht oder erhalten hat, können wir vielleicht daraus lernen, wie er oder sie diese Meisterleistung vollbracht hat. Das kann uns ermöglichen zu erkennen, wie wir es selbst bewerkstelligen können. Neidisch und eifersüchtig sind wir nur, weil wir dieses Gewahrsein mit dualistischen Erscheinungen und festen Identitäten überlagern.
Zusammenfassung
Der Buddhismus bietet also eine Vielzahl von Methoden, um mit der störenden Emotion Neid umzugehen, egal, ob wir sie auf buddhistische oder westliche Weise definieren. Wenn wir von einer störenden Emotion geplagt werden, liegt die Herausforderung darin, deren typische Merkmale und unseren kulturellen Hintergrund richtig zu erkennen. Wenn wir uns mithilfe von Meditationspraktiken in verschiedenen Methoden geübt haben, können wir eine für uns passende Methode wählen, die uns hilft, mit jeder emotionalen Schwierigkeit fertigzuwerden, die wir erleben.