Dr. Alexander Berzin: Meine Aktivitäten in Osteuropa & der UdSSR 1985 bis 1992

Erster Besuch im Mai 1985 

Als ich mich auf einer Vortragsreise in Europa befand, um die Menschen für die Kalachakra-Initiation Seiner Heiligkeit des Dalai Lama vorzubereiten, die er im Juli 1985 in Rikon in der Schweiz erteilen würde, kam im April eine tschechische Frau in England auf mich zu und fragte mich, ob ich zu den Menschen in Prag sprechen könnte. Laut ihr gab es dort viele Leute, die ein Interesse am Buddhismus aber keinen Zugang zu den Lehren hatten. Früher konnte man an der Universität von Prag die tibetische Sprache lernen, doch sogar das war seit der russischen Invasion von 1968 verboten worden. 

Mein wichtigster Lehrer Tsenshap Serkong Rinpoche, für den ich neun Jahre als Übersetzer gedient hatte, war im August 1983 gestorben, und er pflegte in entlegene Gebiete zu reisen, in die sonst niemand gehen wollte. Weil ich diese Tradition fortführen wollte, stimmte ich zu und einen Monat später ging ich im Mai für eine Woche nach Prag, nachdem ich mein Visum bekommen hatte. 

Ich wusste nicht, was was da auf mich zukam, als ich von Deutschland aus mit dem Zug nach Prag fuhr und miterlebte, wie die Polizei mit großen Hunden die Abteile durchsuchte, als wir den Eisernen Vorhang überschritten. Ich betrat eine Welt, die dem Westen größtenteils unbekannt war. Das war lange bevor es das Internet gab und alle westlichen Magazine oder Zeitungen, die ich mitgebracht hätte, wären beim Eintritt in diese Welt konfisziert worden. Aus diesem Grund war ich mir während all der Zeit, die ich in Osteuropa und der UdSSR vor, während und nach dem Fall des Kommunismus verbrachte, gar nicht bewusst, welche dramatischen politischen Ereignisse sich überall um mich herum entfalteten, sondern sah nur ihre Auswirkungen.

Als ich nach Prag kam und dort auf nette und gastfreundliche Leute traf, war ich sehr von ihrem ernsthaften Interesse berührt. Mich beeindruckte ihr Mut, den sie trotz der schweren Einschränkungen, der anti-religiösen Richtlinien und der Gefahren, denen sie ausgesetzt waren, besaßen. Obgleich es beispielsweise nicht möglich war, in irgendeiner Universität die tibetische Sprache zu studieren, unterrichtete Dr. Josef Kolmaš vom Orientalischen Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften privat und auf heimliche Weise. Was die Vorträge betraf, die ich vor kleinen Gruppen hielt, so konnten wir uns nur geheim in den Wohnungen der Leute treffen und mussten den Ort jedes Mal wechseln. Wenn Nachbarn uns verraten würden, hatten wir als sicherheitshalber Bierflaschen neben uns stehen und gaben vor Karten zu spielen, falls die Polizei kam. Meine eigene Erfahrung der polizeilichen Anmeldung kann man nur als beängstigend „kafkaesk“ beschreiben.

Zweiter Besuch von Juli bis Oktober 1986 

Meine neuen tschechischen Freunde verbreiteten bald die Nachricht, dass ich bereit war auch in andere osteuropäische Länder zu reisen und organisierten 1986 eine lange Tour von Juli bis Oktober. Sie umfasste die Tschechoslowakei (Prag und Ostrava), Polen (Krakau, Lodz, Warschau, Gdansk und Wroclaw), Ostdeutschland (Leipzig, Ost-Berlin), Ungarn (Budapest) und Jugoslawien (Zagreb in Kroatien, Ljubljana in Slowenien und Belgrad in Serbien). 

Und das sah folgendermaßen aus: Ich musste beispielsweise die tschechische Grenze zu Fuß mit meinem Koffer überqueren und hoffen, dass jemand auf der anderen Seite auf mich warten würde. Meine tschechischen Freunde konnten mich nicht hinüberbringen, weil sie nicht ohne ein Visum reisen konnten und es war fast unmöglich für sie zu erfahren, wie man eines bekommen konnte, was auch nur mit einer persönlichen Einladung möglich war. Obwohl Osteuropäer sich gegenseitig visafrei besuchen konnten, gab es ein Verbot in Bezug auf Reisen nach Polen – offiziell für Ostdeutsche, aber in der Praxis auch für die anderen. Das war eine Auswirkung auf den Beginn der polnischen Solidarno-Arbeiterbewegung im Jahr 1980 und damit wollten die Autoritäten verhindern, dass sich irgendwelche Protestideen verbreiteten.  

Wie ich bald herausfand, unterschied sich jedes osteuropäische Land erheblich von den anderen. Die Sowjetunion hatte 1956 Ungarn und 1969 die Tschechoslowakei besetzt. Um zu vermeiden, dass Polen dasselbe passieren würde, hatte die Regierung dort Solidarno verboten und von Dezember 1981 bis Juli 1983 das Kriegsrecht verhängt. Nun, drei Jahre später, teilten mir die Menschen mit, dass die meisten Polen wenig Respekt gegenüber den Gesetzen hatten und sie meist durch das Bestechen von Beamten umgingen. 

Der Buddhismus wurde vom Ministerium für Religion offiziell als Alternative zum Katholizismus befürwortet, um zu zeigen, dass er nicht die einzige Religion in Polen war. Ich wurde daher offiziell von der buddhistischen Kagyü-Gemeinschaft Polens eingeladen und hatte auf dieser Grundlage ein Visum bekommen, um an der Jagiellonen-Universität in Krakau einen Vortrag zu halten. In den verschiedenen anderen Städten, die ich besuchte, gab es Gruppen des Kagyü-Diamantweges, koreanische und Zen-Gruppen und in all diesen Zentren hielt ich Vorträge, die großen Anklang fanden. Nur die Zen-Gruppe hatte eine behördliche Erlaubnis, buddhistische Bücher in der Übersetzung zu drucken, aber sie druckten ausschließlich ihre eigenen Bücher. Die polnischen Übersetzungen von Büchern des tibetischen Buddhismus wurden heimlich kopiert und verteilt.

Ostdeutschland war im Gegensatz dazu noch eingeschränkter als die Tschechoslowakei, aber die Menschen, die ich traf, waren äußerst warmherzig. Sie schienen die Fähigkeit entwickelt zu haben, zu erkennen, wem sie trauen konnten, nicht die Polizei zu benachrichtigen. Ich hatte zwar ein Visum bekommen, um Leipzig zu besuchen und mir die mongolische Sammlung dort im Museum anzusehen, doch für Ostberlin war es nur möglich Tagespässe zu bekommen. Man musste bis Mitternacht wieder zurück und durfte die Stadtgrenzen nicht überschreiten. Die Inspektion beim Übertritt der Grenze war äußerst streng und aggressiv. Einmal musste mein Übersetzer sich ausziehen und musste eine rektale Untersuchung über sich ergehen lassen. 

Während diesem ersten Besuch in Ostberlin, hielt die Polizei unser Auto an und durchsuchte all unsere Papiere. Die Situation war ziemlich angespannt, da wir die Stadtgrenze übertreten hatten. Doch weil wir einen uniformierten ostdeutschen Soldaten bei uns hatten, der es riskiert hatte zu unseren Treffen zu kommen, konnte er unsere Verhaftung gerade noch abwenden. Wie in der Tschechoslowakei trafen wir uns nur in kleinen Gruppen und jeden Tag in einer anderen Wohnung. Die Leute kamen größtenteils aus einem Kampfsport-Club. Sport wurde in Ostdeutschland besonders gefördert und Kampfsport war offiziell erlaubt. Die Leute, die kamen, wollten etwas über die spirituellen Hintergründe von dem erfahren, was sie praktizierten.  

In Ungarn war es wieder ganz anders. Die Menschen waren ausgesprochen stolz auf ihre kulturelle Identität. Alexander Csoma de Körös, der im frühen 19. Jahrhundert das erste tibetisch-englische Wörterbuch erstellt hatte, war ein kultureller Held, da er sich auf den Weg gemacht hatte, die zentralasiatischen Wurzeln der ungarischen Sprache zu finden. Aus diesem Grund waren die Ungarn im Allgemeinen überaus wohlwollend gegenüber der tibetischen Kultur eingestellt. An den Universitäten gab es ein akademisches Interesse für Tibetologie. Dr. József Terjék lehrte beispielsweise an der Eötvös Loránd Universität (ELTE) die tibetische Sprache und hatte gerade ein tibetisch-ungarisches Wörterbuch herausgebracht. In der buddhistischen Mission, die damals die einzige buddhistische Gruppe war, hielt ich Vorträge. Es gab Anhänger von Lama Govinda, einem deutschen Pionier des tibetischen Buddhismus im Westens, der Anfang des 20. Jahrhunderts eine esoterische Version davon lehrte. Dr. Ernő Hetényi, der ältere Anführer dieser Gruppe, hatte enge Verbindungen zur kommunistischen Regierung und hielt in Ungarn das Monopol über den Buddhismus. 

Jugoslawien war die letzte Station auf dieser Reise. In vielen der jugoslawischen Republiken gab es unterschiedliche Religionen und historisch gesehen hatte es viele Streitigkeiten untereinander gegeben. Demzufolge gab es ein großes Misstrauen gegenüber Religion. Dem Buddhismus näherte man sich somit auf eine völlig akademische Weise. Aufgrund meines Harvard-Doktortitels in fernöstlichen Sprachen, Sanskrit und indischen Studien wurde ich eingeladen, in drei der Republiken an den Universitäten und an der Jugoslawischen Akademie der Künste und Wissenschaften in Zagreb Vorlesungen zu geben. Kroatien war die akademischste und formellste dieser Drei und das Hauptinteresse galt der Sanskrit-Philologie. Slowenien war etwas entspannter und mehr wie Westeuropa, mit mehr Interesse an der Philosophie. In Serbien nahm eine große Gruppe von Studenten an meiner Vorlesung teil, die ich auf die Meditationspraxis ausrichtete. Der Professor, der eher auf Sensationen aus war, ärgerte sich, dass es nicht um Tantra und Sex ging.

Durch meine Erfahrungen auf dieser Tour erkannte ich, dass ich Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama vielleicht noch auf andere Weise dienlich sein konnte, als gelegentlich sein Übersetzer fortgeschrittener buddhistischer Lehren zu sein. Die Tibeter besaßen lediglich indische Reisedokumente für Flüchtlinge und konnten keine anderen Länder besuchen, wenn sie keine offizielle Einladung hatten. In dieser Zeit hatten sie nur wenig oder gar keinen Kontakt und auch kaum Informationen über andere Länder in vielen Teilen der Welt. Ich sah es aber als äußerst wichtig, dass sie zu möglichst vielen Ländern Beziehungen knüpften, um die Botschaft der Gewaltlosigkeit Seiner Heiligkeit zu verbreiten und Unterstützung für Tibet in den Vereinten Nationen zu bekommen. Da ich mit meinen akademischen Qualifikationen leicht Einladungen bekommen konnte, um Gastvorträge an Universitäten zu halten und Akademiker mir problemlos solche offiziellen Einladungen geben konnten, entschied ich mich, dies als Opfergabe für Seine Heiligkeit zu tun. Ich begann erneut mit der kommunistischen Welt, besonders da Indien gute Beziehungen zu der UdSSR hatte. Schließlich weitete ich diese Besuche auf fast ganz Lateinamerika aus, sowie auf die südlichen und östlichen Länder Afrikas, Teile des Mittleren Ostens und, nach dem Zerfall der Sowjetunion, auf viele ihrer ehemaligen Republiken. 

Dritter Besuch vom November 1987 bis Februar 1988 

Meine nächste Vortragsreise durch Osteuropa begann ungefähr ein Jahr später. Sie dauerte von November 1987 bis Februar 1988 und umfasste nicht nur Jugoslawien (Zagreb in Kroatien und Ljubljana in Slowenien), Ungarn (Budapest und Szeged), die Tschechoslowakei (Prag und Kašava), Ostdeutschland (Ostberlin) und Polen (Poznań, Katowice, Krakau, Warschau, Drobin und Lodz), sondern das erste Mal auch die UdSSR (Moskau und Leningrad) sowie Bulgarien (Sofia).

Sie begann in Jugoslawien, wo ich erneut an den Universitäten in Zagreb und Ljubljana Vorlesungen gab. In Ungarn begann ich auch, mehr akademische Vorlesungen zu halten – im katholisch-theologischen Seminar in Budapest und in der József Attila Universität in Szeged. Von dort kehrte ich zurück in die Tschechoslowakei, wo wir uns als eine Gruppe von zehn Leuten in einem winzigen Haus in einem kleinen Dorf auf dem Lande für ein einwöchiges Retreat versteckten. Wir ließen alle Vorhänge verschlossen, aßen nur makrobiotisches Getreide und Linsen, und während der ganzen Zeit ging niemand von uns nach draußen. Vorsichtshalber kamen und gingen wir auch alle zu unterschiedlichen Zeiten und immer nur allein oder zu zweit. Danach waren wir auch in Ostberlin ähnlich vorsichtig. In keinem dieser beiden Ländern war es damals möglich, offiziellere Kontakte zu knüpfen.

Von dort unternahm ich meinen ersten Besuch in die Sowjetunion (die UdSSR), vom 29. November bis zum 5. Dezember 1987. Seine Heiligkeit hatte bereits 1979 und 1986 Besuche dort gemacht. Im Sommer vor meiner Ankunft hatte man gerade begonnen, eine Reform nach den Richtlinien von Glasnost und Perestroika durchzuführen, die 1985 von Michail Gorbatschow, dem Generalsekretär der kommunistischen Partei ausgerufen worden waren. Zur Sowjetunion gehörten drei traditionell buddhistische Republiken – zwei mongolische (Burjatien und Kalmückien) und eine türkische (Tuva) – die eine lange Geschichte des akademischen Interesses am Buddhismus hatten. Sogar während der Zarenherrschaft wurden Sanskrit, Mongolisch und Tibetisch an mehreren Universitäten gelehrt. 

Ich wurde von Dr. Andrey Terentyev, dem Kurator der buddhistischen Abteilung des Staatsmuseums der Geschichte von Religion und Atheismus in Leningrad eingeladen. Terentyev war Gyatsho Tshering, dem Direktor der „Library of Tibetan Works and Archives“ (LTWA) in Dharamsala, mit dem auch ich verbunden war, wohlbekannt. In der Bibliothek des Instituts für orientalische Studien im Leningrader Zweig der Akademie der Wissenschaften der UdSSR gab eine enorme aber noch nicht katalogisierte tibetische Sammlung und Terentyev tauschte bereits Bücher aus dieser Sammlung mit dem LTWA aus. Terentyev gab mir einige seltene Texte auf Mikrofilm aus der Leningrader Sammlung, um sie Seiner Heiligkeit als Opfergabe zu überbringen. 

Mein Besuch fand nur ein paar Wochen nach der zweiten Unionsoffenen Buddhologischen Konferenz in Moskau statt, an der 130 Gelehrte aus Universitäten und Bibliotheken der gesamten Sowjetunion teilgenommen hatten. Durch Terentyev lernte ich einige dieser Gelehrten kennen, die aus der Leningrader Bibliothek und aus anderen Abteilungen des Instituts orientalischer Studien und der Leningrader Universität kamen. 

Die Buddhisten, die ich in Leningrad und Moskau traf, waren die ernsthaftesten und gelehrtesten Leute, die ich im Ostblock kennengelernt hatte. Sie waren akademisch orientiert, hatten aber auch ein Interesse an der Praxis. Im Gegensatz zu den kommunistischen Ländern, in denen es mehr Einschränkungen gab, hatten sie buddhistische religiöse Objekte offen bei sich zu Hause stehen. Viele von ihnen hatten Mongolisch und Tibetisch studiert, und einige Texte übersetzt. Manche besuchten die älteren Burjaten-Lamas in den zwei symbolischen Klöstern, die es noch in Sibirien gab – Ivolginsky in Ulan Ude und Aginsky im Chita-Distrikt – konnten dort jedoch keine Belehrungen oder Anweisungen bekommen. 

Sowohl in Leningrad als auch in Moskau hielt ich vor ungefähr zehn Leuten in privaten Wohnungen Vorträge und danach überhäuften sie mich dann den ganzen Tag lang mit Fragen und standen Schlange, um jeweils ein paar Minuten Zeit mit mir zu verbringen. Es schien, dass sie Angst vor möglichen Informanten hatten, wenn andere von ihren geheimen Treffen mit den alten Burjaten-Lamas erfahren würden. 

Ostberlin schien danach noch repressiver als vorher, doch in Polen, das ich als nächstes besuchte, bekam ich mehr Möglichkeiten, buddhistische Zentren im ganzen Land zu besuchen und nicht nur an der Jagiellonen-Universität in Krakau Vorlesungen zu geben, sondern auch an der Warschauer Universität und dem Kulturpalast in Poznań. 

Die letzte Station auf dieser Reise war Sofia in Bulgarien. Bulgarien war ein äußerst repressives Land und jeder schien paranoid und misstrauisch gegenüber dem anderen zu sein. Die Polizei und auch ganz gewöhnliche Menschen spitzelten sich gegenseitig aus. Ich knüpfte erste Kontakte und traf ein paar interessierte Leute. Der wichtigste Kontakt war Dr. Georgi Svechnikov von der bulgarischen Akademie der Wissenschaften, dem Institut der Thrakologie (antike bulgarische Studien) und auch er stand bereits in Kontakt mit Gyatsho Tshering im LTWA.

Sobald ich nach Dharamsala zurückkehrte, unterrichtete ich Seine Heiligkeit von meinen Reisen. Er zeigte großes Interesse und so begann ich, ausführliche Berichte zu schreiben. Darin schilderte ich nicht nur, was ich auf jeder Tour erreicht hatte, sondern lieferte auch Hintergrundinformationen zu jedem Land, besonders der Geschichte, der vorherrschenden Religion und den gegenwärtigen Beziehungen zu China. In dieser Zeit verfügten die Tibeter im Exil nur über wenig Wissen über die Welt und schätzten diese Berichte, die nützlich sein würden, um internationale Beziehungen aufzubauen. Ich beschrieb auch die Lebenssituation der wichtigsten politischen und religiösen Anführer eines jeden Landes, um Seiner Heiligkeit und den Verantwortlichen zu helfen, zukünftige Treffen mit ihnen vorzubereiten. 

Vierter Besuch von April bis Mai 1989 

Meine nächste Reise nach Osteuropa und die Sowjetunion fand von Anfang April bis Ende Mai 1989 statt. Sie umfasste Jugoslawien (Zagreb in Kroatien, Ljubljana in Slowenien und Novi Sad in Serbien), Bulgarien (Sofia), Ungarn (Budapest und Debrecen), die Tschechoslowakei (Ostrava), Polen (Krakau, Kuchary und Warschau), die Sowjetunion (Leningrad, Moskau und Tartu in Estland), sowie Ostdeutschland (Ostberlin).

Jugoslawien war ziemlich instabil geworden, besonders Serbien. Es gab eine 1000-prozentige Inflation und große innere Unruhen. Obgleich viele der Ostblock-Länder begannen liberaler zu werden, verschloss sich Jugoslawien, hauptsächlich wegen dem serbischen Nationalismus. Jugoslawien war unter starkem chinesischen Einfluss geraten. Auf der Gesellschaft für jugoslawisch-indische Freundschaft in Belgrad hieß es beispielsweise ausdrücklich: „kein Lamaismus erlaubt“. Wie zuvor hielt ich an mehreren Universitäten Vorlesungen. Es war sehr ermutigend als ich erfuhr, dass sich der Sanskrit-Professor der Universität in Zagreb nach meiner Vorlesung im vergangenen Jahr entschieden hatte, im nächsten Jahr Shantidevas „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ zu unterrichten, welcher der erste buddhistische Text war, der in dem Land gelehrt wurde.

Dieses Mal wurde ich in Bulgarien auf Svechnikovs Bitten offiziell von der Nomaden-Abteilung des Instituts der Thrakologie und von „Terra Antiqua Balcanica“ in Verbindung mit der Universität in Sofia eingeladen. Von den osteuropäischen Ländern hatte Bulgarien in dieser Zeit die engsten Beziehungen zur Sowjetunion. Die sowjetischen Buddhologen hatten keine Möglichkeit, ihre Artikel und Bücher auf Englisch zu veröffentlichen oder russische Übersetzungen der LTWA-Veröffentlichungen anzufertigen, sie herauszubringen und in der UdSSR zu verteilen. Dr. Alexander Fol, dem Direktor der Nomaden-Abteilung und des Terra Antiqua Balcanica, lag viel daran, diese Werke der russischen Akademiker zu veröffentlichen und eine Verbindung mit dem LTWA aufzubauen, um solche Projekte zu erleichtern. Er führte bereits Verhandlungen, um eine Zusammenarbeit mit mehreren sowjetischen akademischen Institutionen aufzubauen und bat mich, als Kontaktperson zu dienen, um dieses Projekt mit dem LTWA auf den Weg zu bringen. Svechnikov bekundete Interesse an einer möglichen Einladung Seiner Heiligkeit nach Bulgarien in der Zukunft.

Der bulgarische Geheimdienst war vollständig von meinem ersten Besuch informiert. Dort interessierten sie sich für tibetischen Buddhismus, um herauszufinden wie man andere durch ESP (übersinnliche Wahrnehmung) kontrollieren konnte. Einige ihrer Agenten trafen sich mit mir und fragten mich, wie man solche Dinge lernen konnte und eine von ihnen versuchte sogar mich zu beeindrucken, indem sie einen Geldschein auf ihrer Handfläche scheinbar von selbst zusammenrollen ließ. 

Von Bulgarien ging ich nach Ungarn, wo sich die Zustände und Gesetze fast jede Woche änderten und es Möglichkeiten für mehr Freiheit gab. Die Menschen warteten ab, um zu sehen, in welche Richtung sich die Dinge bewegen würden. Es gab viel Unterstützung für die Menschenrechte der ungarischen Minderheit in Transsylvanien, Rumänien. Rumänien war das wahrscheinlich repressivste aller osteuropäischen Länder, außer vielleicht noch Albanien. Meine ungarischen Gastgeber hatten für mich arrangiert, Transsylvanien zu besuchen, doch als es herauskam und sie erfuhren, dass der rumänische Geheimdienst dort auf mich warten würde, um mich zu verhaften, sagten wir den Besuch im letzten Moment ab.

In Budapest hielt ich an der ELTE-Universität und der Gesellschaft der Nationalen Orientalisten der Karl-Marx-Wirtschaftsuniversität, sowie an der Universität von Debrecen Vorlesungen. Vor ein paar Jahren hatte Seine Heiligkeit Ungarn durchquert und sich gefragt, warum es dort so ein besonderes Interesse an der tibetischen Kultur gab. Er sagte mir, dass es vielleicht interessant sein könnte Ungarn zu besuchen und so stellte ich in seinem Namen Nachforschungen an. Ich traf mich mit den führenden tibetischen Gelehrten und schlussfolgerte, dass Dr. Terjék, der nicht nur Tibetisch an der ELTE-Universität unterrichtete, sondern auch im ungarischen Ministerium für ausländische Angelegenheiten ein Berater für asiatische Belange war, die beste Kontaktperson dafür sein würde. Terjék gab mir einen Rat, welcher Vorgehensweise man am besten folgen sollte, und das gab ich an das Privatbüro Seiner Heiligkeit weiter. Damit begann ich mich daran zu beteiligen, für Seine Heiligkeit einige der ersten Besuche in der ehemaligen kommunistischen Welt arrangieren zu helfen. 

Dann reiste ich kurz durch die Tschechoslowakei. Obwohl es durch Glasnost und Perestroika in Ungarn, Polen und auch ein wenig in Bulgarien langsam zu Auswirkungen kam, gab es in der Tschechoslowakei große Angst davor. Die Menschen fürchteten, in der Zukunft wieder, wie 1968, von den Sowjets unterdrückt zu werden, wenn sie irgendwelche liberalen Reformen umsetzen würden. Der tschechische Geheimdienst hatte begonnen, meine früheren Besuche zu prüfen und obwohl schon einige Leute befragt worden waren, hatte bis jetzt noch niemand Probleme bekommen. Damit ich nicht über Nacht bleiben und mich polizeilich melden musste, blieb ich nur ein paar Stunden, um mich persönlich mit Leuten in Ostrava zu treffen und reiste dann schnell weiter nach Polen.    

In Polen verbrachte ich dieses Mal zwölf Tage und während ich dort war, öffnete Ungarn am 2. Mai 1989 die Grenze zu Österreich und damit das erste Mal den Eisernen Vorhang. Viele Ostdeutsche, die gerade in Ungarn Urlaub machten, flohen nach Österreich, aber keiner der Polen, die ich während diesem Besuch traf, waren sich über dieses monumentale Ereignis bewusst. Wieder gab ich an der Jagiellonen-Universität in Krakau und der Warschauer Universität Vorlesungen, hielt Vorträge in buddhistischen Zentren und leitete ein Meditationsretreat in Kuchary an. Der Enthusiasmus für den Buddhismus unter den Praktizierenden war zwar etwas geringer als zuvor, aber dafür war das Interesse an den Universitäten gestiegen. Die Jagiellonen-Universität lud mich beispielsweise ein, bei meinem nächsten Besuch dort einen sechstägigen Kurs abzuhalten.

Unter den polnischen Menschen gab es ein wachsendes Interesse und eine Sympathie für die tibetische Sache und so liefen im polnischen Fernsehen und in der polnischen Abteilung von Radio Free Europe Programme über Tibet. Es gab auch ein Interesse daran, Artikel und Bücher über Tibet auf Polnisch zu veröffentlichen. Der im Untergrund arbeitende Verleger der buddhistischen Kagyü-Gemeinschaft von Polen hatte vier Bücher meiner Vorlesungen in Polen gedruckt. Aufgrund dieses Interesses an Tibet und dem Buddhismus sowie der sich wandelnden politischen Lage besprach ich die Strategie für einen möglichen zukünftigen Besuch Seiner Heiligkeit in Polen mit mehreren wichtigen Personen, die ein Interesse daran hatten, ihn zu organisieren.

Danach kehrte ich für eine Woche, vom 10. bis zum 16. Mai 1989 in die Sowjetunion zurück, was wiederum von Terentyev organisiert wurde. Alles änderte sich schnell und es gab viel mehr Freiheiten und Möglichkeiten als jemals zuvor. Die lokale buddhistische Gemeinschaft der Burjaten übte beispielsweise viel Druck auf den Leningrader Stadtrat aus, ihnen den Leningrader Tempel, der allgemein als „Kalachakra Tempel“ bekannt war, zurückzugeben. Er war kurz vor der Oktoberrevolution erbaut worden und beherbergte momentan ein Institut für Insektenkunde.

In Leningrad arbeitete ich mit einigen Leuten an Texten, die sie gerade übersetzten, und hielt in der Wohnung von jemandem einen Vortrag vor 40 Leuten und dann in einer Halle vor einer Gruppe von über 60 Leuten. Das war das erste Mal, dass in der Sowjetunion ein öffentlicher Vortrag über den Buddhismus gehalten wurde. Die Menschen, die kamen, wussten nicht, ob sie wegen ihrer Teilnahme bestraft werden würden, doch niemand bekam irgendwelche Probleme. Terentyev hat dieses Ereignis als einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte des Buddhismus in der UdSSR beschrieben. 

Während ich in Leningrad war, knüpfte ich weiter Kontakte mit Akademikern in der Bibliothek des Instituts für orientalische Studien, sowie mit dem Kurator der großen tibetischen Sammlung in der Eremitage. Von dort machte ich auch einen Abstecher nach Estland, um mir die drei Stupas anzusehen, die dort erbaut worden waren. Von all den Sowjetrepubliken führte Estland den Trend zur Unabhängigkeit an. Das Jahr zuvor, am 20. August 1988, hatte Estland die erste nicht-kommunistische politische Partei in der Sowjetunion gegründet, die Estnische Partei der Nationalen Unabhängigkeit. Dann, am 16. November 1988, hatte Estland die Vorrangstellung der estnischen Gesetze gegenüber den sowjetischen Gesetzen geltend gemacht und war damit die erste Sowjetrepublik, die dies tat. 

Ich traf mich mit Professor Linnart Mäll von der Tartu-Universität, dem Präsidenten der estnischen orientalischen Gesellschaft. Er bot mir an, mich bei meinem nächsten Besuch in der Sowjetunion offiziell einzuladen, eine Woche Vorlesungen an seiner Universität zu halten, an der er Tibetisch lehrte. Er erklärte, dass es in Estland ein enormes Interesse an Tibet und dem Buddhismus gab. Er hatte Shantideva’s „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ (tib. sPyod-‘jug, Skt. Bodhisattvacāryāvatāra) ins Estnische übersetzt und 20.000 Ausgaben drucken lassen, die gleich am ersten Tag ausverkauft waren. 

In Moskau lehrte ich wieder privat und traf Akademiker am Institut für Orientalische Studien der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Im Moskauer Büro des Zentralen Spirituellen Vorstands der Buddhisten der UdSSR, das vom Rat für Religiöse Angelegenheiten des Sowjets der Minister gegründet wurde, der ein Zweig des KGB war, hielt ich auch freie Vorträge. Terentyev hatte seit 1978 Beziehungen zu ihnen. Der Vorstand mit neun Mitgliedern befand sich in Ulan Ude, Burjatien, und ihr Moskauer Repräsentant war Tom Rabdonov. Rabdonov arrangierte buddhistische Angelegenheiten mit der Zentralregierung, sowie auch Besuche von Ausländern in Ulan Ude. 

In der Vergangenheit hatte der Rat nur Ivolginski Datsan in Ulan Ude als offizielle buddhistische Gruppe registriert, doch im vergangenen Jahr 1988 waren Aginsky Datsan in Chita und die kalmückischen Buddhisten in Elista ebenfalls erfolgreich registriert worden. Ein „Dastan“ ist die Abteilung eines Klosters und sie wurde hier ihrem übrigen Haupttempel zugewiesen. Die buddhistischen Gruppen der Burjaten in Leningrad und Moskau wollten sich nun registrieren lassen und ich traf mich mit Anführern beider Gruppen. Außerdem sprach ich mit Rabdonov über einen möglichen Besuch Seiner Heiligkeit in der Zukunft. Er bot mir an, mich nächstes Mal offiziell für weitere Besprechungen und Kooperation in die Sowjetunion einzuladen.

Am 21. Mai beendete ich diese Tour in Ostberlin, das, wie zuvor, immer noch sehr restriktiv war. Wieder traf ich mich heimlich mit interessierten Leuten der Kampfkunst-Gemeinschaft.

Zeitraum zwischen den Besuchen von Mai 1989 bis Januar 1990 

Im Juli 1989 hatten sowohl Solidarno in Polen als auch die Regierung von Ungarn grundsätzlich Besuche Seiner Heiligkeit akzeptiert. Ein paar Wochen zuvor hatte Solidarno 99 Prozent der Sitze in der Wahl für den neu erschaffenen polnischen Senat gewonnen. Lech Wałęsa, der Solidarno im Jahr 1980 als Arbeitervereinigung in Gdansk gegründet hatte, war nun der einflussreichste Anführer in Polen und das Vorbild für gewaltlose Freiheitsbewegungen in ganz Osteuropa. Darüber hinaus wurde Dr. Fol, der Direktor der Nomaden-Abteilung des Instituts für Thrakologie in Bulgarien, als Minister für Kultur, Bildung und Wissenschaften ernannt. Seine Heiligkeit hatte zwar Interesse daran bekundet, Osteuropa so bald wie möglich zu besuchen, aber die Entscheidung musste warten, da sich die Situationen in der gesamten Region jeden Tag änderten und nach wie vor bei den Versuchen, die neue politische Situation anzupassen, großes Chaos herrschte. 

Am 23. August 1989 bildeten etwa 2 Millionen Menschen eine Menschenkette, die sich über die drei baltischen Republiken erstreckte, um ihre Einheit auf der Suche nach Unabhängigkeit zu demonstrieren. Am 12. September wurde in Polen die erste nicht-kommunistische Regierung gebildet. Das dramatische Ende des Kommunismus in Osteuropa beschleunigte sich mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November. Am nächsten Tag gab die kommunistische Partei ihr Monopol in Bulgarien auf. Die samtene Revolution in der Tschechoslowakei begann am 17. November und Nicolae Ceaușescu, der Präsident von Rumänien, wurde verhaftet und am 25. Dezember hingerichtet. 

Wie ich während meinen früheren Besuchen in der Region erfahren hatte, gab es in mehreren Ländern bereits ein ernsthaftes Interesse an Besuchen Seiner Heiligkeit. Einer der Gründe war vielleicht, in diesen ungewissen Zeiten Anweisungen und Orientierungshilfen von ihm zu bekommen. Doch als Seiner Heiligkeit dann mitten im Zerfall des Kommunismus am 10. Dezember der Friedensnobelpreises verliehen wurde, stieg das Interesse an solch einem Besuch noch weiter an. Meine Analyse, warum das so war, ergab, dass eines der Hauptprobleme der streng kontrollierten kommunistischen Ländern in der zentralen Planung und Bevormundung der Menschen lag, die nicht mehr das Gefühl hatten, selbst etwas organisieren oder Entscheidungen treffen zu können. Obwohl sie sich wirklich neue Programme wünschten und viele herausragende Ideen hatten, wussten sie nicht so richtig, wie sie sie umsetzen sollten. Lange Zeit konnten sie anderen nicht vertrauen und so fiel es ihnen schwer miteinander zu kooperieren oder zusammenzuarbeiten. Es schien mir, dass die Leute vielleicht nach einer wohlwollenden Persönlichkeit suchten, die möglichst nicht ihrem System entstammte, und die sie respektieren und um Orientierungshilfe und Rat fragen konnten. Das war meine Sichtweise dazu, warum es in der ehemaligen kommunistischen Welt so ein großes Interesse dafür gab, Seine Heiligkeit einzuladen.

Weniger als drei Wochen nachdem Seine Heiligkeit den Friedensnobelpreis bekommen hatte, wurde Václav Havel am 29. Dezember 1989 zum Präsidenten der Tschechoslowakei ernannt. Er hatte Seine Heiligkeit lange bewundert, wusste aber nur wenig über ihn oder über Tibet und so lud er ihn bald nach seiner Amtsübernahme als besonderen Gast ein. Später erfuhr ich, dass er von Seiner Heiligkeit Meditation lernen wollte, um besser mit den herausfordernden Verpflichtungen seiner neuen Position umgehen zu können. 

Fünfter Besuch von Januar bis Mai 1990  

Gegen Ende Januar 1990 kehrte ich nach Prag zurück, um mich mit dem Sekretär von Präsident Havel, Sascha Neumann, zu treffen, der 1987 an meinen geheimen Vorträgen teilgenommen hatte. Wir machten einen Plan für den Besuch und wählten mögliche Themen des gegenseitigen Interesses für die Besprechung aus. Ich sandte einen Bericht mit unseren Vorschlägen nach Dharamsala, um Seine Heiligkeit vor Seiner Ankunft zu benachrichtigen. 

Damit begann meine nächste umfangreiche Osteuropa- und Sowjetunion-Tour, die mich nach Ungarn (Budapest) führte, zurück in die Tschechoslowakei (Prag), sowie nach Bulgarien (Sofia), Polen (Warschau, Gdansk, und Krakau), die Sowjetunion (Moskau, Vilnius und Kaunus in Litauen, Riga in Lettland, Tartu in Estland, Leningrad, Ulan Ude in Burjatien, Elista in Kalmückien, und Kyzyl in Tuva), Mongolei (Ulaan Baatar), zurück nach Ungarn (Budapest), Tschechoslowakei (Prag), nochmal Ungarn (Budapest), Bulgarien (Sofia), und Jugoslawien (Belgrad in Serbien und Zagreb in Kroatien). 

Nachdem die Vorbereitungen für den Besuch Seiner Heiligkeit in Prag abgeschlossen waren, ging ich für ein paar Tage nach Budapest, um mit Dr. Terjék, dem Professor für Tibetisch an der ELTE-Universität und Berater des Außenministeriums, über Vorbereitungen für einen zukünftigen Besuch Seiner Heiligkeit nach Ungarn zu sprechen. Lodi Gyari Rinpoche, der Minister der Abteilung für Information und internationale Beziehungen der tibetischen Exil-Regierung, hatte vor kurzem Budapest besucht, um Verhandlungen zu beginnen. Die Wahlen für das neue Parlament sollten am 26. März stattfinden und hinsichtlich des Ausgangs gab es viel Ungewissheit. Daher schlug Terjék vor, dass es in dieser Situation besser wäre, wenn buddhistische Gruppen und eine tibetische Gesellschaft von Gelehrten, die er gerade aufbaute, sowie vielleicht seine Universität die Einladung und den Besuch mittragen würden. 

Ein paar Wochen zuvor war ein neues Gesetz erlassen worden, das religiösen Organisationen unabhängige Rechte, religiöse Freiheit und finanzielle Unterstützung gewähren würde. Drei ungarische buddhistische Gruppen hatten sich qualifiziert. Ich traf mich mit dem Leiter der Abteilung für religiöse Angelegenheiten im Kultusministerium und er versicherte mir deren volle Unterstützung für den Besuch. Mehrere Leute, die ich traf, waren interessiert daran eine Gruppe für die Unterstützung Tibets zu gründen. Während ich in Budapest war, gab ich auch eine Vorlesung an der Universität für Gartenbau.

Dann kehrte ich nach Prag zurück, wo ich als Kontaktperson und Dolmetscher für den Besuch Seiner Heiligkeit vom 2. bis zum 6. Februar 1990 diente. Der Besuch begann mit einem privaten Treffen mit Kardinal Tomášek und einer kleinen Gruppe religiöser Würdenträger. Sie sprachen über die Bedeutung von Mitgefühl in jeder ihrer Traditionen und diese Art von ökumenischem Treffen war etwas, das Seine Heiligkeit am meisten schätzte. Nach dem Treffen erfuhr Seine Heiligkeit, dass sich die älteste jüdische Synagoge Europas in Prag befindet, und obwohl es nicht Teil des straffen Programms war, wollte Seine Heiligkeit sie besuchen. Er war noch nie in einer Synagoge gewesen und so gingen wir kurz am nächsten Morgen hin. Die Samstagmorgen-Andacht war im Gange und auf Bitten Seiner Heiligkeit erklärte ich ihm, was stattfand. Bevor wir gingen, ehrte der Rabbi Seine Heiligkeit, indem er ihn zum Schrein führte. 

Später an diesem Tag, nach dem Besuch einer tibetischen Fotoausstellung, dem Mittagessen in der Residenz des indischen Botschafters und einem Vortrag über Meditation im Institut für psycho-physische Regulierungen, begab sich Seine Heiligkeit und die ganze Gefolgschaft zum Lány Schloss, um dort Präsident Havel und seine engen Mitarbeiter zu treffen. Obwohl Seine Heiligkeit in der Regel niemals abends isst, nahm er als Geste besonderen Respekts und Freundschaft gegenüber dem Präsidenten an einem formellen Abendessen mit ihm teil. Präsident Havel war ein starker Raucher und am Tisch warnte ihn Seine Heiligkeit, dass er mit dem Rauchen aufhören solle, da es schlecht für seine Gesundheit sei.

Präsident Havel teilte mit Seiner Heiligkeit, wie herausfordernd seine neue Position und die neuen Verpflichtungen waren und bat ihn, ihm einige hilfreiche Meditationsmethoden beizubringen. Seine Heiligkeit willigte ein und am nächsten Morgen saß Seine Heiligkeit auf einem Kissen am Boden vor Präsident Havel und seinen Mitarbeitern in Trainingsanzügen. Seine Heiligkeit brachte ihnen ein paar grundlegende Meditationsmethoden bei und praktizierte sie mit ihnen zusammen. Danach gingen Seine Heiligkeit und der Präsident durch den Garten, führten ein paar persönliche Gespräche und nahmen im Anschluss an einer privaten Messe in der Kapelle teil. 

Wieder zurück in Prag wurde der öffentliche Vortrag auf dem Wenzelsplatz aus Sicherheitsgründen abgesagt und so ruhte sich Seine Heiligkeit im Hotel aus. Am nächsten Tag gab es ein volles Programm: ein öffentlicher Vortrag, ein Fernsehinterview, ein Gebet mit Kerzen auf dem Wenzelsplatz, ein buddhistischer Vortrag und der Empfang des Bürgermeisters im Bürgerforum. Am nächsten Morgen verließ Seine Heiligkeit Prag. 

Von Prag ging ich nach Sofia in Bulgarien, wo ich mich mit Dr. Fol und Dr. Blagovest Sendov, dem Präsidenten der bulgarischen Akademie der Wissenschaften traf, wo ich einen Vortrag hielt. Wir besprachen weitere Pläne für einen vorgesehenen Besuch Seiner Heiligkeit und klärten viele Punkte hinsichtlich einer Vereinbarung, die wir zwischen dem Institut der Thrakologie und dem LTWA in Dharamsala aushandelten. Die buddhistische Gemeinschaft in Leningrad hatte nun einen offiziellen Status von der Regierung im Zentralen Spirituellen Vorstand der Buddhisten in der UdSSR. Terentyev war der Leiter der Übersetzungs- und Veröffentlichungsabteilung geworden und sie waren auch daran interessiert, mit dem LTWA zusammenzuarbeiten und so diskutierten Fol, Sendov und ich, wie wir alle in Bezug auf Veröffentlichungen und Programme miteinander kooperieren konnten. 

Als nächstes ging ich nach Polen, wo ich den Direktor der Kommission für internationale Angelegenheiten von Solidarno in Gdansk traf, der eine Einladung von Lech Wałęsa und Solidarno für Seine Heiligkeit in Polen bestätigte. Zusammen entwarfen wir einen vorläufiges Programm für den vorgesehenen Besuch zwei Monate später im April. In Warschau traf ich auch den Erzbischof Bronisław Dąbrowski, der von einem Besuch Seiner Heiligkeit begeistert war und uns die volle Kooperation der Kirche, was die Organisation betraf, zusicherte. In Polen hielt ich wieder in verschiedenen buddhistischen Zentren Vorträge und gab erneut eine Vorlesung an der Jagiellonen-Universität in Krakau.

Polen hatte in der Zeit große wirtschaftliche Schwierigkeiten. Im Gegensatz zu früher, als noch der Kommunismus herrschte, gab es jetzt eine hohe Inflation und große Arbeitslosigkeit. Die Menschen waren jedoch bereit, diese Schwierigkeiten zu ertragen, um erfolgreich die neue Demokratie auf den Weg zu bringen. Auf den Straßen gab es spürbar weniger Autos als zuvor und das Telefonnetz war das primitivste in ganz Osteuropa, was ein großes Hindernis in der Entwicklung darstellte.

Am 6. März 1990 kehrte ich mit einer offiziellen Einladung vom Zentralen Buddhistischen Vorstand nach Moskau zurück. Als ich in Moskau ankam, waren die buddhistischen Gruppen in Leningrad, Moskau, Burjatien, Chita, Kalmückien und Tuva bereits offiziell registriert und Mitglieder geworden. Ich traf mich mit Tom Rabdonov und dem burjatischen stellvertretenden Generalsekretär der „Asian Buddhist Conference for Peace“ (ABCP), um ihre Pläne für die Entwicklung des Buddhismus in der Sowjetunion und einen möglichen nächsten Besuch Seiner Heiligkeit zu besprechen. 

Zwei Tage bevor ich ankam, wurde Boris Jelzin in den Kongress der Abgeordneten der Russischen Föderation gewählt. Die Russische Föderation war die größte aller Republiken der Sowjetunion und wie in der UdSSR wählte der Kongress der Abgeordneten in allen die Mitglieder des Höchsten Sowjets (des Parlamentes) einer jeden Republik. Gorbatschow war zu der Zeit der Vorsitzende des Höchsten Sowjets in der UdSSR. Es gab bereits Spannungen zwischen der Russischen Föderation und der Zentralregierung. Somit waren Jelzin und Gorbatschow nun Rivalen um die Macht. Die Feindschaft zwischen ihnen verschärfte sich, als Gorbatschow zehn Tage später, am 14. März, gewählt wurde, um Präsident der UdSSR zu werden.

Zwischen diesen zwei Ereignissen machte ich eine Reise in die drei baltischen Republiken. Meine erste Station war Litauen, wo ich in Vilnius vor einer Gruppe interessierter Leute private Vorträge hielt. Es waren die ersten buddhistischen Vorträge, die sie bekamen. Ich ging auch nach Kaunus, um den Mann zu treffen, der Tsongkhapas „Große Darlegung des Stufenpfades“ (Lam-rim chen-mo) ins Russische übersetzte. Am 11. März, zwei Tage nachdem ich Litauen verlassen hatte, erklärte der litauische Oberste Rat, angeführt von seinem Sprecher Vytautas Landsbergis, die Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Damit war Litauen die erste Republik, die dies tat. Seine Heiligkeit schickte ihm seine Grüße. Die Litauer, die mehrere Jahrhunderte zuvor ein großes Reich besessen hatten, waren die selbstbewusstesten und eigenwilligsten Menschen aller baltischen Länder. Ihnen waren die Konsequenzen ihrer Erklärung egal. Die sowjetische Zentralregierung akzeptierte diese Erklärung nicht und es wurde über dieses Ereignis auch nicht öffentlich berichtet, da sie ja üblicherweise die Menschen im Dunkeln und unter Kontrolle hielten. 

Als nächstes ging es nach Lettland, wo ich in Riga ebenfalls private Belehrungen gab. Die Letten befanden sich in einer schwachen Position, da die Russen mehr als die Hälfte der Bevölkerung bildeten. Traditionell eher konservativ und vorsichtig, warteten sie ab, um die Erwiderung der sowjetischen Regierung auf die Schritte zu sehen, welche die anderen baltischen Staaten Richtung Unabhängigkeit unternahmen. Die russischen Einwanderer hier und in den anderen baltischen Republiken unterstützten die Unabhängigkeitsbewegungen. Der Lebensstandard war höher als im Rest der Sowjetunion und sie erkannten die wirtschaftlichen Vorteile der Unabhängigkeit. Der einzige wichtige Einwand, den sie hatten, war das Sprachproblem.  

Von Riga ging ich nach Tartu in Estland, wo ich an der staatlichen Universität von Tartu und der Estnischen Orientalischen Gesellschaft auf Einladung von Dr. Linnart Mäll, den ich auf meinem ersten Besuch in Estland kennengelernt hatte, Vorlesungen hielt. Der Kongress von Estland, ein Basis-Parlament, war Ende letzten Jahres gegründet worden und Mäll war der Leiter des außenpolitischen Ausschusses. Am 10. März, drei Tage vor meiner Ankunft, hatte der Ausschuss sein erstes Treffen und in ihrem Namen bat mich Mäll Seiner Heiligkeit Grüße zu überbringen. Er bat mich Seine Heiligkeit zu informieren, dass die Esten sehr daran interessiert waren, in der Zukunft die erste Regierung zu sein, welche die tibetische Exil-Regierung anerkannte. 

Nachdem ich unterwegs in Tallinn Station machte und ein Radio-Interview gab, kam ich am 14. März in Leningrad an, am Tag, als Gorbatschow Präsident der UdSSR wurde. Im Schatten der wachsenden politischen Instabilität wurden viele vorherige Einschränkungen missachtet und infolgedessen wurde ich nun offiziell eingeladen, an der Leningrader Medizinschule und dem Orientalischen Institut der Leningrader Akademie der Wissenschaften Vorlesungen zu geben. Außerdem hielt ich bei den örtlichen Buddhisten private Vorträge und besuchte den Leningrader Tempel, der vor kurzem den Burjaten zurückgegeben wurde.

In der Zwischenzeit erklärte der Zentrale Buddhistische Vorstand in Ulan Ude, Burjatien, seine Unabhängigkeit vom Rat für Religiöse Angelegenheiten, das mit mit KGB verbunden war. Sie schlossen Erdem, den stellvertretenden Khambo Lama, aus dem Vorstand aus, da sie ihm enge Verbindungen zum KGB vorwarfen. Der Khambo Lama war das religiöse Oberhaupt des Buddhismus in Burjatien. Der buddhistische Vorstand sandte in stattdessen nach Leningrad, um dort der Abt des Leningrader Tempels zu werden und dessen Restaurierung zu organisieren. Dort wurde er zum Mitglied des Kongresses der Abgeordneten der UdSSR gewählt. Ich wurde informiert, dass der Buddhistische Vorstand den Rat Seiner Heiligkeit haben wollte, was Reinigungsrituale für den Tempel und Einzelheiten für dessen Restauration betraf. Sie wollten Seine Heiligkeit auch einladen, um den Tempel einzuweihen, sobald die Restauration fertig sein würde.

Es war nicht klar, wie effektiv die Erklärung des Buddhistischen Vorstands der Unabhängigkeit vom KGB sein würde, doch Rabdonov testete sie bei meiner Rückkehr nach Moskau am 18. März, indem er mich einlud, in ihren Räumlichkeiten einen öffentlichen Vortrag über den Buddhismus zu halten und es passierte nichts. Das war der Tag, an dem in Ostdeutschland freie Wahlen abgehalten wurden und die Menschen für die Wiedervereinigung mit Westdeutschland stimmten. Die Dinge änderten sich schnell.

Natalia Lukyanova, die Direktorin des Zentrums für Traditionelle Medizin von Soyuzmedinform im Gesundheitsministerium der UdSSR kam, um mich im buddhistischen Vorstand zu treffen. Sie erklärte, dass das Gesundheitsministerium interessiert daran war, tibetische Medizin für eine mögliche Behandlung und Heilung der Strahlenkrankheit und von Schilddrüsenkrebs für 600.000 bis 1 Million Opfer der Tschernobyl-Katastrophe vom 26. April 1986 zu erforschen. Nichts, was sie zuvor versucht hatten, war hilfreich gewesen. Auch hinsichtlich des zunehmenden AIDS-Problems baten sie um unsere Hilfe. Die UdSSR-Regierung hatte ihr bereits ein großes Gebäude in Moskau zur Verfügung gestellt und ihr die Erlaubnis erteilt, ein Institut für tibetische Medizin zu gründen und tibetische Ärzte aus Dharamsala einzuladen, um Patienten in sowjetischen Krankenhäusern zu behandeln. Die Regierung wollte alles finanzieren und alle Mittel dafür bereitstellen, wie auch für das Herstellen tibetischer Medizin und die Ausbildung der Ärzte. Sie bat mich, als Kontaktperson mit Dharamsala und dem „Tibetan Medical and Astro Institute“ (TMAI) tätig zu sein. 

Lukyanova arrangierte, dass ich in der Medizinbibliothek des Sowjetischen Gesundheitsministeriums eine Serie von fünf öffentlichen Vorträgen über buddhistische Geschichte und Wissenschaft, sowie über tibetische Medizin und Astrologie geben konnte, was ich in den nächsten Tagen tat. Zusammen mit dem buddhistischen Vorstand bot sie mir an, 100.000 Kopien der russischen Übersetzungen meiner Vorlesungen zu veröffentlichen. Mit Rabdonov traf ich auch Dr. Evgeny Velikhov, den Vizepräsidenten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, der das Projekt ebenfalls fördern wollte. Unmittelbar nach der nuklearen Katastrophe hatte Velikhov als Nuklearphysiker eine entscheidende Rolle bei den Aufräumarbeiten gespielt und wissenschaftliche Richtlinien und Anweisungen während der Krise gegeben. 

Rabdonov organisierte dann schnell für Terentyev und mich eine Reise nach Ulan Ude, um dort Pläne für dieses Medizinprojekt mit Spezialisten zu besprechen. Am nächsten Tag, den 23. März, flogen wir dorthin, wo wir herzlich begrüßt wurden. Im burjatischen Sozialkundeinstitut der Akademie der Wissenschaften von Ulan Ude trafen wir die Gruppe von Forschern, die mit traditioneller tibetisch-mongolischer Medizin arbeiteten. Ich war von ihrer Arbeit ziemlich beeindruckt. Sie hatten die wichtigsten tibetischen medizinischen Fachtexte übersetzt und Computer-basierte Bildungsprogramme entwickelt, um diese Schriften zu studieren. Außerdem hatten sie ein Computerprogramm entwickelt, um Krankheiten anhand von Informationen zu erkennen, die mit einem speziellen Sensor erfasst und digitalisiert wurden, um die sechs Arten des Pulses an jedem Handgelenk zu bestimmen, die in der tibetischen Medizin beschrieben werden. Ein Partner in Litauen hatte eine Enzyklopädie auf Russisch zusammengestellt, um all die Pflanzen zu identifizieren, die benutzt werden, um tibetische Medizin herzustellen, einschließlich sibirischer und mongolischer Varianten, die als Ersatz für sie zum Einsatz kamen. 

Die burjatischen Forscher und Ärzte waren von unserem beabsichtigten Medizinprojekt begeistert, aber bestanden darauf, ihre eigenen Anlagen, getrennt von den europäischen Russen in Moskau, zu nutzen. Burjaten sind ausgesprochen stolze Menschen und wollen in der Regel von niemandem kontrolliert werden. Sogar untereinander gab es viele Gruppierungen, die nicht miteinander kooperieren wollten. Was die Sache noch komplizierter machte, war, dass sie auch enge Verbindungen mit zwei mongolischen medizinischen Instituten in der Inneren Mongolei hatten, deren Ärzte ebenfalls mit den Burjaten Gemeinschaftsprojekte gründen wollten.   

Um meinen Eindruck vom Zustand des Buddhismus in Burjatien zu vervollständigen, besuchten wir Ivolginsky Datsan außerhalb von Ulan Ude. Wir flogen auch in einem winzigen Militärtransporter zum Chita-Bezirk, um Aginsky Datsan und Tsugulsky Datsan zu besuchen, das momentan wiederaufgebaut wurde. Ivolginsky und Aginsky waren die einzigen zwei Datsans, die während der stalinistischen Periode nicht zerstört worden waren. Für Propagandazwecke waren sie als Symbole offen zugänglich. Nun, im Licht von Perestroika, hatten die Burjaten jedoch ein großes Interesse daran, ihre buddhistischen Einrichtungen zu restaurieren.

Dann fuhr ich mit dem Zug nach Ulaan Baatar in der Mongolei, das Seine Heiligkeit 1979 besucht hatte.  Ich kam am 28. März 1990 an und hatte nicht gewusst, dass die friedliche demokratische Revolution, die im Dezember begonnen hatte, gerade in der Woche davor zu einem erfolgreichen Ende gekommen war. Das mongolische Politbüro hatte sich am 15. März aufgelöst und Präsident Jambyn Batmönkh war am 21. März zurückgetreten. Punsalmaagiin Ochirbat war gewählt worden, um in der Zwischenzeit bis zu den ersten Mehrparteienwahlen am 29. Juni zu regieren. Die mongolische revolutionäre Partei des Volkes, die ehemalige kommunistische Partei, hatte eine sozialistisch-demokratische Agenda übernommen und gewann die meisten Sitze. 

Die Mongolei war viel traditioneller als Burjatien und es gab noch viel mehr erhaltene Kultur. Der Prozess der Russifizierung war nicht so stark gewesen und in dieser Zeit lebten die meisten Menschen noch in Jurten oder einfachen Holzhütten, sogar in Ulaan Baatar. Viele Frauen trugen farbige traditionelle Kleidung und manche Leute ritten auf Pferden durch die Straßen der Hauptstadt. Es gab zwar jede Menge Hammelfleisch, aber andere Nahrung war schwer zu finden, noch schwerer als in Burjatien. Die Regale in den Lebensmittelgeschäften waren halb leer und es gab lediglich Mehl, eine Sorte gekochte Süßigkeiten, eine Sorte Kekse, eine Sorte Marmelade und kaum Gemüse. Die Luftverschmutzung war aufgrund der Verbrennung von Braunkohle für Elektrizität enorm. Viele Leute, die in der Hauptstadt lebten, zogen während der Sommer ins Weideland.

In der Mongolei gab es etwas mehr religiöse Freiheit als in der UdSSR und mehrere Klöster, die zu Museen umfunktioniert worden waren, wurden den Buddhisten zurückgegeben. In Ulaan Baatar war nur das Gandan-Kloster geöffnet geblieben. Dort gab es ein fünfjähriges Ausbildungsprogramm, welches politische Indoktrination umfasste, und Mönche aus Burjatien kamen hierher, um zu lernen. Mindestens die Hälfte der so genannten Mönche war verheiratet. Sie gingen in den Tempel und trugen nur tagsüber Roben. Dagpa Dorji war gerade als der neue Khambo Lama ernannt worden. 

Wie in Burjatien gab es ein großes Interesse daran, die zerstörten Klöster wiederaufzubauen. An etwa 25 Orten hatten alte, ehemalige Mönche Jurten aufgestellt und nahmen die Ausführung der Rituale wieder auf. Laien wussten fast nichts über den Buddhismus, obwohl sie sich mit ihm identifizierten. Ihr eigentliches spirituelles Interesse galt der Astrologie. Es gab ein Institut der Traditionellen Mongolischen Medizin, doch ich schaffte es dieses Mal nicht, es zu besuchen. Während ich in der Mongolei war, konnte ich jedoch das alte Kloster in Erdene Zuu besuchen, welches ein paar Tage danach für Rituale wiedereröffnet wurde. Es gab keine Straße dorthin und so fuhr ich in einem Jeep über die Steppe. Als ich dort war, hing ich ein paar Tage in einem Schneesturm fest, zusammen mit Choiji Jamtso, der später der oberste Lama des Ganden-Klosters in Ulaan Baatar wurde. Er sprach Tibetisch und so war ich in guter Gesellschaft.  

In Ulaan Baatar hatte ich Treffen mit Dr. G. Lubsantseren, dem Generalsekretär der „Asian Buddhist Conference for Peace“ (ABCP), und anderen Verantwortlichen der Organisation, um die Wiederbelebung des Buddhismus in der Mongolei zu besprechen. Sie waren alle zweifellos mit den mongolischen Geheimdiensten verbunden. Ähnliche Gespräche führte ich auch mit Bakula Rinpoche, welcher vor ein paar Monaten, im Januar, der indische Botschafter der Mongolei geworden war. Bakula Rinpoche war der erste buddhistische Mönch gewesen, der im Jahr 1968 die UdSSR als Leiter einer religiösen Delegation aus Indien besucht hatte, um über die Gründung des ABCP zu sprechen, die er half, im darauffolgenden Jahr in Ulaan Baatar zu gründen. Viele glaubten, dass das ABCP innerhalb der sowjetischen Sphäre als Rivale der „World Federation of Buddhists“ (WFB), ins Leben gerufen wurde, das 1950 in Colombo, Sri Lanka, gegründet worden war und sein Hauptquartier in Bangkok, Thailand, hatte. 

Bei diesem Besuch der UdSSR im Jahr 1968 hatte Bakula Rinpoche nicht nur Ulan Ude, sondern auch Leningrad besucht. Anschließend war er mehrere Male dorthin und auch in die Mongolei zurückgekehrt, um buddhistische Belehrungen und Initiationen zu geben. 1989 war er der erste buddhistische Lehrer, der Kalmückien seit 50 Jahren besuchte.

Bakula Rinpoche erklärte mir, dass die Mongolen äußerst stolz waren und weil es so viele alte Mönche gab, die sich an ihre Traditionen erinnerten, waren sie nicht sehr empfänglich für einen Rat und Hilfe von außen, wie in der UdSSR. Sie wollten versuchen, ihre Angelegenheiten erst einmal selbst zu regeln. 

Am 3. April flog ich von Ulaan Baatar zurück nach Moskau, um mit Rabdonov weitere Gespräche im Zentralen Buddhistischen Vorstand zu führen. Sobald ich dort war, unterschrieb ich eine Vertrag, mit dem ich dem Vorstand die Rechte für das Veröffentlichen der russischen Übersetzungen meiner Vorlesungen im Gesundheitsministerium übertrug. Am nächsten Tag flogen Terentyev und ich nach Elista in Kalmückien, was wieder von Rabdonov arrangiert worden war. Im Gegensatz zu Burjatien und die Mongolei war in Kalmückien keine Tradition des Buddhismus mehr übrig geblieben. Die gesamte Bevölkerung wurde von Stalin nach Sibirien geschickt und war erst unter Khrushchev zurückgekehrt. Da sie all ihre Traditionen verloren hatten, waren die Menschen unglaublich enthusiastisch, den Buddhismus und ihre Kultur wieder zu beleben. 

Als erster buddhistischer Gelehrter, der Kalmückien besuchte, hielt ich im kalmückischen Institut für Sozialkunde der UdSSR-Wissenschaftsakademie eine Vorlesung über die gegenwärtige Situation des Buddhismus. Es nahmen 120 Menschen teil, die hungrig nach Informationen über ihre Kultur und die Welt da draußen waren. Ich traf mich mit dem Direktor des Instituts und mehreren Gelehrten dort. Die Zusammenarbeit zwischen den Gelehrten und dem Buddhismus, was die Pläne der Wiederbelebung ihrer Traditionen betraf, schien enger als in Burjatien zu sein und der Grund lag zweifellos darin, dass der Buddhismus dort überhaupt nicht etabliert war.

Als ich nach Moskau zurückkehrte, traf ich Lodi Gyari Rinpoche und seinen Russisch-sprechenden Assistenten Ngawang Rabgyal bei ihrer Ankunft aus Dharamsala. Zusammen reisten wir nach Leningrad, um den Tempel zu besuchen, weil dort Hilfe bei der Restauration benötigt wurde, und am folgenden Tag nach Tallinn. Dort hatte Linnart Mäll arrangiert, dass Lodi Gyari Rinpoche mit dem Kongress von Estland sprechen konnte, weil sie den Wunsch hatten, Seine Heiligkeit einzuladen. Landsbergis, der durch den Gruß Seiner Heiligkeit tief gerührt war, wollte uns nach Vilnius einladen, da auch er sehr interessiert daran war Seine Heiligkeit einzuladen, doch wir hatten keine Zeit nach Litauen zu gehen. Wir kehrten gleich am 10. April nach Moskau zurück. 

In Moskau hatten wir Treffen mit Rabdanov im Buddhistischen Vorstand. Dort diskutierten wir Vorschläge für die Kooperation von Dharamsala bezüglich der Restauration des Leningrader Tempels und trafen uns mit Lukyanova, um das Medizinprojekt zu besprechen. Nachdem ich für beide Projekte die Absichtserklärungen geschrieben hatte, hielt ich eine weitere Vorlesung in der Medizinbibliothek des Gesundheitsministeriums. 

Nachdem ich Velikhov, der mittlerweile der wissenschaftliche Berater von Präsident Gorbatschow war, in der Akademie der Wissenschaften aufgesucht hatte, trafen wir uns mit dem Präsidenten der Volksakademie für Kultur und Gemeinsame Menschliche Werte, mit dem wir eine vorläufige Vereinbarung unterzeichneten, meine Moskauer Vorlesungen und andere Texte über den Buddhismus zu veröffentlichen. Ich traf mich auch mit dem Leiter der Zentralabteilung der Orientalischen Literatur des Nauka-Verlags, um mit ihm über Möglichkeiten zu sprechen, russische Übersetzungen zu veröffentlichen, die vom Institut für Thrakologie in Bulgarien als Teil ihrer Vereinbarung mit dem LTWA in Dharamsala vorbereitet worden waren.

Lubsantseren vom ABCP und seine Mitarbeiter kamen aus der Mongolei an und mit Rabdonov sprachen wir über mögliche Bereiche der Zusammenarbeit in Bezug auf die Wiederherstellung des Buddhismus in der Mongolei. Lodi Gyari Rinpoche und Ngawang Rabgyal gingen am nächsten Tag, dem 15. April, nach Burjatien und in die Mongolei, und Terentyev und ich reisten mit dem Zug nach Kyzyl in Tuva. In vielfacher Hinsicht befand sich Tuva Jahre hinter dem Rest der Sowjetunion. Glasnost und Perestroika begannen gerade dort anzukommen. Das war der einzige Ort, an dem der Besuch von Terentyev und mir vom KGB-Rat für Religiöse Angelegenheiten arrangiert worden war und an dem wir ständig von ihren Vertretern begleitet wurden. Der Buddhismus war auch in Tuva vollständig verschwunden und obwohl sie in der Gegenwart unseres KGB-Mannes alle behaupteten Atheisten zu sein, konnten wir erkennen, welch großes Interesse sie daran hatten den Buddhismus und ihre Traditionen wiederzubeleben. 

Wir fuhren aufs Land, um einen der letzten überlebenden Mönche der vorsowjetischen Zeit zu besuchen, um etwas über Chadansky, das alte Hauptkloster in Tuva, zu erfahren, das jetzt in Ruinen liegt. Die Lebensweise auf dem Land war noch immer sehr traditionell. Die Familie des alten Mönches brachte ein ganzes geschlachtetes Schaf zum Mittag und gab uns große Messer, um davon zu essen. Als wir wieder gingen, begleiteten sie uns bis zum Bergpass und wir teilten Joghurt mit ihnen, bevor wir weitergingen. In Kyzyl trafen wir auch einen Arzt der schamanistischen Medizintradition aus Tuva, der uns einige ihrer Diagnosemethoden erklärte, wie das Untersuchen der Muster im Schnee, die ein Patient beim urinieren hinterlässt.

Im Februar war die buddhistische Gesellschaft von Tuva offiziell registriert worden, doch sie hatten keine Vorstellung davon, was sie tatsächlich tun oder wie sie etwas organisieren konnten. Es war ihnen nicht erlaubt, ihre Gesellschaft in der Zeitung bekannt zu machen und so wussten nur wenige Tuwiner von ihrer Existenz. Sie brauchten von Anfang an Hilfe bei der Wiederbelebung des Buddhismus und ihrer Kultur, doch die Burjaten waren nicht kooperativ und dem buddhistischen Vorstand fehlte es an Mitteln. Uns wurde gesagt, dass die Menschen in den Dörfern zu große Angst davor hatten, auch nur darüber zu reden, die Klöster und Tempel wiederaufzubauen. Im Tuva-Forschungsinstitut der Sprache, Literatur und Geschichte hielt ich vor einer Gruppe von etwa 40 Leuten einen Vortrag über die Geschichte und die grundlegenden Prinzipien des Buddhismus. Kein buddhistischer Lehrer hatte Tuva in der Neuzeit besucht und dies war das erste Mal, dass sie irgendwelche buddhistischen Lehren bekamen.

Wir kehrten nach Moskau zurück und nach einem weiteren Treffen mit dem Buddhistischen Vorstand flog ich am 20. April nach Budapest, Ungarn, dem Tag, als die sowjetische Regierung eine 74-tägige Wirtschaftsblockade von Litauen begann. Seit meinem letzten Besuch in Ungarn Ende Januar hatte es zwei Wochen vor meiner Ankunft frei Wahlen für das ungarische Parlament gegeben, bei denen das Ungarische Demokratische Forum als stärkste Partei hervorgegangen war, worüber ich mir nicht bewusst war. In Budapest gab ich Vorlesungen an der Karl-Marx-Wirtschaftsuniversität. Am nächsten Tag kamen Lodi Gyari Rinpoche und Ngawang Rabgyal an und wir trafen die letzten Vorkehrungen für den kommenden Besuch Seiner Heiligkeit.

Wir drei gingen dann für einen Tag nach Prag, wo ich an der Charles Universität eine Vorlesung gab und kehrten dann zum Besuch Seiner Heiligkeit vom 27. bis 29. April zurück, bei dem ich als Sein Dolmetscher diente. Seine Heiligkeit traf sich mit dem Vizepräsidenten des Ungarischen Demokratischen Forums, Sándor Keresztes, und dann mit einer Gruppe von Würdenträgern in der Budapester Basilika. Am nächsten Tag hielt Seine Heiligkeit am Morgen eine Rede an der Wissenschaftsakademie, gefolgt von einem Mittagessen in der indischen Botschaft. Nach einem Fernsehinterview und einer Pressekonferenz hielt er dann eine öffentliche Rede an der Karl-Marx-Wirtschaftsuniversität und dann eine Rede vor den einheimischen buddhistischen Gruppen. Am nächsten Morgen reiste er wieder ab. Einen Monat später, am 23. Mai 1990, wurde die erste postkommunistische Koalitionsregierung Ungarns gebildet. Ebenso fanden am 4. und 18. Juni die ersten teilweise freien Wahlen in Polen statt und am 8. und 9. Juni die ersten freien Parlamentswahlen in der Tschechoslowakei.

Nachdem Seine Heiligkeit Ungarn verlassen hatten, flog ich nach Sofia in Bulgarien. Am nächsten Tag unterschrieb ich im Institut für Thrakologie den Vertrag über die Zusammenarbeit im Namen des LTWA und gab eine Vorlesung. Nach mehreren Interviews und Gesprächen über den vorgesehenen Besuch Seiner Heiligkeit, ging ich kurz nach Belgrad, Serbien, wo ich vor einer geschlossenen Gruppe eine Rede hielt, und dann nach Zagreb, Kroatien. Mit dem Bischof Đuro Kokša hatte ich Gespräche über Seine Heiligkeit und gab dann an der Wissenschaftsakademie eine Vorlesung, bevor ich am nächsten Tag, dem 4. Mai 1990, nach Indien zurückkehrte. Das war der Tag, an dem Lettland seine Unabhängigkeit erklärte, auch wenn sie von der Sowjetunion nicht anerkannt wurde. 

Zeitraum zwischen den Besuchen von Mai bis August 1990  

Danach kam es schnell zu Veränderungen in der Sowjetunion. Am 29. Mai wurde Jelzin der Vorsitzende des Höchstens Sowjets von Russland und sein Kollege Ruslan Khasbulatov der erste Stellvertretende Vorsitzende. Nun gab es zwei sich bekämpfende politische Gruppen. Als Anführer der liberalen Fraktion wollte Jelzin weitere und schnellere Veränderungen, im Gegensatz zu den Strategien der zentralen Sowjetregierung, angeführt von Präsident Gorbatschow. Jelzin setzte sich durch und am 12. Juni 1990 wurde auf seine Anweisung die Erklärung der Staatlichen Souveränität der Russischen Föderation angenommen. Darauf trat Jelzin am 12. Juli aus der Kommunistischen Partei aus.

Gemäß dieser Erklärung würde Russland nun unter Jelzins Leitung eine demokratische Regierung bekommen und das Recht haben, sich von der Sowjetunion zu lösen. An diesem Punkt war es unklar, ob eine ähnliche Art der Umstrukturierung die Wünsche der Balten nach Unabhängigkeit zufriedenstellen würde. Es war schwer vorstellbar, dass sie von diesem Kurs wieder abweichen würden, doch Präsident Gorbatschow und Landsbergis sprachen nun zumindest miteinander und das Embargo von Litauen wurde aufgehoben. 

Die Frage war, ob sich die anderen Republiken ebenfalls loslösen würden. Die Menschen hatten das Gefühl, dass es problematisch werden könnte, wenn die verschiedenen Regionen innerhalb der Russischen Föderation zukünftig auch unabhängig werden wollten. Es wurde erwartet, dass Russland selbst zumindest eine Umstrukturierung durchgehen würde. Auf jeden Fall machten all diese Veränderungen Präsident Gorbatschow immer irrelevanter. 

Im Allgemeinen erhitzten sich die Gemüter und da jeder öffentlich Kritik üben konnte, drückten die Menschen schließlich ihre Wut und Enttäuschung aus. Doch das führte zu keinen großen Veränderungen. Die Nahrungsmittel in den Geschäften waren knapp. Als Präsident Gorbatschow ankündigte, dass sich die Nahrungsmittelpreise am 1. Januar 1991 verdoppeln würden, bekamen die Menschen Panik und begannen Hamsterkäufe zu machen. Nachdem der Höchste Sowjet der UdSSR gegen diesen Preisaufschwung stimmte, wurde die Position der Zentralregierung sogar noch schwächer. 

In der gesamten Sowjetunion hatte sich die Kollektivierung aufgelöst. Die Menschen hatte die Wahl, in einer Kollektivwirtschaft zu arbeiten oder unabhängig zu sein. Land konnte entweder den ursprünglichen Eigentümern, ihren Nachkommen oder jenen Kleinbauern zurückgegeben werden, die darauf lebten und bis jetzt nichts besaßen. Es war jedoch noch nicht entschieden, wie man es regeln würde, also ob sie das Land kaufen oder pachten mussten. Es gab freie Märkte für Gemüse, Früchte, Kleidung und so weiter, aber die Preise waren viel höher als in den Geschäften. Es bestand die Gefahr, dass nationale Gruppierungen untereinander kämpfen würden und manche hatten Angst davor, dass das Militär die Macht übernehmen würde. Doch es gab eine große Gruppe dieser engagierten demokratischen Kräfte, welche geduldig mit den Schwierigkeiten umgingen und Präsident Gorbatschow unterstützten. Er wurde allerdings dafür kritisiert, die Gehälter der Parteifunktionäre verdoppelt zu haben. Es gab auch die Angst vor Gewalt, falls die verschiedenen islamischen Republiken, besonders im Kaukasus, Unabhängigkeit anstreben würden.

Rabdonov wurde mittlerweile durch den Einfluss einer sich neu formierenden Gruppe junger burjatischer Lamas von seiner Position als Moskauer Repräsentant des buddhistischen Vorstands abgesetzt. Ihm wurde vorgeworfen, sich nicht mit den Mitgliedern des Vorstands in Ulan Ude beim Treffen von Entscheidungen abzusprechen. Die Gruppe junger burjatischer Lamas, angeführt von Sherab Jamtso, war burjatisch-nationalistisch, antieuropäisch und gegen unser Projekt. Lodi Gyari Rinpoche entschied, dass unser Medizinprojekt kein Gemeinschaftsprojekt mehr sein würde, zu dem der Zentrale Buddhistische Vorstand gehörte. Unser „Tibetan Medical and Astro Institute“ würde ausschließlich mit dem Zentrum der Traditionellen Medizin zusammenarbeiten, das dem Gesundheitsministerium der UdSSR unterstand. 

Obgleich Lukyanova zum Gesundheitsministerium der UdSSR gehörte, hatte das Projekt die volle Unterstützung von Jelzin. Lukyanova war eine Schulkameradin von Jelzins persönlichem Assistenten gewesen und Jelzins Tochter, eine Krankenschwester, war sehr interessiert an tibetischer Medizin. Lukyanova warnte uns, dass das einzige mögliche Hindernis für unser Projekt das Resultat von Eifersucht zwischen den sowjetischen und russischen Regierungen sein könnte. Der Trend zeigte eine immer stärker werdende russische Autonomie und eine schwächer werdende sowjetische Zentralregierung und KGB-Kontrolle. 

Lukyanova hatte eine zweite Position als Präsidentin der Kooperationsstiftung, der das Buddhistische Medizinische Zentrum unterstand. Es war zwar keine Regierungsvertretung, doch die Orientierung dieser Gemeinschaft war eher russisch als sowjetisch. Nachdem Rabdonov seine Stellung im buddhistischen Vorstand verlor, wurde er nun als dessen Geschäftsführer ernannt. 

Alles im Land wurde umstrukturiert, die meisten Organisationen orientierten sich mehr Richtung Russland als Richtung UdSSR und waren eher privat als staatlich. In der Zukunft plante man, dass das Zentrum für Traditionelle Medizin zusammen mit unserem Projekt ein Teil der Kooperationsstiftung werden würde. Zu deren Vorstand gehörte, neben anderen, der Bürgermeister von Moskau, der Direktor der Russischen Kulturstiftung, von der wir all die Gebäude für unser Projekt bekommen würden, und der Leiter einer der Zweige der Roerich-Stiftung, der ein persönlicher Freund von Präsident Gorbatschows Frau Raisa war. Dinge änderten sich jedoch fast jeden Tag und auf sowjetische Weise war die Situation nie ganz klar und von niemandem bekamen wir irgendwelche Informationen.

Sechster Besuch im August 1990 

Unter diesen Voraussetzungen kehrte ich am 7. August 1990 nach Moskau zurück, zusammen mit dem persönlichen Arzt Seiner Heiligkeit, Dr. Tenzin Choedrak, und seinem Assistenten, Dr. Namgyal Qusar. In unserem Gepäck brachten wir zwei große Koffer eines Vorrats an tibetischer Medizin mit. Unsere Aufenthaltspapiere wurde von Jelzin selbst genehmigt, was erkennen lies, wie ernst unser Projekt genommen wurde.

Lukyanova und Rabdonov hatten ein straffes Programm für uns geplant. Wir begannen am nächsten Tag mit einem Treffen im Wissenschaftlichen Unionsoffenen Forschungsinstitut für Heilpflanzen, um zu besprechen, welche pflanzlichen Inhaltsstoffe für die Herstellung tibetischer Medizin zur Verfügung standen, die in der Sowjetunion und der Mongolei wuchsen. Dr. Choedraks Hauptsorge war, dass diese Pflanzen in einer bestimmten Höhe und besonderen Wetterbedingungen wachsen mussten. Man konnte sie nicht in Moskauer Gewächshäusern anbauen und wir würden nie genug von den in Indien wachsenden Inhaltsstoffen haben, da die indischen ayurvedischen Ärzte Vorrang hatten. Dann gingen wir zum Polytechnischen Institut im Moskauer Distrikt, um diese Pläne zu besprechen. Wir trafen eine Gruppe burjatischer Ärzte, um die burjatische Anpassung an die tibetische Medizin zu diskutieren, gefolgt von einem Abendessen im Haus von Jelzins Wirtschaftsberater Igor Nit, den Dr. Choedrak später behandelte. Nit bot seine volle Unterstützung für das Projekt an.

Am nächsten Tag, nach einem Treffen mit dem Leiter der Radiologie in der Zentralverwaltung der Unions-Resorte mit Rehabilitationseinrichtungen für Tschernobyl-Strahlenopfer, besuchten wir eines der großen Moskauer Krankenhäuser. Dort untersuchte Dr. Choedrak 23 Patienten, die eine Vielzahl schwerer Symptome von Strahlenbelastung zeigten. 

Am Nachmittag hatten wir ein formelles Treffen mit Ruslan Khasbulatov, dem Ersten Stellvertretenden Vorsitzenden des Höchsten Sowjets von Russland und Jelzins zweiten Befehlshaber. Khasbulatov versicherte uns, dass unser Projekt Jelzins volle Unterstützung hatte. Er informierte uns, dass Jelzin und die Mitglieder des Russischen Höchsten Sowjets unter hohem Druck standen und bat um medizinische Behandlung unserer Ärzte, um ihnen zu helfen, alle Herausforderungen der Situation zu meistern. Wir stimmten zu und später kümmerte sich Dr. Choedrak persönlich um ihre Bedürfnisse. Nach unserer Rückkehr nach Dharamsala schickten wir Dr. Dawa Dolma dorthin, um dieser Bitte nachzukommen. 

Am nächsten Tag flogen wir nach Ulan Ude. Im Burjatischen Institut für Sozialkunde der Wissenschaftsakademie von Ulan Ude trafen wir ihr Team von Spezialisten traditioneller burjatischer Medizin und lernten über die traditionelle Medizin, die hier hergestellt wurde. Dann gingen wir mit ihnen auf eine kurze Expedition in die sibirische Natur, um die Heilpflanzen zu untersuchen, die dort wild wuchsen. Am nächsten Tag behandelte Dr. Choedrak viele Patienten in den örtlichen Krankenhäusern und wir untersuchten die Arbeit in der Klinik des Instituts. 

Am darauffolgenden Tag nahmen wir den Zug nach Ulaan Baatar. Als wir dort ankamen, trafen wir uns mit mehreren Ärzten und Forschern im Zentrum für Traditionelle Mongolische Medizin, um über die Heilpflanzen zu reden, die es dort gab. Eine kleine Gruppe nahm uns mit in die Natur, um einige von ihnen, die dort wuchsen, selbst zu untersuchen. Dann wurden wir eingeladen den Präsidenten der Mongolei, Ochirbat, in seinem Flugzeug zu den traditionellen mongolischen Spielen zu begleiten, die im Weideland stattfanden, um den 750. Jahrestag der „Geheimen Geschichte der Mongolen“ zu feiern. Dschingis Khan war ein Kulturheld geworden und wurde sogar zu einem Dharma-Schützer gemacht. Als wir dort waren, hatten wir informelle Gespräche mit dem Präsidenten und seinem Premierminister Gambolt. Nach unserer Rückkehr nach Ulaan Baatar flogen wir zurück nach Moskau.

Die nächsten eineinhalb Wochen setzte Dr. Choedrak seine Behandlungen der Patienten in der Pilotgruppe sowie auch einer Gruppe von Patienten fort, die mit chemischen Schadstoffen belastet waren. Das tibetische medizinische System funktioniert ganzheitlich und so verschrieb Dr. Choedrak jeder Person zusätzlich zur Medizin gegen Strahlenkrankheit auch verschiedene Mittel entsprechend der Gesamtheit ihrer gesundheitlichen Probleme. Die Verbesserungen, welche die Patienten nur in dieser kurzen Zeit erlebten, waren dramatisch, was bestätigte, dass wir nicht nur eine Medizin für die Bedürfnisse aller benötigten, sondern den gesamten Bestand tibetischer Heilmittel, eine Fabrik, um sie herzustellen, und eine große Menge an Inhaltsstoffen. Außerdem war es notwendig, ein großes Team an Ärzten auszubilden. Aus diesem Grund organisierte Lukyanova während dieser nächsten eineinhalb Wochen ein volles Programm an Treffen mit einer großen Auswahl an Instituten.

Im Bauministerium des Östlichen Sektors der UdSSR erfuhren wir, dass das Moskauer Stadtparlament und die Russische Kulturstiftung uns vier Gebäude für die Unterbringung von Mitarbeitern, Büros und die Sprachausbildung zur Verfügung stellen würden, einen alten Palast für eine Medizinschule und ein Forschungszentrum, sowie Land, um eine Klinik, ein Reha-Zentrum und eine Fabrik zum Herstellen der Medikamente zu bauen. Sie boten uns auch Land in Moskau für einen buddhistischen Tempel und ein Dharma-Zentrum an. Die UdSSR war einer der letzten Orte, an dem die Regierung uns so viele Gebäude und Land in der Hauptstadt zur Verfügung stellen konnte, wie wir wollten. Die Finanzierung war zwar versprochen worden, befand sich aber noch im Prozess der Abwicklung. 

Nach diesen Neuigkeiten begannen wir, die Unterstützung und Ressourcen für unser Projekt zu mobilisieren. Im Institut der Informationsübertragung von Problemen organisierten wir Computerausrüstung und Programme; im Unionsoffenen Forschungsinstitut für Heilpflanzen die Karten zum Identifizieren der Standorte wilder Heilpflanzen; in der Roerich-Stiftung die Finanzierung; in der Forschungs- und Produktionsfirma Altai Pharmatsiya die Hubschrauber für geplante Expeditionen ins Altai-Gebirge in Sibirien zum Sammeln von Pflanzen; im Moskauer Management-Institut weitere Computer-Kooperation; in der Lumbini-Universität der Zwischenmenschlichen Freundschaft ein analytisches Labor; im Forschungszentrum für Molekulardiagnostik die diagnostische Unterstützung; im Institut für Röntgen und Radiologie dessen Unterstützung; im Gesundheitsausschuss des Moskauer Stadtrates dessen Unterstützung; und in der Vereinigung der Manager die Ausfuhrgenehmigungen und Banküberweisungen.  

Das Projekt würde äußerst umfangreich sein und von Lukyanova, Rabdanov und mir koordiniert werden. Lukyanova und Rabdonov wollten, dass wir alles organisierten und sie wollten die Hauptförderer des Buddhismus in Russland sein. Sie lehnten es ab, mit dem Zentralen Buddhistischen Vorstand zusammenzuarbeiten, sowie mit den Wissenschaftlern und Gelehrten in Ulan Ude, mit Velikhov (dem Vizepräsidenten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und dem wissenschaftlichen Berater von Gorbatschow) und der Stiftung für die Förderung der Buddhistischen Kultur unter der Volksakademie der Kultur und Werte (den Verlegern des russischen Korans). Wie es typisch in dieser Zeit war, vertrauten sich Menschen und Organisationen nicht und niemand wollte mit dem anderen kooperieren. All diese Intrigen ließen wir hinter uns und kehrten am 28. August nach Indien zurück, nachdem wir den Tag zuvor unseren Flug verpasst hatten, weil unser Gastgeber darauf bestand, einer strikten offiziellen Etikette der Verabschiedung zu folgen.  

Zeitraum zwischen den Besuchen von August 1990 bis August 1991 

Im restlichen Jahr 1990 kehrte ich nicht in die UdSSR oder nach Osteuropa zurück, jedoch fanden später in diesem Jahr mehrere wichtige Ereignisse statt. Am 11. September befanden sich Lodi Gyari Rinpoche, Michale van Walt und Linnart Mäll unter den Gründungsmitgliedern der Organisation der nicht-repräsentierten Nationen und Völker, den so genannten „Alternativen Vereinten Nationen“. Am 3. Oktober wurde Ostdeutschland aufgelöst und Deutschland wurde wiedervereinigt. Am 25. November und 9. Dezember wurde Lech Wałęsa zum Präsidenten von Polen gewählt. 

Terentyev verbrachte den Herbst und Winter 1990 in Dharamsala und gründete in dieser Zeit den Verlag „Narthang Publications“, um buddhistische Werke besonders von Seiner Heiligkeit auf Russisch zu veröffentlichen. In der Sowjetunion traute sich in dieser Zeit niemand, ein Buch über den Buddhismus zu veröffentlichen. Linnart Mäll, eine Delegation von Äbten aus Burjatien, einschließlich Sherab Jamtso, und eine große Delegation aus der Mongolei kamen nach Indien, um an der Kalachakra-Initiation teilzunehmen, die Seine Heiligkeit in der letzten Dezemberwoche in Sarnath erteilte. Da ich der Übersetzer für die Initiation war, traf ich mich auf informelle Weise mit ihnen allen. Während Mäll in Indien war, führte er Gespräche mit Seiner Heiligkeit und dessen Büro, um den Besuch Seiner Heiligkeit in Estland im Juli 1991 zu planen. Mäll traf sich auch mit vielen anderen tibetischen Vertretern, um weitere Beziehungen zwischen Estland und der tibetischen Exilregierung zu besprechen.

Was die burjatischen Äbte und Sherab Jamtso betraf, so erfuhren wir von ihnen über all die Machtkämpfe und Intrigen innerhalb des Zentralen Buddhistischen Vorstands. Trotz all dem Chaos und den inneren Kämpfen lud der Ministerrat von Burjatien Seine Heiligkeit im Juli 1991 nach Burjatien ein. Hierbei ging es jedoch erst einmal nur um das Visa. Nach wie vor bestand die Gefahr, dass jeder burjatische Datsang und Tempel um einen Besuch Seiner Heiligkeit bei ihnen kämpfen würde, wie es schon im September 1990 mit Denmo Locho Rinpoche und Kamtrul Rinpoche passiert war. Die Datsangs würden nicht miteinander kooperieren und viel Chaos gab es auch in Bezug darauf, wer verantwortlich für den Leningrad Tempel sein würde. Es gab zwei rivalisierende Gruppierungen, die sich nicht über den Ablauf der Restauration einig waren. Der vorgesehene Besuch Seiner Heiligkeit in Leningrad zum Weihen des Tempels nach der Restauration musste verschoben werden.  

Wir erfuhren ebenfalls, dass es auch große Machtkämpfe unter den verschiedenen buddhistischen Gruppierungen in der Mongolei gab. Es gab zwar Pläne für Seine Heiligkeit, im Juli als Teil seines Besuches in Burjatien die Kalachakra-Initiation in Ulaan Baatar zu erteilen, aber auch das musste verschoben werden. Sie fand dann erst im August 1995 statt. 

Ich nahm an ausführlichen Gesprächen über Pläne teil, das medizinische Kloster, das Menba Datsang, in Ulaan Baatar unter der Leitung von Dr. Natsodorji zu restaurieren, wo zukünftige Ärzte ausgebildet werden würden. Es wurde entschieden, sich der UNESCO zuzuwenden, die Wiederherstellung der tibetisch-mongolischen Medizin unter ihre Schirmherrschaft zu nehmen, um dann unser Projekt mit Lukyanova hinzuzufügen. Seine Heiligkeit empfahl, in unserem Projektentwurf zu betonen, dass die Mongolen einen viel glaubwürdigeren Anspruch als die Russen hätten, die mongolisch-tibetische Kultur zu bewahren. Dr. Choedrak wies jedoch darauf hin, dass die tibetische Medizin eine weltweite Vertrauenswürdigkeit erlangen würde, sobald eine UNESCO-Verbindung hergestellt werden könnte, und zwar nicht von ihrem zukünftigen allgemeinen Gebrauch in der Mongolei, sondern von ihrem unmittelbarem Gebrauch bei der erfolgreichen Behandlung von Tschernobyl-Patienten in den riesigen sowjetischen Regierungskrankenhäusern.

Giani Borasi, ein italienischer Geschäftsmann mit guten Verbindungen, bot an, sich der italienischen Botschaft zuzuwenden, um zu versuchen, ihre finanzielle Unterstützung für dieses Projekt zu bekommen. Seine Heiligkeit bat Dr. Natsodoji und mich, das gesamte mongolische Projekt zu koordinieren und so schrieb ich einen Bericht und einen Vorschlag, den Borasi der Botschaft vorlegen konnte. Aus den Plänen, die UNESCO oder die italienische Unterstützung zu bekommen, wurde jedoch nichts. 

Lukyanova und Rabdonov besuchten Dharamsala im Februar 1991 für ausführliche Besprechungen im „Tibetan Medical and Astro Institute“ mit Shewo Lobsang Dhargye, dem Direktor, und um die Verträge zu unterschreiben, die ich aufgesetzt hatte. Ich hatte auch mehrere Treffen mit Tenzin Tethong, dem Premierminister der tibetischen Exilregierung bezüglich weiterer Pläne für unsere Projekte in der UdSSR und der Mongolei. Es kam jedoch wenig von alledem zustande, da die Bedingungen in der gesamten ehemaligen und derzeitigen kommunistischen Welt immer instabiler wurden.

Am 21. März 1991 wurde unter der Initiative von Gorbatschow ein nationales Referendum abgehalten, die Sowjetunion als eine Union Souveräner Staaten zu erhalten. Zwar boykottierten sechs Republiken die Wahl, aber die Hardliner in den anderen Republiken wählten für dessen Umsetzung. Der Plan wurde jedoch wegen dem Putschversuch, der im August, zwei Tage vor der offiziellen Unterzeichnung des Vertrages zum Schaffen dieser Union, stattfand, nie umgesetzt.

Davor, am 9. April 1991, erklärte Georgien seine Unabhängigkeit von der UdSSR und war damit die zweite Republik nach Litauen. Am 25. Juni 1991 erklärten Slowenien und Kroatien ihre Loslösung von Jugoslawien und eine Reihe von Kriegen begann unmittelbar danach in Jugoslawien, da sich auch weitere Staaten abtrennten. Am 10. Juli wurde Jelzin Präsident der Russischen Föderation und Khasbulatov wurde der Vorsitzende des Höchsten Sowjets von Russland. 

Am selben Tag, dem 10. Juli, begann Seine Heiligkeit begleitet von Dr. Choedrak einen 20-tägigen Besuch in der UdSSR. Zuerst ging er nach Ulan Ude zur Feier des 250. Jahrestages der offiziellen Anerkennung des Buddhismus in Burjatien vom zaristischen Russland und besuchte auch Ivolginsky Datsan. Im Chita-Distrikt reiste er zum heiligen Berg Alkhanai und besuchte Aginsky Datsan. In Moskau gab Seine Heiligkeit einen öffentlichen Vortrag im Kulturpalast. Die größte Zuhörerschaft hatte er jedoch in Elista, Kalmückien, wo Seine Heiligkeit ausführliche Belehrungen gab. 

Vom 18. bis 22. August inszenierten Hardliner der kommunistischen Partei einen Staatsstreich in Protest auf die Reformen von Präsident Gorbatschow. Sie verhafteten Gorbatschow, aber scheiterten, Präsident Jelzin festzunehmen. Obwohl er ein Kritiker von Gorbatschow war, beendete Jelzin den Staatsstreich und am 23. August setzte er die Kommunistische Partei in Russland außer Kraft. Gorbatschow nahm seine Position als Präsident der UdSSR wieder auf, doch Jelzin wurde nun der herrschende Anführer, während die Sowjetunion weiter zerfiel. 

Mitten in diesem kurzen, gescheiterten Staatsstreich erklärte Estland am 20. August seine Unabhängigkeit. Am nächsten Tag erklärte auch Lettland seine Unabhängigkeit, gefolgt von der Ukraine am 24. August und Weißrussland am 25. August. 

Siebenter Besuch von August bis Oktober 1991 

Ebenfalls mitten in der Zeit dieses Staatsstreiches begann ich am 21. August meine nächste Osteuropa-Tour, welche die Tschechoslowakei (Prag), Polen (Gdansk, Krakau und Kuhary), Ungarn (Budapest und Miskolc), Rumänien (Oradea und Cluj), sowie Bulgarien (Sofia) umfasste. 

Auf meiner ersten Station in Prag, mitten in der Zeit des Moskauer Staatsstreiches, war die Spannung unter den Menschen ziemlich hoch, da sie Angst davor hatten, dies könnte ein Signal für den wiederkehrenden Kommunismus sein. In der Stadt konnte man eine große Erleichterung spüren, als uns am nächsten Tag die Nachrichten von dem gescheiterten Staatsstreich in Moskau erreichten. 

In den sechs Monaten, seitdem ich das letzte Mal da gewesen war, konnte man in Prag eine ziemliche Veränderung feststellen. Es gab nun viel Handel mit China und man konnte zahlreiche chinesische Güter in den Geschäften finden. In der Stadt war überall Werbung zu sehen, viel davon auf Deutsch, was manche Leute als unangenehm empfanden. Die slowakische Separatisten-Bewegung war noch nicht so populär, obwohl es ein paar Politiker in Bratislava gab, die sie propagierten. Präsident Havel hatte gesagt, dass er die Slowakei nicht zwingen könne, mit den Tschechen in der Hälfte des Landes zu bleiben, wenn sie die Unabhängigkeit wollten.

Die Verbindung zwischen dem Präsidenten Havel und den Tibetern war weiter gewachsen. Dr. Dorjee Wangyal vom „Tibetan Medical and Astro Institute“ in Dharamsala hatte Prag früher in diesem Jahr besucht, um Präsident Havel zu behandeln und Lodi Gyari Rinpoche war zweimal zu Besuch gewesen. Ebenfalls früher im selben Jahr wurde „Freunde Tibets“ gegründet. Dieses Mal gab ich in Prag eine Reihe von Vorlesungen an der Charles-Universität und der Schule Junger Techniker. 

Dann ging ich nach Polen, wo ich von den politischen Komplikationen erfuhr, die zu den Wahlen im Dezember führten. Lech Wałęsa war ein herausragender Gewerkschaftsführer, doch nun als Präsident war es schwer für ihn, all die Probleme zu lösen, mit denen das Land konfrontiert war. Es gab große wirtschaftliche Unruhen und Ungewissheit, und die Hilfsprogramme für Rentner waren bedroht. Der Haushaltsplan für Bildung und Wissenschaft wurde um 30 Prozent reduziert worden und die Schulen mussten vier Stunden Unterricht die Woche streichen, obwohl sie zwei Stunden die Woche obligatorische katholische Ausbildung hinzufügten. 

Die Wahlen für das neue Parlament waren für den 27. Oktober festgesetzt. Ich traf mich mit Jacek Kuron, der als der „Gottvater der polnischen Opposition“ betrachtet wurde und als Parlamentsabgeordneter antrat. Er war zwar interessiert an einem Besuch Seiner Heiligkeit in Polen, aber riet, dass es das Beste wäre, bis nach den Wahlen zu warten, um weitere Pläne zu besprechen. Ungeachtet dessen gab es jedoch ein verbreitetes Interesse an solch einem Besuch. In den vorangegangenen Monaten wurde ein Polnisch-Tibetischer Freundeskreis gegründet. Während ich dort war hielt ich Vorträge in Dharma-Zentren in Gdansk, Krakau und Kuhary.

Dann ging es weiter nach Ungarn. Die Wirtschaft war dort besser als in irgendeinem der anderen ehemaligen kommunistischen Ländern, die ich besucht hatte. Viele Leute hatten Geschäfte aufgebaut und es gab bereits viele wohlhabende Menschen. Die Rentner und die Armen hatten jedoch Schwierigkeiten. Zusätzlich dazu gab es etwa 40.000 ungarische Flüchtlinge aus Rumänien. Die Chinesen benötigten kein Visum, um nach Ungarn zu kommen und so gab es etwa 40.000 Chinesen in Ungarn, die Geschäfte betrieben. Es gab jedoch ein großes Interesse daran, einen Ungarisch-Tibetischen Förderverein zu gründen. 

Mittlerweile gab es in Ungarn mehrere buddhistische Gruppen und eine mit einem koreanischen Hintergrund plante, eine große Stupa zu bauen. Diese Leute wollten gern Seine Heiligkeit einladen, um sie zu weihen, wenn sie fertig war. Hetenye wurde wegen seiner kommunistischen Verbindungen aus der Buddhistischen Mission entlassen und das Zentrum wurde umbenannt zu Arya Maitreya Mandala. Ich hielt eine Reihe von Vorträgen dort und auch vor Studenten einer Hochschule in Miskolc.

Von Ungarn aus machte ich einen Abstecher in die transsylvanische Region Rumäniens. Transsylvanien war 1000 Jahre eine autonome Region Ungarns gewesen, wurde jedoch nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Teil Rumäniens. Seit dem Zweiten Weltkrieg hatte es einen großen Zustrom von rumänischen Ansiedlern gegeben, die nun gegenüber den Ungarn zahlenmäßig überlegen waren. Vor dem Sturz von Präsident Nicolae Ceaușescu war jeder gegen die Kommunisten, doch nun kämpften die Rumänen und Ungarn gegeneinander. Es gab großen ethnischen Hass und Gewalt, die mitunter ziemlich brutal war. Die Geheimpolizei Securitate hatte nur ihren Namen geändert und war nun Teil der Armee. Es gab sie zwar weiterhin, doch sie tat nichts um dieser Gewalt Einhalt zu gebieten. Die Menschen hatten mehr Freiheiten als zuvor, auch wenn es die Freiheit war, gegeneinander zu kämpfen.

Ich gab öffentliche Vorträge vor gemischten Gruppen von Ungarn und Rumänen in Oradea und Cluj. Oradea war eine der am stärksten verschmutzten Städte, in denen ich jemals gewesen bin. Die Regierung hatte mitten in der Stadt eine große Chemiefabrik gebaut, die Tag und Nacht gelbe, giftige Dämpfe ausspuckte. Die Infrastruktur war äußerst dürftig. Das Haus, in dem ich während meiner Zeit dort wohnte, hatte beispielsweise kein Wasser. Die Menschen, die ich traf, waren jedoch ausgesprochen freundlich und überaus dankbar für meinen Besuch und die Vorträge.

Nach meiner Rückkehr nach Budapest flog ich am 15. September nach Sofia, Bulgarien, wo ich in den nächsten drei Tagen Treffen mit General Stoyan Andreev (dem Nationalen Sicherheitsberater von Präsident Zhelyu Zhelev) und Solomon Passy (Parlamentsabgeordneter und Präsident des Atlantic Club von Bulgarien, der die formelle Einladung für Seine Heiligkeit als einen religiösen Anführer schrieb), sowie Dr. Svechnikov (nun Präsident der Gesellschaft für Bulgarisch-Tibetische Freundschaft), um die Pläne und das Programm für den kommenden Besuch Seiner Heiligkeit zu besprechen. General Andreev erklärte, dass die Menschen den neuen Reformen nicht trauten, besonders da die wichtigste Partei im Parlament (die Sozialisten) den russischen Staatsstreich im August nicht verurteilt hatten, auch wenn Präsident Zhelev und seine Regierung (die Grüne Partei) es getan hatte. Nach dem gescheiterten Staatsstreich waren die Menschen jedoch etwas überzeugter, dass Bulgarien niemals zum Kommunismus zurückkehren würde. 

Der Besuch Seiner Heiligkeit war groß bekanntgemacht worden und General Andreev hoffte es würde helfen, die Nation zu beruhigen und zu zeigen, dass es echte Reformen und wieder eine Wertschätzung gegenüber Menschenrechten und Religion gab. Bulgarien hatte vor der kommunistischen Periode geschichtlich betrachtet eine Wertschätzung gegenüber Menschenrechten gehabt, denn Bulgarien hatte seine Juden nicht in Konzentrationslager geschickt, obwohl das Land ein Verbündeter von Nazideutschland gewesen ist. 

Traditionell war Bulgarien das osteuropäische Land mit den engsten Verbindungen zu Russland, denn es wurde 1878 durch Russland von den osmanischen Türken befreit. Ungeachtet dessen war Bulgarien das erste Land, das die drei baltischen Staaten anerkannte, wie ich von ihm erfuhr. Während meiner Zeit in Bulgarien wurden diese drei baltischen Staaten am 17. September in die Vereinten Nationen aufgenommen. Er fügte hinzu, dass Bulgarien gern eine führende Rolle einnehmen würde, den Ländern zu helfen, sich vollständig von ihren alten kommunistischen Regimen zu befreien. 

Bulgarien war ziemlich arm. In dem Land hatte es nie eine industrielle Revolution gegeben. Seit dem Fall des Kommunismus im Jahr zuvor, hatten sich die Preise für Brot und die meisten Nahrungsmittel aufgrund von Nahrungsmittelknappheit und Kraftstoffmangel verzehnfacht, während die Gehälter nur um das zwei- oder dreifache gestiegen waren. Wie in Rumänien hatten den genossenschaftlichen Landwirtschaftsbetrieben die Traktoren und andere Maschinen gehört und nun, wo das Land privatisiert wurde, hatten die normalen Bauern keine Maschinen. Viele nutzten Esel und Pferde für die Arbeit auf dem Feld, wie in alten Tagen.

Ich traf mich mit Professor Fol vom Institut für Thrakologie, das eine Kooperationsvereinbarung mit dem LTWA hatte. Doch das Institut hatte kein Geld und es bestand die Gefahr, dass es von der Bulgarischen Wissenschaftsakademie geschlossen werden würde. Aus diesem Grund waren sie nicht in der Lage gewesen, die Programme umzusetzen, die sie mit dem LTWA ausgehandelt hatten. Während ich in Sofia war, gab ich persönliche Unterweisungen bei den Leuten zu Hause.

Während der zwei Wochen vor dem Besuch Seiner Heiligkeit in Bulgarien gab ich Vorlesungen in der Schweiz, Italien und Spanien, und in dieser Zeit erklärte auch Armenien seine Unabhängigkeit am 21. September. Vom 29. September bis zum 2. Oktober stattete Seine Heiligkeit Litauen einen Besuch ab, wo er sich mit Vytauts Landsbergis (dem Sprecher des Obersten Rats), Gediminas Vagnorius (dem Premierminister von Litauen) und Anatolijs Gorbunovs (dem amtierenden Präsidenten von Lettland) traf. Während er vom 3. bis 4. Oktober in Estland war, traf sich Seine Heiligkeit mit Ülo Nugis (dem Vorsitzenden des Obersten Rats) und gab in Tartu und Tallinn vor großen Menschenmengen öffentliche Vorlesungen, sowie ein persönliches Seminar für Studenten im Mahayana-Institut an der Tartu-Universität, das von Linnart Mäll ausgerichtet worden war.  

Ich kehrte am 1. Oktober nach Sofia zurück und traf die letzten Vorbereitungen für den kurzen Besuch Seiner Heiligkeit vom 4. bis 5. Oktober. Seine Heiligkeit kam mit einem großen Team an und wir wohnten alle in der offiziellen Residenz für besuchende Staatsoberhäupter. Es war ein riesiges modernes Gebäude und außer unserer Gruppe war es vollkommen leer. Während dem Besuch hatte Seine Heiligkeit ein formelles, aber sehr warmherziges Treffen mit Präsident Zhelev und seinen Ministern, hielt eine Begrüßungsrede im Atlantic Club und der Gesellschaft für Bulgarisch-Tibetische Freundschaft, sowie eine Pressekonferenz. Außerdem gab er eine Vorlesung in der Sofia-Universität „St. Kliment Ohridski“. Nach dem Besuch Seiner Heiligkeit ging ich in die Vereinigten Staaten und machte eine Tour durch Südamerika.

Zeitraum zwischen den Besuchen von Oktober 1991 und März 1992 

In der Sowjetunion gab es während dem Rest des Jahres viele dramatische Ereignisse. Von Ende August bis zum Ende des Jahres erklärten die übrigen Republiken, eine nach der anderen, ihre Unabhängigkeit von der UdSSR. Am 8. Dezember 1991 wurde die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten als Freihandelszone zwischen der Russischen Föderation, der Ukraine und Weißrussland gegründet. Am 21. Dezember traten auch die restlichen Republiken, außer den baltischen Staaten und Georgien, dieser Gemeinschaft bei. Präsident Gorbatschow löste dann am 26. Dezember die Sowjetunion auf. Jelzin war weiter Präsident der Russischen Föderation.

Achter Besuch von März bis April 1992 

Am 6. März 1992 kehrte ich nach Osteuropa zurück, nachdem ich seit meiner letzten Station in Bulgarien ohne Unterbrechung durch die Vereinigten Staaten, Südamerika und Westeuropa gereist war und dort Vorträge gehalten hatte. Dieses Mal umfasste der Besuch Deutschland (Berlin), Polen (Warschau), die Russische Föderation (Leningrad), Lettland (Riga), Estland (Tartu, Tallinn), wieder die Russische Föderation (Moskau), Ukraine (Donezk und Kiew), Weißrussland (Minsk) und Litauen (Vilnius).   

Ich begann in Berlin, wo die Ostberliner nun an meinen Vorträgen in der Buddhistischen Gesellschaft im Westen teilnehmen konnten. Die Wiedervereinigung war zwar schon eineinhalb Jahre her, aber es gab noch immer einen gewaltigen Unterschied zwischen Ost und West. Die Sowjets hatten während ihrer Kontrolle über Ostdeutschland kaum Wiederaufbau geleistet und es musste viel getan werden. Die Westdeutschen mussten einen besonderen „Solidaritätszuschlag“ für den Wiederaufbau zahlen und nahmen dies ziemlich übel. Die Ostdeutschen wurden als zweitklassige Bürger behandelt und waren nach der anfänglichen Euphorie enttäuscht, wie man mit ihnen umging. Und wenn es nun zwei Ämter und damit verbundene Arbeitsstellen in West- und Ostberlin gab, wie beispielsweise das Amt für die Wasseraufbereitung, wurde eines von ihnen geschlossen und die Angestellten entlassen.  

Ich ging nach Polen, wo im Oktober 1991 die Parlamentswahlen abgehalten wurden. Vor den Wahlen hatte Wałęsa gesagt, dass alle Kommunisten für ihre Straftaten zur Verantwortung gezogen werden sollten. Das brachte all die ehemaligen Kommunisten dazu, für die Sozialistische Demokratische Partei (die ehemalige Kommunistische Partei) zu wählen, um sich zu verteidigen. Wałęsa’s Partei kam auf den vierten Platz. Die wirkliche Macht schien bei der Christlich Nationalen Union zu liegen, die versuchte, Polen zu einem fundamentalistischen katholischen Staat zu machen. Das Parlament nahm den neuesten Haushaltsentwurf nicht an, die Menschen waren empört über die Regierung und die Koalition änderte sich ständig.

Während ich dort war, gab ich Vorlesungen an der Warschauer Universität und im buddhistischen Zentrum. Ich traf mich mit Prof. Bronislaw Geremek, dem Vorsitzenden des Parlamentarischen Ausschusses für Ausländische Angelegenheiten, der sich über die tibetischen Menschenrechte geäußert hatte, als er im vorangegangenen Jahr in Bejing war. Er und einige der Parlamentsabgeordneten waren sehr interessiert daran, einen Besuch Seiner Heiligkeit in Polen zu arrangieren. Sie schlugen vor, dass der polnische Zweig des Helsinki-Komitees, die angesehenste Menschenrechtsgruppe in Osteuropa, die Einladung erteilen sollte. Dieser Besuch kam im nächsten Jahr, im Mai 1993, zustande, als Seine Heiligkeit sich endlich mit Lech Wałęsa traf.

Dann ging ich nach Leningrad, das nun wieder St. Petersburg hieß, wie früher. Sherab Jamtso, der nun Gelong Samayev hieß, hatte sich vollkommen vom Buddhistischen Vorstand distanziert und war jetzt selbsternannter Abt des Leningrader Tempels, obwohl sich noch immer viele Skandale um ihn rankten. Die Renovierung des Tempels war noch nicht fertig und Seine Heiligkeit hatte zwar zugestimmt, die Zutaten zum Befüllen der Hauptbuddhastatue zu besorgen und Mönche zu schicken, um sie zu befüllen, aber sie waren noch nicht bereit dazu. Dennoch gab ich eine Reihe von Belehrungen im Tempel, wie auch im Buddhistischen Zentrum.

In St. Petersburg gab es zahlreiche buddhistische und andere spirituelle Zentren. Ein großes Problem dort wie auch in der gesamten ehemaligen Sowjetunion war, dass es viele falsche und mitunter verrückte Lehrer gab – zum Beispiel einen, der behauptete der König von Shambala zu sein – die überall Zentren aufmachten. Den Leuten fehlten dann meist die Hintergrundinformationen, um falsche von qualifizierten Lehrern zu unterscheiden.

Von St. Petersburg ging ich nach Riga in Lettland. Die lettische Regierung wurde in dieser Zeit von alten Kommunisten geführt, die lediglich den Namen ihrer Partei geändert hatten. Diese alten Kommunisten verfügten über die gesamte wirtschaftliche Macht und die Korruption erreichte eine bisherige Höchststufe. Ich traf mich mit Guido Trepsha, der Bücher Seiner Heiligkeit mit Terentyev im Narthang-Verlag veröffentlichte. Er wollte gern einen lettisch-tibetischen Förderverein gründen. Während ich in Riga war, gab ich in der lettischen Kunstakademie Vorlesungen.

Dann ging ich nach Estland, wo ich erfuhr, dass der Premierminister und ein Großteil des Kabinetts in der Zeit des Besuches Seiner Heiligkeit abgesetzt wurde und nun die meisten politischen Anführer ehemalige Kommunisten und auf der Seite Chinas waren. Im Allgemeinen befand sich die Regierung jedoch im Chaos, da man erst noch eine Verfassung verabschieden musste. Pläne für tibetische Kulturzentren in Tallinn und Riga wurden abgelehnt. In Estland hielt ich im Mahayana-Institut an der Tartu-Universität und in der estnischen buddhistischen Gesellschaft in Tallinn Vorlesungen. 

Am 26. März ging ich dann weiter nach Moskau. In dieser Zeit sah es so aus, dass die Russische Föderation in viele weitere Teile zerbrechen würde. Tschetschenien, Tatarstan und Kabardino-Balkarien hatten ihre Unabhängigkeit gefordert und es wurde erwartet, dass Dagestan und Baschkortostan bald folgen würden. Es waren alles muslimische Gebiete. Die Republik der Donkosaken wollte sich mit Kalmückien vereinen. In Burjatien gab es sogar Demonstrationen. Die wirtschaftliche Situation in der Russischen Föderation war schlimmer als in irgendeinem anderen der GUS-Staaten. Obwohl es in den Geschäften mehr Nahrungsmittel gab als in der Vergangenheit, waren sie für die meisten Menschen zu teuer, um sie sich leisten zu können. Der durchschnittliche Lohn betrug 10 US-Dollar (1000 Rubel) im Monat und ein Kilo Butter kostete beispielsweise 170 Rubel. Auf den Straßen gab es nur wenig Autos, da das Benzin zu teuer war.

Als Seine Heiligkeit im Juli 1991 in Moskau war, hatte er einem Vorschlag zugestimmt, ein tibetisches Kulturzentrum in Moskau zu eröffnen. Im Oktober, als ich in Moskau war, hatten Ngawang Rabgyal, der das Zentrum leitete, und Terentyev einen Verfassungsentwurf für das Zentrum geschrieben. Die Internationale Stiftung für das Überleben der Menschheit, die sich mit ihm in einem Gemeinschaftsprojekt zusammentun sollte, hatte ihre Gunst aufgrund ihrer Verbindung zu Gorbatschow verloren. Durch ein neues Gesetz entfiel die Anforderung für Gemeinschaftsprojekte und Lukyanova hatte in ihrem Gesamtrussischen Institut der Traditionellen Medizin Büroräume angeboten. Der Verfassungsentwurf musste jedoch noch in Dharamsala fertiggestellt werden.

Lukyanova bekam nun volle finanzielle Unterstützung für unser Medizinprojekt von Präsident Jelzin und dem russischen Gesundheitsministerium. Sie bekam sechs Büroräume und dreieinhalb Hektar Land, auf dem man bauen konnte. Die umfangreichen Ländereien und Gebäude, die uns während der Sowjetzeit angeboten worden waren, standen nicht mehr zur Verfügung. Lukyanova und die russische Regierung schränkten das Programm auf die Russische Föderation und die Behandlung russischer Patienten ein, obgleich es auch zahllose Tschernobyl-Patienten in der Ukraine und Weißrussland gab. Die Ukrainer und Weißrussen sahen es ähnlich und wollten eigene, vollkommen getrennte, vollständige Programme haben. 

Es wurden zwar während Dr. Choedraks Besuch im Juli 1991 nicht all die Heilpflanzen in Sibirien gefunden, die man benötigte, um die Medikamente in Moskau herzustellen, doch Lukyanova war entschlossen fortzufahren. Momentan hatte sie nur einen burjatischen Arzt, der die Patienten behandelte, doch manche Leute stellten seine Fähigkeiten infrage. Dr. Dawa Dolma, der Ende 1990 vom „Tibetan Medical und Astro Institute“ geschickt worden war, um die hohen Regierungsbeamten zu behandeln, die uns um Hilfe gebeten hatten [die Namen werden hier zum Schutz der Privatsphäre nicht erwähnt], würde im Mai 1992 wiederkommen und sechs Monate bleiben. 

Das Projekt wurde auf einer viel geringeren Ebene fortgesetzt, bis Lukyanova am 23. März 1994 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Die Ergebnisse waren für die Patienten, die behandelt worden waren, äußerst erfolgreich gewesen, doch da die drei betroffenen Länder nicht miteinander kooperieren wollten und niemand mehr da war, um die Dinge in Moskau zu koordinieren und auch niemand die Flugtickets für die tibetischen Ärzte zahlen wollte, die aus Dharamsala kamen, wurde das Projekt leider aufgegeben.

In der Zeit meines Besuches im März 1992 hatte Lukyanova Rabdonov gekündigt. Er war nun der verantwortliche Direktor des Buddhistischen Instituts, das im Jahr zuvor von Junsei Tarasawa, einem wohlhabenden Priester des Nichiren-Buddhismus aus Japan, gegründet worden. In erster Linie war es ein Ausbildungsinstitut und nutzte Räumlichkeiten in der Moskauer Technischen Universität, wo es tibetische Sprachkurse gab, die von Rabdonov gehalten wurden.     

In der Zwischenzeit musste der Buddhistische Vorstand sein Moskauer Gebäude am 1. Mai 1992 räumen. Wenn sie von der Regierung kein anderes Gebäude bekamen, würden sie keinen Repräsentanten mehr in Moskau haben. Der Buddhistische Vorstand war sich noch immer unklar über seine Rolle im neuen Russland. Nach wie vor sahen sie sich in einer zentralisierten Bürokratie im Stil des Kommunismus, in der sie die einzigen Repräsentanten des Buddhismus in Russland waren. In der Realität repräsentierten sie nur die Burjaten und vielleicht auch die Tuwiner, da sie noch immer zu schwach waren, sich selbst zu organisieren. Die Kalmücken waren vollkommen getrennt von ihnen.

Am 29. März flog ich mit der Ukrainian Airlines nach Donezk in der Ukraine. An den Flughäfen gab es noch keine Infrastruktur für diese Fluggesellschaft und so mussten wir Passagiere des Fluges unsere Koffer selbst zum Flugzeug tragen und sie selbst in den Frachtraum laden. Der Flug war überbucht und mehrere Passagiere standen den gesamten Flug im Mittelgang. Als wir in Donezk ankamen, fand die Passkontrolle im Flugzeug statt und dann mussten wir auch unsere Koffer selbst wieder ausladen. 

Donezk, wo sich in der ehemaligen UdSSR die größten Kohleminen befanden, hatte eine internationale Bevölkerung vieler Russen, aber auch anderer ethnischer Gruppen. In der Ukraine identifizierten sich die Menschen nicht so sehr durch die Sprache, die sie sprachen, sondern durch die Kirche, der sie angehörten – meist zur griechisch katholischen Kirche im Westen der Ukraine und entweder zur russischen oder ukrainischen orthodoxen Kirche im Rest des Landes. Seit dem Zerfall der Sowjetunion war das Interesse an Religion wieder gestiegen und dazu gehörte auch ein Interesse am Buddhismus. Wie in Moskau tauchten dadurch jedoch auch mehrere Scharlatane als Lehrer auf, die behaupteten, den tibetischen Buddhismus zu repräsentieren. Ich traf mich mit dem Leiter des religiösen Rates der Donezker Region, der diese Sorge mit mir teilte.  

In Donezk lehrte ich an der Donezker Offenen Universität, wo es sechs Fakultätsmitglieder gab, die über den Buddhismus und andere asiatische Religionen unterrichteten und nur minimales Wissen über das Themengebiet hatten, aber gern etwas dazulernen wollten. Der Dekan, den ich traf, hatte eine Bitte nach Dharamsala geschickt, seine Universität der Vortragsreise von Geshes hinzuzufügen, die sie in der Zukunft nach Russland schicken würden.

Ich ging auch nach Kiew, wo ich im Haus der Gelehrten Vorlesungen gab und mich mit Professor Nikolai Kulinich, dem Stellvertretenden Direktor des Ukrainischen Instituts Internationaler Beziehungen und Berater für den Ukrainischen Ausschuss für auswärtige Beziehungen, traf. Er erklärte, dass Präsident Leonid Kravchuk der Leiter der Ideologie-Abteilung des Zentralkomitees der Ukrainischen Kommunistischen Partei gewesen war. Die meisten Menschen konnten seine kommunistische Vergangenheit nicht vergessen, doch es gab starke Oppositionsparteien. Präsident Kulinich prophezeite, dass die GUS bis zum Ende des Jahres auseinanderfallen würde. All ihre Mitglieder hassten Russland und jeden Versuch der zentralen Autorität von Moskau. Ich sprach zwar nicht davon, dass man an unserem Medizinprojekt mit Moskau zusammenarbeiten musste, doch es war klar, dass die Ukraine in keiner Form mit den Leuten kooperieren würde, die an unserem Projekt in Moskau beteiligt waren.

Von Kiew ging ich nach Minsk in Weißrussland, die wahrscheinlich graueste Stadt, in der ich jemals in der ehemaligen Sowjetunion gewesen war. Im Zweiten Weltkrieg war sie fast vollständig zerstört worden und nahezu ausschließlich mit farblosen, identischen Wohnblocks im sowjetischen Stil wiederaufgebaut worden. Das Parlament und in ihm der Oberste Rat von Weißrussland wurde aus der Reihe der alten Mitglieder der Kommunistischen Partei neu gewählt. Der Präsident Stanislav Shushkevich war ein Professor der Nuklearphysik gewesen und war die einzige Alternative gegenüber den Kommunisten, doch wurde als schwach und ineffektiv betrachtet und die Menschen waren unzufrieden mit ihm. Es gab eine große Notwendigkeit für Reformen, doch der Wandel fand viel zu langsam statt. Außerdem ärgerten sich die Menschen von Minsk über die wirtschaftliche Bürde ihrer Stadt, die Hauptstadt der GUS zu sein, die viele aufgelöst sehen wollten.

Ich traf mich mit dem Außenminister Piotr Krafchenko, der erklärte, dass die Priorität darin bestand, gute wirtschaftliche Beziehungen mit China zu haben, obgleich die Außenpolitik Weißrusslands noch nicht vollständig formuliert worden war. Das Hauptproblem in Weißrussland war laut ihm Tschernobyl, doch als ich unser in Moskau basiertes Medizinprojekt erwähnte, deutete er an, dass Weißrussland niemals mit einer Sache zusammenarbeiten würde, die offiziell von Russland gefördert wurde. Wenn wir irgendeine Zusammenarbeit mit der weißrussischen Regierung wünschten, sollten wir konkrete Vorschläge für ein getrenntes Programm mit ihnen machen, was natürlich nicht möglich war. Während ich in Minsk war, gab ich einen öffentlichen Vortrag vor einer großen Zuhörerschaft am Institut für Kultur.

Dann nahm ich am 5. April den Zug nach Vilnius in Litauen, meiner letzten Station auf dieser Tour. Während meines Besuches in Minsk war im Kongress der Volksabgeordneten Russlands ein Beschluss gefasst worden, Jelzin die Exekutivbefugnisse für die Verwaltung der Wirtschaft zu entziehen, die sie ihm Ende 1991 erteilt hatten. Er konnte sie nicht überzeugen, den Beschluss fallenzulassen und Geduld mit den Reformen zu haben. Dies zeigte allerdings die Ebene der Instabilität und Ungewissheit, die in dieser Zeit herrschte.

In Litauen war ich der offizielle Gast der Parlamentarischen Gruppe zur Unterstützung von Tibet und hatte Treffen mit zehn ihrer maßgebenden Mitglieder. Dieses Treffen war in den Fernsehnachrichten am Abend an erster Stelle. Litauen hatte zu dieser Zeit keinen Präsidenten und Landsbergis, der Leiter des Parlaments und langjährige Förderer Seiner Heiligkeit und der Tibetfrage, war die mächtigste Person im Land.

Die Parlamentarische Gruppe schlug mit Unterstützung von Landsbergis das Öffnen eines Büros Seiner Heiligkeit in Vilnius vor. Es könnte nicht nur für die baltischen Staaten, sondern auch für die Ukraine, Weißrussland, Polen, die Tschechoslowakei und Ungarn zuständig sein, da sie niemals zustimmen würden, sich einem Moskauer Büro unterzuordnen. Wir sprachen auch über mögliche erste Schritte einer litauischen Anerkennung der tibetischen Exilregierung in Dharamsala. Während ich in Vilnius war, lehrte ich an der Universität von Vilnius, die vom Litauischen Institut für Buddhistische Studien gefördert wurde. Damit beendete ich meine Tour am 8. April 1992. 

Der Zeitraum von April bis Dezember 1992 

Das Angebot, ein Büro für Seine Heiligkeit in Vilnius zu errichten, kam nie zustande. Im September 1992 wurde in Budapest ein Tibetisches Büro gegründet, um Seine Heiligkeit in ganz Osteuropa zu repräsentieren. Die Balten befanden sich unter der Zuständigkeit des Tibetischen Büros in London, zusammen mit den skandinavischen Ländern. Am 24. April 1993 wurde in Moskau ein Tibetisches Büro gegründet, um Seine Heiligkeit in Russland, dem Rest der GUS-Staaten und der Mongolei zu repräsentieren.

Ebenfalls im September 1992 besuchte Seine Heiligkeit Tuva und Kalmückien, wo er das Land weihte, auf dem die neuen Klöster errichtet werden würden. Während er in Kalmückien war, ernannte Seine Heiligkeit den jungen kalmückisch-amerikanischen Teenager Telo Rinpoche als den Shadjin Lama zum spirituellen Oberhaupt der kalmückischen Buddhisten. 

Später in diesem Jahr, am 9. Dezember 1992, überstand Jelzin ein Misstrauensvotum im russischen Kongress der Volksabgeordneten. Im Gegensatz zu den politischen Unruhen im größten Teil der ehemaligen Sowjetunion teilte die Tschechoslowakei sich friedlich am 31. Dezember 1992 zur Tschechei und Slowakei. 

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