Geist als mentale Aktivität

Bei den vier edlen Wahrheiten dreht sich alles um den Geist

Das Thema Geist ist im Buddhismus von ganz wesentlicher Bedeutung, wohl einer der bedeutsamsten Aspekte. Der Grund dafür ist: Die Schwierigkeiten, die Leiden, die wir und alle anderen erleben, sind etwas, das vom Geist geschaffen ist. Und was die vier Wahrheiten betrifft:

  • Leiden, die erste edle Wahrheit, wird vom Geist erlebt.
  • Die Ursache des Leidens ist im Grunde unsere Einstellung, unsere Verwirrung. Es geht also wieder um den Geist.
  • Wenn wir eine wahre Beendigung dessen erreichen wollen – nun, wir möchten, dass all diese Verwirrung, das Leiden und die Ursache des Leidens im Geist wirklich aufhören. Dort ist es, wo die wahre Beendigung stattfindet, nicht wahr? Diese Beendigung hat also wiederum mit dem Geist zu tun.
  • Die Art und Weise, wie wir diese wahre Beendigung herbeiführen, besteht darin, das zu entwickeln, was normalerweise als „wahrer Pfad“ (lam-bden) übersetzt wird. Aber dieser Ausdruck ist ziemlich irreführend. Wir reden hier nicht von einem Weg, den wir entlanggehen. Was gemeint ist, ist ein Geisteszustand, der ein Pfad (lam) ist. Das ist eine Art von Geisteszustand, der als Pfad fungiert, welcher tatsächlich zu dieser wahren Beendigung führt. Ganz offensichtlich handelt es sich also auch dabei um den Geist.

In allen vier edlen Wahrheiten ist also von etwas die Rede, das im Geist stattfindet und das wir mit dem Geist bewerkstelligen. Die meisten Aktivitäten, die wir im Dharma ausführen, sind im Grunde geistige Aktivitäten; wir arbeiten an und mit unserem Geist, unseren Einstellungen. Denn die Art und Weise, wie wir reden und kommunizieren, die Art, wie wir körperlich handeln – all das wird weitgehend von unserem Geisteszustand bestimmt.

Video: Geshe Lhakdor — „Unsere Fixiertheit auf die physische Welt“ 
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Die Definition von „Geist“

Wenn nun unsere hauptsächliche Aktivität im Dharma darin besteht, mit dem Geist zu arbeiten, ist es natürlich gut zu wissen, was „Geist“ überhaupt ist. Der Ausdruck „Geist“ (tib. sems, Skt. chitta) ist kein einfaches Wort. Was sind denn Worte eigentlich? Ein Wort ist im Grunde ein akustisches Muster, eine Abfolge von Tönen. Diese sind willkürlich festgelegt. Irgendeine Gesellschaft hat entschieden, sie zu einem Wort zu machen, und dann gab man dem eine Definition, und nun ist es ein Begriff. Wenn wir die Gesamtheit der Erfahrungen in unserem Leben betrachten, sind diese Wörter ein bisschen so ähnlich wie Plätzchenformen – kleine Ausstechförmchen, die einen bestimmten Umriss haben und die man dazu verwendet, aus einem Teig Plätzchen auszustanzen, die dann diese Form haben. Jede Kultur hat andere Plätzchenformen, jede Menge davon, in welche die Erfahrungen gestanzt werden. Das ist es, was gemeint ist, wenn wir von „Konventionen“ reden. Was die Wörter und Dinge sind, ist völlig willkürlich. Und wir meinen dann, dass es Dinge gibt, die diesen Wörtern entsprechen, ähnlich wie Kekse, zum Beispiel „Geist“.

Die Schwierigkeit besteht hier darin, dass jede Kultur der Plätzchenform, die im Wörterbuch als „Geist“ aufgelistet ist, eine andere Definition gibt. Denn auch die Definitionen sind von irgendjemandem erdacht worden; sie wurden einfach festgelegt (sei es durch eine Gruppe oder ein Komitee – wer weiß, was da stattgefunden hat). Das, wovon also beispielsweise im Sanskrit oder Tibetischen die Rede ist, wenn der Ausdruck als „Geist“ übersetzt wird, ist nicht das gleiche Plätzchen wie das, von dem wir reden, wenn wir im Englischen das Wort „mind“ oder im Deutschen das Wort „Geist“ verwenden. Und in anderen westlichen Sprachen sind die Plätzchenformen wiederum anders als das, was wir unter der Bedeutung von „Geist“ verstehen, und als das, was die Tibeter und Inder gemeint haben. Im Englischen und Spanischen ist die Bedeutung ziemlich ähnlich. Aber im Französischen beinhaltet das Wort, „esprit“ auch die Bedeutung einer Art geschliffener Intelligenz, und ähnlich ist es auch beim deutschen Wort „Geist“, das außerdem auch noch für „Gespenst“ verwendet wird. All das ist gleichzeitig in dem Wort enthalten, also wieder ein ganz anderer Keks. Und leider – oder vielleicht auch glücklicherweise (weil es uns hilft, die Leerheit besser zu verstehen) – ist fast jeder Fachbegriff, der im Buddhismus verwendet wird, keine genaue Entsprechung der Wörter, die wir in unseren Wörterbüchern finden. Es sind ja nur Wörterbücher; und das heißt nicht, dass die Wörter einander genau entsprechen, dass sie genau die gleiche Bedeutung haben.

Wenn wir uns also mit Buddhismus befassen, und besonders wenn wir etwas untersuchen und verstehen wollen, das so wesentlich für den buddhistischen Weg ist, ist es sehr wichtig, die Definitionen zu lernen. Denn die meiste Verwirrung und die häufigsten Missverständnisse hinsichtlich des Buddhismus sind im Grunde auf die Wörter zurückzuführen. Wir denken im Sinne unserer Wörter in den westlichen Sprachen, und die bedeuten großenteils etwas ziemlich anderes als das, wovon im Buddhismus die Rede ist. Und all die Assoziationen, die mit den westlichen Ausdrücken verbunden sind, bringen uns natürlich immer weiter weg von dem, was im Buddhismus gemeint ist. Es ist also wichtig, all diese Ausdrücke zu hinterfragen und wirklich zu versuchen, die Definitionen herauszufinden und mit den Definitionen zu arbeiten, statt uns in einem Wort zu verfangen, das wir in westlicher Sprache unglücklicherweise dafür benutzen müssen.

Das ist nicht immer ganz einfach, vor allem deshalb, weil den Wörtern in der Originalsprache in unterschiedlichen Kontexten auch noch unterschiedliche Bedeutungen bzw. Definitionen zugeordnet werden, so wie bei unseren Wörtern auch. Der Buddhismus ist immerhin schon 2500 Jahre alt, und die Wörter haben sich etwas verändert, eine Entwicklung durchgemacht, und verschiedene Autoren verwenden sie auf unterschiedliche Weise. Wir müssen also immer den jeweiligen Kontext miteinbeziehen – auf welche Weise verwendet dieser Autor jenes Wort? Aber wir brauchen uns davon nicht entmutigen lassen, denn dafür haben wir ja Lehrer, und es gibt auch Kommentarliteratur mit Erklärungen. Manche Wörter haben auch die ganze Zeit über so ziemlich die gleiche Definition behalten, und „Geist“ ist eines davon. Das macht es uns einfacher. Womit man aber z. B. wirklich sehr aufpassen muss, sind Ausdrücke wie „wahre Existenz“. Sie werden in unterschiedlichen Zusammenhängen recht unterschiedlich definiert. Aber heute Abend beschäftigen wir uns mit Geist. Lasst uns also damit beginnen.

Nun ist im Buddhismus davon die Rede, wie man etwas präzisiert. Das tut man, indem man klarmacht: „Es ist nichts anderes als dies“. Das ist eigentlich eine doppelt negative Bestimmung, und das spielt eine ganz wesentliche Rolle: Wir präzisieren etwas, indem wir sagen: „Da gibt es all die anderen Dinge, die anders sind, alles Mögliche, nur nicht dies, anders als eben dies. [Und das, was übrig bleibt, wenn wir all das ausschließen, ist das, was wir auf diese Weise präzisieren bzw. definieren]. Das ist in unseren Sprachen nicht so leicht auszudrücken. „Nichts anderes“ ist tatsächlich die gewandteste Art, es zu sagen. Was ist dies? Nichts anderes als es selbst. Aber kann man „nichts anderes“ im Spanischen sagen? Es ist jedenfalls, soweit ich festgestellt habe, die einfachste Art, das in unseren Sprachen zum Ausdruck zu bringen. Um wirklich zu präzisieren, was etwas ist, müssen wir also aussondern, was es nicht ist. Nun müssen wir dabei jetzt nicht den Tisch und die Stühle beiseitestellen, denn es ist ja klar, dass es in unserem Fall darum nicht geht.

Hilfreich für uns ist, aufzuzeigen, inwiefern das, was wir unter Geist verstehen, nicht das ist, was im Buddhismus damit gemeint ist. Wenn wir das aussondern, können wir ein genaueres Verständnis dessen erlangen, was damit gemeint ist. Und diese Vorgehensweise entspricht genau der gerade beschriebenen buddhistischen Methode zur Präzisierung einer Bedeutung. Es ist sehr schwierig, quasi mit dem Finger auf die Bedeutung zu zeigen. Man könnte zwar sagen: „Nun, es ist soundso“, doch dann könnte man denken „Aber vielleicht beinhaltet es noch mehr, also noch etwas anderes“ – das ist also nicht so präzise. Und genau da setzt unsere Verwirrung ein und die Missverständnisse, die für uns Westler aufkommen, weil wir in solche Wörter wie „Geist“ Dinge mit einschließen, die nicht dazugehören, Inhalte aus Assoziationen mit unserem Wort „Geist“, Dinge, die für uns mit diesem Wort verknüpft sind. Ich denke, die Methode, die wir anwenden müssen – nicht nur in diesem Fall, sondern überhaupt im Dharma –, um etwas zu verstehen, ist, die unangemessenen Assoziationen aus dem Weg zu räumen, die wir mit dem betreffenden Wort in unserer Sprache verbinden. Also gut.

Im Rahmen unseres Themas ist das, was wir hier zuerst aussortieren müssen, die Bedeutung „Gehirn“. Es geht hier nicht um etwas Körperliches. Wir streiten nicht ab, dass das Gehirn (und das Nervensystem usw.) mit beteiligt ist, aber es geht vielmehr um die subjektive Erfahrung, die auf der Grundlage des Gehirns stattfindet. Es handelt sich um ein und dasselbe Ereignis, aber auf unterschiedliche Weise beschrieben. Ein Erlebnis kann man unter dem Gesichtspunkt beschreiben, was dabei physisch passiert – die Geschehnisse im Gehirn, die chemischen Vorgänge, elektrischen Prozesse usw. –, oder man kann sie unter dem Gesichtspunkt der subjektiven Erfahrung all dessen beschreiben. Wenn von Geist die Rede ist, geht es hier um die subjektive Erfahrung. Man kann etwas ja auf viele unterschiedliche Weisen beschreiben, jeweils von unterschiedlichen Gesichtspunkten aus. Das heißt nicht, dass eine Beschreibung korrekter als die andere ist.

In unseren Sprachen haben wir zwei Wörter: Geist und Herz, nicht wahr? Das ist ganz grundlegend im westlichen Denken. Aber eine weitere Sache, die wir lernen müssen, ist, dass vieles kulturbedingt ist. Vieles gilt nicht universell. Und nicht jeder unterteilt Erfahrung auf diese Weise in zwei Komponenten, Herz und Geist. Im Buddhismus ist das nicht der Fall. Da umfasst ein und derselbe Begriff beides. Was wir normalerweise mit Geist meinen, ist die rationale, intellektuelle Art von Denken. Und was wir in den Begriff „Herz“ einbeziehen, sind die Gefühle, Einfühlungsvermögen usw. Aber beides sind Aspekte von Erfahrung, nicht wahr? Sie gehören zu der Art und Weise, wie wir etwas erleben. Und das Wort, um das es hier geht, schließt beides ein. Des Weiteren darin eingeschlossen sind auch all unsere Sinneswahrnehmungen – Sehen, Hören, Riechen, Tasten, körperliche Empfindungen ‑, denn auch das ist Teil unserer Erfahrung, oder?

Wenn man beginnt ein Wörterbuch zusammenzustellen, merkt man schnell, dass es schwierig wird zu entscheiden, mit welchem Wort man den Begriff in unseren Sprachen übersetzen soll. Interessant ist: Alle westlichen Sprachen wählen dafür das Wort „Geist“ im Gegensatz zu „Herz“ (das lassen wir dabei unter den Tisch fallen – und das ist schlimm). Die Chinesen und Mongolen stehen vor demselben Problem, und sie wählen eher das Wort „Herz“ statt „Geist“.

Jedenfalls brauchen wir, wenn wir im buddhistischen Kontext das Wort „Geist“ benutzen, eine erheblich größere Plätzchenform als die bei uns übliche. Was wir in die angemessene Plätzchenform allerdings nicht mit einschließen dürfen, sind die Wortbedeutungen, die im Französischen und Deutschen in dem Wort mit enthalten sind, nämlich „Esprit“ oder „Gespenst“. Diese Besonderheit besteht im Spanischen oder Englischen nicht; dort ist das nicht in der Plätzchenform enthalten.

Der nächste wesentliche Aspekt, den wir daraus ausschließen müssen, ist die Vorstellung, dass es mit dem Begriff „Geist“ von einem Ding die Rede ist, das etwas tut. Wir haben es ja hier mit dem Wort „Geist“ zu tun, nicht wahr? Geist ist etwas, das denkt. Herz ist etwas, das fühlt, Emotionen empfindet. Und es geht hier nicht um ein Ding. Oder? Wir sagen zum Beispiel: „Schlag dir das aus dem Sinn“, „Der hat den Verstand verloren“, „Behalte das im Sinn“ – das klingt so, als wäre da eine Kiste oder so etwas. „Diese Person hat einen guten Geist“ - sie hat ein gutes Auto, ein schönes Haus und einen guten Geist. Das ist so grundlegend für unsere Betrachtungsweise des Geistes, dass sich diese Verknüpfung mit einem Ding quasi einschleicht. Aber das ist nicht das, wovon hier die Rede ist. Worum es hier geht, ist ein Geschehnis. Es ist eine Aktivität.

Mit dem Wort „Erfahrung“ müssen wir etwas vorsichtig sein. Worum es hier eigentlich geht, ist das Erfahren. Es ist nicht die Erfahrung, etwa im Sinne von: „Damit habe ich gute Erfahrungen gemacht.“ Es geht vielmehr um das eigentliche Geschehnis des Erfahrens. Und wir erfahren immer etwas; wir können nicht nur erfahren, ohne etwas zu erfahren. Wir reden hier nicht von Erfahrung als einer Art Ding, wie etwa in „Diese Person hat eine Menge Erfahrung“ oder „Ich habe schlechte Erfahrungen gemacht“. Versteht ihr? Es ist „nichts anderes“ als das Erfahren selbst. Und das Übrige sind also die anderen Dinge, die wir hier ausschließen. Und es ist etwas Individuelles: Mein Erfahren ist nicht dein Erfahren. Wenn ich Hunger habe und wenn du Hunger hast – das ist ja nicht dasselbe, oder? Es ist nicht so, als hätten wir alle denselben Geist oder so. Wenn wir alle das Gleiche erleben – und ich will hier jetzt nicht das Wort „Ding“ verwenden –, so mag das die gleiche Art von Aktivität sein. Ich gehe und du gehst und jemand anders geht – es ist immer Gehen, aber mein Gehen bringt dich nicht nach dort drüben. Wir reden bei jedem von der gleichen Aktivität, aber sie ist individuell.

Ich denke, jetzt sind wir so weit, dass wir die Definition einführen können. Die Definition von Geist besteht aus drei Worten, und jedes davon ist sehr bedeutsam (man hat nicht einfach grundlos drei Worte eingestreut). Wir haben schon darüber gesprochen, dass der Bedeutungsinhalt von „Geist“ und „Erfahrung“ nicht derselbe ist wie in den Originalsprachen. Ähnlich entsprechen auch die Worte in der Definition nicht genau unseren Worten, mit denen sie normalerweise übersetzt worden. Je genauer man all diese Themen im Buddhismus betrachtet, umso mehr stellt man fest, dass kaum irgendwelche der Wörter exakt den unseren entsprechen. Auch da hilft uns das Verständnis der Leerheit: Warum sollten sie denn auch genau dasselbe sein? Sie sind ja nur etwas, das von Menschen erdacht wurde. Es handelt sich um eine Konvention, willkürlich, aber nützlich, weil uns das hilft, miteinander zu kommunizieren. Sonst könnten wir schwerlich kommunizieren. Wir brauchen also Sprache, nicht wahr? Sie funktioniert also, aber man muss aufpassen und verstehen, was dabei vor sich geht.

Die Definition wird normalerweise folgendermaßen übersetzt:

  • „Bloß“ (tib. tsam) – ein Wort mit der Bedeutung „nur“. Das Wort ist eigentlich kein großes Problem, aber man muss verstehen, worum es sich handelt.
  • Und dann „Klarheit“ (tib. gsal) und „Gewahrsein“ (tib. rig). Das sind die beiden Wörter, die Probleme aufwerfen.

„Klarheit“ und „Gewahrsein“ klingen so, als würde es sich um Dinge handeln, aber denkt daran: Es geht hier nicht um Dinge. Und „Klarheit“, abgesehen davon, dass das Wort für uns Helligkeit oder Transparenz nahelegt, klingt so, als ginge es darum, dass etwas genau bzw. scharf im Fokus ist, aber das ist damit hier überhaupt nicht gemeint. Und „Gewahrsein“ klingt in unseren Sprachen so, als wäre da Verständnis vorhanden, und das ist auch nicht notwendigerweise der Fall. Diese Aspekte sind in den Plätzchenformen „Klarheit“ und „Gewahrsein“ nicht enthalten.

Lasst sie uns nun der Reihe nach genauer betrachten. Denkt daran, dass wir hier von einer Aktivität sprechen, einem Geschehen, etwas das vor sich geht.

Klarheit

Das Wort „Klarheit“ bezieht sich darauf, dass eine kognitive Erscheinung von etwas hervorgebracht wird. Das wird manchmal mit dem Wort „aufgehen“ (shar-ba) erklärt – so, wie die Sonne aufgeht. Deswegen benutze ich oft das Wort „auftauchen“. Und „Erscheinung“ (snang-ba) mit dem Wort müssen wir auch aufpassen, denn es geht nicht um etwas Visuelles. Das müssen wir also auch aus der Plätzchenform aussortieren. Es kann auch die Erscheinung eines Geruchs, eines Klangs, einer Emotion usw. sein – sie ist einfach da, sie taucht auf.

Ich denke, am einfachsten kann man vielleicht verstehen, was hier mit dem Wort „Klarheit“ gemeint ist, wenn man sich eine Aktivität vorstellt, die ein geistiges Hologramm von etwas hervorbringt. „Hervorbringen“ klingt auch etwas misslich, denn es geht nicht um etwas, das in der Werkstatt des Weihnachtsmanns hergestellt wird und uns dann aus dem Kopf springt. Es ist einfach ein Auftauchen. Lasst es uns „Auftauchen“ nennen. Ich habe diese Idee des geistigen Hologramms einer westlichen Beschreibung entnommen, die ich in einem Buch namens „Das holographische Universum“ gefunden habe. Ich denke, dass sich damit sehr gut beschreiben lässt, was hier im Buddhismus gemeint ist.

Denn wenn wir einmal überlegen: Wenn wir etwas sehen – was passiert da? Die westliche Beschreibung ist: Da sind alle möglichen Lichtstrahlen, Photonen, Wellen, die auf bestimmte Zellen unserer Netzhaut treffen. Dann wird das alles in elektrische Information umgewandelt, auch einige chemische Prozesse treten auf. Und dann, so könnten wir in westlicher Ausdrucksweise sagen, entsteht daraus eine Art geistiges Hologramm, und dieses ist es, was wir tatsächlich sehen. Aber hier ist nicht die Rede davon, dass irgendetwas das „macht“; es findet einfach statt. Es ist ein geistiges Hologramm, das da entsteht. Der physikalisch-chemische Prozess wird nicht abgestritten, aber was wir hier ausschließen, ist, dass es da irgendein Ding gibt, so etwas wie eine Maschine, die Geist genannt wird und die das macht. Das Physikalische/Chemische wird nicht geleugnet; das ist nur eine andere Beschreibung dessen, was abläuft.

Das Gleiche gilt, wenn wir Leute reden hören. Es geschieht immer nur ein Moment, und so hören wir jeweils nur einen kleinen Teil des Klangs von einem Wort. Wir hören zunächst nur den Klang des ersten Buchstabens eines Wortes, und wenn wir dann den Klang des zweiten Buchstabens hören, existiert der Klang des ersten Buchstabens schon nicht mehr. Er ist schon vorbei. Aber trotzdem hören wir nicht nur ein Wort, sondern sogar ganze Sätze und mitsamt Bedeutung. Habt ihr euch je überlegt, wie in aller Welt das geht? Es ist unglaublich, denn man hört ja in jedem Moment nur jeweils einen kleinen Teil eines Wortes. Da entsteht eine andere Art geistiges Hologramm, in diesem Fall kein visuelles. Hier müssen wir unsere Vorstellung eines Hologramms erweitern.

Ähnlich läuft das im Hinblick auf alle Sinne ab. Da sind nur elektrische Impulse, die auf bestimmte Zellen treffen, beispielsweise auf die Geschmacksknospen der Zunge. Ich meine - was bewirkt das denn? Es entsteht wieder ein geistiges Hologramm eines Geschmacks oder eines Geruchs oder einer körperlichen Empfindung. Versteht ihr? Und wiederum dasselbe passiert beim Denken oder einer Emotion oder dergleichen. Es sind alles geistige Hologramme.

Wir müssen es hier sprachlich sehr präzise sein. Im Zusammenhang mit dem Geist verwenden viele Menschen die Wörter „direkt“ und „indirekt“ für verschiedene Varianten von Wahrnehmung. Und oft benutzen sie das Wortpaar „direkt“ und „indirekt“, um mehrere Bedeutungen auszudrücken, mehrere Varianten, und das wird dann ungeheuer verwirrend, vor allem wenn diese Wörter für die Bedeutung „begrifflich“ und „nicht begrifflich“ benutzt werden; das ist dann wirklich sehr irreführend. Was also die Begriffe „direkt“ und „indirekt“ betrifft (zumindest so, wie sie von einigen Übersetzern verwendet werden, und ich stimme damit vollkommen überein), gilt Folgendes: Einige buddhistische Theorien besagen, dass Wahrnehmung ohne geistiges Hologramm stattfindet. Das ist direkte (unmittelbare) Wahrnehmung. Doch wenn ein geistiges Hologramm auftritt, handelt es sich um indirekte (nicht unmittelbare) Wahrnehmung. Wir erkennen die Welt mittels geistiger Hologramme. Richtig? Das ist indirekt, denn es geschieht durch geistige Hologramme.

In der Vaibashika-Philosophie heißt es, dass wir die Welt direkt erfahren – ohne geistige Hologramme, aber alle anderen indischen Lehrsysteme des Buddhismus vertreten, dass es durch Hologramme geschieht. Und man sollte sich darüber im Klaren sein, dass die unterschiedlichen tibetischen Traditionen ebenfalls verschiedene Interpretationen vertreten:

  • Die Gelug-Tradition vertritt, dass diese geistigen Hologramme vollkommen transparent sind: wir sehen tatsächlich die Welt.
  • Die anderen tibetischen Traditionen – die Sakya-, die Nyingma- und die Kagyü-Tradition – vertreten die Position, dass diese geistigen Hologramme eher opak, quasi milchig, sind. Der Grund dafür ist, dass die Erzeugung des geistigen Hologramms erst etwa eine Millisekunde nach dem Geschehnis liegt, welches es repräsentiert. Dabei tritt so etwas wie eine Zensur ein. Es gibt eine zeitliche Verzögerung. Und deshalb ist es nicht tatsächlich transparent.

Das gibt zu denken: Nehmen wir tatsächlich die Welt wahr oder liegt immer ein Sekundenbruchteil dazwischen? Die Beantwortung dieser Frage hat natürlich erhebliche Auswirkungen für die Kosmologen, denn die Wissenschaftler befassen sich ja mit der Natur von Zeit und Raum usw. Da wird es wirklich interessant. Das sind also Themen, auf denen man gut herumkauen und über die man viel nachdenken kann. Aber die Vorstellung des geistigen Hologramms ergibt eine Menge Sinn.

Und das geistige Hologramm muss natürlich nicht unbedingt die Qualität einer scharfen Fokussierung haben. Wenn ich meine Brille abnehme, entsteht ein geistiges Hologramm von Verschwommenem. Da draußen im Zimmer ist nichts Verschwommenes, nicht wahr? Was ich sehe, ist unscharf. Aber auch das ist in dieser Bedeutung des Wortes „Klarheit“ mit inbegriffen. Aus diesem Grund ist das Wort „Klarheit“ hier natürlich ziemlich missverständlich.

Gut, so weit also das erste der drei Wörter in der Definition von „Geist“. Mit dem Wort „bloß“ haben wir uns noch nicht beschäftigt. Dieses Wort kommt in der Originalsprache als letztes. Die Wortreihenfolge ist anders als bei uns. Wir müssen dieses Wort in unserer Sprache an die erste Stelle setzen; im Tibetischen ist es das letzte der drei Wörter.

Gewahrsein

Das zweite Wort in der Definition ist „Gewahrsein“, und der Bedeutung nach handelt es sich auch hier um eine Aktivität. Es ist – klingt nicht gerade gut in unserer Sprache – das kognitive Aufnehmen eines Objekts.

Etwas aufnehmen – nun, viele Dinge nehmen etwas auf. Eine Schneeschaufel zum Beispiel ist etwas, das Schnee aufnimmt. Eine Schneeschaufel ist nicht unabhängig davon, dass es Schnee gibt. Man könnte keine Schneeschaufel erfinden und sie so bezeichnen, wenn es keinen Schnee gäbe. Allerdings nimmt eine Schneeschaufel nicht immer ihr Objekt auf. Wenn sie im Sommer in der Garage steht, ist das nicht der Fall. Der Geist aber nimmt in jedem Moment etwas auf, egal ob wir schlafen oder wach sind, bewusst oder unbewusst. Das, was aufgenommen wird, kann zum Beispiel Dunkelheit sein. Es kann die Abwesenheit von Licht oder Klang oder Sinneswahrnehmungen oder sonst was sein – es ist ein Objekt.

Eine Abwesenheit ist etwas, das wir erkennen können. Wir alle können die Abwesenheit eines Elefanten in diesem Zimmer erkennen. Es ist kein Elefant da. Was sehen wir? Das ist noch eine weitere Frage: Was sehen wir eigentlich, wenn wir sehen, dass kein Elefant hier im Zimmer ist? Was taucht da auf? Wie sieht das geistige Hologramm von „kein Elefant im Zimmer“ aus? Das ist eine interessante Frage. Aber jedenfalls erkennen wir es. Wir können es alle sehen.

Das Aufnehmen eines Objekts, um das es hier geht, ist ein wahrnehmendes Aufnehmen, das heißt also eine Art, es zu erfahren. Es gibt ungemein viele Arten von Wahrnehmen bzw. Aufnehmen eines Objekts; es kann Sehen sein oder Hören, Riechen, Tasten oder eine körperliche Empfindung (beispielsweise von heiß oder kalt) oder auch Denken. Und wir sollten nicht meinen, die körperliche Empfindung z. B. sei darauf beschränkt, weich oder rau oder eine Berührung wahrzunehmen; es kann auch heiß oder kalt oder Bewegung und vieles mehr sein. Das alles sind körperliche Empfindungen. Sie sind eine Art, ein Objekt wahrzunehmen. Man verwendete dafür das tibetische Wort „‘jug-pa“ [wörtlich: eintreten] und im Englischen „engaging“ [deutsch etwa: sich befassen mit]; das ist in Ordnung, aber auch das kann zu einigen Missverständnissen führen.

Dieses Aufnehmen eines Objekts kann korrekt oder inkorrekt sein und es kann mit Gewissheit oder ohne Gewissheit sein. „Ich frage mich, was das ist“, „Ich schätze mal, das ist …“ – auch das ist Aufnehmen eines Objekts, aber ohne Gewissheit. „Ich weiß nicht, was das ist.“

Treten nun die beiden Aktivitäten, von denen wir hier gesprochen haben – das Auftauchen eines geistigen Hologramms und kognitive Aufnehmen von etwas (was nicht unbedingt heißt, dass man weiß, was es ist; nur ein Eintreten von Wahrnehmung) – nacheinander auf oder gleichzeitig? Ist es so, dass zuerst ein Gedanke auftaucht, das geistige Hologramm eines Gedankens, und dann denken wir ihn? Taucht erst das geistige Hologramm eines Anblicks auf und anschließend sehen wir es? Wenn es so wäre, wie könnten wir dann wissen, dass ein Hologramm aufgetaucht ist? Ist es so, dass da ein visuelles geistiges Hologramm ist und dann habe ich zu entscheiden, ob ich es ansehe oder nicht? Das wäre ziemlich seltsam, nicht wahr? Das Erzeugen eines geistigen Hologramms ist das Sehen von etwas. Das ist Sehen. Es ist nicht so, dass es zwei Aktivitäten wären, die gleichzeitig auftreten. Es handelt sich um dieselbe Aktivität, nur von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus beschrieben. Verstanden?

Bloß

Das dritte Wort wird normalerweise als „bloß“ übersetzt (englisch „merely“), weil es ein bisschen besser klingt, aber es könnte auch „nur“ heißen. „Nur“ ist ein Wort, durch das etwas anderes ausgeschlossen wird. Das Wort in der Originalsprache ist jedenfalls dasjenige, das man verwendet, um etwas auszuschließen. Ich denke, in unseren Sprachen ist das ähnlich. „Nur dies“ – das bedeutet, es ist nicht auch jenes, es ist nur dies. Im Falle unserer Definition wird damit zweierlei ausgeschlossen, nämlich:

  • zum einen, dass da ein Ding ist – etwas wie eine Maschine, der Geist –, das dies „macht“,
  • und zweitens - und das zu verstehen ist sogar noch wichtiger –, dass es kein davon getrenntes „Ich“ oder eine Person gibt, die von dieser ganzen Sache getrennt ist und sie macht, das benutzt … Es ist nicht so, dass hier ein „Ich“ ist, und nun werde „ich“ diese Maschine anwerfen, den Geist, und der wird dann denken oder sehen oder so etwas. So etwas läuft da nicht ab. Es gibt keine davon getrennte Person, die das tut. Und es gibt keinen Geist, der eine Maschine ist, die das tut. Es geschieht einfach. Ich meine – es gibt natürlich eine denkende Person; man kann durchaus sagen „ich sehe das, nicht du“. Das wird nicht geleugnet. Aber sie ist keine Entität, die von diesem ganzen Prozess des Tuns getrennt ist, die davon abgesondert existiert. Aber darüber werden wir nur sprechen, wenn wir zum Thema Leerheit kommen. Das ist offensichtlich ein ganz wichtiger Punkt.

Auf jeden Fall ist es einfach nur diese geistige Aktivität, die stattfindet.

Weitere wichtige Begriffe

Verständnis

Hier sind noch mehr als zwei Worte zu besprechen, denn mir fällt gerade noch ein weiteres Wort ein.

Das erste Wort, über das ich sprechen möchte, ist „Verständnis“ (rtogs-pa) – ein sehr grundlegendes Wort. Was meinen wir, wenn wir sagen, wir verstehen etwas? Wir müssen jedes Wort hinterfragen. Es ist das gleiche Wort, das für das verwendet wird, was als „Begreifen“ übersetzt wird – ich übersetze es jedenfalls so –, und es wird folgendermaßen definiert: etwas korrekt und entschieden [kognitiv] aufnehmen. Das ist gleichbedeutend mit dem Wort „Verständnis“.

Wenn man eine Vogelscheuche für einen Menschen hält – nun, das ist ein verkehrtes Aufnehmen des Objekts. Aber einen Menschen für einen Menschen zu halten ist korrekt. „Nicht entschieden“ wäre in diesem Zusammenhang zum Beispiel: „Ist das ein Mensch oder eine Vogelscheuche? Es ist zu weit entfernt, ich kann es nicht richtig erkennen.“ In dem Fall geschieht das Aufnehmen des Objekts ohne Entschiedenheit. Auch das ist eine Art, ein Objekt aufzunehmen, denn offensichtlich sehen wir ja etwas. Doch wenn wir es korrekt als einen Menschen erkennen, und zwar entschieden, dann handelt es sich um Verständnis. Man muss nicht unbedingt ein Wort für das Objekt verwenden; sonst könnte man ja nur begrifflich verstehen, und dem ist nicht so (man kann auch auf nicht begriffliche Weise verstehen). Auch das ist ein interessanter Sachverhalt. In gewissem Sinne erkennen wir, was es ist, ohne notwendigerweise ein Wort dafür zu verwenden, nicht wahr? Man braucht nicht unbedingt zu denken „Ah – das ist ein Mensch.“ Man erkennt mit Gewissheit einen Menschen als Menschen: Man versteht, was das ist.

Explizites und implizites Begreifen

Dabei gibt es eine weitere Variante, die oft als „direkt“ und „indirekt“ übersetzt wird, aber dann verwechselt man es mit der anderen Variante der Wahrnehmung. Hier sind „explizit“ und „implizit“ die besseren Wörter. Explizites Verstehen (dngos-su rtogs-pa) bedeutet, dass ein Erkennen von etwas stattfindet – denn es geht ja hier um ein Verständnis bzw. Begreifen – und dabei ein geistiges Hologramm dieses Objekts erzeugt wird. Wenn es sich um implizites Begreifen (shugs-la rtogs-pa) handelt, findet dabei kein Erzeugen eines geistigen Hologramms des Objekts statt.

Wenn wir also einen Menschen mit Gewissheit als Menschen erkennen, verstehen bzw. begreifen wir explizit: „Da ist ein Mensch.“ Da ist ein mentales Hologramm eines Menschen. Klar? Aber wir können gleichzeitig auch implizit verstehen bzw. begreifen: „keine Vogelscheuche“. Da ist nur ein geistiges Hologramm eines Menschen. Und sicher kein Hologramm einer Vogelscheuche. Aber wir wissen, dass das keine Vogelscheuche ist, wir erkennen das korrekt und entschieden, das heißt, wir verstehen es, nämlich implizit. Ich finde, diese buddhistische Analyse der geistigen Aktivität ist wirklich enorm präziser.

[Siehe: Das Begreifen gültig erkennbarer Phänomene]

Begriffliche und nicht begriffliche Wahrnehmung

Das nächste wirklich verwirrende Begriffspaar ist „begrifflich“ (rtog-pa) und „nicht begrifflich“ (rtog-med). Es ist sehr wichtig zu wissen, was um alles in der Welt am Buddhismus gemeint ist, wenn diese Wörter verwendet werden. Offensichtlich handelt es sich um verschiedene Arten, etwas kognitiv aufzunehmen. Es sind Arten, etwas zu erfahren. Was beim begrifflichen Erkennen von etwas eine Rolle spielt, sind Kategorien. Dieses Thema habe ich bereits angesprochen, als ich von „Plätzchenformen“ geredet habe.

Es gibt viele verschiedene Sorten von Kategorien, und eine davon ist eine Hörkategorie (sgra-spyi). Das muss nicht unbedingt der Klang eines Wortes sein. Es kann auch ein Ton sein, der ähnlich wie ein Wort benutzt wird (zum Beispiel „Häh?“), oder etwa der Ton eines Weckers – auch der hat eine Bedeutung. Es handelt sich um eine Kategorie, die für viele verschiedene Dinge verwendet werden kann. Wir haben keine Worte für etwas, das nur irgendein einziges Ding im Universum ist. Das wäre wirklich schwierig, wenn für jedes einzelne winzige Ding … wenn es das Wort „Tisch“ nicht gäbe, sondern für jeden einzelnen Tisch ein anderes Wort verwendet würde. Deswegen gibt es Kategorien. Es gibt eine Kategorie namens „Tisch“. Natürlich ist es bloß ein akustisches Muster: „T-i-schsch“. Ein völlig willkürlicher Klang, den irgendein Neandertaler oder sonst jemand hervorgebracht hat, und dann – „Gut, lasst uns das als Wort nehmen, es ist jetzt eine Kategorie, die sich bezieht auf …“ Wir haben also zunächst einmal eine Wortkategorie, eine Klangkategorie. Interessant ist, dass es keine Rolle spielt, mit welcher Stimme dieser Ton hervorgebracht wird oder wie schnell das Wort gesagt wird. Das kann ganz unterschiedlich sein. Aber es ist eine Kategorie. Egal, wie sie ausgesprochen wird – mit hoher oder niedriger Stimme, laut, leise, Kinderstimme – es ist ein Wort. Und egal wie es geschrieben wird – das ist noch seltsamer. Es ist aber nicht so, dass wir jedes Mal, wenn wir „Tisch“ aussprechen, ein anderes Wort sagen. Und es ist auch nicht so, dass andere Menschen, wenn sie „Tisch“ aussprechen, damit ein anderes Wort sagen. Es ist eine Kategorie, eine Hörkategorie. Manchmal wird dies „Allgemeines“ genannt, aber ich denke, unter „Kategorie“ können wir uns eher etwas vorstellen.

Außerdem gibt es eine bedeutungsbezogene Kategorie (don-spyi); im Tibetischen ist das Wort dafür dasselbe wie dasjenige für Objekt-Kategorie, aber da besteht ein kleiner Unterschied. Eine bedeutungsbezogene Kategorie ist die Kategorie, in die wir die verschiedenen Dinge bzw. Einzelfälle einordnen, auf die sich eine Hörkategorie bezieht, also beispielsweise die Kategorie „Tisch“. Die bedeutungsbezogene Kategorie ist also die Kategorie all der verschiedenen Dinge, die gültig „ein Tisch“ genannt werden können. Nicht jedes Objekt passt in eine Kategorie. Für bedeutungsbezogene Kategorien gibt es Definitionen, und um in eine Kategorie eingeordnet zu werden, müssen die betreffenden Dinge die Kriterien dieser Definition erfüllen, sie müssen die entsprechenden definierenden charakteristischen Merkmale haben. Aber Definitionen sind lediglich Konventionen, die von Menschen erdacht sind, zum Beispiel die Definition von „Tisch“ – etwas Flaches mit Beinen, auf das man etwas drauflegen kann. Ganz offensichtlich gibt es viele verschiedene Gegenstände, die dieser Definition entsprechen. „Tisch“ ist kein Wort für nur einen Gegenstand.

Das tibetische Wort für eine bedeutungsbezogene Kategorie ist zwar dasselbe wie für eine Objekt-Kategorie, aber die Objekt-Kategorie in der Wahrnehmung von jemandem muss nicht unbedingt die bedeutungsbezogene Kategorie eines Wortes sein. Eine Kuh hat zum Beispiel eine Objekt-Kategorie „Scheune“ oder „mein Kalb“ oder so etwas. Für die Kuh ist das nicht die Bedeutung eines Wortes. Für uns ist es die Bedeutung eines Wortes. Aber eine Kuh kennt Futter – etwas zum Fressen. Sie kennt den Unterschied zwischen Futter und Asphalt, einer Straße. Sie kann viele verschiedene Sorten von Gras als Futter erkennen. Es ist also eine Objektkategorie, keine bedeutungsbezogene Kategorie, obwohl sie der bedeutungsbezogenen Kategorie unserer menschlichen Worte entspricht. Ein Hund zum Beispiel hat das geistige Hologramm eines Geruchs. Wie erkennt er, dass das der Geruch seines Herrchens ist? Wie weiß er das? Wie weiß er, dass es jedes Mal, wenn er diesen Geruch wahrnimmt, etwas mit seinem Herrchen zu tun hat? Es gibt einen mentalen Geruch und eine Kategorie, ein Hologramm von „Geruch meines Herrchens“, und jedes Mal erkennt der Hund „Das ist der Geruch meines Herrchens“, aber er hat bestimmt kein Wort dafür. Stimmt’s?

Wenn man etwas mithilfe einer Kategorie erkennt – wahrnimmt –, dann ist das konzeptuell, in gewissem Sinne also begrifflich [für menschliche Wahrnehmung kann dafür in den meisten Fällen das Wort „begrifflich“ verwendet werden]. Kategorien haben allerdings keine eigene Gestalt. Zusätzlich zur Kategorie gibt es daher noch ein weiteres geistiges Hologramm von etwas, das diese Kategorie für uns repräsentiert. Wir haben also zwei geistige Hologramme, und dasjenige, dass die Kategorie repräsentiert, ist halb transparent – gemäß der Gelugpa-Erklärung, aber bleiben wir jetzt einfach mal bei dieser Erklärung. Es überlagert bzw. wird projiziert auf das erste Hologramm, wenn wir etwas sehen oder hören, und es ist halb transparent in dem Sinne, dass wir durch dieses Hologramm auch das geistige Hologramm eines äußeren Objekts wahrnehmen, aber nicht sehr lebendig. Deshalb wird es „halb transparent“ genannt.

Auch wenn wir denken, ist dabei ein geistiges Hologramm vorhanden, das die visuelle Form einer Objekt-Kategorie oder den Klang einer Hörkategorie repräsentiert; und auch in diesen Fällen ist das geistige Hologramm halb transparent. Das, woran wir denken, muss natürlich nicht gegenwärtig anwesend sein, aber die Tibeter sagen, dass man dabei tatsächlich wahrnehmend mit dem Objekt befasst ist. Wenn ich an meine Mutter denke, ist meine Wahrnehmung tatsächlich mit ihr befasst, obwohl sie schon vor sechs Jahren verstorben ist und ganz bestimmt nicht anwesend. Es ist ein geistiges Bild vorhanden – das ist das mentale Hologramm – und auch die Kategorie „meine Mutter“. Es ist nicht so, dass ich an ein geistiges Hologramm denke; ich denke an meine Mutter. Es ist nicht so lebhaft, weil es ein gemischtes Hologramm ist. Egal wie genau ich mir meine Mutter vorstelle – es ist nicht so lebhaft wie sie zu sehen.

Das ist also die Bedeutung der Wörter „begrifflich“ und „nicht begrifflich“ [manchmal auch „konzeptuell“ und „nicht konzeptuell“ genannt]. Auch Tiere haben konzeptuelle Wahrnehmungen, aber nicht intellektuell. „Intellektuell“ ist ein westliches Wort, eine westliche Plätzchenform. In der buddhistischen Keksdose gibt es keinen Keks, der ihr entspricht.

Denken

Das letzte Wort, über das ich sprechen möchte – und ich werde nicht zu viel darüber reden –, ist das Wort „denken“. Was bedeutet „denken“? Nun, das, wofür wir das Wort verwenden, ist normalerweise etwas Verbales, und normalerweise verstehen wir darunter einen ganzen Gedankengang, nicht wahr? Aber gemäß der buddhistischen Bedeutung ist es folgendermaßen: Im Falle eines jeden kognitiven Aufnehmens von etwas – sei es korrekt oder verkehrt, entschieden oder nicht entschieden – gilt: Wenn eine Kategorie daran beteiligt ist, ist es Denken. Auch ein Hund denkt also. Wenn er zum Beispiel an sein Herrchen denkt, spielen dabei der Geruch und die Kategorie „mein Herrchen“ die wesentliche Rolle, also keine Worte. Es ist sicher nichts Intellektuelles. Und außerdem gilt vom buddhistischen Gesichtspunkt: Auch nur ein Moment davon, eine Sekunde davon, ist Denken. Denken bedeutet nicht unbedingt, dass ein ganzer Gedankengang auftritt.

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