Einführung
Bei einer Ermächtigung in eine Praxis des Anuttarayoga-Tantra versprechen wir zusätzlich zum Ablegen der Bodhisattvagelübde und der tantrischen Gelübde, auch bestimmte Praktiken oder Geisteshaltungen aufrecht zu erhalten, die uns eng mit dem Tantra verbinden (tib. dam-tshig, Skt. samaya, Versprechen, Ehrenwort).
Ein Gelübde (tib. sdom-pa) ist ein Abstehen von schädlichen Handlungen, während eine bindende Praxis eine Beschäftigung mit zuträglichen Handlungen bedeutet. So beinhaltet das Ablegen eines Gelübdes das Versprechen, sich entweder einer natürlichlicherweise destruktiven Handlung, wie zum Beispiel dem Töten, zu enthalten, oder von einem ethisch neutralen Verhalten Abstand zu nehmen, das schädlich für den spirituellen Fortschritt ist, wie zum Beispiel nicht kontinuierlich über Leerheit zu meditieren. Eine Praktik der engen Bindung anzuwenden bedeutet auf der anderen Seite, zu versprechen, dass man konstruktive oder ethisch neutrale Handlungen, die für den (eigenen) Fortschritt förderlich sind, durchführen wird. Dazu gehört zum Beispiel großzügiges Handeln oder ein keusches Verhalten aufrechtzuerhalten.
Die neun zusätzlichen Praktiken einer engen Bindung (yan-lag-gi dam-tshig) sind Neuformulierungen einiger der tantrischen Wurzelgelübde und einiger Arten des gezügelten Verhaltens. Sie beschreiben eher das Verhalten, welches anzunehmen ist, als die Handlung, die es zu vermeiden gilt.
Neun zusätzliche Praktiken einer engen Bindung
(1) Sich von den vier Wurzeln befreien
Die vier grundlegend zerstörerischen Handlungen, die wir aus unserem Verhalten beseitigen sind (a) das Leben anderer zu nehmen, (b) zu nehmen, was uns nicht gegeben wurde, (c) unangemessenem sexuellen Verhalten nachzugehen, und (d) zu lügen. Diese Praktik enger Bindung entspricht der zweiten bis vierten und elften bis vierzehnten Art gezähmten Verhaltens.
(2) (Das Trinken) von Alkohol aufgeben
Dieser Punkt ist gleichbedeutend mit der fünften Art gezügelten Verhaltens. Bei den ersten beiden zusätzlichen bindenden Praktiken handelt es sich daher um die fünf Laiengelübde, die als Praktiken enger Bindung neu formuliert worden sind.
(3) Unangemessenes Verhalten vermeiden
Dies schließt die achte Übertretung der tantrischen Wurzelgelübde mit ein: niemals seine eigenen Aggregate zu missbrauchen. Zudem befreien wir uns ebenso wie beim achten Nebengelübde des Bodhisattvas davon, uns in einer Weise zu verhalten, die bewirkt, dass wir einen schlechten Ruf erwerben.
(4) Uns unserem spirituellem Meister anvertrauen
Wir vermeiden nicht nur unseren spirituellen Lehrern zu verachten oder zu verspotten – wie es das erste allgemeine tantrische Wurzelgelübde beschreibt – sondern wir vertrauen uns ihnen in richtiger Weise an. Das tun wir – wie beim dritten zusätzlichen tantrischen Nebengelübde – indem wir den Belehrungen von „Fünfzig Verse über den Guru“ nicht zuwider handeln.
(5) Vajrafreunde respektieren und ihnen dienen
Wir vermeiden nicht nur, Fehler an unseren Vajrabrüdern und Schwestern zu bemängeln – wie im dritten allgemeinen tantrischen Wurzelgelübde – sondern wir behandeln sie stets mit Würde und Respekt.
(6) Die zehn konstruktiven Handlungen kultivieren
Wir vermeiden nicht nur, die Worte eines jeden Erleuchteten in Bezug auf die drei Gruppen von Gelübden zu trivialisieren oder zu verletzen – wie im zweiten allgemeinen tantrischen Wurzelgelübde - sondern wir befassen uns aktiv mit den zehn konstruktiven Handlungen wir halten uns also vom Töten, Stehlen, Lügen usw. zurück.
(7) Uns von den Gründen befreien, die ein Abwenden vom Mahayana bewirken
Dies umfasst, sich niemals entmutigen zu lassen und niemals die Liebe zu allen fühlenden Wesen aufzugeben – das vierte allgemeine tantrische Wurzelgelübde. Es beinhaltet auch, an den friedvollen Zuständen der Befreiung nicht anzuhaften.
(8) Vermeiden, das Mahayana zu verachten
Wie im Falle des sechsten allgemeinen tantrischen Wurzelgelübdes, vermeiden wir unsere eigenen Lehrsysteme wie auch die Lehrsysteme andere zu verspotten, dies gilt insbesondere für die Lehren der Mahayanasutren.
(9) Vermeiden, auf Objekte des Respekts zu treten oder über sie zu steigen
Wir vermeiden, uns nicht richtig auf die Substanzen zu verlassen, die uns eng mit unserer tantrischen Praktik verbinden – wie im dreizehnten allgemeinen tantrischen Wurzelgelübde. Darüber hinaus vermeiden wir geringschätziges Verhalten ihnen gegenüber. Despektierliches Verhalten wäre z.B. auf oder über glücksverheißende Symbole, die auf den Boden aufgezeichnet wurden, zu treten oder auf oder über in tantrischen Ritualen geopferte Blumen, die in die Luft geworfen worden wurden und zu Boden gefallen sind.