1) Die Kraft, allwissend gewahr zu sein in Bezug auf die passenden und unpassenden Verbindungen zwischen den verschiedenen Arten impulsiv karmischen Verhaltens und deren Wirkungen. Diese Kraft beinhaltet auch das Wissen darüber, was korrekt und was inkorrekt ist, was erreicht und was nicht erlangt werden kann.
2) Die Kraft, allwissend gewahr zu sein in Bezug auf die karmischen Impulse (konstruktiv, destruktiv oder gemischt) und die nicht-karmischen unbefleckten Impulse, deren gereiftes Ergebnis dies alles ist. Mithilfe dieser Kraft erkennt man die karmischen Ursachen aller Geschehnisse, die jedem einzelnen Lebewesen widerfahren – sogar die Ursache für einen einfachen Kopfschmerz.
3) Die Kraft, allwissend gewahr zu sein in Bezug auf die verschiedenen spirituellen Bestrebungen (tib. mos-pa) aller begrenzten Lebewesen (fühlender Wesen). Der Buddha ist folgender spiritueller Bestrebungen gewahr: Der niederen Bestrebungen, die sich nur auf dieses Leben beziehen, der mittleren Motivation, mit der jemand die Befreiung anstrebt, der höheren Bestrebung, mit der Übenden die vollkommene Erleuchtung erlangen wollen, und schließlich jener Absichten, die verborgen sind (d. h. die unbewusst oder unklar ausgedrückt sind). Weil der Buddha sich dieser unterschiedlichen Motivationsebenen gewahr ist, kann er jedes Lebewesen entsprechend seiner Fähigkeiten anleiten.
4) Die Kraft, der Ursache der Wahrnehmung jedes einzelnen Lebewesens allwissend gewahr zu sein, ebenso wie der Ursache der Erleuchtung (tib. khams, der Buddha-Familien-Eigenschaften, der Buddha-Natur) dieser Wesen gewahr zu sein. Ein Buddha weiß, wie alle Gedanken, Ideen und Missverständnisse aller Lebewesen entstanden sind. Ebenso kennt der Buddha all jene Geistesfaktoren jedes einzelnen Lebewesens, die zur Verwirklichung ihres vollständigen Potenzials führen werden. Auf diese Weise kann ein Buddha das Verhalten aller Lebewesen korrigieren, wenn sie von ihrem Weg abgewichen sind, und er kann ihre Stärken herausstreichen.
5) Die Kraft, der höheren und geringeren Kräfte aller Lebewesen allwissend gewahr (tib. dbang-po) zu sein. Mittels dieser Kraft kann der Buddha andere Lebewesen stets in Übereinstimmung mit deren Intelligenz und deren Fähigkeiten lehren, so dass sie nie entmutigt werden.
Diese Kräfte beziehen sich darauf, dass der Buddha die verschiedenen Ebenen der zweiundzwanzig Kräfte begrenzter Wesen kennt, die in sechs Kategorien eingeteilt werden:
- Die sechs kognitiven Kräfte der Seh-, Hör-, Riech-, Geschmack- und Tastsinne der Lebewesen und die Kraft des geistigen Sinnes der Intelligenz,
- Die zwei regenerativen Kräfte ihrer männlichen oder weiblichen Fortpflanzungsorgane,
- Die unterstützende Energie ihrer Lebenskraft,
- Die fünf Kräfte, mit denen die Lebewesen die Auswirkungen ihrer konstruktiven oder destruktiven Taten erfahren oder empfinden können, d. h. die Fähigkeit, mit der die Lebewesen ihr körperliches oder geistiges Glücklichsein oder Unglücklichsein bzw. eine neutrale Empfindung spüren können,
- Die fünf Kräfte, sich von Anhaftungen an vergängliche Erscheinungen (weltlichen Phänomenen) zu lösen. Die Lebewesen vermindern ihre Anhaftung an vergängliche Erscheinungen durch die Kräfte des respektvollen Glaubens, der freudigen Ausdauer, der Vergegenwärtigung, der Konzentration und durch die Kraft des unterscheidenden Gewahrseins.
- Die drei Kräfte, sich von Anhaftung an nicht-vergängliche Erscheinungen (überweltliche Phänomene) zu lösen. Das bezieht sich auf die drei unbefleckten Kräfte, die ein Buddha entwickelt: Die Kraft des sehenden Pfadgeistes (Pfad des Sehens), die Kraft des sich gewöhnenden Pfadgeistes (Pfad der Meditation) und die Kraft, die sie durch das Bewusstsein als befreites Wesen (Skt. arhat) erlangt haben.
6) Die Kraft, in Bezug auf die verschiedenen Arten von Pfadgeist (Pfade) allwissend gewahr zu sein, die zu jedem der drei Ziele führen – d. h. die zu den drei gereinigten Zuständen (tib. byang-chub, Skt. bodhi, Erleuchtung) eines Shravaka-Arhats, eines Pratyekabuddha-Arhats und eines Bodhisattva-Arhats (Buddhas) führen, sowie zur Wiedergeburt in einem der sechs samsarischen Daseinsbereiche.
7) Die Kraft, in Bezug auf die folgenden Zustände allwissend gewahr zu sein: alle Zustände von geistiger Stabilität (tib. bsam-gtan, Skt. dhyana), das meditative Erlangen vertiefter Konzentration, mithilfe derer wir die Befreiung erlangen können (tib. rnam-par thar-pa ting-nge-‘dzin snyoms-‘jug, Skt. vimoksha-samadhi-samapatti) und die meditativen Zustände durch die wir uns von geistigen Verunreinigungen säubern (tib. kun-nas nyon-mongs-pa rnam-par byang-ba, Skt. samklesha-vyavadana), um so begrenzte Wesen in diese meditativen Geisteszuständen einführen zu können.
Es gibt vier Zustände geistiger Stabilität: Vom ersten Zustand geistiger Stabilität bis durchgehend zum vierten Zustand der geistiger Stabilität werden sie mit der Ebene der ätherischen Formen (Bereich der Form) verbunden.
Es gibt neun meditative Erlangungen vertiefter Konzentration, mit deren Hilfe wir Befreiung erlangen können: Die meditative Errungenschaft (tib. snyoms-‘jug, Skt. samapatti) vertiefter Konzentration (tib. ting-nge-‘dzin, Skt. samadhi) der (i-iv) vier Zustände meditativer Stabilität, die mit der Ebene der ätherischen Formen verbunden sind und der (v-viii) vier meditativen Zustände, die mit der Ebene der formlosen Wesen (formloser Bereich) assoziiert sind. Das sind dann die acht Vertiefungen, die in die Natur von Arten von Pfadgeist umgewandelt werden, die schließlich zur Befreiung oder Erleuchtung führen. Ferner gibt es (ix) die meditative Erlangung der Beendigung (tib. `gog-pa‘i snyoms-‘jug, Skt. nirodha-samapatti) , die dann erreicht wird, wenn eine Arya völlig in Leerheit (Leere) vertieft ist (tib. mnyam-bzhag, Skt. samahita).
Es gibt acht meditative Zustände, mit deren Hilfe wir geistige Verunreinigungen beseitigen können: Die vertiefte Konzentration bei der wir (i) Formen materieller Phänomene auf der Grundlage unseres eigenen physischen Körpers betrachten, (ii) diese Formen nicht auf dieser Grundlage betrachten, (iii) Harmonie schaffende vertiefte Konzentration, bei der wir Hindernisse beseitigen wie beispielsweise Gefühle von Ekel und Widerwillen gegenüber hässlichen Objekten oder Anziehung und Anhaftung an schöne Objekte. Ferner gibt es (iv-vii) die meditativen Zustände, die mit der Ebene der formlosen Wesen verknüpft sind, sofern diese Vertiefungen die Eigenschaft haben zu Arten von Pfad-Bewusstsein zu werden, welche zur Befreiung oder Erleuchtung führen. Schließlich gibt es (viii.) die meditative Erlangung einer Beendigung.
8) Die Kraft, mit steter Vergegenwärtigung allwissend gewahr in Bezug auf alle eigenen vorangegangenen Wiedergeburtszustände und in Bezug auf die Wiedergeburtszustände aller anderen Lebewesen, und zwar in der jeweils richtigen Abfolge. Aus diesem Grund kennt ein Buddha die karmischen Verbindungen, die er mit jedem Lebewesen hat.
9) Die Kraft, allwissend gewahr zu sein in Bezug auf den Tod und die Übertragung (des Bewusstseins im Sterben) (tib. `pho-ba), wie auch in Bezug auf die zukünftige Wiedergeburt eines jeden Lebewesens bis hin zu ihrer jeweiligen Erleuchtung. Auch ist sich der Buddha bewusst, wo jedes einzelne Lebewesen nach seinem Tod wieder Gestalt annehmen wird. Daher weiß der Buddha ganz genau, was er tut, wenn er jemanden unterrichtet und welche Auswirkungen seine Handlungen in allen zukünftigen Leben haben werden.
10) Die Kraft, allwissend gewahr zu sein in Bezug darauf, in welchem Umfang sich die verschiedenen befleckten Faktoren (tib. zag-pa zag-pa) im Geisteskontinuum eines jeden begrenzten Wesens allmählich verringern. Der Buddha kann von niemandem hinters Licht geführt werden. Er erkennt ganz genau, wie viel zusätzliche Arbeit notwenig ist, um ein bestimmtes Individuum an sein spirituelles Ziel zu führen.