Was sind Dharma-Schutzherren?

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Viele Dharma-Praktizierende verlassen sich auf Dharma-Schutzherren, wenn sie Schutz vor Befürchtungen suchen. Dharma-Schutzherren spielen in verschiedenen Aspekten des Buddhismus eine unterschiedliche Rolle. Um diese zu verstehen, müssen wir den Nutzen untersuchen, den Schutzherren-Praktiken in unserem Alltagsleben bieten können. Betrachten wir einmal, was es denn eigentlich bedeutet, sich beschützt und sicher zu fühlen. Dann können wir uns einige der Methoden anschauen, welche die verschiedenen Schutzherren-Praktiken im Buddhismus aufweisen. Hauptsächlich müssen wir den wesentlichen Inhalt der Praktiken selbst untersuchen, um zu erkennen, was es uns bringt, wenn wir sie in einer eher formalen Weise praktizieren.

Um diese Schutzherren hat es im tibetischen Buddhismus eine Menge Auseinandersetzungen gegeben, in denen alle möglichen Argumente angeführt werden, ob bestimmte Schutzherren erleuchtete Wesen sind oder nicht und ob einige davon Geister oder andere Arten von Wesen sind. Dies hat viel Verwirrung gestiftet. Manche Menschen fragen sich, ob solche Schutzherren lediglich ein kulturelles Phänomen Tibets sind, und einige fragen sich vielleicht, ob sie überhaupt eine Rolle für uns spielen, wenn wir selbst Buddhisten werden. Deshalb kann es durchaus nützlich sein, einen Blick auf die Geschichte der Dharma-Schutzherren im Buddhismus zu werfen, um besser zu verstehen, welche Rolle ihnen auf dem Pfad zur Erleuchtung zukommt.

Die drei Juwelen als wichtigste Quelle von Schutz

Die wichtigste Grundlage für Schutz sind im Buddhismus die drei Juwelen, nämlich:

  • der Dharma – die wahren Beendigungen aller Quellen von Leiden sowie die Geisteszustände, die wahre Pfade sind, welche zu diesen Beendigungen führen und welche daraus hervorgehen.
  • die Buddhas – diejenigen, die diese wahren Beendigungen und die Geisteszustände, die wahre Pfade sind, in ihrem geistigen Kontinuum vollständig erreicht haben
  • der Sangha – diejenigen, die sie teilweise erreicht haben.

Auf der volkstümlichen Ebene mag es sein, dass manche Buddhisten den Buddha oder die verschiedenen Buddha-Gestalten (Yidams) als so etwas Ähnliches wie Götter betrachten, die sie beschützen und vor Leid behüten können, etwa so wie Gott oder Jesus in westlichen Ländern. Das ist kein sehr differenziertes Verständnis, und es ist nicht das, was gebildete buddhistische Meister lehren. Die drei Juwelen sind keine allmächtigen Gestalten, die uns vor Gefahren retten können. Sie zeigen vielmehr eine sichere Richtung auf, die man im Leben einschlagen kann. Wenn man dieser folgt, kann das dazu führen, dass wir genau das erreichen, was Buddha erreichte, und auf diese Weise beschützen die Buddha-Gestalten uns vor Leiden und Problemen. Das Wort „Dharma“ bedeutet: Maßnahmen, die wir ergreifen können, um uns selbst vor Leiden zu schützen, mit anderen Worten, vorbeugende Maßnahmen.

Buddha wies darauf hin, dass es nicht möglich ist, das Leiden und die Probleme anderer Menschen etwa so zu beseitigen, als würde man ihnen einen Dorn aus der Fußsohle ziehen. Das einzige, was man tun kann, ist, den Menschen einen Weg zu zeigen, wie sie ihr Leiden selbst überwinden können. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, wenn wir uns mit dem Thema Angst und Schutz befassen. Im Grunde kann es uns niemand abnehmen, unsere Angst zu beseitigen. Andere können vielleicht eine beruhigende Atmosphäre schaffen, aber es ist wirklich an uns, unsere eigenen Ängste zu bewältigen. Das ist der grundlegende Ansatz im Buddhismus. Im Buddhismus wird keine allmächtige Kraft in einem Buddha, einem Dharma-Schutzherren oder sonst irgendjemandem zur Geltung gebracht, die uns quasi mit einem Fingerschnipsen vor den Gefahren retten kann, denen wir gegenüberstehen.

Nun erhebt sich die Frage, warum wir dann noch irgendwelche anderen Schutzherren brauchen, wenn wir doch die Richtung der drei Juwelen einschlagen, um uns vor Leiden zu schützen? Buddha betonte ja: Um die sichere Richtung der drei Juwelen einzuschlagen, müssen wir destruktives Verhalten vermeiden und stattdessen versuchen, uns auf positive, konstruktive Weise zu verhalten. Das bedeutet, auf Karma und die Ursachen und Wirkungen von Verhalten zu achten. Warum sollten wir noch irgendetwas anderes brauchen als Zuflucht zu den drei Juwelen zu nehmen und auch Karma achtzugeben? Um das zu begreifen, müssen wir einen Blick auf die Entwicklung der indischen Tradition werfen und verstehen, wie äußere Schutzherren in den Buddhismus Eingang fanden.

Im Allgemeinen ist es nicht einfach oder naturgegeben für die Menschen, innere Praktiken durchzuführen, um ihre Ängste selbst zu bewältigen. Die meisten ziehen es vor, zumindest vorläufig, einen gewissen äußeren Schutz zu haben, um eine Situation herbeizuführen, in der sie sich etwas sicherer fühlen. Wenn wir uns sicherer fühlen, dann wird es tatsächlich einfacher, Zugang zu unserer eigenen inneren Fähigkeit zu finden, Ängste zu bewältigen. Es ist also wichtig zu verstehen, dass Schutzherren-Praktiken nicht in den Buddhismus eingebracht wurden, um die Probleme zu lösen, sondern um uns Bedingungen zu ermöglichen, die förderlich dafür sind, dass wir unsere Probleme selbst lösen können.

Frühe Schutzherren im Buddhismus

Die frühesten Schutzherren, die im Buddhismus auftauchen, sind sowohl in der Theravada- als auch der Mahayana-Tradition weithin zu finden, und sie sind im Grunde den nicht-buddhistischen indischen Traditionen entlehnt. Der Einfachheit halber nenne ich hier in unserem Zusammenhang diese Traditionen „Hinduismus“. Jene Schutzherren sind die königlichen Wächter der vier Richtungen, die sich an den vier Seiten des Berges Meru befinden. Deswegen finden wir in Tibet, Thailand und China am Eingang jedes buddhistischen Tempels große Statuen oder Gemälde dieser Wächter-Könige. An diesem Beispiel können wir erkennen, dass Dharma-Schutzherren nicht ausschließlich eine Erfindung der Tibeter sind, sondern etwas, das man überall im buddhistischen Bereich findet. Die Aufgabe dieser Wächter ist nicht nur, die Tempel zu beschützen, sondern das ganze Land vor Angriffen zu bewahren, und sie spielen sowohl in politischer als auch in religiöser Hinsicht eine Rolle.

Interessanterweise lautete der Name der nordindischen Dynastie zu der Zeit, als der Buddhismus nach Tibet gelangte, „Pala“, das heißt „Schutz“. Es ist dasselbe Wort, das im Sanskrit für Dharma-Schutzherren verwendet wird: „Dharmapala“. Diese Schützer dienten in gewisser Weise dazu, den Staat zu schützen, und der Staat schützte seine Bewohner. Sie haben also einen Beiklang von militärischer Verteidigung. In der Hauptstadt eines Landes residierte das Staatsoberhaupt, und Generäle patrouillierten und schützten die Randgebiete. Als in Verbindung mit Tantra die Praxis der Dharma-Schutzherren aufkam, stellte man sich entsprechend vor, man selbst sei eine herrschende Buddha-Gestalt, wie zum Beispiel Yamantaka, im Zentrum des Mandalas und verfüge über Schutzherren, die sich in den Randbereichen des Mandalas befinden. Die Dharma-Schutzherren nehmen nie die Hauptposition im Zentrum ein, sie unterstehen immer einem Herrscher, und dieser Herrscher sind wir selbst.

Aus den Wächtern der vier Himmelsrichtungen gingen die Wächter der zehn Richtungen hervor. Zu den zehn Richtungen gehören die vier Himmelsrichtungen, die Richtungen jeweils in der Mitte dazwischen sowie oben und unten. Gemäß einer unsymmetrischen buddhistischen Art der Aufteilung gibt es 15 Schutzherren für die zehn Richtungen. Eine meiner Lieblings-Redensarten, die ich von meinen Englisch sprechenden tibetischen Lehrern übernommen habe, lautet „Symmetrie ist einfältig“. Wir wollen immer, dass alles symmetrisch ist; das ist ein Erbe der klassischen Kultur Griechenlands. Aber es besteht eigentlich keinen Grund, warum es für die zehn Richtungen nur zehn Schutzherren geben sollte; es können durchaus auch 15 sein.

Als solche Schutzherren übernahm der Buddhismus verschiedene Hindu-Gottheiten wie zum Beispiel Brahma, Indra, Vishnu, Shiva, Ganesh usw. In der Anfangsphase dieser Entwicklung wurden diese Hindu-Gottheiten nicht zum Buddhismus bekehrt, doch in späteren Praktiken wird Ihnen eine Initiation erteilt, so als wäre ihre Kaste als Schutzherr in den Buddhismus eingegliedert worden. Interessant ist, dass man immer denkt, es sei eine unterscheidende Besonderheit des Buddhismus, dass Buddha das Kastensystem aufhob. Das stimmt zwar, aber er tat es nur für die Mönche und Nonnen in den Klöstern. Auf die Laien-Anhänger des Buddhismus bezog man sich weiterhin im Rahmen ihrer Kaste. In den Texten lesen wir, dass Buddha diesen oder jenen Brahmanen erwähnt, welcher der klösterlichen Gemeinschaft Spenden zukommen lässt. Die Kastenbezeichnungen gab es also weiterhin.

Indien im Altertum und hinduistische Einflüsse

Die Menschen, die in Indien lebten und an die Hindu-Gottheiten glaubten, aber auch den Buddhismus beherzigten, fühlten sich sicherer in dem Wissen, dass die Gottheiten auf ihrer Seite standen. Inder neigen nicht zu einer ausschließenden Mentalität. Die meisten Inder feiern sämtliche Festtage aller indischen Religionen, egal welcher Religion sie selbst angehören. In der Mentalität buddhistischer Inder ist also auch Platz für die Hindu-Gottheiten. Das ist so ähnlich zu verstehen, wie wenn Menschen mit christlichem Hintergrund an allerlei Heiliger glauben und sich sicherer fühlen, wenn sie wissen, dass zum Beispiel auch der heilige Christophorus sie beschützt. So scheint auch die Mentalität gewesen zu sein, die hinter der Integration der Hindu-Gottheiten in den buddhistischen Rahmen stand.

In der Geschichte des indischen Buddhismus herrschte in der allgemeinen Bevölkerung nie eine klare Unterscheidung zwischen Buddhismus und Hinduismus. Die Laien-Anhänger des Buddhismus folgten bei einer Hochzeit sowie bei Verbrennungsritualen und bei Zeremonien zur Geburt eines Kindes hinduistischen Bräuchen. In der indischen Gesellschaft hatte jeder seinen Guru, aber man folgte auch allgemein in Indien üblichen Bräuchen. Die Buddhisten hatten ihre buddhistischen Gurus, blieben aber durchaus Teil der allgemeinen indischen Gesellschaft, mit der sie die meisten sozialen Bräuche gemeinsam hatten. Das ist vielleicht einer der Gründe dafür, warum es bei den Indern in Indien heute nicht so viel Interesse am tibetischen Buddhismus gibt. Es kommt möglicherweise daher, dass sie ihn schlicht und einfach als eine Art regionale Form des Hinduismus ansehen. In ihrer Sichtweise fällt der tibetische Buddhismus in dieselbe Kategorie wie der südindische Hinduismus, der bengalische Hinduismus usw. Er beinhaltet lediglich eine weitere Gruppe von Gurus aus einem anderen kulturellen Gebiet, und deswegen besteht kein Grund, sich jenen Gurus eines anderen regionalen Teils ihrer eigenen Kultur zuzuwenden.

Angesichts dieser Eigenschaft einer gemeinsamen pan-indischen Kultur können wir die Einführung von Schutzherren in den indischen Buddhismus verstehen, welche einfach buddhistische Versionen von Gestalten sind, die man im Hinduismus findet. Ganesh zum Beispiel, die hinduistische Gottheit mit dem Elefantenkopf, wird neben Avalokiteshvara und Manjushri nicht nur als einer der 15 Schutzherren der Richtungen aufgeführt, sondern auch als einer Buddha-Gestalt (Yidam). Unter soziologischen Gesichtspunkten ist es interessant, dass unter den buddhistischen Schutzherren plötzlich gar nicht auftaucht, eine Hindu-Gottheit des Reichtums, der vor allem die Händler für geschäftlichen Erfolg huldigen.

Betrachten wir die Schutzherren, denen im Tengyur, der Sammlung der übersetzten Werke indischer buddhistischer Meister, besondere Texte gewidmet sind, so finden wir allerdings nur Rituale in Hinblick auf drei derartige Gestalten. Zwei davon sind extrem kraftvolle Gestalten, nämlich Shrimati Devi („die glorreiche Göttin“) und Mahakala („der große Schwarze“). Beide findet man auch im Hinduismus.

Shrimati Devi ist in Indien unter vielen Namen bekannt, zum Beispiel als Kali, Durga oder auch einfach als Devi. Die Tibeter nennen sie Palden Lhamo, das ist die genaue Übersetzung des Sanskrit-Namens Shrimati Devi. Mahakala, der „große Schwarze“, ist ein anderer Name für die Hindu-Gottheit Shiva, aber auch der Name eines von Shivas wichtigsten Helfern. Als solcher ist er manchmal außerhalb der Tore von Hindu-Tempeln in Form eines extrem kraftvollen Schutzherrn abgebildet. Ob nun Teil der indischen Tradition oder nicht, jedenfalls tauchten Beschreibungen der Lebensgeschichte von Palden Lhamo und Mahakala in Tibet auf, in denen die furchterregenden Taten geschildert waren, die diese Gestalten begingen, bevor sie dem Buddhismus eingegliedert wurden. Der dritte Schutzherr, von dem ein eigener Text im Tengyur handelt, ist allerdings kein extrem kraftvoller, sondern es handelt sich um Vaishravana, eine Hindu-Gottheit des Reichtums. In den hinduistischen Traditionen ist Vaishravana unter dem Namen „Kubera“ bekannt und einige ikonografischen Darstellungen in Tibet zeigen ihn mit dem gleichen hervortretenden, nackten Bauch wie hinduistische Darstellungen. Vaishravana war auch der Schutzherr des Staates Khotan, mit dem Tibet im 9. und 10. Jahrhundert beträchtlichen Kontakt hatte. Daher ist Vaishravana auf vielen tibetischen Bildern in einer Rüstung iranischen Stils abgebildet, wie man sie in Khotan trug.

Im Verlauf der Entwicklung von Schutzherren-Praktiken in Tibet wurden noch einige weitere furchterregende schädliche Geister in den Rang von Dharma-Schutzherren erhoben. Extrem kraftvolle Persönlichkeiten wie zum Beispiel Padmasambhava – Guru Rinpoche – bändigten solche Geister und ließen sie einen Eid schwören, der sie verpflichtete, dem Buddhismus zu dienen. Das kann insofern mit einem wichtigen psychologischen Punkt in Verbindung gebracht werden, als diese schädlichen Geister unsere Ängste repräsentieren. Wenn wir genügend geistige Kraft haben, können wir diese Ängste bändigen und sie in schützende Faktoren für uns transformieren. Das ist von Bedeutung, da es im Buddhismus heißt, dass Schutz letztendlich aus unserem Innern kommt. In gewisser Hinsicht sind es unserer eigenen Ängste, die wir zähmen müssen, um uns sicher und beschützt zu fühlen.

Tibet und die Mongolei

In Tibet und später in der Mongolei wurden alle möglichen lokalen Geister zu Schutzherren: Berggeister, Geister von Seen usw. Das scheint Parallelen zu enthalten zu der Art und Weise, wie in Indien bestimmte Hindu-Gottheiten als Schutzherren mit eingebracht wurden, damit sich die Leute sicher fühlten. Ähnlich wurden auch die lokalen Kräfte, die in Tibet, der Mongolei und Zentralasien seit alters her respektiert worden waren, mit einbezogen.

Ein interessantes Phänomen war die allmähliche Einbeziehung auch der Schutzherren von Feinden. Viele zentralasiatische Völker, darunter auch Tibet, bekämpften sich fortwährend gegenseitig. Wenn ein Feind besonders stark war, war man bestrebt, ihm den Schutzherren zu nehmen und diesen dazu zu bringen, stattdessen der eigenen Seite beizustehen. Gemäß der Tradition stammte die Gestalt, die später in Tibet „Nechung“ genannt wurde, aus einer Gruppe von Schutzherren des Volkes der Bhata Hor am Baikalsee. Die Bezeichnung „Bhata Hor“ bezieht sich höchstwahrscheinlich auf das Turkvolk der Orkhon-Uiguren, deren ursprüngliche Heimat das Gebiet am Baikalsee mit einschloss. Ein Beweis für diese Theorie ist, dass der heilige Berg von Nechung in der Mongolei Otgontenger genannt wurde, was wahrscheinlich die mongolische Variante von Ötüken Tengri ist und soviel bedeutet, wie „die Hauptgottheit Ötüken“. Ötüken war der Name der Hauptgottheit der Orghon-Uiguren und auch der Name des heiligen Berges, der mit dieser Gottheit verbunden war. Nach dem Glauben der alten Turkvölker und der Orkhon-Uighuren besaß jener die göttliche Autorität alle Turkstämme zu beherrschen und den Titel „Qaghan“ anzunehmen, der die „Qut“, die spirituelle Kraft, kontrollieren konnte, die von diesem Berg ausging.

Gegen Ende des 8. Jahrhunderts, als Guru Rinpoche nach Tibet eingeladen wurde und die Orkhon-Uiguren ein riesiges Reich beherrschten, das die Mongolei und Teile von Zentralasien umfasste, war der tibetische Herrscher Tri Song-detsen in einen dreiseitigen Krieg gegen die Orkhon-Uiguren und China verwickelt. Einige Jahrzehnte zuvor hatte Bogu Qaghan, der Herrscher der Uiguren, den Manichäismus zur Staatsreligion erklärt und dem früheren buddhistischen Glauben der Uiguren abgeschworen. Guru Rinpoche berief im Dienste des tibetischen Herrschers eine Gruppe von Schutzherren-Gestalten eines uigurischen buddhistischen Klosters ein, die dort verlassen und vernachlässigt worden waren. Da sie nun den Uiguren feindlich gesonnen waren, ließ er sie einen Eid schwören, stattdessen im Kloster Samye den Buddhismus zu schützen.

Eine weitere Gestalt, Chamsing, auch als Beg-tse (türkisch: bekçi, Schützer) bekannt, wurde auf ähnliche Weise aus Zentralasien in den tibetisch-buddhistischen Bereich übernommen. Laut traditionellen Schilderungen wurde Chamsing, höchstwahrscheinlich im 11. Jahrhundert, aus Khotan, einem Stadtstaat in einer Oase Ost-Turkestans,  herbeigebracht und gebändigt. Er wurde mit einer Rüstung dargestellt, wie man sie in Zentralasien trug. Eine Hypothese für die Verbindung zwischen Khotan, dem türkischen Namen „Beg-tse“, der militärischen Rüstung und den Tibetern lautet folgendermaßen: In der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts traten die Karachaniden, ein Turkvolk, das früher als „Karluken“ bekannt war, von ihrer früheren Mischung aus Buddhismus und Inhalten des einheimische Tengri-Glaubens zum Islam über. Zu Beginn des 11. Jahrhunderts dehnten die Karachaniden ihr Herrschaftsgebiet aus, indem sie das buddhistische Khotan eroberten und die Einwohner zum Islam bekehrten. Die Tibeter kamen den Khotanesen zu Hilfe, jedoch ohne Erfolg. Ob Beg-tse ein Schutzgeist war, der von den Karachaniden vernachlässigt worden war, als sie dem Buddhismus anhingen, lässt sich schwer mit Sicherheit feststellen. Aber es wäre eine mögliche Erklärung dafür, dass zu jener Zeit die ersten tibetischen Besänftigungsrituale für Chamsing auftauchten, mitsamt der seltsamen Beimischung khotanesischer und türkischer Elemente.

Ein etwas anderes Beispiel lässt sich hinsichtlich der Mongolen und Mahakala anführen. Die Mongolen übernahmen den Buddhismus im 14. Jahrhundert, zur Zeit Kublai Khans, dem Enkel von Dschingis Khan. Sie übernahmen vor allem die Sakya-Tradition und ernannten die Sakyas zu den weltlichen Herrschern Tibets. Etliche gelehrte Theorien befassen sich mit dem Grund dafür. Eine Erklärung lautet: Die Tanguten, die damals ein Königreich im Gebiet zwischen dem heutigen Amdo und der Inneren Mongolei beherrschten, hatten den tibetischen Buddhismus übernommen und waren eifrige Anhänger von Mahakala. Dschingis Khan, der einen Großteil der damals bekannten Welt erobert hatte, fiel in der Schlacht gegen die Tanguten. Das schockierte die Mongolen. Sie vermuteten, dass die vermeintlich schwächeren Tanguten den großen Dschingis Khan nur mithilfe ihres Schutzherren Mahakala hatten besiegen können. Mahakala-Praktiken wurden auch von den Karma-Kagyüs und den Sakyas in starkem Maße ausgeübt. Infolgedessen luden die Mongolen die Oberhäupter der Karma-Kagyü- und der Sakya-Tradition ein, und Karma Pakshi, der zweite Karmapa, folgte der Einladung.

Zu jener Zeit bestanden allerlei Rivalitäten zwischen den verschiedenen mongolischen Khans. Karma Pakshi schlug Kublai Khans Einladung aus und begab sich stattdessen zum Hof von Mongke Khan. Doch Kublai Khan gewann schließlich den Machtkampf um die Vereinigung der Mongolen und damit die Herrschaft über alle Mongolen. Verärgert über Karma Pakshis Missachtung seiner Einladung und dessen Verbindung mit seinem früheren Rivalen, wandte Kublai Khan sich den Sakyas als bevorzugten Überlieferern der Praktiken und Rituale von Mahakala zu. Dabei nahm er zweifellos an, dass er die Kraft des Schutzherren gewinnen würde, der seinen Großvater, Dschingis Khan, umgebracht hatte. Andere Theorien besagen, dass die Mongolen sich zu der „scharfsinnigen Philosophie“ hingezogen fühlten, die die Sakya boten, aber das ergibt wenig Sinn, wenn wir uns anschauen, was für ein Menschenschlag die Mongolenherrscher waren. In erster Linie waren sie machthungrig, und das zog sie zweifellos zu Mahakala hin.

Wozu brauchen wir Schutzherren?

Mein wichtigster Lehrer, Serkong Rinpoche, der einer der Lehrer Seiner Heiligkeit des Dalai Lama war, erklärte, diese Art von Schutz zu haben sei so ähnlich, als habe man einen kräftigen unscharfen Wachhund. Wenn man selber kräftig ist, kann man natürlich auch nachts immer selbst am Grundstücks-Tor Wache halten, um sich vor Einbrüchen zu sichern, aber normalerweise tut das keiner. Es ist nicht so, dass wir es nicht selbst tun könnten, sondern es stellt sich eher die Frage: Warum sollten wir? Man kann das ja auch jemand anderem überlassen.

In Tibet gibt es sehr große und gefährliche Hunde, und man muss sehr stark sein, um mit ihnen fertigzuwerden, aber man muss sie auch freundlich behandeln. Wenn sie nicht jeden Tag gefüttert werden und man nicht nett zu ihnen ist oder wenn man eine schwache Persönlichkeit ist, kann es vorkommen, dass solch ein Hund einen anspringt und verletzt. Mit den Dharma-Schützern verhält es sich insofern ähnlich, als man sie ernst nehmen muss, wenn man mit ihnen praktiziert. Man hat ein „Damtsig“, eine enge Bindung, mit solchen Schützern, die beinhaltet, dass man sie „füttert“ und sie einen „beschützen“. Es handelt sich um eine Beziehung, in der sie quasi für uns arbeiten und wir das große Sagen haben. Serkong Rinpoche betonte immer, wie wichtig es ist, dass wir die Gebieter über sie sind, denn wir dürfen keine Angst vor ihnen haben. Aber wir müssen ihnen jeden Tag etwas anbieten, und dafür gibt es die Schutzherren-Zeremonien.

Diese Rituale, die in den tibetischen Buddhismus einbezogen worden sind, stammen aus vorbuddhistischer Zeit, in der Gaben und Opfer an eine Vielfalt von Geistern dargebracht wurden: Berggeister, Geister des Ortes usw. In den alten Ritualen wurden Tiere geopfert, es gab Blutopfer usw. Dementsprechend werden in den Schutzherren-Pujas elf Schafe und elf Pferde (für die vier Himmelsrichtungen, die vier Richtungen dazwischen sowie für oben, unten und die Mitte) dargebracht sowie bestimmte tierähnliche Opfer und Gefäße mit Blut, aber dies wird nicht tatsächlich ausgeübt, sondern lediglich visualisiert. All das geht auf vorbuddhistische tibetische Bräuche zurück.

Sind Schutzherren-Rituale für Westler geeignet?

Die Praxis der Dharma-Schutzherren hat sich also während eines langen geschichtlichen Verlaufs in Indien und Tibet entwickelt und im Verlauf dieser Geschichte sind viele weitere Aspekte aus der indischen und tibetischen Kultur hinzugefügt worden. Der Grund dafür ist, dass Menschen mit indischem oder tibetischen Hintergrund sich sicherer fühlen, wenn sie diese Praktiken durchführen, weil sie dabei Aspekte mit einbeziehen, die ihnen vertraut sind. Einige Westler fühlen sich vielleicht wohl mit diesem kulturellen Hintergrund Indiens und Tibets; anderen mag das eher fremdartig und seltsam vorkommen und keinerlei Gefühl von Sicherheit vermitteln. Für manche kann es von Bedeutung und stärkend sein, Hindu-Gottheiten zum Schutz mit einzubeziehen oder Blutopfer zu visualisieren, aber für die meisten Westler bewirkt es keinen emotionalen Unterschied oder wirkt möglicherweise sogar eher abstoßend.

Die Tradition dieser Praktiken aufrechtzuerhalten, hat sicher eine gewisse Berechtigung. Aber wenn es uns darum geht, was uns in emotionaler und spiritueller Hinsicht nützt, müssen wir den Blick auf das Wesentliche der Praxis richten und uns nicht verzetteln oder von kulturellen Aspekten ablenken lassen, die wir entweder sehr absonderlich oder aber verlockend finden.

Arten von Schutzherren-Praktiken

Es gibt zwei grundlegende Arten von Schutz-Praktiken. Die eine ist der sogenannte „Schutzkreis“ oder das „Schutzrad“, die andere besteht aus den Praktiken der Gestalten der eigentlichen Dharma-Schutzherren wie zum Beispiel Mahakala usw. Beide sind Teil tantrischer Praktiken, genauer gesagt des Anuttarayoga-Tantras. Im Tantra arbeiten wir an der Selbsttransformation, wobei es uns um die Ursachen dafür geht, gleichzeitig den Körper und Geist eines Buddhas zu erreichen, und wir versuchen, Ursachen dafür zu schaffen.

Diese Selbsttransformation geschieht auf der Basis dessen, was Tsongkhapa „die drei Haptaspekte des Pfades“ nannte. Das bezieht sich auf Entsagung, Bodhichitta und Verständnis der Leerheit. Um uns selbst umzuwandeln, müssen wir bereit sein, unsere alten neurotischen Muster aufzugeben bzw. ihnen zu entsagen, und dazu gehört auch unser negatives Selbstbild und andere selbstzerstörerische Geisteszustände und Verhaltensweisen. Diese aufzugeben kann tatsächlich Angst hervorrufen und deshalb braucht man ein Gefühl von Schutz. Bodhichitta ist der Geisteszustand, in dem man sich wünscht, erleuchtet zu sein, um anderen nutzen zu können; das heißt, wir haben nicht nur unsere eigennützigen Ziele im Sinn, sondern übernehmen es auch, an den Problemen aller anderen Wesen zu arbeiten. Auch das kann eine ziemlich beängstigende Vorstellung sein. Und mit dem Verständnis der Leerheit geben wir unsere gewöhnlichen verwirrten Vorstellungen von der Welt auf, mit denen wir glauben, dass all die Projektionen, die uns umgeben, real sind. Diese Vorstellungen aufzugeben und mit der Wirklichkeit umzugehen kann ebenfalls ein furchterregender Prozess sein, mit dem wir vielleicht besser zurechtkommen, wenn wir das Gefühl haben können, dass wir sicher und beschützt sind.

Im Anuttarayoga-Tantra machen wir diese Selbsttransformation auf der tiefsten Ebene durch, denn wir praktizieren auf der Ebene des Geisteszustands klaren Lichts, der subtilsten Ebene von Geist und Energie. Mit dieser subtilsten Ebene umzugehen kann auch erschreckend sein und mag so ähnlich erscheinen, als würde man sich einer Gehirnoperation unterziehen. Wenn man sich mit den innersten Schichten des eigenen Selbst beschäftigt, weiß man nicht, was einen erwartet, ähnlich wie man auch nicht weiß, was einen nach einer Gehirnoperation erwartet. Man braucht dafür besonderen Schutz; und auf dieser Ebene der Praxis, im Anuttarayoga-Tantra, finden wir die am weitesten entwickelten und vollständigsten Formen von Schutzherren-Praktiken.

Schutzrad-Praktiken

Es gibt allgemeine und spezielle Praktiken des Schutzrades, innerhalb dessen wir in Form einer Buddha-Gestalt bzw. eines Yidams erscheinen. Die allgemeinen Praktiken sind in allen vier Tantra-Klassen zu finden. Sie bestehen darin, dass wir rund um uns selbst als Buddha-Gestalt oder um unser Mandala einen geschützten Raum schaffen. Ein Mandala besteht aus dem Gebäude und die Umgebung, innerhalb deren wir als Buddha-Gestalt erscheinen. Der geschützte Raum wird aus bestimmten Repräsentation der Elemente Erde, Wasser, Feuer, Wind und Raum gebildet. Diese können die Form von Kreisen aus farbigem Licht annehmen, die uns umgeben, wie zum Beispiel in der Kryatantra-Praxis der Weißen Tara, oder von Flächen unterhalb unseres Mandalas, zum Beispiel in Anuttarayoga-Tantra-Praktiken wie Guhyasamaja, Vajrabhairava und Chakrasamvara. Manchmal befindet sich dabei auch der Berg Meru unter unserem Mandala. In diesen Anuttarayoga-Praktiken stellen wir uns außerdem rund um unser Mandala und die flächenartigen Ebenen der Elemente auch noch fünffarbige Flammen tiefen Gewahrseins vor und eine Art Zelt aus Vajras, rituellen Gegenständen mit vielschichtiger symbolischer Bedeutung. All dies bildet eigentlich eher einen geläufigen Schutzkreis, einen geschützten Raum, als ein „Rad“.

Im Anuttarayoga-Tantra fügen wir noch ein außergewöhnliches Schutzrad hinzu, welches in den anderen Tantra-Klassen nicht üblich ist und das auf verschiedene Arten hervorgebracht werden kann. Eine der häufigsten Arten besteht darin, verschiedene extrem kraftvolle Gestalten zu visualisieren, die uns auf einer Fläche umgeben, welche etwa wie ein sternförmiges Wurfrad geformt ist. Die Gruppierung von Schutzherren in allen Richtungen um uns herum erinnert an die früheste Form der Schutzherren im Buddhismus, etwa die königlichen Wächter der vier Richtungen, die rund um buddhistische Tempel platziert sind, um sie vor Schaden zu schützen. Man findet diese sowohl im Mahayana- als auch im Theravada-Buddhismus.

Die Funktion der allgemeinen und speziellen Schutzrad-Praktiken ist, Bedingungen herzustellen, die ein Gefühl von Sicherheit bieten; wir befinden uns dadurch in einer sicheren Umgebung, in der wir an einer zutiefst inneren Schicht von Selbsttransformation arbeiten können. Warum brauchen wir so etwas? Nun, warum schließen Menschen zum Beispiel die Badezimmertür ab, wenn sie zur Toilette gehen? Wie verrichten etwas sehr Persönliches und Intimes, und wir fühlen uns sicherer und entspannter, wenn wir wissen, dass uns niemand stören wird. Oder wenn wir einen Psychotherapeuten aufsuchen, fühlen wir uns erheblich sicherer, wenn wir wissen, dass alles vertraulich bleibt, dass keine Unterbrechungen stattfinden werden und dass wir uns im geschützten Rahmen der Praxisräume befinden. Das ermöglicht uns, uns zu entspannen und weiter zu öffnen, und genau das ist der Sinn dieser Schutzrad-Praktiken.

Dharma-Schutzherren

Die zweite wesentliche Art von Schutzherren-Praxis hat mit den eigentlichen Gestalten wie zum Beispiel Mahakala zu tun und kommt ausschließlich in der Anuttarayoga-Tantra-Praxis zur Anwendung und nur dann, wenn wir selbst in Form einer überaus starken und extrem kraftvollen Buddha-Gestalt auftreten, nicht einer sanften Gestalt. In der Gelug-Tradition werden zum Beispiel alle Schutzherren-Praktiken in Verbindung damit ausgeführt, dass man sich selbst als Yamantaka (Vajrabhairava) hervorbringt, also in Form des extrem kraftvollen Erscheinens von Weisheit bzw. Manjushri. Als solch eine kraftvolle Buddha-Gestalt könnten wir uns natürlich selbst vor furchterregenden Eindringlingen schützen. Das Problem ist aber, dass wir so viel anderes zu tun haben und es deshalb von Nutzen ist, einige Helfer mit einzubringen, etwa so, wie man einen scharfen Wachhund am Eingang platziert, um den Zugang zu schützen. Wir rufen dafür kein niedliches Tierchen wie etwa einen Pudel mit Schleifchen herbei, sondern den stürmischsten Hund, den wir finden können. Um mit dem Schützer zurechtzukommen, müssen wir selbst ebenfalls sehr stark sein. Aber wir müssen ihn auch freundlich behandeln und füttern, und deshalb führen wir Pujas durch, in denen wir Schützern Gaben darbringen.

Der eigentliche Sinn von Schutzherren-Praktiken

Wir haben, kurz gesagt, erfahren, dass im Verlauf der Geschichte etliche extrem kraftvolle Geister von großen Persönlichkeiten wie Guru Rinpoche gebändigt und dazu gebracht wurden, als Schutzherren des Buddhismus zu fungieren. Wir sind zwar darauf nicht näher eingegangen, aber man kann diesem Prozess auch eine Bedeutung im Sinne Jungscher Analyse zuordnen und ihn so verstehen, dass wir im Grunde mit negativen Kräften der unbewussten Schichten unseres eigenen Geistes arbeiten, die gebändigt und zum Schutz eingesetzt werden können. Das passt durchaus mit dem Dharma zusammen – nämlich dass die Quelle des Schutzes letztendlich die natürliche Reinheit des Geisteszustands klaren Lichts ist.

Einer der wichtigsten Punkte, die wir im Sinn behalten sollten, ist jedoch, dass weder die drei Juwelen der Zuflucht noch die verschiedenen Dharma-Schutzherren so etwas wie allmächtige Götter sind. Im Buddhismus wird nicht gesagt, dass wir zu solchen äußeren Gestalten beten können und sie uns aus all unseren Ängsten und Gefahren retten werden. Was sie tun, ist vielmehr, förderliche Umstände zu ermöglichen und uns den Weg aufzuzeigen, sodass wir imstande sind, unsere Ängste selbst aufzulösen.

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