Der buddhistische Kontext für die Erörterung der Leerheit
Wenn wir von Leerheit sprechen – so übersetze ich den Begriff „Shunyata“ –, muss man sie in einem bestimmten Kontext verstehen. Der Kontext, in dem dieser Begriff auftaucht, sind natürlich die buddhistischen Lehren, und den buddhistischen Lehren liegt eine bestimmte Motivation zugrunde, nämlich das Ziel, Menschen zu helfen, ihr Leiden, ihre Probleme loszuwerden, und sie auf fortgeschrittener Ebene auch dazu zu befähigen, anderen auf wirksame Weise zu helfen, mit ihren Schwierigkeiten und Problemen fertig zu werden.
Wenn wir hier von Problemen reden, sind damit nicht nur Probleme gemeint wie etwa einen Job zu finden oder Probleme von der Art, wie Sozialarbeiter sie kennen, sondern es geht um eine viel tiefere Ebene, die mit dem emotionalen Zustand der Menschen zu tun hat. Wenn wir in diesem Zusammenhang von Problemen reden, geht es um das, was aus störenden Emotionen entsteht – aus störenden Emotionen wie Ärger, Gier, Feindseligkeit, Arroganz, Stolz, Eifersucht, Naivität usw. –, und die daraus hervorgehende Zwanghaftigkeit, mit der wir dann handeln, etwa von einem inneren Zwang getrieben, jemanden anzuschreien, weil wir wütend sind, oder zwanghaft irgendetwas zu kaufen, einfach weil uns danach ist, oder uns zwanghaft mit Schokolade vollzustopfen und dergleichen mehr. So etwas schafft uns eine Menge Probleme im Hinblick auf die unglücklichen Zustände, die wir erleben. Selbst das Glück, das wir vielleicht erleben, wenn wir uns mit Schokolade vollstopfen, um eine schlechte Stimmung zu vertreiben, wird nicht dauern; es wird uns nicht zufriedenstellen und der unglückliche Zustand wird wiederkommen. Es gibt keinerlei Garantien dafür, dass unsere Stimmung stabil bleibt.
Die Methoden, die im Buddhismus gelehrt werden, haben das Ziel, uns zu helfen, solche Probleme loszuwerden. Und indem wir diese Probleme überwinden, insbesondere diejenigen, die mit Selbstbezogenheit zu tun haben, können wir mehr Liebe, mehr Mitgefühl, mehr Anteilnahme an anderen usw. entwickeln. Es gibt dafür ein breites Spektrum von Übungen, die natürlich mit vielerlei psychologischen Aspekten und mit unserem Verhalten in Verbindung stehen.
Wenn wir die Zusammenhänge etwas genauer betrachten, stellen wir fest, dass hinter unseren störenden Emotionen und Geisteshaltungen Verwirrung steckt – Verwirrung in Bezug darauf, auf welche Weise wir eigentlich existieren, auf welche Weise andere und überhaupt alles in Wirklichkeit existiert. Und weil wir verwirrt sind, fühlen wir uns unsicher, und daraus wiederum gehen die störenden Emotionen hervor.
Die Motivation, die der Kreativität zugrunde liegt
Nun können wir uns fragen, ob das die Kreativität beeinflusst und welche Bedeutung es dafür hat. Ich meine, dass da ein enger Zusammenhang besteht, und dass dieser Zusammenhang mit dem Ego zu tun hat, nämlich damit, was unsere Motivation dafür ist, etwas zu schaffen, Künstler zu sein und Kunstwerke auszustellen. Das steht meines Erachtens auch in Verbindung mit dem Thema bzw. der Frage, die Sie gestellt haben: welchen Einfluss die Archivierung oder Ausstellung unserer Arbeiten auf die Kunst selbst hat. Ich meine, wir müssen die Frage noch etwas präzisieren: nämlich wie es den Künstler beeinflusst. Das Kunstwerk ist ja eher ein Gegenstand, und wir müssen darüber sprechen, welche Erwägungen der Künstler in Betracht zieht, wenn er ein Kunstwerk oder einen literarischen Text schafft.
Einer der ersten Grundsätze kreativer Prozesse oder auch jeglicher Fertigungsprozesse überhaupt bezieht sich natürlich auf die Erwägung eines Publikums. Erschaffen wir etwas für ein bestimmtes Publikum in einem bestimmten Rahmen, etwa einer bestimmten Ausstellung? Oder handelt es sich einfach um einen Ausdruck unserer selbst, ohne dass es uns kümmert, wo das Werk gezeigt wird und wer es zu sehen bekommt? Ich denke, das sind zwei Richtungen, die Kreativität einschlagen kann - einerseits: Tun wir etwas für andere?, oder andererseits: Tun wir es im Grunde für uns selbst?
Leerheit ist eine Abwesenheit
Wenn von Leerheit die Rede ist, geht es um eine Abwesenheit. Das Wort „shunya“ – aus dem das abstrakte Hauptwort „Shunyata“ hergeleitet ist (shunya leer, shunyata – Leerheit) – ist das Sanskrit-Wort für „null“, „abwesend“. Irgendetwas ist also abwesend, und das was abwesend ist, hat mit unseren Vorstellungen zu tun. Wir haben vielerlei Vorstellungen in Bezug darauf, auf welche Weise wir existieren, auf welche Weise unsere Kunst existiert, auf welche Weise das Publikum existiert, das das Kunstwerk betrachten wird, und diese Vorstellungen beeinflussen unseren Schaffensvorgang.
Wenn wir uns zum Beispiel überaus wichtig nehmen, die Vorstellung haben: „Ich bin so zartfühlend“ usw., wenn wir meinen, das Publikum würde sehr harte Urteile fällen, und insbesondere, wenn wir ein niedriges Selbstwertgefühl haben, werden wir sehr befangen sein, während wir ein Kunstwerk schaffen, etwas entwerfen oder herstellen, und wir werden sehr besorgt sein, wie die Menschen es aufnehmen werden – wie viele „Gefällt mir“ – Meldungen es uns auf Facebook einbringt – und wir werden sehr aufgebracht sein, wenn nicht viele Menschen die Ausstellung unserer Werke besuchen. Wir stehen dann an der Tür, zählen die Menschen und beobachten ihre Reaktionen.
Doch auch wenn wir etwas nicht für eine Ausstellung herstellen und es nur als Ausdruck unserer selbst tun, tritt Besorgnis auf: „Entspricht das wirklich mir selbst? Bringt es das zum Ausdruck, was ich empfinde?“ Oft stellt sich ein Perfektionismus ein, und Perfektionismus beruht auf der Einstellung: „Ich muss gut sein. Ich muss vollkommen sein“, die ihrerseits wiederum eine Übersteigerung des „ich“ ist.
Verständnis der Leerheit, um unsere Projektionen aufzulösen
Wenn wir von Leerheit sprechen, geht es um etwas, was abwesend ist, und was abwesend ist, ist ein tatsächliches „ich“ oder „du“ oder „das Publikum“ usw., das dem entspricht, was wir uns vorstellen, was wir uns zusammenfantasiert haben. Das lässt sich immer tiefer gehend erforschen, denn was wir auf uns, auf andere und auf unsere Arbeit projizieren, wird immer subtiler. Es kann natürlich sehr offensichtlich sein – „Wenn meine Arbeit den Leuten nicht gefällt, mag mich keiner und das zeigt, dass ich unnütz und wertlos bin“ usw.; es kann aber auch sehr viel subtiler sein als das.
Wenn wir auf eine Ausstellung hinarbeiten oder unsere Erzeugnisse archivieren, werden wir natürlich mit Sicherheit durch das Publikum, das Umfeld usw. beeinflusst. Denn die andere Seite der Leerheit – der Tatsache, dass die Dinge nicht auf irgend eine unmögliche Art bestehen – ist die Art und Weise, wie sie tatsächlich existieren. Die Art, wie sie tatsächlich existieren, ist: indem sie auf abhängige Weise entstehen. Alles entsteht oder geschieht in Abhängigkeit von vielerlei Faktoren. Wie sich unsere Kunst entwickelt, wie der Schaffensprozess verläuft, steht in Abhängigkeit von meiner Einstellung zu mir selbst sowie davon, welche Materialien ich zur Verfügung habe (also von den physischen Gegebenheiten), davon, wieviel Zeit ich zur Verfügung habe, wie sehr ich unter Druck stehe, ob ich Geld damit verdienen muss oder nicht, wo das Werk gezeigt und ob es überhaupt gezeigt werden wird, wer es kaufen wird und ob ich es verkaufen muss – all diese verschiedenen Faktoren werden das Kunstwerk beeinflussen. Und natürlich wird auch das, was gerade in meinem persönlichen Leben vorgeht, meine Stimmung und meine Kreativität beeinflussen. Selbst das Wetter kann Einfluss darauf haben, was wir erschaffen.
Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass all diese Faktoren in gewissem Maße daran beteiligt sind, natürlich je nach Situation in unterschiedlichem Ausmaß, und was aus all dem entsteht, ist von all diesen verschiedenen Faktoren abhängig. Und was wir nun tun wollen, ist, mittels der buddhistischen Methoden für die Ergründung der Leerheit und die Meditation zu untersuchen, welche Faktoren auf Realität beruhen und welche durch Verwirrung hinsichtlich der Realität beeinflusst sind, denn diejenigen, die von Verwirrung beeinflusst sind, werden zu Problemen führen (Probleme im Zusammenhang mit meinem emotionalen Zustand, meinen Sorgen usw.) Diese Probleme wollen wir beseitigen.
Dafür ist die Untersuchung der Leerheit überaus hilfreich. Man kann nicht sagen, das Leerheit etwas bewirkt, wohl aber das Gewahrsein der Leerheit, nämlich sich dessen bewusst zu sein, dass die eigenen Projektionen Übertreibungen sind. Entweder übersteigern wir die Stärken von etwas, etwa in der übersteigerten Einstellung: „Ich bin so wunderbar, ich bin ein großer Künstler“ usw. Es kann natürlich sein, dass wir erfolgreich sind, dass wir gut sind – prima, nichts Besonderes. Viele Menschen sind gut in dem, was sie tun, aber wenn man das aufbläst zu: „Ich bin ja so fantastisch. Ich bin einfach Spitze“, dann wird das zu Unsicherheit führen, denn so etwas beruht auf Fantasievorstellungen, auf Projektionen, die von Unsicherheit gekennzeichnet sind: „Ich bin ja so toll. Aber bin ich das wirklich? Werden die Leute das anerkennen? Wird jeder das merken? Seht her: Hier bin ich!“ „Das ist mein Werk, ich muss es signieren und alle wissen lassen, dass es meines ist, dass ich das bin …“ tatsächlich projizieren wir uns selbst auf dieses Kunstwerk, als würden wir selbst dort ausgestellt und von anderen Leuten beurteilt. Wenn wir diese Einstellung haben, befinden wir uns wirklich in einem sehr unglücklichen, verstörenden Zustand. Wir müssen also untersuchen, was dieses „ich“ eigentlich ist.
Es gibt einen schönen Ausspruch im Buddhismus, nämlich: „Wenn nicht jeder den Buddha mochte, warum sollte ich dann erwarten, dass jeder mich mag?“ Das ist doch interessant. Nicht jeder mochte Jesus, warum sollte ich dann erwarten, dass jeder mich mag? Warum sollte jedem gefallen, was ich mache? Es gibt ganz und gar keinen Grund dafür, warum unser Kunstwerk jedem gefallen sollte. Wenn wir die Vorstellung haben: „Das muss einfach jedem gefallen“ und „ich muss es jedem recht machen“, trachten wir nach etwas Unmöglichem. So kann unser Werk gar nicht sein. Wenn wir das akzeptieren, regt es uns nicht auf, wenn jemand Kritik daran übt. Natürlich wird irgendjemand es kritisieren - das ist nichts Besonderes.
Es ist nichts Besonderes an mir oder meiner Arbeit
Das ist ein sehr wichtiges Stichwort für alles im Leben, nicht nur für die Kunst: „nichts Besonderes“. „Es ist nichts Besonderes an dem, was ich geschaffen habe. Es ist nichts Besonderes an mir. Es ist nichts Besonderes daran, dass jemand es mag oder dass jemand es nicht mag – das ist einfach Realität.“ Das ist die Art und Weise, wie die Dinge sind. Es gibt jede Menge andere Künstler, jede Menge andere Werke, und ich tue meine Arbeit – hoffentlich – einfach in der Einstellung, dass vielleicht einige Menschen einen gewissen Nutzen davon haben. Das ist eine grundlegende buddhistische Motivation – anderen von Nutzen zu sein, andere ein klein wenig glücklicher zu machen, ihr Leben aufzuhellen, auch wenn es nicht für immer sein mag. Wenn sie es jeden Tag sehen, werden sie des Gemäldes, das wir geschaffen haben, überdrüssig werden. Das ist nur natürlich. Daran ist nichts Besonderes.
Wie das Selbst existiert und wie unsere Vorstellungen darüber nicht der Realität entsprechen
Einer der Hauptschwerpunkte in der Meditation über Leerheit ist die Leerheit des „ich“. Natürlich ist auch die Leerheit der anderen relevant, aber von wesentlicher Bedeutung ist die Leerheit des „ich“. Dabei geht es um die Art und Weise, wie man selbst existiert. Im Buddhismus wird nicht behauptet, es gäbe kein „ich“, kein Selbst. Es gibt ein Selbst. Es gibt „mich“. Ich male dieses Gemälde und nicht irgendjemand anders. Ich erschaffe diesen Raum, niemand anderes. Natürlich tun wir etwas, aber was ist dieses „ich“? Auf welche Weise existiert es?
Wenn wir meinen, dieses „ich“ sei ein kleiner Kerl in unserem Kopf, der da redet, der Urheber dieser Stimme in unserem Kopf, der quasi vor einer Art Bildschirm sitzt und die von außen eingehenden Informationen entgegennimmt, über Lautsprecher die Geräusche registriert und dann bestimmte Knöpfe drückt, um zu veranlassen, dass der Körper dies oder jenes tut – so ist das offensichtlich eine grobe Verzerrung der Wirklichkeit. Es gibt kein solches Wesen, das, wie einem Science-Fiction-Film entsprungen, in unserem Gehirn sitzt und überwacht, was vor sich geht. Aber es fühlt sich manchmal so an, und das ist es, was so täuschend ist. Es fühlt sich an, als würde dort drinnen jemand reden, und dieser Jemand dort drinnen ist derjenige, um den ich besorgt bin: „Werden die Leute mich mögen? Werden sie mich kritisieren und mich nicht mögen?“ Dieses kleine „ich“ in unserem Innern ist es, von dem wir meinen, es müsse die Dinge im Griff haben, es müsse perfekt sein, und wir sorgen uns und mühen uns ab, perfekt zu sein – „Dieses Kunstwerk muss vollkommen sein“ usw. Diese Art von „ich“, die Art, wie es in unserer Vorstellung existiert und wie es sich anfühlt, entspricht nichts Realem. Es gibt niemanden, der dort drinnen sitzt, sich in unserem Kopf befindet usw. Heißt das, dass wir nicht existieren? Nun, natürlich existieren wir. Wir malen, wir erschaffen etwas.
Das Wort „ich“, dieser Begriff „ich“, bezieht sich auf etwas, auf ein Individuum, aber es gibt kein kleines Wesen in uns, das in unserem Kopf an einer Art Schaltpult sitzt. Das ist eine sehr tief gehende und schwierige Einsicht, deren wir uns gewärtig sein müssen. Zuerst einmal müssen wir all die Implikationen, die damit verbunden sind, verstehen und mit einbeziehen, und uns ihrer gewahr bleiben – uns daran erinnern -, wenn wir beginnen, uns Sorgen zu machen, uns unsicher fühlen, uns aufregen, wenn niemand unser Werk kauft oder es niemandem gefällt oder jemand es kritisiert. Das ist ganz wichtig. Das, worauf sich unseren Befürchtungen nach ihre Kritik richtet – nun, jenes kleine „ich“ in unserem Kopf am Schaltpult gibt es nicht. Diese Einsicht erfordert, wie gesagt, eine Menge Überlegungen und man muss viel darüber nachdenken.
Auf welche Weise existiert dieses „ich“? Diese Untersuchung wird normalerweise vorgenommen, indem wir die Art und Weise negieren bzw. widerlegen, wie es nicht existiert, d.h. wir erkennen, wie es existiert, im Zusammenhang damit, was es nicht ist. Das ist eine grundlegende indische Vorgehensweise, um etwas zu erkennen. Wenn wir die Sache etwas tiefgründiger betrachten – etwas tiefer gehend als jene Vorstellung von einem feststehenden kleinen „ich“, das in meinem Kopf sitzt und immer gleich bleibt (ich wache morgens auf und: da bin ich wieder, immer noch dasselbe „ich“) -, dann kommen wir zu der Vorstellung, dass es ein „ich“ gäbe, das man ganz für sich allein wahrnehmen könnte, unabhängig von irgendetwas, worauf dieses „ich“ beruht. Was bedeutet das?
Ein klassisches Beispiel für diese falsche Vorstellung ist: „Ich möchte, dass man mich um meiner selbst willen liebt. Nicht wegen meines Geldes, nicht wegen meines Aussehens, nicht, weil ich ein berühmter Künstler bin. Ich möchte einfach um meiner selbst willen geliebt werden“ – als gäbe es ein „ich“, das getrennt von meiner Kunst, meinen Körper, meinem Aussehen, meinen Fertigkeiten, getrennt von allem anderen wahrgenommen werden könnte. Diese Überlegungen sind sehr tiefgründig, wenn wir genauer darüber nachdenken.
Nehmen wir an, ich spreche mit jemandem am Telefon. Spreche ich mit der Person? In gewisser Weise ja, natürlich spreche ich mit der Person – aber ist es wirklich die Person allein? Nein, die Person beruhend auf der Stimme, die ich höre, nicht „die Person“ in einem abstrakten Sinne.
„Ich möchte, dass jemand eine Beziehung zu mir hat.“ Nun, womit kann jemand in Beziehung treten? Kann er zu einem „ich“ in Beziehung treten, das getrennt davon ist, wie ich aussehe, was ich sage und was ich tue? Es gibt kein „ich“, das unabhängig von einer Basis dafür wahrgenommen werden könnte.
Die Bedeutung des Verständnisses der Leerheit für den kreativen Prozess
Inwiefern ist dies von Bedeutung? Es spielt nicht nur bei der Tatsache eine Rolle, dass ich gemocht werden möchte – im Zusammenhang damit, dass man meine Kunst und deswegen „mich“ mag -, sondern vor allem im Hinblick darauf, dass der Schwerpunkt auf dem Wunsch liegt, dass sie „mich“ mögen, „mich“ anerkennen – das steckt oft hinter jeglichen Anstrengungen, die wir unternehmen, nicht nur in der Kunst. Aber diese Vorstellung, die in der Kunst häufig anzutreffen ist, nämlich, dass sie ein „Ausdruck meiner selbst“ ist – was bedeutet sie, was drücken wir da aus? Es ist, als gäbe es ein „ich“, das unabhängig von meiner Kunst oder von meinen Körper oder irgendetwas anderem wahrgenommen und ausgedrückt werden könnte. „Ich versuche, mich selbst zu finden“ – also ich bitte Sie, was wollen Sie denn finden? Als gäbe es ein „ich“, das getrennt wäre von allem, was ich im Leben getan habe, und das ich finden könnte. Solch ein „ich“ gibt es nicht. Ich bin ein Individuum, ja, basierend auf meiner gesamten Geschichte, auf allem, was ich tue. Wir leugnen hier nicht die Individualität, doch es ist die falsche Vorstellung von „mir“, die Probleme schafft und zu Unsicherheit und Sorgen führt.
Wenn wir uns mit einem kreativen Unterfangen beschäftigen – sei es Kunst oder was auch immer -, dann ist es sehr wichtig, dass nicht diese Unsicherheit dahintersteckt, der Wunsch, aufgrund meiner Arbeit geliebt zu werden, für wichtig erachtet zu werden, der Wunsch, mein wahres Ich auszudrücken, und derartige Vorstellungen. Man erschafft etwas – man tut es einfach, sei es mit der bewussten Motivation oder nicht: „Ich möchte Menschen damit nützen. Ich möchte etwas erschaffen, das den Menschen gefällt, das ihnen ein gutes Gefühl gibt, das in ihrem Haus hängen wird usw. – was auch immer. Es gibt eine Motivation dafür, sei sie bewusst oder unbewusst. Und dann tut man es einfach. Machen Sie sich keine Sorgen: „Wird es den Leuten gefallen? Wird es ihnen nicht gefallen? Ist es mein wahres Selbst, das ich zum Ausdruck bringe?“ und all das. Wird es in eine Sammlung aufgenommen werden? Nun, das heißt bloß, dass ich in Betracht ziehe, dass andere Menschen das anschauen werden. Was soll's?
Wenn Sie Ihr Kunstwerk verkaufen müssen, um Ihren Lebensunterhalt zu verdienen, muss das natürlich berücksichtigt werden. Man muss sich über den Markt im Klaren sein und darüber, was sich verkauft, und dergleichen mehr, aber was uns möglicherweise Schwierigkeiten macht, ist das Gefühl, sich dabei selbst untreu zu werden, die eigene Kreativität zu verraten. Nun, wer ist das „ich“, dem ich untreu werde? Auf welche Weise existiert dieses „ich“? Ist es ein kleines Wesen, das in mir sitzt? Nein. Wenn Sie ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, dann ist das eben so. Na und? In meinem Fall ist es so, dass es mir ein Vergnügen ist, zu Ihnen zu sprechen. An meiner Webseite zu arbeiten bereitet mir Freude. Ich mache das gern, es macht mir Spaß. An Ihrer Kunst zu arbeiten sollte auch ein Vergnügen sein. Es ist nichts Verkehrtes daran, zu genießen, was man tut. Tatsächlich ist es einer der vielen Faktoren, die eine Rolle in dem spielen, was im Buddhismus „abhängiges Entstehen“ genannt wird, d.h. etwas wird in Abhängigkeit von bestimmten Faktoren entstehen. Wenn man Freude an dem hat, was man tut, wird sich das natürlich in dem widerspiegeln, was man hervorbringt. Wenn wir es mit der Einstellung tun: „Ach, das ist bloß ein lästiger Broterwerb, den ich erledigen muss, um meine Familie zu ernähren“, dann stellen wir etwas her, das diese Freude nicht aufweist.
Mitgefühl als Motivation für Kreativität
Mitgefühl ist natürlich eine weitherzige, ausgedehnte Motivation, die an unserer Arbeit beteiligt sein kann. Im Buddhismus wird Mitgefühl in dem Sinne definiert, dass man den Wunsch hat, andere mögen frei von ihrem Leiden, von ihrem Unglücklichsein und den Ursache dafür sein. Wie kann man das mit Leerheit in Verbindung bringen? Man kann es sehr gut damit in Verbindung bringen, denn wir könnten uns z.B. aufblasen und denken: „Ich werde die Welt retten. Ich werde jedem zu Glück verhelfen. Dieses Kunstwerk wird jedermanns Probleme lösen.“ – Also ich bitte Sie, das ist schon eine ziemliche Überheblichkeit. Wir sind nicht die Retter der Welt. Wir sind nicht so allmächtig, dass wir mit unserem Werk die ganze Realität ändern können. Das wird nicht der Fall sein. Was können wir erreichen, indem wir ein Kunstwerk schaffen? Werden wir damit jeglichen Ärger aller Wesen für immer aus der Welt schaffen? Wohl kaum, also machen Sie sich nicht vor, dass sie dazu im Stande sein werden. Seien Sie realistisch: „ich kann dazu beitragen.“
Es gibt einen sehr schönen Ausspruch im Buddhismus, der besagt: Ein Eimer mit Wasser wird nicht durch den ersten Tropfen oder den letzten Tropfen gefüllt; er wird durch jeden Tropfen gefüllt, durch einen nach dem anderen. Sie können mit Ihrem künstlerischen Schaffen Ihren Tropfen zu dem Wasser im Eimer hinzufügen, versuchen, ein bisschen zum Glück der Welt beizutragen und das Unglück etwas zu verringern, in dem Bewusstsein, dass es nicht von Dauer sein wird. Vielleicht wird jemand, nachdem er Ihre Ausstellung besucht hat, für einige Stunden in einer veränderten Stimmung sein. Aber was erwarten wir? Die Menschen haben auch noch ihr übriges Leben, und – auch das ist abhängiges Entstehen: was geschieht, geschieht nicht nur aufgrund einer einzigen Ursache, etwa so, dass das, was wir tun, die einzige Ursache wäre, die das Leben von jemandem vollständig verändern würde. Es kann eine Rolle spielen; es ist ein Tropfen, der in den Eimer fällt. Mag sein, dass es ein größerer Tropfen ist oder auch ein kleinerer, doch auf jeden Fall ist es ein Tropfen in einem Eimer. Ohne uns selbst überzubewerten laufen die Dinge reibungsloser; wir haben weniger Probleme mit unserer Kunst.
Das war‘s im Grunde, was ich im Sinn hatte – meine Gedanken zur Verbindung zwischen „Shunyata“ (Leerheit) und Kreativität. Denken Sie nicht, dass Leerheit ein „Nichts“ bedeute und dass Buddhismus eine nihilistische Philosophie sei, in der gelehrt würde, dass gar nichts existiert: „ Ich existiere nicht, du existierst nicht – warum sollte man sich die Mühe machen, überhaupt etwas zu tun?“ Das ist keineswegs die Bedeutung von Leerheit. Es geht dabei nicht um irgendeinen leeren Raum, in dem jeder machen kann, was er will, oder so etwas. Wir sollten die „Leerheit“ nicht als etwas Triviales missverstehen. Leerheit bedeutet, dass unsere Projektionen von etwas, das in Wirklichkeit unmöglich ist – genauer gesagt, von unmöglichen Arten, wie etwas existiert -, nicht der Realität entsprechen. Und was wir mittels buddhistischer Meditation zu tun versuchen, ist, den aufgeblasenen Ballon unserer Fantasievorstellungen zum Platzen zu bringen. Wir stechen ihn an und - peng!
Das typische Beispiel, das ich immer anführe, ist die Vorstellung, dass es irgendwo auf der Welt den perfekten Partner gibt, der in jeder Hinsicht die vollkommene Ergänzung für uns ist, der Märchenprinz oder die Prinzessin auf dem weißen Pferd. Doch offensichtlich gibt es so etwas nicht - niemand existiert auf diese Weise -, aber wir projizieren das auf einen Partner oder einen potentiellen Partner, gehen davon aus, dass er diese Erwartungen irgendwie erfüllt, und wenn das nicht der Fall ist, sind wir verärgert und regen uns über ihn auf. Vielleicht endet dann die Beziehung, aber wir geben nie auf: Wir suchen immer noch nach dem Märchenprinzen oder der Prinzessin. Das steht nicht im Einklang mit der Realität. Niemand existiert auf solche Weise. Und genauso gilt: „Ich existiere nicht als großer Retter. Und ich existiere nicht als ein wertloser Niemand, den keiner mag“ – nichts dergleichen.
So versuchen wir, ein Verständnis der Leerheit gewinnen. Es handelt sich um die Abwesenheit solcher unmöglichen Arten zu existieren. „So etwas gibt es nicht.“ Räumen wir das aus, und der gesamte Schaffensprozess sowie auch das Leben im allgemeinen wird viel reibungsloser verlaufen.