Meditation über Leerheit des Selbst und aller Phänomene

Das große Mitgefühl des Bodhichitta

Wenn wir an den höchst gütigen und mitfühlenden Buddha Shakyamuni denken, denken wir an seine großen Eigenschaften sowie an seine erstaunlichen Taten und besonders an all die Unterweisungen, die er nur gab, um den anderen zu nutzen. Wenn wir unter all diesen Unterweisungen an seine unglaubliche Güte denken, uns Bodhichitta zu lehren – das Herz, dass der Erleuchtung und allen anderen gewidmet ist – dann ist das äußerst bewegend. In dem Text „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattva“ werden die vollständigen Unterweisungen darüber, wie man eine Bodhichitta-Absicht entwickelt, ausführlich erklärt.

Wenn wir über die beste Methode nachdenken, um den anderen Gutes zu tun, dann kann uns nichts anderes in den Sinn kommen als Bodhichitta. Die größte gütige Tat Buddha Shakyamunis war es, uns zu lehren, wie man dieses hingebungsvolle Herz des Bodhichitta entwickeln kann. Wir sollten uns äußerst glücklich schätzen, dass wir jetzt diesen kostbaren menschlichen Körper haben und in Kontakt mit dem Dharma gekommen sind, speziell mit dem Mahayana-Dharma. Nun, da all diese hilfreichen Bedingungen zusammengekommen sind und wir nicht durch negative oder hindernde Umstände daran gehindert werden, ist es von höchster Dringlichkeit, diese ausgezeichnete Gelegenheit zu nutzen; so erfüllen wir die Absicht von Buddha Shakyamuni, der uns mit unglaublicher Güte gezeigt hat, wie man sein Herz den anderen widmet und die Erleuchtung erlangt.

Dignagas Text „Kompendium der der gültig wahrnehmenden Arten von Geist“ (tib. Tshad-ma kun-btus, Skt. Pramanasamuccaya) zeigt, dass wir aufgrund seiner Entwickelns des Mitgefühls erkennen können, dass der Buddha eine zuverlässige Person ist. Wir bezeichnen Buddha als den Großen Mitfühlenden. Warum benutzen wir das Wort Mitfühlender? Weil sein Herz vollkommen der Aufgabe zugewandt ist, den anderen Gutes zu tun. Aufgrund seiner starken Fürsorge allen gegenüber war er dazu in der Lage, all seine Fehler zu beseitigen und einen Punkt zu erreichen, an dem er allen fühlenden Wesen in der umfassendsten Weise helfen konnte. Mitfühlend zu sein ist gut, egal, ob man religiös ist oder nicht. Jeder, der ein gutes und warmes Herz hat, kann in der Lage sein, den anderen zu helfen.

Ich scherze oft, indem ich sage: „Wenn ihr egoistisch sein müsst, dann seid zumindest auf intelligente Weise egoistisch!“ Wenn wir auf Kosten der anderen glücklich sein wollen, dann werden die anderen uns natürlich nicht helfen. Sie werden uns vielmehr ignorieren. Wenn wir uns daher letztendlichen Nutzen bringen wollen, müssen wir die anderen mitberücksichtigen – das meine ich mit „intelligent egoistisch“ sein. Wenn wir uns wirklich unser eigenes Wohl zu Herzen nehmen, wenn wir dies in einer intelligenten Weise tun, dann werden wir feststellen, dass die beste Art, uns selbst zu nutzen und uns zu verbessern, darin besteht, dass wir den anderen helfen.

In dieser Welt, wenn Menschen sich um die anderen und die Gesellschaft im Allgemeinen kümmern, dann werden sie von den meisten anderen Menschen, außer vielleicht von einige negativen Menschen, als gute Menschen betrachten. (Die anderen) werden sehr traurig sein, wenn solche Menschen sterben, da sie eine so wichtige Rolle für die Gesellschaft gespielt haben, indem sie sich immer dafür interessiert haben, den anderen zu helfen. An den Nutzen, die diese Menschen bewirkt haben, wird man sich noch Jahre nach ihrem Tod erinnern. In einigen kommunistischen Staaten dagegen werden diejenigen, die sich in Machtkämpfe verstrickt haben und nur für sich selbst gearbeitet haben, oft vergessen, sobald ihr Status abnimmt. An ihre Taten und an ihre Leistungen erinnert man sich nicht mehr. Man vergleiche das mit anderen Persönlichkeiten, die vom Wunsch bewegt wurden, den anderen zu helfen, und an deren Taten man sich mit Hingabe und großer Liebe und Wärme erinnert. Wenn jemand in dieser Welt in großem Umfang viele Schäden und Zerstörungen angerichtet hat, dann werden sogar nicht-religiöse Menschen diese Person als jemanden sehr negativen ansehen und niemand wird sehr glücklich über sie sein; die meisten werden sie vergessen wollen sobald sie können. Wenn jemand ein so hartes und grausames Herz hat, dann wollen sogar die Vögel nicht in seiner Nähe bleiben.

Wir leben in einer Gesellschaft menschlicher Wesen, daher hängen wir alle voneinander ab. Die ganze Struktur funktioniert nur, wenn die Mitglieder der Gesellschaft gütig zueinander sind, wenn sie zur Kooperation bereit sind. Ein amerikanischer Freund sagte mir einmal, er sei der Meinung, dass die menschliche Natur grausam sei. Ich scherzte mit ihm und sagte ihm, dass ich mich frage, ob dem wirklich so ist. Denn in der Tierwelt sehen die Tiere, die von Natur aus grausam sind – so wie Tiger, Löwen und andere Fleischfresser, die andere Tiere töten, um zu leben – auch grausam aus, mit Reißzähnen, Klauen und ähnlichem. Andere Tierarten dagegen, die sehr friedlich aussehen, fressen nur Pflanzen und Grass. Die menschlichen Wesen sehen wirklich nicht aus wie diese grausamen Tiere – sie gehen nicht herum, indem sie einander kratzen und beißen und sie haben wunderschöne kurze Nägel und keine Klauen! Wenn wir uns zum Beispiel eine Katze ansehen: wie gut ihr Besitzer auch immer sie füttern mag – es ist die Natur der Katze, Mäuse zu jagen und zu töten, auch wenn es nur zum Spaß ist. Daher denke ich nicht, dass es die grundlegende menschliche Natur ist, grausam zu sein – wie bei einem Fleisch fressenden Tier.

Es ist deshalb möglich, an sich zu arbeiten und die Eigenschaften in uns als menschliches Wesen zu verbessern, und – mit Güte – unser Herz den anderen immer mehr zu öffnen. Und da wir alle voneinander abhängig sind, ist es absolut notwendig, zu arbeiten, einander Gutes zu tun und einander zu helfen. Das entspricht einfach der Art, in der eine Gesellschaft existiert, als voneinander abhängige Gruppe. Damit sie funktioniert, müssen alle zueinander gütig und hilfsbereit sein. Es ist extrem wichtig, diese Geisteshaltung, anderen Wesen helfen zu wollen, zu erzeugen und diese Geisteshaltung immer weiter auszudehnen, auf eine immer größere Gruppe.

Natürlich müssen wir beachten, dass Buddha in seinen Unterweisungen über die Arten der Disziplin und über die Art, in der man sich verhalten sollte, einige Dinge verbot und andere erlaubte oder empfahl. Wenn es notwendig ist, ein Gebot zu übertreten, wenn die Umstände erfordern, dass man etwas tut, das normalerweise verboten ist, dann kann man es tun. Wir müssen unser Urteilsvermögen benutzen, innerhalb der Rahmenbedingungen, dass wir immer den anderen Gutes tun wollen.

Wir müssen also versuchen, den anderen gegenüber liebevolle Gedanken zu haben und nie irgendjemandem weh zu tun. Zuerst üben wir uns mit Menschen, zu denen wir eine Beziehung haben und versuchen dann, dies auf alle Menschen in unserem Gebiet auszudehnen, dann auf alle Menschen in unserem Land und dann auf alle Menschen der Erde. Wir können es dann weiter und weiter ausdehnen, auf alle Wesen des Universums. Alle Wesen sind genau wie wir: genau wie wir glücklich sein wollen und keine Probleme haben möchten, wollen auch absolut alle anderen, die es gibt, dasselbe. In dieser Weise sollten wir denken.

Natürlich wünscht sich eine Mutter, dass für ihre Kinder alles gut geht. Das ist etwas sehr Mächtiges; und doch ist es etwas sehr Beschränktes, da es sich nur auf ihre Kinder bezieht. Stattdessen müssen wir versuchen, den anderen gegenüber eine außergewöhnliche, intensive Fürsorge zu entwickeln und dies auf alle auszudehnen, indem wir uns nicht bloß auf einige Wesen beschränken.

Um tatsächlich dazu in der Lage zu sein, allen Gutes zu tun, müssen wir den Zustand erreichen, in dem wir dazu vollständig in der Lage sind. Hierbei handelt es sich um den vollen Zustand des Nirvana, die Erleuchtung. Bei einer Bodhichitta-Absicht geht es um diese beiden Absichten: den anderen zu helfen und die Erleuchtung zu erlangen, um dies verwirklichen zu können. Sie können dies in den Texten finden und selbst nachlesen. Und nun haben Sie es vom Dalai Lama gehört! Nun können wir also versuchen, einen überzeugten Glauben zu entwickeln, dass dies die eigentliche Wurzel allen Glücklichseins ist, die Wurzel, mit der wir alle Schwierigkeiten in der Welt beseitigen können: ein gütiges und warmes Herz zu entwickeln, eine Geisteshaltung, die sich wünscht, dazu in der Lage zu sein, allen zu helfen. Lassen Sie uns den starken Entschluss fassen, dass wir immer diese Geisteshaltung haben mögen, den altruistischen Gedanken, immer dazu in der Lage zu sein, allen Gutes zu tun und zu helfen und dass wir diese Geisteshaltung nie zerfallen oder schwächen lassen mögen. Diese Geisteshaltung muss uns mehr als alles, was wir besitzen, am Herzen liegen.

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