Zuerst die Auswahl des Buddhismus
Die Uiguren machten sich fremde Religionen nach denselben Kriterien zu Eigen wie die Osttürken. Die Uiguren machten den Buddhismus erst zu ihrer Staatsreligion, als die Streitkräfte der chinesischen Sui ihnen im Jahr 605 dabei halfen, Turfan zu besiegen. Von den militärischen Erfolgen waren die Uiguren offensichtlich ebenso beeindruckt wie die Osttürken seinerzeit von den militärischen Erfolgen der Sui, als es diesen gelang, Han-China unter dem spirituellen Schutz des Buddhismus zu einen. Da die Gründer der Sui sich selbst als buddhistische Universalherrscher (Skt. chakravartin) betitelten, nannten sich sowohl die uigurischen als auch die osttürkischen Anführer selbst „Bodhisattva-Prinzen“. Wie die Osttürken nahmen aber auch die Uiguren ursprünglich eine zentralasiatische und nicht eine Han-chinesische Form des Buddhismus an, um der Angleichung an die Han-chinesische Kultur zu entgehen. Grundlegend folgten sie der tocharisch bzw. khotanesischen Form des Buddhismus wie sie in Turfan zu finden war, vermischten diese Form des Buddhismus mit traditionellen türkischen Elementen und fügten einige nordchinesische Komponenten hinzu, wie es auch die Osttürken taten.
Die Tang-Dynastie (618 – 906) folgte auf die Herschafft der Sui, nachdem diese lediglich neunundzwanzig Jahre an der Macht gewesen waren. Auch wenn die frühen Tang-Herrscher das konfuzianische System wieder einsetzten, mit denen der öffentliche Dienst genau untersucht wurde, und auch wenn die Tang-Herrscher den Taoismus bevorzugten, unterstützten sie doch auch den Buddhismus. Tatsächlich war der Zeitraum, in dem die Sui-Herrscher und die frühe Tang-Dynastie an der Macht waren, der Höhepunkt für die Entwicklung und Verbreitung der meisten Han-chinesischen buddhistischen Sekten. Auch wenn die Osttürken den Buddhismus für den Verlust ihrer eigenen ersten Dynastie verantwortlich machten, sahen die Uiguren zu der Zeit offensichtlich weder die Kapitulation der Sui vor den Tang-Chinesen im Jahr 618 als Fehler des Buddhismus an, noch betrachten sie den Verlust des von ihnen gehaltenen Turfan an die Streitkräfte der Tang in den 630er Jahren als ein Verschulden des Buddhismus. Die Uiguren blieben loyale Verbündete der Tang und fuhren damit fort, den Buddhismus zu praktizieren.
Im Angesicht der Entwicklungen in Tang-China und Tibet keimen Zweifel am Buddhismus auf
Seit die Kaiserin Wu sich zwischen den Jahren 684 und 705 die Tang-Dynastie widerrechtlich aneignete, wurde die militärische Macht der Tang ständig durch die Unfähigkeit von Xuanzong unterminiert, der, wenn er auch auf vielerlei Hinsicht sehr erfolgreich war, nicht in der Lage war, buddhistische Mönche zum Militärdienst heranzuziehen oder die Klöster zu besteuern, um damit seine Feldzüge zu finanzieren. Im Jahr 740 beschränkte der Kaiser die Anzahl der Han-chinesischen Mönche. Trotz dieser Schritte wurden die Streitkräfte der Tang 751 beim Talas-Fluss in Westturkistan besiegt und 755 wurde Xuanzong durch die Rebellion des An Lushan abgesetzt.
Der uigurische Herrscher Bogu Kaghan erbte durch den Sturz der Osttürken im Jahr 744 die Rolle des Schützers des heiligen Berges der Türken, den Otukan. Dadurch war seine Situation völlig verschieden von der Situation früherer uigurischer Anführer. Bogu Kaghan, nun moralisch verantwortlich für alle türkischen Stämme, war unzweifelhaft der Kritik gewahr, die Tonyukuk am Buddhismus übte, nämlich dass ein Beibehalten des Buddhismus unvermeidlich zu einem Verlust der pan-türkischen kriegerischen Werte führen würde. Diese Kritik des Buddhismus wurde doppelt bewiesen durch die demütigende Niederlage Xuanzongs in Westturkistan und Chang‘an, seiner eigenen Hauptstadt. Von einem türkischen Standpunkt aus war der Tang-Kaiser offensichtlich nicht weit genug gegangen, um die im Buddhismus liegende Ursache seiner militärischen Schwäche zu eliminieren.
Zudem wurde ein paar Monate vor der Rebellion An Lushans der tibetische König Mey-agtsom aufgrund seiner pro-buddhistischen Neigungen ermordet. Tibet, die andere maßgebliche Macht in der Region, befand sich nun inmitten einer Zeit der Unterdrückung des Buddhismus. Daher konnte Bogu Kaghan, auf der Suche nach einer Religion, mit der er sein Volk einen könnte, unmöglich den Buddhismus wählen, wenn er seine Glaubwürdigkeit als Anführer aller Türken aufrecht erhalten wollte. Auf der anderen Seite konnte er auch nicht die Mischung aus Tengrismus und türkischen Schamanismus als Religion wählen, da dies der Glaube der Osttürken war, die er geschlagen hatte, um seine jetzige Position zu erreichen. Es war deutlich, dass die traditionelle Religion nicht die Kraft haben würde, eine militärisch starke Nation zu unterstützen.
Gründe dafür, den Manichäismus zu wählen: Der Wunsch, freundschaftliche Beziehungen mit Tang-China zu erhalten
Eineinhalb Jahrhunderte lang waren die Uiguren mehr oder weniger Verbündete Tang-Chinas. Die Uiguren zeigten ihre militärische Überlegenheit über die Streitkräfte der Tang, indem sie die Rebellion An Lushans niederwarfen, was die Tang-Chinesen nicht geschafft hatten. Trotzdem wollten die uigurischen Kaghane sich ihre freundschaftlichen Beziehungen mit Tang-China bewahren. Trotz der Tatsache, dass die Uiguren die Städte Chang‘an und Loyang plünderten, wünschte sich auch der Tang-Hof, weiterhin freundschaftliche Beziehungen zu den Uiguren zu pflegen.
Im Jahr 713 überzeugte der mächtige osttürkische Minister Tonyukuk den Kaghan Kapaghan (reg. 692 – 716) davon, die sogdische Gemeinschaft aus der Mongolei zu deportieren, indem er die Regierung gegen eine Wiederbelebung ihrer schamanistischen und tengrischen Traditionen steuerte. Die sogdische Gemeinschaft umfasste auch Buddhisten und Manichäer, und der Tang-Hof erlaubte allen, sich den Sogdiern, die sich bereits in Chang‘an und Loyang niedergelassen hatten, anzuschließen. Im Jahr 732 verbot Xuanzong allen Han-Chinesen jedoch, dem Manichäismus zu folgen und beschränkte die Ausübung des Manichäismus auf die ausländische Gemeinschaft. Acht Jahre später ließ er alle ausländischen buddhistischen Mönche deportieren, tolerierte jedoch in Tang-China lebende Ausländer, die sich zum Manichäismus bekannten. Sollten die Uiguren den Manichäismus als ihre Religion annehmen, wäre es ihnen möglich ihre freundschaftlichen Beziehungen zu Tang-China aufrechtzuerhalten, ohne die religiöse Politik Tang-Chinas zu verstoßen. Es gab jedoch weitere Gründe dafür, dass die Uiguren den Manichäismus zu ihrer Religion machten.
Wirtschaftliches Wohlergehen und Geopolitik
Die Uiguren strebten eine weitere Expansion ihres Territoriums an, besonders in das Tarimbecken, wo sie den lukrativen Handel der Seidenstraße kontrollieren konnten. Tang-China hatte nur eine schwache Präsenz in Turfan, Beshbalik und entlang des nördlichen Zweigs der Route in Kucha und Kashgar. Die Tibeter hatten auch nur eine schwache Präsenz entlang des südlichen Zweigs der Seidenstraße. Sogdische Kaufleute fanden sich aber in allen Oasen-Stadtstaaten, besonders in Turfan.
Die Uiguren waren nun die Helden des Tages, da sie über die Rebellion von An Lushan triumphierten, während der Tang-Kaiser gezwungen war, gedemütigt zu fliehen. Die Regierung der Tang hatte nicht nur das Gesicht verloren, sondern war nun auch noch in schwächerer Position als vorher und konnte Turfan oder andere Gebiete im Tarimbecken daher kaum effektiv kontrollieren. Obwohl Tang-China den Sogdiern im Jahr 713 politisches Asyl gewährt hatten, verloren die Tang-Chinesen durch das Verstoßen buddhistischer Mönche aus ihrer Mitte zweifellos das Vertrauen der sogdischen Gemeinschaft. Falls die Uiguren eine der größeren sogdischen Religionen bei sich im Volk einführen sollten, würden die Uiguren von den Sogdiern aus Turfan bereitwillig als Schützer und Oberlehnsherren akzeptiert werden. Dies würde den Uiguren einen festen Stand im Tarimbecken verschaffen, so dass sie ihren Herrschaftsbereich weiter entlang der Seidenstraße ausdehnen könnten und die Seidenstraße möglicherweise später kontrollieren könnten.
Die Bekehrung zum Manichäismus
Es standen zweifellos diese Gedanken dahinter, als Bogu Kaghan den Manichäismus im Jahr 762 zur uigurischen Staatsreligion erklärte, da die Einführung des Buddhismus zu dieser Zeit keine entwicklungsfähige Alternative gewesen wäre. Mit der Betonung auf die Kräfte des Lichts, die den Sieg über die Mächte der Finsternis erringen, hatte daher der Manichäismus den Eindruck vermittelt, dass er für eine kriegerische Nation besser geeignet sei als der Buddhismus. Der Kaghan hatte seine Lektion von der ersten und zweiten osttürkischen Dynastie gelernt und übernahm das sogdische Alphabet, aber nicht die sogdische Sprache, und modifizierte das Alphabet für die uigurische Schrift. Er benutzte die Schrift für administrative als auch religiöse Zwecke und beschäftigte Sogdier, um manichäische Texte ins Uigurische zu übersetzen.
Mit der Erfahrung, die die Sogdier dabei gesammelt hatten, buddhistische Texte ins Alttürkische zu übersetzen, begannen sie nun, während der Interimsherrschaft (630 – 682) zwischen der ersten und zweiten osttürkischen Dynastien, buddhistische Schriften auch in ihrer eigene Sprache zu übertragen. Dies war der Zeitraum als nicht nur die Mongolei und Turfan, sondern auch das ganze Tarimbecken von den Tang-Chinesen erobert wurde. Die sogdischen Übersetzer hatten vor allem Han-chinesische Quellentexte benutzt, d.h. Texte aus der Tradition und Sprache, mit der sie am meisten vertraut waren. Durch die beherrschende politische Position von Tang-China fühlten die sogdischen Buddhisten sich vielleicht in ihre Identität genügend bedroht, um jetzt den Schritt zu unternehmen, sich von einer möglichen Absorption durch die Han-chinesische Kultur zu distanzieren. Da sich diese buddhistische Übersetzungstätigkeit auch zu der Zeit noch weiter fortsetzte, als die Uiguren die sogdischen Übersetzer damit beauftragten, uigurische manichäische Texte für die Übersetzung vorzubereiten, und da die Sogdier bereits mit der alttürkischen Sprache, die mit dem Uigurischen verwandt war, gearbeitet hatten, borgten sich die Sogdier einleuchtender Weise einen beträchtlichen Anteil der buddhistischen Terminologie für ihre neue Aufgabe.
Das Volk leistet der Bekehrung Widerstand
Als Ergebnis der uigurischen Herrschaft über Turfan von 605 bis in die 630er-Jahre, hatten viele Uiguren bereits die osttürkische Form des Buddhismus angenommen, das galt besonders für die Krieger und das einfache Volk. Doch nach der Niederschlagung der Rebellion An Lushans durch die Uiguren befahl Bogu Kaghan seinen Mannen, alle buddhistischen Klöster und Tempel zu zerstören, als diese die Städte Chang‘an und Loyang plünderten. Er befahl auch die darauffolgende Zerstörung buddhistischer Klöster in anderen Teilen seines Gebietes, bis ganz ins weit entfernte Semirechye im nördlichen Westturkistan. Zweifelsohne versuchte dadurch die pan-türkische kriegerische Tradition wieder zu stärken und die Wahl des Manichäismus als Staatsreligion dadurch zu rechtfertigen, dass er die Schwäche des Buddhismus noch mehr herausstrich.
Zahlreiche uigurische Soldaten praktizierten zu dieser Zeit zweifellos noch immer einer Religionsmischung aus Buddhismus, Tengrismus und türkischen Schamanismus. Dies wird durch die Tatsache angedeutet, dass Bogu Kaghan sein Volk dazu zwingen musste den Manichäismus anzunehmen. Er organisierte die Menschen in Zehner-Einheiten, wobei eine Person jeder Gruppe vorstand und dafür verantwortlich war, dass die religiösen Regeln eingehalten wurden. Nichtsdestoweniger fand diese im Wesentlichen sogdische Religion unter den Uiguren keine Verbreitung. Sie war vor allem auf den Adel beschränkt, der dadurch angesprochen wurde, dass die sogdische Religion ihren Schwerpunkt auf eine reine und saubere religiöse Elite legte, die moralisch höher stehend als die sogenannten „ schmutzigen Massen“ war. Der Buddhismus blieb für die Dauer der uigurischen Herrschaft über die Mongolei unzweifelhaft unter diesen „schmutzigen Massen“ weiterhin verbreitet.
Überdies war der uigurische Adel selbst nicht ausschließlich dem Manichäismus verpflichtet. Zwanzig Jahre nach der offiziellen Staatsbekehrung ermordete Alp Kutlugh (reg. 780 – 790) den Bogu Kaghan wegen seiner finanziellen Exzesse, mit denen er die neu angenommene Religion unterstützte. Den Titel qaghan annehmend, bat er den Patriarchen Timotheus (reg. 780 – 819) einen nestorianischen christlichen Metropoliten für sein Gebiet zu ernennen. Seine Schutzherrschaft fügte sich logisch in die allgemeine Strategie der Uiguren ein, mit der die Untertanentreue der Menschen im Tarimbecken gewonnen werden sollte, welches wirtschaftlich von den sogdischen Kaufleuten geführt wurde.
Zusammenfassung der Muster religiöser Bekehrung in Zentralasien
Diese Beispiele der Bekehrung der Osttürken und der Bekehrung der Uiguren verdeutlichen das Phänomen, das sich bei den zentralasiatischen türkischen Nationen manifestierte, die ihre Religionen wechselten. Wenn die Herrscher der zentralasiatischen türkischen Nationen solche Religionswechsel auf einer freiwilligen Basis durchführten, waren sie meistens Teil einer wohl kalkulierten politischen Strategie, bei der es vor allem um Macht und Einflussnahme ging, oder darum wirtschaftliche Vorteile zu erlangen; viel seltener basierten solche Konvertierungen auf einer spirituellen Entscheidung.
Man sollte nicht zu zynisch sein und solchen Bekehrungen rein machiavellische Motive zuschreiben und dabei jegliche religiösen Erwägungen völlig zu missachten. In der anzunehmenden Religion sollten Elemente vorhanden sein, die mit der Mentalität der einheimischen Kultur zusammenpassen, sonst wäre niemand in der Lage, zu dem neu angenommenen Glauben eine Beziehung aufzubauen. Nichtsdestoweniger darf man nicht zu idealistisch sein und sich vorstellen, dass die zentralasiatischen Herrscher, die über Völker mit ausgeprägt kriegerischen Traditionen befahlen, ihre Entscheidungen über solche Dinge nur auf der Grundlage dessen trafen, dass sie die Überlegenheit der intelligenten metaphysischen Komplexität der einen Religion im Vergleich zu einer anderen Religion mehr würdigten. Sie waren mehr davon beeindruckt, wenn die eine Religion übernatürliche Kräfte zur Verfügung stellen konnte, die zu einem militärischen Sieg führten. Zudem tauschten die Herrscher die nationale Religion zügig aus, wenn sie sich in ihren Bestrebungen um Expansion von einer anderen Religion eine ähnliche Unterstützung erhofften.
Das galt nicht nur für diesen besonderen Fall der Osttürken und Uiguren, sondern galt auch in Bezug auf den Fall, bei dem der tibetische König Songtsen-gampo in der Mitte des 7. Jahrhunderts ein Interesse am Buddhismus zeigte. Diese machtpolitischen Interessen erklären auch, warum der tibetische Hof um den jungen König Mey-agtsom im frühen 9. Jahrhundert sich der Vorstellung einer Konvertierung zum Islam öffnete, was dem Hof durch ihre Allianz mit den Abbasiden ein größeres Territorium verschafft hätte. Als deutlich wurde, dass sich die möglichen Vorzüge einer Konvertierung nicht einstellen würden, verlor der Hof sein Interesse am muslimischen Glauben.