Die Situation des Buddhismus in Zentraltibet 1994

Die Wiederbelebung der Klöster in Zentraltibet 

In Zentraltibet wurden zahlreiche Klöster wieder aufgebaut, sogar die kleineren. Lokale Mönche, die ihre Roben abgelegt haben, übernehmen, meist mit finanzieller Unterstützung von Geshes und Lamas im Westen, einen Großteil der Arbeit und rekonstruieren die Gebäude in Übereinstimmung mit alten Architekturplänen. Die chinesischen Autoritäten haben geholfen, einen winzigen Teil des Sera-Klosters wieder aufzubauen und nutzen dies zu Propagandazwecken, um zu behaupten, sie würden offiziell all die Klöster wiederaufbauen. Sie haben genauestens die Renovierung des Potala-Palastes und des Norbulingka kontrolliert und sind momentan dabei, das traditionelle Zhol-Dorf unterhalb des Potalas niederzureißen, um an dessen Stelle einen Themenpark im Disneyland-Stil zu errichten.

Nur wenige Bauern oder Nomaden besuchen die Klöster und Tempel in Lhasa während dem Frühling und Sommer, da sie in den Feldern arbeiten. Darüber hinaus gehen viele Mönche aus entlegenen Gegenden während dieser Zeit nach Hause, um bei der Feldarbeit zu helfen. Tibeter aus Lhasa besuchen die Klöster meist Sonntags, wenn sie frei haben. Ihnen ist es nur an bestimmten Wochentagen erlaubt, den Potala zu besuchen, während Ausländer jeden Tag hineingehen können. In der Gegend um Lhasa gibt es so viele Klöster, dass es für die ansässigen Tibeter schwierig ist, ein jedes zu unterstützen. Mönche und Nonnen leben mehrheitlich von Spenden, die sie von Besuchern bekommen, wobei die chinesischen Autoritäten regelmäßig einen bestimmten Teil der Gaben an die Tempel für sich beanspruchen. Was die größeren Standorte, wie den Potala und den Norbulingka betrifft, so beschlagnahmen sie alle Opfergaben. Die chinesische Regierung unterstützt Tshurphu finanziell zu Propagandazwecken, was den Karmapa betrifft. Bis zum Tod des damaligen Panchen Lama haben sie auch Tashilhunpo mit finanziellen Mitteln unterstützt, was sie jetzt eingestellt haben.

In fast allen Klöstern kann man Bilder Seiner Heiligkeit des Dalai Lama finden, die deutlich sichtbar ausgestellt sind. Früher waren sie verboten und wurden beschlagnahmt, doch da sie immer wieder auftauchten, erlaubten die Chinesen, dass sie im Barkhor verkauft werden und versteuern sie.

Die Situation in einigen wichtigen Klöstern und Tempeln im Lhasa-Gebiet 

(1) Jokhang (Jo-khang), mit 111 Mönchen, obgleich die Chinesen nur 100 erlauben. Nebenan werden gerade neue Räumlichkeiten für die Mönche gebaut. Anhand der Panchen-Lehrbücher wird das Debattieren studiert und täglich werden gemeinsame Gebete abgehalten. Zweimal im Monat wird Lama Chöpa (bLa-ma mchod-pa) mit Tsog- (tshogs) Opfergaben und auch der Yamantaka-Sadhana ausgeführt. 

(2) Sera (Se-ra), mit 560 Mönchen. Je (Byes), Me (sMad) und Ngagpa (sNgags-pa) Datsangs (Grva-tshang) wurden alle wieder aufgenommen und die Mönche lernen das Debattieren und machen tantrische Rituale. Im Sera Ngagpa Datsang folgt man den Jetsunpa- (rJe-btsun-pa) Lehrbüchern, was das Debattieren betrifft. 

(3) Drepung (’Bras-spungs), mit 540 Mönchen. Loseling (bLo-gsal gling), Gomang (sGo-mang), Deyang (bDe-dbyangs) und Ngagpa Datsangs wurden wieder aufgenommen, man lernt das Debattieren und führt tantrische Rituale aus. Im Drepung Ngagpa Datsang folgt man zum Debattieren den Panchen-Textbüchern, während die Deyang jene von Jamyang Zhepa (’Jam-dbyangs bzhad-pa) benutzen. Die vier Datsangs führen die Zeremonien der Tsog-Opfergaben nicht getrennt, sondern zusammen aus.

(4) Ganden (dGa’-ldan), mit etwa 500 Mönchen. Sie haben den Tsedung-Raum (Tshe-gdung khang) wieder aufgebaut, in dem Tsongkhapa’s (Tsong-kha-pa) Relikte aufbewahrt werden, und sie benutzen ihn vorübergehend als Tsogchen (Tshogs-chen) oder Versammlungshalle, während sie die alte wiederaufbauen. Außerdem haben sie den Trido-Raum (Khri-mdo khang) restauriert, in dem sich der Ganden Tripas (dGa’-ldan Khri-pa) Thron befindet. Sie haben begonnen, Shartse (Shar-rtse) wiederaufzubauen und nächstes Jahr werden sie mit der Rekonstruktion von Jangtse (Byang-rtse) beginnen. Es wurden fünf vorübergehende Khamtsen- (khang-tsan) Tempel und Wohneinheiten der Jangtse und Shartse wiederaufgebaut, doch es gibt noch keine Unterteilung in die zwei Datsangs. Alle machen zusammen Tsog, studieren beide Arten von Lehrbüchern (also die des Jetsunpa und des Panchen) und debattieren zusammen im Jangtse Choedra (Byang-rtse Chos-grva) oder der Dharma-Anlage zum Debattieren. Es gibt nur fünf Lehrer, von denen drei an der staatlichen buddhistischen Schule oder Nangten Lobdra (Nang-bstan slob-grva) unterhalb vom Nechung- (gNas-chung) Kloster außerhalb von Lhasa studiert haben. Viele der jungen Mönche in Ganden sind ziemlich grobe, ungebildete Jungen aus fernen Gegenden. Ihnen scheint jegliche Disziplin zu fehlen und viele verstehen nicht einmal den Lhasa-Dialekt. Die jungen Mönche helfen beim Wiederaufbau und tragen keine Roben. 

(5) Nechung, mit 20 Mönchen, die tantrische Rituale durchführen. 

(6) Namgyal (rNam-rgyal), mit 35 Mönchen, von denen nur drei etwas älter sind. In erster Linie sind sie als Raumpfleger im Potala tätig. Abends studieren sie für sich und bringen zweimal im Monat Tsog dar. 

(7) Gyume (rGyud-sMad), mit 52 Mönchen, welche die Rituale der drei Haupt-Tantras studieren und fünfmal im Monat Tsog machen. Weil es dort keine qualifizierten Lehrer gibt, sind sie nicht in der Lage, ihr Studium des Guhyasamaja wiederaufzunehmen. 

(8) Gyuto (rGyud-sTod), mit 112 Mönchen, von denen sieben etwas älter sind. Auch sie studieren die Rituale der drei Haupt-Tantras und machen fünfmal im Monat Tsog. Die Mönchen haben keine täglichen gemeinsamen Gebete und müssen in ihren eigenen Unterkünften leben, die in der Stadt verstreut sind. Einige von ihnen studieren zu Hause für sich und führen dort sogar Retreats aus, obwohl es nicht einfach ist. 

(9) Lukhang (Klu-khang), das mit dem Namgyal-Kloster verbunden ist, führte zwischen 1982 und 1989 die Lukhang Schule (Klu-khang slob-grva) mit 200 Jungen, die in Vorbereitung auf das Ablegen der Mönchsgelübde Tibetisch studierten. Vor kurzem haben sie dieses Programm mit 8 Jungen, die momentan dort lernen, auf informelle Weise wiederaufgenommen. 

(10) Pala Lapu (Pha-la lha-phug), mit 60 Mönchen, welche die meisten der tantrischen Rituale des Namgyal-Klosters ausführen, außer den Kalachakra- und den Nyingma-Ritualen des Fünften Dalai Lama. Es untersteht dem Kundeling- (Kun-bde-gling) Kloster, das jetzt zum Drolma Lhakang (sGrol-ma’i Lha-khang) verlegt wurde. 

(11) Ani Tsamkhung (A-ni mTshams-khung), mit etwa 70 Nonnen, die tantrische Rituale und Gebete ausführen. 

Neben dem Nechung-Kloster befindet sich das alte Government Buddhist College. Es war zwischen 1982 und 1993 aktiv, zunächst mit 200 Mönchen, doch dann verringerte sich die Anzahl mit jeder Klasse allmählich. Es gab nur einen Tulku-Studenten. Die Lehrpläne umfassten das Debattieren, Dichtkunst und Komposition, sowie Chinesisch, Englisch und Leninismus. Nur eine kleine Nummer von Absolventen wurden Lehrer in den Klöstern.

Die Moschee ist für die tibetischen Muslime in Lhasa wie ein traditioneller tibetischer buddhistischer Tempel, jedoch mit Minaretten. Die Hui-Muslime bauen ihre eigenen Moscheen und die zwei muslimischen Gemeinschaften scheinen nicht viel Kontakt untereinander zu haben.

[Siehe: Die Geschichte der Muslime in Tibet]

Außerhalb Lhasas: 

(1) Tsurphu (mTshur-phu), mit 400 Mönchen in zwei Unterteilungen, Choegar Oma (Chos-ngar ’og-ma) des Karmapa (Karma-pa) und Choegar Gongma (Chos-ngar gong-ma) des Gyaltsab Rinpoche (rGyal-tshab rin-po-che). Fast alle Mönche gehen im Sommer nach Hause und das Kloster scheint verlassen zu sein, ohne Rituale oder Studien, außer einem Mönch in jedem der Beschützer-Räume. Im Winter bringen sie fünfmal im Monat Tsog dar. Es gibt nur einen Lehrer und ein paar alte Mönche. Die Karma-Kagyü-Klöster in Kham, wie das Palpung (dPal-spung) von Situ Rinpoche, wurden wiederaufgebaut, sind lebendig und pulsieren. Es gibt dort keine Studien, aber es werden Rituale durchgeführt. Tsurphu wurde im Gegensatz dazu kaum wiederaufgebaut, obwohl es bestimmt keinen Mangel an Geld gab. Es gibt jedoch zwei Gruppen von sechzehn und dreizehn Mönchen, die Dreijahres-Retreats machen.

Der Karmapa gibt jeden Tag nach dem Mittag eine öffentliche Audienz. In einiger Distanz von den Leuten sitzt er auf einem hohen Thron und segnet sie mit einem langen Stab mit Bändern am Ende. Zwei Mönche spielen während der gesamten Audienz laut auf Hörnern, sodass es für den Karmapa unmöglich ist, etwas Gesagtes zu verstehen oder selbst etwas zu sagen. Obgleich der Karmapa eine starke Präsenz ausstrahlt, schien er vollkommen gelangweilt und ein unglücklicher Gefangener der Situation zu sein.

(2) Samye (bSam-yas), mit 130 Mönchen, von denen die Hälfte gemäß der Sakya-Tradition das Debattieren lernt und die andere Hälfte tantrische Rituale abhält, meist in Bezug zum Nyingma, aber auch in Bezug zu den Sakya- und Gelug-Traditionen. Zwei der von Guru Rinpoche ernannten Staatsorakel befinden sich hier: U Thug Kyi Gyalpo (dBus Thugs-kyi rGyal-po) mit seinem Minister Tsimar (rTsi-dmar) und Lo Yonten Gyalpo (lHo Yon-tan rGyal-po). Momentan gibt es jedoch kein Kuten Medium für diese Orakel. 

(3) Mindrolling (sMin-’gro gling), mit 60 Mönchen, von denen vier älter sind. Es werden tantrische Rituale ausgeführt. Der Wiederaufbau wurde in erster Linie von Tarthang Tulku finanziert. Aufgrund eines Mangels an qualifizierten Lehrern wurde noch nicht wieder begonnen, die zehn Wissenschaften oder das Debattieren zu studieren.

In der Nedong- (sNe-sdong) Region: 

(4) Yumbulakhang (Yum-bu rlag-khang), mit fünf Mönchen, die tantrische Rituale abhalten;

(5) Trandruk (Khra-’brug), mit 50 Mönchen, die sowohl tantrische Nyingma- als auch Gelug-Rituale ausführen;

(6) Tsetang Ganden Chokorling (rTsed-thang dGa’-ldan chos-’khor gling), mit 25 Mönchen, welche die tantrischen Rituale des Ganden-Klosters abhalten. Als ich dort war, haben sie gerade das Chakrasamvara-Mandala aus gestreutem Sand hergestellt und machten die Selbst-Initiation.

(7) Ngachoe (rNga-chos), mit 22 Mönchen, die tantrische Rituale abhalten; und 

(8) Nedong Tsetsangpa (sNe-sdong Tshe-tshang-pa), mit zehn Mönchen, die ebenfalls tantrische Rituale ausführen.

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