Detail zu den letzten vier Vollkommenheiten

Detail zu weit reichender Geduld

Die nächste weit reichende Geisteshaltung ist diejenige der Geduld bzw. Toleranz. Auch sie ist ein Bewusstseinszustand, und sie besteht darin, dass wir nicht ärgerlich werden, sondern imstande sind, allerlei Schwierigkeiten und Leiden auszuhalten. Wir lassen uns durch Leiden oder Menschen, die schaden, nicht aus der Ruhe bringen oder verärgern. So lautet die Definition. Die Wirkung dieser Geisteshaltung besteht nicht darin, dass wir keinerlei Feinde mehr haben bzw. dass es niemanden mehr gibt, der versucht, uns zu schaden; sie bedeutet vielmehr, dass wir nicht ärgerlich oder entmutigt werden oder Unwillen entwickeln zu helfen. Wir lassen uns nicht frustrieren.

Die Geduld, sich durch diejenigen, die Schaden anrichten, nicht in Aufregung versetzen zu lassen

Es gibt drei Arten von Geduld. Die erste besteht darin, sich durch diejenigen, die schaden, nicht in Aufregung versetzen zu lassen. Das bezieht sich nicht nur darauf, nicht ärgerlich auf Menschen zu werden, die negativ handeln, sondern insbesondere auf Menschen, die uns verletzen, sich uns gegenüber abscheulich verhalten oder uns schlecht behandeln. Damit sind nicht bloß solche gemeint, die uns schlichtweg schlagen, sondern es kann sich auch um Menschen handeln, die uns nicht danken, uns nicht zu schätzen wissen und dergleichen mehr – Leute, die uns nicht mögen und auf die wir ärgerlich werden könnten: „Oh, der mag mich nicht!“

Vor allem, wenn wir anderen helfen, ist es sehr wichtig, nicht ärgerlich auf jemanden zu werden, der unseren Rat nicht annimmt, oder wenn etwas nicht klappt, sondern Geduld zu bewahren. Es gibt eine Menge Menschen, denen man nur ganz schwer helfen kann. Wir müssen versuchen, nicht ärgerlich auf sie zu werden, nicht die Geduld zu verlieren, sondern solche Schwierigkeiten auszuhalten.

Insbesondere für Lehrer ist es wichtig, nicht die Geduld mit den Schülern zu verlieren. Selbst wenn jemand äußerst langsam oder reichlich dumm ist, ist es am Lehrer – nicht notwendigerweise nur jemand, der Dharma lehrt, sondern jeder, der irgendetwas lehrt -, die Geduld zu bewahren, nicht ärgerlich zu werden, sich nicht frustrieren zu lassen, sondern Geschicklichkeit beim Lehren walten zu lassen, vergleichbar mit der Situation, wenn man einem kleinen Kind etwas beibringen möchte. Wir können von einem kleinen Kind nicht erwarten, dass es etwas so schnell lernen kann wie ein Erwachsener.

Shantideva über das Entwickeln von Geduld

Es gibt überaus viele verschiedene Arten, Geduld zu entwickeln. Shantideva erklärt in seinem Text „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattva“ sehr viele verschiedene Methoden. Wir haben hier keine Zeit, auf sie alle näher einzugehen, sondern können nur ein oder zwei davon erörtern.

Wenn wir uns am Feuer oder am Herd die Hand verbrennen – nun, wir können nicht wütend auf das Feuer werden, weil es heiß ist; das ist nun einmal die Natur von Feuer. Genauso gilt: Was erwarten wir denn von Samsara? Natürlich werden uns Menschen enttäuschen, verletzen, natürlich wird es schwierig werden – was wäre anderes zu erwarten? Wenn wir jemanden darum bitten, etwas für uns zu tun, es ist besser, damit zu rechnen, dass er es nicht richtig macht. Und wenn es nicht richtig macht – so, dass es uns nicht gefällt -, wessen Fehler ist das dann? Es ist unser eigener Fehler, dass wir faul waren und überhaupt jemand anderen darum gebeten haben, statt es selbst zu tun. Wenn wir also überhaupt mit jemandem ärgerlich werden, dann sollten wir uns über unsere eigene Faulheit ärgern. Denn was ist von Samsara zu erwarten?

Das ist eine äußerst hilfreiche Zeile, die es bei allen verschiedenen Arten von Geduld zu erinnern gilt. Im Grunde lautet sie: Was erwarte ich von Samsara? Was erwarten Sie? Dass es leicht wird, dass alles gut ausgeht? Was erwarte ich? Die Natur von Samsara, also jeder Augenblick unseres Lebens, besteht in Leiden und Problemen und darin, dass die Dinge nicht genau so ausgehen, wie wir es gern hätten, und dass Menschen sehr schwierig sind, uns enttäuschen usw. Was ist also anderes zu erwarten? Seien Sie nicht überrascht davon. Genau deswegen wollen wir ja da herauskommen.

Es ist so, als würden wir uns hier in Lettland darüber beklagen, dass der Winter kalt und dunkel ist. Was erwarten Sie denn vom Winter – dass er angenehm warm ist und man im Badeanzug herumspazieren kann, um ein Sonnenbad zu nehmen? Was ist denn zu erwarten? Genauso wie bei der Natur von Feuer: Die Natur von Feuer ist, dass es heiß ist. Wenn man seine Hand hineinhält oder mit bloßen Händen einen heißen Topf vom Herd nimmt, wird man sich natürlich verbrennen. Was sonst wäre zu erwarten? Es hat keinen Sinn, wütend darüber zu werden.

Und noch etwas: die Geduld, die darin besteht, dass wir die Sichtweise entwickeln können, andere wie Verrückte oder Kleinkinder zu betrachten. Wenn ein Verrückter oder ein Betrunkener uns anschreit, wäre es nur noch verrückter, zurückzuschreien. Oder wenn wir unserem Zweijährigen sagen, dass es Zeit zum Schlafengehen ist, den Fernseher ausschalten und er uns dann sagt: „Ich hasse dich!“ – nehmen wir das dann ernst und regen uns darüber auf, dass er uns nicht mag? Er ist ein Kind. Das Kind ist müde und man bringt es ins Bett. Genauso können wir andere Menschen betrachten, wenn sie sich auf solche Art verhalten; sie sind übermüdet, sie sind quengelig – „Sie sind wie ein kleines Kind“ oder „Sie verhalten sich jetzt wie Verrückte“. Das hilft uns, uns nicht über sie zu ärgern.

Auch wenn jemand es uns sehr schwer macht, ist es immer hilfreich, ihn als unseren Lehrer zu betrachten: „Das ist mein Lehrer, der mir Geduld beibringt. Wenn mir niemand zu schaffen machen würde, könnte ich nie Geduld lernen oder ich hätte keine Herausforderungen. Es ist wirklich sehr nett von ihm, mir diese Schwierigkeiten zu machen.“ Seine Heiligkeit der Dalai Lama sagt immer, dass die Chinesen, die chinesischen Regierungsführer und Mao Tse-tung für ihn die besten Lehrer von Geduld seien. Die lästige Person im Büro – sie lehrt uns Geduld.

Die Geduld, unser eigenes Leid zu ertragen

Die zweite Art der Geduld besteht darin, unsere eigenen Leiden anzunehmen und zu ertragen. Shantideva erörtert sie ziemlich ausführlich. Er sagt: Wenn wir ein Leiden, eine schwierige Situation durchmachen, und es gibt etwas, das wir dagegen tun können, tun wir es einfach – ohne ärgerlich zu werden oder uns aufzuregen, denn das wird nichts nützen. Und wenn wir nichts dagegen tun können – warum sollten wir uns dann aufregen oder ärgern; das wird ja auch nichts helfen. Wenn es kalt ist und wir warme Kleidung haben – wozu dann ärgern und sich beklagen, dass es kalt ist? Man zieht die warme Kleidung an. Und wenn wir keine warme Kleidung haben – wozu sich ärgern und aufregen, davon wird uns auch nicht wärmer.

Wir können unser eigenes Leiden noch auf andere Weise betrachten. Wir können insofern froh darüber sein, als es missliche Hindernisse verbrennt. Negatives Karma reift heran, und wir rufen uns in den Sinn, dass es gut ist, das jetzt loszuwerden, denn in Zukunft könnte es schlimmer sein. Wir können auch daran denken, dass es von Vorteil ist, wenn es jetzt auf diese Weise reift, denn ganz gleich, wie sehr es uns zu schaffen macht, es könnte immer noch schlimmer sein. In gewisser Weise kommen wir also glimpflich davon.

Wenn ich im Dunkeln mit dem Fuß gegen den Tisch gestoßen bin und mir wehgetan habe nun, das ist sehr gut, denn ich hatte mir auch das Bein brechen können. „Besser so als mir ein Bein zu brechen.“ Solche Gedanken helfen uns, uns nicht zu ärgern. Auf und ab zu hüpfen und ein Riesendrama daraus zu machen, dass uns der Fuß wehtut, weil wir uns gestoßen haben, hilft nicht. Nicht einmal, wenn unsere Mutter herbeieilt und einen Kuss darauf drückt, wird es helfen; es tut immer noch weh.

Auch wenn wir versuchen, etwas wirklich Positives, Aufbauendes zu tun, und zu Beginn eine Menge Hindernisse und Schwierigkeiten auftreten, ist das ganz prima. Etwa, wenn wir eine lange Klausur machen wollen oder ein bestimmtes Dharma-Projekt in Angriff nehmen oder eine Reise unternehmen, um anderen zu helfen usw., und anfangs Probleme auftauchen – nicht unbedingt riesige Hindernisse (dass man sich ein Bein bricht oder so etwas), so ist das sehr von Vorteil, denn man kann es so betrachten: „Gut, dadurch werden die Hindernisse verbrannt, sodass der Rest des Vorhabens gut verlaufen wird.“ Somit können wir froh sein, dass sie jetzt aus dem Weg geschafft werden, statt später zu großen Problemen zu führen.

Wie Shantideva sagt: Leiden und Probleme haben auch etwas Gutes. Das heißt nicht, dass wir losgehen und danach suchen, weil der Weg, den wir einschlagen, bedeutet, dass wir uns quälen und nach Leiden suchen. So ist das nicht gemeint. Aber wenn wir Leiden erleben, gibt es daran einige gute Aspekte, die wir anerkennen können, denn zunächst einmal wird durch Leiden unsere Arroganz verringert; es macht uns demütiger. Es hilft uns auch, Mitgefühl für andere zu entwickeln, die ähnliche Schwierigkeiten erleiden. Wenn wir z.B. eine bestimmte Krankheit bekommen, können wir andere besser verstehen, die dieselbe Krankheit haben; andernfalls haben wir keine Ahnung, was sie durchmachen. Wenn wir alt werden und die Schmerzen des Alters erleben – mit 16 Jahren fällt es einem nicht gerade leicht, Mitgefühl mit alten Menschen zu haben, aber wenn wir 60 sind und all diese Schwierigkeiten allmählich selbst erleben, haben wir eine Menge Mitgefühl und Verständnis für alte Menschen. Und wenn wir Karma (Ursache und Wirkung von Verhalten) verstehen, veranlasst uns das in stärkerem Maße, destruktives und negatives Handeln – die Ursache für Leid – zu vermeiden, und uns stärker mit positiven, konstruktiven Handlungen zu beschäftigen, die zu Ursachen für Glück werden. Das ermutigt uns.

Die Geduld, um des Dharma willen Härten zu ertragen

Die dritte Art der Geduld besteht in dem Entschluss, Härten zu ertragen, die mit dem Studium und der Praxis des Dharma verbunden sind. Wenn wir versuchen zu meditieren, daran arbeiten, Erleuchtung zu erreichen usw., so wird das eine sehr lange Zeit in Anspruch nehmen und ein enormes Ausmaß an Arbeit und Anstrengung kosten, und wir müssen im Hinblick darauf sehr realistisch sein und uns nicht entmutigen lassen – Geduld damit haben; Geduld mit uns selbst haben. Das heißt nicht, mit uns umzugehen wie mit einem Kleinkind, aber doch geduldig zu sein.

Ich denke es ist sehr wichtig, wirklich zu verstehen und zu akzeptieren, dass es zur Natur von Samsara gehört, dass es ständig auf und ab geht. Das bedeutet nicht nur, dass wir höhere und niedrigere Wiedergeburten erleben, sondern es geht die ganze Zeit über auf und ab. Manchmal ist uns danach, zu praktizieren, manchmal haben wir keine Lust dazu. Manchmal läuft unsere Praxis gut, manchmal nicht. Was erwarten wir? Das ist Samsara. Es ist nicht so, dass es jeden Tag besser wird, und deshalb müssen wir Geduld haben und uns nicht frustrieren lassen, nicht ärgerlich werden oder aufgeben. „Ich dachte, ich hätte meinen Ärger überwunden und würde nie mehr ärgerlich werden“ – und dann passiert irgendetwas und plötzlich ärgern wir uns wieder. Das kommt vor. Wir werden das nicht loswerden, bevor wir befreit und ein Arhat geworden sind; seien Sie also geduldig.

Detail zu weit reichender Ausdauer

Die vierte weit reichende Geisteshaltung wird Ausdauer genannt. Das ist ebenfalls ein Geisteszustand und wird definiert als: Freude daran haben, positiv und aufbauend zu handeln. Es bedeutet nicht, Freude an Videospielen oder an der Jagd zu haben. Es geht darum, Freude an etwas zu haben, das positiv und konstruktiv ist. Die Rede ist auch nicht davon, bloß eine arbeitsame Einstellung zu haben, während wir unsere Arbeit jedoch hassen und sie nur aus Pflicht- oder Schuldgefühl tun, etwa weil wir Verbindlichkeiten eingegangen sind oder dergleichen, oder sie nur mechanisch zu erledigen. Ein Workaholic zu sein. Es geht hier auch nicht um kurzlebige Begeisterung. Wovon hier die Rede ist, ist etwas Anhaltendes – deswegen wird es Ausdauer genannt: Es lässt nicht nach, sondern geht immer weiter, weil wir Gefallen an dem finden, was wir tun, und es sich um etwas Positives handelt. Diese freudige Ausdauer ist das Gegenmittel gegen Faulheit, sie ist das Gegenteil davon.

Die rüstungsgleiche Ausdauer

Es gibt drei Arten der freudigen Ausdauer. Die erste ist Ausdauer, die wie eine Rüstung ist. Sie besteht in der Bereitschaft, immer weiterzumachen, ganz egal, wie schwierig es wird und wie lange es dauert – wir werden weitermachen, uns nicht entmutigen lassen und nicht träge werden. Wenn wir damit rechnen, dass der Pfad des Dharma (oder welches positive Vorhaben auch immer wir verfolgen) ewig dauert und wir bereit sind, sogar die Höllenbereiche aufzusuchen, um anderen helfen zu können usw., dann werden wir nicht bequem werden oder uns von irgend einem kleineren Problem entmutigen lassen, das vielleicht auftaucht. „Nichts kann mich erschüttern.“ Diese Einstellung ist wie eine Rüstung; sie schützt uns vor jedweden Schwierigkeiten, die auftreten. „Ich mache mir nichts daraus, wie schwierig es werden wird. Es ist mir egal, wie lange es dauert. Ich werde es tun.“

Je länger wir die Zeit einschätzen, die erforderlich ist, bis wir Erleuchtung erreichen, desto schneller wird die Erleuchtung eintreten. Wenn wir erwarten, dass sie unverzüglich und schnell eintritt, kann es sein, dass es ewig dauert. Wenn wir sehr auf rasche, augenblickliche Erleuchtung und den einfachen schnellen Weg dahin erpicht sind, so ist das – wie es in einigen großen Texte heißt und auch von berühmten Lehrern erklärt wird – im Grunde ein Zeichen von Selbstbezogenheit und Faulheit und zeigt, dass wir eigentlich nicht viel Zeit damit verbringen wollen, anderen zu helfen usw. „Lasst uns einfach Erleuchtung erreichen. Das wird großartig sein.“ Und im Grunde sind wir faul. Wir wollen nicht die harte Arbeit investieren, die damit verbunden ist. Wir wollen ein Schnäppchen machen, so billig, wie wir es kriegen können. Wir suchen nach einem Sonderangebot. Doch so funktioniert das nicht.

Wenn wir das Mitgefühl haben, mit dem wir bereit sind, „Milliarden (tib. grangs-med, unzählige) Äonen daran zu arbeiten, positive Kraft aufzubauen, indem wir anderen helfen“, dann wird dieses enorme Ausmaß von Mitgefühl uns erheblich schneller zur Erleuchtung bringen.

Die Ausdauer, die auf konstruktive Handlungen angewendet wird

Die zweite Art der Ausdauer ist diejenige beim Durchführen konstruktiver, positive Handlungen zum Aufbau der positiven Kraft, die uns zur Erleuchtung bringen wird. Mit anderen Worten: Gefallen daran finden und nicht bequem sein im Hinblick auf die vorbereitenden Übungen (die Niederwerfungen usw.) sowie auf das Studieren, Lernen, Meditieren und alles, was getan werden muss: froh und glücklich sein, es zu tun.

Die Ausdauer bei Tätigkeiten zum Wohle begrenzter Lebewesen

Die dritte Art der Ausdauer ist diejenige, die mit Tätigkeiten zum Nutzen anderer verbunden ist. Die freudige Ausdauer bei Tätigkeiten, mit denen wir anderen helfen, wird auch im Zusammenhang mit den vier Arten erklärt, wie man Schüler sammelt und empfänglich macht, und den elf Arten, anderen zu helfen (den elf Arten von Personen, denen wir helfen).

Erinnern Sie sich daran, dass wir über die ethische Selbstdisziplin gesprochen haben, in diesen elf Arten von Situationen hilfreich zu handeln. Wir können auch die Geduld, die mit der Ausübung des Dharma verbunden ist, in Bezug auf diese elf Arten darstellen. Und hier haben wir die freudige Ausdauer beim Helfen auf diese elf Arten. Das heißt, dass das nicht dasselbe ist. Worum es hier geht, wenn wir tatsächlich diesen verschiedenen Arten von Menschen auf unterschiedliche Weise helfen, wie es jeweils angemessen ist, ist, dass wir mit freudiger Ausdauer Gefallen daran finden und wirklich glücklich sind, Anstrengungen dafür aufzubringen, ihnen zu helfen. Mit Geduld werden wir alle Härten aushalten, die damit einhergehen. Mit ethischer Selbstdisziplin werden wir all die störenden Emotionen vermeiden, die uns daran hindern würden, tatsächlich zu helfen. Diese Geisteshaltungen unterstützen sich also gegenseitig.

Die drei Arten von Faulheit

Die verschiedenen Arten Ausdauer werden von Faulheit unterbrochen. Um uns in freudiger Ausdauer zu üben und sie zu entwickeln, müssen wir also Faulheit überwinden. Und es gibt drei Arten von Faulheit:

Die Faulheit des Aufschiebens

Die erste ist die Faulheit des Aufschiebens: die Dinge auf morgen zu verschieben. Um sie zu überwinden, müssen wir über Tod und Unbeständigkeit meditieren – darüber, dass der Tod jederzeit kommen kann – und darüber, wie schwierig es ist, ein kostbares Menschenleben zu erlangen, in dem wir die Möglichkeit haben, etwas Konstruktives zu tun.

Aber in diesem Zusammenhang muss ich auch an meinen bevorzugten Zen-Koan denken: „Der Tod kann jederzeit kommen – entspann dich.“ Das ist sehr hilfreich, daran zu denken. Er bedeutet: Es ist wahr, dass der Tod jederzeit kommen kann, aber wenn wir deswegen ganz verkrampft und nervös und angespannt sind, werden wir nie etwas zustande bringen – „Ich muss das alles heute machen“ – und zum Fanatiker werden. Ja, der Tod kann jederzeit kommen. Wenn man das Beste aus seinem Leben machen und die Dinge jetzt tun will, muss man entspannt dabei sein, nicht mit dieser angespannten Furcht vor dem Tod, die uns hetzt: „Wir werden nicht genug Zeit haben.“

Die Faulheit, an belanglosen Angelegenheiten zu hängen

Die zweite Art der Faulheit besteht darin, an belanglosen Angelegenheiten zu hängen. Stimmt’s? Wir vergeuden so viel Zeit mit Fernsehen oder einfach mit müßigem Geschwätz mit Freunden, Unterhaltungen über Sport … All das verschwendet eine enorme Menge von Zeit, und im Grunde ist das Faulheit. Es ist viel einfacher, vor dem Fernseher zu sitzen, als zu meditieren. Oder bloß an gewöhnlichen, banalen Dingen zu hängen, denn daran haben wir Spaß – sei es Astrologie oder sonst irgendetwas in der Art. Wir hängen daran, weil es bequem ist – Faulheit -, und wir wollen uns nicht mit etwas beschäftigen, was vermutlich schwieriger und bedeutsamer ist.

Das soll nicht heißen, dass wir niemals innehalten sollen, um uns zu entspannen oder zu vergnügen. Manchmal brauchen wir das, um uns zu regenerieren, aber der Punkt ist, nicht an all dem zu hängen und es aus Faulheit zu übertreiben. Wir machen eine Pause, machen einen Spaziergang oder so etwas, aber wir hängen nicht daran. Wenn wir genug haben, wenden wir uns wieder den bedeutsameren Dingen zu, mit denen wir uns befasst haben.

Die Art, wie wir diese Faulheit überwinden, besteht darin, uns bewusst zu machen, dass die Vergnügungen und die Befriedigung, die diese so genannten weltlichen Aktivitäten und Errungenschaften uns bieten, uns nie dauerhaftes Glück verschaffen können. Nur dadurch, dass wir uns wirklich in den Methoden des Dharma üben, lässt sich das verwirklichen. Wenn wir es schaffen, einen Ball zwischen zwei Pfosten hindurch in ein Netz zu schießen, und unsere ganze Zeit damit verbringen, das zu üben, wird uns das nicht einmal zu einer besseren Wiedergeburt verhelfen. Und es wird uns gewiss nicht zur Befreiung oder Erleuchtung bringen, wenn wir einen Ball ins Tor befördern können.

Es geht also darum, nicht daran zu hängen. Wenn wir so etwas zur Entspannung tun, ist das etwas anderes. Aber bloß daran zu hängen und unsere ganze Anstrengung darauf zu verwenden, weil wir zu bequem sind, irgendetwas Konstruktiveres zu tun – das ist Faulheit; das ist ein Hindernis und steht im Gegensatz dazu, Freude an konstruktiven Betätigungen zu haben.

Die Faulheit überwinden, die darin besteht, die Batterie im Kassettenrecorder nicht auszuwechseln.

Die Faulheit der Einbildung von Unfähigkeit

Die dritte Art der Faulheit ist, sich einzubilden, dass man unfähig ist. „Das ist zu schwierig für mich. Ich kann das nicht. Wie kann jemand so Untaugliches wie ich je Erleuchtung erreichen oder irgendetwas von all dem schaffen?“ Das ist eine Art von Faulheit. Wir versuchen es nicht einmal, weil wir denken: „Ich bin unfähig.“

Um diese Form der Faulheit zu überwinden, denken wir an die Buddha-Natur, an die verschiedenen Qualitäten, die wir haben, usw. es gibt Vieles, was wir uns in den Sinn rufen können und das uns hilft, ihr entgegenzuwirken. „Wenn so viele Menschen imstande sind, den ganzen Tag Kaugummi zu verkaufen oder so etwas, nur um ein klein wenig daran zu verdienen, und bereit sind, dafür jeden Tag Stunde um Stunde dazusitzen, dann werde ich doch wohl fähig sein, Zeit dafür aufzubringen, ein bisschen etwas Sinnvolleres zu tun. Wenn ich stundenlang in einer Schlange anstehen kann, um eine Karte für ein Musikkonzert zu bekommen, oder um Brot zu kaufen, sollte ich doch wohl nicht meinen, ich wäre unfähig, etwas zu tun, das mehr dazu beiträgt, Erleuchtung erreichen zu können.“

Die vier Stützen für die Entwicklung der Ausdauer

Shantideva erklärt vier Faktoren, die uns bei der Entwicklung der Ausdauer unterstützen.

Überzeugung vom Nutzen des Dharma

Der erste dieser Faktoren ist die feste Überzeugung von den positiven Qualitäten und dem Nutzen des Dharma.

Stabilität beruhend auf Selbstvertrauen und Buddha-Natur

Der zweite ist Standfestigkeit und Stabilität, die auf Selbstvertrauen und unserer Buddha-Natur beruht. Wenn wir wirklich von der Buddha-Natur überzeugt sind – davon, dass die grundlegenden Fähigkeiten vorhanden sind -, dann haben wir Selbstvertrauen; und wenn wir Selbstvertrauen haben, werden wir in unseren Bemühungen stetig und stabil sein. Das unterstützt uns also.

Freude an dem, was wir tun

Der dritte ist die Freude an dem, was wir tun. Das verschafft uns ein Gefühl von Befriedigung. Es ist sehr befriedigend und erfüllend, darauf hinzuarbeiten, uns weiterzuentwickeln usw., daran zu arbeiten, anderen zu helfen, sodass uns dies ein Gefühl von Freude bringt.

Wissen, wann es sich auszuruhen gilt

Der vierte besteht darin, zu wissen, wann es sich auszuruhen gilt. Uns nicht so weit zu überanstrengen, dass wir nur noch umfallen und aufgeben und nicht mehr wieder an die Arbeit gehen wollen. Uns nicht zu stark anzutreiben. Aber andererseits auch nicht mit uns umzugehen wie mit einem Kleinkind und uns jedes Mal, wenn wir ein klein wenig Müdigkeit verspüren, zu einem Nickerchen hinzulegen.

Eigentlich ist das ein sehr interessanter Punkt. Trijang Rinpoche, der verstorbene Junior-Tutor Seiner Heiligkeit, erteilte den folgenden Ratschlag. Er sagte, wenn wir in einer wirklich sehr schlechten Stimmung sind, uns ausgesprochen mies fühlen usw., und keine der anderen Dharma-Methoden mehr zu helfen scheint, ist es das Beste, ein Schläfchen zu machen. Sich kurz hinzulegen, und wenn wir dann wieder aufwachen, wird sich unsere Stimmung geändert haben, einfach naturgemäß dadurch, dass wir etwas geschlummert haben. Sehr praktisch. Gefällt Ihnen das?

Zwei weitere Faktoren für die Entwicklung der Ausdauer

Zusammen mit diesen vier Stützen für die Ausdauer zeigt Shantideva noch zwei weitere Faktoren auf, die sie fördern. Nämlich (a) zu akzeptieren, was wir üben müssen, und zu akzeptieren, womit wir aufhören müssen, und (b) die Schwierigkeiten akzeptieren, die damit verbunden sind – all das beruhend auf realistischer Erwägung dieser drei Punkte und unserer Fähigkeiten, damit umzugehen. Dies zu akzeptieren. Zu akzeptieren, dass ich dies und dies tun muss, um anderen zu helfen, oder um Erleuchtung zu erlangen, oder was immer ich Konstruktives tun will. Und ich akzeptiere die Tatsache, dass ich mit bestimmten Dingen aufhören muss. Und ich akzeptiere die Tatsache, dass Schwierigkeiten damit einhergehen werden. Das akzeptieren wir, nehmen es auf uns, nachdem wir genau und realistisch untersucht haben, was damit verbunden ist, sowie auch unsere Fähigkeit, das zu tun.

Nehmen Sie keine unrealistische Haltung ein. Wenn Sie 100.000 Niederwerfung machen wollen, schätzen Sie das realistisch ein. Es werden Schwierigkeiten damit einhergehen – die Beine werden schmerzen, man wird müde werden usw. – aber wir rufen uns die Vorteile ins Gedächtnis. Und womit werde ich aufhören müssen? Ich werde Zeit dafür einplanen müssen, und es wird schwierig werden. Wir müssen uns also realistisch einschätzen, um zu erkennen: „Kann ich das machen?“ – z.B. ob man Arthritis oder Rheuma oder andere Beschwerden hat, die einen daran hindern werden, usw. – und dann akzeptieren wir die Realität dessen, was damit verbunden ist. Wenn wir das akzeptieren, dann können wir von ganzem Herzen mit freudiger Begeisterung daran gehen, das Vorhaben umzusetzen.

Der zweite dieser Faktoren besteht darin, dass wir, beruhend auf dieser realistischen Haltung, mit der wir das akzeptieren, dann die Kontrolle übernehmen, uns dieser Aufgabe zu widmen – anders ausgedrückt: mit Willenskraft usw. Wir lassen nicht zu, dass wir uns auf altgewohnte Weise verhalten, sondern handeln wirklich entschlossen: „Ich werde nicht meiner Faulheit nachgeben“ usw. Wir übernehmen die Verantwortung und widmen uns dieser positiven Betätigung, die wir uns vorgenommen haben. Auf Englisch sagen wir: „Wir legen unser Herz hinein“.

Detail zu weit reichende geistige Stabilität

Es ist jetzt schon ziemlich spät und wir haben nicht mehr allzu viel Zeit für die letzten beiden weit reichenden Geisteshaltungen. Beide werden insbesondere in der Lamrim-Literatur nur äußerst kurz erörtert. Und dann folgt ein überaus langer Abschnitt, der sich damit befasst, wie man Konzentration und Meditation entwickelt und wie man Verständnis der Leerheit entwickelt. Natürlich bleibt uns jetzt keine Zeit, darauf einzugehen. Das würde für jedes dieser Themen viele Tage in Anspruch nehmen. Das können wir uns für ein anderes Mal vornehmen.

Doch zumindest so viel zur geistigen Stabilität: Sie wird in einigen Texten als derjenige Geisteszustand beschrieben, der fähig ist, die Konzentration einspitzig auf jedwedes positive, konstruktive Objekt auszurichten, ohne zuzulassen, dass die Aufmerksamkeit abschweift oder dass man träge oder schläfrig usw. wird. Das gilt gleichermaßen, ob wir nun meditieren oder einfach jemandem helfen oder zuhören, was jemand sagt.

Shantideva erklärt das im Zusammenhang mit der geistigen Stabilität. Nämlich zusätzlich in dem Sinne, dass das, was wirklich daran beteiligt ist, diese Art von Konzentration zu erlangen, die geistige Stabilität ist, die bewirkt, dass wir nicht mit den störenden Emotionen auf und ab schwanken. Denn es sind die störenden Emotionen, die uns veranlassen, abzuschweifen, indem der Geist auf ein attraktives Objekt fliegt oder indem er träge und schwer wird. So beschreibt Shantideva den Begriff in dem größeren Rahmen von geistiger und emotionaler Stabilität.

Man kann die verschiedenen Arten von geistiger Stabilität auf vielfache Weise einteilen. Fast jeder Text und jede Tradition nimmt diese Unterscheidungen auf andere Weise vor; es hat also wenig Sinn, hier eine endlos lange Diskussion all der verschiedenen Arten von Unterteilungen anzufügen - etwa anhand dessen, worauf die Ausrichtung erfolgt, oder Konzentration im Hinblick darauf, dass man dies oder jenes tun muss usw.

Detail zu weitreichendes unterscheidendes Gewahrsein

Weit reichendes unterscheidendes Gewahrsein – manchmal auch als „Weisheit“ übersetzt – ist derjenige Geisteszustand, mit dem wir alle erkennbaren Phänomene und die tatsächliche Art, wie sie existieren, korrekt und entschieden unterscheidend wahrnehmen können. Wir können unterscheiden, was hilfreich und was schädlich ist, was angemessen und was unangemessen ist, usw. Es kann auch dafür verwendet werden, zu unterscheiden zwischen der Art, wie die Dinge tatsächlich existieren, und der Art, wie sie nicht existieren (dem, was unmöglich ist). Es kann aber auch einen erheblich größeren Anwendungsbereich umfassen und sich nicht nur mit dem Verständnis der Leerheit befassen.

Auch diese Art von Bewusstseinszustand kann auf vielerlei verschiedene Weise unterteilt werden, und verschiedene Texte nehmen diese Unterscheidung auf unterschiedliche Weise vor, je nachdem, worauf das unterscheidende Gewahrsein gerichtet ist, sei es im Hinblick auf die Realität oder im Hinblick auf konventionelle Dinge, etwa im Falle von Ärzten im Hinblick darauf, welches die geeignete Medizin ist, die verabreicht werden soll, und welche ungeeignet ist, usw. Es gibt viele Schemata für die Unterteilung, und wir brauchen darauf nicht näher einzugehen.

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