Großzügigkeit, Selbstdisziplin und die Geduld, sich nicht davon stören zu lassen, wenn man Schaden nimmt

Innerer Frieden und dessen Ursachen

Was ist ein glücklicher Geist? Ein glücklicher Geist ist ein zufriedener und entspannter Geisteszustand, der eine langfristige und weitreichende Perspektive hat und sich durch nichts stören lässt. Mit einer solchen Grundlage können wir effizienter sein und unterscheiden, wie wir mit Problemen effektiver umgehen können, da es uns erlaubt, die Dinge klarer zu sehen. 

Innerer Frieden ist kein Zustand, in dem man einfach an nichts denkt. Auch wenn es uns ein gewisses Gefühl der Entspannung vermittelt, nichts zu denken, ist es nichts Besonderes. Selbst ein Kaninchen entspannt sich, wenn man es füttert, und nimmt gar fast die siebenteilige Sitzhaltung des Vairocana ein! Ein Kaninchen lässt sich allerdings auch sehr leicht aus der Ruhe bringen. Deshalb ist es keine Lösung, einfach nicht über Probleme nachzudenken. 

Auf der anderen Seite hat die Anhäufung materieller Dinge ihre Grenzen. Selbst wenn wir alle Gegenstände der Welt besäßen, wären wir trotzdem nicht zufrieden; wir würden immer noch mehr wollen. Ein weiterer limitierender Faktor bei materiellen Gütern ist, dass wir mit unserem Tod alles, was wir im Laufe unseres Lebens angesammelt haben, verlieren werden. Darum ist es am besten, von Anfang an ein Gefühl der Zufriedenheit zu entwickeln, wenn es um materielle Besitztümer geht. Bei Dingen, die keine solche Beschränkungen haben, wie zum Beispiel geistige Entwicklung, dürfen wir uns jedoch niemals mit dem zufriedengeben, was wir erreicht haben, sondern sollten uns immer weiterentwickeln, bis wir die Erleuchtung erreicht haben.

Selbst wenn wir ein schweres Trauma erleben, sollten wir uns nicht davon abhalten lassen, weiter an unserer Entwicklung zu arbeiten. Analysieren wir einmal, was wir erlebt haben, können wir sehen, dass es das Ergebnis unserer karmischen Potenziale war. Über bedingtes Leiden nachzudenken, erlaubt uns zu verstehen, dass wir, solange wir aufgrund unserer Ignoranz und störenden Emotionen – unsere wahren Feinde – weiterhin in Samsara wiedergeboren und traumatische Ereignisse erleben werden. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir ein solches Leid in einem menschlichen Körper erfahren und nicht in einem der anderen Bereiche.

Es ist, wie Geshe Potowa sagte: „Nichts daran ist überraschend, dass wir leiden. Letzten Endes werden wir mit störenden Emotionen geboren, da es ja diese sind, aus denen wir hervorgehen.“ 

Weitreichende Großzügigkeit

Um uns weiterzuentwickeln, ist es notwendig, die sechs weitreichenden Geisteshaltungen anzunehmen und zu erweitern. Großzügigkeit, die erste der sechs, wird in allen Religionen betont. Im Buddhismus unterscheidet man drei Arten:

  • Materielle Unterstützung leisten
  • Den Dharma geben
  • Freiheit von Furcht gewähren

Geben bedeutet, die Bereitschaft zu haben, etwas wegzugeben; zum Beispiel materielle Gegenstände. Es ist nicht einfach nur die Abwesenheit von Geiz, sondern auch ein Bewusstsein für die Vorteile des Gebens und die Probleme des Festhaltens. Shravakas und Pratyekabuddhas haben eine solche Großzügigkeit entwickelt, allerdings ohne das umfassende Bewusstsein der Bodhisattvas.

Diese drei Arten der Großzügigkeit werden in erster Linie von drei Arten von Personen praktiziert. Materielle Unterstützung ist in erster Linie eine Laienpraxis, während das Geben von Dharma-Unterweisungen hauptsächlich eine Praxis der Mönchsgemeinschaft ist. Für Laienpraktizierende mit großem Einfluss und Reichtum besteht die Praxis der Großzügigkeit darin, Leben zu retten, zum Beispiel durch den Freikauf von Schlachttieren. 

Wir können ebenso großzügig mit unserem Körper umgehen, beispielsweise indem wir unsere Organe spenden, wenn wir sterben. Auch zu Lebzeiten können wir eine Niere oder unsere Augenhornhaut spenden, und das nicht nur an unsere Verwandten. Gleichzeitig sollten wir, wenn wir etwas spenden, den Zweck sowie den geeigneten Gegenstand und Zeitpunkt kennen. Aus diesem Grund würden wir zum Beispiel einem Mönch oder einer Nonne kein Abendessen anbieten, da sie das Gelübde abgelegt haben, nach dem Mittagessen nichts mehr zu essen. Auch würden wir einer an Hepatitis leidenden Person keine fetthaltigen Speisen anbieten. Mit anderen Worten: es ist wichtig, nichts zu geben, was anderen schaden könnte, wie zum Beispiel Waffen oder Gift. In einigen Fällen kann eine giftige Substanz natürlich auch als heilende Medizin für eine kranke Person dienen, wie beispielsweise bei Schlangengift. Ebenso ist es unangebracht, Land zu verkaufen, das für die Aufzucht von Schlachttieren verwendet werden wird, wie z.B. für eine Fischerei oder Geflügelfabrik.

Wenn es möglich wäre, jemandem unser Gehirn zu spenden, der anderen mehr Nutzen bringen kann als wir selbst, dann wäre das in Ordnung. Das funktioniert aber nur, wenn wir eine Ebene erreicht haben, auf der wir unser Gehirn oder unseren ganzen Körper darbringen können, ohne dass es uns geistiges Leid verursacht oder unser Bodhichitta geringer werden lässt. Wenn wir allerdings nicht auf dieser Ebene sind, können wir von solchen außergewöhnlichen Taten der Großzügigkeit absehen.

Dharma-Unterweisungen zu geben, beschränkt sich nicht nur darauf, auf einem Thron zu sitzen, sondern auch gute Ratschläge zu geben und in jeder Art von Schule zu unterrichten, allerdings mit einer reinen Motivation. Wenn wir anderen Ratschläge oder Belehrungen erteilen, zum Beispiel über Güte und Verantwortung, ist es wichtig, dass wir diese Eigenschaften selbst verkörpern. Das hinterlässt dann einen starken Eindruck bei anderen.

Bücher zu schreiben und zu veröffentlichen ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt der Großzügigkeit in Bezug auf das Geben des Dharma. Wenn wir jemandem den Dharma lehren, müssen wir allerdings sicherstellen, dass das, was wir lehren, relevant ist und zur Veranlagung der Person passt. Einmal geschah es, dass ein buddhistischer Meister einen König lehrte, dass alle Phänomene leer sind, was der König als Anschuldigung missverstand, dass auch er selbst nichts sei. Er sah darin eine Herausforderung seiner Autorität und ließ den Meister dann wegen Hochverrats enthaupten!

Freiheit von Furcht zu gewähren, beinhaltet die Freilassung von Menschen, die zu Unrecht inhaftiert wurden, die Rettung bedrohter Tierarten, die Unterstützung von Amnesty International, den Einsatz gegen die Todesstrafe, die Teilnahme an Friedensbewegungen, die Einrichtung von Tierschutzgebieten, in denen nicht gejagt und gefischt werden darf, und die Unterstützung von Menschenrechtsgruppen. Vegetarier zu sein, aus Mitgefühl für das Leben der Lebewesen und nicht nur für unsere eigene Gesundheit, ist ebenfalls eine Praxis der Großzügigkeit und Gewaltlosigkeit; die Arbeit als Arzt, Krankenschwester oder Sozialarbeiter in einem Altenpflegeheim oder einer Schule für Blinde oder Behinderte genauso. Wir können uns auch um Hospiz-Patienten kümmern, die an AIDS oder Krebs sterben, oder die Opfer von Erdbeben, Hungersnöten und Überschwemmungen unterstützen.

All diese Handlungen der Großzügigkeit hängen jedoch von unserer Motivation ab. Wenn wir aus Stolz oder Wettbewerbsdenken heraus geben, ist all die positive Kraft, der „Verdienst“, der aufgebaut wurde, völlig verschwendet. Geben wir immer nur an Freunde und Familie und nie an unsere Gegenspieler oder Menschen, die wir nicht mögen, ist unser Motiv offensichtlich einseitig und nicht angemessen. Wenn wir den Dharma geben oder Leben retten würden, nur weil wir Dank, Anerkennung oder eine andere Gegenleistung erwarten, wäre das nicht richtig. Streben wir nach Ruhm, da wir beispielsweise den Nobelpreis gewinnen wollen, ist unsere Praxis der Großzügigkeit völlig umsonst. Wenn wir etwas Kleines in der Hoffnung geben, im Gegenzug etwas Größeres zu erhalten, haben wir nur das Denken eines Geschäftsmannes. Selbst wenn wir in der Hoffnung geben, dass das karmische Resultat unser eigener Reichtum und Wohlstand in zukünftigen Leben sein wird, ist dies ein weiteres Beispiel für eine Handlung mit Hintergedanken.

Wenn wir etwas geben, sollten wir nicht nur das Objekt, sondern auch das Resultat des Gebens dem zukünftigen Nutzen aller begrenzten Wesen widmen. Wir sollten ohne jede Erwartung Großzügigkeit praktizieren. Gebt mit Respekt vor dem Empfänger, ohne ihn als niedriger oder höher in Bezug auf euch selbst zu betrachten. Ist der Empfänger jemand, der sich für etwas Besonderes hält, denkt daran, dass auch wir selbst oft denken, etwas Besonderes zu sein. Gebt mit Freude an die zehn unterschiedlichen Arten von Empfängern unserer Großzügigkeit: Freunde; Fremde; Feinde; Menschen mit guten Eigenschaften; Menschen mit Fehlern; Menschen, die höher, niedriger oder mit uns gleichgestellt sind; Menschen, die glücklich sind; und Menschen, die von Leid geplagt sind.

Wenn wir unseren Gegenspielern oder denen, die wir nicht mögen, etwas geben, sollten wir dies ohne Feindseligkeit und mit besonderer liebevoller Güte tun; wenn wir Freunden und Verwandten etwas geben, dann ohne Anhaftung; geben wir Fremden etwas, dann ohne Gleichgültigkeit; wenn wir jenen etwas geben, die gute Eigenschaften haben, sollten wir dies ohne Neid tun; wenn wir jenen etwas geben, die niedriger sind als wir, dann ohne auf sie herabzublicken, und so weiter. Jedem ist mit einer angemessenen Haltung zu begegnen.

Kurz gesagt: wir stellen jedem Akt der Großzügigkeit ein altruistisches Motiv vorne an, halten diese Haltung während des Aktes aufrecht und vollenden die Handlung, indem wir die positive Kraft widmen. All dies tun wir in dem Bewusstsein, dass Geber, Empfänger und das gegebene Objekt frei von in sich selbst begründeter Existenz sind.

Wir können unsere altruistische Motivation jeden Morgen aufbauen, vor allem wenn es uns schwerfällt, unsere Motivation vor jeder Handlung zu bestärken. Wir können denken: „Heute werde ich meinem Leben einen Sinn geben.“ Dann versuchen wir, uns im Laufe des Tages an unsere altruistische Einstellung zu erinnern, sie aufrechtzuerhalten und uns dieser zu vergegenwärtigen. Am Abend lassen wir die positiven, altruistischen Handlungen, die wir tagsüber vollbracht haben, Revue passieren und freuen uns darüber, während wir die negativen, egoistischen Dinge, die wir getan haben, bedauern und versuchen, sie nicht zu wiederholen.

Weitreichende ethische Selbstdisziplin

Ethische Selbstdisziplin ist die Geisteshaltung, die uns davon abhält, die Absicht zu entwickeln, anderen Schaden zuzufügen und eine Handlung auszuführen, mit der wir dies tatsächlich auch umsetzen. Es ist die Geisteshaltung, sich stattdessen positiven Handlungen zu widmen, die anderen einen Nutzen bringen. Auf diese Weise vermeiden wir es, eine selbstbezogene Einstellung zu entwickeln. Das bedeutet allerdings nicht, unsere eigenen Ziele vernachlässigen zu müssen. Von einer Handlung der Selbstbezogenheit abzusehen, dient dazu, weiter in Richtung unseres eigenen Ziels, der Erleuchtung, zu arbeiten. 

Man unterscheidet drei Arten von ethischer Selbstdisziplin, welche die gesamte Praxis eines Bodhisattvas umfassen:

  • Die ethische Selbstdisziplin, sich von destruktivem Verhalten zurückzuhalten
  • Die ethische Selbstdisziplin, Konstruktives zu tun
  • Die ethische Selbstdisziplin, anderen zu helfen

Die Reihenfolge dieser drei ist festgelegt. Als Bodhisattva übt man ethische Selbstdisziplin, um allen Wesen zu helfen, ihre eigenen Ziele zu erreichen. Um dies zu tun, müssen wir unsere eigenen Fähigkeiten so weit wie möglich entwickeln; eine gute Motivation allein reicht nicht aus. Wir können anderen dabei helfen, vorübergehendes Glück – das einer menschlichen Wiedergeburt – oder aber das letztendliche Glück der Befreiung und Erleuchtung zu erlangen. Dafür müssen wir allerdings den Prozess, der dazu führt, kennen. Dabei geht es nicht nur darum, die Überlieferungslinie oder die Geschichte der Lehren zu kennen. Es ist ein Verständnis über den Prozess aus unserer eigenen persönlichen Erfahrung bei der Praxis der Methoden, das wir benötigen. Dies erreichen wir, indem wir die guten Eigenschaften, über die wir momentan noch nicht verfügen, entwickeln und diejenigen stärken, die wir bereits entwickelt haben. Darin besteht die ethische Selbstdisziplin, Konstruktives zu tun.

Dafür ist es wichtig, uns auf der anderen Seite von den negativen Eigenschaften zu befreien, die wir bereits entwickelt haben, und jene nicht zu entwickeln, die wir noch nicht haben. Das ist die ethische Selbstdisziplin, destruktives Verhalten zu meiden.

In seiner „Abhandlung in 400 Versen“ rät Aryadeva:

(VIII.15) Wende dich zunächst von nichttugendhaften Handlungen ab.

Dies bezieht sich auf Handlungen, die das Resultat unserer störenden Emotionen sind. Deshalb gilt es zunächst, davon Abstand zu nehmen, unter dem Einfluss von störenden Emotionen zu denken, sprechen und zu handeln. Dies ist die ethische Selbstdisziplin, destruktives Verhalten zu meiden. Auf dieser Grundlage entwickeln wir dann die Gegenkräfte, die den störenden Emotionen entgegenwirken und sie beseitigen: die drei höheren Schulungen. Diese zu entwickeln, erfordert die ethische Selbstdisziplin, Konstruktives zu tun. Um anderen zu helfen, müssen wir ihre Bedürfnisse kennen und wissen, wie wir ihnen helfen können; was sie annehmen und wovon sie sich trennen müssen. Dies zu erkennen, erfordert unterscheidendes Gewahrsein, damit wir die ethische Selbstdisziplin aufbringen können, anderen zu helfen. 

Die ethische Selbstdisziplin, sich von destruktivem Verhalten zu lösen

Die ethische Selbstdisziplin, sich von destruktivem Verhalten zu lösen, beinhaltet das Ablegen und Einhalten der Pratimoksha- (individuelle Befreiung), Bodhisattva- und der tantrischen Gelübde. Die ersten beiden haben das Gelübde, destruktives Handeln zu unterlassen, gemeinsam. Ohne die Pratimoksha-Gelübde würden wir die zehn destruktiven Handlungen nicht aufgeben. Für Laienpraktizierende gibt es das eintägige Pratimoksha-Gelübde und die lebenslangen Upasaka- bzw. Upasika-Gelübde. Für Mönche gibt es die volle Ordination und die Novizengelübde.

Um die Bedeutung der Pratimoksha-Gelübde zu verstehen, brauchen wir nur die großen buddhistischen Meister zu betrachten. Zum Beispiel waren unter den fünf Sakya-Meistern die drei „weißen Meister“ [Sachen Künga Nyingpo, Sönam Tsemo und Dragpa Gyaltsen] Laienpraktizierende mit den fünf Upasaka-Gelübden, und die zwei „roten Meister“ [Chögyel Phagpa und Sakya Pandita] waren voll ordinierte Mönche (Skt. bhikṣu). Marpa, Milarepa und Rechungpa waren Laienpraktizierende, während Gampopa und der erste Karmapa Mönche waren. Im indischen Nalanda gab es vermutlich auch einige Laienpraktizierende, obwohl die meisten Studierenden dort Mönche waren. Nagarjuna, Aryadeva und die engen Schüler des Buddha usw. waren alle Mönche; genauso auch Shantarakshita und Kamalashila. Dromtönpa war ein zölibatärer Upasaka.

Ein Halter des Dharma zu sein bedeutet, auch ein Halter des Tripitaka und dessen Inhalt zu sein. Der vollständigste und umfassendste Weg, dies zu tun, ist der eines vollordinierten Mönchs. Das Mindeste, was man tun muss, ist, ein Laienpraktizierender zu sein, der alle Upasaka- bzw. Upasika-Gelübde hält. In beiden Fällen ist es notwendig, alle drei Gelübde einzuhalten: Pratimoksha-, Bodhisattva- und die tantrischen Gelübde.

In der Praxis des Dharma streben wir nach der Befreiung von Leid und nehmen Zuflucht zum Nirvana. Um Nirvana, die Befreiung, zu erlangen, gilt es, alle unsere störenden Emotionen zu überwinden, denn sie sind unsere wahren Feinde. Um uns von diesen zu befreien, brauchen wir diese drei Gruppen von Gelübden, denn sie alle haben die Beseitigung störender Emotionen zum Ziel. Es ist wichtig, zu verstehen, dass unsere destruktiven Handlungen aus unseren störenden Emotionen hervorgehen; dann können wir von den zehn destruktiven Handlungen Abstand nehmen. 

Die ethische Selbstdisziplin, Konstruktives zu tun

Die ethische Selbstdisziplin, Konstruktives zu tun, beinhaltet den Aufbau der beiden Netzwerke (zwei Ansammlungen) von positiver Kraft (Verdienst) und tiefem Gewahrsein (Weisheit), sprich: das Entwickeln von Methode und Weisheit. Die Methode auf der einen Seite beinhaltet die Entwicklung von Liebe und Mitgefühl, und Weisheit heißt, ein Verständnis von Leerheit und Unbeständigkeit zu erlangen. Was die störenden Emotionen betrifft, die es zu beseitigen gilt, so entstehen einige auf der Grundlage einer verzerrten Ansicht und andere automatische ohne eine solche Ansicht.

Zu denen, die auf der Grundlage einer verzerrten Sichtweise entstehen, gehören das Greifen nach einem statischen, teilelosen, unabhängig existierenden Selbst, eine extreme Auffassung, das Festhalten an einer verblendeten Auffassung als die beste Auffassung und sich an verblendeter Moral bzw. Verhalten als die beste Moral festzuklammern. Diese entstehen außerdem aufgrund eines inkorrekten unterscheidenden Gewahrseins. Sie sind in gewisser Weise stärker als diejenigen, die nicht auf einer verzerrten Ansicht beruhen, da sie ein gewisses Maß an Gewissheit und Überzeugung haben – wir haben das Gefühl, dass sie auf Vernunft beruhen.

Es gibt Gegenmittel für störende Emotionen, die mit diesen Ansichten verbunden sind, und für jene, die es nicht sind. Einige reduzieren sie lediglich, und andere beseitigen sie vollständig. Zum Beispiel reduzieren Liebe und Mitgefühl unseren Ärger. Wenn wir die Makel und Fehler darin sehen, was wir uns als so schön vorstellen, wird unser Verlangen weniger, wenn wir dessen Hässlichkeit wahrnehmen. Dies funktioniert allerdings nicht bei den störenden Emotionen, die auf einer verzerrten Ansicht beruhen. Um ihnen entgegenzuwirken, brauchen wir eine korrekte Sichtweise mit einer Art von Wahrnehmung, die demselben Objekt gegenüber genau das Gegenteil ist. Das Gegenmittel, das unsere störenden Emotionen vollständig beseitigt, ist die nichtbegriffliche völlige Vertiefung (meditative Ausgewogenheit) in die Leerheit. Die Dinge anders zu sehen – zum Beispiel das, was wir für schön halten, als hässlich anzusehen – ist etwas, das wir nur während der nachfolgenden Phase des Erlangens (Periode der Nachmeditation) anwenden können. Das allein ist jedoch nicht ausreichend. Wir benötigen das tiefe Gewahrsein der Leerheit in völliger Vertiefung.

Die Meditation ist also eine der wesentlichen Praktiken der ethischen Selbstdisziplin, Konstruktives zu tun. Sie ist eine Methode, sich mithilfe von Anstrengung in einem förderlichen Geisteszustand zu üben. Das Erreichen eines förderlichen Geisteszustandes geschieht nicht von selbst, einfach so ohne Anstrengung. Im Kontext dieser Diskussion bezieht sich dieser förderliche Zustand auf das Erlangen einer richtigen Sichtweise, und das mithilfe von nichtbegrifflicher meditativer Vertiefung in die Leerheit.

Es gibt zwei Möglichkeiten, unseren undisziplinierten Geist zu disziplinieren, um den förderlichen Zustand eines richtigen Verständnisses von Leerheit zu entwickeln. Die eine besteht darin, feste Überzeugung in die Wahrheit der richtigen Sichtweise zu erlangen. Die andere Möglichkeit beruht auf der bloßen Annahme, dass diese wahr ist. Lediglich durch gründliche Untersuchung und Analyse können wir an einen Punkt kommen, an dem unser Verständnis und unsere Überzeugung davon nicht mehr ins Wanken geraten. Sobald wir diese feste Überzeugung erlangt haben, können wir uns ganz auf die richtige Sichtweise konzentrieren. 

Aber wie beschreiben wir den Geisteszustand, den wir in der meditativen Vertiefung in die richtige Sichtweise der Leerheit erreichen möchten, insbesondere in Bezug auf den Geist klaren Lichts? Bis wir die fortgeschrittenen Ebenen erreicht haben, müssen wir uns auf Bücher als unsere Lehrmeister stützen. Wir können erst dann auf die „Dharma-Lehren der Verwirklichung“ (tib. rtogs-bstan) zugreifen, nachdem wir uns auf die „Dharma-Lehren der Schriften“ (tib. lung-bstan) im Tripitaka gestützt haben.

In der Sakya-Tradition wird das klare Licht im Sinne des „ursächlichen Kontinuums, welches die Alaya-Grundlage von allem ist“ (tib. kun-gzhi rgyu’i rgyud, das immerwährende ursächliche Kontinuum der alles umfassenden Grundlage) erklärt.

[Das ursächliche Kontinuum, Alaya, ist ein „wesentlicher Faktor für einen So-Gegangenen (tib. de-gshegs snying-po, Skt. tathāgatagarbha; wörtlich: „Schoß für einen Tathāgata“), ein Faktor der Buddha-Natur. Es bezieht sich auf den Geist klaren Lichts, welcher, wenn er sich manifestiert, all die unreinen Erscheinung hervorbringt. Als solcher ist er die „Grundlage, die bereinigt werden muss“.]

Jamyang Khyentse Wangchug sagt in der Übertragung des „Lobshe“ (tib. slob-bshad, „Erklärungen für fortgeschrittene Schüler“) innerhalb des „Lamdre“ („Pfad und dessen Resultate“), dass dieses ursächliche Kontinuum des Alaya ein konventionelles bzw. oberflächlich wahres Phänomen ist, das sowohl ein beeinflusstes (bedingtes, nichtstatisches) Phänomen als auch eine Art ist, sich etwas gewahr zu sein. Das klare Licht als Objekt ist sehr schwer zu erreichen und manifestiert sich, da es jenseits von Sprache und Konzepten liegt, niemals als „Objekt“ als solches. Obwohl sich das ursächliche Kontinuum, die Alaya-Grundlage von allem, als der Geist klaren Lichts manifestiert, wenn der Zustand des klaren Lichts erreicht ist, und in diesem Zustand reine Erscheinungen hervorbringt, ist dies nicht etwas, das transformiert oder als Pfad verwendet werden kann.

Mangthö Ludrub Gyatso, der wie Khyentse Wangchug ein Schüler von Tsarchen Losel Gyatso war, erklärte, dass dieses ursächliche Kontinuum des Alaya ein letztendliches Phänomen ist, und bezeichnete es als letztendliche allumfassende Grundlage (tib. mthar-thug-gi kun-gzhi), da es letztlich die Quelle aller Erscheinungen, ob rein oder unrein, ist.

Der Nyingma-Meister Longchen Rabjampa sieht in seiner „wunscherfüllenden Schatzkammer“ (tib. Yid-bzhin mdzod) den Geist klaren Lichts als letztendliches Phänomen an, wenn er sich auf reines Gewahrsein (tib. rig-pa) bezieht, und als konventionelles Phänomen, wenn er von vorübergehenden Befleckungen verdunkelt ist. Im Kontext des Guhyasamaja-Tantras wird der Geist klaren Lichts als tiefste Wahrheit und der Illusionskörper als konventionell angesehen. Das sind demnach drei verschiedene Arten, wie der Begriff „letztendlich“ bzw. „am tiefsten“ in Bezug auf den Geist klaren Licht verwendet wird. Einige indische und tibetischen Meister geben überhaupt keine schlüssige Erklärung dafür.

Deshalb müssen wir, obwohl wir eine reine Sicht auf solche großen Persönlichkeiten behalten sollten, prüfen, was genau sie lehren. Mit anderen Worten, wir brauchen Unterstützung von den vier Verlässlichkeiten (tib. rton-pa bzhi):

  • Verlasse dich nicht auf die Personen, sondern auf deren Lehre
  • Verlasse dich nicht auf ihre Worte, sondern auf deren Bedeutung
  • Verlasse dich nicht auf ihre interpretierbare Bedeutung, sondern auf ihre endgültige Bedeutung
  • Verlasse dich nicht auf gewöhnliches Bewusstsein, sondern auf tiefes Gewahrsein

Es ist schwierig, Meditation in der Gesellschaft zu praktizieren; nicht wegen der Gesellschaft selbst, sondern wegen unserer eigenen mangelnden Vertrautheit mit Meditation. Schließlich sind erfahrene, große Praktizierende in der Lage, einwandfrei zu meditieren, während sie in der Gesellschaft leben, und sie sind dabei dazu fähig, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Für diejenigen von uns, die noch nicht auf dieser Ebene sind, brauchen wir geeignete, förderliche Umstände, um die ethische Selbstdisziplin zu entwickeln, Positives zu tun, wie zum Beispiel zu meditieren. Es ist wichtig, unsere Sinne zu schützen, damit wir nicht mit Dingen in Berührung kommen, die störende Emotionen in uns hervorrufen. Daher wird geraten, in Abgeschiedenheit zu meditieren. 

Eine teilnahmsvolle Haltung (tib. bag-yod) zu haben, bedeutet nicht, dass wir unsere Freiheit aufgeben oder einschränken müssen. Was wir brauchen, ist eine teilnahmsvolle Haltung uns selbst gegenüber, um auf uns aufzupassen und vorsichtig zu sein, wie wenn wir krank sind. Deshalb ist die Praxis der Selbstdisziplin keine nutzlose Einschränkung. So wie wir auf bestimmte Nahrungsmittel verzichten, wenn wir krank sind, wenden wir auch Selbstdisziplin an, indem wir die kurz- und langfristigen Vorteile davon sehen. Ethische Selbstdisziplin wird uns nicht von außen aufgezwungen; wir selbst erkennen ihren Zweck und praktizieren sie daher von uns aus.

Um uns in ethischer Selbstdisziplin zu üben, ist es wichtig, unseren geistigen Griff mit Vergegenwärtigung (tib. dran-pa) zu stärken, damit er uns nicht entgleitet, und zu kennen, was wir annehmen bzw. vermeiden müssen. Ebenso benötigen wir die Kraft der Wachsamkeit (tib. shes-bzhin), welche uns erlaubt, zu erkennen, ob unsere Handlungen des Körpers, der Rede und des Geistes angemessen sind oder nicht. Wir sollten dabei daran denken, dass wir buddhistische Praktizierende sind und es unser Ziel ist, unsere störenden Emotionen zu beseitigen. Mit dieser Entschlossenheit entwickeln wir dann Vergegenwärtigung und Wachsamkeit. Andernfalls werden wir, wenn wir uns schlecht verhalten, es erst im Anschluss bemerken und uns dann dafür schämen.

Es ist wichtig, maßvoll beim Essen zu sein, denn übermäßiges Essen stumpft den Geist ab. Essen wir zu viel, nehmen wir natürlich auch an Gewicht zu, das wir dann wie eine schwere Last herumtragen müssen! Wir brauchen also Selbstdisziplin. Es ist hilfreich, wenn wir eine Art von Yoga praktizieren. Das ist jedoch schwierig, wenn wir morgens lange schlafen. Am besten ist es, den frühen Morgen für die Praxis zu nutzen, wenn der Geist klar ist. Um früh aufstehen zu können, müssen wir es uns allerdings abgewöhnen, spät nachts noch herumzuwandern!

In der „Sammlung spezieller Themen des Wissens“ (tib. Chos mngon-pa kun-las btus pa, Skt. Abhidharmasamuccaya) stuft Asanga den Schlaf als einen veränderbaren Faktor ein: Er kann je nach Motivation konstruktiv oder destruktiv sein. Wir können mit einer positiven Motivation schlafen gehen, beispielsweise mit dem Gedanken: „Morgen früh werde ich aufstehen und Niederwerfungen machen.“ Im Tantra gibt es bestimmte Traumpraktiken, die man mithilfe von Motivation oder der subtilen Energiewinde durchführt. Um jedoch den Geist klaren Lichts aufrechtzuerhalten, während wir träumen, müssen wir uns zunächst bewusst werden, dass wir in jenem Moment träumen. Sind wir in der Lage, das klare Licht während des Träumens zu erkennen, wird uns das auch zum Zeitpunkt unseres Todes leichter fallen.

Bezüglich unserer täglichen Praxis versuchen wir, alles – einschließlich unserer Träume – zu einer konstruktiven Praxis zu machen. Beim Essen können wir zum Beispiel unsere Speisen und Getränke den Drei Juwelen darbringen, unsere Essensreste den Insekten geben und unseren Speichel und Urin als Gaben für Preta-Geister verwenden. Um unserem Leben Sinn zu geben, ist es das Wichtigste, unsere Vergegenwärtigung von Bodhichitta und Leerheit aufrechtzuerhalten. Alle Schriften sind Zeugen dieses Punktes. Das ist es, worin die ethische Selbstdisziplin, Konstruktives zu tun, besteht.

Die ethische Selbstdisziplin, anderen zu helfen

Was die ethische Selbstdisziplin betrifft, anderen zu helfen, so gibt es elf Wege, dies zu tun. Dafür gibt es viele Schriftquellen, darunter Shantidevas „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“, sein „Kompendium von Schulungen“ (tib. bSlab-btus, Skt. Śikṣāsamuccaya) und das Kapitel über ethische Selbstdisziplin in Asangas „Bodhisattva-Stufen“ (tib. Byang-sa, Skt. Bodhisattvabhūmi). All diese Werke enthalten eine Vielzahl von Versen, die man in diesem Kontext zitieren könnte. Gerade habe ich die Liste der elf Wege aus dem Lamrim des fünften Dalai Lama, „Manjushri’s Unterweisung“ (tib. ’Jam-dpal zhal-lung) vor mir. Diese elf sind wie folgt:

  1. Hilf generell denen, die leiden; schütze ihre Bleibe und ihren Besitz; versorge Kranke mit medizinischer Hilfe und gib jenen mit einer Sehschwäche eine Brille und den Gehbehinderten Prothesen und Rollstühle usw.
  2. Lehre deinen Nächsten konstruktive Fertigkeiten, um seinen Lebensunterhalt angemessen verdienen zu können, und nicht etwa mit einer Geflügelfabrik.
  3. Gib materielle Dinge und überbringe Einladungen, beispielsweise zum Essen.
  4. Hilf jenen, die wilden Tieren ausgesetzt sind.
  5. Hilf und tröste jene, die großem Unglück ausgesetzt sind, wie zum Beispiel jene, die von ihren Eltern getrennt wurden, die einen geliebten Menschen verloren haben oder die beraubt wurden. Hilf auch jenen, die sich oft beklagen. Atishas Koch, Ame Jangchub beschwerte sich einst bei Dromtönpa: „Ich muss die ganze Zeit kochen und habe überhaupt keine Zeit für meine Praxis!“, woraufhin Dromtönpa antwortete: „Und ich muss die ganze Zeit Übersetzen.“ Dromtönpa fuhr fort, dass die beste Praxis für ihn darin bestand, Atisha zu dienen, solange dieser noch lebte, und konnte Ame Janchub so ermutigen. Deshalb sollten wir denen, die sich bei uns beschweren, helfen, indem wir unsere Beschwerden mit ihnen teilen und dann anschließend sagen: „Und doch…“, und dann einen Ratschlag geben. Ständig nur auf sie herabzuschauen wäre arrogant. So können wir also den von Unglück Geplagten helfen.
  6. Gib den Bedürftigen zu essen und zu trinken und den Benachteiligten materielle Hilfe und Dharma. Rate ihnen niemals, dass sie andere betrügen sollten, um Geld zu verdienen.
  7. Gib jenen, die unsere Unterstützung suchen, Ratschläge, damit sie in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen. Dies beinhaltet die vier Wege, andere um sich zu versammeln.
  8. Wenn andere bzgl. ihrer konstruktiven Praxis entmutigt sind, teile ihre Sorgen und hilf ihnen, darüber hinwegzukommen.
  9. Lobe die positiven Eigenschaften anderer, auch wenn sie Fehler haben. Das ermutigt sie, ihre guten Eigenschaften weiterzuentwickeln. 
  10. Hilf jenen, die absichtlich destruktiv handeln, dadurch, dass du sie bestrafst, und sei, wenn nötig, strenger.
  11. Greife auf deine wundersamen Kräfte zurück, wenn es hilfreich ist und du über solche verfügst; auch wenn alles, was wir momentan beherrschen, vielleicht nur ein paar Zaubertricks sind! 

Kurz gesagt, die ethische Selbstdisziplin, anderen zu helfen, besteht darin, ihnen entsprechend ihrer Situation und ihren Veranlagungen usw. zu helfen.

Weitreichende Geduld

Die weitreichende Geduld wird am besten in Shantidevas „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ beschrieben. Dort spricht er von drei Arten:

  • Die Geduld, sich nicht davon stören zu lassen, wenn man Schaden nimmt
  • Die Geduld, Leiden bereitwillig zu akzeptieren
  • Die Geduld, schwierige Umstände durchzustehen, während man sich der Dharma-Praxis widmet

Die Geduld, sich nicht davon stören zu lassen, wenn man Schaden nimmt

Shantideva schrieb Folgendes über Geduld:

(V.13) Wo könnte ich je genügend Leder herbekommen, um die gesamte Erdoberfläche mit Leder zu bedecken? Aber wenn ich das Leder einfach auf meinen Schuhsohlen trage, ist das gleichbedeutend mit dem Bedecken der ganzen Erdoberfläche.
(V.14) In gleicher Weise ist es mir nicht möglich, mich vor äußeren Ereignissen zu schützen; aber wenn ich mich selbst vor meinem eigenen Geist schütze, welche Notwendigkeit besteht dann, irgendetwas anderes abzuwehren?

Mit anderen Worten: Mit Geduld werden wir nicht alle Feinde und Störenfriede los. Sie ist jedoch die Geisteshaltung, welche uns unseren Ärger überkommen lässt und mit der wir auch unter widrigen Umständen ruhig bleiben können. So wie wir unsere Füße mit Leder bedecken, anstatt die ganze Welt damit auszulegen, so werden wir uns, wenn wir unseren Geist mit Geduld schützen, durch nichts stören lassen, auch wenn wir Schaden nehmen.

Shantideva nennt eine Vielzahl an Methoden für die Entwicklung von der Geduld, sich nicht davon stören zulassen, wenn man Schaden nimmt. Zum Beispiel schreibt er:

(VI.87) Selbst wenn dein Feind keine Freude erlebt, welchen Grund gibt es dann für dich, dich darüber zu freuen? Dein bloßer Wunsch, ihm zu schaden, wird keine Ursache dafür sein, dass ihm [irgendein] Leid widerfährt.

Geduld ist frei von Zorn, selbst wenn uns oder unsere Angehörigen zu Schaden kommen. Wenn es unseren Feinden gut geht, sind wir normalerweise unzufrieden, und wenn sie leiden, macht uns das glücklich. Bei unseren Freunden und Verwandten ist es genau umgekehrt: Wir freuen uns, wenn es ihnen gut geht, und leiden, wenn sie traurig sind. Unser Gefühl von Schadenfreude, wenn unser Feind leidet, ist allerdings Nahrung für Ärger, und als Folge dieses Ärgers sind wir dann diejenigen, die leiden und unglücklich werden. 

Shantideva sagt Folgendes über die Notwendigkeit des Mitgefühls für diejenigen, die wütend sind:

(VI.37) Wenn Menschen unter dem Einfluss störender Emotionen sogar sich selbst töten – das, was sie so sehr lieben – wie sollte man dann von ihnen erwarten, dass sie den Körpern anderer Wesen kein Leid zufügen?
(VI.38) Wenn ich noch nicht einmal für solche Menschen hin und wieder Mitgefühl entwickeln kann, in denen derlei störende Emotionen emporsteigen, die sie dazu verleiten, solche Dinge zu tun, wie beispielsweise sich selbst zu töten, so kann ich doch wohl mindestens nicht [auf sie] ärgerlich werden.

Andere Menschen fügen uns Schaden zu, da sie unter dem Einfluss von Wut stehen.  Menschen, die extrem wütend sind, verletzen manchmal sogar sich selbst oder schikanieren schwächere Familienmitglieder. Solche Menschen verdienen unser Mitgefühl, nicht unseren Ärger. Uns sollte auch bewusst sein, dass wir genau dasselbe tun wie sie, wenn wir wütend sind. Selbstbeherrschung ist von äußerster Wichtigkeit. Wir müssen wissen, dass Menschen, die von Wut ergriffen sind, sich wie Verrückte verhalten und hilflos sind.

Darüber hinaus, wenn es dazu kommt, dass auch wir wütend werden, so ist das Objekt unserer Wut eigentlich inkorrekt. Shantideva sagt dazu Folgendes:

(VI.41) Die wirkliche [Ursache meines Schmerzes], das heißt den Knüppel und dergleichen außer Acht lassend: Wenn ich mich über den Menschen ärgern würde, der den Knüppel geschwungen hat, so müsste ich in der Tat [einsehen], dass [auch] er nebensächlich ist, da auch er lediglich vom Ärger angestachelt wurde. Es wäre demnach angemessener, sich über seinen Ärger zu ärgern.
(VI.43) Sowohl seine Waffe als auch mein Körper sind Ursachen für mein Leiden. Er hat die Waffe mitgebracht und ich meinen Körper; über wen sollte ich mich da ärgern?

Wenn uns jemand mit einer Waffe wie einem langen, schweren Stock schlägt, sollten wir Folgendes bedenken: Wenn man mit einem solchen Stock einen Stein schlägt, empfindet dieser keinen Schmerz. Wenn unser Körper jedoch von einem Stock geschlagen wird, empfinden wir durchaus Schmerz und wir leiden. Da wir unseren Körper zur Verfügung gestellt haben, ohne den ein Zielobjekt fehlen würde, und die andere Person den Stock, sind sowohl wir als auch die andere Person gleichermaßen für unseren Schmerz und unser Leiden verantwortlich.

Und warum werden wir nicht wütend auf den Stock, der uns den eigentlichen Schmerz zufügt? Wir sagen, es liegt daran, dass der Stock von der anderen Person manipuliert bzw. benutzt wird. Aber letztendlich wird die andere Person von ihren störenden Emotionen manipuliert und kontrolliert. Dennoch werden wir auf die Person wütend und nicht auf den Stock oder die störende Emotion.

Shantideva sagt ebenso: 

(VI.39) Selbst wenn es die Natur der kindischen Leute sein sollte, anderen Lebewesen Gewalt anzutun, wäre es deshalb dennoch genauso unangemessen, sich über diese Menschen zu ärgern, wie sich darüber zu ärger, dass es die Natur von Feuer ist, zu brennen.
(VI.40) Und selbst wenn dieses Fehlverhalten stattdessen von vergänglicher Natur wäre und die begrenzten Wesen ihrer Natur nach liebenswert wären, so wäre es dennoch unangemessen, sich über sie zu ärgern, denn das wäre wie dem Himmel nachzutragen, dass Rauch in ihm emporsteigt.

Wenn wir glauben, dass die menschliche Natur unveränderlich ist, warum sollten wir dann wütend werden, wenn sich jemand entsprechend seiner Natur schlecht verhält? Das ist so, als würde man sich über Feuer ärgern, weil es heiß ist. Und wenn schlechtes Verhalten nur etwas Vorübergehendes ist, warum sollte man sich dann über Menschen ärgern, die sich schlecht verhalten, da dies ja nicht ihrer Natur entspricht?

Es gibt keinen Grund, sich über andere zu ärgern, die unserem Ansehen schaden. Shantideva sagt dazu: 

(VI.90) Lob und Ruhm, diese Zurschaustellung von Respektsbezeugungen, bringen weder positives Potenzial noch ein langes Leben hervor, und sie bringen auch keine körperliche Kraft oder Freiheit von Krankheiten hervor, und sie werden auch kein körperliches Wohlbefinden hervorrufen.

Wenn andere uns nicht direkt körperlich geschädigt haben, sondern versuchen stattdessen, unseren Ruhm und Status zu zerstören, gibt es auch dann keinen Grund, wütend zu werden. Wir sollten verstehen, dass lobende und rühmliche Worte einfach nur leere Worte sind. Werden wir berühmt, macht uns das nur aufgeblasen, wenn wir uns nicht selbst unter Kontrolle haben. Dromtönpa sagte, dass wir selbst dann bescheiden bleiben sollten, wenn sich die gesamte Weltbevölkerung vor uns verneigen würde.

Im Lojong-Geistestraining wird es sogar als etwas Nützliches betrachtet, wenn man diffamiert wird, denn so werden wir auf unsere Fehler aufmerksam. Wenn man uns ständig nur lobt, werden wir arrogant. Sich einen Namen gemacht zu haben und berühmt zu sein ist ein Hindernis für die Dharma-Praxis und lenkt uns nur ab. Wenn also ein Feind unseren Ruhm schädigt, sollten wir das als eine freundliche Tat ansehen, denn damit hilft er uns.

Wenn unsere Feinde versuchen, uns zu schaden, würden wir normalerweise wütend werden. Durch sie können wir uns jedoch in Geduld üben. Der Buddha, gute Freunde und gut erzogene Haustiere bieten uns keine solche Möglichkeiten, uns in Geduld zu üben. Geduld können wir nur mit ungezogenen Haustieren üben! Nicht einmal unsere Lamas geben uns eine solche Gelegenheit. Deshalb sollten wir unseren Gegenspielern dankbar sein.

Shantideva fügt dem hinzu:

(VI.109) Wenn ich sagen würde: „Aber er hatte gar nicht die Absicht, dass ich Geduld entwickle? Also sollte meinem Feind keine Ehre zuteilwerden!“; nun, wie kommt es dann, dass der heilige Dharma als etwas verehrt wird, das eine geeignete Ursache dafür ist, Geduld zu entwickeln?

Wir könnten dem obigen Argument entgegensetzen, dass unsere Gegenspieler eher die Absicht haben, uns zu schaden, als uns zu helfen. Aber dann überlegen wir nicht, wie uns die dritte edle Wahrheit oder die Befreiung helfen kann. Auch die Befreiung hat nicht die Absicht, uns zu helfen; warum also Zuflucht nehmen? Wenn wir leiden, hat die wahre Beendigung genauso wenig die Absicht, uns zu helfen. Diese ist jedoch wichtig, da sie einen Nutzen hat. Es ist dasselbe wie mit einem Gegenspieler.

Wir könnten weiter einwenden, die Tatsache, dass die wahre Beendigung nicht die Intention hat, uns zu schaden, sei nicht dasselbe wie bei einem Feind und dann denken, es sei bei einem Feind in Ordnung, Vergeltung zu üben. Aber gerade weil sie die Motivation haben, uns zu schaden, nennt man sie Feinde. Deshalb ermöglichen sie es uns, Geduld zu praktizieren.

Wenn wir versuchen, Vergeltung zu üben, wird uns das niemals helfen, unser Leid zu überwinden. In seiner „Ergänzung [zu Nagarjunas Wurzelversen] zum mittleren Weg“ (tib. dBu-ma-la ’jug pa, Skt. Madhyamakāvatāra) erklärt Chandrakirti:

(III.4) Wenn man mit Rache reagiert, wenn einem jemand Schaden zufügt, macht es die eigene Bitterkeit dann rückgängig, was bereits geschehen ist? Groll ist in diesem Leben zwecklos und führt sogar im Jenseits zu mehr Konflikten.

Sind wir auf unseren Feind wütend, wird das Leid, das wir bereits erfahren haben, keineswegs beseitigt. Ärgern wir uns darüber, führt das nur zu noch mehr Leid, bis zu dem Punkt, an dem wir nicht einmal mehr essen oder schlafen können. Für dieses zusätzliche Leiden sind wir dann selbst verantwortlich. Wenn wir uns dagegen in Geduld üben, wirkt das als Ursache für inneren Frieden. 

Kurz gesagt, wenn wir glücklich sind, versuchen wir zu denken, dass dies das Resultat unserer vergangenen konstruktiven Handlungen ist, und wünschen uns, dass es als Ursache für das Glück aller Wesen wirkt, denn dieser Gedanke verhindert, dass Arroganz in uns aufkommt. Wenn wir leiden, denken wir Folgendes: „Mögen dadurch all die Meere des Leidens anderer Wesen austrocknen.“

Nachdem wir nun diese Unterweisung erhalten haben, ist es wichtig, daran Freude zu haben. So schrieb auch Geshe Chekawa am Ende seines „Geistestraining in sieben Punkten“ (tib. Blo-sbyong don-bdun-ma):

Ich bat um die richtungsweisenden Anleitungen, um mein Greifen nach einem Selbst zu zähmen. Nun werde ich, selbst wenn ich sterbe, keinerlei Bedauern verspüren.

In ähnlicher Weise sollten wir denken: „Ich habe alle Unterweisungen erhalten, um mich von Selbstbezogenheit zu befreien. Nun werde ich, selbst wenn ich sterbe, zufrieden sein, dass ich alles erhalten habe, was ich brauche.“

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