Erörterung der 16 Aspekte der 4 Edlen Wahrheiten

Der buddhistische Pfad als Rahmen für die Vier edlen Wahrheiten 

Ich wurde gebeten, über die vier edlen Wahrheiten hinsichtlich des Vajrayana zu sprechen. Ihre Darstellung in der Vajrayana-Tradition kann auf zweierlei Weisen angegangen werden. Entweder kann man sie ausdrücklich so sehen, wie sie im Tantra präsentiert werden oder man kann den Vajrayana als etwas betrachten, was sich auf die tibetische Tradition des Buddhismus bezieht, der das Studium von Sutra und Tantra miteinander verbindet. 

Beginnen wir damit, wie sie in Sutra und Tantra gemeinsam gesehen werden. In der tibetischen Tradition werden sie für gewöhnlich auf diese Weise präsentiert. Diese Darstellung basiert auf der indischen Mahayana-Tradition eines bestimmten Textes von Maitreya, einem zukünftigen Buddha. Er verfasste zahlreiche Texte, unter anderem einen großen Kommentar zu den Prajnaparamita-Sutras oder den Sutras der Vollkommenheit der Weisheit, in dem es viele Details in Bezug auf den Pfad und all die Verwirklichungen gibt, die man auf dem Pfad zur Befreiung und Erleuchtung macht. Der Titel des Werkes wird als „Filigranschmuck der Verwirklichungen“ übersetzt, was auf die Vielzahl potenzieller Verwirklichungen auf dem Pfad hindeutet.

Sechzehn Aspekte der Vier edlen Wahrheiten

Die vier edlen Wahrheiten haben 16 Aspekte, vier für jede der Wahrheiten. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Meditation des Pfades, der sowohl zu Befreiung als auch zur Erleuchtung führt. Sprechen wir über Befreiung und Erleuchtung, so bezieht sich die Befreiung darauf, eine Anzahl von Schleiern, emotionalen Schleiern, zu überwinden, die den Geist bedecken. Dabei geht es um die störenden Emotionen und störenden Geisteshaltungen wie Wut, sehnsüchtiges Verlangen, Naivität, Unwissenheit, Verwirrung usw. sowie deren Tendenzen. Wenn wir sie alle und ihre Tendenzen, wie auch die karmischen Impulse, unter deren Einfluss zu handeln, überwinden, erlangen wir Befreiung. 

Eine Art und Weise, Befreiung zu erlangen, ist als ein Shravaka oder Hörer der Lehren, der im Wesentlichen dem so genannten „Hinayana“ oder bescheidenem Fahrzeug folgt, was nicht gerade ein schöner Name ist. Der Hinayana umfasst 18 Schulen und eine von ihnen ist der Theravada. Wir haben nicht wirklich einen Namen für alle 18 Schulen, doch wir sollten verstehen, dass der Theravada nur eine von ihnen ist. Außerdem können wir auch als ein Pratyekabuddha die Befreiung anstreben, der jemand ist, der in den dunklen Zeitaltern praktiziert, in denen es keine Buddhas gibt, die uns Belehrungen geben können. Sie arbeiten instinktiv und ohne irgendwelche Lehrer.

Wir können dem Pfad auf eine dieser zwei Weisen folgen, um Befreiung zu erlangen, oder wir können ihm als Teil des Bodhisattva-Pfades folgen. Als ein Bodhisattva würden wir Befreiung erlangen und darüber hinausgehen, um Erleuchtung zu verwirklichen. Dafür ist es nicht nur notwendig, diese emotionalen Schleier, die Befreiung verhindern, zu überwinden, sondern auch eine Anzahl tiefsitzender Schleier zu überwinden. Sie werden zwar in den verschiedenen philosophischen Schulen des Buddhismus unterschiedlich beschrieben, aber wir können sie hier als kognitive Schleier bezeichnen. Das sind die Schleier, die uns daran hindern, Allwissenheit zu erlangen. 

Störende Emotionen und Geisteshaltungen beruhen auf Verwirrung hinsichtlich der Realität, Verwirrung darüber, wie wir und wie alles existiert. Das Problem ist, dass unser Geist Dinge auf falsche und verwirrende Weise erscheinen lässt, als wäre alles solide und kompakt. Es ist so, als wäre alles von einer Plastikhülle umgeben oder mit einer dicken Linie umrandet und würde es damit zu etwas Individuellem und Getrenntem von allem anderen machen. Wir denken, wir würden auf diese Weise existieren und wir denken auch: „ich bin der Mittelpunkt des Universums“ und alles andere wäre „da draußen“, abgegrenzt durch dicke Linien. Das ist natürlich ziemlich verwirrend. Weil wir daran glauben, handeln wir auf jede nur erdenkliche unangemessene und bedauerliche Weise. Um Erleuchtung zu erlangen, müssen wir diesen Aspekt des Geistes überwinden, der Dinge auf diese verwirrende Weise erscheinen lässt, und mit dem wir nicht sehen, wie alles miteinander verbunden ist. Dieser Aspekt bezieht sich auf die ständigen Gewohnheiten der störenden Emotionen und Geisteshaltungen. Diese bilden die kognitiven Schleier.

Wenn wir nicht sehen können, wie alles miteinander verbunden ist, können wir nicht wirklich verstehen, wie wir allen tatsächlich helfen können. Um allen helfen zu können, ist es notwendig, jede Kleinigkeit zu verstehen, die jede Person seit anfangsloser Zeit beeinflusst hat – all die verschiedenen Faktoren in Bezug darauf, was jedes Wesen in früheren Leben getan hat, was ihnen passiert ist, all die historischen Faktoren, die einen Einfluss auf sie hatten und so weiter. Alles steht miteinander in Beziehung. Wenn wir einer Person etwas beibringen, sollten wir auch wissen, was die Auswirkungen davon sein werden. Wie wird sich das nicht nur auf diese Person, sondern auf alle auswirken, die dieser Person von jetzt bis zu ihrer Befreiung begegnen. Das ist natürlich nicht so leicht zu verstehen. Wenn unser Geist Dinge in diesen kleinen Plastikverpackungen erscheinen lässt, sehen wir nicht die Beziehung zwischen ihnen. Wir können nicht wirklich all die Ursachen durchschauen, warum etwas mit jemandem passiert und welche Auswirkungen unser Umgang mit anderen haben wird.

Das müssen wir überwinden, um Buddhaschaft zu erlangen. Das sind kognitive Schleier. Was sie verschleiern, ist die Buddha-Natur, die Natur des Geistes, die in der Lage ist, alles zu verstehen und alle Zusammenhänge zu erkennen. Als ein Bodhisattva müssen wir nicht nur all die störenden Emotionen und Verwirrungen überwinden, sondern auch, dass unser Geist diese verwirrenden, falschen Erscheinungen projiziert. Der Geist erschafft diese falschen Erscheinungen und wir glauben an sie und handeln, als würden Dinge tatsächlich auf diese Weise existieren. 

Erlangen wir Befreiung, werden wir zu einem Arhat, einem befreiten Wesen. Als ein Arhat erschafft unser Geist nach wie vor all diese verwirrenden Erscheinungen, doch wir halten sie nicht mehr für wahr. Wir sind uns bewusst darüber, dass sie Unsinn und nicht wahr sind. Sie entsprechen nicht der Realität. Erkennen wir dies, werden wir uns nicht mehr ärgern und diese Gefühle nicht mehr ausleben. Das ist jedoch nicht genug, denn wir wissen nach wie vor nicht, wie wir allen auf bestmögliche Weise helfen können. 

Die fünf Pfade des Geistes 

Um Befreiung und Erleuchtung zu erlangen, folgen wir einer gewissen Entwicklung des Geistes, wie sie in den fünf Pfaden beschrieben wird. Dabei handelt es sich um die Entwicklung unseres Verständnisses und unseres Charakters. Genau genommen sind es Pfade des Geistes und jeder von ihnen ist eine Ebene des Geistes, die als Pfad dient, um Befreiung und Erleuchtung zu erlangen. All das beginnt mit Entsagung.

Entsagung bedeutet, eine starke Entschlossenheit zu haben, frei von all den schrecklichen und furchtbaren Leiden zu werden, die wir erfahren. Wir haben genug davon und wollen davon loskommen. Dabei wollen wir nicht nur die Leiden dieses Lebens loswerden, sondern auch die unkontrollierbar sich wiederholende Wiedergeburt, durch die wir immer wieder auf die gleichen Probleme stoßen. 

Es gibt zwei Aspekte, was die Entsagung betrifft. Es ist nicht einfach so, dass wir freikommen wollen, aber nichts dafür aufgeben müssen. Wir sind bereit alles aufzugeben, einschließlich all der Verwirrung, der störenden Emotionen usw., die für unsere Leiden mit unkontrollierbar sich wiederholender Wiedergeburt, Samsara, sorgen.

Mühelose Entsagung und müheloses Bodhichitta: Der Anfang 

Mühelose Entsagung bedeutet, dass keine Bemühung erforderlich ist, um logisch zu durchschauen, warum wir dem entkommen wollen. Damit ist die Entsagung nur Teil unseres Gesamtzieles im Leben, ob wir nun darüber nachdenken oder nicht. An diesem Punkt beginnen wir diese Pfade des Geistes. Hier fangen wir an. Davor haben wir lediglich gekämpft, um in den Zug zu kommen, sozusagen in das Fahrzeug des Geistes, das uns zur Befreiung führen wird. Wir steigen in den Zug ein, wenn wir diese Entsagung auf mühelose Weise entwickeln.

Auf die gleiche Weise lassen wir auch müheloses Bodhichitta entstehen. Bodhichitta bedeutet, dass unser Geist auf unsere eigene zukünftige Erleuchtung ausgerichtet ist. Dabei geht es nicht ganz allgemein um die Erleuchtung und auch nicht um die Erleuchtung des Buddhas, sondern um unsere eigene, individuelle Erleuchtung, die noch nicht stattgefunden hat. Wir verstehen allerdings, dass wir diese Erleuchtung aufgrund unserer Buddha-Natur erlangen können. Darauf richten wir uns aus und sind uns darüber bewusst, dass wir noch nicht dort sind, dies aber anstreben. Wir streben es an, weil wir in der Lage sein wollen, allen so vollständig wie möglich zu helfen, und wir können dies nur verwirklichen, indem wir Erleuchtung erlangen.  

Wenn wir dann auf mühelose Weise über Bodhichitta verfügen, und es immer da ist, ohne über das Warum und all die Gründe dafür nachdenken zu müssen, betreten wir die fünf Pfade des Mahayana. Beschreiten wir diese fünf Pfade des Geistes, so ist jeder von ihnen eine Ebene des Geistes, eine Ebene des Verstehens, die uns dem Ziel immer näher bringen wird.

Der Pfadgeist des Aufbauens 

Der erste Pfadgeist wird für gewöhnlich als „Pfadgeist des Ansammelns“ übersetzt; Ansammeln bedeutet aber im Grunde „Aufbauen“ oder „Entwickeln“. Wir entwickeln und sammeln all die Werkzeuge an, die wir benötigen, um Befreiung und Erleuchtung zu erlangen. Die Werkzeuge, die angesammelt oder entwickelt werden, sind Shamatha und Vipashyana. Shamatha ist ein Geisteszustand, mit dem der Geist still geworden und zur Ruhe gekommen ist, ohne abzuschweifen und sich in Wünschen, Trägheit, Schläfrigkeit oder ähnlichem zu verlieren. Er ist vollkommen konzentriert mit einem Gefühl der Leistungsfähigkeit – einem beflügelnden Gefühl, sich vollkommen und so lange wir wollen auf alles konzentrieren zu können. 

Vipashyana ist ein außergewöhnlich scharfsinniger Geisteszustand. Fügen wir Vipashyana zu Shamatha hinzu, bekommt der Geist ein zusätzliches Gefühl der Leistungsfähigkeit, mit der er alles verstehen kann. Richten wir uns mit diesen beiden Werkzeugen auf eine konzeptuelle Wahrnehmung der 16 Aspekte der vier edlen Wahrheiten, haben wir diesen Pfadgeist der ersten Ebene vollständig erreicht. 

Der Pfadgeist der Anwendung und der Pfadgeist des Sehens

Mit einem Pfadgeist der Anwendung, der normalerweise mit „Pfad der Vorbereitung“ übersetzt wird, wenden wir diese Konzentration und das Verständnis kontinuierlich immer weiter auf unsere konzeptuelle Wahrnehmung dieser 16 Aspekte an. Erlangen wir eine nichtkonzeptuelle Wahrnehmung dieser Aspekte, erlangen wir einen sehenden Pfadgeist, den so genannten „Pfad des Sehens“ und werden ein Arya. 

„Nichtkonzeptuell“ heißt, etwas nicht durch eine allgemeine Vorstellung darüber oder durch eine Kategorie wahrzunehmen, sondern ganz direkt und ohne sich auf eine Kette von Argumenten zu stützen. Ein Arya ist ein hochverwirklichtes Wesen, der über diese nichtkonzeptuelle Wahrnehmung verfügt. Damit beginnen wir, unseren Geist von einer Ebene der emotionalen Schleier zu lösen. 

Der Pfadgeist des Sich-Gewöhnens und der Pfadgeist, der keines weiteren Trainings mehr bedarf 

Danach ist es notwendig, sich immer mehr an dieses nichtkonzeptuelle Verständnis zu gewöhnen. Dies geschieht mit dem Pfadgeist des Sich-Gewöhnens oder dem „Pfad der Meditation“. Mit ihm lösen wir unseren Geist von mehr und mehr Ebenen der Schleier, bis wir entweder als ein Arhat (ein befreites Wesen) oder als ein Buddha das Ziel erreichen, den Pfadgeist, der keines weiteren Trainings mehr bedarf. Ein Arhat hat sich nur von den emotionalen Schleiern gelöst, während ein Buddha sich auch von den kognitiven Schleiern gelöst hat.

Ausrichtung auf die vier edlen Wahrheiten 

Während all dem richten wir uns auf die vier edlen Wahrheiten und das Fehlen eines unmöglichen Selbst, das diese Erfahrungen macht. „Edel“ bezieht sich auf einen Arya, jemanden, der diese nichtkonzeptuelle Wahrnehmung hat. Sie werden als edle Wahrheiten, Arya-Wahrheiten, bezeichnet, weil gewöhnliche Menschen nicht in der Lage sind, sie zu verstehen. Die edlen Wahrheiten, die von Aryas nichtkonzeptuell wahrgenommen werden, sind völlig verschieden von dem, wie normale Menschen das Leben verstehen. Aryas erkennen, dass gewöhnliche Menschen Dinge auf oberflächliche und fehlerhafte Weise verstehen, und sehen selbst, wie die Dinge im Leben wirklich sind.

Bemühen wir uns zu versuchen, diese vier edlen Wahrheiten und 16 Aspekte wirklich zu verstehen, überwinden wir die 16 verzerrten Arten des falschen Verständnisses, die 16 diesbezüglichen falschen Ansichten. Aus der tibetischen Perspektive studieren wir die vier edlen Wahrheiten, weil sie die Hauptthemen der Meditation mit den Pfaden des Geistes sind. Wir wollen diese 16 Aspekte verstehen, um die 16 fehlerhaften Arten des Verstehens zu beseitigen. Die falschen und korrekten Arten des Verstehens zu kennen, ist im Grunde recht hilfreich, und nicht nur, wenn es um diese sehr fortgeschrittenen Ebenen geht. Neben dem Entwickeln einer starken Motivation in Bezug auf die Entsagung oder Bodhichitta, ist es auch ziemlich hilfreich, über diese Wahrheiten und Aspekte nachzudenken, schon lange bevor wir uns auf diesen Ebenen befinden.

Was das Fokussieren auf diese 16 Aspekte betrifft, so gibt es zwei Unterteilungen. Zunächst richten wir uns auf die eigentlichen Details: was die Aspekte sind und dass sie wahr sind. Doch zusätzlich richten wir uns auch auf das Fehlen einer unmöglichen Existenzweise von uns, die sie erfahren – wie dem „Ich“, das als abgetrennte Entität in unserem Kopf existiert und diesen 16 als irgendwelchen anderen gesonderten Entitäten, die sich dort draußen befinden und nichts mit uns zu tun haben. Wir müssen verstehen, dass diese falschen Erscheinungen nicht dem entsprechen, wie wir tatsächlich existieren, auch wenn unser Geist uns glauben lässt, wir würden auf allerlei unmögliche Weise existieren, und wir daran glauben. 

Kurzum existiert keiner dieser 16 Aspekte auf unmögliche Weise: in Plastik verpackt, für sich und isoliert von allem anderen. Es gibt nicht dort oben irgendwo eine „Tatsache“, die wir lernen müssen, um einen Test oder ähnliches zu bestehen. Und es gibt kein „Ich“, das nichts mit diesen 16 zu tun hat und etwas über sie lernen muss, obwohl wir sie erfahren, ohne es zu wissen. Das ist es im Grunde, worum es bei der Meditation auf dem spirituellen Pfad zu Befreiung und Erleuchtung geht, zusammen mit einer Basis von Entsagung und Bodhichitta, die auf Liebe und Mitgefühl beruhen.

Sechzehn Aspekte der vier Edlen Wahrheiten

Die vier Aspekte wahrer Leiden 

Wahres Leiden bezieht sich auf die fünf befleckten Aggregate, wie am Beispiels unseres Körpers

Was sind diese 16 Aspekte? Um sie zu verstehen, ist es notwendig, auch die vier edlen Wahrheiten etwas ausführlicher zu betrachten. Wahre Leiden, der erste dieser Aspekte, bezieht sich auf die fünf befleckten Aggregate, wie am Beispiel unseres Körpers als der Grundlage, auf der wir sie erfahren. Bei dem Begriff „befleckte Aggregate“ handelt es sich natürlich um Fachjargon und wir müssen verstehen, was es genau bedeutet. 

Die Aggregate beziehen sich auf alles, was unsere Erfahrung ausmacht. Jeder Augenblick unserer Erfahrung besteht aus einem oder mehr Dingen, die in fünf Gruppen oder anders ausgedrückt in fünf Aggregate klassifiziert werden. Dieses Klassifizierungsschema ist nur ein geistiges Konstrukt, das uns hilft, unsere Erfahrung zu analysieren und zu verstehen. In jedem Augenblick werden ein oder mehrere Elemente von jeder dieser Gruppen als Teil dessen präsent sein, was wir erfahren.

Was erfahren wir in jedem Augenblick? Beschreiben wir es in einer Reihenfolge, die es verständlicher macht. Wir haben Formen des Bewusstseins, ob es nun um Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, das Fühlen einer körperlichen Empfindungen oder geistiges Bewusstsein, wie beispielsweise beim Denken oder Träumen, geht. In jedem Augenblick sind wir einer dieser Kanäle, wie die Kanäle beim Fernsehen.

Dann gibt es in jedem Augenblick die Form eines physischen Phänomens, die durch eines dieser Bewusstseinsarten wahrgenommen oder erkannt wird; es könnte ein Anblick, ein Klang, ein Geruch, ein Geschmack, eine körperliche Empfindung oder etwas sein, worüber wir nachdenken. Außerdem gibt es einen kognitiven Sensor, wie die lichtempfindlichen Zellen der Augen, von denen das Sehen abhängt. Unser Körper ist natürlich ebenfalls da, als der physische Ort, an dem diese Wahrnehmungen stattfinden, doch im Schema der fünf Aggregate ist der Körper lediglich der Sensor physischer Eindrücke. 

Als nächstes gibt es das Empfinden verschiedener Grade von Glücklichsein. Das Wort „Empfinden“ bezieht sich nur darauf und nicht auf die Emotionen. Wie empfinden wir? Gibt es da eine Empfindung von Glücklichsein oder von Unglücklichsein? Sind wir glücklich oder unglücklich, wenn wir jemanden sehen? Und wie ist es, wenn wir über andere nachdenken? Glücklichsein heißt sich zu wünschen, es möge weitergehen, während sich Unglücklichsein darauf bezieht sich zu wünschen, es möge aufhören. In jedem Augenblick gibt es eine Ebene der Empfindung. Sie muss nicht dramatisch sein, aber irgendetwas ist immer da, in jedem Augenblick. Das Empfinden wird gewissermaßen als eine Weise definiert, durch die wir das Reifen unseres Karmas erfahren. Zum Beispiel isst eine Person Käse und fühlt sich ausgesprochen glücklich, während die nächste Person den gleichen Käse ist, ihn verabscheut und unglücklich ist. Das ist die Auswirkung unseres Karmas.

In jedem Augenblick gibt es auch das auseinanderhaltende Gewahrsein. So müssen wir in der Lage sein, beispielsweise die farbigen Formen des Gesichtes einer Person von den farbigen Formen der Wand zu unterscheiden. Können wir sie nicht auseinanderhalten, ist es unmöglich, die Person tatsächlich zu sehen. Was sehen wir denn? Wir sehen Punkte farbiger Pixel. Wir sehen farbige Formen. Diese müssen wir zusammenfügen können, um eine Sache von einer anderen zu unterscheiden. Das ist auch immer da. Man nennt es zuweilen „Erkennen“, aber das ist keine gute Übersetzung.

Der Fünfte bezieht sich schließlich auf alles andere, wie all unsere Emotionen, die Konzentration, die Schläfrigkeit usw.  

Das sind die fünf Aggregate. In jedem Augenblick gibt es ein oder mehrere Elemente dieser fünf und die Gesamtheit aller ist das, was unsere Erfahrung ausmacht. Was wir jeden Augenblick erfahren, ändert sich ständig und jede Komponente dieser fünf ändert sich unterschiedlich schnell. Wir sehen, hören und denken unterschiedliche Dinge und unsere Ebene des Glücklichseins und Unglücklichseins bewegt sich auf und ab. Wir unterscheiden beispielsweise eine Nase vom Rest des Gesichts. Im Grunde halten wir viele verschiedene Dinge auseinander. Des Weiteren ändern sich natürlich unsere Emotionen, unsere Konzentration und unser Interesse fortwährend. All diese Dinge ändern sich kontinuierlich. 

Diese Aggregate bezeichnen wir als „befleckt“, was manchmal auch mit „verunreinigt“ übersetzt wird, was kein wirklich schönes Wort ist. Was bedeutet „befleckt“? Um das zu verstehen, müssen wir untersuchen, wie diese befleckten Aggregate in Erscheinung treten. Sie entstehen durch unsere störenden Emotionen und auf diese Weise sind sie durch die störenden Emotionen befleckt oder verunreinigt. Ob es sich nun um Anhaftung, Wut, Naivität, Stolz oder Eifersucht handelt, die fünf Aggregate sind durch sie befleckt. Die Auswirkung dieser Befleckung ist, dass sich die befleckten Aggregate von selbst fortsetzen; sie erschaffen weitere Momente von sich selbst. Das ist wahres Leiden.

Was sind die vier Aspekte des wahren Leidens? 

Der erste Aspekt des wahren Leidens

Der erste der vier Aspekte des wahren Leidens ist, dass die Aggregate, wie beim Beispiel des Körpers, nichtstatische Phänomene sind. Nichtstatisch bedeutet, dass sie nicht konstant bleiben, sondern sich von einem Augenblick zum nächsten ändern. Dieser Körper und das Kontinuum von Aggregaten, die wir beruhend auf diesem Körper erfahren, werden zu einem Ende kommen, wenn wir sterben. Doch dann werden wir in unserem nächsten Leben einen anderen Körper und andere Aggregate haben. 

Zusätzlich zu den Leiden, dass dieser Körper und dieses Leben vergänglich sind und zu einem Ende kommen, haben wir die Tatsache, dass sie in jedem Augenblick ihrem Ende immer näher rücken. Natürlich wird es eine Kontinuität geben; es wird ein anderes Leben und einen anderen Körper geben, aber davon reden wir hier nicht. Vielmehr geht es darum, dass der Körper und dieses Leben innerhalb eines Lebens zu einem Ende kommen, sich jeden Augenblick ändern und diesem Ende immer näher kommen.

Der zweite Aspekt des wahren Leidens 

Der zweite Aspekt des wahren Leidens ist Leiden, und obgleich hier nur das Wort „Leiden“ benutzt wird, können wir es vielleicht auch mit „leidvoll“ beschreiben. Der zweite Aspekte ist also, dass die Aggregate, wie beim Beispiel des Körpers, leidvoll sind. Warum sind sie leidvoll? Sie sind leidvoll, weil wir auf der Grundlage unseres Körpers all die Aggregat-Augenblicke des Leidens von Geburt, Krankheit, Alter und Tod erleben. Uns passieren Dinge, die wir nicht wollen, oft bekommen wir nicht, was wir wollen und so weiter.

Wie im Buddhismus dargelegt wird, gibt es zusätzlich dazu drei allgemeine Arten von Leiden. Eine Art des Leidens ist das Leid des Unglücklichseins. Dabei könnte es sich um das Unglücklichsein handeln, welches durch Schmerzen auftritt, oder jenes, das durch Dinge entsteht, die wir nicht mögen. Wir könnten aber auch aus unzähligen anderen Gründen unglücklich sein. Wir sollten es nicht nur auf körperliche Schmerzen beziehen, sondern auch auf mentale. Der Schmerz ist nur eine körperliche Empfindung. Hier ist die Rede von dem Gefühl des Unglücklichseins wegen etwas oder einer Erfahrung, wir wollen uns davon trennen und wenn wir es nicht loswerden, leiden wir.

Die nächste Art des Leidens ist das Leid der Veränderung und das bezieht sich auf unser gewöhnliches Glücklichsein. Unser gewöhnliches Glücklichsein ist ein großes Problem. Warum ist es ein Problem? Weil es nicht andauert und wir nie wissen, wann es enden oder was als nächste kommen wird. Es ist nie genug. Es ist frustrierend und ist nie zufriedenstellend. Unser gewöhnliches Glück bietet uns keine Sicherheit, auch wenn wir es vielleicht für gewisse Zeit genießen. Sogar wenn unser Körper stark und gesund ist, wissen wir nie, wann wir uns eine Erkältung einfangen werden, nicht wahr? Das ist die zweite Art des Leidens. 

Die dritte Art des Leidens, das so genannte „alles umfassende Leiden“, ist das, worüber wir besonders im Buddhismus reden. Das alles umfassende Leiden bezieht sich auf die Tatsache, dass wir diesen befleckten Körper haben und auf dessen Grundlage die befleckten Aggregate erfahren – also fortwährend durch Wut, Verlangen, Anhaftung usw. beeinflusst werden, einen Körper haben und erleben, wie sich die Aggregate von selbst fortsetzen. Das ist die Basis dafür, immer wieder unglücklich zu sein oder diese gewöhnliche Art des Glücklichseins zu erfahren, das Leid der Veränderung. Das ist das eigentliche Problem. Es besteht darin, immer wieder solch eine befleckte Grundlage, wie unseren Körper, zu haben.

Manchmal sagt man: Wenn wir keinen Kopf hätten, gäbe es auch keine Kopfschmerzen. Das Problem sind nicht die Kopfschmerzen; das Problem ist, ständig so einen Kopf zu haben, mit dem wir Kopfschmerzen bekommen werden. Die physische Konstitution unsere Körpers ist ziemlich empfindlich und gerät leicht aus der Balance. Unsere emotionale Stabilität verliert leicht ihr Gleichgewicht. Das müssen wir also loswerden, diesen „leidvollen“ Aspekt. Kurz gesagt sind diese befleckten Aggregate, wie beispielhaft durch unseren Körper aufgezeigt, „leidvoll“, weil sie die Grundlage für die anderen Arten des Leidens sind.

Der dritte Aspekt des wahren Leidens 

Der dritte Aspekt wahren Leidens ist, dass die Aggregate, wie unser Körper, leere Phänomene sind. „Leer“ heißt, dass ihnen etwas fehlt, dass etwas abwesend ist. Was fehlt unserem Körper? Was hat er nicht? Ihm fehlt eine so genannte unmögliche „Seele“. Im Buddhismus wird sie meist mit „Selbst“ übersetzt. Sehen wir jedoch genauer hin, ist die Rede von dem Hindu-Konzept des Atmas. Eine „Seele“ kommt dem, wie wir es im Westen nennen würden, wahrscheinlich am nächsten. 

Im Buddhismus wird behauptet, die Art der Seele, an die man in diesen anderen indischen Philosophien glaubt, wäre unlogisch und daher unmöglich. Wir neigen jedoch dazu, uns mit der Seele zu identifizieren und sagen, sie wäre unser „Selbst“, unser „Ich“. Doch das ist nicht, wer wir sind. Was fehlt und wovon der Körper und die Aggregate frei sind, ist eine Seele, wie sie in den nichtbuddhistischen indischen Philosophien definiert wird. Wir existieren – das leugnet der Buddhismus nicht – aber wir existieren nicht als die Art von Seele, wie sie von diesen indischen Lehrmeinungen definiert wird. Buddha hat besonders über das gesprochen, was zu der Zeit jeder auf dem indischen Subkontinent glaubte.

Was sind die Eigenschaften einer Seele, die der Buddha widerlegte? Zu Buddhas Zeit glaubte man an eine Seele, die ewig und unveränderlich ist. Der Buddhismus bezeichnet dies als die „grobe unmögliche Seele“ oder als „grobes, unmögliches Ich“. Im Buddhismus wird jedoch auch gesagt, das individuelle Selbst, das „Ich“, setze sich ewig fort, ohne Anfang und ohne Ende. Die Tatsache, dass das Selbst für immer andauert, ist nicht das Problem. Dennoch ist der Gedanke, das ewige Selbst, das „Ich“, würde sich nie ändern und wäre von nichts beeinflusst, das, was unmöglich ist. 

Wir mögen beispielsweise meinen, wir wären immer hier. Wir sind gestern Abend schlafen gegangen, heute morgen aufgestanden und wären wieder da, immer das gleiche „Ich“. Wir haben uns nicht verändert. Es ist nach wie vor das „Ich“. Wir denken vielleicht, jemand könne unseren Körper, nicht aber das „Ich“ verletzen. Das sind Beispiele des Glaubens an eine Seele oder ein „Ich“ als etwas, das sich nicht ändert und von nichts beeinflusst wird.

Die zweite Eigenschaft dieser unmöglichen Seele oder des unmöglichen „Ichs“ ist, dass es sich dabei um ein monolithisches teileloses Ding handelt. In manchen indischen Philosophien gibt es die Glaubensvorstellung, jeder von uns sei eins mit dem Universum, ein teileloses Ganzes des gesamten Lebens. Wir sind alle „eins“ oder wir sind einfach das ganze Universum. Das sind hinduistische jedoch keinesfalls buddhistische Vorstellungen. Eine andere Vorstellung ist, die Seele sei ein winziger teileloser Lebensfunke, der von einem zum nächsten Leben wandert und immer gleich bleibt. Aus buddhistischer Sichtweise ist das ebenfalls unmöglich. Es gibt viele Teile oder Aspekte von uns als eine Person. Da gibt es die physische Seite, eine intellektuelle Seite, eine emotionale Seite, eine berufliche Seite und so weiter.

Das dritte Merkmal dieser Art von „Seele“ oder „Ich“ ist, dass sie völlig getrennt von den Aggregaten ist. Mit anderen Worten kommt sie mit der Empfängnis in einen Körper und einen Geist, wohnt in ihnen wie in einem Haus als separate Entität, unabhängig von ihnen, und nutzt sie lediglich, um die fünf Aggregate zu erfahren, die jeden Moment ausmachen. Das Selbst kontrolliert sie, wie jemand, der am Computer sitzt und all die Knöpfe betätigt. Es sitzt in unserem Kopf und spricht. 

So fühlt es sich tatsächlich an, aber diese Vorstellung ist völlig falsch. Wir stellen uns vor, derjenige, der sich in unserem Kopf befindet, wäre das „Ich“, dieser winzige Lebensfunke, der sich nie ändert. Wann immer wir etwas tun, ist es das „Ich“, das sich etwas ansieht und etwas tut. Wir denken „ich habe das getan“ und so weiter. Wir stellen uns vor, dieses „Ich“ wäre völlig abgetrennt und würde den Körper kontrollieren und benutzen, um Dinge zu tun, und das Gehirn, um Dinge zu denken. Dann verlässt es ihn und geht in ein anderes Haus, in einen anderen Körper, ein anderes Gehirn und nutzt diese. Das ist unmöglich. Das Selbst ist völlig abhängig davon, eine physische Grundlage zu haben, und kann nicht ohne sie existieren. Der dritte Aspekt des wahren Leidens ist also, dass der Körper als die Grundlage, mit der die fünf Aggregate erfahren werden, frei von allen dreien dieser Eigenschaften so einer Art von unmöglichem „Ich“ ist. 

Was ist das Leiden, dass mit dem Freisein dieses groben unmöglichen „Ichs“ unseres Körpers verbunden ist? Das Leiden besteht darin, dass das „Ich“, das Selbst, das etwas ist, was nicht unabhängig von einem Körper existieren kann, in diesem Leben abhängig von diesem Körper ist und sich um ihn kümmern muss. Wir können es nicht ignorieren, weil wir vielleicht denken, wir wären rein und es wäre nur unser Körper, der schmutzig ist. Wir müssen ihn säubern, füttern, ihm genug Schlaf geben und so weiter. Das müssen wir tun, obwohl dieser Körper voller unreiner Substanzen ist, wie unverdaute Nahrung, Kot, Urin, Schleim usw. Wie der große indische Meister des Buddhismus Shantideva sagte, sind wir Sklaven unseres Körpers, da wir uns ständig um ihn kümmern müssen. 

Der vierte Aspekt des wahren Leidens 

Der vierte Aspekt des wahren Leidens ist, dass dem Körper als Grundlage des Erfahrens der fünf Aggregate auch eine unmögliche „Seele“ fehlt. Das bezieht sich auf eine subtilere Ebene eines unmöglichen „Ichs“. Es ist eine unmögliche „Seele“ oder ein unmögliches „Ich“, das für sich selbst erkannt werden kann. Wir alle glauben daran, weil es sich ganz automatisch so anhört. Denken wir zum Beispiel an unseren engen Freund, was denken wir dann? Wir denken, dass wir unseren Freund kennen, da wir unseren Freund jeden Tag sehen können. 

Was ist die Bedeutung davon? Wir sehen tatsächlich einen Körper. Wie können wir denn diesen Freund kennen oder diese Person sehen, ohne ihren Körper zu sehen? Wie könnten wir unsere Freunde kennen, ohne etwas über sie zu wissen, wie ihre Namen, wie sie aussehen oder den Klang ihrer Stimmen am Telefon? Nur auf der Basis des Hörens einer Stimme am Telefon können wir sagen, dass wir unsere Freunde hören und nur auf der Basis des Sehens ihrer Körper können wir sagen, dass wir unsere Freunde sehen. Was unmöglich ist, ist ein „Ich“, eine Person, unsere Freunde, die wir nur für sich kennen, ohne auch irgendeines der Aggregate zu kennen. Wir können nicht einfach nur unsere Freunde sehen, ohne auch ihren Körper oder ein Foto ihres Körpers zu sehen.

Allerdings denken wir immer auf diese fälschliche Weise und meinen: „du hast mir das angetan“ oder „du hast mir das gesagt“, als würden wir das „Du“ unabhängig von einem Körper, unabhängig vom Klang der gesagten Worte, unabhängig von irgendetwas kennen. Wir sagen: „Du bist ein schrecklicher Mensch!“ Was meinen wir damit? Es gibt kein von dem Körper oder der Rede getrenntes „Du“, das wir kennen, über das wir nachdenken, das wir für etwas beschuldigen oder auf das wir wütend werden könnten. 

Genauso verhält es sich mit dem „Ich“. Es ist unmöglich, unser „Selbst“, das „Ich“, zu sehen, zu hören oder darüber nachzudenken, ohne gleichzeitig einen Teil unseres Körpers zu sehen, den Klang unserer Stimme zu hören oder über etwas in unseren Aggregaten nachzudenken. Wir sehen uns selbst im Spiegel oder unser Gewicht auf einer Waage und denken: „Das bin nicht ich. Ich sehe doch nicht so alt aus, ich bin doch nicht so dick!“ Das Leiden besteht hier darin, dass es kein „Ich“ gibt, das getrennt von dem erkannt werden kann, wie unser Körper aussieht oder wie viel er wiegt, und daher müssen wir uns damit konfrontieren, dass unser Körper alt und dick ist. Diesen Aggregat-Faktoren, wie dem Körper, fehlen also sowohl eine grobe als auch eine subtile unmögliche „Seele“ oder ein „Ich“. 

Diese Aggregate, und besonders unser Körper, sind eindeutig wahres Leiden und daher sollten wir diese vier Aspekte wirklich verstehen: unser Körper ändert sich ständig, er ist leidvoll, wird alt und so weiter, und ihm fehlen diese zwei Arten des unmöglichen „Ichs“. Wenn wir das verstehen, haben wir das wahre Problem, das wahre Leiden, identifiziert und erfasst. 

Die vier Aspekte der wahren Ursprünge des Leidens 

Untersuchen wir als nächstes die wahren Ursprünge oder wahren Ursachen des Leidens. Das ist interessant und ziemlich tiefgreifend. Ganz allgemein sind die wahren Ursachen des Leidens die störenden Emotionen und Karma. Hier beziehen sich die wahre Ursprünge des Leidens auf etwas ganz Spezifisches. Sie haben etwas mit dem Mechanismus der Wiedergeburt zu tun, durch die sich der befleckte Körper als wahres Leiden von selbst fortsetzt. 

Überblick über die Auswirkungen von Karma und die zwölf Glieder 

Wie funktioniert die Wiedergeburt im Buddhismus? Wie zuvor dargelegt, wird wahres Leiden durch den Körper geprägt, den wir durch die unkontrollierbar sich wiederholende Wiedergeburt, Samsara, zusammen mit all dem Leiden bekommen, die dadurch entstehen, diese Art von Körper zu haben. Der Körper ist die Grundlage für das Erfahren der Aggregate und all der Leiden, die sie mit sich bringen. Daher ist die eigentliche Ursache, die wir erforschen, die Ursache oder der Ursprung fortgesetzter Wiedergeburt mit dieser Art des leidvollen Körpers in einer bestimmten Lebensform, welche die eines Tieres, eines Geistes oder etwas anderes sein kann. Um also die wahren Ursprünge des Leidens zu bestimmen, ist es notwendig, den Mechanismus der Wiedergeburt zu verstehen, wie er in Bezug auf die so genannten „zwölf Glieder des anhängigen Entstehens“ beschrieben wird. Das ist ein weiteres sehr grundlegendes Thema in den buddhistischen Lehren, aber es ist nicht notwendig, hier all die zwölf Glieder durchzugehen.  

Was geschieht denn eigentlich im Leben? Wir denken ständig, dass wir als ein unmögliches „Ich“ existieren. Wir meinen: „Hier bin ich, ganz für mich allein. Ich kenne mich selbst.“ Oder wir glauben: „Ich werde mich selbst finden. Ich werde mich selbst ausdrücken“. Wir glauben, dieses „Ich“ könnte getrennt von einem Körper, Geist oder was auch immer erkannt werden. 

Beruhend auf diesem Irrglaube, wir würden auf solch eine unmögliche Weise existieren, erfahren wir störende Emotionen. Mit Wut und Ärger mögen wir etwas nicht und handeln zwanghaft auf destruktive Weise. Wir fügen ihm Schaden zu oder töten es, um es von dem „Ich“ fernzuhalten. Oder wir haben sehnsüchtiges Verlangen nach etwas und stehlen es, weil wir es dem „Ich“ geben wollen. Mit Naivität denken wir vielleicht, wir könnten handeln, wie es uns beliebt, und es würde keine Auswirkungen unserer Handlungen auf das „Ich“ geben. Beruhend auf unserer falschen Vorstellung von einem „Ich“ handeln wir sogar zwanghaft auf konstruktive Weise und sind freundlich gegenüber anderen, damit sie uns mögen oder für einen netten Menschen halten und uns lieben. Im Grunde ist es ziemlich selbstsüchtig, nett zu anderen zu sein oder ihnen zu helfen, wenn all unsere Gründe im Wesentlichen auf dem Ego beruhen.

Handeln wir auf diese zwanghafte Weise, hinterlassen unsere karmischen Handlungen bestimmte Eindrücke in unserem Geisteskontinuum. Die Eindrücke beziehen sich auf karmische Tendenzen dafür, diese Handlungen und karmischen Potenziale für das Erfahren von Glück und Leid zu wiederholen und im nächsten Leben eine Art von Körper zu bekommen, welcher die Grundlage dafür sein wird, noch mehr von diesen befleckten Gefühlen zu erfahren. 

Etwas muss jedoch diese karmische Hinterlassenschaft, insbesondere die karmischen Potenziale zum Zeitpunkt des Todes, aktivieren, damit wir in eine weitere Wiedergeburt geworfen werden. Wodurch werden sie aktiviert? Darum geht es bei den zwölf Gliedern und hier kommen die wahre Ursprünge des Leidens mit ins Spiel. Das „Begehren“ ist die erste Sache, welche die karmischen Potenziale aktiviert und dieses Begehren ist eine Erwiderung auf die befleckten Gefühle, die wir besonders zum Zeitpunkt des Todes erfahren. Erfahren wir ein Gefühl des Glücklichseins, haben wir das Verlangen oder einen starken Wunsch, nicht von diesem Glück getrennt zu werden. Dieses Glücksgefühl könnte sich darauf beziehen, mit unseren Geliebten zusammen zu sein oder all unsere Eigentümer um uns zu haben, die wir nicht verlieren wollen. Haben wir diese Art des starken Verlangens, wenn wir sterben, wollen wir das Glücksgefühl nicht loslassen, das wir auf der Grundlage dieses Körpers erfahren.

Vielleicht begehren wir auch, von den Leiden und Schmerzen loszukommen. Sterben wir zum Beispiel mit vielen Schmerzen, weil wir Krebs haben, wollen wir frei davon werden. Sind wir auf der anderen Seite tief in einem fortgeschrittenen Zustand der Konzentration versunken, erfahren wir nur ein neutrales Gefühl und begehren, dass es nicht aufhört. Zusätzlich zu diesen drei möglichen Arten von Gefühlen, die wir zum Zeitpunkt des Todes erleben, gibt es auch das Begehren, einfach weiter zu existieren. Wir wollen nicht aufhören, in diesem Körper zu existieren. 

Es gibt auch eine zweite Geisteshaltung, die unser karmisches Potenzial aktiviert und die auf unser Begehren zurückzuführen ist, dass sich auf unsere befleckten Gefühle richtet. Sie wird als „herbeiführende Geisteshaltung“ bezeichnet, eine Geisteshaltung, die für uns eine zukünftige Wiedergeburt herbeiführt. Es gibt mehrere dieser Geisteshaltungen, doch die wesentliche ist, sich selbst als etwas zu sehen, das wie eine Art von unmöglichem „Ich“ existiert, welches diese Gefühle hat und beruhend darauf danach greift, dass dieses unmögliche „Ich“ der Realität entspricht. Zusammen mit dem Verlangen nach solchen Gefühlen aktiviert diese herbeiführende Geisteshaltung die karmischen Potenziale auf eine Weise, dass ein karmischer Impuls entsteht, der unser Geisteskontinuum in die nächste Wiedergeburt mit einem anderen Körper wirft, der krank und alt werden wird, und all die Probleme hat, mit denen jeder im Leben konfrontiert ist. 

Die wahren Ursprünge des Leidens werden dann beispielhaft durch unsere befleckten Gefühle des Glücklichseins, des Unglücklichseins sowie dieses neutralen Gefühls aufgezeigt, welche die Objekte unseres Verlangens und unseres Irrglaubens sind, dass sie von einem unmöglichen „Ich“ erfahren werden. 

Wir wollen uns davon lösen, jemals wieder einen befleckten Körper – also wahres Leiden – zu haben und um das zu erreichen, müssen wir diese befleckten Gefühle, die wahren Ursprünge des wahren Leidens, loswerden. Entledigen wir uns dieser befleckten Gefühle, wird es nichts geben, nach dem wir verlangen, wenn wir sterben und wir werden im Tod auch nicht nach einem unmöglichen „Ich“ greifen, das sie erfährt, weshalb es nichts geben wird, was unsere karmischen Potenziale zum Zeitpunkt unseres Todes aktiviert. Wenn zum Zeitpunkt unseres Todes nichts unsere karmischen Potenziale aktiviert, werden wir keine samsarische Wiedergeburt mit einem befleckten Körper erfahren, der durch unsere aktivierten karmischen Potenziale mit einem so genannten „werfenden Impuls“ zustande kommt. Stattdessen wird sich unser Geisteskontinuum und das Selbst mit dem unbefleckten Körper eines Arhats oder Buddhas fortsetzen. 

Was sind die vier Aspekte befleckter Gefühle als wahre Ursprünge des Leidens?

Die vier Aspekte wahrer Ursprünge des Leidens

Der erste Aspekt wahrer Ursprünge des Leidens besteht darin, dass unsere befleckten Gefühle die Ursache unseres wahren Leidens sind, also die Objekte des Verlangens, die unsere karmische Hinterlassenschaft aktivieren, welche das wahre Leiden eines befleckten Körpers in zukünftigen Wiedergeburten bewirken. 

Der zweite Aspekt ist, dass unsere befleckten Gefühle der Ursprung unserer wahren Leiden sind. Sie sind der Ursprung, weil immer wieder ein befleckter Körper in unkontrollierbar sich wiederholenden Wiedergeburten erscheinen wird. Man kann es mit einem Feld vergleichen, in dem Jahr für Jahr Getreide wächst.

Der dritte Aspekt besteht ist, dass unsere befleckten Gefühle die starken Produzenten unserer wahren Leiden sind. Das bedeutet, dass das Anbeten eines Schöpfergottes nicht stärker ist, als unser Verlangen nach ihnen zum Zeitpunkt unseres Todes, und somit kann das Anbeten eines Schöpfergottes unsere Wiedergeburt mit dem wahren Leiden, einen befleckten Körper zu haben, nicht verhindern. 

Der vierte Aspekt ist, dass unsere befleckten Gefühle eine Bedingung für das Entstehen unserer wahren Leiden sind. Das Erscheinen von befleckten Gefühlen zum Zeitpunkt unseres Todes sind die Bedingung dafür, dass das Verlangen nach ihnen entsteht und sie sind es, die unsere karmischen Potenziale aktivieren, was werfendes Karma hervorbringt, durch das wir mit einem weiteren befleckten Körper wiedergeboren werden. Unsere befleckten Gefühle sind wie Wasser und Dünger, welche die Bedingungen für eine Pflanze sind, um zu wachsen.

Das sind die vier Aspekte der wahre Ursprünge des Leidens.

Die vier Aspekte der wahren Beendigung des Leidens 

Die dritte edle Wahrheit bezieht sich auf die wahre Beendigung. Was meinen wir damit? Eine Beendigung ist die Abwesenheit von etwas aufgrund dessen, dass es nie ein fester Bestandteil davon war – wie beispielsweise die Abwesenheit von Staub auf einem Spiegel. Der Staub war nie etwas, das Teil der Natur eines Spiegels war. In Bezug auf die dritte edle Wahrheit, ist die wahre Beendigung die Abwesenheit einiger oder aller emotionalen und kognitiven Schleier von der konventionellen Natur des Geistes. Sie tritt ausschließlich im Geisteskontinuum eines Aryas auf. Ein Arya ist jemand, der über eine nichtkonzeptuelle Wahrnehmung dieser 16 Aspekte der vier edlen Wahrheiten verfügt.

Der Geist bezieht sich hier auf geistige Aktivität und dessen konventionelle Natur bezieht sich auf die Aktivität des Hervorbringens einer kognitiven Erscheinung, wie ein geistiges Hologramms, eines Objektes der Wahrnehmung und einer kognitiven Beschäftigung mit dieser Erscheinung. Das Hervorbringen einer Erscheinung und die kognitive Beschäftigung mit ihr sind zwei verschiedene Weisen, einen Moment der geistigen Aktivität zu beschreiben, und diese Aktivität findet ohne eine getrenntes „Ich“ statt, das sie stattfinden lässt oder beobachtet, wie sie stattfinden, sowie ohne einen getrennten Geist, den ein getrenntes „Ich“ wie einen Apparat nutzt, um sie stattfinden zu lassen. 

Die zwei Schleier sind nicht Teil der konventionellen Natur des Geistes. Obwohl sie die geistige Aktivität von allen mit geringeren Verwirklichungen als denen eines Aryas beflecken oder bedecken, kann man sie entfernen und wir können ihre wahre Beendigung erreichen, durch die sie niemals wiederkehren. Dies geschieht durch die Kraft des Anwendens eines effektiven Gegenmittels, eines wahren Pfadgeistes. Sie werden nicht einfach von selbst verschwinden. 

Wenn wir zu einem Arya werden, erlangen wir eine wahre Beendigung eines Teils der emotionalen Schleier und während wir immer höhere Ebenen eines Pfadgeistes des Sich-Gewöhnens, des Pfades der Meditation, erreichen, lösen wir uns von immer größeren Teilen dieser emotionalen Schleier. Haben wir eine wahre Beendigung von allen erlangt, werden wir zu einem Arhat, und erreichen wir schrittweise eine wahre Beendigung der kognitiven Schleier, werden wir zu einem Buddha. Dies sind die wahren Beendigungen und auf den Stufen ihres Erlangens bleibt die konventionelle Natur des Geistes gleich. Diese wahren Beendigungen bleiben für immer bestehen und werden sich nicht ändern oder von etwas anderem beeinflussen lassen, denn die konventionelle Natur des Geistes war immer frei von ihnen. Wir können erkennen, welche Beziehung das zur Darstellung der Buddha-Natur, der reinen Natur des Geistes, hat.

Was sind die vier Aspekte wahrer Beendigungen? 

Der erste Aspekt ist, dass die konventionelle Natur des Geistes natürlicherweise eine Beendigung hat. Die konventionelle Natur des Geistes war nie durch die flüchtigen Makel der zwei Schleier befleckt oder verschleiert. 

Der zweite Aspekte ist, dass die konventionelle Natur des Geistes eine Befriedung hat. Befriedung bedeutet, dass die Schleier auf eine Weise beruhigt und beseitigt wurden, dass sie niemals wiederkehren werden. Die konventionelle Natur des Geistes ist ein immerwährender Zustand des Friedens. 

Der dritte Aspekt ist, dass der Zustand der konventionellen Natur des Geistes ein höherer Zustand ist. Er ist höher als nur eine vorübergehende Beseitigung eines Teils der Leiden, wie die Beseitigung des Leids des Unglücklichseins, wenn wir die Wiedergeburt eines Gottes auf der Ebene ätherischer Wesen, dem so genannten „Formbereich“, erlangen. Im Gegensatz zu einem Geist in so einem Zustand, hat er die natürliche Glückseligkeit, für immer frei von Leiden zu sein.  

Der vierte Aspekt ist, dass die konventionelle Natur des Geistes einen endgültigen Austritt hat. Sie befindet sich ganz klar außerhalb des Zustandes, in dem wahre Leiden und dessen wahre Ursprünge erfahren werden. Der endgültige Austritt gilt für immer. 

Die vier Aspekte wahrer Pfade des Geistes 

Die vierte edle Wahrheit bezieht sich schließlich auf die wahren Pfade des Geistes, also das unterscheidende Gewahrsein, welches die Ebenen des Geistes eines Aryas begleitet, der nichtkonzeptuell auf die Leerheit gerichtet ist. Bei dieser edlen Wahrheit geht es nicht um einen Pfad oder einen Weg, auf dem wir irgendwo draußen entlanglaufen. Vielmehr handelt es sich um einen Geist, der als ein Pfad dient, um wahre Beendigungen und schließlich die Ziele Befreiung und Erleuchtung zu erlangen. 

Vom Erlangen eines Pfadgeistes des Sehens bis hin zum Erlangen eines Pfadgeistes, der keines weiteren Trainings mehr bedarf, begleitet die nichtkonzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit das gleiche unterscheidende Gewahrsein. Doch mit höheren Ebenen der positiven Kraft von müheloser Entsagung und mühelosem Bodhichitta, sowie immer tieferem Gewahrsein und immer häufigeren Momenten nichtkonzeptueller Wahrnehmung der Leerheit, löst sich das unterscheidende Gewahrsein von immer mehr Ebenen von Schleiern.

Was sind die vier Aspekte eines wahren Pfadgeistes? Der erste Aspekt besteht darin, dass dieses unterscheidende Gewahrsein der vier edlen Wahrheiten und die Leerheit oder das Fehlen eines unmöglichen „Ichs“, das erfahren wird, ein Geist des Pfades ist, da es als Weg dient, um von einem gewöhnlichen Wesen zu einem Arya, dann zu einem Arhat und schließlich zu einem Buddha zu werden. 

Der zweite Aspekt ist, dass unterscheidendes Gewahrsein ein angebrachtes Mittel ist. Es ist eine angemessene und passende Weise, um uns von den emotionalen und kognitiven Schleiern zu lösen. Es gibt eine lange Diskussion darüber, wie und warum das funktioniert, und es ist wichtig, dies zu verstehen, doch hier und jetzt werden wir nicht weiter darauf eingehen.

Der dritte Aspekt bezieht sich darauf, dass unterscheidendes Gewahrsein ein Mittel für Realisierungen ist. Es ist eine Weise, tatsächliche diese verschiedenen Errungenschaften eines Aryas stattfinden zu lassen und wirklich Befreiung und Erleuchtung zu erlangen. 

Der vierte Aspekt ist, dass es ein Mittel für endgültige Beseitigungen ist. Es ist eine Methode, die zwei Schleier definitiv und für immer zu beseitigen und somit wahre Leiden und deren wahre Ursprünge für immer zu entfernen.

Zusammenfassung der 16 Aspekte  

Das sind die 16 Aspekte der vier edlen Wahrheiten, auf die wir uns in unseren Meditationen mit einem Pfadgeist des Aufbauens bis hin zu einem Pfadgeist, der keines weiteren Trainings mehr bedarf, konzentrieren. In der Meditation richten wir uns sowohl auf die Details der 16 Aspekte, sowie auf die Leerheit eines unmöglichen „Ichs“, das sie erfährt. Dies tun wir mit Entsagung, der starken Ausrichtung, diesem Leiden und dessen Ursprüngen zu entkommen, sowie einer Bereitschaft, alles aufzugeben. Als ein Mahayana-Praktizierender tun wir dies mit Bodhichitta. Wir streben unsere eigene Erleuchtung mit den Pfaden des Geistes an, die zu all diesen wahren Beendigungen führen. Wir wollen das ganze Verständnis eines Buddhas erlangen, welches dadurch entsteht, um allen so viel wie möglich helfen zu können, und auch, um wahre Leiden und deren wahre Ursprünge zu überwinden. Auf der Basis dieser Entsagung und dieser Bodhichitta-Motivation, zusammen mit Disziplin, perfekter Konzentration und vielen anderen Mitteln, können wir mit diesen 16 Aspekten immer wieder arbeiten und immer tiefer gehen, bis wir uns ständig nichtkonzeptuell über sie bewusst sein können.

Es ist notwendig, die Details der wahren Leiden zu verstehen, auf die wir stoßen und die durch unseren befleckten Körper, der immer wieder mit jeder unkontrollierbar sich wiederholenden Wiedergeburt erlangt wird, beispielhaft aufgezeigt werden, sowie dessen wahre Ursprünge, die beispielhaft durch unsere befleckten Gefühle geprägt sind, mit denen wir nach einem unmöglichen „Ich“ begehren und greifen, welches sie zum Zeitpunkt unseres Todes erfährt, und die diese Wiedergeburten auslösen. 

Im Grunde bedeutet dies, dass wir von dem Missverständnis, wie wir und alles existiert, frei werden wollen. Davon wollen wir uns lösen, weil wir aufgrund dieses Missverständnisses nach einem unmöglichen „Ich“ begehren und greifen. Wir fokussieren uns auf die Wahrheit, dass es so etwas, wie dieses unmögliche „Ich“, nicht gibt, ein wahrhaft solides „Ich“, welches leidet, durch diesen Ursprung des Leidens belastet ist, diese wahren Beendigungen erlangen wird und dies durch das Erlangen dieser wahren Pfade des Geistes tun wird. Es gibt kein wahres solides „Ich“, das mit irgendeinem dieser Dinge etwas zu tun hat.  

Indem wir all dies verstehen, arbeiten wir daran, uns von allen verzerrten, fehlerhaften Weisen unseres gegenwärtigen Verständnisses zu befreien. Es ist ziemlich interessant, dies zu erforschen und durchzugehen. Was denken wir? Was ist unsere normale verzerrte Sichtweise des Lebens?

Die vier verzerrten Weisen, sich wahren Leiden zuzuwenden 

Die erste Täuschung besteht darin, Unsauberes für sauber zu halten. Anders ausgedrückt ist die Sichtweise, die wir auf unseren Körper haben, den wir für sauber halten, verzerrt. Denken wir einmal darüber nach, können wir verstehen, dass der Körper, würden wir ihm im Gedanken die Haut abziehen, mit allen möglichen unangenehmen Dinge angefüllt ist. Das, was sich in unserem Magen und unseren Gedärmen befindet, ist nicht gerade schön. Nur auf einer ziemlich oberflächlichen Ebene halten wir den Körper für schön. Diese Vorstellung, unser Körper wäre sauber und wunderbar, ist fehlerhaft. Er ist weder sauber, noch wunderbar. 

Shantideva, der große indischer Meister, hat es sehr schön formuliert. Er sagte: Würden wir etwas Nahrung oder gar sogar köstliche Speisen nehmen und sie in einen Mund stecken – unseren eigenen oder den von jemand anderem – ein paar Mal kauen und sie dann wieder ausspucken, würde es niemand mehr als rein betrachten. Wie können wir dann den Körper, der sie zu dem gemacht hat, als sauber ansehen? Denken wir darüber nach, was passiert, wenn diese Dinge unser Verdauungssystem passiert haben und auf der anderen Seite wieder herauskommen, so ist der Körper doch nichts anderes, als eine wunderbare Fabrik, um Abfall zu produzieren. Das ist es, was er tut. Wir geben Dinge hinein und er verwandelt sie zu Abfall, der auf der anderen Seite wieder herauskommt. Das ist eindeutig nicht sauber. 

Wir sollten den Körper nicht schönreden und denken, er wäre so wunderbar. Die Tibeter nutzen ziemlich anschauliche Formulierungen dafür. Wie könnten wir es auch auf schöne Weise formulieren? Sie sagen: wie sehr wir auch versuchen, einen Haufen Scheiße zu säubern, er wird nicht rein werden. Scheiße bleibt Scheiße; wir können sie nicht reinigen und zu etwas machen, was sie nicht ist. Das ist unsere falsche Sicht in Bezug auf den Körper.

Die zweite Täuschung besteht darin, das, was Leiden ist, für Glück zu halten. Wir meinen unser Körper wäre eine Quelle des Glücks. Wir glauben, wir werden glücklich sein, wenn wir uns gut um ihn kümmern, Sport machen, einer strikten vegetarischen Ernährung folgen, ein geregeltes Sexualleben haben, ihn in der neuesten Mode kleiden, das richtige Make-up tragen usw. Doch alles weltliche Glück, das wir auf diese Weisen erlangen, dauert nie an. All das sind nur Beispiele des Leidens der Veränderung. 

Es ist doch so, dass wir nicht nur einmal in unserem Leben essen wollen oder nur einmal Sex haben wollen und dann ist es genug; wir wollen immer mehr und mehr davon. Das ist eine interessante Frage. Denkt einmal an eure Lieblingsspeise. Wie viel davon müssen wir essen, um sie zu genießen? Wir denken nicht, ein Bissen wäre genug, oder? Wir wollen mehr, mindestens einen Nachschlag. Allerdings werden wir krank, wenn wir zu viel essen und auch wenn wir diese Lieblingsspeise gegessen haben, wollen wir sie wieder essen. Jedes Glück, das wir mit unserem Körper erlangen, wird zum Leid der Frustration, weil es endet und nie zufriedenstellend ist. 

Die dritte verzerrte Sichtweise ist, Nichtstatisches für statisch zu halten. Wir meinen, unser Körper würde ewig jung und gesund sein. Wir wollen, dass er immer gleich bleibt, aber im Grunde ist unser Körper ziemlich anfällig. Er wird durch Ursachen und Bedingungen beeinflusst und der kleinste Fehltritt kann zu Verletzung und Schmerzen führen. Was wir auch tun, unser Körper wird Krankheiten entwickeln und mit dem Alter immer schwächer werden. Unsere Sinne werden nachlassen. Weil unser Körper nicht ewig andauert, sondern langsam abbaut und zwangsläufig verfällt, wie eine Flasche Milch, deren Haltbarkeitsdatum wir nicht kennen, ist es falsch, ihn als statisch zu betrachten.

Die vierte Täuschung besteht darin, das, was nicht als eine unmögliche „Seele“ festgelegt werden kann, für eine unmögliche „Seele“ zu halten. Wir identifizieren diesen Körper als „Ich“. Wir denken an unseren jungen, schlanken Körper und halten ihn für das „Ich“. Sind wir dann älter, etwas dicker und haben graue Haare und werfen einen Blick in den Spiegel, denken wir: „Das bin nicht ich. So sehe ich nicht wirklich aus. Das kann nicht ich sein.“ Wir fühlen uns nach wie vor wie das junge und attraktive „Ich“. Wir alle denken so. Das ist diese falsche Sichtweise. Das korrekte Verständnis der vier Aspekte der edlen Wahrheit des wahren Leidens befreit uns von diesen falschen Ansichten. 

Die vier verzerrten Weisen, sich wahren Ursprüngen zuzuwenden 

Die verzerrten Sichtweisen hinsichtlich der wahren Ursprünge sind recht interessant. Die erste besteht aus zwei Teilen: zu meinen, Leid habe keine Ursache oder käme von einer widersprüchlichen Ursache. In Bezug auf unsere Probleme denken wir, dass das Leben nun einmal so ist und es keine Ursachen dafür gäbe. Des Weiteren könnten wir meinen, einfach Pech zu haben oder die Leiden wären auf irgendwelche anderen widersprüchlichen Ursachen zurückzuführen. Das bezieht sich zum Beispiel auf eine Ursache, die nicht ins Bild passt, wie zu denken, all unsere Leiden wären auf materielle Probleme zurückzuführen. Wir meinen, wir würden glücklich sein, wenn wir ein schönes Haus und Geld hätten und sind nur aus materiellen Gründen unglücklich. Das ist eine falsche Sichtweise.

Die zweite verzerrte Sichtweise besteht darin zu denken, Leiden kämen aus einer einzigen Ursache. Das tun wir die ganze Zeit. Leiden und Probleme ergeben sich aus einer Kombination zahlreicher Ursachen und Bedingungen, doch wir denken, es würde sich nur um eine einzige Ursache handeln. So meinen wir, wir hätten nicht genug getan, um unserem Kind zu helfen, wenn es schlecht in der Schule ist, und es wäre unsere Schuld. Wir denken, der einzige Grund, warum Dinge in der Welt geschehen, seien wir. Wir sehen uns selbst als die alleinige Ursache. Wir sind nicht gut genug. Wir haben einen Fehler gemacht und daher ist alles schiefgelaufen. So denken wir doch, oder nicht? Hier kommt dann die Schuld mit ins Spiel. Doch das ist falsch. Dinge geschehen aufgrund einer Million verschiedener Ursachen und Bedingungen, die alle zusammenkommen, nicht aus einer einzigen.

Die dritte Täuschung ist, dass Leiden durch den Geist eines anderen Wesens, wie Ishvara, dem Schöpfer-Gott in manchen hinduistischen Philosophien, erschaffen und auferlegt werden. Hier geht es um die Glaubensvorstellung, dass Leiden von einem Schöpfer kommen, einem Gott, hoch oben im Himmel, dem manchmal danach ist, uns leiden zu lassen und andere Male nicht. Es hängt davon ab, ob wir ein guter Junge oder ein gutes Mädchen sind; oder wenn wir ihm nicht gehorchen, sind wir ein schlechter Junge oder ein schlechtes Mädchen. Es könnte auch einfach sein, dass der Gott ganz ohne Grund gerade Lust dazu hat. Das ist eine falsche Sichtweise.

Die vierte verzerrte Sichtweise bezieht sich auf etwas, das besonders in der Jain-Philosophie, einer anderen Schule der Philosophie in Indien, zu finden ist. Was die Ursachen des Leidens betrifft, so gibt es da etwas von Natur aus Beständiges, was sich jedoch vorübergehend, je nach Anlass, ändert. Damit denken wir, wir hätten eine beständige Seele, die glückselig ist und immer in dieser Glückseligkeit bleibt. Wir denken, unsere Leiden und Probleme hätten etwas mit unserer Verbindung zu weltlichen Angelegenheiten und materiellen Dingen zu tun. Könnten wir uns einfach nur völlig davon lösen und im Grunde nichts tun, würden wir Befreiung erlangen. Sie denken, wir müssen uns zu Tode hungern, denn wenn wir essen, könnten wir ja ein winziges Lebewesen verschlucken, und es wäre notwendig, bewegungslos sitzenzubleiben, denn wenn wir uns bewegen, könnten wir auf etwas treten. Wenn wir nichts tun, erlangen wir Befreiung. Könnten wir uns selbst von all diesen materiellen Dingen lösen, würde das vorübergehende Leid nicht weiter stattfinden und wir würden zur grundsätzlichen Natur der Seele, die glückselig ist, zurückkehren. Das ist eine falsche Sichtweise. 

Buddha lehnte diese Sichtweise als fanatisch und extremistisch ab. Wir haben diese Art von Körper, mit dem wir, wenn wir uns bewegen oder etwas tun, immer jemanden töten werden. Das ist das Problem mit dieser Art von Körper. Wenn wir essen, trinken oder atmen werden wir lebende Organismen töten. Der Ausweg besteht jedoch nicht darin, zu sitzen und nichts zu tun, sondern den Mechanismus zu stoppen, der uns kontinuierlich in eine Wiedergeburt mit dieser Art von Körper wirft. Uns geht es darum, als ein Arhat einen „Lichtkörper“ zu bekommen, aber das ist ein anderes Thema.

Die vier verzerrten Weisen, sich wahren Beendigungen zuzuwenden 

Die erste falsche Sicht in Bezug auf wahre Beendigungen ist zu meinen, es gäbe so etwas, wie die Befreiung, nicht gibt. Viele Menschen glauben, es gäbe keinen Ausweg und wir müssten einfach nur den Mund halten und akzeptieren, dass es Leid gibt. Wir machen das Beste daraus und versuchen, damit klarzukommen. Das ist eine interessante Sichtweise. Denken wir so? Wir versuchen, unser Leiden zu minimieren, doch im Wesentlichen glauben wir, wir müssten lernen, damit zu leben. Das ist nicht die buddhistische Sichtweise und sie wird als falsche Ansicht betrachtet. Auf jeden Fall gibt es Befreiung und zweifelsohne gibt es eine wahre Beendigung. Wir können Leiden und dessen Ursachen für immer ein Ende setzen.

Die zweite verzerrte Sichtweisen besteht darin zu meinen, bestimmte befleckte Phänomene wären Befreiung. Das bezieht sich auf die tiefsten Zustände der tiefen Konzentration, die in der Meditation erlangt und im Sanskrit als dhyanas bezeichnet werden. Hat ein Praktizierender erst einmal vollkommene Konzentration erlangt, kann er tiefer und tiefer, auf immer subtilere Ebenen der Versenkung, gehen, auf denen bestimmte Geistesfaktoren, wie gewisse Gefühle, vorübergehend abgestellt werden. Dabei handelt es sich nicht zwangsläufig um eine buddhistische Praxis; Hindus tun dies ebenfalls. Auf diesen Ebenen haben wir vorübergehend keine körperlichen oder mentalen Leiden und kein Gefühl des Unglücklichseins. Gegebenenfalls erfahren wir nur mentales Glück oder lediglich einen neutralen Geisteszustand. Auf jeder dieser verschiedenen Ebenen erlangen wir vorübergehend eine Beendigung dieser anderen Ebenen. Unser Zustand wird immer feiner und subtiler. Wir sitzen einfach da und tun in diesen versunkenen Zuständen nichts anderes. Es ist eine falsche Sichtweise, zu denken, diese Zustände wären Befreiung, denn sie sind es nicht. Kommen wir aus der Meditation heraus, finden wir uns in all den gleichen Problemen und Leiden wieder.

Die dritte Täuschung besteht darin, zu meinen, bestimmte leidvolle Zustände wären Befreiung. Das bezieht sich auf eine der höheren Zustände göttlicher Wesen oder Götter. Die Götterbereiche sind in drei Bereiche unterteilt und der höchste von ihnen ist der Bereich der formlosen Wesen, der so genannte „formlose Bereich“. Die Götter auf dieser Ebene der Existenz haben keine groben Körper. Ihre Körper bestehen aus sehr subtiler Energie. Die verzerrten Sichtweise besteht darin, zu denken, wir hätten wahre Befreiung erreicht, wenn wir so eine Wiedergeburt erlangen. Das ist jedoch nicht der Fall, denn sogar diese Art der Wiedergeburt kommt zu einem Ende.

Die vierte falsche Sichtweise ist, zu meinen, das Leiden wäre etwas, dass wiederkommen wird, auch wenn es ein Erschöpfen des Leidens geben mag. Mit anderen Worten denken wir, wir könnten uns von den Leiden nur für kurze Zeit lösen, da sie, so oder so, wiederkommen werden. Es geht darum zu meinen, so etwas, wie eine endgültige Loslösung von Leiden, gäbe es nicht. Das ist jedoch nicht wahr. Das sind die vier falschen Ansichten in Bezug auf wahre Beendigungen. 

Es wird wirklich spannend, wenn man beginnt darüber nachzudenken und wirklich zu verstehen, was Befreiung eigentlich bedeutet. In den buddhistischen Studien ist es ausgesprochen wichtig, wenn wir Befreiung und Erleuchtung anstreben, überzeugt davon zu sein, dass es tatsächlich möglich ist. Halten wir dies für unmöglich und denken, dass wir nicht dazu in der Lage sind, werden wir es nie anstreben können. Meinen wir, dass wir es nicht tun können, obwohl manche dieser Buddhas in alten Zeiten in Asien dazu in der Lage waren, sollten wir das untersuchen. Es ist wirklich wichtig, überzeugt davon zu sein, dass diese wahren Beendigungen tatsächlich stattfinden und wir sie erlangen können, und dass diese falschen Ansichten trügerisch sind.

Die vier verzerrten Weisen, sich wahren Pfaden des Geistes zuzuwenden 

In Bezug auf die wahren Pfade des Geistes besteht die erste falsche Ansicht darin, davon auszugehen, dass es so etwas wie einen Pfad des Geistes nicht gibt, der zur Befreiung führt. Mit anderen Worten: es gibt keinen Ausweg. Ganz unabhängig davon, was wir verstanden haben, meinen wir, es gäbe nichts, was uns von unkontrollierbar sich wiederholender Wiedergeburt und Leiden befreien kann. 

Die zweite Täuschung und falsche Ansicht ist, zu meinen, ein Pfad des Geistes der Meditation über das Fehlen einer unmöglichen „Seele“ wäre ein unangemessenes Mittel. Anders ausgedrückt denken wir, es würde uns nicht weiterbringen, darüber zu meditieren, dass es so etwas wie diese statische, unveränderliche „Seele“ nicht gibt, die ein Lebensfunke ist, die Größe des Universums hat oder irgendwelche anderen falschen Eigenschaften besitzt. Wir glauben nicht, dass uns das Leugnen so einer „Seele“ oder eines Selbst zur Befreiung führen wird und eine angebrachte Methode ist. 

Die dritte falsche Ansicht ist, die Meinung zu vertreten, dass bestimmte Zustände geistiger Stabilität oder dhyanas selbst Pfade des Geistes wären, die zur Befreiung führen. Wir denken es würde reichen, einfach nur diese tiefen meditativen Versenkungen zu erreichen und sie selbst würden zur Befreiung führen. Das entspricht nicht der Wahrheit, da diese Geisteszustände nur Werkzeuge sind, die uns helfen können, und nicht die eigentliche Methode.

Die vierte falsche Ansicht ist zu denken, so etwas wie einen Pfad des Geistes gäbe es nicht, der einen Rückfall der Leiden verhindern kann. Es gäbe also nichts, was wir machen könnten, um für immer von wahren Leiden und deren wahre Ursprünge frei zu werden.

Das sind die 16 falschen Ansichten. Diese Art des Studiums und der Meditation darüber sind gemäß dieser schriftlichen Darstellung die Basis für den buddhistischen Pfad. Das trifft auch für andere Formen des Buddhismus zu. Im Wesentlichen sind die vier edlen Wahrheiten das, was Buddha gelehrt hat. In Maitreyas Text, den wir untersucht haben, wird es noch viel ausführlicher dargestellt.

Anwendung der 16 Aspekte der vier edlen Wahrheiten im Tantra 

Schließen wir diese Erörterung ab, indem wir uns die 16 Aspekte der vier edlen Wahrheiten im Sinne des Vajrayana, also des Tantra, ansehen. Zunächst ist Tantra eine höchst komplexe und komplizierte Thematik. Im Tantra gibt es vier Praxis-Klassen und jene, die hier relevant für uns ist, ist die höchste Klasse: Anuttarayoga-Tantra. 

Genau wie Sutra ist auch Tantra ein Mahayana-Fahrzeug des Geistes, das zur Erleuchtung führt. Was Erleuchtung verhindert, ist die Tatsache, dass der Geist Dinge ganz von sich aus als solide, eingehüllt in Plastik und unabhängig von allem anderen erscheinen lässt, als wäre alles von Linien umzogen. Das ist es, was wir wirklich loswerden müssen, denn aus diesem Grund glauben wir, die Erscheinungen würden der Realität entsprechen und dann handeln wir, als würden die Dinge auf diese Weise existieren.

Wodurch entsteht diese widersprüchliche Erscheinung? Das hat etwas mit den sehr subtilen Ebenen des Geistes zu tun. In der höchsten Tantra-Klasse sprechen wir von der subtilsten Ebene des Geistes, die man als Klare-Licht-Ebene des Geistes kennt. Diese Ebene des klaren Lichts sorgt für die Kontinuität unserer individuellen, subjektiven geistigen Aktivität. Sie liegt allen gröberen Ebenen der geistigen Aktivität zugrunde und setzt sich von einem Augenblick zum nächsten durch den Tod bis ins nächste Leben fort und führt auch bis ins Nirvana und zur Erleuchtung. Das ist es, was für die Kontinuität sorgt. 

Diese subtilste Ebene der geistigen Aktivität kann man anhand eines Radios beschreiben, welches verschiedene Sender hat, sowie leiser und lauter sein kann etc. Dieser Geist des klaren Lichts ist jedoch nur die Ebene, auf der das Radio angeschaltet ist. Das Radio ist an. Es ist egal, in welchem Wiedergeburtszustand oder auf welchem Sender wir uns gerade befinden. Es spielt keine Rolle ob es laut oder leise ist, oder wie viele Leiden wir haben: das Radio ist immer an. Das ist die Klare-Licht-Ebene des Geistes.

Diese Klare-Licht-Ebene des Geistes selbst ist in ihrem natürlichen Zustand so ziemlich das, worauf wir uns beziehen, wenn wir von der Buddha-Natur sprechen. Sie bringt keine Erscheinungen solider Existenz hervor. Sie lässt Dinge nicht als feststehend erscheinen und vertritt nicht den Glauben, die Dinge würden wirklich so existieren. Sie ist ohne Konzepte, also nichtkonzeptuell. In der Dzogchen-Tradition bezeichnet man sie als „reines Gewahrsein“, rig-pa. Dieser Geist auf der Ebene des klaren Lichts versteht nicht zwangsläufig, dass sich diese verrückten Erscheinungen auf nichts Reales beziehen, doch von Natur aus erschafft er keine dieser widersprüchlichen Erscheinungen.

Im Tantra geht es uns um das gleiche wie im Sutra: wir streben an, die wahren Leiden und dessen wahre Ursprünge für immer zu beseitigen. Was sind hier die wahren Ursprünge? Wir haben ja kurz über die zwölf Glieder des abhängigen Entstehens gesprochen, und darüber, dass wir karmische Potenziale haben, die von unserem zwanghaften karmischen Verhalten stammen. Unser Verlangen nach Gefühlen und unser Greifen nach einem unmöglichen „Ich“, welches sie erfährt, aktivieren einige dieser karmischen Potenziale kurz bevor wir sterben und rufen einen werfenden karmischen Impuls hervor, der unser geistiges Kontinuum in eine nächste Wiedergeburt wirft. 

Im Augenblick unseres Todes ist alles, was wir haben, eine Klare-Licht-Ebene des Geistes und eine sehr subtile Ebene der Energie, die ihn stützt, wie die Elektrizität, die das Radio in Gang setzt, wenn es angeschaltet ist. Wenn wir in den nächsten Wiedergeburtszustand kommen, beginnt diese sehr subtile Ebene der Energie und auch unsere geistige Aktivität immer gröber zu werden. Die zugrunde liegende Ebene des klaren Lichts bleibt jedoch bestehen. Das Radio ist immer an, doch mit einem neuen Wiedergeburtszustand ist nun ein anderer Sender eingeschaltet, als im vergangenen Leben. Unser Geist beginnt mit diesen gröberen Ebenen der geistigen Aktivität erneut, diese verrückten Erscheinungen solider Existenz hervorzubringen. Das ist wahres Leiden.

Natürlich geht es uns, wie zuvor schon erwähnt, darum, unkontrollierbar sich wiederholende Wiedergeburten zu beenden und im Tantra das Hervorbringen von Erscheinungen solider Existenz, das mit der Wiedergeburt einhergeht, zu einem Ende zu bringen. Wie im Sutra ist es notwendig, die nichtkonzeptuelle Wahrnehmung zu haben, dass es kein solides „Ich“, eine unmögliche „Seele“, gibt, welche diese trügerischen Erscheinungen hervorbringt und erfährt. Wir streben an, in der Lage zu sein, die gröbere Ebene geistiger Aktivität zu beenden und den Geist des klaren Lichts zu aktivieren, sowie dies nicht nur im Tod sondern auch in der Meditation zu tun. Wir wollen diese Klare-Licht-Ebene des Geistes stabilisieren und bewahren, damit der Geist nicht gröber wird und wieder beginnt, all diese verrückten Erscheinungen hervorzubringen und zu glauben, sie würden dem entsprechen, wie Dinge tatsächlich existieren. Damit der Geist des klaren Lichts dies tun kann, muss er die Leerheit dieser Erscheinungen und des „Ichs“ wahrnehmen, das sie erfährt.

Gewissermaßen könnten wir sagen, dass sich wahre Leiden im Tantra auf das Hervorbringen von Erscheinungen solider Existenz und das Glauben an diese trügerischen Erscheinungen bezieht, die wir mit der Wiedergeburt haben. Ihr wahrer Ursprung sind die gröberen Ebenen des Geistes, die sie hervorbringen. Diese gröberen Ebenen des Geistes sind befleckt durch emotionale und kognitive Schleier, und diese Schleier treten nur auf diesen Ebenen auf. Die wahre Beendigung ist die Klare-Licht-Ebene des Geistes, die von Natur aus frei davon ist, diese Erscheinungen zu produzieren und an sie zu glauben. Und der wahre Pfad des Geistes ist, wie im Sutra, das unterscheidende Gewahrsein der Leerheit, das hier jedoch nicht nur Entsagung und Bodhichitta begleitet, sondern auch die verschiedenen Methoden zum Beenden der gröberen Ebenen des Geistes. 

Im Vajrayana denken wir dann mehr über diesen ganzen Prozess nach, wie der Geist diese verrückten Erscheinungen hervorbringt. Wir wollen den Geist davon abbringen, diese Erscheinungen hervorzurufen und die wirksamste Methode ist, diese gröberen Ebenen des Geistes durch die Kraft der Meditation zu beenden. 

Für gewöhnlich ist es so, dass unsere Energien in unserem Körper verrückt spielen. Wir erleben das, indem wir uns nervös und unsicher fühlen, uns aufregen und so weiter. Einfach ausgedrückt streben wir in den fortgeschrittenen Tantra-Praktiken gewissermaßen an, all diese Energie zu zentralisieren und aufzulösen. Wenn wir das tun, lösen sich auch diese gröberen Ebenen des Geistes auf. Sind wir so besorgt und nervös, und bringen diese Energie zur Ruhe, wird auch der Geist, der sich solche Sorgen macht und über all diese Dinge nachdenkt, zur Ruhe kommen. Es gibt recht fortgeschrittene Yoga-Methoden zum Zentralisieren, Beruhigen und Auflösen dieser Energie. 

Hier reden wir über die Pfade zu den wahren Beendigungen dieser Energien, die aus der Klaren-Licht-Ebene des Geistes kommen und immer gröber werden. Uns geht es darum, das gesamte Verständnis dieser Ebene des klaren Lichts des Geistes zu haben, denn es ist ein effektives Mittel, um emotionale und kognitive Schleier zu beseitigen.

Das ist im Wesentlichen die Essenz dessen, was wir im Tantra versuchen zu tun. All das basiert auf dem Sutra-Verständnis der 16 Aspekte der vier edlen Wahrheiten und dem Beseitigen der 16 falschen Ansichten. Es geht nicht nur darum, all die Einzelheiten zu verstehen, sondern auch ein Verständnis einer unmöglichen „Seele“ und eines unmöglichen „Ichs“ zu haben, das sie erlebt. 

Abschließende Bemerkungen 

Wenn wir mit diesen 16 Aspekten der vier edlen Wahrheiten arbeiten, ist es überaus wichtig zu verstehen, wie Ursache und Wirkung existieren und funktionieren. Ursache und Wirkung sind nicht wie ein Tischtennisball oder ein Stück solider Plastik hier und ein anderer Tischtennisball dort. Wie könnte das Eine etwas Anderes bewirken, wenn es so wäre? Was verbindet Ursache und Wirkung? Verhält es sich so, wie in den indischen Schulen der Philosophie behauptet wird, dass es ein Verbindungsstück gibt, das sie wie durch einen Stab miteinander verbindet? Im Buddhismus hält man dies für unmöglich. Die einzige Weise, wie sie miteinander in Verbindung treten können, ist, indem sie nicht wie diese soliden Tischtennisbälle sind. 

Die Ursache ist eine Kombination von Millionen von Dingen, die sich ständig ändern und die Wirkung ist auch etwas, das aus Millionen unterschiedlicher Teile besteht, die fortlaufend im Wandel begriffen sind. Aus diesem Grund können sie aufeinander einwirken und somit kann eine Ursache eine Wirkung hervorbringen. Betrachten wir die wahren Ursprünge auf fälschliche Weise, sehen diesen Tischtennisball als das Problem und jenen als die Ursache, und machen aus beiden feststehende Dinge, wie könnten wir sie dann jemals loswerden? Wie könnte uns ein wahrer Pfadgeist helfen, Leiden und seine Ursachen zu beseitigen. Denken wir an den Pfadgeist, erkennen wir: „Dies ist das Gegenmittel. Das ist die Beendigung. Das ist das Resultat, das ich erlangen will.“ Machen wir diese Dinge jedoch zu etwas Solidem, wie Tischtennisbälle, die für sich selbst da sind, werden wir niemals wahre Beendigungen bewirken.

Wir müssen wirklich verstehen, was diese Faktoren sind, wie sie existieren und wie jeder von uns in Bezug auf sie existiert. Dafür beginnen wir natürlich mit unserer gewöhnlichen Ebene des Geistes. Im Tantra geht es uns jedoch darum, dies mit der subtilsten Ebene des Geistes, dem Geist des klaren Lichts, zu tun, den wir in der Meditation durch komplizierte Yoga-Methoden erlangen. Wir nutzen diese Methoden, um das unterscheidende Gewahrsein der Leerheit entschieden, nichtkonzeptuell und höchst effektiv zu erreichen. Darum geht es beim Tantra.

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