Allgemeine Fragen zum Karma

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Die Komplexität des Karmas 

An diesem Wochenende werden wir über Karma sprechen und obgleich das Thema als „Karma: Freier Wille versus Determinismus“ angegeben wurde, wird dies nur ein Teil dessen sein, worüber wir reden werden. Ich würde gerne etwas genauer darauf eingehen, was Karma ist, welche verschiedenen Geistesfaktoren mit Karma zu tun haben und wie Karma funktioniert, damit wir eine allgemeine Vorstellung davon haben, wie die Frage des freien Willens im Gegensatz zum Determinismus in die buddhistische Darstellung des Karmas passt. Ich bin mir auch bewusst, dass es viele Fragen gibt, die Menschen über Karma haben, und daher würde ich gern versuchen, einige dieser Themen hier in unserem Wochenende mit unterzubringen, um ein paar davon zu beantworten. Und es wird genug Zeit für Fragen geben. 

Wir sollten uns gleich zu Beginn darüber im Klaren sein, dass der Buddha selbst Karma als etwas sieht, was in seinen Lehren äußerst schwer zu verstehen und viel schwieriger als beispielsweise die Leerheit ist. Wir sollten uns also nicht wundern, wenn es kompliziert wird und es zahlreiche Aspekte gibt, die wir nicht verstehen können. So ist es nun einmal und wir sollten uns auch bewusst darüber sein, dass es im Buddhismus allerhand Erklärungen in Bezug auf Karma gibt. Es gibt nicht nur eine Darstellung und das heißt, dass wir die Funktionsweise von Karma auf vielerlei unterschiedliche Weise verstehen können und die verschiedenen Systeme uns unterschiedliche Erklärungen dazu geben, wie Karma funktioniert. 

Im Theravada-System gibt es eine Darstellung, die sich in vielfacher Hinsicht von jenen der von den Tibetern studierten Systeme unterscheidet, wie sie in Nalanda gelehrt wurden. Es wäre zu verwirrend und kompliziert, wenn wir versuchen würden, auch auf die Theravada-Darstellung mit einzugehen, doch wir sollten uns zumindest bewusst darüber sein, dass sie ziemlich unterschiedlich ist. Innerhalb dieser Darstellungen, die von den Tibetern studiert und befolgt werden, gibt es jene des Vaibhashika, die von dem indischen Meister Vasubandhu und seinem Werk „Abhidharmakosha, Ein Schatzhaus spezieller Themen des Wissens“ stammt. In seinem Kommentar kritisierte er sie jedoch oft und legte die Sautrantika-Position dar, während er in anderen Texten, die er verfasste, die Chittamatra-Erklärung vertrat. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Meister während seines Lebens unterschiedliche Systeme darlegen kann, was es schwer macht zu erkennen, welches System er selbst akzeptierte.  

Neben Vasubandhus Werken studieren die Tibeter auch die Werke Asangas. Eines von ihnen ist „Abhidharmasamuccaya, Eine Anthologie spezieller Themen des Wissens“, doch Asanga verfasste auch mehrere andere Werke und die Tibeter entnehmen Material von all seinen Texten. Asanga präsentiert Karma von der Chittamatra-Sichtweise. Viele dieser Punkte beruhen darauf, was schon vor ihm im Sautrantika vertreten wurde, doch er modifizierte sie, damit sie zu den anderen Behauptungen des Chittamatra passen. Die Madhyamaka-Darstellung des Karma geht Vasubandhu und Asanga voraus. In ihr werden die grundsätzlichen Merkmale dargelegt, auf die Vasubandhu später in seiner Darstellung der Vaibhashika-Version ausführlicher eingeht. Die Madhyamaka-Version wurde von Nagarjuna verfasst und legt Karma im Kontext der anderen Madhyamaka-Behauptungen dar.

Für jene von uns, die mit diesen verschiedenen Lehrsystemen vertraut sind, ergibt das einen Sinn, doch für alle anderen spielt es keine große Rolle und daher solltet ihr euch keine Sorgen deswegen machen. Es ist nur so, dass es mehrere unterschiedliche Systeme gibt, in denen Karma erklärt wird, und wir aus ihnen allen Erkenntnisse ziehen können. Die Tibeter studieren hauptsächlich die Darstellungen von Vasubandhu und Asanga, und in diesen beiden Systemen gibt es genügend Gemeinsamkeiten, mit denen wir in unserem täglichen Leben arbeiten können. Ich werde versuchen, meine Erklärungen vom Standpunkt dieser Gemeinsamkeiten auszuführen und in bestimmten Punkten werde ich auf die wesentlichen unterschiedlichen Positionen hinweisen. Auch sollte ich zu bedenken geben, dass es nicht nur die Tibeter sind, die einem Studienkurs folgen, der die Herangehensweisen von Vasubandhu und Asanga umfasst. Die Chinesen taten dies ebenfalls in den chinesischen Traditionen, in denen die Betonung auf dem Studium der buddhistischen Literatur Indiens liegt. 

Was ist Karma? 

Im Wesentlichen gibt es zwei Arten von Karma und darin sind sich alle Schulen einig. Nennen wir sie beide karmische Impulse. Es gibt karmische Impulse, die mit Handlungen des Geistes verbunden sind, und karmische Impulse, die sich auf Handlungen von Körper und Rede beziehen. Die mit Handlungen des Geistes verbundenen karmischen Impulse sind die Geistesfaktoren eines Dranges (tib. sems-pa, Skt. cetanā). Ein Drang ist der Geistesfaktor, der, während er ein sensorisches oder geistiges Bewusstsein und dessen andere begleitende Geistesfaktoren – Aufmerksamkeit, Konzentration, störende Emotionen oder was auch immer – begleitet, sie zu einem Objekt hinzieht, wie Eisenspäne von einem Magneten bewegt werden, die an ihm hängen. 

Es ist schwierig, ein Wort zu finden, was eine gute Beschreibung dafür ist, worauf sich dieser Geistesfaktor bezieht, und das Wort „Drang“ oder „urge“ im Englischen ist nicht wirklich passend, da es auch ein Verlangen oder Wunsch beinhaltet. Dieser Geistesfaktor wird von einem Wunsch für ein Objekt begleitet, doch er beinhaltet diesen Wunsch nicht. Der Geistesfaktor eines Dranges sollte am besten als „antreibendes Gewahrsein“ betrachtet werden. Während er sich über ein Objekt bewusst ist, treibt er das Bewusstsein und die Geistesfaktoren, die er begleitet, zu diesem Objekt hin. Es ist jedoch nicht so, dass der Drang zunächst auftaucht, dann ein Objekt wahrnimmt und schließlich das Bewusstsein und andere Geistesfaktoren dorthin zieht. Der Drang – dieses antreibende Gewahrsein – entsteht zusammen mit dem Objekt, dem Bewusstsein und anderen Geistesfaktoren, die er antreibt. Weil das antreibende Gewahrsein ein Geistesfaktor ist, wird es hier vom Energiewind oder „Lung“ unterschieden, welcher die physische Komponente ist, die diese gleiche Funktion erfüllt, das Bewusstsein und die Geistesfaktoren zu einem Objekt zu bewegen.

Nicht alle Dränge sind karmisch. So sind beispielsweise jene, die ein Sinnesbewusstsein antreiben, ein Sinnesobjekt wahrzunehmen, oder jene, die ein geistiges Bewusstsein antreiben, ein Objekt des geistigen Abschweifens wahrzunehmen, nicht karmisch. Die Dränge, die karmische Impulse sind, haben mit zwingenden karmischen Handlungen des Geistes zu tun. Es gibt zwei Arten:

  • Eine Art treibt das konzeptuelle geistige Bewusstsein und die begleitenden Geistesfaktoren an, über das Ausführen einer bestimmten Handlung des Körpers, der Rede oder über ein bestimmtes Objekt nachzudenken und eine Entscheidung zu treffen. Sie werden „auslösende karmische Impulse (tib. sems-pa’i las, Skt. cetanākarma) genannt, da sie eine karmische Handlung des Körpers oder der Rede auslösen und zwingend sind.  
  • Eine andere Art des karmischen Impulses für eine Handlung des Geistes ist jene, die zum Todeszeitpunkt aktiviert wird. Man nennt sie „werfendes Karma“ und sie treibt das Geisteskontinuum zum Tod, Bardo und in die nächste Wiedergeburt. Sie ist kein auslösender karmischer Impuls.  

Bei den zwanghaften karmischen Impulsen, die mit karmischen Handlungen von Körper und Rede verbunden werden, gibt es ebenfalls zwei Arten: 

  • Eine Art ist ein ausgelöster karmischer Impuls (tib. bsam-pa’i las, Skt. cetayitvākarma) – ein karmischer Impuls, der durch einen früheren auslösenden karmischen Impuls herbeigeführt wird.  
  • Die andere Art wird nicht durch einen früheren karmischen Impuls hervorgebracht und ist kein ausgelöster karmischer Impuls.  

Asanga und Vasubandhu vertreten ganz verschiedene Meinungen dazu, was diese karmischen Impulse sind, die mit karmischen Handlungen von Körper und Rede verbunden werden. Asangas Chittamatra-Version ist etwas komplizierter als die des Sautrantika, auf der sie beruht, und daher werden wir hier die Sautrantika-Darstellung benutzen, um Asangas Sicht darzulegen, da sie verständlicher ist. Für Asanga sind die karmischen Impulse, die mit karmischen Handlungen von Körper und Rede verbunden sind, die karmischen Impulse für diese Handlungen. Sie sind der Geistesfaktor eines Dranges – ein antreibendes Gewahrsein – welcher das Sinnesbewusstsein und seine begleitenden Geistesfaktoren antreibt, Körper und Rede zum Ausführen der Handlung zu bringen. Im Theravada stimmt man dieser Sichtweise zu.

Für Nagarjuna und Vasubandhu sind diese Dränge nicht die karmischen Impulse, die mit den Handlungen von Körper und Rede verbunden sind, obwohl sie das Sinnesbewusstsein und dessen begleitende Geistesfaktoren antreiben, Körper und Rede zum Ausführen der Handlung zu bringen. Die mit den Handlungen von Körper und Rede verbundenen karmischen Impulse sind die karmischen Impulse der Handlungen, nicht die karmischen Impulse für die Handlungen. Sie sind Formen physischer Phänomene, nicht der Geistesfaktor des antreibenden Gewahrseins eines Dranges. Es gibt zwei Arten:

  • Die offenbarende Form der Handlung ist die Bewegung des Körpers oder die Äußerung von Lauten der Rede als Methode, die angewandt wird, um die Handlung von Körper oder Rede stattfinden zu lassen. Sie offenbart den ethischen Status des Geistes, der ihn als konstruktiv, destruktiv oder unspezifisch in Erscheinung treten lässt. 
  • Die nicht-offenbarende Form der Handlung ist eine äußerst subtile Form eines physischen Phänomens, die ihren ethischen Status nicht offenbart. Sie tritt meistens im Fall bestimmter stark motivierter konstruktiver oder destruktiver Handlungen auf. Ein Beispiel dafür ist eine gelobte Enthaltung. Ein Gelübde ist eine unsichtbare subtile Form, die sich auch nach dem Ablegen des Gelübdes weiter fortsetzt und Körper und Rede dazu veranlasst, in jedem Moment davon abzulassen, die Handlung zu begehen, die man gelobt hat zu vermeiden.    

Es ist ausgesprochen wichtig zu verstehen, dass sich Karma keineswegs auf eine Handlung bezieht. Karma ist entweder der Geistesfaktor, der eine Handlung antreibt, oder die Bewegung des Körpers oder die Äußerung von Lauten der Rede als Methode, die angewandt wird, um die Handlung von Körper oder Rede stattfinden zu lassen. Das Wort „Karma“ mit „Handlung“ zu übersetzen, ist somit völlig irreführend. Die Tibeter haben den Begriff mit dem Wort „las“  übersetzt, was umgangssprachlich für „Handlung“ steht, und wenn sie Texte ins Englische übersetzen, bezeichnen sie Karma als „action“ oder Handlung und die Übersetzer im Westen folgen ihrem Beispiel. Würde sich Karma jedoch einfach auf Handlungen beziehen, müsste man nur aufhören etwas zu tun, um sich von Karma zu befreien, was allerdings keinen Sinn ergibt. Das Sanskrit-Wort „Karma“ stammt aus dem Verb kṛ, „tun“, doch es geht dabei nicht so sehr um die Handlung, sondern darum, was die Handlung stattfinden lässt. 

Die tibetischen und Sanskrit-Worte für „urge“ oder „Drang“ (tib. sems-pa, Skt. cetanā) als „volition“ oder „Willensregungen“ zu übersetzen und dann karmische Handlungen als „volitional actions“ oder „willentliche Handlungen“ zu bezeichnen, ist ebenfalls irreführend. „Willensregung“ deutet auf einen Willensakt hin und steht somit dem Begriff näher, den ich mit „Absicht“ übersetze (tib. ’dun-pa, Skt. chandas). Ein Drang und eine Absicht sind zwei recht unterschiedliche Geistesfaktoren, obgleich sie sich stets gegenseitig begleiten. 

Absicht 

Asanga definiert die Absicht als „den Wunsch, die treibende Kraft in Bezug auf diese oder jene Handlung gegenüber einem angestrebten Objekt zu sein. Sie übernimmt die Rolle, als Stütze für das Ausführen der Handlung mit Ausdauer zu dienen.“ Gyaltsab Je führt weiter aus: „Eine Absicht ist ein Gewahrsein, das sich auf ein beabsichtigtes Objekt richtet und je nach Interesse an ihm differenziert wird. Unterteilt man sie, kann die Absicht der Wunsch sein, dem Objekt zu begegnen, sich nicht von ihm zu trennen oder reges Interesse an ihm zu haben. Sie deutet auch individualisierende Gewissheit bezüglich nicht beabsichtigter Objekte an, gegenüber denen man keine Absicht hegt.“ 

Gyaltsab Je erklärt weiter, dass die Absicht der Wunsch sein kann, etwas zu erleben, was wir zuvor wahrgenommen oder getan haben, wie die Absicht, Freunde zu treffen und nette Dinge zu ihnen zu sagen. Sie könnte auch der Wunsch sein, sich nicht von etwas zu trennen, was momentan wahrgenommen oder getan wird, wie die Absicht nicht damit aufzuhören, unseren Freunden nette Dinge zu sagen, oder sie könnte ein reges Interesse daran sein, etwas in der Zukunft zu erlangen, wie eine Absicht, unseren Freunden schöne Dinge zu sagen, wenn wir sie treffen. 

Das auseinanderhaltende Gewahrsein (tib. ’du-shes, Skt. saṃjñā) ist ein weiterer Geistesfaktor, der unsere verschiedenen Bewusstseinsarten und begleitenden Geistesfaktoren begleitet. Diese Erklärung über die Absicht lässt erkennen, dass wir zunächst unsere Freunde mit auseinanderhaltendem Gewahrsein erkennen müssen, indem wir sie entweder sehen oder über sie nachdenken, bevor wir die Absicht oder den Wunsch haben können, etwas ihnen gegenüber zu tun, wie ihnen schöne Dinge zu sagen. Ein anderer Punkt ist, dass ein auseinanderhaltendes Gewahrsein und eine Absicht, etwas zu tun, der Handlung nicht nur vorangehen, sondern sie auch begleiten. Während wir etwas tun, haben wir nach wie vor die Absicht es zu tun und das unterscheidende Gewahrsein hinsichtlich der Person, auf die diese Handlung gerichtet ist. 

Eines der Dinge, die aus karmischen Potenzialen heranreift, ist unser Gefallen daran, etwas zu tun. Durch das karmische Potenzial, anderen etwas Schönes zu sagen, was auf Handlungen des Sprechens schöner Dinge und den damit verbundenen karmischen Impulsen zurückzuführen ist, sagen wir zum Beispiel anderen gern schöne Dinge; ganz automatisch tun wir es. Der Gefallen daran ist das, was heranreift. Karmische Impulse reifen nicht aus karmischen Impulsen heran. 

Beispielsweise sehen wir jemanden und unterscheiden ihn von anderen Menschen, die wir ebenfalls sehen. Das löst unsere Vorliebe dafür aus, der Person etwas Schönes zu sagen und lässt einen Gedanken entstehen, mit dem wir sie unterscheiden und die Absicht oder den Wunsch haben, ihr etwas Schönes zu sagen. Dieser Gedanke wird von einem Drang, einem antreibenden Gewahrsein der Person, gesteuert und wird von einer Absicht – dem Wunsch, ihr etwas Schönes zu sagen – begleitet. Dann haben wir vielleicht die karmische Handlung des Geistes, darüber nachzudenken, etwas Schönes zu sagen, und uns zu entscheiden, es zu sagen. Diese karmische Handlung des Geistes wird von einem antreibenden Gewahrsein – nämlich einem Drang, der ein karmischer Impuls für eine Handlung des Geistes ist – gesteuert und wird von dieser Absicht, dem Wunsch der Person etwas Schönes zu sagen, begleitet. 

Folgen wir Asangas Darstellung, bringt dann, nachdem wir diese Entscheidung getroffen haben, ein antreibendes Gewahrsein – in diesem Falle ein Drang, der ein karmischer Impuls für eine Handlung der Rede ist – das Körperbewusstsein dazu, durch die Rede etwas Schönes zu der Person zu sagen. Das Körperbewusstsein und der Drang werden weiter von einer Absicht, dem Wunsch, ihr etwas Schönes zu sagen, begleitet. Hier gilt es zu beachten, dass wir in all diesen Schritten die Person, der wir etwas Schönes sagen wollen, und das, was wir sagen wollen – wir wollen ihr etwas Schönes sagen –, mit auseinanderhaltendem Gewahrsein bestimmen. Wir können auch einen eigenständigen antreibenden Drang – in diesem Fall keinen karmischen – haben, der das Sehbewusstsein dazu bringt, die Person anzusehen.

Vasubandhu definiert die Absicht einfach als den Wunsch, etwas zu tun, und Jinaputra Yashomitra führt sie weiter als den Wunsch für ein beabsichtigtes Phänomen aus. Laut Vasubandhu gibt es in jedem Moment der Wahrnehmung eine Absicht. Er legt nicht, wie Asanga, fest, dass die Absicht entschieden sein und sich auf etwas Konstruktives beziehen muss. Asanga legt sie so fest, da er insbesondere die Geistesfaktoren analysiert, die sich auf die Meditation beziehen. Vasubandhu erweitert die Diskussion über Geistesfaktoren, indem er konstruktive, destruktive und unspezifische Handlungen miteinbezieht. In jedem Moment gibt es einen antreibenden Drang, eine Absicht und ein auseinanderhaltendes Gewahrsein. 

Das vermittelt uns ein völlig anderes Bild davon, was es bedeutet, wenn wir im Westen von bestimmten Handlungen reden, die absichtlich, und anderen, die unabsichtlich sind. Sagen wir einmal, wir fahren mit unserem Auto jemanden an. Nun hatten wir nicht die Absicht die Person anzufahren, doch wir hatten die Absicht mit dem Auto zu fahren und sicher ein gewünschtes Ziel zu erreichen. Unser Körperbewusstsein, durch das unser Körper mit dem Fahren des Autos beschäftigt war, wurde durch einen Drang angetrieben, obwohl dieser antreibende Drang laut Vasubandhu kein karmischer Impuls war. Der karmische Impuls in dieser Handlung des Autofahrens war die Bewegung der Hände und Füße als die Methode, die angewandt wurde, um das Fahren stattfinden zu lassen und sie erforderte ein auseinanderhaltendes Gewahrsein dessen, was wir taten. Die Person anzufahren und zu töten, während wir mit unserem Auto fuhren, war nicht das Ergebnis, das wir mit dem Fahren anstrebten und war keine absichtliche Handlung des Tötens von jemandem. Unser Fahren mit dem Auto lieferte die Umstände für die Person, angefahren zu werden und zu sterben. Das Autofahren war eine karmische Handlung, die von der Absicht begleitet wurde, mit unserem Auto zu fahren, und war nicht die karmische Handlung jemanden zu töten, mit der Absicht, die Person zu töten. 

Diese Unterschiede sind höchst delikat und präzise, und es ist wichtig, diese Unterscheidung zu machen, wenn wir über Karma reden. Übersetzen und verstehen wir Karma als „Handlungen“ und antreibende Dränge als „Willensregungen“, verlieren wir diese Unterschiede und sie so zu übersetzen führt zu großer Verwirrung und Missverständnissen. Das ist immer das Problem, wenn wir diese Dinge verstehen wollen; wir richten uns einfach nach den Worten, die von früheren Übersetzern gewählt wurden und sind uns nicht der Definitionen bewusst. Aus diesem Grund denken wir dann, diese übersetzten Begriffe würden sich auf das beziehen, was sie in unseren Sprachen bedeuten, was jedoch nicht der Fall ist. Das Problem ist im Grunde, dass es in unseren Sprachen nicht die Worte dafür gibt, die mit den Begriffen im Sanskrit oder im Tibetischen exakt übereinstimmen und manchmal entsprechen nicht einmal die übersetzten tibetischen Begriffe der Bedeutung der ursprünglichen Sanskrit-Worte.

Der Unterschied zwischen einer Absicht und einem Drang 

Könnten Sie noch einmal die Reihenfolge zwischen der Absicht und dem Drang erklären. Was findet hier statt? Gibt es irgendwo eine Lücke, in der wir Entscheidungen treffen können? 

Nun, lasst mich das erklären. Zunächst wird etwas angeregt, beruhend auf unserer unbewussten Vorliebe dafür, etwas zu tun, und wir denken mit der Absicht oder dem Wunsch, es zu tun, darüber nach. Wir wollen gern etwas tun und fühlen uns automatisch dazu hingezogen, es zu tun. Wir wollen das, was wir in der Vergangenheit getan haben, wiederholen, wir wollen etwas fortsetzen und nicht damit aufhören, was wir gerade tun, oder wir wollen als nächstes etwas in der Zukunft tun. Es ist nur ein Gedanke und wir würden sagen: „ich habe Lust es zu tun.“ Es ist kein Gedankengang und so ist der Drang, der das geistige Bewusstsein zu diesem Gedanken führt, kein karmischer Impuls. Doch wir könnten hier innehalten und nicht weiter darüber nachdenken, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen.  

Halten wir hier jedoch nicht inne, denken wir vielleicht darüber nach, es zu tun und treffen die Entscheidung, es zu tun. Der Gedankengang ist eine karmische Handlung des Geistes. Er wird von einem Drang gesteuert, der ein karmischer Impuls des Geistes ist und er wird von der Absicht oder dem Wunsch begleitet, es zu tun. Nur eine Absicht oder den Wunsch zu haben, etwas zu tun, bedeutet nicht, dass wir uns entschieden haben, es zu tun. Wir könnten den Gedankengang anhalten, bevor wir eine Entscheidung treffen und uns sogar entscheiden, das, was wir tun wollten, nicht zu tun. Doch sogar, wenn wir uns entscheiden es zu tun, könnten wir hier innehalten und es nicht tun. Es gibt also Lücken zwischen dem bloßen Gefühl, etwas tun zu wollen und dem Nachdenken darüber, es zu tun; zwischen dem Nachdenken darüber, es zu tun, und der Entscheidung, es zu tun; und zwischen der Entscheidung, es zu tun und der eigentlichen Tat.

Sogar wenn wir tatsächlich etwas tun, gibt es bestimmte Schritte in der Handlung. Nehmen wir einmal ein neutrales Beispiel: wir gehen zum Kühlschrank, um uns etwas zum Essen zu holen. Wir müssen zum Kühlschrank gehen, die Tür öffnen, unsere Hand hineinstecken und etwas herausholen. An jedem dieser Punkte könnten wir innehalten und sogar, wenn wir etwas aus dem Kühlschrank herausgenommen haben, könnten wir uns entscheiden, es wieder zurückzulegen und nicht zu essen. Es gibt so viele Lücken, in denen wir uns entscheiden können, nicht weiterzugehen.

Wie verhält es sich mit manchen Dingen, wie dem Drang ins Bett zu gehen? 

Zuerst fühlen wir uns müde. Wir stellen fest, dass wir müde sind. Informationen kommen also rein und sie lösen den Gedanken aus, ins Bett zu gehen. Wir haben Lust, schlafen zu gehen. Wir haben ein Interesse daran, ins Bett zu gehen und wünschen uns, es zu tun – das ist die Absicht. Dann gibt es da einen antreibenden Drang – einen karmischen Impuls des Geistes – der den Geist antreibt, darüber nachzudenken ins Bett zu gehen und zu entscheiden: „ich werde jetzt ins Bett gehen.“ Wir treffen also die Entscheidung: „ich gehe jetzt ins Bett.“ Dann gibt es einen antreibenden Drang, der den Geist dazu bringt, dass der Körper die Handlung ausführt, ins Bett zu gehen, und das ist ein karmischer Impuls für eine Handlung des Körpers. 

Doch Sie sagen, es könnte eine weitere Absicht geben, nicht ins Bett gehen sondern aufbleiben zu wollen und die ganze Nacht zu meditieren. 

Genau – und das ist interessant, denn es könnte eine weitere Absicht hochkommen, ein Wunsch, die ganze Nacht aufzubleiben und zu meditieren. Weil nun sowohl die Vorliebe dafür besteht, zu Bett zu gehen und aufzubleiben, um zu meditieren, entstehen zwei widersprüchliche Gedanken. In dem Gedankengang darüber, was nun zu tun ist und sich zu entscheiden, gibt es den Geistesfaktor des unentschlossenen Schwankens (tib. the-tshoms): „soll ich nun dieses oder jenes tun?“ Das Ergebnis dieser karmischen Handlung des Geistes besteht darin, zu einer Entscheidung zu kommen. Wenn wir uns entscheiden, wird unser Gedankengang durch den Geistesfaktor des unterscheidenden Gewahrseins (tib. shes-rab) begleitet, der zwischen dem unterscheidet, was ich tun und dem, was ich nicht tun werde. Der Geistesfaktor der festen Überzeugung (tib. mos-pa) fügt dieser Entscheidung Entschiedenheit hinzu. Der karmische Impuls eines Dranges ist das, was diesen ganzen Gedankengang antreibt. Doch sogar wenn wir uns entscheiden aufzubleiben und zu meditieren, kann es passieren, dass das Telefon klingelt und wir unterbrochen werden. Nach dem Anruf sind wir dann zu müde und entscheiden uns letztlich doch schlafen zu gehen. Setzen wir uns hin, um zu meditieren, gibt es da den antreibenden karmischen Drang, der den Körper dazu bringt, sich hinzusetzen, und den antreibenden karmischen Drang, der den Geist in analytische Meditation steuert. 

Und dann schläft man ein! 

Warum passiert das? Schläfrigkeit entsteht als ein Geistesfaktor, der die Meditation begleitet. Er löst den Gedanken aus: „ich würde gern schlafen gehen.“ Wir mögen nicht einmal den Gedanken oder Gedankengang haben, uns zu entscheiden, ob wir mit dem Meditieren aufhören und ins Bett gehen sollten. Ein antreibender Drang, jedoch kein karmischer, treibt vielleicht das geistige Bewusstsein in einen Zustand des Schlafens, noch bevor wir aufstehen und zu Bett gehen. 

Welche Rolle spielt hier das unterscheidende Gewahrsein? 

Das unterscheidende Gewahrsein unterscheidet in Asangas System zwischen dem, was ich tun und dem, was ich nicht tun möchte; dies ist nützlich und das ist nicht nützlich. Es tritt erst in Erscheinung, wenn wir am Ende eines Gedankenganges darüber, ob wir etwas tun oder nicht tun sollen, zu einer Entscheidung kommen. Wenn Gyaltsab Je sagt: „Sie (eine Absicht) deutet ebenso auf individualisierende Gewissheit bezüglich unbeabsichtigter Objekte hin, gegenüber denen man keine Absicht hegt“, so ist diese Gewissheit nicht die feste Überzeugung, die man mit unterscheidendem Gewahrsein erlangt hat. Er spricht über die Gewissheit, um die es bei dem Ausschluss (tib. sel-ba) geht. Haben wir die Absicht, etwas tun zu wollen, schließt das aus, etwas anderes tun zu wollen. Wir beabsichtigen ausdrücklich etwas zu tun und haben damit die Absicht, nicht etwas anderes zu tun. In diesem Sinn hat unser auseinanderhaltendes Gewahrsein in Bezug darauf, was wir tun wollen, eine Gewissheit. 

Lediglich schlafen gehen zu wollen, mit der Absicht oder dem Wunsch zu Bett zu gehen, beinhaltet kein unterscheidendes Gewahrsein. Unterscheidendes Gewahrsein ist beteiligt, wenn wir darüber nachgedacht haben, ob wir schlafen gehen wollen und zu der Entscheidung gekommen sind, schlafen zu gehen. Die Absicht oder der Wunsch schlafen zu gehen, die von dieser Entscheidung getragen werden, stützen sich auf unterscheidendes Gewahrsein.

Ist eine Absicht logisch durchdacht oder nicht? 

Begrenzen wir die Analyse unserer Frage auf die Absicht, die den antreibenden Drang begleitet, der das Körperbewusstsein antreibt, den Körper oder die Rede dazu zu bringen, eine Handlung des Körpers oder der Rede zu begehen, kann dieser Handlung vorangehen oder nicht, rational darüber nachgedacht zu haben, die Handlung auszuführen und sich zu entscheiden, es zu tun. Vielleicht erinnert ihr euch daran, dass ich auslösende karmische Impulse und ausgelöste karmische Impulse erwähnt habe. Ausgelöste karmische Impulse sind antreibende Dränge für karmische Handlungen von Körper oder Rede, denen auslösende karmische Impulse vorangehen, welche die antreibenden karmischen Handlungen des Geistes sind, darüber nachzudenken und zu entscheiden, diese Handlung auszuführen. 

Das führt zu der ganzen Thematik der Handlungen, die wir eingehen, ohne sie zuvor zu bedenken, und jene, die wir zuvor bedacht haben, und worin jede von ihnen resultiert. Ob eine Handlung des Körpers oder der Rede zuvor bedacht wurde oder nicht, es gibt trotz allem eine die Handlung begleitende Absicht, einen Wunsch, sie auszuführen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wenn wir darüber nachdenken und entscheiden, etwas zu tun oder zu sagen, sollten wir das nicht damit verwechseln, dass die Handlung, die wir uns entschieden haben zu begehen, zu einem unbeabsichtigten Ergebnis führt, über das wir nicht nachgedacht und für das wir uns nicht entschieden hatten. 

Fahren wir beispielsweise mit unserem Auto und töten dabei Insekten, war die Absicht, die unser Autofahren begleitete, mit dem Auto zu fahren, um unser Ziel zu erreichen. Unsere Absicht bestand nicht darin, mit ihm zu fahren, um Insekten zu töten. Wir mögen vorher darüber nachgedacht haben oder nicht, ob wir, um an unser Ziel zu gelangen, mit unserem Auto fahren oder den Bus nehmen sollten und wir entschieden uns zu fahren. In beiden Fällen war unsere Absicht beim Fahren dieselbe, nämlich unser Ziel zu erreichen. Ein Ergebnis dabei war beabsichtigt: wir haben unser Ziel erreicht. Ein zweites, unbeabsichtigtes Ergebnis bestand darin, dass wir unterwegs Insekten töteten. Da unsere Absicht beim Fahren nicht der Wunsch war, Insekten zu töten, hat sich die Frage, ob wir unterwegs mit unserem Auto Insekten töten würden oder nicht, gar nicht gestellt. Hypothetisch hätten wir in Betracht ziehen können, dass wir beim Autofahren zwangsläufig Ameisen auf der Straße überfahren werden, und doch haben wir uns entschieden, trotzdem zu fahren. Aber sogar in diesem Fall bestand unsere Absicht beim Fahren nicht darin, Ameisen auf der Straße zu überfahren und zu töten.

Sowohl Asanga als auch Vasubandhu unterscheiden karmische Impulse, bei denen es eine Gewissheit gibt, wann die karmischen Potenziale, die sie hinterlassen, reifen werden, und karmische Impulse, bei denen es keine solche Gewissheit gibt. Eines der Kriterien, diese zwei Arten auseinanderzuhalten, besteht darin, ob sie zuvor bedacht wurden. Wenn sie zuvor bedacht und entschieden wurden, gibt es, abhängig von den Handlungen, die sie angetrieben haben, eine Gewissheit darüber, ob ihr karmisches Potenzial in diesem Leben, im nächsten oder irgendeinem Leben danach reifen wird. Wurden sie nicht zuvor bedacht und entschieden, gibt es keine solche Gewissheit darüber, wann sie reifen werden, aber sie werden irgendwann reifen. In Asangas System, welches ein Mahayana-System ist, ist es möglich, die karmischen Potenziale zu bereinigen, sodass sie gar nicht mehr zu Reife kommen, doch in Vasubandhus System, welches zum Hinayana gehört, ist das nicht möglich. Wegen diesem Unterschied vertritt Vasubandhu, dass das Töten, welches nicht zuvor bedacht wurde, wie in unserem Beispiel des Tötens von Insekten beim Autofahren, keine karmischen Konsequenzen hat. Asanga und Nagarjuna gehen jedoch davon aus, dass diese Handlungen Konsequenzen haben, auch wenn sie viel schwächer sind, als vorsätzliche Handlungen, diese Konsequenzen jedoch durch Reinigungspraktiken vermieden werden können.   

Das sind die Themen, auf die ich gern an diesem Wochenende eingehen möchte. Es handelt sich dabei um komplexe Systeme, doch wenn wir einmal eine Vorstellung von ihnen bekommen, ist es nicht so schwer, die allgemeinen Prinzipien zu verstehen, um was es beim Karma geht. Man muss jedoch recht präzise in Bezug auf die Geistesfaktoren und die Schritte sein, die damit verbunden sind. 

Doch manchmal scheint der Prozess ganz unbewusst abzulaufen und wir tun etwas, ohne groß darüber nachzudenken. Vielleicht liegen da ein paar Kekse auf dem Tisch und wir denken, dass wir nicht zugreifen werden, doch dann nehmen wir uns doch einen. 

Hier müssen wir unterscheiden zwischen dem antreibenden Drang, welcher der karmische Impuls für die Handlung des Geistes ist, darüber nachzudenken und zu entscheiden, den Keks nicht zu essen, und dem antreibenden Drang, welcher der karmische Impuls für die Handlung des Körpers ist, den Keks zu nehmen und zu essen. Jeder dieser karmischen Dränge ist ein „Motivator“. Ein Motivator ist etwas, das etwas anderes dazu bringt, in Erscheinung zu treten. Motivator-Dränge werden von konstruktiven oder destruktiven Emotionen begleitet. Der ursächliche Motivator des Denkens, den Keks nicht zu essen, war vielleicht nicht gierig zu sein, doch der gleichzeitig stattfindende Motivator des Nehmens und Essens war eventuell Gier. So passieren Dinge wie in unserem Beispiel. Unsere Gier überwog unserem Vorsatz, nicht gierig zu sein.

Asanga führt eine lange Aufzählung verschiedener Arten von Motivatoren unserer Handlungen an. Den Keks zu nehmen, muss nicht unbedingt durch unsere Gier oder unseren Wunsch nach dem Keks motiviert worden sein. Die Handlung kann sich ganz einfach aus einer festen Gewohnheit ergeben. Wir sind nicht hungrig, wir denken nicht wirklich darüber nach, den Keks zu essen und wollen ihn nicht einmal essen, doch dann stecken wir ihn aus reiner Gewohnheit in unseren Mund. 

Nun fragen wir uns vielleicht: „Wo bleibt das Ich, welches diese Entscheidung getroffen hat, den Keks zu essen?“ Hier greife ich etwas vor, doch wir können auch jetzt, als Teil unserer einleitenden Diskussion, darüber reden. Wir sollten daran denken, dass es kein unabhängiges „Ich“ gibt, welches getrennt von dem ist, wofür wir uns entscheiden. Wir denken: „Ich bin unabhängig von der ganzen Sache und so werde ich mich entscheiden, den Keks zu essen oder nicht.“ Diese Sichtweise des „Ichs“ ist jedoch völlig falsch, wenn wir es als vollkommen unabhängig von den Aggregaten – dem Körper, dem Bewusstsein, den Geistesfaktoren usw. – betrachten. Das „Ich“ ist ein Zuschreibungsphänomen, welches ausschließlich auf der Basis all der Komponenten dessen, was wir denken, sagen oder tun, existiert und erkannt werden kann. In unserer Erfahrung erleben wir es, als würden wir die Entscheidung treffen, doch da gibt es kein „Ich“, welches getrennt von dem ganzen System ist, das mit dem Treffen der Entscheidung verbunden ist. Die Entscheidung hat stattgefunden und sie ist aufgrund zahlreicher Faktoren entstanden. 

Wir können auf die ganze buddhistische Diskussion der Kausalität eingehen. Eine Art der Ursache dafür, dass etwas geschieht, wird „wirkende Ursache“ (tib. byed-rgyu) genannt. Alles andere neben dem, was tatsächlich passiert, ist die wirkende Ursache für das, was passiert, entweder direkt oder indirekt, denn alles im Universum ist miteinander verbunden. Die gesamte Geschichte, die Entwicklung dieses Universums, einfach alles ist verantwortlich dafür, dass der Keks auf dem Tisch liegt und dass es den antreibenden Drang gibt, der uns dazu bringt, ihn zu nehmen und zu essen. Alles ist an dem ursächlichen Prozess beteiligt. 

Es ist also nicht unsere Schuld. 

Das führt zu einem anderen Punkt, also dass es ein unabhängiges „Ich“ gibt, das getrennt von dem ganzen zu beschuldigenden System ist. Diese ganze Sache, bei der es darum geht, wer Entscheidungen trifft und ob es einen freien Willen oder Determinismus gibt, muss im Sinne der buddhistischen Erklärung darüber verstanden werden, wie das Selbst existiert. Aller Irrglaube entsteht durch das Denken, es gäbe da ein „Ich“, welches unabhängig von dem ganzen System dessen ist, was abläuft, existiert. Zudem muss man wirklich die Beziehung zwischen dem „Ich“ und den Aggregaten verstehen. Das Selbst ist Teil der Aggregate und nicht von ihnen getrennt. Und wir begehen Handlungen; es ist nicht so, dass sie niemand oder jemand anders begeht. Karma ist so kompliziert und schwierig zu verstehen, viel schwieriger als Leerheit, denn die Leerheit, besonders die Leerheit des Selbst, ist nur ein kleines Teil dessen, was wir verstehen müssen, um Karma zu verstehen. 

Was bestimmte Handlungen betrifft, die wir in unserem Leben ausführen, so beabsichtigen wir ein gewisses Ziel und führen eine Handlung aus, von der wir hoffen, dass sie zu diesem Ziel führt, doch dann tut sie das gar nicht. Wie kann man das verstehen?

In der buddhistischen Darstellung von Karma wird das äußerst gründlich analysiert. In Asangas System treibt ein antreibender Drang, der ein karmischer Impuls ist, ein Bewusstsein und dessen begleitende Geistesfaktoren an, eine Handlung zu begehen. Diese Handlung wird der „Pfad des karmischen Impulses“ (tib. las-lam) genannt und der karmische Impuls, der sie antreibt, wird nicht als ein Teil seines eigenen Pfades betrachtet. Der Pfad umfasst eine Grundlage, auf die die Handlung abzielt, ein auseinanderhaltendes Gewahrsein dieser Grundlage, eine Absicht, eine Emotion, eine Methode, die angewandt wird, um die Handlung geschehen zu lassen, und das Erreichens eines Ergebnisses oder Endziels. 

Die Methode, die angewandt wird, um die Handlung stattfinden zu lassen, muss ausgelöst werden und ihr beabsichtigtes Endziel erreichen. Wir können eine Handlung auslösen, doch sie führt vielleicht nicht zu ihrem beabsichtigen Ergebnis als ihr Endziel. Wir schießen auf jemanden mit der Absicht oder dem Wunsch, ihn zu töten, doch dann verfehlen wir ihn oder treffen ihn im Arm, woran er nicht stirbt. Die Handlung des Schießens mit dem Gewehr hat ihr Ergebnis erreicht, doch das Ergebnis ist, dass wir jemanden verwundet haben, was nicht das ist, was wir wollten, als wir den Abzug betätigten. Wir haben nicht die Handlung begangen, jemanden zu töten, obwohl das unsere Absicht war; wir haben die Handlung begangen, jemanden zu verwunden. Es wird zwei getrennte karmische Potenziale geben, die aufgebaut wurden, und sie werden zu verschiedenen karmischen Potenzialen heranreifen. Das eine ist das karmische Potenzial, darüber nachgedacht und sich entschieden zu haben, jemanden zu töten, und das andere ist das karmische Potenzial, jemanden verletzt zu haben. 

Wir sollten beginnen, sehr viel genauer zu analysieren, was sich abspielt. Es ist nicht so, dass wir eine Handlung auslösen und sie immer das Ziel erreicht, das wir beabsichtigen. Keineswegs. Darüber werden wir an diesem Wochenende reden. All die verschiedenen Faktoren des karmischen Pfades müssen vollständig sein, damit eine bestimmte Handlung stattfinden kann. Wenn einige der Faktoren nicht da sind, dekonstruiert sich die beabsichtigte Handlung und wird zu einer anderen. In diesem Beispiel, in dem wir auf jemanden schießen um ihn zu töten, dekonstruiert sie sich und wird zu der Handlung, jemanden lediglich zu verletzen. Es gibt kein Karma des Tötens, das ist wahr, doch es gibt das Karma, über das Töten nachzudenken und das Karma, jemanden zu verletzen. Es ist nicht so, dass es kein Karma gibt. Hier benutze ich das Wort „Karma“ auf recht freie Weise. 

Ich dachte an einen Cowboy-Film, den ich vor kurzem gesehen habe, in dem es jemanden gab, dessen Vater von dem „Baddie“ getötet wurde, worauf er die nächsten zwanzig Jahre damit verbrachte, schießen zu lernen, um der Beste im Westen zu sein, sodass er schließlich den Baddie töten konnte. Das ist vermutlich auch alles damit verbunden. Wenn ich versuche, jemanden zu erschießen, habe es aber nicht gelernt, ist das etwas anderes, als wenn ich die letzten zehn Jahre damit verbracht habe, Schießen zu lernen. 

Genau. Wenn jemand, wie in dem Cowboy-Film, zehn oder zwanzig Jahre damit verbringt, gut schießen zu lernen, damit er schließlich den Bösen töten kann und ihn tatsächlich tötet, sind die karmischen Resultate dieses Tötens viel schwerwiegender, als wenn jemand, der ohne jedes Training einfach schießt und den Bösen zufällig trifft und tötet; soviel ist sicher. Das führt zu der großen und langen Diskussion über all die Faktoren, die das Heranreifen des karmischen Potenzials schwerwiegender oder nicht so schwerwiegend machen. Wie ausführlich wir es geplant haben, wie viel Bemühung wir hineingesteckt haben usw. beeinflusst natürlich die Schwere dessen, was heranreift. 

Je mehr wir über Karma nachdenken, desto mehr weitet sich im Endeffekt unser Geist, da wir so viele verschiedene Faktoren mit ins Spiel bringen müssen. Letzten Endes ist es notwendig, alles mit in Betracht zu ziehen. Aus diesem Grund handelt es sich dabei um die am schwierigsten zu verstehende Thematik und daher kann nur ein Buddha sie vollständig verstehen, weil nur ein Buddha die Allwissenheit besitzt, alles zu kennen. Weil nur ein Buddha alles weiß (also allwissend ist) und insbesondere all die Faktoren im Karma kennt, ist sich ein Buddha über all die ursächlichen Faktoren bewusst, die einen Einfluss darauf haben, warum sich jemand in einem bestimmten Geisteszustand befindet, und weiß, welche Belehrung man dieser Person geben sollte und welche Auswirkung sie nicht nur auf diese Person, sondern auch auf alle anderen haben wird, die dieser Person jemals begegnen. 

Arten von Faktoren, die karmisches Potenzial heranreifen lassen 

Wenn eine Person auf eine andere schießt und sie verfehlt, wessen resultierendes Karma ist das dann? 

Alles, was passiert, ist das Resultat zahlreicher verschiedener Faktoren, nicht nur das Resultat einer Sache. Buddha sagte, dass ein Eimer nicht durch den ersten oder den letzten Tropfen gefüllt wird, sondern durch eine ganze Ansammlung von Wassertropfen. Die Person schießt vielleicht und weil sich ihre Hand bewegt oder sie gerade niesen musste, war sie abgelenkt oder hat ihre Konzentration verloren. Das könnte der Grund dafür sein, warum sie danebengeschossen hat. Es könnte auch sein, dass sich die Person gerade bewegt hat, auf die sie geschossen und die sie daher verfehlt hat. Das sind einige der verschiedenen Umstände, die aufgetreten sein könnten. 

Nehmen wir einmal an, wir hätten uns als das potenzielle Opfer bewegt und der Schütze hat uns verfehlt. Was ist das Resultat davon? Vielleicht wollten wir gerade etwas Konstruktives, etwas Destruktives oder etwas Neutrales tun, wie zum Essen zu gehen. Oder wir waren es gerade leid, in dieser Position zu stehen. Das sind die Umstände, die aufgetreten sind und wegen der wir nicht getötet wurden. Doch wenn der Schütze uns verfehlt hat und wir nicht getötet wurden, heißt das nicht unbedingt, dass dem Schützen das karmische Potenzial dafür fehlte, uns zu töten und uns das karmische Potenzial fehlte, durch ihn getötet zu werden. Wir könnten beide nach wie vor diese Potenziale haben, aber die Umstände waren gerade nicht da, um den Mord stattfinden zu lassen. 

Mit anderen Worten heißt das, dass es so viele verschiedene Faktoren gibt, die damit verbunden sind, warum eine Handlung nicht zu ihrem vorgesehenen Ergebnis kommt. Manche davon finden auf unserer Seite statt, andere auf der Seite der anderen Person und wieder andere beziehen sich auf die Umstände, wie den starken Wind, der eingesetzt und die Kugel abgelenkt hat. 

Wir sollten uns klar darüber sein, was tatsächlich aus karmischem Potenzial heranreift. Der karmische Drang, der unseren Geist antreibt, den Körper zu einer Handlung wie das Töten von jemanden zu bringen, reift nicht aus karmischen Potenzialen heran, und auch nicht die Absicht, jemanden zu töten. Was heranreift, ist die Vorliebe dafür, andere zu töten. Beruhend darauf werden dann bestimmte Umstände den Gedanken auslösen, jemanden zu töten, mit dem Wunsch, ihn oder sie zu töten, wie ich bereits ausführlich beschrieben habe.

Nehmt das Beispiel, die Straße zu überqueren und von einem Auto angefahren zu werden. Hat unser Karma das Auto dazu gebracht, uns anzufahren? Nun, das kann man nicht wirklich sagen. Gehen wir davon aus, führt uns das zu einer ziemlich solipsistischen Sicht des Universums, in der alles durch uns verursacht wird. Wir haben die andere Person nicht dazu gebracht, in dem Moment mit dem Auto zu fahren. Reift unser Karma für uns heran, die Straße genau in dem Augenblick zu überqueren, in dem die andere Person mit dem Auto fährt? Nun, das kann man auch nicht sagen, denn das scheint wiederum anzudeuten, dass wir einen Einfluss auf das Fahren der anderen Person haben. Man muss davon ausgehen, dass es zahlreiche Ursachen und Umstände gibt, die auf Seiten der anderen Person heranreifen, sodass sie zu einem bestimmten Augenblick mit dem Auto fährt. Es gibt einen weiteren Umstand auf unserer Seite in Bezug auf das Überqueren der Straße in dem Moment. Wir überqueren sie vielleicht, ohne hinzuschauen, weil wir gern Dinge tun, ohne sie zu überprüfen, wie unbedacht die Straße zu überqueren. Das könnte mit unserem Mangel an Geduld und unserem Mangel an Achtsamkeit zu tun haben. Die mechanische Ursache dafür, von dem Auto angefahren zu werden, ist das sich bewegende Auto, doch es ist keine karmische sondern eine mechanische Ursache. Ein kurzes Leben zu haben, weil wir von einem Auto angefahren wurden und jung sterben ist allerdings ein Resultat, das von einer karmischen Ursache heranreift. Es ist notwendig, zwischen einer Ursache und einem Umstand zu unterscheiden und korrekt zu deuten, welche Art der Ursache oder des Umstandes etwas ist. 

Es gibt stets ein Netzwerk von Umständen für ein karmisches Potenzial, um zur Reife zu kommen. Das führt uns zu einer ausgesprochen schwierigen Diskussion darüber, was dieses Potenzial zum Reifen bringt und dass es dieser Umstand aber nicht jener ist. Zusätzlich zu dem, was von uns aus stattfindet, muss es ausreichend Umstände geben, damit etwas heranreifen kann. Es gibt zahlreiche Faktoren, die daran beteiligt sind und dann stellt sich die Frage, wie weit wir damit gehen werden? Wenn unser karmisches Potenzial, angefahren zu werden, die Umstände für das karmische Potenzial der anderen Person bietet, uns anzufahren, müssen wir beginnen uns zu fragen, wie unser karmisches Potenzial wusste, dass die andere Person genau in dem Moment mit dem Auto fahren wird, damit wir just in dem Augenblick die Straße überqueren konnten, was ziemlich bizarr ist. Was stattfindet, ist einfach ein abhängiges Entstehen vieler Dinge. 

Was ist die Beziehung zwischen karmischen Ursachen und den Umständen dafür, dass karmische Ursachen heranreifen. 

Nehmen wir einmal an, wir fahren mit unserem Auto und wir kommen in ein Unwetter, die Straße ist rutschig, wir haben einen Unfall und fahren gegen einen Baum. Hat unser Karma das Unwetter herbeigeführt? Davon kann man nicht wirklich ausgehen. Das Unwetter ist auf vielerlei andere Ursachen zurückzuführen. Es diente als ein Umstand. Unsere karmischen Potenziale reiften dazu heran, in einer Gegend geboren zu werden, in denen es Unwetter gibt, sowie dazu, gern mit einem Fahrzeug zu fahren. Sie reiften jedoch nicht zu dem Unwetter heran. 

All das hat mit der recht komplizierten Frage zu tun: „Ist alles, was im Universum stattfindet, das Resultat unseres Karmas? Ist alles, was im Universum falsch läuft, unsere Schuld?“ Ich erinnere mich an jemanden, den ich kannte, der, wenn er zu einem Fußballspiel ging und sein Team verlor, immer sagte, dass es verloren hatte, weil er dabei gewesen ist und es somit seine Schuld war. Das ist doch recht krank, oder nicht? 

Im Chittamatra geht man nicht davon aus, dass wir die Einzigen sind, die im Universum existieren und dass alles von unserem Geist erschaffen wird. Dort wird über kollektives Karma oder gemeinsames Karma gesprochen, doch es gibt keine auffindbare Grundlage außerhalb, die wir alle miteinander teilen. Natürlich ist der Chittamatra-Standpunkt recht schwierig, in dem es darum geht, dass es kein äußeres Phänomen gibt und wir die Existenz anderer fühlender Wesen verantworten. Auf jeden Fall wird nicht gesagt, dass jeder in unserem Kopf existiert und unser karmisches Potenzial das einzige ist, was alles im Universum Stattfindende beeinflusst. Ganz gewiss nicht. Alles ist miteinander verbunden. Wir können jedoch sagen, dass ein Faktor, der die Weise der Entfaltung eines Universums beeinflusst, das kollektive karmische Potenzial ist, welches von allen Wesen mit dem karmischen Potenzial geteilt wird, in diesem Universum geboren zu werden. Das Universum muss sie stützen können.

Das bringt uns zu einem anderen Thema, für das wir heute Abend keine Zeit mehr haben, tiefer darauf einzugehen. Es geht darum, was karmische und was nicht-karmische Handlungen sind. Gibt es bestimmte Dinge, die geschehen, und die kein Karma sind? Das sollten wir uns wirklich gründlich ansehen. Vasubandhu hat dazu eine Darstellung, Asanga hat eine Darstellung und im Theravada gibt es ebenfalls eine Darstellung dazu. Wir haben bereits gesehen, dass die antreibenden Dränge, die unser Bewusstsein dazu bringen, etwas zu betrachten, beispielsweise keine karmischen Dränge sind.

Die Frage ist wirklich ziemlich komplex, doch es ist klar, dass es nicht unser karmisches Potenzial war, dass die Person sich bewegt hat, als wir auf sie schossen. Auch geschah ihre Bewegung zur Seite nicht aufgrund eines karmischen Potenzials, das für sie heranreifte, nicht getötet zu werden. Hätte sie nicht das karmische Potenzial getötet zu werden, würde sie nicht getötet werden, doch es gibt so etwas wie ein karmisches Potenzial, nicht getötet zu werden. Der antreibende Drang, der das Körperbewusstsein des Körpers der Person zur Seite bewegte, sodass wir sie nur verletzten, war kein karmischer Drang. Obgleich wir die Absicht hatten zu töten, waren die Umstände nicht vollständig, damit der karmische Pfad unseres Tötens von jemandem vollständig sein konnte. Äußere Umstände könnten auch eine Rolle gespielt haben. Das Wetter, ein Blitzschlag oder ein Donner, und wir haben uns erschrocken und das Ziel verfehlt. Wir sind unser karmisches Potenzial, jemanden zu töten, nicht losgeworden – es ist noch immer da – doch die Umstände waren nicht vollständig, damit es vollends zur Reife kommen konnte. 

Es ist nicht unsere Schuld, dass wir die Person nicht töten konnten. Haben wir nun weniger Karma, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen? 

Nein, es ist nicht so, dass wir weniger karmisches Potenzial haben, mit dem wir fertig werden müssen; wir sind kein Potenzial losgeworden, jemanden zu töten, als wir danebengeschossen haben. Wir haben das Heranreifen lediglich verschoben. Das potenzielle Opfer ist nicht tot und die spezifische Handlung des Schießens war keine Handlung des Tötens, aber wir haben nach wie vor das Potenzial zu töten und es wird in einer anderen Situation hochkommen. 

Der freie Gebrauch des Wortes „Karma“  

Das Wort „Karma“ wird oft benutzt, um sich auf eine ganze Abfolge von Komponenten zu beziehen, die an karmischer Ursache und Wirkung beteiligt sind, doch das ist nicht präzise. In Asangas System ist Karma der antreibende Drang, der das Bewusstsein und seine begleitenden Geistensfaktoren antreibt, eine karmische Handlung des Körpers, der Rede oder des Geistes zu begehen. Dann gibt es die tatsächliche karmische Handlung und sie wird der „Pfad des Karma“ genannt. Diese Handlung selbst dient als eine karmische Kraft, entweder als eine positive karmische Kraft (tib. bsod-nams, Skt. puṇya) oder als eine negative karmische Kraft (tib. sdig-pa, Skt. pāpa). Positive karmische Kraft wird für gewöhnlich „Verdienst“ genannt und negative karmische Kraft wird manchmal mit „Sünde“ oder etwas ähnlichem übersetzt. Nachdem das Ergebnis oder Endziel der Handlung erreicht ist, setzt sich die karmische Kraft fort, doch nun hat sie die Wesensnatur eines karmischen Vermächtnisses (tib. sa-bon-gyi ngo-bo gyur-ba). 

Es gibt zwei Arten von karmischen Vermächtnissen (tib. sa-bon, Skt. bīja). Das Eine ist die Fortsetzung der positiven und negativen karmischen Kräfte; dafür brauchen wir ein anderes Wort, also nennen wir sie „karmische Potenziale“, obwohl es sich im Sanskrit und im Tibetischen um das gleiche Wort wie für „karmische Kraft“ handelt. Dann gibt es die karmischen Vermächtnisse, die normalerweise „karmische Samen“ genannt werden, die ich als „karmische Tendenz“ bezeichne. 

Wollen wir es vereinfachen, handelt es sich um karmische Potenziale und karmische Tendenzen. Karmische Potenziale sind entweder konstruktiv oder destruktiv und karmische Tendenzen sind unspezifisch. Beide reifen nur in Abständen. Es gibt auch ständige karmische Gewohnheiten (tib. bag-chags, Skt. vāsanā), die nur in den Mahayana-Systemen vertreten werden. Sie reifen fortwährend in jedem Augenblick, indem sie Erscheinungen wahrhaft begründeter Existenz hervorbringen und den Geist einschränken. „Karmische Hinterlassenschaft“ ist ein Begriff, den ich geprägt habe, un der sich auf all diese Dinge bezieht: karmische Kräfte, karmische Potenziale, karmische Tendenzen und ständige karmische Gewohnheiten. 

Was heranreift, ist diese karmische Hinterlassenschaft und nicht Karma selbst. In Asangas System gibt es also karmische Impulse, die antreibende karmische Dränge sind, es gibt karmische Handlungen, die karmische Hinterlassenschaft und karmische Resultate.

Kann man also bisweilen etwas freier das Wort „Karma“ für beide benutzen?

Ja, sogar in den klassischen Sanskrit- und tibetischen Texten wird der Begriff „Karma und dessen Resultate“ (tib. las-’bras) gebraucht. Das Wort „Karma“ wird also etwas freier benutzt, um den gesamten Vorgang bis hin zum Resultat zu beschreiben. Genau genommen ist das jedoch nicht die Bedeutung des Wortes „Karma“, sondern eher der verbreitete Gebrauch des Wortes. Reden wir über Karma, sollten wir darauf achten, die Fachbegriffe korrekt zu benutzen und keine Verwirrungen herbeizuführen, indem wir sagen, Karma würde heranreifen, obwohl das eine einfachere Ausdrucksweise ist. Es ist die Hinterlassenschaft oder Nachwirkung der durch Karma hervorgebrachten Handlungen, die heranreift.

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