Weiteres Samsara

Rückschau 

In dieser Formulierung ist Karma ausschließlich ein geistiger Faktor, ein Drang oder ein Impuls. Es ist der Impuls, der, während er auf ein Objekt gerichtet ist, das Primärbewusstsein und dessen begleitende Geistesfaktoren dazu bringt, im nächsten Moment eine Handlung gegenüber oder mit dem Objekt auszuführen, also etwas zu tun, zu sagen oder zu denken. Unter den zahlreichen anderen geistigen Faktoren, die er zu einem Objekt mit sich zieht, gibt es insbesondere drei, die den motivierenden geistigen Rahmen bilden.

Einer von ihnen ist das Unterscheiden eines bestimmten Objekts und einer bestimmten Handlung, die auf das Objekt gerichtet ist. Dann gibt es das motivierende Ziel oder die Absicht, also der Wunsch, diese beabsichtigte Handlung gegenüber dem bestimmten Objekt auszuführen. Der dritte ist schließlich die begleitende motivierende Emotion. Bei dieser kann es sich um eine destruktive Emotion handeln (z.B. Wut, Gier oder Naivität), die normalerweise den Impuls, eine destruktive Handlung auszuführen, begleiten. Oder es kann sich um eine störende Geisteshaltung handeln: um das Identifizieren der sich ständig verändernden Aggregatsfaktoren mit unserer Erfahrung eines soliden „Ichs“, die jede Art von Handlung begleitet – sei sie destruktiv, konstruktiv oder neutral. Konstruktive Handlungen werden normalerweise auch von positiven Emotionen begleitet, wie der Liebe und dem Mitgefühl.

Diese motivierenden Emotionen sind aber auch manchmal entgegengesetzt. Wir können beispielsweise eine destruktive Handlung wie das Töten einer Mücke mit einer positiven Emotion wie der Liebe, die unser Baby beschützen will, ausführen. Wir können aber auch eine konstruktive Handlung mit einer störenden Emotion ausführen, etwa jemandem ein sehr teures Geschenk machen, da wir an der Person haften und gierig danach sind, dass sie uns dafür lieben wird. Störende Geisteshaltungen begleiten alle karmischen Handlungen.

Wir haben unterschieden zwischen einem auslösenden karmischen Impuls, der uns dazu bringt darüber nachzudenken und sich zu entscheiden, ob wir eine karmische Handlung mit Körper oder Rede ausführen oder nicht, und einem antreibenden karmischen Impuls, der uns zu einer karmischen Handlung mit Körper, Rede oder Geist treibt, dem, wie im Falle von Handlungen mit Körper oder Rede, ein auslösender Impuls und eine karmische Handlung des Geistes vorangehen kann oder auch nicht. Des Weiteren haben wir unterschieden zwischen dem Gefühl und der Absicht, eine beabsichtigte Handlung gegenüber oder mit einem bestimmten Objekt auszuführen, und dem geistigen Impuls, der unser Bewusstsein und andere Geistesfaktoren dazu bringt, eine Methode zum Ausführen dieser Handlung anzuwenden. In keinem der beiden Fälle handelt es sich beim karmischen Impuls um die Handlung selbst.

Im Falle von karmischen Handlungen mit Körper und Rede, kann sich der motivierende geistige Rahmen vom auslösenden karmischen Impuls zum antreibenden karmischen Impuls verwandeln. Insbesondere könnte sich das motivierende Ziel und die motivierende Emotion ändern. Während der auslösenden Phase der Handlung jemanden zu schlagen, war unsere Absicht vielleicht nur, der Person Angst zu machen, während wir noch darüber nachdachten, ob wir es tun sollten oder nicht. Als wir jedoch begannen sie zu schlagen, verwandelte sich unsere Absicht in das Ziel, ihr wirklich weh zu tun. Bezogen auf unsere motivierende Emotion kann es vorkommen, dass wir die Mücke im Zimmer unseres Babys anfänglich aus Mitgefühl für unser Baby töten wollten. Doch als wir die Handlung begannen und tatsächlich herumrannten, um sie zu töten, kamen auch Wut und Feindseligkeit auf.

Es gibt drei Arten karmischer Hinterlassenschaften, die auf unsere karmischen Impulse folgen, die unseren karmischen Handlungen vorausgehen: karmische Kräfte, karmische Tendenzen und karmische ständige Gewohnheiten. Die Handlung selbst ist eine offensichtliche karmische Kraft, die entweder positiv oder negativ ist und normalerweise „Verdienst“ oder „Sünde“ genannt wird. Wenn die Handlung endet, nimmt ihre karmische Kraft die essentielle Natur einer karmischen Tendenz an, wird jedoch nach wie vor als „karmische Kraft“ bezeichnet. Um sie von offensichtlicher karmischer Kraft zu unterscheiden, haben wir sie „nicht-offensichtliche karmische Kraft“ genannt.

Wie eine karmische Tendenz, sind sowohl offensichtliche als auch nicht-offensichtliche karmische Kräfte nicht-statische Abstraktionen. Aber im Gegensatz zu tatsächlichen karmischen Tendenzen, also unspezifizierten Phänomenen, die nur beginnen, wenn eine Handlung ihr Endziel erreicht hat, sind karmische Kräfte entweder konstruktiv oder destruktiv, und so gibt es positive und negative karmische Kräfte.

Ein Kontinuum offensichtlicher und nicht-offensichtlicher karmischer Kräfte von einer zahllosen Anzahl karmischer Handlungen gehen zusammen eine netzwerkartige Verbindung ein, um ein Netzwerk karmischer Kraft zu bilden. Dies ist wie bei einem Kontinuum von Minuten, auf dessen Basis eine Stunde ein Zuschreibungsphänomen ist.

Hat die karmische Kraft einer bestimmten Handlung gegenüber einem bestimmten Objekt erst einmal aufgehört zu reifen, um all ihre Resultate hervorzubringen, wird sie nicht länger als karmische Kraft betrachtet. Sie nimmt die essentielle Natur einer konstanten karmischen Gewohnheit an. Ein Netzwerk karmischer Kraft beinhaltet nur die karmische Kraft, die noch nicht ausgereift ist, und die das Potenzial zum Reifen hat, wenn die Umstände vollständig sind.

Außerdem können karmische Netzwerke an Kraft zunehmen, während wir weitere ähnliche karmische Handlungen ausführen und somit mehr karmische Kraft aufbauen. Auf diese Weise vergrößert sich die Grundlage der Zuschreibung der Netzwerke. Auch wenn die karmische Kraft einer bestimmten karmischen Handlung gegenüber einem bestimmten Objekt aufgehört hat zu reifen, ist die Reifung der karmische Kraft von ähnlichen Handlungen, die in der Vergangenheit ausgeführt wurden, noch nicht abgeschlossen, und daher erschöpfen sich unsere vollständigen Netzwerke karmischer Kraft, die sich über anfangslose Leben erstrecken, niemals auf natürliche Weise.

Aus der buddhistischen Perspektive existieren nichtstatische Phänomene nur solange, wie sie dazu in der Lage sind, eine Funktion auszuüben. Im Falle der karmischen Hinterlassenschaft, ruft diese Funktion ein Resultat hervor. Wenn etwas, das sich von einem Augenblick zum nächsten ändert, keine Wirkung mehr erzeugen kann, existiert es nicht mehr als ein gegenwärtig stattfindendes Phänomen. Hat also eine karmische Kraft, eine Tendenz, oder eine konstante Gewohnheit nicht mehr das Potenzial, uns dazu zu bringen, in einer bestimmten Weise zu handeln oder ein bestimmtes Resultat davon zu erleben, ist das Potenzial ein nicht länger stattfindendes Phänomen und kein gegenwärtig stattfindendes. Es ist dann kein gültiges Potenzial mehr.

Karmische Kräfte und Tendenzen haben die Potenziale, mehrere verschiedene Arten von Resultaten hervorzurufen und sie können diese verschiedenen Arten von Potenzialen zu unterschiedlichen Zeiten erschöpfen. Letztendlich haben jedoch die karmischen Kräfte und Tendenzen, wenn sie nicht länger das Potenzial dazu haben, irgendwelche Resultate hervorzubringen, nicht mehr die essentielle Natur von karmischen Kräften oder Tendenzen. Ihre essentielle Natur als karmische Kräfte und Tendenzen findet nicht mehr statt. Indem sie die essentielle Natur von konstanten karmischen Gewohnheiten angenommen haben, haben sie nun das Potenzial, eine andere Art von Resultat hervorzubringen. Haben diese konstanten karmischen Gewohnheiten nicht länger das Potenzial, diese Resultate hervorzubringen, werden auch sie zu nicht länger stattfindenden Phänomenen. Dann haben wir eine wahre Beendigung der so genannten „karmischen Schleier“ (tib. las-sgrib) erlangt.

Die meisten buddhistischen Wahrheiten sind selbstverständlich, wenn man sie durchdenkt. Ein statisches Phänomen erzielt keine Wirkung. Eins plus eins ist zwei. Das ist eine Tatsache. Sie ist statisch. Wenn andererseits jemand beispielsweise weiterhin ab und zu ein lebendes Exemplar einer bestimmten Tierart sieht, dann bedeutet dies, dass weiterhin Potenzial für das Auftreten dieses nichtstatischen Phänomens – das Sehen dieser Tierart – bei ihm weiterhin vorhanden sind. Das Potenzial existiert als etwas gegenwärtig Stattfindendes, da es Resultate hervorbringen kann: das Sehen lebendiger Tiere dieser Spezies. Wenn das Tier ausstirbt, dann können wir nie wieder ein lebendiges Exemplar davon sehen. Dann können wir nicht mehr sagen, dass wir ein Potenzial haben, eines zu sehen, oder? Wenn das Potenzial für etwas nie wieder sein Auftreten bewirken kann, wird dieses Potenzial lediglich zu einem nicht länger stattfindenden Potenzial und ist keine gegenwärtig stattfindendes Potenzial mehr.

Eine bestimmte Tierart lebendig zu sehen, hängt von der Anwesenheit bestimmter Bedingungen ab, wie beispielsweise das notwendige ökologische System (lassen wir einmal die Möglichkeit beiseite, das Tier im Zoo zu sehen). Wenn wir für immer das notwendige Ökosystem zerstören, dann werden damit nicht nur die Tiere und die Möglichkeit, sie zu sehen, ausgelöscht – auch das Potenzial, ein solches Tier zu sehen, „erlischt”: es gibt keine Möglichkeit mehr, je wieder eines zu sehen. Sie werden alle zu Dingen der Vergangenheit, die nicht länger stattfinden und nicht zu Dingen, die gegenwärtig stattfinden können. In einer ähnlichen Weise, wenn wir uns für immer von der Verwirrung befreien – von der Hauptbedingung dafür, dass die Potenziale karmischer Hinterlassenschaft Ergebnisse hervorbringen können – dann werden nicht nur die Ergebnisse ausgelöscht, sondern auch die Potenziale. Das ist eine vereinfachte Beschreibung, wie wir uns selbst von Karma reinigen, oder besser gesagt, wie wir unsere geistigen Kontinua von karmischer Hinterlassenschaft säubern.

Die drei Arten der karmischen Hinterlassenschaft, diese drei Arten nichtstatischer Abstraktionen, werden auf der Grundlage der unterschiedlichen Ergebnisse, die sie hervorrufen und der Häufigkeit, mit der sie sie hervorrufen, unterschieden. Zwei von diesen Arten der Hinterlassenschaft – karmische Kraft und karmische Tendenzen – rufen ihre Ergebnisse intermittierend, also nur gelegentlich, hervor. Die dritte Art der karmischen ständigen Gewohnheiten führen in einer fortlaufenden Weise zu Auswirkungen.

Die beiden intermittierend reifenden karmischen Hinterlassenschaften werden anhand des Zeitpunktes unterschieden, an dem sie in Existenz treten, sowie anhand ihres ethischen Status und dem ethischen Status der Arten von Ergebnissen, die sie hervorrufen können. Die karmische Kraft beginnt zur Zeit einer konstruktiven oder destruktiven karmischen Handlung und hält weiter an, nachdem die Handlung beendet wurde. Im Laufe ihrer gesamten Kontinuität ist die karmische Kraft entweder konstruktiv oder destruktiv. Sie kann lediglich zu unspezifizierten Phänomenen als gereifte Resultate führen. Karmische Tendenzen dagegen beginnen nur nach dem Abschluss einer konstruktiven, destruktiven oder unspezifischen Handlung. Sie sind ethisch neutral, werden also nicht als konstruktiv oder destruktiv spezifiziert. Sie dienen als herbeiführende Ursache von Resultaten eines ethischen Status, der konstruktiv, destruktiv oder unspezifisch sein kann.

Die intermittierend reifenden karmischen Kräfte reifen in Form befleckter glücklicher, unglücklicher oder neutraler Gefühle, die alle aus Verwirrung entstehen. Sie sind problematisch, halten nicht an und wir wissen nicht, was als Nächstes kommen wird; sie befriedigen uns nicht. Sie reifen auch in Form unserer Erfahrung einer befleckten Umwelt, eines befleckten Körpers und eines befleckten Geistes und in der Form, dass uns ähnliche Dinge passieren, wie wir sie zuvor getan haben. Die intermittierend reifenden karmischen Tendenzen tragen zum Entstehen all dieser Resultate als deren herbeiführende Ursache bei, jedoch sind sie auch die herbeiführende Ursache für das Entstehen konstruktiver und destruktiver Handlungen als jene Taten, die wir beabsichtigen, in ähnlicher Weise zu wiederholen, wie wir es früher bereits getan haben. Diese Handlungen, die wir wiederholen wollen, sind nicht die gereiften Resultate karmischer Kraft, da sie keine unspezifizierten Phänomene sind.

Diese Phänomene, die von den karmischen Tendenzen und karmischer Kraft heranreifen, reifen intermittierend, d.h. sie reifen in manchmal und nicht ständig. Aus unserer gewöhnlichen Sichtweise heraus können wir nicht voraussagen, was im nächsten Moment geschehen wird. Wir wissen nicht, ob wir in der nächsten Minute glücklich oder unglücklich sein werden, ebensowenig wie wir wissen, nach welcher Handlung uns dann der Sinn stehen wird. Das ist es, was das Karma so schrecklich sein lässt. Es geht auf und ab. Das kommt von diesen intermittierend reifenden karmischen Hinterlassenschaften.

Voraussagen darüber, was uns persönlich geschehen wird 

Man kann also nicht voraussagen, was geschehen wird?

Nur ein Buddha ist dazu in der Lage, dies vorauszusehen. Aus unserer persönlichen Perspektive heraus haben wir keine Ahnung.

Ich kann voraussagen, dass ich mich immer wohl fühlen werde, wenn ich in den Bergen wandere.

Das wird nicht notwendigerweise immer der Fall sein. Ist es eine Frage der Wahrscheinlichkeit? Geschehen uns die Dinge bloß aufgrund von mathematischer Wahrscheinlichkeit oder was? Das einzige, was wir sagen können, ist das wir uns normalerweise beim Wandern wohlfühlen, doch wir können nicht im voraussagen, dass es diesmal auch so sein wird. Wir können uns beispielsweise dazu entschließen, in die Berge zu fahren, und uns dann inmitten eines schrecklichen Sturmes wiederfinden, obwohl der Wetterbericht ganz etwas anderes gesagt hatte. Hierbei würde es sich um einen Fall handeln, in dem wir Umständen begegnen, die der Vergangenheit ähneln, und eine Umgebung erleben. All diese Dinge erklären unsere Erfahrung.

Es ist nicht so, dass es als Folge meines persönlichen Karmas regnet. Die Umwelt entsteht als Ergebnis aufgrund der Reifung des kollektiven Karmas, das zahlreiche Wesen gemeinsam haben. Doch das ist ein kompliziertes Thema, lassen wir sie daher beiseite, da hier zahlreiche andere Ursachen mit-einfließen, nicht nur karmische Faktoren. Der wesentliche Punkt ist hier, dass ich als Resultat meiner persönlichen karmischen Hinterlassenschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt Lust bekommen habe, in die Berge zu gehen, und dass es als Resultat der kollektiven karmischen Hinterlassenschaft, die ich mit zahlreichen anderen Wesen teile, geregnet hat, als ich dort war. Ferner bin ich aufgrund meiner persönlichen karmischen Hinterlassenschaft in diesen Regen geraten. Der Regen ist ein Objekt meiner Erfahrung geworden, und so war der Regen, den ich erlebt habe, ein Resultat meiner karmischen Hinterlassenschaft. Das ist es, was aus meinen verschiedenen Arten der karmischen Hinterlassenschaft, sowie von der karmischen Hinterlassenschaft der anderen und von zahlreichen anderen Kausalfaktoren heranreift.

Ein Ergebnis der karmischen Hinterlassenschaft ist, dass wir uns in Situationen wiederfinden, in denen uns etwas geschieht, das dem ähnelt, was wir selbst in der Vergangenheit getan haben. Eine Person die ermordet wird, muss nicht notwendigerweise in diesem Leben selbst jemanden ermordet haben, doch sie muss in der Vergangenheit in irgendeiner Form jemandem das Leben genommen haben. Es könnte eine Million Leben zurückliegen. Die Frage, die wir uns stellen können, ist: „Was sind die anderen möglichen Erklärungen?“ Darüber haben wir während des ersten Abends gesprochen. Geschehen uns die Dinge grundlos, oder aus Glück, oder aus Zufall?

Der Mörder handelt unter dem Einfluss des Karmas, doch nicht das Opfer. Das Opfer wird nur aus Zufall getötet.

Nun, wenn uns die Dinge aus Zufall geschehen würden, dann könnten wir absolut nichts dagegen tun und dann gäbe es absolut keinen Grund, irgendeiner Art von spirituellem Pfad zu folgen. Wenn jemand an so etwas glauben will – nun gut. Doch was ist die Folge dieser Weltanschauung? Wir wären absolut unfähig, die Dinge, die uns geschehen, zu beeinflussen. Aus einer buddhistischen Perspektive gibt es Dinge, die wir tun können. Wir können verhindern, die Art der karmischen Handlung zu wiederholen, die abermals zu so einem Resultat führen würde.

Die Qualität der Erfahrung ist das, was karmisch ist

Genau. Deshalb unterscheiden wir das Erleben der Umwelt vom Erleben von Empfindungen des Glücklichseins oder des Unglücklichseins. All diese Komponenten stammen nicht von derselben karmischen Ursache. Jede Komponente einer jeden Erfahrung kommt von unterschiedlichen Ursachen, die alle in einer einzigen Erfahrung zusammenkommen. Dass man gerade dann in die Berge geht, wenn es regnen wird, hat eine karmische Ursache, während sich glücklich oder unglücklich zu fühlen eine andere karmische Ursache hat und die Lust, dort zu bleiben oder wegzugehen wieder eine andere karmische Ursache hat.

Behaltet daher bitte folgende Tatsache im Blick: selbst wenn wir die karmische Ursache haben, in den Regen zu geraten, selbst wenn wir gerade an einem bestimmten Moment Lust bekomme haben zu gehen, selbst wenn wir dann auch tatsächlich gegangen sind, ist dies keine Garantie dafür, dass wir dann tatsächlich in den Regen geraten. Es ist nicht so, dass das Ergebnis bereits in den Ursachen existiert und dann plötzlich herausspringen wird, sobald wir diese „karmische Schachtel“ öffnen. Zahlreiche andere karmische Faktoren könnten reifen und die Situation jederzeit beeinflussen, bevor es tatsächlich zum Ergebnis kommt.

Doch der Regen entsteht nicht aufgrund einer karmischen Ursache.

Wir sagen nicht, dass der Regen aus einer persönlichen karmischen Ursache entsteht. Wir sagen, dass es sich bei einem der Kausalfaktoren, die zum Regen beitragen, um die kollektive karmische Hinterlassenschaft alle Wesen handelt, die in dieser Umwelt geboren wurden. Das Leben auf diesem Planeten konnten sich nur als Wasser benötigende Lebensformen in Verbindung mit einem Ökosystem entwickelte, dass dieses Wasser liefern kann, entwickeln. Also entsteht sowohl die Evolution einer bestimmten Reihe von Lebensformen und als auch die Evolution der Umwelt, in der sie leben können, in untrennbarer Weise durch ein kollektives Karma. Es handelt sich hierbei um die kollektive karmische Hinterlassenschaft der Wesen, die in dieser unterstützenden Umwelt in einer dieser unterstützten Lebensformen geboren werden. Aus unserer persönlichen karmischen Hinterlassenschaft kommt die Lust, in diesem speziellen Moment in die Berge zu gehen, unser persönliches Erleben des Regens und der Regen, wie wir ihn persönlich erleben.

Ich möchte ihnen ein Beispiel geben, das einer Freundin von mir wirklich geschehen ist. Sie saß in einem Zug einer anderen Person gegenüber. Plötzlich kam ihr in den Sinn, die andere Person zu bitten, die Plätze mit ihr zu tauschen, was sie dann auch taten. Fünf Minuten später kam es zu einem Zugunglück und die Person, die nun auf ihrem Platz saß, wurde getötet und sie nicht. Das ist es, wovon wir sprechen: die Lust, sich in eine Situation zu begeben. Warum war ihr plötzlich danach, den Platz zu wechseln? Der Buddhismus besagt, dass dies nicht zufällig passiert ist.

In jenem Moment hat nichts, z.B. das Erlebnis sich auf diesem Zug zu befinden, irgendwelche karmischen Ursachen dafür ausgelöst., dass sie sterben würde. In einer sehr vereinfachten Weise kann man sagen, dass sie nicht das Karma hatte, dann und dort zu sterben. Doch ihr Erleben von etwas anderem (etwa dass sie im Schatten saß und Lust bekam, die Sonne auf ihrem Gesicht zu spüren) löste andere karmische Tendenzen aus, die sie hatte – zum Beispiel eine möglicherweise zum Teil egoistisch motivierte Tendenz, nicht schüchtern zu sein und jemand anderes darum zu bitten, den Platz zu wechseln. Das wäre ein Anfang, um den karmischen Prozess zu erklären.

Doch behaltet bitte vor Augen, dass die Lust, jemanden zu bitten, mit ihr den Sitz zu tauschen, nicht in einer inhärent existierenden Weise das Resultat in sich trug, dass sie im Unfall nicht sterben würde. Zwei verschiedene Reihen persönlicher karmischer Hinterlassenschaften reiften unter dem Einfluss des selben Umstandes: dass sie sich auf dem Zug befand. Die erste karmische Hinterlassenschaft reifte als ihre Lust, jemanden zu bitten, mit ihr den Sitz zu wechseln. Die andere reifte als die Erfahrung, einen Zugunfall zu erleben. Die Tatsache, dass sie sich auf dem Zug befand, wirkte allerdings für sie nicht als Umstand, der eine persönliche karmische Hinterlassenschaft zu sterben zur Reifung gebracht hätte. All diese Dinge geschahen gleichzeitig, und selbst die Tatsache, dass sie gleichzeitig stattfanden war kein Zufall. Sie hingen alle miteinander zusammen. Im buddhistischen Fachjargon ausgedrückt sind sie „in gegenseitiger Abhängigkeit entstanden“.

Niemand sagt, dass wir die buddhistische Erklärungsweise akzeptieren müssen. Doch es ist sehr hilfreich, die anderen Erklärungsweisen, an die wir glauben könnten, zu untersuchen, speziell daraufhin, welche Weltsicht und welchen Lebensstil sie nach sich ziehen.

Dinge, die aufgrund der physikalischen Naturgesetze geschehen 

Ich habe Seine Heiligkeit den Dalai Lama einmal sagen gehört, dass nicht alles, was geschieht, notwendigerweise auf Karma beruht. Es gibt auch physikalische Naturgesetze. Er benutze das Beispiel von den Blättern, die von einem Baum fallen. Welche Blätter als erste fallen und in welcher Ordnung sie fallen und wo sie am Boden landen – das geschieht nicht aufgrund von Karma. Der Baum hat kein Karma, die Blätter haben kein Karma; sie folgen physikalischen Gesetzen. Doch was einer Person geschieht, erfolgt aufgrund von Karma. Karma erklärt was wir erleben, die Dinge, die uns passieren.

Handelt es sich bei diesen Naturgesetzen um Zufall?

Seine Heiligkeit hat nicht gesagt, dass die Dinge aus Zufall geschehen, sondern aufgrund der Gesetze der Physik. Ich kenne etwas die Denkweise Seiner Heiligkeit. Mir scheint, dass er im Kontext der damaligen Diskussion – er sprach gerade mit Quantenphysikern, die die Ansicht vertraten, dass alles aus Wahrscheinlichkeit oder aus Chaos geschieht Folgendes sagen wollte: aus der buddhistischen Perspektive muss man sagen, dass die Entstehung des Universums und die Art von Universum, das entsteht, mit seinen speziellen physikalischen Gesetzen und so weiter, ihre Ursache in der kollektiven karmischen Hinterlassenschaft aller Wesen haben, die noch nicht in diesem Universum wiedergeboren sind, aber die das Karma haben, unter solchen physikalischen Bedingungen wiedergeboren zu werden. Wenn ein Universum einmal aus kollektiven karmischen Ursachen entstanden ist, dann werden alle naturwissenschaftlichen Gesetze, alle physikalischen Gesetze folgen. Diese Gesetze werden bestimmen, was beim Fallen von Blättern, der Drehung der Planeten und so weiter tatsächlich geschieht.

Dies ist die Art, in der Seine Heiligkeit es normalerweise erklärt. Das kollektive Karma ist die Ursache für die Entstehung der Art von Universum, in dem wir uns befinden, und dann setzen die physikalischen Gesetze dieses Universums ein. Wenn ein Fels stürzt, ist es nicht das Karma des Felsens, zu stürzen, doch es ist das Resultat meiner karmischen Hinterlassenschaft, das mich dazu veranlassen kann, genau zu diesem Zeitpunkt wandern zu gehen, genau wie es das Resultat meiner karmischen Hinterlassenschaft sein kann, vom Fels getroffen zu werden. Wenn ich aber getroffen werde, dann geschieht dies nicht, weil dieses Ergebnis schon irgendwie in einer inhärenten Weise in meinem Wandern existiert hätte, oder in der karmischen Hinterlassenschaft, die zu der Lust, wandern zu gehen, gereift ist. Das kollektive Karma formt die Art von Universum, die aus einem „Big Bang“ hervorgeht. Was in diesem Universum physikalisch geschieht, beruht auf den Gesetzen der Physik. Was jedes Wesen erlebt kommt von seinem persönlichen Karma, den verhaltensbedingten Ursachen und Wirkungen.

Ein geistiges Kontinuum hat keine inhärente Identität 

Unser geistiges Kontinuum oder Geistesstrom hat nicht die inhärente Identität dieser oder jener Lebensform. Deshalb sagen wir, dass die Erfahrung eines befleckten Körpers von einem Satz karmischer Hinterlassenschaft kommt. Wenn man ständig nervös ist, von einem Ding zum anderen geht und nie irgendwo Fuß fassen kann, dann wird die hieraus entstehende karmische Hinterlassenschaft als eine Körperform reifen, die zu dieser Art von Mentalität passen wird – zum Beispiel als eine Fliege. Dieses Beispiel stammt nicht aus einem Text. Die Beispiele aus den Texten könnten einige von Ihnen auf die Palme treiben. Die Ursachen dafür, in einem männlichen Körper wiedergeboren zu werden und die Geisteshaltung, die man Frauen gegenüber haben muss, um dies zu verwirklichen, gehen schlecht mit der westlichen Mentalität einher. Es wird gesagt, dass man als Mann wiedergeboren wird, wenn man die männliche Körperform bewundert und sich die Nachteile der weiblichen vor Augen hält.

Es ist fragwürdig, ob ein männlicher Körper wirklich so vorteilhaft ist.

Dasselbe gilt für einen weiblichen Körper. Warum wird man als Frau geboren? Die Gründe sind, dass man Anhaftung für den weiblichen Körper hat und denkt, der männliche Körper sei schrecklich. Die Texte erwähnen auch, dass Menschen, die sehr viel Anhaftung für ihren Körper haben, als Würmer wiedergeboren werden können, welche die sich zersetzenden Überreste ihrer ehemaligen Körper fressen. Wir können derart viel Anhaftung für jemanden haben, dass wir als eine Laus in ihren Haaren oder als ein Wurm in ihrem Magen wiedergeboren werden können. Dies sind Beispiele, die man in den Texten findet. Man benutzt einfach Beispiele als pädagogische Mittel, um ein Prinzip zu verstehen. Dann kann man zu zunehmend komplizierteren Erklärungen übergehen.

Wir sollten allem gegenüber einen offenen Geist bewahren. Indem wir den Dharma lernen, versuchen wir die „drei Fehler eines Gefäßes“ zu beseitigen: wenn ein Gefäß am Boden ein Loch hat, dann wird was auch immer wir in es füllen wieder herausfließen – d.h., wir erinnern uns nicht daran. Der zweite Fehler: wenn ein Gefäß umgekehrt, d.h. mit dem Boden nach oben steht, dann ist es verschlossen und man kann nichts in es hineinfüllen. Dieses Bild entspricht beispielsweise unserer Haltung, wenn wir zu allem, was wir hören, sofort „Nein!“ sagen. Der dritte Fehler besteht darin, dass das Gefäß schmutzig ist: in einem solchen Fall wird was auch immer wir in es hineingeben ebenfalls schmutzig. Wenn wir alle möglichen Vorurteile haben, dann projizieren wir diese auf die Dinge, die wir hören. Wir hören nicht wirklich zu. Versucht bitte, eine Darstellung nicht zu verwerfen, bevor ihr sie gehört haben. Hört euch das ganze System an. Versucht es zu verstehen. Verwerft nicht einfach jeden schwierigen Punkt.

Wie kann ein Kleinkind, das misshandelt wird, irgendeine Schuld daran haben?

Das Problem ist hier, dieses geistige Kontinuum in einer fälschlichen Weise mit der speziellen Wiedergeburt zu identifizieren, in welcher die karmische Hinterlassenschaft reift. In jedem Leben reifen zahlreiche Dinge. Eine bestimmte Reihe karmischer Hinterlassenschaften oder eine Kombination aus ihnen wird eine bestimmte Wiedergeburt verursachen und Millionen weiterer Ansammlungen karmischer Hinterlassenschaften werden als die Erfahrungen, die in diesem Leben stattfinden, reifen. Jedes geistige Kontinuum ist anfangslos, was bedeutet, dass jedes geistige Kontinuum jede mögliche Lebensform erlebt und jede mögliche konstruktive oder destruktive Handlung ausführt. Wenn wir diese Misshandlung betrachten und dabei denken: „Das arme kleine Kind hat dies nicht verdient“, dann sehen wir die Dinge aus einer sehr beschränkten Perspektive, da wir das geistige Kontinuum, das in diesem Leben als kleines Kind erschienen ist, wirklich nur mit dem kleinen Kind identifizieren und denken, dass nichts von dem, was dieses geistige Kontinuum zuvor getan hat, das Leben der gegenwärtigen Wiedergeburt beeinflussen wird. Wenn man sagen würde, dass es die Schuld an dem trägt, was ihm geschehen ist, dann würde dies weitere falsche Vorstellungen hinzufügen, nämlich die ganze Vorstellung von Schuld und Bestrafung, die der buddhistischen Sicht von Karma fremd ist. Wenn man sagt „das Kind hat es verdient“ dann impliziert dies die Vorstellung, dass jemand anderes es bestraft hat. Der Buddhismus macht nie solche Aussagen.

Nur ein Buddha kennt das Karma vollständig 

Da es eine Million Ursachen gibt, ist was passiert letztendlich Zufall.

Es handelt sich nicht um Zufall. Letztlich ist nur der allwissende Geist eines Buddhas dazu in der Lage, im ganzen Universum jeden einzelnen Faktor zu bedenken, der uns beeinflusst. Aus diesem Grund kann nur ein Buddha Karma wirklich verstehen. Dies bedeutet nicht, dass Buddha bestimmt, was passieren wird. Es liegt nicht in Buddhas Hand. Es ist nicht so, dass die Dinge vorbestimmt sind, was implizieren würde, dass jemand anderes entschieden hat, was passieren wird und dies nicht geändert werden kann. Es kann geändert werden. Buddha weiß, was wir tun müssen, um dazu in der Lage zu sein, die Dinge so zu verändern, dass wir durch eine winzige Veränderung enorme Konsequenzen jetzt für uns selbst, für alle künftigen Generationen und für alle, die uns begegnen, schaffen können. Die Tragweite der karmischen Konsequenzen ist unglaublich.

Die geschickten Mittel beinhalten die Kenntnis, die ein Buddha von den Wirkungen hat, die eine Aussage oder ein Vorschlag haben wird. Wir geben auf unserer Ebene unser Bestes, doch wir sind durch unsere Periskopsicht beschränkt. Beispielsweise kennen wir nicht die volle Wirkungen einiger Aspekte der Erziehung unserer Kinder und wie sie dann mit ihren Freunden interagieren werden. Ja, es ist sehr kompliziert und ja, es sieht aus, als geschehe alles aus Zufall. Das ist es, was so schrecklich am Samsara ist: aus unserer Perspektive sieht es aus, als sei alles Zufall. Unser Geist lässt die Dinge in dieser beschränkten Weise erschienen, da die „Hardware“ – dieser beschränkte Körper und dieser beschränkte Geist – die Dinge in keiner anderen Weise erschienen lassen können. Unsere „Hardware“ ist mit Verwirrung vermischt. Wir denken, alles sei bloß Zufall, weil uns die Dinge so erscheinen, doch tatsächlich verhalten sich die Dinge anders. Was geschieht wird durch eine Million verschiedener Dinge beeinflusst. Es ist unglaublich komplex, da alles im Universum miteinander verbunden ist.

Im Universum gibt es keine inhärente Gerechtigkeit 

Nach dieser Erklärung kann es geschehen, dass etwas Schreckliches reifen kann, obwohl ich ehrlich praktiziere, da es Millionen von Ursachen gibt. Mit meiner ganzen Güte bin ich nicht dazu in der Lage, irgendetwas an dem zu verändern, was passiert. Das ist beängstigend.

Das ist vollkommen richtig, dass ernsthaften Praktizierenden furchtbare Dinge geschehen können. Seht euch das Beispiel von all den großartigen Mönchen, Nonnen und Meistern aus Tibet an, die in Konzentrationslager geworfen und zu Tode gefoltert wurden. Viele von ihnen waren große Praktizierende. Das heißt jedoch nicht, dass wir das, was wir in der Zukunft erfahren werden, nicht beeinflussen können. Allerdings ist es nicht so leicht.

Gestern haben wir darüber gesprochen, wie man sich von karmischen Reifungen befreien kann. Dies geschieht in drei Stadien. Das erste ist die Befreiung. Es ist ein unglaublich fortgeschrittenes Stadium. Es geschieht nicht gleich im ersten Augenblick der nicht-konzeptuellen Wahrnehmung der Leerheit, wenn wir Aryas werden. Wir sprechen hier von der Befreiung aus Samsara. Dann müssen wir in diesem Leben sterben, um uns vom nächsten Teil zu befreien und schließlich müssen wir erleuchtet werden, um die ganze Sache loszuwerden. Wenn wir also bloß ein gutes Leben führen, meditieren und sogar ein Arya werden, könnten wir trotzdem in einem Autounfall sterben.

Das scheint ungerecht, da wir die Vorstellung haben, dass es eine dem Universum inhärente Gerechtigkeit gibt und die der Kontrolle von einer Art Richter oder von einer höheren Autorität unterliegt. Nach dieser Vorstellung sollte diese Autorität Recht sprechen, doch über uns hat der Richter ein falsches Urteil ausgesprochen. „Gerechtigkeit“ und „Ungerechtigkeit“ dies sind Begriffe, die aus einem vollkommen nicht-buddhistischen konzeptuellen Rahmen stammen, der im westlichen Denken sehr stark vertreten ist. Die Konzepte der Unschuld, der Schuld, der Fairness und des Verzeihens stammen ebenfalls aus demselben Rahmen. Viele störende Geisteshaltungen entstehen aufgrund solcher konzeptueller Rahmen, die wir durch unsere Erziehung bekommen haben – durch unsere Familie, unsere Kultur, unsere Bildung, politische Propaganda, kommerzielle Werbung, durch die Medien, und so weiter. Einer dieser konzeptuellen Rahmen ist die Vorstellung, dass das Universum gerecht und fair sein sollte, und dass es etwas wie Gerechtigkeit gibt. Das ist eine kulturspezifische Vorstellung, und nicht ein universelles Gesetz. In der buddhistischen Analyse gibt es im Universum so etwas wie eine Gerechtigkeit, die in inhärenter Weise von ihrer eigenen Seite her existiert oder die dem Universum durch seinen Schöpfer eingesetzt wurde, nicht.

Wie steht es mit einem Baby, das stirbt?

Ein solches Ereignis ergibt überhaupt keinen Sinn, wenn wir es nur aus der Perspektive dieses einen Leben betrachten. Kein Baby sollte jemals sterben und alle Meditierenden sollten eine glückliches Ende haben, aber so funktioniert das nicht. Dies ist eines der großen Dilemmas, die sich in der biblischen Denkweise ergeben. In unseren westlichen Traditionen gibt es so viele Diskussionen über das Buch Hiob. Hiob war ein so guter Mensch, warum wurde er von Gott bestraft? Warum gibt es Leiden, wenn es einen allmächtigen Gott gibt, der gerecht und fair ist? Das ist eines der Hauptprobleme im westlichen Denken. Die Antwort des Buddhismus darauf lautet: Allmacht ist unmöglich und es gibt keinen Grund dafür, dass die Dinge gerecht sein sollten. Wenn es einen allmächtigen Schöpfer gäbe, der auch barmherzig ist, dann ergeben solche Dinge, wie sie Hiob geschehen sind, absolut keinen Sinn.

Gibt es eine Ordnung im Universum? 

Wenn es keine Gerechtigkeit gibt, impliziert das dann nicht, dass es keine Ordnung gibt?

Nein, das tut es nicht. Der Buddhismus hat keine Problem damit, zu sagen, dass es eine Ordnung im Universum gibt. Ordnung ist nicht das Gleiche wie Gerechtigkeit. Gerechtigkeit bedeutet, dass jemand ein Urteil trifft. Sie impliziert die Existenz eines Richters, der das richtige oder falsche Urteil fällen könnte. So ist es nicht. Die Ursachen dessen, was geschieht, sind anfangslos; wenn man also nur dieses Leben betrachtet, kann man nicht erklären, was passiert. Langfristig gesehen gibt es eine Ordnung, die durch Ursachen und Wirkungen strukturiert wird. Aber Gerechtigkeit bringt einen Richter ins Spiel – und es gibt keinen Richter.

Das fühlt sich ungerecht an.

Genau. Es fühlt sich an als sei alles Zufall oder als ob es gerecht sein sollte, oder als ob ich armer Tropf die falsche Strafe erhalten hätte. So fühlt es sich an. Das ist, was so schrecklich ist. Dies ist es, was eine „Erscheinung von wahrer Existenz“ genannt wird.

Es ist unmöglich, dass es keine Ordnung im Universum gibt, doch wenn man die Vorstellung von Gerechtigkeit einführt, dann können die Dinge, die geschehen, ungerecht sein. Im Falle Hiobs starb seine ganze Familie und ihm passierten all die schrecklichen Dinge und doch bewahrte er weiterhin seinen Glauben an Gott. „Warum hast du mir all dieses geschickt, wenn du barmherzig bist?“ Dann gibt es Theorien, dass Gott mich prüft um zu sehen, ob ich weiterhin an ihn glaube und ihm weiterhin vertraue. Es gibt diese ganze Reihe von jüdisch-christlichen Lösungen für diesen Widerspruch in diesem Denksystem.

Aus der Sicht des Neuen Testaments hat Jesus die Sünden der Welt auf Seine Schultern genommen, so dass wir, um geprüft zu werden, nicht so sehr leiden müssen.

Genau das ist der Punkt: diese Gerechtigkeitsvorstellung existiert ausschließlich aus der Perspektive eines Systems, das an „Gott den Richter“ glaubt: Gott ist es, der, was immer Ihnen passiert, schickt. Die Vorstellung einer Ordnung im Universum hängt dagegen nicht von der Existenz eines Richters oder eines Gottes ab.

Lasst mich dem noch etwas anfügen. Im Westen sind wir nicht nur die Erben einer biblischen Denkweise, sondern auch die Erben der altgriechischen Weltsicht. Von den alten Griechen haben wir die Vorstellung bürgerlicher Gerechtigkeit geerbt: die Vorstellung, dass die Dinge auf der bürgerlichen Ebene gerecht sein müssen. Um gut zu funktionieren, muss eine Gesellschaft nach dieser Ansicht auf Gesetzen fußen, die von einer Legislatur, d.h. vom Volk, erlassen wurden. Hier im Westen haben wir eine lange Geschichte der Auseinandersetzung zwischen bürgerlichem und göttlichem Gesetz.

Die Aktivierung der karmischen Hinterlassenschaft für weiteres Samsara 

Betrachten wir nun den Mechanismus, durch den eine karmische Hinterlassenschaft reift. Im Falle der karmischen Hinterlassenschaft, die als die Aggregate einer zukünftigen Wiedergeburt reift, spielen hier drei Faktoren mit. Wie im Mechanismus der zwölf Glieder des abhängigen Entstehens erklärt wird, handelt es sich bei diesen drei um Begierde (tib. sred-pa), einen Herbeiführer (tib. len-pa, Greifen) und Weiterexistenz (tib. srid-pa, Werden) – d.h. um das achte, neunte und zehnte Glied.

Begierde

Die Begierde ist eine Form des sehnsüchtigen Verlangens (tib. ‘dod-chags). Der ursprüngliche Sanskrit-Begriff, trshna, bedeutet „Durst“. Während wir während der Augenblicke unmittelbar vor unserem Tod irgendeinen Grad von beflecktem Glücklichsein, Unglücklichsein, oder eine neutrale Empfindung erleben, die unsere Kognition von etwas begleiten, begehren wir, in Zukunft etwas zu erleben: falls wir beflecktes Glücklichsein erleben, haben wir die Begierde, nicht davon getrennt zu sein – anders gesagt, es nicht zu verlieren. Wenn wir Schmerz oder Unglücklichsein empfinden, begehren wir, davon getrennt zu sein. Wenn wir ein neutrale Empfindung erleben, wie etwa, wenn unser geistiges Bewusstsein tief in den höheren Zuständen der Konzentration versunken ist, also im vierten Dhyana oder noch tiefer, begehren wir danach, dass es nicht zu aufhören möge. Wir erfahren wahrscheinlich so etwas wie ein neutrales Gefühl während des Tiefschlafes oder im Koma.

In jedem dieser Fälle ist unsere Begierde eine störende Emotion die eine Wahrnehmung begleitet, in der wir das Gefühl eines Grades an Glücklichsein als karmisches Ergebnis erleben, das aus irgendeiner vorangehenden karmischen Hinterlassenschaft gereift ist. Die karmischen Ergebnisse, die wir erleben, umfassen viel mehr als bloß die befleckten Empfindungen von Glücklichsein und so weiter, die unsere Wahrnehmung während der Momente unseres Sterbens begleiten. Sie umfassen auch das Erleben der anderen vier befleckten Aggregate (unser Körper und unser Geist), dass uns Dinge in einer ähnlichen Weise geschehen, wie wir sie in der Vergangenheit getan haben und so weiter. Unsere Begierde ist eine notwendige gleichzeitig wirkende Bedingung (tib. lhan-cig byed-rkyen) dafür, dass wir eine zukünftige Wiedergeburt erlangen.

Die Begierde dient als Unterstützung für einen Herbeiführer, bei dem es sich um eine andere gleichzeitig wirkende Bedingung handelt, die gegeben sein muss, damit man eine Wiedergeburt erhält. Ein Herbeiführer bezieht sich auf eine beliebige Reihe anderer störender Emotionen oder Geisteshaltungen die neben der Begierde unsere Erfahrung befleckter Aggregate begleiten. Die Anwesenheit eines dieser Herbeiführer bewirkt, dass unsere befleckten Aggregate in dieser Situation ebenfalls Aggregate herbeiführen.

Herbeiführer

Beim Herbeiführer kann es sich um die Anhaftung an irgendein wünschenswertes Sinnesobjekt handeln, das wir gerade erleben, oder um sehnsüchtiges Verlangen nach irgendeinem wünschenswerten Sinnesobjekt, das wir gegenwärtig nicht erleben. Alternativ hierzu kann es sich bei dem Herbeiführer um irgendeine der fünf störenden Geisteshaltungen handeln. Von diesen ist die herausstechendste die verblendete Auffassung in Bezug auf ein vergängliches Netzwerk (tib. ‘jig-lta). Mit so einer verblendeten Sichtweise betrachten wir manche Aspekte oder die Aspekte unserer Aggregate als „Ich“ oder „meins“. Wenn wir im Sterben liegen und die Stimme einer geliebten Person hören, könnten wir dies folgendermaßen erleben:

  • eine glückliche Empfindung,
  • die Begierde, nicht von diesem Glück getrennt zu werden
  • durch ein, zwei oder drei der folgenden Elemente:
    • Anhaftung an den Klang der Stimme
    • sehnsüchtiges Verlangen nach der Berührung durch die Hand der geliebten Person,
    • Greifen unseres Geistes nach dem, was wir erleben – die geliebte Person, dieses Glück und so weiter – als Teil der scheinbar soliden Identität eines scheinbar soliden „Ichs“.

Weiterexistenz

Als gleichzeitig wirkende Bedingungen aktivieren (tib. gsos-‘debs) oder verstärken (tib. nus-pa mthu-can-du byed-pa) unsere Begierde und unser Herbeiführer die karmische Hinterlassenschaft, die zu den Aggregaten unserer nächsten Wiedergeburt, unseren „zukünftigen Existenzen“, heranreifen werden. Mit der Aktivierung dieser karmischen Hinterlassenschaft entsteht ein werfender karmischer Impuls (tib. ‘phen-byed-kyi las), der das eigentliche zehnte Glied des abhängigen Entstehens, die Weiterexistenz, ist, die normalerweise als „Werden“ übersetzt wird. Das Wort, das ich hier als „Weiterexistenz“ übersetze, bedeutet wörtlich „Existenz“ und bezieht sich auf eine zukünftige Wiedergeburt. Hier wird der Name des Ergebnisses der Ursache gegeben. 

Der werfende karmische Impuls ist der zwingende karmische Impuls, der eine weitere Existenz (tib. yang-srid sgrub-pa’i las) aktualisiert. Er treibt das geistige Bewusstsein zu unserer nächsten Wiedergeburt und aus diesem Grund bezeichne ich ihn als einen „Überlebensimpuls“ mit seinen vier Phasen: Bardo-Existenz (tib. bar-do’i srid-pa), Empfängnis-Existenz (tib. skye-srid), Existenz vor dem Tode (tib. sngon-dus-kyi srid-pa) (die Periode zwischen dem Moment nach dem Empfängnis bis zum Tod) und Todes-Existenz (tib. ‘chi-srid). Deshalb wird das zehnte Glied manchmal als all-durchdringendes Leiden (tib. khyab-par ‘du-byed-kyi sdug-bsngal) – das Leiden der samsarischen Wiedergeburt, die sich selbst fortsetzt – spezifiziert.

Nach Aussage der Lehrsysteme des Chittamatras und des Madhyamakas beschreibt dieser Mechanismus ausschließlich die Aktivierung der karmischen Hinterlassenschaft, die in Form der Aggregate unserer zukünftigen Wiedergeburt reift und sie durch einen werfenden karmischen Impuls verbindet. Im Zusammenhang mit der Diskussion der zwölf Glieder beziehen sich diese drei Glieder ausschließlich in einer spezifischen Weise auf das, was in den Momenten unmittelbar vor unserem Tod geschieht. Ich denke aber, dass wir dieselbe Darstellung benutzen können, um das Reifen unserer karmischen Hinterlassenschaften zu beschreiben, wie sie in jedem Moment stattfinden, obwohl ich nie gelesen oder gehört habe, dass dies in dieser Weise erklärt wird.

Die Gründe, die mich dazu bewegen, dies zu denken, sind die Folgenden: die samsarische Existenz, in die man durch den Impuls, weiter zu existieren, geworfen wird, hat die vier Phasen der Existenz, von denen eine die Existenz vor dem Tod ist – d.h. jeder Augenblick unserer Existenz nach unserer Empfängnis bis wir sterben. Außerdem, weil die Lehren des Vaibhashika-Sautrantikas aussagen, dass alle zwölf Glieder in jedem Augenblick unserer samsarischen Existenz vollständig vorhanden sein können, obwohl die Vaibhashika-Sautrantika die zwölf Glieder in einer Weise definieren, die recht unterschiedlich von dieser Beschreibung ist. Daher habe ich oft erklärt, dass der Impuls, weiter zu existieren, der zwanghafte Impuls ist, der uns in den nächsten Augenblick hineinzieht, in welchem die karmische Hinterlassenschaft, die er aktiviert, ihre Ergebnisse erzielen wird.

Daher wollen wir diese Beschreibung benutzen, um zu erklären, wie wir unser Samsara in jedem Augenblick, nicht nur zur Zeit unseres Todes, fortsetzen. In Bezug darauf müssen wir ebenfalls verstehen, dass der spezifische Satz von karmischen Hinterlassenschaften, die in jedem gegebenen Augenblick aktiviert werden, von zahlreichen anderen geistigen Faktoren abhängt, die ebenfalls diesen Moment des Erlebens irgendeines vergangenen karmischen Reifens mit Begierde und einem Herbeiführer begleiten. Am wichtigsten unter ihnen ist die Art und Weise, mit der wir dem, was wir erleben, unsere Aufmerksamkeit schenken bzw. wie wir es ansehen. Dies beinhaltet den geistigen Faktor der Aufmerksamkeit bzw. der Beachtung (tib. yid-la byed-pa). 

Diagramm zum Verständnis der Erzeugung weiteren Samsaras

Genauere Analyse 

Betrachten wir die Dinge genauer. Im gegenwärtigen Augenblick erleben wir das Reifen von verschiedenen Sätzen karmischer Hinterlassenschaften. Wir erleben Glücklichsein oder Unglücklichsein, diesen Körper, Dinge, die uns in einer ähnlichen Weise geschehen, wie wir sie zuvor selbst anderen angetan haben, und so weiter. Eine der möglichen Konfigurationen karmischer Reifungen, die wir erleben können, könnte in den Begriffen der acht vergänglichen Angelegenheiten des Lebens (tib. ‘jig-rten chos-brgyad) erklärt werden, die normalerweise als „die acht weltlichen Dharmas“ übersetzt werden. Diese bestehen darin, dass man sich entsprechend glücklich oder unglücklich fühlt, wenn man gelobt oder getadelt wird, etwas Angenehmes oder Schmerzhaftes erlebt, etwas gewinnt oder verliert, oder gute bzw. schlechte Nachrichten hört, was auch bedeuten, dass die Dinge gut oder schlecht laufen. Bei unserem Erleben all dessen – gelobt oder getadelt zu werden, und so weiter – handelt es sich um das Reifen eines Satzes intermittierend reifender karmischer Hinterlassenschaften; sie sind das Erleben von Dingen, die uns in einer ähnlichen Weise geschehen, wie wir sie zuvor anderen gegenüber getan haben. Dieses Erleben von Dingen geht auf und ab und wir können nicht voraussagen, was als Nächstes geschehen wird. Obwohl die Texte von acht solchen vergänglichen Angelegenheiten sprechen, bin ich sicher, dass man viel mehr davon auflisten könnte, genau wie die zehn destruktiven Handlungen oder die einundfünfzig Geistesfaktoren tatsächlich nicht auf die Zahl zehn oder einundfünfzig beschränkt sind.

Beim Glücklichsein oder Unglücklichsein, das unser Erleben des Gelobt- oder Getadeltwerdens, usw., begleitet, handelt es sich um das Reifen eines anderen Satzes intermittierend reifender karmischer Hinterlassenschaften. Auch diese Dinge gehen auf und ab. Das ist das Samsara, das ist, was wir erleben: das Reifen karmischer Hinterlassenschaften.

Unser Erleben dieser Momente karmischer Reifung wird vom Geistesfaktor der Begierde begleitet. Wir sind begierig danach, das Glücklichsein nicht zu verlieren, das wir jetzt erleben, während wir gelobt werden, Angenehmes empfinden, einen Gewinn machen oder gute Neuigkeiten hören. Oder wir sind begierig danach, uns vom Unglücklichsein zu befreien, das wir jetzt erleben, während wir etwas erhalten, was wir nicht mögen: Tadel, Schmerz, Verlust oder schlechte Neuigkeiten. Andererseits ist es uns möglicherweise egal, was die Leute sagen oder was uns geschieht. Doch auch dann sind wir möglicherweise danach begierig, dass diese neutrale Empfindung nicht zu Ende geht.

Unser Erleben dieser vergänglichen Angelegenheiten im Leben wird ferner von einer herbeiführenden störenden Emotion oder Geisteshaltung begleitet. Die häufigste Form, die diese annimmt, ist die einer verblendeten Auffassung in Bezug auf ein vergängliches Netzwerk. Bei dieser handelt es sich um eine störende Geisteshaltung, die unsere Aggregate – unseren Körper oder Geist – als ein solides „Ich“ oder als solide „mir gehörig“ ansieht. Grundsätzlich sehen wir das, was geschieht so an, als geschähe es einem soliden „Ich“, als „meine“ Erfahrung. Diese Person lobt „mich“ oder tadelt „mich“.

Die Begierde und diese verblendete Auffassung lassen einen Impuls, weiter zu existieren, entstehen: den Impuls, im nächsten Moment weiterzuexistieren. Man beachte Folgendes: da wir ständig Begierde und diese verblendete Auffassung haben, erleben wir kontinuierlich einen Impuls, weiter zu existieren. Dieser Impuls, der weiterhin durch die Begierde und die verblendete Auffassung begleitet wird, treibt das Bewusstsein zum Erleben dessen, was aus einem neuen Satz intermittierend reifender karmischer Hinterlassenschaften im nächsten Moment heranreifen wird, sofort nachdem wir diesen Lob oder diesen Tadel gehört haben. Zum Beispiel, wird die nächste Konfiguration karmischer Hinterlassenschaften, die reifen werden aktiviert durch die Kombination aus (1) uns unglücklich zu fühlen, wenn wir Tadel hören, (2) uns danach sehnen, dieses Unglücklichsein loszuwerden und (3) uns mit einem anscheinend soliden „Ich“ zu identifizieren, das frei von diesem Unglücklichsein fortbesteht .

Welcher spezifische Satz karmischer Hinterlassenschaften durch diese Kombination aktiviert wird, hängt von den anderen Geistesfaktoren ab, die unser Erleben dieses Lobes und dieses Tadels begleiten – speziell von der Art, wie wir auf dieses Erlebnis achten, wie wir es bewerten. Wir könnten beispielsweise Tadel mit einem Gefühl des Unglücklichseins anhören, während wir es als etwas Unerträgliches und Schreckliches betrachten und Ärger empfinden. Aber wir können es auch mit einem Gefühl des Glücklichseins hören, während wir es mit Geduld betrachten und es als eine Möglichkeit ansehen, etwas über unsere Fehler zu lernen und sie zu korrigieren. Diese zwei unterschiedlichen Gruppen geistiger Faktoren werden unsere Begierde und unseren Herbeiführer zum Aktivieren unterschiedlicher Sätze karmischer Hinterlassenschaften verursachen.

Ein weiteres Beispiel 

Nehmen wir ein anderes Beispiel um sicherzugehen, dass wir das Prinzip richtig verstehen. Während irgendeine vergangene karmische Hinterlassenschaft heranreifte haben wir uns glücklich gefühlt und haben dann begehrt, dass wir dieses Glücklichsein nicht verlieren, während wir uns als ein solides „Ich“ mit der Erfahrung identifiziert haben. Was bewirkt dieses ängstliche Nichtbefriedigtwerden dieser Begierde? Sie fungiert als Bedingung dafür, dass ein Impuls, weiter zu existieren, aufkommt – ein Impuls, im nächsten Moment weiter zu existieren, damit dieses scheinbar solide existierende „Ich“ überleben und weiterhin dieses Glück empfinden kann, vor dessen Verlust wir uns fürchten. Die begehrende und herbeiführende Geisteshaltung aktiviert einen anderen Satz karmischer Hinterlassenschaften so dass im nächsten darauffolgenden Moment die Hinterlassenschaft reift und sich unsere Laune ändert. Nun fühlen wir uns möglicherweise unglücklich oder sonst wie.

Wenn ich hier sitze und mir vorstelle, dass ich als ein solides „Ich“ existiere und mir wirklich wünsche, dass irgendein Glücksgefühl anhält, dann zerstöre ich es sehr oft dadurch, oder? Es ist, wie wenn ich mit einem guten Freund zusammen bin und sage „Was für einen Spass haben wir doch!“ Im nächsten Augenblick bin ich unglücklich. Meine Laune ändert sich. Warum ändert sie sich? Warum hört mein Glücksgefühl auf? Warum haben wir in einem Augenblick Lust dazu, etwas zu tun, und im nächsten keine Lust mehr? Etwas anderes reift. Warum? Weil ich nach einem soliden „Ich“ greife und wünsche, dass dieses solide „Ich“ weiterhin existiert. Und dies bewirkt, dass etwas anderes reift. Jemand lobt uns und wir fühlen uns glücklich. Wir wollen, dass dies weiter anhält: „Ich, ich, ich, ich bin so wundervoll“. Dies aktiviert etwas: wir beginnen, an der Ehrlichkeit dieses Lobs zu zweifeln und denken uns, dass die andere Person es nicht ernst gemeint hat, und so weiter. 

In jedem Augenblick reift etwas anderes. Daher geht der Pegel unseres Glücklichseins oder Unglücklichseins ständig auf und ab. Es verändert sich. Ansonsten müsste der Glückspegel immer gleich bleiben oder aber schrittweise enden, wie eine Blume verwelkt. Doch es tut keins dieser beiden Dinge, oder? Das erklärt, wie das Auf und Ab im Samsara entsteht.

Möglicherweise fühle ich mich wohl, wenn mich jemand lobt, doch dies kann sich ändern, wenn mich jemand schimpft.

Die Sache ist so, dass wir uns wohl fühlen und wir danach begierig sind, dieses Gefühl nicht zu verlieren. Wir wollen, dass es weiter anhält. Es könnte einen weiteren Moment des Glücklichseins oder des Unglücklichseins auslösen, oder aber ein neutrales Gefühl – unabhängig davon, ob wir ein Wort des Tadels hören. Die Erfahrung eines jeden Moments reift aus verschiedenen Sätzen von karmischer Hinterlassenschaften. Das Glück, das wir erlebt haben, war das Reifen irgendeines vergangenen karmischen Netzwerkes. Alle anderen Dinge, die wir erleben – die Wörter, die jemand uns gegenüber ausgesprochen hat und unser Hören dieser Wörter, die Tatsache, dass jemand gekommen ist und uns unterbrochen hat, das Klingeln des Telefons – bei all diesen Dingen handelt es sich um das Reifen von einer Million anderer Dinge. Unsere gesamte karmische Hinterlassenschaft aktiviert sich und reift aufgrund des Folgenden: Begierde, eine herbeiführende Geisteshaltung wie die Identifikation mit einem soliden „Ich“ und einem Impuls, im nächsten Augenblick weiter zu existieren, um dieses scheinbar solide „Ich“ zu erhalten. Diese Analyse ist sehr tiefgehend.

Erinnert euch bitte: Wir sprechen hier darüber, wie die karmische Hinterlassenschaft als eines der beiden folgenden Dinge reift: erstens als der nächste Moment des Glücklichseins oder des Unglücklichseins den wir erleben; zweitens als unser Erleben von dem, was auch immer diese befleckten Gefühle begleiten mögen. Wir erklären, wie z.B., wenn wir in einem Gespräch mit jemanden sind, unser Grad des Glücklichseins sich ständig verändert. Es bleibt nicht gleich. All dies ist die Aktivierung und das Reifen von karmischen Hinterlassenschaften und es entsteht alles, weil während jedes Augenblickes unserer Erfahrung des Gespräches die Folgenden vorhanden sind: Begierde, ein Herbeiführer, ein Impuls, weiter zu existieren, und eine bestimmte Art, in der wir das, was wir erfahren, betrachten.

Etwas kann auch so schön sein, dass es für uns unerträglich ist.

Das ist richtig, wir können unser Glück auf viele Weisen zerstören.

Im Augenblick sprechen wir nur darüber, was das Aktivieren und Reifen einer karmischen Hinterlassenschaft verursacht. Eine nicht aktivierte karmische Hinterlassenschaft ist kein Karma. Wenn sie aktiviert wird, ist die aktivierte karmische Hinterlassenschaft noch immer kein Karma. Zusammen mit der aktivierten karmischen Hinterlassenschaft tritt ein karmischer Impuls in Erscheinung, aber dieser karmische Impuls ist nicht aus der karmischen Hinterlassenschaft herangereift. Das, was aus der karmischen Hinterlassenschaft heranreift ist ebenfalls kein Karma. Karma, im Sinne von „karmischer Hinterlassenschaft“, reift nie als Karma.

Was reift aus der karmischen Hinterlassenschaft? Glücklichsein, alles was wir gern tun, sowie unser Erleben von allem, was uns passiert. Je nachdem, wie wir das, was uns im Augenblick geschieht, betrachten, aktivieren die fortgesetzte Begierde und die herbeiführende Geisteshaltung ein weiteres Set karmischer Hinterlassenschaft, worauf ein weiterer karmischer Impuls entsteht, der uns dazu bringt, etwas anderes als nächste karmische Reifung zu erleben. An jedem Punkt kann das, wonach uns der Sinn steht, es zu tun (wobei es sich um das Reifen einer karmischen Hinterlassenschaft handelt) zu einem Impuls führen, die Handlung tatsächlich auszuführen (ein weiteres Karma), und dann dazu, dass wir sie tatsächlich ausführen. Es ist nicht so, dass wir einfach handeln.

Das Entstehen weiterer karmischer Impulse 

Lasst mich auf etwas genauere Weise beschreiben, wie weitere karmische Impulse entstehen. Nehmen wir an, dass wir das Reifen irgendwelcher vorangehender Sätze karmischer Hinterlassenschaften erleben – einer ist zum Beispiel als das Hören eines lauten, vom Nachbarn verursachten Geräusches gereift, während ein anderes so gereift ist, dass wir den Lärm mit einem unglücklichen Gefühl erleben. Wahrscheinlich haben wir in einem vergangenen Leben andere durch unser Lärmen gestört. Die daraus entstehende karmische Hinterlassenschaft ist bereits zuvor in der Form gereift, dass wir Lust bekommen haben, in eine Wohnung zu ziehen, die laute Nachbarn hat. Wir haben uns nicht nur danach gefühlt, dorthin zu ziehen, sondern sind aufgrund von zahlreichen anderen mitwirkenden Ursachen und Umständen tatsächlich dorthin gezogen. Während wir voller Unglücklichsein den Lärm hören, empfinden wir die Begierde, dieses Unglücklichsein loszuwerden. Wir haben auch eine herbeiführende störende Geisteshaltung: wir identifizieren uns mit einem soliden „Ich“, das die Situation nicht ertragen kann, und dies löst einen Weiterexistenzimpuls aus, weiterhin auf solide Weise frei davon zu existieren.

Wozu führt die Kombination all dieser Elemente? Sie aktiviert einen anderen Satz karmischer Hinterlassenschaften und aus diesem Grund reift irgendeine Tendenz und irgendein Potenzial, eine große Szene zu machen, als die Lust, an die Tür unseres Nachbarn zu hämmern und ihn anzuschreien. Dieser Moment der Wahrnehmung wird von zahlreichen Geistesfaktoren begleitet. In diesem Kontext ist neben der Wut und der Intoleranz einer der wichtigsten Faktoren die Art und Weise, in der wir dem lauten Lärm Aufmerksamkeit schenken, während wir die Lust verspüren, eine große Szene zu machen. Möglicherweise betrachten wir diesen Lärm als einen schrecklichen Angriff gegen unseren Geistesfrieden, oder aber wir betrachten ihn als eine willkommene Herausforderung zum Üben von Toleranz und Geduld. Dies verstärkt die vorangehenden Tendenzen, die wir aufgebaut haben.

Die Tatsachen, dass den Lärm unseres Nachbarn als einen Angriff ansehen, dass wir uns weiterhin als ein solides “Ich” ansehen und dass wir die Begierde haben, weiterhin lärmfrei zu leben, wirken zusammen als Umstände dafür, dass ein anderer Satz von karmischen Potenzialen und Tendenzen aktiviert wird. Das Potenzial und die Tendenz dazu, in solchen Situationen unglücklich zu sein, würde dazu reifen, dass wir uns weiterhin unglücklich fühlen. Wenn wir den Lärm andererseits als eine Herausforderung ansehen, würde gemeinsam mit anderen Faktoren über den gleichen Mechanismus dazu führen, dass wir das Gleiche tun, um uns glücklich zu fühlen, da wir die Herausforderung willkommen heißen.

Unser Erleben des Gefühles, dass uns danach ist, an die Tür zu hämmern, wird im ersten Fall von der Ansicht begleitet, dass es nützlich wäre, an die Tür zu hämmern; im zweiten Fall dagegen von der Ansicht, dass es schädlich wäre. Wenn wir es im ersten Fall weiterhin als eine gute Lösung ansehen, an die Tür zu hämmern, wenn wir uns weiterhin mit einem soliden „Ich“ identifizieren und weiterhin die Begierde haben, von diesem Unglücklichsein, das wir erleben, getrennt zu sein, dann wird unsere Lust, an Tür zu hämmern, einen Impuls hervorbringen, tatsächlich hinzugehen und es zu tun. Wenn dieser Impuls weiterhin von dieser Begierde, diesem Herbeiführer und dieser Ansichtsweise begleitet ist, bewirkt er, dass wir schließlich tatsächlich an die Tür hämmern.

In dem Fall, in dem wir den Lärm als eine willkommene Herausforderung ansehen, uns glücklich fühlen, das An-die-Tür-Schlagen nicht als hilfreiche Lösung ansehen und unseren Impuls, weiterhin als ein solides „Ich“ zu existieren, mit geistigem Frieden betrachten, werden all diese Elemente einen anderen Satz von Potenzialen und Tendenzen aktivieren. Möglicherweise aktivieren sie das Potenzial und die Tendenz, uns davon zurückzuhalten, eine Szene zu machen. Dieses aktivierte Potenzial und diese aktivierte Tendenz werden dann dazu reifen, dass uns danach ist, uns davon zurückzuhalten, an die Tür zu hämmern. Die Lust, uns zurückzuhalten, bringt den Impuls hervor, uns am Riemen zu reißen, und schließlich lehnen wir uns tatsächlich zurück und gehen nicht mehr hin. Der Mechanismus ist derselbe wie im Falle, in dem wir schließlich gehen und hämmern.

Wir sehen also, dass die Begierde und die herbeiführende Geisteshaltung, speziell die Identifikation mit einem soliden „Ich“, in der Aktivierung und Reifung der karmischen Hinterlassenschaft ebenso die Schlüsselrolle spielen wie beim Hervorrufen weiterer karmischer Impulse. Wenn wir uns von der Begierde und diesem Herbeiführer befreien, die aus dem ersten der zwölf Glieder entstehen – der Unwissenheit bzw. der Verwirrung über unsere Existenzweise – so dass sie sich nie wieder ereignen, dann gibt es keine weiteren Aktivierungen und Reifungen karmischer Hinterlassenschaften und keine Produktion weiteren Karmas mehr. So kann man dieses ganze System angreifen, dies ist sein schwacher Punkt. Wir müssen uns von unserer Identifikation mit einem soliden „Ich“ befreien, die hinter unserer Begierde und unserer herbeiführenden störenden Emotion steht. Um uns von der Identifikation mit einem soliden „Ich“ zu befreien, müssen wir uns von unserem Greifen nach einem soliden „Ich“ befreien. Dies können wir nur erreichen, wenn wir vollständig verwirklichen, dass es ein solches Ding nicht gibt. Wir müssen die Leerheit verwirklichen, d.h. die Tatsache, dass unser konventionell existierendes „Ich“ vollkommen leer von unmöglichen Existenzweisen ist.

Nehmen wir uns einige Augenblicke um zu versuchen, dies zu verdauen.

Schlussfolgerung 

Die Zeit unseres Wochenendseminars ist abgelaufen und ich muss mich entschuldigen. Ich hatte viel mehr Material für dieses Wochenende vorbereitet, doch mir scheint, dass es für den Anfang hilfreich ist, wenn ihr ein grundlegendes Verständnis der von mir dargestellten Dinge gewinnen könnt. Nur wenn wir das System des Karmas einschließlich der Schwäche verstehen können, die ihm innewohnt – das Begehren danach, vom Glück nicht getrennt zu werden und vom Leiden getrennt zu sein, und eine herbeiführende störende Geisteshaltung, wie die Identifizierung mit einem soliden „Ich“ – können wir den Prozess der Reinigung verstehen.

Wir wollen mit einer Widmung enden. Was auch immer wir gelernt haben, möge es tiefer und tiefer gehen. Möge es als eine Ursache dafür dienen, dass wir uns schließlich davon befreien, vom Karma-Mechanismus kontrolliert zu werden, damit wir die Erleuchtung verwirklichen und allen bestmöglich helfen können.

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