Alternatives Kalachakra

Die Qualifikationen eines Kalachakra-Meisters

Das dritte bis fünfte Kapitel des „Kalachakra-Tantra“ legt die alternativen Zeitzyklen dar. Das dritte Kapitel, das die Ermächtigung betrifft, beginnt mit der Erörterung der Qualifikationen eines tantrischen Meisters des Kalachakra und der vor dem Nehmen der Initiation zu folgenden Prozedur bezüglich eines solchen Lehrers. Es ist äußerst wichtig, einen tantrischen Meister mit kritischer Prüfung zu untersuchen, bevor wir uns ihm gegenüber als Schüler verpflichten. Erfolg im Erlangen des Erleuchtungsziels und der vollen Fähigkeit, anderen zu nutzen, hängt von der Reinheit und Ehrlichkeit unserer Beziehung mit unserem Lehrer ab. Erst nachdem eine starke Verbindung errichtet und völliges Vertrauen entstanden ist, ist es angebracht, von einem Meister die Kalachakra-Ermächtigung zu erbitten. Da die meisten Leute nicht das Glück bzw. die Gelegenheit haben, eine nahe persönliche Beziehung zu einem großen Meister zu errichten, der gerade die Kalachakra-Initiation überträgt, besteht die einzige Alternative darin, diese Lehrer aus dem eben möglichen Kontakt heraus zu überprüfen oder glaubwürdige Berichte aus erster Hand zu bedenken. Auch wenn wir den Meister vor der Ermächtigung nicht persönlich treffen können, ist es bei weitem besser, zur Initiation auf der festen Basis von Zuversicht und Vertrauen zu kommen, die auf Gründen beruht, als auf der wackeligen Grundlage blinden Glaubens aufgrund von Name und Bekanntheit der Person. Da es in den meisten Fällen nicht möglich ist, vorher in einem privatem Treffen um Ermächtigung zu bitten, wird die Anfrage formell als Teil der anfänglichen Schritte der Zeremonie durchgeführt.

Nach dem dritten Kapitel des „Kalachakra-Tantra“ müssen authentische tantrische Meister dieses Systems ungebrochene starke Verbindungen mit ihren eigenen Meistern haben, mit den Praktiken, ihren Gelübden und der wahren Natur der Wirklichkeit. Insbesondere müssen sie die tantrischen Gelübde des Kalachakra rein einhalten und erfolgreich die Erzeugungs- und vollständige Stufe des Kalachakra meditiert haben. Sie sind frei von Anhaftung an irgendetwas, einschließlich ihrer Familie, ihrer Freunde und sogar ihres Körpers. Ebenso müssen sie unbefleckt sein von Gier, Ärger Dummheit und verbohrter Unwissenheit, Stolz, Eifersucht und Geiz. Mit großer Geduld arbeiten sie zum Segen ihrer Schüler mit ernsthaftem Interesse an deren Wohlergehen und ohne Gedanken daran, persönlich Dienste, Liebe, Respekt, Ruhm oder Reichtum zu erlangen. Sie werden ausschließlich von Bodhichitta motiviert, dem Wunsch, ein Buddha zu werden zum Wohle anderer. Da sie den Pfad-Geist erlangt haben, der zur Erleuchtung führt, sind sie fähig, andere ebenfalls zum Erlangen eines solchen Geistes zu führen und sie so von Ängsten zu befreien. Da sie ein unveränderliches glückseliges Gewahrsein erlangt haben, das auf die Leerheit ausgerichtet ist, bleiben sie vollständig keusch, verlieren also nie ihren glückseligen Geisteszustand durch den Abfluss eines Orgasmus.

Darüber hinaus sind tantrische Meister des Kalachakra stabil, emotional gefasst, voller Intelligenz des gesunden Menschenverstands, geduldig, ehrlich, machen einem nichts vor, strotzen vor liebender Besorgtheit um andere, sind gut versiert in den Schriften und Kommentaren, fähig in der Anwendung der tantrischen Techniken und völlig vertraut mit allen Abläufen tantrischer Rituale. Sie besitzen alle Qualitäten und Fähigkeiten, um die vier Maras bzw. dämonischen Störungen zu zerquetschen. Nach dem Kalachakra-System bestehen die vier Maras aus unseren körperlichen, sprachlichen und geistigen Hindernissen bzw. Blockierungen und den Hindernissen, die durch den Glaube an unzutreffende Sichtweisen der Wirklichkeit verursacht sind. Das Beispiel des Textes für letztere ist zu glauben, dass es unnötig ist, im Leben zuträglich zu handeln, weil alles Glück als Geschenk von den Göttern kommt.

Für den Fall, dass drei völlig qualifizierte tantrische Meister – ein vollordinierterer Mönch, ein Novize und ein Haushälter – vorhanden sind, und, während sie in allem anderen gleich sind, wir unter ihnen einen auswählen müssen, sagt der Text, dass wir uns auf den vollordinierten Meister stützen sollen. Hingabe an einen Laienlehrer und diesem so den Vorzug vor einem perfekt qualifizierten Mönch zu geben untergräbt die Lehre des Buddha. Das liegt daran, dass Leute, die sehen, dass ein solcher Mönch übergangen wird, den Eindruck erhalten, dass die klösterliche Gemeinschaft, die das Sangha-Zufluchtsjuwel repräsentiert, also eines der Drei Kostbaren Juwelen, die eine sichere Richtung im Leben gewähren, unnötig ist. Es ist wichtig, dies im Lichte der Tendenz des Westens, die Rolle und Wichtigkeit von Mönchen und Nonnen im Buddhismus zu minimalisieren und die Betonung auf Laienpersonen zu legen, im Geist zu behalten.

Ungeeignete Lehrer

Das dritte Kapitel erklärt auch, wie man einen ungeeigneten Kalachakra-Meister erkennt. Derartige Lehrer sind stolz, angefüllt mit Vorurteilen und Hass, haben ihre enge Verbindung mit ihrem Lehrer, ihren Gelübden und ihrer Praxis gebrochen, verhalten sich respektlos gegenüber heiligen Objekten und haben die ausgedehnte Kalachakra-Praxis nur wenig studiert. Sie sind ausschließlich an der Täuschung ihrer Schüler interessiert, ihr Geist ist aus dem unveränderlichen glückseligen Gewahrsein herausgefallen – so sie es denn je erreicht hatten – und sie lehren ohne ausreichende Ermächtigung oder Meditationserfahrung. Sie haften an Begierdeobjekte der Sinne an, sind nicht pflichtbewusst, benutzen grobe Rede und streben nur die ephemere Glückseligkeit des sexuellen Orgasmus an. Das „Kalachakra-Tantra“ rät dringend, solche Lehrer wie brennende Höllen zu meiden. Selbst wenn wir die Ritualprozedur einer tantrischen Initiation von solchen sogenannten "Gurus" erbitten und mit ihnen vollziehen, erhalten wir keine eigentliche Ermächtigung. Das liegt daran, dass ihre Mängel sie von der Fähigkeit disqualifizieren, sie zu übertragen.

Falls wir uns bereits einem solchen ungeeigneten Lehrer anvertraut haben, dem es an Mitgefühl mangelt, der mit Ärger angefüllt ist, an Sinnesvergnügen anhaftet, arrogant ist und sich immer selber loben, rät uns der Text, uns von ihnen zu lösen. Der Privatlehrer des Zweiten Dalai Lama Kädrub Norsang-Gyatso, der im fünfzehnten Jahrhundert lebte, legte viel Sorgfalt auf die Erklärung, dass dies nicht bedeutet, sie zu verachten und respektlos zu sein. Vielmehr haben wir nichts mehr mit ihnen zu tun. Da es schwierig ist, einen Lehrer mit vollständiger Qualifikation zu finden, besteht die einzige Alternative darin, sich auf jemanden zu stützen, der zumindest einen Hauptanteil an guten Eigenschaften besitzt; dabei ist es am wichtigsten, dass derjenige seine Gelübde rein hält.

Qualifikation für das Erhalten der Ermächtigung

Das dritte Kapitel erklärt als nächstes die Qualifikation des Schülers für das Erhalten der Kalachakra-Ermächtigung. Wir müssen uns selbst ehrlich untersuchen, um herauszufinden, ob wir den Anforderungen genügen. Nach dem „Gekürzten Kalachakra-Tantra“ haben für die volle Ermächtigung geeignete Schüler ein tiefes Interesse am unveränderlichen glückseligen Gewahrsein der Leerheit und an leeren Formen und erfreuen sich daran, von abträglichem Verhalten Abstand zu nehmen und die tantrischen Gelübde streng einzuhalten. Sie haben es aufgegeben, sich mit trivialen Beschäftigungen abzulenken, messen Reichtum und Besitztümern keine Bedeutung zu, haben ein unvergängliches Vertrauen in die Drei Juwelen und haben kein Interesse an den weltlichen Früchten aus der tantrischen Praxis, sondern nur an der Erleuchtung. Darüber hinaus respektieren sie vollständig die tantrischen Abläufe, halten weder bloße Visualisation noch Ritualpraxis für ausreichend, sind fähig die Richtlinienanweisungen für die vollständige Stufe vertraulich zu halten, bis sie deren Verwirklichung erlangt haben, und lassen sich nicht eng mit denjenigen ein, die sie von ihrer Praxis oder ihrem Ziel abhalten könnten.

Der Kommentar zum „Makellosen Licht“ fügt hinzu, dass geeignete Schüler für eine der Ebenen der Kalachakra-Ermächtigung ihre ernsthafte spirituelle Übung mit dem Erhalt und dem Einhalten der Laiengelübde des Vermeidens von Töten, Stehlen, Lügen, Hingeben an unpassendes sexuelles Verhalten und Nehmen von Rauschmitteln begonnen haben. Für diejenigen, die nicht die Gelegenheit hatten, diese Gelübde zuvor zu nehmen, sind sie in den fünfundzwanzig Arten des bezähmten Verhaltens enthalten, welche die Initianten als Teil der Ermächtigung aufrechtzuerhalten versprechen. Wir werden die Bedeutung und Auswirkung dieser Versprechen untersuchen, wenn wir diese Arten des bezähmten Verhaltens in Kapitel Acht erläutern.

Darüber hinaus haben geeignete Schüler auf der festen Grundlage ethischer Selbstdisziplin eine Mahayana-Geisteshaltung entwickelt, erfüllt von Liebe, Mitgefühl, außergewöhnlicher Entschlossenheit und Bodhichitta, und sind beim Vertreten einer Madhyamaka-Sichtweise der Wirklichkeit angelangt, indem sie schrittweise die weniger anspruchsvollen buddhistischen Lehrsysteme studiert haben. Sich stufenweise zur Madhyamaka-Sichtweise vorzuarbeiten sichert ein tieferes Verständnis, das auf einer stärkeren Basis steht.

Da jeder Schritt der Kalachakra-Ermächtigung und – Praxis auf Bodhichitta und einem Verständnis der Leerheit gründet, ist zuvor zumindest eine gewisse Vertrautheit mit ihnen nötig. Der Text sagt nicht spezifisch aus, welche Ebene an Kompetenz dies sein muss. Es ist allerdings immer eine sichere Entscheidungsgrundlage, wenn man den grundlegenden buddhistischen Richtlinien folgt. Ein sich bemühender Praktizierender ist mehr an zukünftigen Leben als an diesem interessiert, mehr an der Befreiung von Samsara als an einer besseren Wiedergeburt in der Zukunft, mehr an der Hilfe für andere als an der Befriedigung eigensüchtiger Begierden, und mehr am Sehen der Wirklichkeit als am unhinterfragten Akzeptieren der Erscheinungen. Auch wenn wir Leerheit nicht studiert oder über sie tief meditiert haben, müssen wir an ihr zumindest ein ehrliches Interesse haben sowie die Absicht, ihr sobald wie möglich ernsthaft nachzugehen.

Als letztes führt das „Makellose Licht“ auf, dass die Schüler vor der Ermächtigung glühende Achtung für und glühenden Respekt vor den Methoden des Anuttarayoga-Tantra haben müssen, insbesondere derjenigen des Kalachakra. Um diese Bewunderung und dieses Interesse zu erlangen, ist eine gewisse Ebene an Studium und intellektuellem Verständnis unentbehrlich.

Die Entscheidung für oder gegen die Teilnahme an der Ermächtigung

Viele Menschen würden es vorziehen, eine Autorität fragen zu können, ob sie für die Kalachakra-Praxis vorbereitet oder geeignet sind. Allerdings ist es sehr selten, eine derartige Gelegenheit zu haben, und die wenigsten haben eine ausreichend enge persönliche Beziehung mit einem spirituellen Meister, um die Befragung bedeutsam sein zu lassen. Grundsätzlich müssen wir für uns selbst entscheiden, ob wir für Tantra und insbesondere für Kalachakra bereit sind.

Die Leute kommen aus vielen verschiedenen Motivationen zu einer Kalachakra-Initiation. Einige Leute sind bereits tief in ein anderes Anuttarayoga-Tantra-System involviert und wollen das Kalachakra studieren, um ein klareres Verständnis ihrer anderen tantrischen Praktiken zu erlangen. Einige sind Praktizierende, die sich nicht sicher sind, welche Buddha-Form sich für sie am besten eignet, und die ihre Möglichkeiten zu erweitern wünschen, indem sie Kalachakra mit aufnehmen. Viele fühlen sich nicht bereit für Anuttarayoga-Praxis, sondern nehmen lediglich zum zuschauen teil und um eine karmische Verbindung mit der Praxis zu errichten, um sie in der Zukunft zu verfolgen. Wenn es uns allerdings Ernst ist mit der Praxis des Kalachakra selbst, wie können wir dann wissen, ob sie für uns die richtige ist?

Der zu bedenkende Hauptfaktor bei der Auswahl eines Anuttarayoga-Systems ist der Stil seiner Praxis der vollständigen Stufe. Wir müssen unser vorherrschendes subtiles Energiesystem identifizieren und herausbekommen, welche Methoden auf der vollständigen Stufe dieses System am effektivsten und geeignetsten nutzen, um uns Zugang zum Geist des klaren Lichts zu verschaffen. Dies können wir nur feststellen durch Meditationserfahrung, die wir durch Studium von mehreren Systemen und dem Experimentieren mit ihnen erlangen, unter der direkten Aufsicht eines qualifizierten tantrischen Meisters. Nachdem wir den angebrachtesten Stil der vollständigen Stufe festgestellt haben, richten wir uns, wenn wir uns darauf vorbereitet haben, die gesamte Zeit in ihre Praxis zu investieren, intensiv auf die entsprechende Erzeugungsstufe aus, was dann zum Erfolg dieser Anstrengung heranreift. Die übliche Verhaltensweise bis zum Erreichen dieses Punktes der Sicherheit besteht darin, sich in bestimmtem Umfang mit der Praxis der Erzeugungsstufe mehrerer Anuttarayoga-Systeme zu beschäftigen – so viele und ein möglichst großes Spektrum abdeckend, wie es bei unserem Fassungsvermögen möglich ist -, um so die karmischen Verbindungen und die Vertrautheit aufzubauen, die für eine abschließende Auswahl des Systems nötig sind.

Die Frage bleibt aber immer noch, wie wir die Entscheidung treffen, ob wir das Kalachakra in den Raum unserer Anuttarayoga-Praxis aufnehmen sollen. Wir beurteilen unsere Neigung, indem wir einfach unsere natürlichen Interessen untersuchen. Obwohl der Text diesen Punkt nicht ausarbeitet, haben diejenigen, die von Astronomie, Astrologie, Kernphysik, Mathematik, Technologie, Geschichte oder der Kunst der Konfliktlösung fasziniert sind und die sich von den äußeren und inneren Kalachakra-Erörterungen dieser Punkte angezogen fühlen, höchstwahrscheinlich eine gewisse Verbindung mit dem Kalachakra. Die selbe Schlussfolgerung können wir ziehen, wenn unser Leben sehr komplex ist, wir jeden Tag viele Dinge jonglieren müssen und wir ganz natürlich angezogen sind von dem positiven Selbstbild, das Kalachakra repräsentiert – die Fähigkeit, mit allen Situationen umgehen zu können, ganz egal, welche Zeit gerade ist oder um wie viele es sich handelt.

In Notsituationen das Selbstbild des Kalachakra zu haben und geeignete Mantras zu rezitieren, um dessen Vergegenwärtigung aufrechtzuerhalten, hat auch für Menschen großen Nutzen, die nie in eine ernsthaftere Ebene der Kalachakra-Praxis einsteigen. In den modernen Gesellschaften führen viele Menschen ein fragmentarisches Leben. Sie fühlen sich entfremdet von vitalen Komponenten wie zum Beispiel ihrem Körper, ihren Gefühlen, ihrer Kreativität oder ihren Eltern. Es ist schwierig, alles im Gleichgewicht zu halten und zu integrieren. Es ist so, als ob wir viele Leben gleichzeitig führen würden – ein öffentliches Leben und ein privates, ein Büroleben, ein Familienleben, sowie ein soziales, berufliches, intellektuelles, spirituelles, Sport-, Vereins-, Ferien-, Muße- und politisches Leben. Die Situation wird sogar noch komplizierter, wenn es zu Scheidungen und Wiederverheiratungen gekommen ist. Kalachakra repräsentiert die Fähigkeit, eine ganze Person zu sein, also alle diese Elemente harmonisch zusammenzubringen.

Das Kalachakra-Selbstbild stammt her von der gleichzeitigen Visualisation aller 722 Gestalten eines komplexen Mandalas und der Identifikation mit ihnen allen. Wenn wir im Büro von der Arbeit überwältigt werden und uns unser Vorgesetzter dennoch ein weiteres Projekt auf den Tisch legt, werden wir uns nicht aufregen, wenn wir uns an das Kalachakra-Selbstbild erinnern. Es ist so, als ob wir einer der Ecken unserer riesigen Mandalawelt eine weitere Gruppe von Gestalten hinzufügen würden. Es ist für uns ganz einfach, damit umzugehen. Daher mag es sein, dass, auch wenn wir Kalachakra nicht als unsere Hauptpraxis wählen oder es noch nicht einmal als Möglichkeit für eine zukünftige Ausrichtung ansehen, wir uns dazu entscheiden, die Kalachakra-Ermächtigung zu nehmen mit dem Ziel, sein konventionelles Selbstbild zu entwickeln und mit ihm zu arbeiten.

Das für die Übertragung der Ermächtigung benutzte Mandala

Nachdem es die Qualifikationen des tantrischen Meisters und der Schüler für die Ermächtigung erläutert hat, diskutiert das „Kalachakra-Tantra“ als nächstes die Art des Mandalas, von dem die Zeremonie gegeben wird. Während der Ermächtigung werden wir in die dreidimensionale Mandalawelt von Kalachakra eingeführt und wir erhalten dann tatsächlich die Ermächtigung übertragen in diesem Mandala. Dieses Mandala besteht aus durchscheinendem klaren Licht und ist eine Emanation des erleuchtenden Geistes des tantrischen Meisters als der Buddha-Form. Alle, die keine äußerst fortgeschrittenen Verwirklichungen besitzen, können dieses Mandala nicht wirklich sehen. Während der Initiation stellen sich die meisten Leute lediglich vor, dass es gegenwärtig ist. Allerdings muss hierfür eine Grundlage bestehen, damit diese Visualisation eine gültige Wahrnehmung ist.

Wir können die Notwendigkeit hierfür verstehen durch das Beispiel des geistigen Benennens. Denken wir an ein Beispiel, das Errichten eines neuen Hauses. Ein Haus kann nicht ohne geistiges Schema oder einen Bauplan oder ein Architekten-Modell gebaut werden. Das Haus selber ist aber keine dieser Repräsentationen. Niemand wird in dem winzigen Modell wohnen. Wir können von dem jeweiligen Haus nur auf der Basis zum Beispiel einer Zeichnung sprechen. Wenn es kein Schema gibt, dann können wir nur von einem neuen Haus im allgemeinen sprechen, nicht von demjenigen, das zu bauen wir vorhaben. Das Haus ist nicht das Wort "Haus", sondern ist das, worauf sich das Wort auf der Grundlage der Zeichnung bezieht. In buddhistischer Terminologie ist die Zeichnung oder das Modell die Grundlage für das geistige Benennen des Hauses. Wir können mit dem Haus nicht anders umgehen als unter Nutzung einer Grundlage, auf der man ein solches benennen kann. Wenn das Haus dann tatsächlich erbaut ist, dann stellen seine Räume die Benennungsgrundlage dar.

Auch für den Umgang mit dem Kalachakra-Mandala während der Initiation muss eine Grundlage für die Benennung vorhanden sein. Nach Naropas indischem Kommentar zum dritten Kapitel aus dem elften Jahrhundert muss für die Kalachakra-Ermächtigung diese Grundlage ein aus farbigem Pulver gemachtes Mandala sein. Falls für die Herstellung eines solchen Mandalas die Mittel fehlen und die Schüler äußerst gut qualifiziert sind, dann können tantrische Meister die Ermächtigung auf der Grundlage eines Mandalas übertragen, das sie aus ihrem Geist des klaren Lichts emanieren und durch die Kraft ihrer stabilen Konzentration aufrechterhalten. Das ist die einzige Ausnahme abgesehen von der besonderen Situation, als König Manjushri-Yashas eine im königlichen Garten von Shambhala errichtete dreidimensionale Nachbildung des Mandalas in voller Größe benutzte, um sein Volk zu einen. Heutzutage, wenn die Mittel nicht zur Verfügung stehen, übertragen allerdings viele Meister die Ermächtigung auf der Grundlage eines auf Stoff gezeichneten Mandalas.

Die drei Ebenen der Ermächtigung

Die Kalachakra-Initiation besteht aus vielen verschiedenen Einzelermächtigungen und abhängig davon, wie viele von ihnen eingeschlossen sind, kann ein Kalachakra-Meister die Gesamtinitiation auf drei Umfassungsebenen übertragen. Alle Ebenen der Initiation enthalten einen Satz von sieben Ermächtigungen, bekannt als die "Sieben des Eintretens wie ein Kind". Jede dieser sieben ist analog zu einer Entwicklungsstufe des Menschen von der Geburt bis zur Jugend. Über die Sieben des Eintretens wie ein Kind hinaus gibt es höhere und höchste Sätze von Vasen-, geheimer, Weisheits- und vierter bzw. Wort-Ermächtigung sowie die große Vajrameister-Ermächtigung.

Auf der ersten Umfassungsebene überträgt der Meister nur die Sieben des Eintretens wie ein Kind. Sie zu erhalten ermächtigt uns, in die Praxis der Erzeugungsstufe einzusteigen. Auf der zweiten Ebene werden elf Ermächtigungen übertragen: Die Sieben des Eintretens wie ein Kind, die höhere Vasen-, geheime und Weisheits-Ermächtigung und dann sowohl die höhere wie auch die höchste vierte Ermächtigung, welche als eine gezählt werden. Diese zweite Ebene ermächtigt uns, sowohl die Erzeugungsstufe wie auch die vollständige Stufe der Kalachakra-Praxis zu meditieren. Die umfassendste Ebene der Initiation beinhaltet die sieben Ermächtigungen des Eintretens wie ein Kind, die vier höheren und vier höchsten Ermächtigungen, und die große Vajrameister-Initiation. Sie ermächtigt diejenigen, die durch die Praxis der Erzeugungs- und vollständigen Stufe tatsächlich Verwirklichungen erlangt haben, zur Übertragung der Kalachakra-Initiation an andere. Da die meisten von uns im Moment kein drängendes Bedürfnis für diese letzte Ermächtigung haben, sollten wir nicht schmollen, wenn die Ebene der Initiation, die wir erhalten, nicht die vollständigste ist. Wir verpassen nichts von dem, was wir im Moment brauchen, selbst wenn wir nur eine Kalachakra-Ermächtigung der ersten Ebene erhalten.

Zusätzlich zu diesen drei Ebenen der Ermächtigung gibt es auch eine Kalachakra-Zeremonie der nachfolgenden Erlaubnis. Leute im Westen unterscheiden oft nicht zwischen einer Ermächtigung und einer nachfolgenden Erlaubnis – einem wang und einem jenang – und verwenden den Begriff "Initiation" für beides. Das führt zu Verwirrung. Tsenshap Serkong Rinpoche benutzte oft die Analogie, dass das Erhalten einer Ermächtigung so ist, als ob man ein Schwert ausgehändigt bekommt, während das Erhalten einer nachfolgenden Erlaubnis sich verhält, als ob einem dieses Schwert für die wirksamere Benutzung geschärft wird. Die nachfolgende Erlaubnis des Kalachakra steuert weitere Inspiration bei für die Benutzung von Körper, Rede und Geist in erleuchtender Weise entlang des spirituellen Pfades, anderen zu nutzen. Die Zeremonie der nachfolgenden Erlaubnis kann nach jeder der drei Ermächtigungsebenen angefügt werden. Auch wenn sie nicht eingeschlossen ist, ist die Initiation weiterhin vollständig. Wir haben das Schwert. Wenn wir erst einmal einige Erfahrung mit seiner Benutzung erlangt haben, können wir es schärfen lassen.

Das dritte Kapitel stellt als nächstes die Vorbereitungen dar, die ein Meister vor der Übertragung der Ermächtigung durchführen muss, einschließlich wie man den Ort weiht und einen geschützten Raum errichtet, um Störungen während der Zeremonie abzuwehren. Abschließend legt es im Detail die Prozedur jeder Ermächtigung dar. Einige dieser Punkte werden wir uns in späteren Kapiteln ansehen.

Zugang finden zur Komplexität der Kalachakra-Praxis

Das vierte und fünfte Kapitel erläutert die Praktiken der Erzeugungsstufe und vollständigen Stufe und beschreibt das Erlangen der Erleuchtung mittels dieses Pfades. Sie können nach dem Erhalt der Ermächtigung studiert werden. Viele Leute machen sich allerdings Sorgen, dass die Kalachakra-Praxis zu schwierig ist, da das Kalachakra-Mandala 722 Gestalten beinhaltet, die gleichzeitig und in allen Details zu visualisieren man angehalten ist. Es gibt aber keinen Anlass, sich eingeschüchtert zu fühlen. Obwohl die Kalachakra-Praxis nicht einfach ist, beginnen wir bei der Meditation seiner Erzeugungsstufe nicht mit dem Versuch, die Gesamtheit des Ganzen zu visualisieren. Normalerweise fangen wir mit einem vereinfachten Schema der Sadhana an, das entweder eine Figur oder zwei Figuren enthält mit je nur einem Gesicht und zwei Armen. Mit zunehmender Fähigkeit dehnen wir unsere Visualisation in bestimmten Steigerungen aus, bis wir fähig sind, uns das gesamte Mandala vorzustellen. Obwohl Studium und Praxis eines anderen Anuttarayoga-Tantra, wie zum Beispiel Guhyasamaja, hilfreich sein kann, bevor man an das Kalachakra herantritt, ist dies keine Voraussetzung.

Kalachakra hält nicht den Rekord bezüglich der Anzahl an Figuren im Mandala, aber es gibt eindeutig genug. Das Mandala beinhaltet Figuren, welche die 360 Tage des Jahres repräsentieren, die Zeichen des Tierkreises, die Hauptkonstellationen und Planeten, wie auch die meisten Bestandteile des menschlichen Körpers, z.B. die Knochen, den Sinnesapparat und die Winde, Kanäle und Chakras des subtilen Energiesystems. Da unser Körper und unser Geist wie das Leben selbst sehr komplex sind, mit so vielen Bestandteilen, braucht es ein kompliziertes Schema, um sie alle zu symbolisieren, zu integrieren und um mit ihnen arbeiten zu können. Daher sind alle Phasen der Kalachakra-Praxis einschließlich der Ermächtigung mehr ausgearbeitet, als in anderen Tantras. Die Theorie dahinter ist, dass, da das Mandala die zu reinigende Basis symbolisiert, ein ausgedehnteres Mandala in einer gründlicheren Reinigung resultiert. Das bedeutet allerdings nicht, dass nach dem Erhalt der Kalachakra-Ermächtigung wir uns auf ein detailliertes Studium tibetisch-mongolischer Astrologie und Medizin verpflichten müssen, um eine so umfassend wie mögliche Kenntnis der zu reinigenden Grundlage zu erhalten. Eine Bekanntschaft mit ihren allgemeinen Prinzipien ist äußerst ausreichend. Unser Hauptaugenmerk liegt auf dem alternativen Kalachakra-System.

Die Praxis der vollständigen Stufe des Kalachakra bringt den Erhalt einzigartiger unmittelbar vorausgehender Ursachen für den erleuchtenden Körper und Geist eines Buddha – namentlich eine leere Form und ein unveränderliches glückseliges Gewahrsein der Leerheit. Die mittels dieser erreichte Erleuchtung ist jedoch die gleiche, die auch durch jede andere buddhistische Technik erlangt wird. Wenn einige der klassischen tibetischen Text aussagen, dass Kalachakra die Spitze aller Tantras ist, dann kommt ihr Lob von der Ausgedehntheit und Klarheit des Kalachakra-Materials her und nicht von dem durch seine Praxis erreichten Ergebniszustand.

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